Rede von
Dr.
Irene
Mihalic
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Zu Beginn dieser Wahlperiode haben
wir mit allen vier Fraktionen hier einen Antrag zu den
Konsequenzen aus dem NSU-Terror beschlossen und da-
rin ausdrücklich eine Fehlerkultur bei den Sicherheitsbe-
hörden angemahnt. Doch leider, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der Großen Koalition, fehlt bis jetzt jegli-
che gesetzgeberische Initiative, um die institutionellen
Voraussetzungen für das Entstehen einer solchen Fehler-
kultur zu schaffen, zumindest an den Stellen, an denen
der Bund in der Verantwortung steht. Dabei könnte man
diese Voraussetzungen durch die Einrichtung der Stelle
eines unabhängigen Polizeibeauftragten schaffen.
Herr Kollege Baumann, Sie haben diese Forderung
damit zurückgewiesen, dass das Ausdruck einer Miss-
trauenskultur wäre. Ich frage mich allen Ernstes: Mit
dem Wehrbeauftragten haben Sie doch auch nicht die ge-
ringsten Probleme; oder darf ich Ihrer Zustimmung ent-
nehmen, dass Sie den Soldatinnen und Soldaten der
Bundeswehr misstrauen? Ich glaube nicht, dass das der
Fall ist.
Die Stelle eines unabhängigen Polizeibeauftragten ha-
ben wir Grüne, unterstützt von den Linken, bereits in
zwei Haushaltsberatungen beantragt. Dieser Forderung
haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von Union
und SPD, stets die kalte Schulter gezeigt. Von Ihnen hieß
es immer: Wozu brauchen wir denn noch einen Beauf-
tragten? Er sei doch ohnehin nur für die Polizeibehörden
des Bundes zuständig. – Ja, und genau in diesen Zustän-
digkeitsbereich fallen die skandalösen Vorfälle bei der
Bundespolizeidirektion Hannover, die jetzt bekannt ge-
worden sind. Dort hat es in mindestens einer Dienst-
gruppe über Jahre hinweg eine scheinbar völlig undurch-
dringliche Struktur mit einem informellen Machtgefüge
des Sich-gegenseitig-Schützens und des Schweigens ge-
geben. Folter, Nötigung und sogar Vergewaltigung ste-
hen als Vorwürfe im Raum. Diese schlimmen Vorfälle
– auch das will ich hier in aller Deutlichkeit sagen – be-
treffen selbstverständlich nicht die gesamte Polizei; aber
weil solche Vorwürfe eben nicht nur in Hannover, son-
dern auch an anderer Stelle leider immer wieder auftau-
chen, müssen endlich Konsequenzen gezogen werden.
Einem Polizeibeauftragten hier beim Deutschen Bun-
destag könnten sowohl Bürgerinnen und Bürger als auch
Beamtinnen und Beamte auf Wunsch anonym Hinweise
geben. Das heißt, keiner, der hier sein Herz ausschüttet,
müsste am Ende Angst davor haben, von den Kollegin-
nen und Kollegen als Nestbeschmutzer diffamiert zu
werden. Hierin liegt der entscheidende Schwachpunkt
beim sogenannten Vertrauensbüro, das Bundespolizei-
präsident Romann jetzt als schnelle Konsequenz aus
dem Skandal in Hannover präsentiert hat. Denn dieses
Vertrauensbüro ist Teil der Polizeihierarchie und natür-
lich auch dem Legalitätsprinzip verpflichtet, strafrecht-
lich relevante Sachverhalte zu verfolgen. Das betrifft
nicht nur die Beamten, die sich strafrechtlich relevant im
Sinne der Vorfälle, die ich eben geschildert habe, verhal-
ten haben, sondern auch die Beamten, die solche Vor-
fälle nicht sofort melden, sondern vielleicht zeitlich ver-
zögert. Denn dann muss diese Vertrauensstelle sofort
wegen Strafvereitelung ermitteln. Im Klartext: Das
bringt überhaupt nichts. Solche Vorgänge wie in Hanno-
ver werden auch zukünftig viel zu spät bekannt oder
vielleicht nur durch puren Zufall.
Leider ist der Antrag von Ihnen, liebe Kolleginnen
und Kollegen von den Linken, bei der Frage der Unab-
hängigkeit sehr ungenau. Sie sagen, eine solche Stelle
müsse räumlich von den Polizeidienststellen getrennt ar-
beiten und Mitarbeiter dürften in keinem institutionellen
oder hierarchischen Verhältnis zum betroffenen Beamten
stehen. Das reicht meiner Ansicht nach nicht aus.
Wir brauchen eine völlig autonome Stelle, am besten
hier beim Parlament;
denn es geht auch um die Verbesserung der parlamenta-
rischen Kontrolle. Die Unabhängigkeit ist ein zentraler
und unverzichtbarer Bestandteil eines Polizeibeauftrag-
ten. Leider bleiben Sie mit der Forderung bei einer Be-
schwerdestelle stehen. Wir brauchen aber keinen Kum-
merkasten – entschuldigen Sie, wenn ich das so flapsig
sage –, sondern ein echtes Rad im Getriebe der Sicher-
heitsarchitektur.
Es ist natürlich gut, dass sich die Linken mit uns auf
den Weg machen. Die zentrale Frage ist jetzt: Wo steht
die SPD, wo stehen CDU/CSU? Der Vorschlag für einen
Polizeibeauftragten trifft auf äußerst positive Resonanz,
sowohl bei Bürgern als auch bei Experten jeglicher
Couleur und auch bei immer mehr Polizeibeamten. Auch
der ehemalige Wehrbeauftragte und Sozialdemokrat
Reinhold Robbe, der nun nicht gerade bekannt dafür ist,
ein ausgewiesener Grünenversteher zu sein, sagt: Wir
brauchen einen unabhängigen Polizeibeauftragten beim
Deutschen Bundestag. – Ich finde, das kann Sie jetzt
nicht unbeeindruckt lassen.
Meine Damen und Herren von der Koalition, geben
Sie sich einen Ruck. Packen Sie endlich dieses wichtige
Reformwerk mit uns gemeinsam an.
Herzlichen Dank.