Protokoll:
17173

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 17

  • date_rangeSitzungsnummer: 173

  • date_rangeDatum: 30. März 2012

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 14:27 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 17/173 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 173. Sitzung Berlin, Freitag, den 30. März 2012 I n h a l t : Nachträgliche Ausschussüberweisung . . . . . . Tagesordnungspunkt 31: Antrag der Abgeordneten Dr. Joachim Pfeiffer, Nadine Schön (St. Wendel), Peter Altmaier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeord- neten Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Martin Lindner (Berlin), Claudia Bögel, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der FDP: Wachs- tumspotenziale der Digitalen Wirtschaft weiter ausschöpfen – Innovationsstandort Deutschland stärken (Drucksache 17/9159) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Philipp Rösler, Bundesminister BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Garrelt Duin (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP) . . . . . . . . . Garrelt Duin (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU) . . . . Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . . . Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . Lars Klingbeil (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Manuel Höferlin (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Manuel Höferlin (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Dieter Jasper (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 32: a) Antrag der Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz, Volker Beck (Köln), Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: EU-Datenschutzreform unterstützen (Drucksache 17/9166) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz, Volker Beck (Köln), Ingrid Hönlinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Völlige Unabhängigkeit für den Bun- desdatenschutzbeauftragten (Drucksache 17/6345) . . . . . . . . . . . . . . . c) Beschlussempfehlung und Bericht des In- nenausschusses zu dem Antrag der Abge- ordneten Dr. Konstantin von Notz, Nicole Maisch, Tabea Rößner, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Grundrechte schützen – Da- tenschutz und Verbraucherschutz in so- zialen Netzwerken stärken (Drucksachen 17/8161, 17/9198) . . . . . . . Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gerold Reichenbach (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Jörg-Uwe Hahn, Staatsminister (Hessen) . . . Jan Korte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . Sebastian Blumenthal (FDP) . . . . . . . . . . . 20471 A 20471 B 20471 B 20473 D 20475 D 20476 B 20476 D 20478 C 20479 C 20480 D 20482 A 20483 C 20485 C 20486 D 20488 A 20489 B 20490 A 20491 C 20493 C 20493 C 20493 D 20493 D 20495 D 20497 C 20500 A 20501 A 20501 D Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012 Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU) . . . . . . Gerold Reichenbach (SPD) . . . . . . . . . . . . Kerstin Tack (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Manuel Höferlin (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Gisela Piltz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . . Kirsten Lühmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Sebastian Blumenthal (FDP) . . . . . . . . . . . . . Michael Frieser (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 34: Antrag der Fraktion der SPD: Umsetzung von Basel III: Finanzmärkte stabilisieren – Realwirtschaft stärken – Kommunal- finanzierung sichern (Drucksache 17/9167) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Manfred Zöllmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Björn Sänger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Antje Tillmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Bernd Scheelen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 35: Antrag der Abgeordneten Jörn Wunderlich, Diana Golze, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Alleinerziehung von Kindern würdigen – Alleinerziehende gebührend unterstützen (Drucksache 17/8793) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU) . . . . Caren Marks (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sibylle Laurischk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eckhard Pols (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20503 C 20504 B 20506 A 20506 C 20507 C 20508 D 20511 A 20511 D 20512 C 20514 A 20514 B 20515 B 20515 C 20517 C 20518 B 20519 D 20521 A 20522 D 20524 A 20524 A 20525 C 20526 D 20528 B 20529 C 20530 B 20531 D 20533 A 20534 B Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012 20471 (A) (C) (D)(B) 173. Sitzung Berlin, Freitag, den 30. März 2012 Beginn: 9.00 Uhr
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    Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012 20533 (A) (C) (D)(B) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bär, Dorothee CDU/CSU 30.03.2012 Behrens, Herbert DIE LINKE 30.03.2012 Bender, Birgitt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 30.03.2012 Birkwald, Matthias W. DIE LINKE 30.03.2012 Brase, Willi SPD 30.03.2012 Dr. Brauksiepe, Ralf CDU/CSU 30.03.2012 Brinkmann (Hildesheim), Bernhard SPD 30.03.2012 Buschmann, Marco FDP 30.03.2012 Dörmann, Martin SPD 30.03.2012 Ernst, Klaus DIE LINKE 30.03.2012 Ernstberger, Petra SPD 30.03.2012 Dr. Fuchs, Michael CDU/CSU 30.03.2012 Gabriel, Sigmar SPD 30.03.2012 Gerdes, Michael SPD 30.03.2012 Götz, Peter CDU/CSU 30.03.2012*** Groth, Annette DIE LINKE 30.03.2012* Günther (Plauen), Joachim FDP 30.03.2012 Haßelmann, Britta BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 30.03.2012 Heinen-Esser, Ursula CDU/CSU 30.03.2012 Dr. Hofreiter, Anton BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 30.03.2012 Humme, Christel SPD 30.03.2012 Kaczmarek, Oliver SPD 30.03.2012 Kauder, Volker CDU/CSU 30.03.2012 Keul, Katja BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 30.03.2012 Koczy, Ute BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 30.03.2012 Kossendey, Thomas CDU/CSU 30.03.2012 Kramme, Anette SPD 30.03.2012 Kressl, Nicolette SPD 30.03.2012 Kuhn, Fritz BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 30.03.2012 Kunert, Katrin DIE LINKE 30.03.2012 Dr. Lamers (Heidelberg), Karl A. CDU/CSU 30.03.2012** Meierhofer, Horst FDP 30.03.2012 Menzner, Dorothée DIE LINKE 30.03.2012 Dr. h. c. Michelbach, Hans CDU/CSU 30.03.2012 Möhring, Cornelia DIE LINKE 30.03.2012 Möller, Kornelia DIE LINKE 30.03.2012 Nietan, Dietmar SPD 30.03.2012 Nink, Manfred SPD 30.03.2012 Nord, Thomas DIE LINKE 30.03.2012 Ortel, Holger SPD 30.03.2012 Petermann, Jens DIE LINKE 30.03.2012 Dr. Pfeiffer, Joachim CDU/CSU 30.03.2012 Pieper, Cornelia FDP 30.03.2012 Dr. Priesmeier, Wilhelm SPD 30.03.2012 Roth (Augsburg), Claudia BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 30.03.2012 Rupprecht (Tuchenbach), Marlene SPD 30.03.2012 Schäfer (Saalstadt), Anita CDU/CSU 30.03.2012 Dr. Schäuble, Wolfgang CDU/CSU 30.03.2012 Schlecht, Michael DIE LINKE 30.03.2012 Schnurr, Christoph FDP 30.03.2012 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Anlagen 20534 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. März 2012 (A) (C) (D)(B) * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm- lung des Europarates ** für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung der NATO *** für die Teilnahme an der 126. Jahreskonferenz der Interparlamenta- rischen Union Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung – Unterrichtung durch die Bundesregierung Tätigkeitsbericht 2010 der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisen- bahnen für den Bereich Eisenbahnen gemäß § 14b des Allgemeinen Eisenbahngesetzes und Stellungnahme der Bundesregierung – Drucksachen 17/8525, 17/8833 Nr. 1.3 – Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unions- dokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Bera- tung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuss Drucksache 17/8227 Nr. A.5 Ratsdokument 15206/11 Rechtsausschuss Drucksache 17/8515 Nr. A.22 Ratsdokument 18755/11 Drucksache 17/8673 Nr. A.3 Ratsdokument 5165/12 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 17/136 Nr. A.114 Ratsdokument 13879/09 Drucksache 17/720 Nr. A.17 Ratsdokument 5107/10 Drucksache 17/1492 Nr. A.43 Ratsdokument 7386/10 Drucksache 17/3791 Nr. A.21 Ratsdokument 14954/10 Drucksache 17/5575 Nr. A.4 Ratsdokument 7897/11 Drucksache 17/5822 Nr. A.52 Ratsdokument 8261/11 Drucksache 17/6568 Nr. A.7 Ratsdokument 11666/11 Drucksache 17/7423 Nr. A.43 Ratsdokument 14864/11 Schwartze, Stefan SPD 30.03.2012 Senger-Schäfer, Kathrin DIE LINKE 30.03.2012 Simmling, Werner FDP 30.03.2012 Strässer, Christoph SPD 30.03.2012 Ulrich, Alexander DIE LINKE 30.03.2012 Wagner, Daniela BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 30.03.2012 Wicklein, Andrea SPD 30.03.2012 Wieczorek-Zeul, Heidemarie SPD 30.03.2012 Winkler, Josef Philip BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 30.03.2012 Dr. Winterstein, Claudia FDP 30.03.2012 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich 173. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 31 Wachstumspotenziale der Digitalen Wirtschaft TOP 32 Datenschutz und Verbraucherschutz TOP 34 Umsetzung von Basel III TOP 35 Unterstützung Alleinerziehender Anlagen
Gesamtes Protokol
Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1717300000

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Sitzung ist eröffnet.

Interfraktionell ist vereinbart worden, den Entwurf ei-
nes Gesetzes zur Einführung eines pauschalierenden
Entgeltsystems für psychiatrische und psychosomatische
Einrichtungen auf Drucksache 17/8986 dem Ausschuss
für Arbeit und Soziales nachträglich zur Mitberatung
zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich rufe als Erstes den Tagesordnungspunkt 31 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Joachim Pfeiffer, Nadine Schön (St. Wendel),
Peter Altmaier, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Dr. Hermann Otto
Solms, Dr. Martin Lindner (Berlin), Claudia
Bögel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP

Wachstumspotenziale der Digitalen Wirt-
schaft weiter ausschöpfen – Innovationsstand-
ort Deutschland stärken

– Drucksache 17/9159 –

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. Gibt es
Widerspruch dagegen? – Das ist offenkundig nicht der
Fall. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner dem Bundeswirtschaftsminister Dr. Philipp Rösler
das Wort.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie:

Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren Abgeordnete! Zunächst einmal
danke ich ausdrücklich für den Antrag zum Thema
Chancen der digitalen Wirtschaft. Dieser Antrag macht
eines deutlich: CDU/CSU und FDP sehen in neuen

Technologien keine Bedrohung, sondern zuallererst eine
Riesenchance für die Menschen in unserem Lande.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Nirgendwo kann man das besser erkennen als im Be-
reich der modernen Informations- und Kommunikations-
technologie. Schon jetzt sehen wir enormes Wachstum:
über 840 000 Beschäftigte, 145 Milliarden Euro Umsatz.
Aber was noch viel wichtiger ist: Das, was früher einmal
Webstuhl, Dampfmaschine oder auch Eisenbahn waren,
sind heute eben Computer, Internet und Smartphones.
Wesentlich ist, dass die Dinge miteinander verschmel-
zen: auf der einen Seite die klassischen Industrien und
auf der anderen Seite die neuen Informations- und Kom-
munikationstechnologien. Hierin stecken die eigentli-
chen Wachstumspotenziale. So wie es mit der Erfindung
des mechanischen Webstuhls die erste industrielle Revo-
lution gab, mit der maschinellen Produktion die zweite
industrielle Revolution gab und mit der Einführung der
elektronischen Datenverarbeitung die dritte industrielle
Revolution gibt, brauchen wir jetzt die Verknüpfung der
Produkte und Maschinen mit dem Internet, das Internet
der Dinge, und genau dafür setzt sich diese Regierungs-
koalition ein, für eine Industrie 4.0.


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Für eine Verknüpfung der Dinge, nicht der Menschen!)


Wir wollen eine moderne Wirtschaft, die Informations-
und Kommunikationstechnologien umfassend einsetzen
kann. Darin stecken große Chancen für die Volkswirt-
schaft in unserem Lande.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wenn wir die Chancen nutzen wollen, müssen drei
wesentliche Voraussetzungen erfüllt werden:

Erstens: eine gut ausgebaute Infrastruktur, also ein
Breitbandnetz in Deutschland.


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Daran mangelt es!)


Zweitens: eine kluge, eine richtige Regulierung dieser
neuen digitalen Welt.





Bundesminister Dr. Philipp Rösler


(A) (C)



(D)(B)


Drittens: eine andere Grundeinstellung, eine andere
Geisteshaltung, wie wir mit Technologien, wie wir mit
Innovationen in Deutschland umgehen.

Was den ersten Bereich angeht, ist schon einiges ge-
schafft. Schon heute hat die Hälfte der Menschen einen
Internetanschluss mit mehr als 50 MBit/s. Gerade ist im
Deutschen Bundestag und im Bundesrat die Telekom-
munikationsnovelle verabschiedet worden; dem voraus
gingen Beratungen im Vermittlungsausschuss. Mit die-
ser Novelle sind die besten Voraussetzungen für einen
noch schnelleren Ausbau des Breitbandnetzes in
Deutschland geschaffen worden.

Es gibt künftig dauerhaft und langfristig angelegte
und damit planbare Anreizregulierungen im Bereich des
Netzausbaus. Wir erleichtern künftig die Nutzung auch
klassischer Infrastrukturen wie Leerrohre. Auch die In-
vestitionsbedingungen werden deutlich verbessert, etwa
wenn sich mehrere Investoren zusammenfinden.

Diese Anreize sind für uns das Entscheidende. Die
Herausforderungen sind groß. Bis zum Jahr 2018 wollen
wir eine flächendeckende Versorgung von Anschlüssen
mit mehr als 50 MBit/s erreichen. Wenn wir diese An-
schlüsse haben wollen, dann müssen wir ordnungspoli-
tisch weiter auf die guten Grundsätze der sozialen
Marktwirtschaft setzen. Das heißt, die Politik setzt den
richtigen Rahmen, aber nur die Wirtschaft wird in der
Lage sein, diesen Rahmen vernünftig auszufüllen.


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann setzt doch einmal den richtigen Rahmen!)


Gerade angesichts dieser großen Herausforderungen
dürfen wir die Grundsätze der sozialen Marktwirtschaft
auch in der digitalen Welt nicht aufgeben.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Minister der Schande da vorne!)


Das Zweite ist die Regulierung. Wir brauchen eine
Regulierung, die den Unternehmen und den Menschen
die Chance gibt, in der digitalen Welt zu investieren. Es
muss klar sein, dass es eine Verlässlichkeit im Sinne von
Planungssicherheit und auch Refinanzierungsmöglich-
keiten gibt. Gleichzeitig darf die Regulierung nicht dazu
führen, dass Kreativität, Schaffenskraft oder Unterneh-
mertum im Keim erstickt werden.

Das beste Beispiel ist die Diskussion über die Cookie-
regeln, die wir im vergangen Jahr auch mit der EU-
Kommission geführt haben. Wenn man Cookies so be-
handelt wie personenbezogene Daten und sie auch den
gleichen Datenschutzvorgaben unterwirft, dann wird das
im Ergebnis dazu führen, dass jegliches Geschäftsmodell
in Deutschland und in Europa von vornherein zunichte-
gemacht wird, weil man dann womöglich bei jedem
Klick auf eine Internetseite sein Einverständnis geben
muss. Das macht man vielleicht zwei- oder dreimal, und
dann hat man die Nase voll.

Deswegen war die Entscheidung richtig, zu sagen,
dass Cookies nicht automatisch personenbezogene Da-
ten enthalten. Deswegen müssen in diesem Zusammen-

hang dann andere, weniger hohe Datenschutzvorschrif-
ten gelten, als wenn es sich um personenbezogene Daten
handelt. Das heißt, man muss immer die richtige Balance
zwischen dem Datenschutzbedürfnis der Menschen auf
der einen Seite und unternehmerischen Chancen und
Wachstumsmöglichkeiten im Internet auf der anderen
Seite finden.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Nun ist eine Regelung gefunden worden. Eine Rege-
lung muss auch in anderen Bereichen gefunden werden.
Sonst wird es nicht gelingen, die Wachstumspotenziale,
die uns die digitale Welt bietet, zu heben. Wir werden die
Diskussion über Leistungsschutzrecht, aber auch über
Maßnahmen im Kampf gegen Internetpiraterie führen
müssen.

Das ist auch, aber nicht nur eine Aufgabe der Politik.
Um es hier einmal ganz klar zu sagen: Wir erwarten na-
türlich zuallererst von der Wirtschaft, dass sie Geschäfts-
modelle entwickelt, die von vornherein Piraterie verhin-
dern. Allein nach dem Gesetzgeber, nach dem Staat zu
rufen, das wäre der falsche Weg. Wenn es darum geht,
Internetpiraterie zu verhindern, sehen wir zunächst ein-
mal die Wirtschaft in der Verantwortung.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Das Dritte ist die Frage der Grundhaltung: Wie stehen
wir den neuen Technologien gegenüber? Schauen Sie
sich einmal die Branche an: junge, hochmotivierte,
hochengagierte und enorm kreative Start-ups. Wenn
diese Start-ups unternehmerisches Wachstum generieren
wollen, brauchen sie zuallererst neue Fachkräfte.

Deswegen war es richtig, dass gerade in dieser Woche
die Regierungskoalition eine gute Lösung für die qualifi-
zierte Zuwanderung in den ersten Arbeitsmarkt gefun-
den hat. Gerade die IT-Branche braucht eine qualifizierte
Zuwanderung. Das ist ein guter Beitrag, um Start-ups
eine echte Hilfe beim unternehmerischen Wachstum mit
auf den Weg zu geben.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Diese jungen Unternehmen brauchen auch ausrei-
chendes Kapital. Wir haben den High-Tech Gründer-
fonds und weitere Gründungsfördermaßnahmen. Wenn
wir die kreativen Unternehmen weiter fördern wollen,
dann brauchen wir mehr Risikokapital und Menschen,
die bereit sind, Risikokapital für diese jungen Unterneh-
men zur Verfügung zu stellen.

Deswegen plant die Bundesregierung, die Möglich-
keiten zur Bereitstellung von Risikokapital in Deutsch-
land zu verbessern. Bei den Verlustvorträgen brauchen
wir bessere Regelungen. Wir brauchen mehr Steuer-
transparenz. Außerdem ist die Umsatzsteuerbenachteili-
gung von deutschen Venture-Capital-Fonds im Vergleich
zu französischen und anderen europäischen Venture-Ca-
pital-Fonds immer noch deutlich zu groß. Wer das
Wachstum junger Unternehmen in der Internetbranche
fördern will, der muss auch für Risikokapital sorgen.





Bundesminister Dr. Philipp Rösler


(A) (C)



(D)(B)


Das haben wir uns in dieser Regierungskoalition ge-
meinsam zur Aufgabe gemacht.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Es geht aber nicht nur um den Aufbau der Infrastruk-
tur, die Regulierung oder auch die Finanzierung, sondern
es kommt auch auf die Grundhaltung an. Es geht grund-
sätzlich um die Frage: Wie gehen wir mit neuen Techno-
logien um? Hier wurden in der Vergangenheit in anderen
Branchen Fehler gemacht, die wir gerade in der digitalen
Welt nicht wiederholen dürfen.

Bestes Beispiel ist die Biotechnologie. Hier gibt es
eine neue Chance, neue Forschung, neue Ideen, Innova-
tionen und auch Kreativität. Es gibt aber auch die Fort-
schrittsskeptiker und Fortschrittsverweigerer, die eine
ganze Industriebranche zunichtegemacht haben, was im
Ergebnis dazu geführt hat, dass große Unternehmen ihre
Biotechnologieforschung längst aus Deutschland heraus
verlagert haben. Diesen Fehler dürfen wir nicht noch
einmal machen, schon gar nicht in der digitalen Welt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Bei der Nanotechnologie deutet sich so etwas an.
Deswegen muss man hier gleich sagen: Wir müssen fort-
schrittsoptimistisch sein. Wir müssen eher die Chancen
sehen als die Risiken. Darin unterscheiden wir uns in
dieser Koalition von der Opposition, die im Zweifel im-
mer erst die Risiken sieht und vor Gefahren warnt.


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch gar nicht! Das ist überhaupt nicht wahr!)


Gerade die Grünen, die den Kopf schütteln, haben doch
immer irgendetwas gegen etwas Neues, ob Autobahnen,
Infrastruktur oder gerade die modernen Kommunika-
tionsformen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Das sind ja lauter olle Kamellen!)


– Die ollen Kamellen, Frau Kollegin, stecken bei den
einzelnen Kollegen vor allem zwischen den Ohren, näm-
lich im Kopf, weil sie so technologiefeindlich sind. Das
behindert das Wachstum der modernen Telekommunika-
tionsunternehmen.


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind nicht technologiefeindlich! Im Gegenteil!)


– Im Gegenteil? Es war doch Ihr Herr Kuhn, der im letz-
ten Jahr die Diskussion mit Christian Lindner geführt
und verloren hat; denn Christian Lindner hat noch ein-
mal daran erinnert, dass Herr Kuhn, der heute übrigens
nicht anwesend ist, vor den ökologischen und sozialen
Gefahren moderner Kommunikationsformen gewarnt
hat, etwa vor Bildschirmtext und ISDN-Telefonen.


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Belegen Sie uns mal das, was Sie eben gesagt haben!)


Wir sind zum Glück einen Schritt weiter. Wir werden
diese Wachstumspotenziale nur dann heben können,
wenn wir in den Bereichen Infrastruktur, Regulierung
und auch Finanzierung die richtigen Rahmenbedingun-
gen setzen. Das ist aber nur dann möglich, wenn wir
technologieoffen an die neuen Kommunikationsformen
herangehen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir sind dazu bereit. Der vorliegende Antrag zeigt
genau das. Wir wollen die Chancen, die uns die digitale
Wirtschaft bietet, gemeinsam nutzen, durch eine Grund-
haltung, die fortschrittsoptimistisch ist, und eine Einla-
dung an die jungen kreativen Menschen, die sich in die-
sem Bereich niederlassen und ein Unternehmen gründen
wollen. Das ist der entscheidende Unterschied zwischen
der Regierung und der Opposition. Die Menschen ge-
rade in der digitalen Welt können sich auf diese Regie-
rungskoalition verlassen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Thomas Oppermann [SPD]: Das muss alles geprüft werden, was er gesagt hat!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1717300100

Das Wort hat jetzt der Kollege Garrelt Duin von der

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt mal zur Sache! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt redet mal jemand über das Thema!)



Garrelt Duin (SPD):
Rede ID: ID1717300200

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Der Minister hat interessanterweise mehr-
fach darauf hingewiesen, dass es um die Grundhaltung
und darum gehe, die Potenziale und Chancen, die im Be-
reich der digitalen Wirtschaft vor uns liegen, ehrlich zu
benennen. In der Tat schreitet die Digitalisierung der
Volkswirtschaft massiv voran. Damit sind enorme Chan-
cen verbunden.

Die Arbeitsbedingungen der Menschen verändern
sich aufgrund der Digitalisierung. Wir erleben, dass
viele kleine und mittelständische Unternehmen die
Chancen nutzen und dass sich junge Menschen selbst-
ständig machen, was wir ausdrücklich begrüßen; aber
gleichzeitig wird deutlich, dass die Menschen Sicherheit
im Umgang mit dem Netz wollen. Genauso wie die Un-
ternehmen wollen sie aber auch Planungssicherheit. Es
wäre gut gewesen, sehr geehrter Herr Minister, liebe Ko-
alitionsfraktionen, wenn Sie in Ihrem Antrag „Wachs-
tumspotenziale der Digitalen Wirtschaft weiter aus-
schöpfen“ auch darauf eingegangen wären.

Aber es setzt sich fort, was wir in den letzten zwei bis
zweieinhalb Jahren in vielen anderen Politikbereichen
erlebt haben, ob beim Wachstumsbeschleunigungsge-
setz, beim Haushaltsbegleitgesetz, bei der Luftverkehr-





Garrelt Duin


(A) (C)



(D)(B)


steuer, bei dem Hü und Hott in der Energiepolitik oder
vielem anderen mehr. Die Reihe ließe sich noch viel
weiter fortsetzen. Sie kündigen an, aber konkrete
Schritte lassen Sie vermissen. Das wird hier heute wie-
der deutlich.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Thomas Oppermann [SPD]: Ankündigungsweltmeister!)


Gehen wir einmal die einzelnen Themen durch. Wie
ist denn Ihre Bilanz, zum Beispiel beim Breitbandaus-
bau? In der Breitbandstrategie der Bundesregierung
haben Sie das Ziel formuliert, bis Ende 2010 eine flä-
chendeckende Breitbandgrundversorgung mit einer Ge-
schwindigkeit von 1 MBit/s zu schaffen.


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist kein Breitband mehr!)


Dieses Ziel, so müssen wir feststellen, haben Sie ver-
fehlt.

Sie sagen heute hier – Sie betonen es noch einmal –,
dass das zweite Ziel der Bundesregierung sei, bis zum
Jahr 2014 eine Versorgung von 75 Prozent der Haushalte
mit mindestens 50 MBit/s zu realisieren. In Ihrem eige-
nen Monitoringbericht zur Breitbandstrategie wird fest-
gestellt, dass die Ausbauanstrengungen deutlich zu
verstärken seien, um dieses Ziel zu erreichen. Jeder
Fachverband bestätigt Ihnen und der deutschen Öffent-
lichkeit, dass Sie von diesem Ausbauziel meilenweit ent-
fernt sind und dieses Ziel erneut verfehlen werden,


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


weil – das ist der zweite Punkt – Investitionen bei Ihnen
eine untergeordnete Rolle spielen.

Wir haben eine überall spürbare Investitionsschwä-
che. Jeder internationale Vergleich belegt das. Ich zitiere
jetzt einmal den IWF. Die IWF-Experten stellen einen
erheblichen Mangel an Investitionen in Deutschland
fest, was die Wachstumsprobleme verschärfe. Der IWF
sagt, Deutschlands Industrie stecke zu wenig Geld in
neue Fabriken und Maschinen; bei der Infrastruktur
fahre die Bundesrepublik seit langem auf Verschleiß; die
Regierung investiere jedes Jahr zu wenig in Straßen,
Brücken, Schienen, Kanäle oder eben auch das Breit-
band, um auch nur den Bestand zu wahren. Das ist die
Feststellung von außen.

Man liest Ihren Antrag ganz genau. Man hofft, dass es
irgendwo vorkommt, aber – Sie haben es selber wahr-
scheinlich gar nicht gemerkt – das Wort „Investitionen“
taucht in Ihrem Forderungsteil kein einziges Mal auf. Sie
vergessen es schlichtweg. Das ist angesichts der Heraus-
forderungen, vor denen wir stehen, skandalös.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das Dritte ist: Wir brauchen Forschung und Entwick-
lung. Darüber reden Sie schnell. Wenn wir gemeinsam
bei Veranstaltungen sind – diese Woche mit Professor

Riesenhuber und dem stellvertretenden Vorsitzenden der
CDU/CSU-Fraktion –, erfahren wir anderes. Da wurde
gesagt: Wir müssen mehr für Forschung und Entwick-
lung tun. Da wäre zum Beispiel die steuerliche For-
schungsförderung ein wichtiges Instrument. Dann ist zu
Recht der Zwischenruf gekommen: Wer regiert denn
hier eigentlich seit zweieinhalb Jahren? Es steht doch al-
les in der Koalitionsvereinbarung, aber es wird nicht um-
gesetzt; es wird immer nur angekündigt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der vierte Punkt ist ebenso dramatisch. Es nützt
nichts, wenn Sie darüber sprechen, dass wir Fachkräfte
brauchen; Sie müssen auch ein konkretes Programm vor-
legen, wie wir Potenziale im Bereich der MINT-Berufe
heben können und wie eine solche Initiative aus der Poli-
tik heraus gemeinsam mit den Unternehmen, mit den
Unternehmern, mit gesellschaftlichen Gruppen aussehen
kann, eben eine Initiative für mehr Technikfreundlich-
keit, für mehr Technikoffenheit.

Das würden wir gern gemeinsam auf den Weg brin-
gen. Inzwischen ist es so, dass aus dem Umfeld der Un-
ternehmer viele auf uns zukommen und sagen: Da ist
eine richtige Idee. Wir wollen das mit der Opposition be-
sprechen;


(Lachen des Abg. Andreas G. Lämmel [CDU/ CSU])


denn in der Regierung haben wir keinen Ansprechpart-
ner, um eine solche Initiative zu starten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der FDP: Oh!)


Sie haben über Grundhaltungen gesprochen, Herr
Minister, und haben, wie üblich, die Rolle des Staates
wie folgt beschrieben: Er soll maximal vielleicht einmal
ein Gesetz machen, aber muss ansonsten untätig bleiben. –
Was sagt der Verband BITKOM zum Beispiel zu Ihren
Grundvorstellungen? Er sagt: Im Bereich IKT ist eine
klare ressortübergreifend abgestimmte Richtung, ein
Kompass der Politik in der digitalen Welt trotz aller Stra-
tegie der Bundesregierung kaum zu erkennen.

Der BDI veröffentlicht zu diesem Thema unter der
Überschrift „Der Wettbewerb allein wird es nicht rich-
ten“. Dieser Feststellung kann man sich nur anschließen.
Wir haben es beim Breitband, bei der Digitalisierung der
Wirtschaft mit einem Bereich zu tun, in dem es der Wett-
bewerb allein eben nicht schaffen kann, sondern der
Staat mit seinen unterschiedlichen Initiativen, mit unter-
schiedlichen Institutionen tätig werden muss, damit wir
im internationalen Vergleich Schritt halten können und
damit der Ausbau der Infrastruktur vorangeht. Was nützt
es denn, hier am Pult darüber zu schwadronieren, was
man alles machen könnte, wenn gleichzeitig in vielen
Teilen Deutschlands kleine und mittelständische Unter-
nehmen, Zulieferbetriebe keinen schnellen Internetzu-
gang haben und deswegen aus ihrer wirtschaftlich guten
Position Schritt für Schritt herausgedrängt werden? Da-





Garrelt Duin


(A) (C)



(D)(B)


gegen müsste man doch etwas tun, Herr Minister, man
darf nicht nur immer ankündigen.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Aber ich will ganz deutlich sagen: Wenn der Staat
kleinen, neuen Unternehmen, Start-ups, helfen, unter die
Arme greifen kann, dann befürworten wir dieses aus-
drücklich. Es gibt dafür entsprechende Instrumente, zum
Beispiel bei der KfW. Ich nenne Ihnen in diesem Zusam-
menhang nur ein Beispiel: Es gab seinerzeit in Nord-
rhein-Westfalen eine Firma im Bereich Internet und Di-
gitalisierung, die sich Moomax nannte – ich weiß nicht
genau, wie sich der Name ausgesprochen hat – und
30 000 Euro Eigenkapital hatte. Sie hat sich damals mit
viel Euphorie auf den Weg gemacht und einen Unterstüt-
zungskredit der KfW in Höhe von 1,2 Millionen Euro
bekommen,


(Thomas Oppermann [SPD]: Hört! Hört!)


weil sie offensichtlich eine Perspektive hatte. Ein Jahr
später war dieses Unternehmen pleite. So etwas kommt
vor, trotzdem sollten wir diese Instrumente künftig bei-
behalten, um jungen Leuten, die den Mut haben, sich
selbstständig zu machen, unter die Arme zu greifen.

Ich will aber mit dieser Geschichte auf etwas ganz an-
deres hinaus: Der Gründer dieser Firma, die dann pleite-
gegangen ist, der diesen Förderkredit der KfW in Höhe
von 1,2 Millionen Euro in Anspruch genommen hat, war
ein gewisser Christian Lindner, der mit Ihnen gemein-
sam Worte wie „mitfühlender Liberalismus“ geprägt hat.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir gestern gesehen! – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie bei Schlecker!)


Meine Damen und Herren, sehr geehrter Herr Rösler,
diese Verlogenheit kreiden wir Ihnen an:


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Auf der einen Seite haben Sie selbst, ganz individuell,
überhaupt keine Hemmungen, entsprechende Unter-
stützungen in Millionenhöhe durch die KfW in An-
spruch zu nehmen, und auf der anderen Seite, wenn es
um 11 000 Frauen in diesem Land geht,


(Zurufe von der FDP: Oh!)


zeigen Sie ein ganz kaltes Herz, tun nichts und sagen:
Das ist uns egal.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist die Verlogenheit, die Sie hier regelmäßig an den
Tag legen.


(Thomas Oppermann [SPD]: Der Mann mit dem kalten Herzen!)


Sie stellen sich hier hin und verteidigen vermeintliche
ordnungspolitische Grundsätze.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Das ist doch nicht das Thema, Herr Kollege! – Abg. Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1717300300

Herr Kollege Duin, erlauben Sie eine Zwischenfrage?


Garrelt Duin (SPD):
Rede ID: ID1717300400

Nein, danke, auch nicht vom Namensvetter.

Sie verteidigen hier Ihre längst der Vergangenheit an-
gehörenden ordnungspolitischen Grundsätze und ma-
chen gleichzeitig ein ganz mieses, doppeltes Spiel; denn
Sie haben uns noch am Mittwoch im Ausschuss einen
Bericht zu diesem Thema gegeben und gesagt, selbstver-
ständlich wäre das Bundesministerium bereit, zu helfen,
indem es bei der KfW entsprechend aktiv wird und bei
der Notifizierung in Brüssel Unterstützung leistet. All
das sind verlogene Aussagen gewesen. Sie, Herr Rösler,
sind nämlich unfähig zur Empathie.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie sind nicht in der Lage, sich vor 11 000 Beschäftigte
zu stellen und mit ihnen darüber zu sprechen, was das
für ihr individuelles Schicksal bedeutet. Dass Sie zurzeit
als FDP-Vorsitzender völlig überfordert sind, sieht man
im Saarland, das werden wir auch in NRW und Schles-
wig-Holstein sehen; das wird jeden Tag deutlich.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Wovon reden Sie denn eigentlich?)


Aber das Schlimme ist, dass Sie gleichwohl gemein-
sam mit Herrn Lindner noch von einem mitfühlenden Li-
beralismus reden, während jeder sieht: Das ist die kalte
Arroganz der Macht. Die gehört in diesem Land nicht
länger in die Bundesregierung und schon gar nicht in ir-
gendwelche Landesregierungen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1717300500

Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen

Martin Lindner das Wort.


Dr. Martin Lindner (FDP):
Rede ID: ID1717300600

Kollege Duin,


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das tat weh jetzt!)


im letzten Jahr sind in Deutschland etwa 30 000 Insol-
venzen zu verzeichnen gewesen. Wenn wir einmal davon
ausgehen, dass im Durchschnitt etwa fünf Mitarbeiter
pro Unternehmen davon betroffen waren, dann sind das
150 000. Wo waren denn Herr Beck, Herr Schmid und
alle anderen, die sich jetzt hier auf Kosten der Mitarbei-
terinnen und Mitarbeiter von Schlecker profilieren wol-





Dr. Martin Lindner (Berlin)



(A) (C)



(D)(B)


len und wichtig machen, als diese 150 000 betroffenen
Mitarbeiter, diese 30 000 Unternehmen Hilfe brauchten?
Kein einziger Ihrer Ministerpräsidenten, kein einziger
Ihrer Wirtschaftsminister war da.


(Beifall des Abg. Dr. Georg Nüßlein [CDU/ CSU])


Das geht bei Ihnen nur nach Gutsherrenart. Wenn das
Unternehmen groß genug ist und Propaganda für die
SPD verspricht, dann stehen Sie vor den Werkstoren.
Die Handwerksbetriebe und die kleinen und mittelstän-
dischen Unternehmen, die wenige Mitarbeiter beschäfti-
gen, sind Ihnen nicht groß genug. Deren Mitarbeiter
müssen wie jeder andere zur Arbeitsagentur gehen. So
läuft das bei Ihnen – nach Gutsherrenart.

Das ist genauso wie damals bei Philipp Holzmann. Da
hat sich der große Meister mit „Gerhard! Gerhard!“-Ru-
fen feiern lassen. Trotzdem ist das Unternehmen pleite-
gegangen. Mit den Steuergeldern der Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter von kleinen und mittleren Betrieben
wollen Sie Propaganda machen. Das ist schäbig und
nicht das, was wir machen. Wir vertreten das Gesetz.


(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Oh!)


Wenn Sie glauben, dass das Insolvenzrecht in Deutsch-
land nicht ausreicht, wenn Sie glauben, dass man Trans-
fergesellschaften braucht, dann werden Sie initiativ,
damit allen Mitarbeitern geholfen werden kann, unab-
hängig von der Größe des Unternehmens.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Auch die FDPAbgeordneten!)


Machen Sie es nicht nach Gutsherrenart und nicht davon
abhängig, wie groß Ihre Show wird. Das vertreten wir,
das ist vernünftig, das ist anständig und fair gegenüber
allen Beschäftigten in deutschen Betrieben.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1717300700

Zur Erwiderung, Kollege Duin.


Garrelt Duin (SPD):
Rede ID: ID1717300800

Vielen Dank, Herr Präsident. – Kollege Lindner, Sie

und Ihre Kolleginnen und Kollegen – ein Abgeordneter,
der aus meiner Region kommt, sitzt direkt hinter Ihnen –
sind immer dabei, wenn wir Abgeordnete uns in unseren
Wahlkreisen sehr engagiert dafür einsetzen, dass kleinen
und mittelständischen Unternehmen, die in Schwierig-
keiten geraten, geholfen werden kann. Jeder von Ihnen
weiß – es müssen nicht immer Ministerpräsidenten dabei
sein –, dass wir uns in den Wahlkreisen sehr oft partei-
übergreifend zusammensetzen und überlegen, ob man
mit Landesbürgschaften, mit Landesförderbanken oder
mit den Instituten vor Ort etwas für Unternehmen ma-
chen kann, die eigentlich auf einem guten Weg sind und
vielleicht nur eine Durststrecke durchzumachen haben.

Im Fall der Fälle überlegen wir lokale Abgeordnete
mit der Agentur für Arbeit und auch mit den Arbeitge-

berverbänden und den Gewerkschaften, ob die Einrich-
tung einer Transfergesellschaft ein Thema ist oder nicht.
Das ist es nicht in jedem Fall. Aber in dem konkreten
Fall gestern wäre die Mehrheit der Bundesländer bereit
gewesen, etwas zu tun. Es ist an drei Ländern, in denen
Sie Verantwortung tragen, gescheitert. Das ehrliche poli-
tische Bemühen, eine Perspektive für die Beschäftigten
zu finden, ist an Ihnen gescheitert,


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


obwohl Bürgschaften und Transfergesellschaften – das
wissen Sie genauso gut wie ich – in der Wirtschaft zum
täglichen Geschäft gehören. Es geht nicht darum, dass
der Staat der bessere Unternehmer sei oder ähnliche Be-
hauptungen, die Sie uns immer unterstellen. Es geht
auch nicht darum, dass wir uns in jedem Fall einbringen
können, um eine Insolvenz zu verhindern. Das, was Sie
hier gemacht haben, macht allen Menschen in Deutsch-
land eines klar: Es geht Ihnen um ordnungspolitische
Prinzipienreiterei. Die Menschen, die davon betroffen
sind, sind Ihnen egal. Das ist die Politik des kalten Her-
zens, die Ihnen zum Verhängnis wird, und zwar zu
Recht.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1717300900

Das Wort hat jetzt die Kollegin Nadine Schön von der

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich möchte wieder auf das Thema zurück-
kommen, über das wir heute Morgen eigentlich reden
wollten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Es ist ein Thema, das nicht nur unser Leben völlig verän-
dert hat, sondern auch einer der Wachstumsmotoren der
deutschen Wirtschaft ist.

Lieber Kollege Duin, so wichtig das andere Thema
ist, so wichtig wäre es gewesen, dass Sie unserem
Thema Ihre ganze Redezeit geschenkt hätten, anstatt
sich nach der Hälfte Ihrer Redezeit dem anderen Thema
zu widmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Deshalb will ich das jetzt wieder tun.

Es genügen wenige Zahlen, um die Bedeutung der di-
gitalen Wirtschaft in Deutschland deutlich zu machen.
Schon heute trägt die IT-Branche mit 75 Milliarden
Euro, das heißt mit 3 Prozent, zum Bruttoinlandsprodukt
bei. Sie bietet mehr als 800 000 Menschen Arbeitsplätze
und – das ist besonders bemerkenswert – verzeichnet ein
jährliches Wachstum von 8 Prozent. Die Wachstums-
potenziale liegen allerdings nicht nur in der digitalen
Wirtschaft selbst, sondern vor allem in den klassischen
Branchen: im Maschinenbau, in der Automobilindustrie,





Nadine Schön (St. Wendel)



(A) (C)



(D)(B)


in der Gesundheitswirtschaft. Überall hier können durch
Digitalisierung große Wachstumseffekte erzielt werden.

Die Politik muss diese Entwicklung fördernd beglei-
ten. Sie muss die richtigen Rahmenbedingungen setzen,
um einen fruchtbaren Nährboden zu bilden für Innova-
tionen und für den globalen Erfolg der digitalen Wirt-
schaft. Zu diesen Rahmenbedingungen gehört zum einen
die Infrastruktur. Ein umfassendes und effizientes Netz
von Breitbandverbindungen ist die Basis dafür, dass
überall in unserem Land Innovationen entstehen können
und dass die Leistungen von IT überall in unserem Land
genutzt werden können.

Beim Breitbandausbau sind wir auf einem guten Weg;
Minister Rösler hat das dargestellt. Wir müssen aber da-
rauf achten, dass der ländliche Raum von dieser Ent-
wicklung nicht abgekoppelt wird.


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist er aber!)


Außerdem dürfen wir die Bedürfnisse des Marktes nicht
aus den Augen verlieren. Schon bald werden nämlich
50 MBit/s und mehr notwendig sein, um den Bedürfnis-
sen der Firmen und Verbraucher gerecht zu werden, und
zwar überall. Daran gilt es zu arbeiten; das kürzlich ver-
abschiedete Telekommunikationsgesetz bietet dafür die
nötige Voraussetzung.

Der zweite wichtige Faktor sind die Fachkräfte.
Schon heute fehlen der IT-Branche nach eigenen Anga-
ben über 30 000 Fachkräfte. Wir wissen: Das Problem
beginnt bereits beim mangelnden Interesse für Technik
gerade bei jungen Leuten. Das ist eigentlich eine para-
doxe Situation; denn Tablets, Apps und moderne Tech-
nik findet jeder hip und spannend. Jeder nutzt diese Pro-
dukte täglich; aber die IT, die dahintersteckt, interessiert
kaum jemanden.

Dabei sind Medien- und Technikkompetenz heute
mindestens genauso wichtig wie Fremdsprachen. In al-
len Branchen – im Maschinenbau und der Automobilin-
dustrie, aber auch auf dem Bildungs- und Gesundheits-
sektor – werden wir in Zukunft IT brauchen; deshalb
werden wir auch Fachkräfte brauchen, die etwas von IT
verstehen. In meinen Augen gehört daher die IT-Kompe-
tenz in jeden Lehrplan, in jeden Ausbildungsplan und
auch in jedes Studiencurriculum.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


In den Schulen müssen wir Interesse für Technik we-
cken, in den Hochschulen müssen wir für das Unterneh-
mertum werben. Das ist zum einen die Aufgabe des Bil-
dungssystems, das ist zum anderen auch die Aufgabe der
Unternehmen selbst. Deshalb kann ich nur an die Unter-
nehmen appellieren: Gehen Sie in die Schulen, tragen
Sie das, was Sie antreibt – Ihren Unternehmergeist, Ihr
technisches Verständnis –, an die jungen Leute heran.
Stecken Sie sie mit Ihrer Begeisterung an; denn hier fin-
den Sie die Fachkräfte, die Sie in Zukunft brauchen wer-
den.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir müssen aber auch darauf achten, dass wir diejeni-
gen nicht verlieren, die bereits Interesse an diesem
Thema haben. Deshalb müssen wir uns fragen, was es
mit den hohen Abbrecherquoten in den IT-bezogenen
Studien- und Ausbildungsgängen auf sich hat. Können
wir es uns wirklich leisten, jeden zweiten bis dritten In-
formatikstudenten zu verlieren? Können wir es uns leis-
ten, dass sich so wenige junge Frauen für diese Fächer
interessieren?

Einiges hat sich schon verbessert – wir arbeiten wei-
ter daran –, aber wir dürfen in unseren Anstrengungen
nicht nachlassen. Das gilt auch für das Bemühen um
Fachkräfte aus dem Ausland. Das Gesetz zur Gewin-
nung ausländischer Fachkräfte wird dabei ein wichtiger
Baustein sein. Unser Ziel muss es sein, im In- und Aus-
land kluge Köpfe für die IT zu gewinnen; denn Fach-
kräfte für die digitale Wirtschaft werden dringend ge-
braucht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Außerdem brauchen wir Investitionen in Forschung
und Entwicklung. Herr Kollege Duin, Sie haben kriti-
siert, es gebe in Deutschland zu wenige Investitionen.
Das Gegenteil ist der Fall.


(Garrelt Duin [SPD]: Oh!)


In den letzten sechs Jahren wurden allein die Ausgaben
des Bundes für Forschung und Entwicklung um 42 Pro-
zent gesteigert.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Infrastrukturinvestitionen!)


Wir reden also nicht nur, sondern wir tun auch etwas.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir unterstützen Forschung und Entwicklung durch
Projektförderungen, etwa durch die Programme ZIM
oder Trusted Cloud. Wir unterstützen Gründungen in der
IT-Branche, zum Beispiel durch das Programm EXIST.
Wir unterstützen Firmen in der Gründungs- und in der
ersten Wachstumsphase, zum Beispiel durch den High-
Tech Gründerfonds.

Mit all diesen Programmen helfen wir jungen, inno-
vativen Menschen, ihre Ideen umzusetzen, die Selbst-
ständigkeit zu wagen und Unternehmen zu gründen.
Diese Gründungen brauchen wir; denn nur so entstehen
aus den vielen Ideen, die es in unserem Land gibt, Wert-
schöpfung und Arbeitsplätze. Auch Unternehmen wie
SAP haben einmal klein angefangen. Insofern können
wir auf die gute Gründerkultur in Deutschland stolz sein,
die wir auch politisch unterstützen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Was in Deutschland noch fehlt, ist Wachstumskapital.
Denn in der Wachstumsphase brauchen Unternehmen
eben mehr als das, was staatliche oder halbstaatliche
Fonds leisten können. Hier hilft nur privates Kapital,
klassisches Venture Capital. Davon gibt es in den meis-
ten Nationen deutlich mehr als bei uns, in den USA zum





Nadine Schön (St. Wendel)



(A) (C)



(D)(B)


Beispiel gut 100-mal mehr: das 100-fache Kapital, mit
dem Unternehmen wachsen, mit dem sie Innovationen
umsetzen und damit Arbeitsplätze schaffen können, 100-
mal mehr Investitionen in die Zukunft. Wir müssen An-
reize dafür schaffen, dass in Deutschland mehr privates
Kapital in unsere Unternehmen investiert wird, und
diese Anreize etwa durch die Möglichkeiten des Erhalts
von Verlustvorträgen, durch Umsatzsteuerbefreiung von
Management Fees und durch steuerliche Transparenz
von Beteiligungsfonds verstärken. Die Ideen liegen auf
dem Tisch. Noch in diesem Jahr wollen wir sie umset-
zen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir wollen Business Angels besser unterstützen, etwa
mit einem Zuschusssystem; denn wir wissen: Business
Angels sind wertvolle Helfer für junge Unternehmen,
weil sie eben nicht nur Geld investieren, sondern auch
mit ihrem Know-how, ihrem Netzwerk und ihrer Erfah-
rung helfen und unterstützen. Das sind die Stellschrau-
ben; auch die Branche bestätigt uns, dass dies die
Knackpunkte sind.

Kollege Duin, Sie haben die steuerliche Forschungs-
förderung angesprochen. Das ist ein Projekt, das wir alle
unterstützen. Die SPD hat es in ihrer Regierungszeit lei-
der nicht umgesetzt. Wir haben uns der Haushaltskonso-
lidierung verpflichtet. Wir sagen Ihnen aber auch: So-
bald es der Haushalt zulässt, werden wir die steuerliche
Forschungsförderung angehen; denn sie ist ein wichtiger
Baustein für das Innovationsland Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir brauchen auch gute rechtliche Rahmenbedingun-
gen. Minister Rösler hat bereits das Thema Datenschutz
angesprochen; darüber werden wir beim nächsten Tages-
ordnungspunkt debattieren. Wir setzen uns für eine EU-
Datenschutzrichtlinie ein, die zum einen das hohe
Schutzniveau garantiert, das wir in Deutschland haben
und das Vertrauen schafft; gleichzeitig wollen wir aber
die deutschen Unternehmen wettbewerbsfähig halten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das alles ist ein gu-
ter Nährboden für Innovationen. Was wir zudem brau-
chen, ist ein Klima, in dem Innovationen entstehen kön-
nen. Denn haben wir eine Gesellschaft, die auf neue
Entwicklungen neugierig ist, die für Innovationen offen
ist und die bereit ist, sich Neuem zu öffnen, ist das eine
gute Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg. Zu die-
ser offenen Gesellschaft können wir alle beitragen. So
werden wir es schaffen, dass die digitale Wirtschaft in
Deutschland ihre Potenziale voll entfalten kann. Hier
können wir alle mithelfen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1717301000

Für die Fraktion Die Linke hat jetzt die Kollegin

Halina Wawzyniak das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Halina Wawzyniak (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717301100

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Ich verrate Ihnen ein Geheimnis: Das Internet ist
nicht nur Motor für Wachstum und Beschäftigung; das
Internet ist vor allem ein Kulturraum, ein Kulturraum für
die Freiheit von Wissen und Information, ein Kultur-
raum für freie Kommunikation. Das Internet sollte daher
aus unserer Sicht in erster Linie ein Kulturraum der
Menschen sein und kein Spielplatz für große Unterneh-
men und Konzerne.


(Beifall bei der LINKEN)


Diese Erkenntnis ist nicht neu; sie ist nur leider noch
nicht bei allen angekommen. Wir betrachten das Internet
nicht einseitig als Wirtschaftsraum. Die gesellschaftliche
und politische Bedeutung des Internets steht für uns im
Vordergrund. Die gesellschaftlichen Innovationspoten-
ziale sind also entscheidend.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir streiten für einen Zugang zum Netz für alle Men-
schen, unabhängig von Alter, Einkommen oder Bil-
dungsgrad. Doch dazu enthält Ihr Antrag nicht ein einzi-
ges Wort, und das ist beschämend.


(Beifall bei der LINKEN)


Dabei sind Zugang für alle und Förderung digitaler Inno-
vationen kein Gegensatz; sie ergänzen sich. Eine Voraus-
setzung wäre ein wirklicher Ausbau von schnellen Inter-
netzugängen im ganzen Land. Noch heute ist es in
unzähligen ländlichen Gemeinden nahezu unmöglich,
einen Internetanschluss mit mehr als 2 MBit/s zu be-
kommen. Der Breitbandatlas der Bundesregierung zeigt
das Dilemma ganz deutlich. Doch die Bundesregierung
schaut tatenlos zu, und die Breitbrandstrategien be-
schränken sich darauf, die Ausbauziele immer weiter in
die Zukunft zu verschieben.

Doch jetzt kommt die Koalition. Sie fordert von der
Bundesregierung – ich zitiere –, „die … noch bestehende
Unterversorgung von Gebieten im ländlichen Raum im
Auge“ zu behalten.


(Lachen der Abg. Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Da sage ich nur: Vielen Dank! Das hilft den Menschen
im ländlichen Raum kein Stück weiter. Sie werden in
den nächsten Jahren wohl immer noch auf einen schnel-
len Internetzugang warten.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aber dankenswerterweise stellen Sie die Ideologie in
Ihrem Antrag wieder einmal sehr deutlich heraus. Ich zi-
tiere wieder:

Wo kurz- bis mittelfristig keine Aktivitäten des
Marktes zu erwarten sind, gilt es … die Rahmenbe-
dingungen für kommunale Breitbandprojekte zu
überprüfen …





Halina Wawzyniak


(A) (C)



(D)(B)


Toll! Überprüfen! Sinnvoll wäre es, den Kommunen
Geld in die Hand zu geben, damit sie ihre eigenen Netze
erstellen können.


(Gisela Piltz [FDP]: Das dürfen wir doch gar nicht! Haben Sie schon einmal ins Grundgesetz geguckt? Dann wüssten Sie, dass das gar nicht geht!)


Sie wollen prüfen, wenn der Markt versagt. Die Aussage
könnte auch heißen: Im Zweifel lassen wir euch im
Stich.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Innovation setzt im Übrigen auch Netzneutralität
voraus. Wir haben darüber lange Debatten geführt. Es
zeigt sich: An der gesetzlichen Festschreibung der Netz-
neutralität führt kein Weg vorbei. Alle Datenpakete müs-
sen mit gleicher Qualität im Internet fließen können,
egal wer sie verschickt, egal ob es sich um eine E-Mail
oder ein Video handelt.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Entwicklerinnen und Entwickler der kleinen
Start-ups sind darauf angewiesen, dass ihre Anwendun-
gen im Internet mit der gleichen Qualität angeboten und
genutzt werden können wie die der großen Anbieter.
Wenn die Koalition Innovationen in der digitalen Wirt-
schaft wirklich fördern will, dann sollte sie dafür die ge-
setzlichen Grundlagen schaffen und die Netzneutralität
im Gesetz festschreiben. Aber Sie können nicht einmal
Innovationen. Innovation in der digitalen Wirtschaft
heißt eben nicht, die Geschäftsinteressen der großen Un-
ternehmen und Konzerne zu schützen. Aber auch das ist
bei Ihnen noch nicht angekommen.

Netzneutralität ist im Übrigen nicht nur für das Inno-
vationspotenzial entscheidend. Netzneutralität sichert
die Meinungs- und Kommunikationsfreiheit und schützt
vor einem Zweiklasseninternet. Der Geldbeutel eines al-
leinerziehenden Vaters darf nicht darüber entscheiden,
mit welcher Qualität sein Kind das Internet nutzen kann.

Ich habe Ihren Antrag gelesen und mich dann gefragt:
Warum stehen keine Namen von Netzpolitikern von
CDU/CSU und FDP auf diesem Antrag? Entweder fin-
den sie in ihren Fraktionen kein Gehört, oder sie haben
den Antrag aus inhaltlichen Gründen nicht mittragen
wollen. Letzteres könnte ich nachvollziehen.


(Nadine Schön [St. Wendel] [CDU/CSU]: Quatsch!)


Denn in dem Antrag steht nicht mehr als: Wir fordern
nichts Konkretes. Wir finden die Arbeit der Regierung
gut. Ansonsten schlagen wir Abwarten vor.

Für die Linke ist klar: Wir wollen ein freies und offe-
nes Internet als Kulturraum für alle Menschen. Wir wol-
len einen schnellen Internetzugang für jede und jeden in
allen Teilen der Republik. Wir wollen die gesetzliche
Festschreibung der Netzneutralität. Das ist das Mindeste,
um das gesellschaftliche Innovationspotenzial des Inter-
nets nutzbar zu machen.


(Beifall bei der LINKEN)


Da sich im Antrag der Koalition davon leider nichts
findet, bleibt uns nichts anderes übrig, als diesen Antrag
zu Recht abzulehnen.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1717301200

Jetzt hat die Kollegin Kerstin Andreae für Bünd-

nis 90/Die Grünen das Wort.


Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1717301300

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen! Bevor ich zum eigentlichen Thema der Debatte
komme, möchte ich eines zu der Diskussion sagen, die
wir gerade geführt haben. Ich meine die Schlecker-Insol-
venz und das, was gestern passiert ist. Wissen Sie, Herr
Rösler, Ihnen wird fehlende Empathie vorgeworfen.
Wenn Sie auf der anderen Seite das Attribut „mitfühlen-
der Liberalismus“ vor sich hertragen, dann können Sie
doch nicht einfach sagen, dass diese Frauen schon alle
eine „Anschlussverwendung“ finden werden. Es zeugt
wirklich von fehlender Empathie, einfach darüber hin-
wegzugehen, wie es diesen Frauen gerade geht. So kön-
nen Sie sich doch nicht äußern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht um die Anschlussverwendung von Herrn Rösler!)


Es ist gut, dass wir in der Kernzeit über digitale Wirt-
schaft reden. Die Themen der Kernzeit finden immer hö-
here Aufmerksamkeit. Es ist gut und sinnvoll, dass wir
hier dieses Thema diskutieren. Wir haben uns gefreut,
dass dieser Antrag gekommen ist, und haben ihn mit In-
teresse gelesen. Aber dieser Antrag gibt nichts her. Darin
steht nichts Innovatives und nichts Neues. Darin steht
nicht, was Sie machen wollen und was Sie einmal anpa-
cken wollen, sondern er besteht aus reinen Absichtser-
klärungen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Dass die Internetwirtschaft eine der innovativsten
Branchen ist, dass darin Schwung ist, dass sich hier et-
was bewegt, dass sie zur Gesamtwirtschaftsleistung bei-
trägt und immer mehr beitragen wird, das wissen wir
doch alles. Sie aber beschränken sich auf Absichtserklä-
rungen und wolkige Reden. Sie schreiben, dass wir Rah-
menbedingungen brauchen, dass wir etwas fördern und
dass wir dieses und jenes überprüfen wollen.

Aber das tun wir doch schon seit Jahren. Wir wissen
schon seit Jahren, dass wir neue Fördermaßnahmen
brauchen. Wir wissen seit Jahren, wo es hakt. Das heißt,
Sie hätten deutlich vorangehen können, Sie hätten kon-
krete Vorschläge machen können, wie wir eine flächen-
deckende Versorgung im Bereich Breitband tatsächlich
hinbekommen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Sie hätten klären können: Wo liegt das Problem? Wie lö-
sen wir das Problem?





Kerstin Andreae


(A) (C)



(D)(B)


Beispiel TKG-Novelle. Sie sind von der EU-Kom-
mission gedrängt worden und haben monatelang gezö-
gert. Jetzt haben wir ein schwaches Ergebnis: keinerlei
klares Bekenntnis zur Netzneutralität, keine klare An-
sage zum Ausbau Glasfasernetz und auch keine klare
Ansage zu ausreichendem Datenschutz. Das ist reines
Gerede, reine Prosa ohne klare Ansage.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Beispiel Breitbandausbau. Es ist schon gesagt wor-
den: Das erste Ziel, bis 2010 eine flächendeckende Ver-
sorgung zu gewährleisten, haben Sie nicht erreicht. Nun
setzen Sie sich ein neues Ziel. Bis 2014 sollen 75 Pro-
zent der Haushalte mit 50 MBit/s versorgt werden. Sie
müssen doch irgendwann anerkennen, dass Sie ohne die
Universaldienstleistungsverordnung nicht weiterkom-
men. Diese Verordnung heißt nichts anderes, als dass je-
der einen Anspruch auf einen Internetanschluss hat. Sie
müssen sich klar dazu bekennen: Ja, jeder soll einen An-
schluss an das Internet haben, das machen wir mit der
Universaldienstleistungsverordnung, wir setzen uns mit
der Wirtschaft zusammen.

Doch was machen Sie jetzt? Sie setzen ein neues wol-
kiges Ziel. Sie sagen überhaupt nicht, wie Sie die
75 Prozent erreichen wollen und was mit den restlichen
25 Prozent ist. Man sieht, es ist nur Prosa – reine Ankün-
digungen und keine klaren Regeln.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Beispiel Fachkräftesicherung. Sie haben sich gestern
dafür gelobt, dass Sie einen neuen Gesetzentwurf für die
erleichterte Zuwanderung von ausländischen Fachkräf-
ten eingebracht haben. Das hätten Sie schon früher ha-
ben können. Wir haben Ihnen schon 2010 den Vorschlag
gemacht, wenigstens die Einkommensgrenze für auslän-
dische Fachkräfte zu senken. Das haben Sie damals ab-
gelehnt.

Was machen Sie jetzt? Eine umfassende Niederlas-
sungserlaubnis war angekündigt, aber jetzt bekommen
Hochqualifizierte nur ein befristetes Bleiberecht für drei
Jahre. Die langfristige Anerkennung von Fachkräften
knüpfen Sie an deren Deutschkenntnisse. Das ist doch
keine Willkommenskultur. Glauben Sie denn, dass uns
die indischen Programmierer die Bude einrennen? Nein!
Wir befinden uns im Wettbewerb um die kreativsten
Köpfe, und die überlegen sich genau, ob sie zu uns oder
woanders hingehen. Wenn Sie Deutschkenntnisse zur
Voraussetzung machen, dann werden die hochqualifi-
zierten Programmierer, die Fachkräfte, die die Branche
braucht, nicht zu uns kommen, sondern sie werden wo-
anders hingehen. Das ist keine Willkommenskultur. Sie
haben im Wettbewerb um die kreativsten Köpfe einen
kapitalen Fehler bei der Gewinnung von Fachkräften ge-
macht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Raju Sharma [DIE LINKE])


In Ihrem Antrag findet sich nichts über Anreize und
Rahmenbedingungen. Wo bleibt denn die steuerliche

Forschungsförderung? Frau Schön, ich weiß, dass Sie
immer wieder sagen: Ja, wir wollen das. Auch in jedem
Antrag, in dem es um Innovationen geht, steht: Ja, wir
wollen es. Aber wenn Sie es wollen, dann müssen Sie es
auch machen. Geben Sie das Geld nicht für unsinnige
andere Projekte aus, sondern entscheiden Sie sich klar
für die steuerliche Forschungsförderung. Das wäre sinn-
voll für Innovationsanreize. Das ist das, was die Branche
von Ihnen fordert.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Fazit: völlig belangloser Antrag, nichts Neues, nichts
Innovatives, nichts zur Umsetzung, wie Sie den Mittel-
stand unterstützen wollen, kein Wort dazu, wie Sie Inno-
vation und Bildung verbinden wollen, kein Angebot an
ausländische Fachkräfte. Es ist eine einzige Prosa. Wir
hätten wirklich mehr erwartet. Die Debatte hätte, ehrlich
gesagt, mehr verdient: mehr Vorschläge von Ihnen, über
die wir hier in der Kernzeit hätten diskutieren können,
und nicht eine reine Absichtserklärung.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1717301400

Für die CDU/CSU hat jetzt das Wort der Kollege

Andreas Lämmel.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Andreas G. Lämmel (CDU):
Rede ID: ID1717301500

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Es soll der amerikanische Soziologie Bell gewesen
sein, der 1973 eine Theorie einer nachindustriellen Ge-
sellschaft entwickelt hat, in der der Begriff Informa-
tionsgesellschaft erstmals auftauchte. Als diese Theorie
damals aufkam, waren Sie noch lange nicht auf dem
Trip, Herr Duin.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Da war ich ein Jahr alt!)


– Sehen Sie, da konnten Sie noch nicht dabei gewesen
sein. – Dass er damals ein völlig neues Szenario entwi-
ckelt hat und dass er damit am Puls der Zeit war, hätte er
selbst wohl nicht geahnt.

Ich möchte Ihnen Folgendes sagen: Die digitale Wirt-
schaft wird hier auf das Internet verengt. Sie ist aber ein
großer Sektor und umfasst nicht nur Internetfirmen und
Themen wie Netzneutralität, die Sie zum größten Teil
angesprochen haben. Die digitale Wirtschaft umfasst die
gesamten Informations- und Kommunikationstechnolo-
gien, und das ist weit mehr, als Sie hier dargestellt ha-
ben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Branchenverbände erwarten von der digitalen
Wirtschaft in Deutschland für das Jahr 2012 einen Um-
satz von 150 Milliarden Euro. Das ist erst einmal eine
Menge Holz. Dies zeigt aber noch lange nicht die Be-





Andreas G. Lämmel


(A) (C)



(D)(B)


deutung, die diese Querschnittsbranche für die Entwick-
lung der gesamten deutschen Wirtschaft und für die Ent-
wicklung unserer Gesellschaft hat; denn kein Projekt der
Zukunft, das wir hier im Deutschen Bundestag diskutie-
ren oder das wir auch politisch wollen, ist ohne Informa-
tions- und Kommunikationstechnologien möglich.

In den nächsten Jahren würde kein Elektroauto auf
der Straße fahren, wenn es keine Leistungselektronik
gäbe. Die Energiewende wäre ohne intelligente Netze,
die mit Leistungselektronik funktionieren und nur mit
internetbasierten Softwarelösungen existieren können,
völlig undenkbar. Keine Windmühle würde sich drehen,
wenn oben in dem Rotorhäuschen keine Leistungselek-
tronik installiert wäre. Auch Fragen hinsichtlich der al-
ternden Gesellschaft und des lebenslangen Lernens sind
mit diesen Technologien verknüpft.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Frau Andreae, das, was Sie hier dargestellt haben, ist
schon interessant gewesen. Sie sagten, es sei zwar gut,
dass wir den Antrag eingebracht haben, aber er sei noch
nicht ausführlich genug. Es wäre interessant gewesen,
hätten Sie selbst einen Antrag auf den Weg gebracht und
zumindest eine einzige Idee hier vorgetragen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hatten wir schon ganz viele, Herr Lämmel!)


Sie haben sich über all das mokiert, was Ihnen an unse-
rem Antrag nicht passt. Aber ich habe kein einziges
Wort gehört, was Sie machen würden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hätten Sie besser zuhören sollen!)


Damit komme ich zum Thema Infrastruktur, Herr
Duin. Ich kann mich noch daran erinnern, dass die Breit-
bandstrategie in der Großen Koalition beschlossen wor-
den ist. Damals waren Sie doch dabei. Von daher können
Sie doch jetzt nicht sagen: Das alles ist viel zu wenig,
das alles ist viel zu schlecht, das ist nicht zu schaffen.

Die flächendeckende Versorgung mit Internetan-
schlüssen mit Datenübertragungsraten von 1 MBit/s ha-
ben wir fast geschafft.


(Garrelt Duin [SPD]: Was? Knapp vorbei ist auch daneben!)


Sie können doch nicht leugnen, dass es im letzten Jahr
bei der Breitbandversorgung in Deutschland große Fort-
schritte gegeben hat. Auch international wird anerkannt,
dass Deutschland bei der mobilen Internettechnologie
weltweit führend ist. In keinem anderen Land der Welt
konnte das mobile Internet flächendeckend so stark aus-
gebaut werden wie in Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Innerhalb eines Jahres sind fast 7 500 mobile Internetsta-
tionen auf der Basis von LTE in Betrieb genommen wor-
den. Zeigen Sie mir ein Land auf dieser Welt, wo dieses
ähnlich funktioniert!

Frau Andreae, dass Sie jetzt die Schlachten bezüglich
des Universaldienstes wieder aufnehmen wollen, ver-
wundert mich. Da ist sogar der Bundesrat schlauer ge-
wesen.


(Raju Sharma [DIE LINKE]: Was heißt hier „sogar“?)


Die Länder haben nämlich darauf verzichtet, dieses
stumpfe Beil hervorzuholen. Diesen Punkt haben Sie
jetzt wieder in die Diskussion gebracht. Sie meinen, wir
müssten über den Universaldienst im Zusammenhang
mit dem TKG reden. Einen entsprechenden Vorschlag
hätten Sie vor zwei Jahren einbringen können. Daran
kann man sehen, dass Sie nur zurückblicken und über-
haupt nicht nach vorne schauen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Jetzt komme ich zu den Rahmenbedingungen für
Innovationen, die hier schon vielfach angesprochen wor-
den sind. Es ist wohl unbestritten, dass in Deutschland
sehr viel Geld für Forschung, Entwicklung und Techno-
logie ausgegeben wird, und zwar sehr viel staatliches
Geld, aber auch sehr viel privates Geld. Trotzdem muss
man sich fragen, warum Deutschland zum Beispiel in
der Informations- und Kommunikationstechnologie
keine großen Firmen mehr hat und warum aus den vielen
Neugründungen keine großen Firmen gewachsen sind.

In diesem Zusammenhang muss man sich einmal die
gesamte Kette von Innovationen anschauen. Dann stellt
man nämlich fest, dass es ohne Zweifel erst einmal eine
Menge gute Ideen gibt, aber dass dann viele Ideen offen-
sichtlich irgendwo absterben. Schauen wir uns einmal
die verschiedenen Phasen einer Unternehmensgründung
an. Aus meiner Sicht kristallisieren sich zwei Felder he-
raus, auf denen dringender Handlungsbedarf besteht
– wir werden in die entsprechende Richtung weitermar-
schieren –:

Zum einen geht es – dieses Thema hat meine Kollegin
Schön schon dargestellt – um die Frage des Wagniskapi-
tals, des Risikokapitals. Wenn es uns nicht gelingt, aus-
reichend privates Kapital zu mobilisieren, dann wird es
uns auch nicht gelingen, kleinen Firmen den Weg zu eb-
nen, damit sie einmal große Firmen werden können.


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es wollen doch gar nicht alle große Firmen werden!)


Hier besteht dringender Handlungsbedarf. Wir haben das
erkannt und werden demnächst vor allem im Bereich der
Business Angels aktiv werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zum anderen geht es – das ist das zweite Feld – um
die Forschungsprämie. Die steuerliche FuE-Förderung
steht bei uns ganz oben auf der Agenda.


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagt ihr in jeder Rede!)


Das ist überhaupt gar keine Frage.

Bevor vor allen Dingen in der SPD die Backen wieder
aufgeblasen werden, wollen wir uns einmal anschauen,





Andreas G. Lämmel


(A) (C)



(D)(B)


was die SPD machen wird: Wenn es einen Gesetzent-
wurf zur steuerlichen Forschungsförderung gibt, dann
geht er in den Bundesrat.


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deswegen macht ihr sie jetzt nicht, oder was?)


Dieser Gesetzentwurf zur steuerlichen Forschungsförde-
rung liegt dann im Vermittlungsausschuss direkt neben
dem Gesetzentwurf zur CO2-Gebäudesanierung. Dort
liegen vielleicht noch zwei oder drei andere Projekte.
Herr Duin, dann kommt der Tag, an dem Sie beweisen
können, dass Sie bei einem solchen Projekt mitmachen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Garrelt Duin [SPD]: Der Tag kommt früher, als Sie denken!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1717301600

Herr Kollege Lämmel, erlauben Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Heil?


Andreas G. Lämmel (CDU):
Rede ID: ID1717301700

Bitte.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1717301800

Bitte schön.


Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1717301900

Herr Kollege Lämmel, damit wir bei diesem Thema

nicht Formulierungen wie „Backen aufblasen“ gebrau-
chen müssen, möchte ich darauf hinweisen, dass wir
beide der Meinung sind, dass es die steuerliche For-
schungsförderung geben sollte.

Erstens. Können Sie uns sagen, wann Sie den entspre-
chenden Gesetzentwurf vorlegen werden? Ich bitte um
eine möglichst exakte Angabe, zumal wir eine Antwort
des Bundesfinanzministers erhalten haben, nach der es
mit der in Ihrem Koalitionsvertrag beschriebenen steuer-
lichen Forschungsförderung aus haushalterischen Grün-
den in dieser Legislaturperiode nichts mehr wird. Sie
kennen möglicherweise diese Aussage. Können Sie die-
sen Widerspruch aufklären?

Zweitens. Sie haben vorhin gesagt, dass Ihr Antrag
toll und revolutionär ist. Können Sie mir einmal sagen,
warum die zentrale Forderung ausweislich Ihres Antra-
ges an die Bundesregierung lautet:

1. den Dialog zwischen Politik, Wirtschaft und
Wissenschaft zur wirtschaftlichen und gesell-
schaftspolitischen Bedeutung des Internets und der
digitalen Wirtschaft im Rahmen des Nationalen IT-
Gipfels der Bundesregierung weiter zu intensivie-
ren.

Waren Sie schon einmal auf einem IT-Gipfel? Läuft das
hier nach dem sozialpädagogischen Motto „Es ist wich-
tig, dass wir noch mehr darüber reden“? Ist das Ihre zen-
trale Forderung? Das sagt doch ein bisschen etwas über
den Gehalt Ihres Antrags aus.

Wann kommt der Gesetzentwurf zur steuerlichen For-
schungsförderung? Sagen Sie uns möglichst den Monat.
Dann können wir ja darüber reden, wie wir das hinbe-
kommen.


(Beifall bei der SPD)



Andreas G. Lämmel (CDU):
Rede ID: ID1717302000

Herr Heil, vielen Dank. – Ich kann nur sagen: Ich

habe Sie auf einem IT-Gipfel noch nicht getroffen. Es
sind viele Leute dort, vielleicht habe ich Sie nur nicht
gesehen. Ich will damit sagen, dass ich dort gewesen bin.
Punkt eins.


(Zuruf von der SPD: Virtuell!)


Punkt zwei. Wenn Sie Kontakte in die Wirtschaft hät-
ten und mit den Leuten, die beim IT-Gipfel dabei sind,
gesprochen hätten, dann hätten Sie gehört, dass wir diese
Plattform, diesen IT-Gipfel, dringend brauchen.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Die gibt es doch schon!)


– Ja, klar. Wir machen auch einen nächsten Gipfel. Der
ist schon avisiert. – Wir brauchen diese Plattform, um
über die Themen, die sich um die digitale Wirtschaft und
die Entwicklung der digitalen Gesellschaft ranken, dis-
kutieren zu können.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das gibt es doch schon! Wollen Sie noch mehr darüber reden?)


– Ja, klar. Jetzt kommt der nächste. – Es ist so, dass auf
dem IT-Gipfel Themen diskutiert werden, die weiter vo-
rangebracht werden müssen.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Aber was ist daran neu? Den gibt es doch schon!)


– Ja, klar. Wir wollen ihn fortführen. Die Frage war ja,
ob der IT-Gipfel eine temporäre Veranstaltung sein soll
oder ob man ihn regelmäßig abhalten sollte. Wir sind ge-
meinsam der Auffassung, dass der IT-Gipfel bestehen
bleiben soll. Wir wollen diese Plattform behalten, auf
der über diese Fragen diskutiert werden kann.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Super!)


Zu Ihrer zweiten Frage, Herr Heil, zur steuerlichen
FuE-Förderung. Sie wissen selbst, dass dieses Vorhaben
– das gebe ich ja zu – nicht so leicht umzusetzen ist.


(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


– Die Grünen haben dieses Thema, als sie regiert haben,
nicht einmal angepackt. Sie haben noch nicht einmal den
Gedanken im Kopf gehabt, dass man so etwas machen
könnte.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der SPD: Oh!)


Man muss natürlich über die notwendigen finanziel-
len Ressourcen verfügen. In der Koalition befinden wir
uns darüber in Gesprächen.





Andreas G. Lämmel


(A) (C)



(D)(B)



(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben doch schon beschlossen, dass Sie es nicht machen!)


Das steht im Koalitionsvertrag. Die Koalition besteht ja
noch anderthalb Jahre. Also ist noch Zeit, die steuerliche
FuE-Förderung in Deutschland umzusetzen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Also wird gar nichts kommen!)


– Das ist Ihre Interpretation. Das habe ich nicht gesagt.

Wir stehen dazu – das möchte ich hier definitiv sagen –,
und wir werden weiterhin mit unserem Koalitionspartner
und mit der Bundesregierung darüber diskutieren, in
welchem Umfang und wann die steuerliche Forschungs-
förderung umsetzbar ist. Wir sind der Auffassung: Wir
brauchen gleiche Rahmenbedingungen für FuE-Unter-
nehmungen weltweit; denn letztendlich schaut sich jeder
zunächst die Rahmenbedingungen in einem Land an, be-
vor er dort neue Aktivitäten startet, bevor er zum Bei-
spiel neue Forschungszentren aufbaut. Hier müssen wir
einen Nachteil Deutschlands aufholen.

Ich möchte noch etwas zu den Schlüsseltechnologien
sagen. Diese haben bisher überhaupt keine Rolle ge-
spielt. Es ging, wie gesagt, bisher nur um das Internet,
um Netzneutralität und anderes. Die Schlüsseltechnolo-
gien, zum Beispiel die Mikroelektronik, sind aber die
entscheidenden Technologien, die wir in Deutschland
brauchen, um all unsere Vorhaben zu realisieren. Die
Mikroelektronik ist eine strategische Branche in
Deutschland. Wir müssen uns darüber klar werden, wie
wir in Deutschland und in Europa mit den Wertschöp-
fungsketten im Bereich der Mikroelektronik umgehen.

Wir müssen darüber diskutieren, wie wir zum Bei-
spiel die gleiche Wettbewerbsfähigkeit wie Asien be-
wahren können. Das Problem der Abwanderung in Rich-
tung Asien besteht ja in mehreren Branchen. Dies ist
nicht nur ein Problem der Mikroelektronik, sondern zum
Beispiel auch der Solartechnik, über die wir gestern dis-
kutiert haben. Selbst im hochinnovativen Maschinenbau
erwachsen in Asien große Konkurrenten, die deutschen
Unternehmungen das Leben schwer machen.

Ich möchte zusammenfassen. Die Verengung des
Blicks auf das Internet im Bereich der digitalen Wirt-
schaft ist falsch. Die digitale Wirtschaft ist breiter aufge-
stellt. Wir als christlich-liberale Koalition stehen zu
dieser Branche. Wir werden alles tun, um die dort beste-
henden Potenziale zu heben, damit dieser Bereich der
Kreativwirtschaft weiterhin ein gutes Wachstumsumfeld
in Deutschland hat.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1717302100

Das Wort hat jetzt der Kollege Lars Klingbeil von der

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Lars Klingbeil (SPD):
Rede ID: ID1717302200

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wir sind uns einig: Die digitale Wirtschaft in
Deutschland ist ein bedeutender Wachstumsmotor. Sie
ist Treiber für Innovationen, und die Digitalisierung un-
serer Gesellschaft ist Taktgeber für den Wandel von
Wirtschaft und Wissenschaft. Deswegen ist es richtig,
dass wir heute Morgen zur Kernzeit die Gelegenheit ha-
ben, über ein solch wichtiges Thema zu diskutieren. Es
ist richtig, dass das Thema heute im Deutschen Bundes-
tag auf der Tagesordnung steht.

Genauso richtig ist aber auch, dass der Antrag, der
von CDU/CSU und FDP vorgelegt wurde, meilenweit
hinter den notwendigen Antworten zurückbleibt, die wir
bräuchten, um die digitale Wirtschaft in Deutschland zu
gestalten. Sie sind hier viele Antworten schuldig geblie-
ben. Der Antrag beinhaltet in weiten Teilen eine ordent-
liche Analyse – das will ich zugestehen –, aber wenn es
am Ende um die konkreten Forderungen geht, dann rei-
hen Sie Schlagwörter aneinander. An dieser Stelle wird
deutlich: Sie haben keine Richtung, Sie haben keine
Substanz, und Sie geben keine Impulse.


(Beifall bei der SPD)


Ich will ein Beispiel aus Ihrem Antrag nennen. Dort
geht es um eine der vielleicht drängendsten Fragen, über
die wir gerade im Bereich der digitalen Wirtschaft disku-
tieren: das Urheberrecht. In Ihrem Antrag steht:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregie-
rung auf, … die Regelungen zum Datenschutz und
Urheberrecht an die Bedingungen des Internets und
der Digitalisierung fortlaufend anzupassen.

Mehr nicht. Man findet keine Stellungnahme, wie es hin-
sichtlich ACTA weitergehen soll, keine Stellungnahme
zum Leistungsschutzrecht und keine Position zum Drit-
ten Korb. Das reicht nicht, um ein Thema voranzubrin-
gen. Wenn Sie ein Thema voranbringen wollen, dann
müssen Sie den Mut haben, Stellung zu beziehen. Dann
brauchen Sie Mut für klare Konzepte. Diese fehlen in Ih-
rem Antrag.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wenn es darum gegangen wäre, ein Thema parlamen-
tarisch voranzubringen, dann hätte ich mir gewünscht,
dass Sie Ausschussberatungen zu diesem Antrag zuge-
lassen hätten.


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre gut gewesen!)


Wir haben den Antrag am Dienstagabend bekommen. Er
wird nicht in den Ausschüssen beraten. Ich frage mich,
warum CDU/CSU und FDP nicht auf die Expertise der
Enquete-Kommission zurückgreifen.


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir uns auch gefragt! – Zuruf von der CDU/CSU: Doch!)


Die Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesell-
schaft“ tagt gerade, beispielsweise im Rahmen der Pro-
jektgruppe „Wirtschaft, Arbeit, Green IT“. Wir haben





Lars Klingbeil


(A) (C)



(D)(B)


teure Gutachten in Auftrag gegeben, beispielsweise zu
der Frage: Wie können wir Venture Capital in Deutsch-
land stärken? Diese Gutachten liegen noch nicht vor.
Stattdessen wird hier ein Antrag vorgelegt, der nach ei-
ner Schaufensterdebatte verabschiedet wird.


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Wahlkampf!)


Hier soll ein Thema besetzt werden. Das ist nichts ande-
res als Wahlkampf.


(Beifall bei der SPD – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Aber schlechter Wahlkampf! – Klaus Barthel [SPD]: Schlechter Wahlkampf! – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Wer Wahlkampf gemacht hat, lieber Kollege, das haben wir gesehen!)


Wenn es allerdings darum geht – das scheint hier ja der
Fall zu sein –, dass dieser Antrag ein schwarz-gelber
Hilferuf ist, dass diese Regierung endlich etwas tun soll,
dann haben Sie mich und uns an Ihrer Seite.


(Lachen des Abg. Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP])


In der Rede des Ministers heute Morgen ist deutlich
geworden, dass es zwar viele blumige Absichten gibt,
dass aber zweieinhalb Jahre nichts passiert ist. Herr
Rösler, ich will Ihnen klar sagen: Digitale Wirtschafts-
politik kann nicht nur darin bestehen, dass man einmal
im Jahr den IT-Gipfel oder die CeBIT eröffnet. Sie müs-
sen endlich anfangen, zu arbeiten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Netzpolitik muss
umfassende und moderne Gesellschaftspolitik sein. Da-
für müssen wir auch politisch die richtigen Rahmenbe-
dingungen schaffen. Ich will an ein paar Punkten skiz-
zieren, was das für uns bedeutet.

Erster Punkt. Grundlage für den digitalen Wandel, für
Wachstum und für Arbeitsplätze muss die Überwindung
der digitalen Spaltung sein. Das muss zuallererst bedeu-
ten, dass die Menschen Zugang zum Internet haben und
an den Prozessen der Digitalisierung teilhaben können.
Wir müssen dafür sorgen, dass der Zugang zum Internet
heute als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge betrach-
tet wird. Wer keinen Zugang zum Netz hat, ist von sozia-
ler, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Teilhabe ab-
gehängt. Wir brauchen in Deutschland endlich ein Recht
auf Netz, liebe Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Bundesregierung wird die Ziele ihrer Breitband-
strategie verfehlen. In meinem Wahlkreis, der im ländli-
chen Raum liegt, müssen die Kommunen und der Land-
kreis anfangen, den Breitbandausbau zu finanzieren,
weil Land und Bund es nicht hinbekommen. Das belastet
die kommunalen Haushalte. Der Druck der Bürgerinnen
und Bürger, aber auch der Unternehmen ist allerdings so
groß, dass dort etwas passieren muss.

Ich will Ihnen sagen: Ich bin es leid, dass wir jedes
halbe Jahr hier im Deutschen Bundestag darüber disku-
tieren, wie der Breitbandausbau gelingen kann, und dass
wir dann immer wieder die ideologische Marktgläubig-
keit der Regierung zu hören bekommen. Wenn der Markt
es nicht gebacken bekommt, dann brauchen wir staatli-
che Lösungen, die garantieren, dass die Forderung, dass
alle Menschen ein Recht auf Netz haben sollen, umge-
setzt werden kann. Wir wollen an der Gleichwertigkeit
der Lebensverhältnisse festhalten. Wir wollen allen
Menschen Zugang und Teilhabe ermöglichen. Deswegen
brauchen wir in Deutschland einen Universaldienst.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Genau! Das ist nämlich keine Debatte von gestern, sondern eine Debatte von morgen!)


Wenn wir einen Zugang für alle schaffen, dann hat
das auch Folgen für die Wirtschaft. Dann können sich
nämlich Portale, Dienste und Unternehmen breitmachen
und neue Geschäftsideen entwickeln. Dann zahlt es sich
auch aus wirtschaftlicher Perspektive aus, einen Univer-
saldienst zu schaffen.

Der zweite Punkt, den ich nennen will. Wir brauchen
eine gesetzliche Verankerung der Netzneutralität. Netz-
neutralität war und ist ein entscheidender Faktor für den
Erfolg der Internetwirtschaft. Sie sichert die Offenheit
und Kreativität des Netzes; das schafft internationale
Wettbewerbsfähigkeit. Aber die Netzneutralität sichert
auch Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt. Der Sie-
geszug des Internets und vieler IT-Dienste wäre ohne ein
offenes und neutrales Netz nicht möglich gewesen. Wir
haben, ähnlich wie die anderen Oppositionsparteien,
schon im Rahmen der TKG-Novelle gefordert, die Netz-
neutralität gesetzlich zu verankern. Wir haben uns schon
damals gewundert, dass Sie auch hier auf das freie Spiel
der Kräfte setzen und die Offenheit des Netzes nicht
festschreiben wollen. Das ist ein großer Fehler. Ich sage
Ihnen: Wir werden die gesetzliche Verankerung der
Netzneutralität in Deutschland weiter fordern.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Dritter Punkt, den ich ansprechen will. Wir brauchen
die Förderung digitaler Kompetenz und digitaler Selbst-
ständigkeit. Denn nichts ist für die Internetwirtschaft so
wichtig wie gut ausgebildete Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer. Sie sind Garant für Kreativität und
Wachstum in Deutschland im digitalen Zeitalter. Das be-
dingt einen radikalen Wandel von Schule, Ausbildung
und Universitäten. Dabei geht es um die Vermittlung
neuer Kompetenzen, um die Vermittlung technischer
und digitaler Kompetenzen. Der Laptop muss zur Werk-
bank des 21. Jahrhunderts werden. Damit müssen sich
auch unsere Bildungsstrukturen verändern.

Ich will auf die Beschlüsse der Enquete-Kommission
„Internet und digitale Gesellschaft“ hinweisen. Sie hat
gesagt: Jeder Schüler, jede Schülerin in Deutschland
braucht ein Tablet oder ein Laptop. Sie hat auch gesagt:





Lars Klingbeil


(A) (C)



(D)(B)


Wir müssen die Lehrerausbildung komplett verändern.
Die Enquete-Kommission hat außerdem Beschlüsse zur
Digitalisierung der Bildungsmaterialien und zur Stär-
kung der naturwissenschaftlichen und technischen Stu-
diengänge gefasst. All diese Schritte müssen erfolgen.
All diese Schritte stehen aber nicht in Ihrem Antrag. Ob-
wohl der Fachkräftemangel schon heute evident ist, ha-
ben Sie an dieser Stelle nichts getan.


(Beifall bei der SPD)


Das bringt mich zu meinem vierten Punkt. Die digi-
tale Gründerkultur ist heute schon oft angesprochen wor-
den. Ja, wir brauchen in Deutschland ein positives Um-
feld für Gründungen. Wir müssen dafür sorgen, dass die
digitale Kompetenz gestärkt wird; dazu habe ich gerade
etwas gesagt. Wir müssen Cluster an Universitäten auch
staatlich fördern und dafür sorgen, dass kreative Juristen
und Betriebswirtschaftler an Universitäten frühzeitig zu-
sammenkommen und ermutigt werden, ihre kreativen
Ideen und Konzepte umzusetzen. Das ist die Erfolgsge-
schichte von Gründungsmythen, die wir in anderen Staa-
ten erlebt haben.

Wir brauchen eine ordentliche Finanzierung von
Gründungen. Hier reichen die bisherigen Strukturen für
Wagniskapital in Deutschland nicht aus, hier muss mehr
passieren. Es müssen passgenaue und vor allem unbüro-
kratische Finanzierungen zur Verfügung stehen.

Es geht auch um die steuerliche Forschungsförde-
rung. Ich wundere mich schon, dass hier zwar Einigkeit
darüber besteht, dass wir sie eigentlich bräuchten, dass
dann aber gesagt wird: Dafür haben wir kein Geld. Liebe
Kolleginnen und Kollegen von der Regierungsseite, ich
mache Ihnen einen Vorschlag: Verzichten Sie auf das
schwachsinnige Betreuungsgeld. Dann haben wir auch
Geld für die steuerliche Forschungsförderung. Das wäre
ein großartiger Schritt für die Internetwirtschaft in
Deutschland.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zur anderen Kultur gehört auch, dass wir das Schei-
tern anerkennen. Wir waren neulich mit dem Unteraus-
schuss „Neue Medien“ in den USA. Dort wurde uns
gesagt: Wenn du zwei-, dreimal mit einer Unterneh-
mensgründung gescheitert bist, dann wissen wir, du bist
vernünftig ausgebildet. Beim vierten oder fünften Mal
klappt es dann. – Wenn man hier in Deutschland einmal
mit einer Unternehmensgründung gescheitert ist, dann
kommt man kaum noch auf die Beine. Auch hier können
wir in Bezug auf das gesellschaftliche Klima für Grün-
dungen noch viel nachholen.

Der letzte Punkt, den ich ansprechen will, ist die
Rolle des Staates. Der Staat muss Treiber von Innovatio-
nen sein. Bei der Energiewende und bei Veränderungen
in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Verkehr und Ver-
waltung ist der Staat in der Pflicht, Treiber von Innova-
tionen und Veränderungen zu sein. Herr Rösler, hierzu
haben Sie leider nichts gesagt. Ich hätte mir gewünscht,
dass Sie heute Morgen einige Sätze dazu gesagt hätten,

dass der Staat seiner Verantwortung als Nachfrager ge-
recht wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei aller Wichtig-
keit dieses Themas kann ich nur feststellen: Mit den For-
derungen in Ihrem Antrag bleiben Sie weit hinter den Er-
wartungen und auch hinter den Debatten zurück, die wir
im Deutschen Bundestag, beispielsweise in der Enquete-
Kommission, führen. Ich hätte mir gewünscht, dass hier
heute Morgen mehr als eine Schaufensterdebatte stattfin-
det und dass ein wirklicher Impuls für digitale Wirt-
schaftspolitik aus der Mitte des Parlaments kommt. Lei-
der hat es nicht geklappt. Vielleicht wird es mit der
nächsten Regierung besser.

Herzlichen Dank fürs Zuhören.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1717302300

Für die FDP-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege

Manuel Höferlin.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Zwei Minuten sind besser als 1 Prozent!)



Manuel Höferlin (FDP):
Rede ID: ID1717302400

Sehr verehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin-

nen und Kollegen! Nachdem gerade ein so schlauer
Spruch aus der SPD gekommen ist, will ich ein Wort zu
Schlecker verlieren: Der Ministerpräsident von Rhein-
land-Pfalz hat vor einiger Zeit zu einem Arbeitslosen ge-
sagt: Rasieren und waschen Sie sich erst einmal, dann
bekommen Sie Ihren Job.


(Zurufe von der SPD: Oh!)


Jetzt blasen Sie hier die Backen auf. Sie sollten auf dem
Boden der Tatsachen bleiben und daran denken, was Sie
zu welchen Zeitpunkten gesagt haben. Ich glaube, diese
Aussage spricht Bände. Was Sie machen, ist Schaufens-
terpolitik.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Inge Höger [DIE LINKE]: Das ist ja wohl ein kleiner Unterschied! – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: So kommen Sie auf 0,5 Prozent! – Garrelt Duin [SPD]: Weiter so!)


Lassen Sie mich bitte auf den vorliegenden Antrag zu
sprechen kommen. Die SPD ist bekannt dafür, dass sie
gerne viel regulieren will und den Staat gerne auffordert,
die Dinge vorzugeben. Ich glaube, wir verlieren dadurch
Chancen für Innovationen und die Chance, dass diese
Innovationen, die in der Wirtschaft entstehen, die Ge-
sellschaft und die Wirtschaft voranbringen.

Gerade in den Ländern zeigen Sie, wie Sie zu Innova-
tionen stehen. Ich komme aus Rheinland-Pfalz. Dort
schließt ein Unternehmen wie BASF jetzt die For-
schungssparte. Sie vertreiben sie aus dem Land, und mit
Ihrem Koalitionspartner, den Grünen, freuen Sie sich
auch noch darüber, dass Arbeitsplätze vernichtet wer-





Manuel Höferlin


(A) (C)



(D)(B)


den. Das ist die Realität; eine solche Politik machen Sie
in den Ländern. Hier glauben Sie, uns weismachen zu
können, dass Sie eine ganz andere Meinung haben. Das
ist scheinheilig.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Garrelt Duin [SPD]: Unfug!)


Die Grünen spielen sich als Innovationstreiber der
Nation auf. Ich habe einmal nachgeguckt: 1987 waren
Sie gegen Videotext, gegen ISDN, gegen Breitbandver-
kabelung und gegen Kabel- und Satellitenfernsehen.
Wenn man auf Sie hören würde, wäre man 30 Jahre spä-
ter unheimlich weit zurück. Deswegen ist es gut, wenn
wir heute nicht auf das hören, was Sie beim Thema Inno-
vationen wollen. Sie haben einfach keine Ahnung davon.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sagen Sie doch mal, was Sie wollen! – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist 30 Jahre her!)


Auch heute sind Sie gegen Innovationen und gegen
Forschung. Sie sind zum Beispiel gegen Infrastruktur-
projekte. Immer dann, wenn irgendeine Straße oder Brü-
cke gebaut werden soll, schreien Sie als Erste auf. Wenn
Kabel übers Land verlegt werden sollen, schreien Sie
auf.

In anderen Bereichen sagen Sie aber, Sie wollen
gerne wahnsinnig neue Techniken haben. Auch das ist
scheinheilig.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hilft Ihnen auch nicht weiter!)


Wenn Sie es gut finden, wenn es in Ihr Lebensbild passt,
dann wollen Sie, dass der Staat das am Ende finanziert.
Wir brauchen aber Grips und Gründergeist.


(Garrelt Duin [SPD]: Grips, ja das wäre mal was!)


– Ich weiß, dass Ihnen Grips abgeht. Aber das ist nun
einmal so.


(Garrelt Duin [SPD]: Unerhört!)


Wir brauchen Menschen, die intelligent sind und et-
was voranbringen wollen. Grips und Gründergeist ent-
wickeln sich, wenn man ihnen Luft lässt. Man muss eine
freie Entwicklung zulassen. Eine solche Entwicklung hat
es in den letzten 20 Jahren im Internet glücklicherweise
gegeben, weil nicht so viel reguliert wurde.

Sehr geehrter Herr Duin, Sie haben vorhin zugerufen:
Knapp vorbei ist auch daneben! – Das zeigt, wie Sie mit
Gründergeist umgehen. Lars Klingbeil hat gesagt: Die
Kultur des Scheiterns ist wichtig. – Mit einem solchen
Satz können Sie jeden gescheiterten Gründer unheimlich
motivieren, wieder aufzustehen und weiterzumachen.
Ich glaube, das ist der falsche Ansatz.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1717302500

Denken Sie an die Zeit, Herr Kollege.


Manuel Höferlin (FDP):
Rede ID: ID1717302600

Ich komme gleich zum Ende.

Das Internet ist ein Wirtschaftsnetz. Deswegen be-
fasst sich der Wirtschaftsausschuss damit. Die Wirt-
schaftspolitiker meiner Fraktion haben daher den vorlie-
genden Antrag eingebracht, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der Linken. Unsere drei Netzpolitiker, die
Sie aus der Internet-Enquete kennen, haben daran mitge-
wirkt. Ihre Namen stehen nicht auf dem Antrag, weil sie
nicht Mitglieder des Wirtschaftsausschusses sind. Aber
selbstverständlich waren wir Netzpolitiker involviert.
Sie können ganz beruhigt sein. In der Fraktion arbeiten
wir bestens zusammen. Das ist vielleicht nicht überall
so.


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das ist ja peinlich für Sie! – Garrelt Duin [SPD]: Das spricht nicht für Sie!)


Wenn man ein Wirtschaftsnetz wie das Internet sich
entwickeln lässt, dann kommt es nachher den Menschen
zugute. Das sehen wir auch. Die Menschen haben etwas
davon. Es ist ein Netz der Menschen geworden. Die
Menschen treiben es voran.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1717302700

Kommen Sie jetzt zum Schluss, bitte.


Manuel Höferlin (FDP):
Rede ID: ID1717302800

Ich glaube, dass unser Antrag vor diesem Hintergrund

in die richtige Richtung geht.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1717302900

Herr Höferlin, bitte!


Manuel Höferlin (FDP):
Rede ID: ID1717303000

Wir werden weiterhin daran arbeiten, dass die Chan-

cen der digitalen Welt in Deutschland genutzt werden.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1717303100

Das Wort hat jetzt für die Fraktion Die Linke die Kol-

legin Dr. Petra Sitte.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Petra Sitte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717303200

Danke schön. – Herr Präsident! Meine Damen und

Herren! Halina Wawzyniak hat vorhin zu Recht darauf
hingewiesen, dass eine zu einseitige Fixierung auf die
digitale Wirtschaft zu einem verkürzten Begriff von
Innovation führt. Herr Rösler hat uns das heute Morgen
deutlich gezeigt. Weder begreifen die Kollegen von
Union und FDP das Internet als gesamtgesellschaftli-
chen Raum, noch fassen sie Innovation als Prozess auf,





Dr. Petra Sitte


(A) (C)



(D)(B)


der dem Fortschritt der Gesellschaft dienen soll. Die ge-
samtgesellschaftliche Bedeutung der Internets streifen
sie lediglich als Thema im Dialog zwischen Politik,
Wirtschaft und Wissenschaft. Die Zivilgesellschaft ist in
diesen Prozess nicht eingebunden.

Das gleiche Spiel spielen Sie beim Urheberrecht. Ih-
nen ist erstaunlicherweise endlich aufgefallen, dass das
Urheberrecht Anpassungen an die Digitalisierung
braucht. Allein Repressionen gegen die als Raubkopierer
kriminalisierten Bürgerinnen und Bürger sind nicht ein-
mal mehr für Sie des Rätsels Lösung. Was machen Sie
aber konkret? Konkret schießen Sie sich doch wieder nur
auf den Kampf gegen Urheberrechtsverletzungen ein.
Alles andere, was schiefläuft, sollen nach Ihrem Willen
– das haben Sie heute Morgen bekräftigt – die Inhaltean-
bieter durch neue Angebote korrigieren. Wirklich inno-
vativ und dringend notwendig wäre es, für einen Erneue-
rungsprozess im Bereich des Urheberrechts auch die mit
ins Boot zu holen, die das Urheberrecht unmittelbar be-
trifft,


(Beifall bei der LINKEN)


nämlich Künstlerinnen und Künstler, Journalistinnen
und Journalisten und viele andere mehr, also die wirkli-
chen Kreativen, denen die Rechte zumeist spottbillig ab-
geknöpft werden. Auch die Nutzerinnen und Nutzer soll-
ten endlich eingebunden werden. Das wäre eine
gesamtgesellschaftliche Debatte. Das wäre ein offener
Innovationsansatz auf politischer Ebene.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie aber gehen an dieser Stelle überhaupt nicht inno-
vativ vor. Ansonsten würden Sie beispielsweise nicht
krampfhaft versuchen, ein Leistungsschutzrecht für
Presseverlage zu entwerfen. Sie schützen lieber alte Ge-
schäftsmodelle, als Innovationen zu fördern.


(Beifall bei der LINKEN)


Wohin die Ausgrenzung der Zivilgesellschaft führt, ha-
ben wir gerade erst erlebt. Tausende Menschen haben
auf den Straßen gegen Ihre ACTA-Geheimpolitik protes-
tiert; das finde ich sehr spannend. Demzufolge können
Sie sich nicht weiter abschotten.

Lassen Sie mich noch auf die im vorliegenden Antrag
ebenfalls angesprochene Innovations-, Forschungs- und
Technologieförderung in den Bereichen Internet und
digitale Wirtschaft eingehen. Theseus ist nicht nur ein
antiker Held, sondern auch der Name des im Februar ab-
geschlossenen Mammutprojekts des Forschungsministe-
riums. Es ist ein gutes Beispiel dafür, wie es bisher lief.
Es entstand damals aus dem verzweifelten Versuch,
Google mit einer europäischen Suchmaschine zu begeg-
nen und Konkurrenz zu machen. Dieses Ziel hat man
dann sehr schnell aufgegeben.

Übrig blieb nun der Plan, das große und spannende
Forschungsgebiet der semantischen Suche weiter auszu-
bauen. Das musste nun aber irgendwie politisch verkauft
werden; also sprach man, wie auch Sie heute Morgen,
vom Internet der Dinge, vom Internet der Dienste. Große
Worte! Bei der Abschlusspräsentation zeigte sich aber,
dass THESEUS in der Eigenvermarktung nunmehr nur

noch ein Projekt ist, das Dienstleistungen für den deut-
schen Mittelstand und die produzierende Industrie zur
Verfügung stellen kann. Da war, wie gesagt, der antike
Held Theseus deutlich erfolgreicher. Er hat nämlich ge-
meinsam mit der klugen Ariadne die Athener von der
Tributlast des kretischen Königs Minos befreit.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich muss aber zur Ehrenrettung vieler beteiligter For-
scherinnen und Forscher, aber auch der Unternehmen sa-
gen, dass dabei durchaus mehr als die beworbene Rolle
des kleinen Helferleins herauskam.

Ihre PR-Strategie zeigt aber noch etwas: Sie zeigt
nämlich auch, wie Sie Innovation wirklich verstehen.
Schauen wir noch einmal zurück: Am Anfang stand die
Abwehr der Suchmaschine Google; am Ende haben Sie
nur noch ein Projekt, das lediglich als Unterstützung
dessen dient, was schon immer gut lief. Und so liest sich
eben auch ein Großteil Ihres Antrags. In Ihrer Welt ist
das Internet sozusagen der Logistikkanal der klassischen
Wirtschaft, der darüber hinaus den Telekommunika-
tionskonzernen Geld in die Kassen spült.


(Manuel Höferlin [FDP]: Ach, das ist doch Quatsch! – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Nein! Hör auf!)


Erst an vorletzter Stelle – das ist die vorletzte Forde-
rung in Ihrem Antrag – kommen Start-ups und junge Un-
ternehmen als eine Ihrer Zielgruppen ins Spiel. Im Übri-
gen: Einzelne Bürgerinnen und Bürger fehlen in Ihrem
Antrag ganz; auf dieses Potenzial wird nicht eingegan-
gen.


(Manuel Höferlin [FDP]: Sind junge Gründer keine einzelnen Bürger?)


– Es gibt noch mehr als Start-up-Unternehmer. Das wis-
sen Sie genauso gut wie ich. Darüber haben wir lange
genug in der Internet-Enquete gesprochen.


(Manuel Höferlin [FDP]: Aber das sind doch einzelne Bürger!)


Doch gerade diese einzelnen Menschen – lassen Sie
mich das noch einmal betonen – stellen ein besonderes
Potenzial dar; dieses Potenzial sollte man auch bei der
Digitalisierung berücksichtigen. Diese nutzen nämlich
das Netz als gemeinsamen Ideenpool, der offen und cha-
otisch – das mag oft so sein –, aber auch ungeheuer
schnell und flexibel ist. Dabei entstehen wunderbare
Innovationen.


(Manuel Höferlin [FDP]: Aber das müssen wir nicht alles staatlich regulieren! Dann ist die Innovation weg!)


Ich erinnere beispielsweise an wheelmap.org, den roll-
stuhlgerechten Stadtplan des Vereins Sozialhelden; ich
erinnere an eine weltweite Onlinecommunity, die ge-
meinsam hängende Gemüsegärten für die Fenster von
Großstadtwohnungen entwickelt hat und derzeit sozu-
sagen über die ganze Welt verstreut miteinander kom-
muniziert. Oft folgen aus solchen in offenen Prozessen
entstandenen Innovationen dann eben auch Produktent-
wicklungen, die wiederum die Wirtschaft stärken.





Dr. Petra Sitte


(A) (C)



(D)(B)


Würden Sie Innovation als offenen und gesamtgesell-
schaftlichen Prozess denken, käme das auch der digita-
len Wirtschaft zugute, wahrscheinlich auch einer digita-
len Wirtschaft, unter der nicht nur die üblichen Konzerne
verstanden werden. Aber dafür – das will ich abschlie-
ßend sagen – müssten Sie Menschen statt Fabriken Vor-
fahrt in Ihrer Politik einräumen.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN – Manuel Höferlin [FDP]: Gründer sind Menschen mit Grips und Gründergeist! Die wollen wir haben! Keine Staatsleute!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1717303300

Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort die

Kollegin Tabea Rößner.


Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1717303400

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! In

dem vorliegenden Antrag bezeichnen Sie, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen von der Koalition, Innovationen
und moderne Technologien als „Motor für Wachstum
und Beschäftigung“. Und es stimmt: Wir haben hier ei-
nen wichtigen Wirtschaftsfaktor, in dem noch sehr viel
Potenzial steckt. Aber dieser Motor kommt nicht so
recht zum Schnurren. Woran liegt das? Ich kann es Ihnen
sagen: Ihnen fehlt der Mut, jetzt die richtigen Weichen
zu stellen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Hierzu gibt es – der Kollege Klingbeil hat darauf verwie-
sen – ungeheuer viele Vorschläge. In der Internet-En-
quete haben wir schon vieles erarbeitet; an anderem ar-
beiten wir noch. Nichts davon findet sich jedoch in
diesem Antrag wieder. Das ist sehr bedauerlich.

Viele Menschen haben mit dieser Branche insgesamt
noch ihre Schwierigkeiten; sie fremdeln. Das stellen wir
auch in der Internet-Enquete fest. Wenn die Unterneh-
mer von morgen richtig Gas geben wollen, treten gleich-
zeitig Banken und Bürokratie auf die Bremse. Auch von
der Politik kommt viel zu wenig Anschub.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Eine Bremse sehe ich in dem, was Sie in Ihrem An-
trag recht lapidar „allgemeine“ und „IKT-spezifische
Rahmenbedingungen“ nennen. Ich möchte das gerne
konkretisieren. Eine, wenn nicht die wichtigste Rahmen-
bedingung ist das Investitionsklima in Deutschland. Im
vergangenen Jahr haben wir zu diesem Thema eine An-
hörung im Unterausschuss Neue Medien durchgeführt;
Lars Klingbeil und Petra Sitte waren auch dabei. Dabei
wurde sehr deutlich: Eine Wachstumsbremse für weite
Teile der Branche ist die latente Unterfinanzierung; das
ist ein Problem. Vor allem kleine Unternehmen mit einer
innovativen Idee, aber ohne ein bewährtes Geschäftsmo-
dell – das ist ja das Problem – leiden unter einem er-
schwerten Kapitalzugang. Eine Verbesserung der Finan-
zierungssituation könnte der Kreativwirtschaft hier den
Weg hin zu mehr Wachstum ebnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Innovationsstärke, Kreativität und vor allen Dingen
ungewöhnliche Ideen sind in den Augen vieler Investo-
ren oft die Schwäche eines Unternehmens. Erfolg oder
Misserfolg lassen sich hier eben nicht so leicht berech-
nen wie der Erfolg eines Konzeptes einer Bäckerei in der
Innenstadt. Hier brauchen wir mehr Mut zum Risiko und
schnellere Entscheidungswege.

Damit bin ich beim nächsten Problem. Es gibt mehr
als genug öffentliche Förderprogramme; das wurde auch
in der Anhörung deutlich. Nur, diese sind nicht auf die
Bedürfnisse dieser Branche zugeschnitten. Anders als
bei großen Wirtschaftszweigen dominieren in der Krea-
tivwirtschaft nämlich Kleinstbetriebe mit unter zehn Be-
schäftigten. Sie brauchen oft viel geringere Kreditvolu-
mina. Aber bei Beträgen von unter 30 000 Euro ist das
für die Banken kein interessantes Geschäft. Auch die öf-
fentlichen Förderprogramme berücksichtigen das nicht.
Genau hier müssen wir ansetzen. Außerdem brauchen
wir längere Rückzahlungsfristen, da sich ein finanzieller
Erfolg meist erst später einstellt. Wir haben eben von der
Kultur des Scheiterns gesprochen: Manchmal ist man
erst beim zweiten oder dritten oder sogar vierten Versuch
erfolgreich.


(Nadine Schön [St. Wendel] [CDU/CSU]: Außer bei Christian Lindner, der darf das nicht! – Gegenruf des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Der ist auch schon mehrfach gescheitert!)


Die Politik muss die Förderprogramme deutlich ein-
facher gestalten, übrigens nicht nur für die IKT-Branche.
Die Beantragung ist zu komplex und dauert oft viele
Monate – Monate, die in dieser Branche oft das Aus für
solche kleinen Unternehmen oder Start-ups bedeuten
können. Wenn wir also mit den USA oder mit Ländern
wie Frankreich konkurrenzfähig werden wollen, dann
müssen wir auch die Bürokratie konkurrenzfähig ma-
chen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Manuel Höferlin [FDP]: Das machen wir ja gerade!)


– Naja. Davon ist in dem Antrag nicht viel zu lesen. –
Flexibel, passgenau und offen für Neues, so muss unsere
Investitionspolitik aussehen. Das wäre schon einmal der
richtige Antrieb für unseren Motor.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Lars Klingbeil [SPD])


Dass dieser Motor umweltfreundlich betrieben wer-
den sollte, ist dabei selbstverständlich; Green IT ist da
das Stichwort. Es stünde Deutschland wirklich gut zu
Gesicht, wenn wir hier unsere Anstrengungen noch ver-
stärkten. Denn wenn das T in IKT grün wird, sparen wir
Ressourcen und damit Geld und machen diese Technolo-
gie selbst zum Exportschlager für Deutschland.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)






Tabea Rößner


(A) (C)



(D)(B)


Zum Schluss noch eine Anmerkung zur Infrastruktur.
Es wurde viel zum Ausbau der Breitbandanschlüsse ge-
sagt. Sie haben recht: Breitbandanschlüsse sind zwin-
gende Voraussetzung für die digitale Wirtschaft. Auf
diesem Gebiet gibt es erheblichen Nachholbedarf; auch
das haben wir schon gehört. Ich zitiere:

Wenn man es bei der Stromanbindung auch so ge-
macht hätte, wie wir es im Moment mit der Internet-
anbindung machen, dann wären noch immer tau-
sende Höfe im Schwarzwald nicht am Strom …

Wissen Sie, wer das gesagt hat? Der Fraktionsvorsit-
zende Volker Kauder auf dem Kongress der Unionsfrak-
tion vor einigen Tagen. Er hat völlig recht: So wie bisher
geht es nämlich nicht weiter.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Diesen Worten folgen keine Taten!)


Deshalb brauchen wir, wie bei der Stromversorgung, ei-
nen Universaldienst für ein flächendeckendes Breitband-
netz. Sie peilen da zwar hohe Bandbreiten an, aber für
das Jahr 2014 nur für 75 Prozent der Haushalte. Ich finde
es geradezu niedlich, wenn Sie in Ihrem Antrag schrei-
ben, der Breitbandausbau solle bedarfsgerecht und im
Rahmen der rechtlichen und haushalterischen Möglich-
keiten gestaltet werden. Das ist doch ein Widerspruch in
sich.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1717303500

Frau Kollegin Rößner, möchten Sie noch eine Zwi-

schenfrage zulassen? Falls nicht, müssten Sie zum Ende
kommen.


Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1717303600

Ich komme gerade zum Ende. Aber Herr Höferlin soll

seine Zwischenfrage stellen. Bitte.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Der hatte nur zwei Minuten!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1717303700

Also, Herr Höferlin, bitte schön.


Manuel Höferlin (FDP):
Rede ID: ID1717303800

Liebe Frau Kollegin Rößner, würden Sie mir zustim-

men, dass es etwas anderes ist, ob man Strom oder Da-
tenpakete transportiert, vor allen Dingen hinsichtlich der
Transportmedien? Strom lässt sich bisher noch nicht
durch die Luft transportieren. Der Unterschied zur Breit-
bandstrategie ist doch wesentlich. Man sagt: Wir
schmeißen da einfach Geld rein, und dann wird schon je-
der eine Breitbandanbindung von 2 oder 3 MBit/s haben.
Man finanziert das staatlich und schneidet damit die
Innovation ab, dass sich vielleicht neue Techniken ent-
wickeln könnten, wie Daten auch auf eine andere Art
und Weise zum Endkunden kommen können.

Beim Strom ist das technologisch gesehen doch sicher
eine völlig andere Sache. Da stimmen Sie mir wahr-
scheinlich zu. Wie gewährleisten Sie, dass sich in Zu-

kunft neue Technologien – zum Beispiel die nächste Ge-
neration von LTE mit breiteren Anbindungen –
entwickeln können, wenn man Technologien staatlich
fördert?


Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1717303900

Herr Höferlin, ich glaube, Sie haben unseren Antrag

nicht richtig gelesen.


(Manuel Höferlin [FDP]: Wir reden über den Antrag! – Gegenruf des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Da steht nichts drin!)


In unserem Antrag wird der Universaldienst richtig
durchbuchstabiert. Es geht nämlich darum, dass jeder
Mensch genauso, wie er einen Anspruch auf einen Strom-
anschluss oder einen Wasseranschluss hat, auch einen
Anspruch auf einen Breitbandanschluss haben soll;


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


denn der Zugang ist wichtig für die digitale Wirtschaft,
und zwar vor allen Dingen im ländlichen Raum. Deshalb
ist es egal, wie die Übertragungen sind. In unserem An-
trag steht, dass sie technologieneutral sein sollen. Das
muss auch so sein. Das gibt die EU-Richtlinie vor. Es
würde auch nicht etwa viele Fördergelder des Staates be-
deuten, weil die Unternehmen das über eine Umlage fi-
nanzieren. Damit sind nicht nur 1 bis 2 MBit/s zu errei-
chen, wie Sie das immer – –


(Manuel Höferlin [FDP]: Sondern 50!)


– Nein. 6 MBit/s auf jeden Fall. Eine Übertragungsge-
schwindigkeit von 6 MBit/s könnte ganz schnell erreicht
werden. Den Ausbau der Übertragungswege auf
50 MBit/s für 75 Prozent der Haushalte betrifft vor allen
Dingen die Städte. Dabei werden die ländlichen Regio-
nen völlig abgehängt. Deshalb ist das nicht der richtige
Weg.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1717304000

Jetzt müssen Sie aber zum Schluss kommen.


Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1717304100

Ich komme zum Schluss.

Meine Damen und Herren, in der digitalen Wirtschaft
steckt viel Potenzial. Es fehlt Ihnen aber an Mut und an
Kreativität, um wirklich etwas für die Branche zu ver-
bessern. Auf der Überholspur sind wir noch lange nicht.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1717304200

Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt der Kollege

Dieter Jasper das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)







(A) (C)



(D)(B)



Dieter Jasper (CDU):
Rede ID: ID1717304300

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind
vielleicht nicht auf der Überholspur, wir sind aber auf
dem richtigen Weg. Auf diesem Weg wollen wir weiter
vorangehen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die digitale Wirtschaft ist kein Zukunftsthema, son-
dern ein Thema der Gegenwart. Die digitale Wirtschaft
ist ein Begriff, der hohe Erwartungen weckt, der aber
auch diffus und unbestimmt ist,


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genauso wie Ihr Antrag!)


ein Feld, auf dem noch viele Fragen offen und genauso
viele Entscheidungen zu treffen sind.

In jedem Fall ist die digitale Wirtschaft ein zentraler
Wachstums- und Innovationsmotor. Völlig neue Kom-
munikationsformen sind entstanden. Es ist eine struktu-
relle Änderung von Entscheidungsprozessen in Wirt-
schaft, Politik und Gesellschaft zu beobachten. Es
entwickeln sich völlig neue Produkte, Geschäftsfelder
und Berufszweige.

Durch das Internet und seine verschiedenen Plattfor-
men verschiebt sich die Marktmacht immer mehr vom
Anbieter zum Nachfrager bzw. zum Verbraucher. Trei-
bende Kraft und Motor dieser Entwicklung ist die expo-
nentielle Steigerung der Zahl der Internetnutzer. Es dau-
ert nur noch wenige Jahre, dann wird bereits die Hälfte
der Weltbevölkerung online sein. Die Social Networks
erfahren immer größeren Zuspruch. Die zunehmende
Popularität mobiler Geräte forciert zusätzlich die rasante
Entwicklung des Internets.

Wenn wir heute über die digitale Wirtschaft reden,
dann versteht man darunter zunächst Netzpolitik mit den
zentralen Themen Urheberrecht, Datenschutz und Netz-
neutralität. Immer mehr wird die digitale Wirtschaft aber
auch zu einem Themenfeld der Wirtschaftspolitik. Die-
ses neue Medium wird zunehmend als weiterer Produk-
tionsfaktor anerkannt.

Ziel der Wirtschaftspolitik muss es sein, Innovations-
freude und Technologieoffenheit zu fördern. Chancen
müssen erkannt und Risiken begrenzt werden.

In welchen Bereichen liegen denn nun die Potenziale
der digitalen Wirtschaft? Wir finden sie in den Bereichen
Innovation, Wachstum und Beschäftigung. Wir finden
sie erstens im Bereich der Informations- und Kommuni-
kationstechnologie selbst, zweitens in den klassischen
Branchen – hier vor allen Dingen durch innovative An-
wendungen, Produktivitätssteigerungen und neue Ge-
schäftsmodelle – sowie drittens in der Bereitstellung und
im Ausbau zukunftsfähiger und sicherer Netze und In-
frastrukturen.

Gerade der dritte Punkt liegt mir besonders am Her-
zen. Ich vertrete als Abgeordneter den Kreis Steinfurt im
Münsterland. Mein Wahlkreis ist ländlich strukturiert
und geprägt durch eine hohe Anzahl von kleinen und
mittelständischen Unternehmen. Schnelle Internetver-

bindungen und eine hochwertige Breitbandstruktur sind
unverzichtbar für hohe Lebensqualität und für die wirt-
schaftliche Prosperität in den Städten, aber auch auf dem
Land.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dies bedeutet im Umkehrschluss: Der fehlende Zugang
zu dieser essenziellen Infrastruktur schließt Menschen
und Unternehmen von wesentlichen gesellschaftlichen
Aktivitäten und Entwicklungsmöglichkeiten aus.

Eine moderne Breitbandstruktur ist Voraussetzung für
Anwendungen wie Internetfernsehen, telemedizinische
Anwendungen, digitalisierte Heimarbeitsplätze usw. Un-
erlässlich hierfür ist eine flächendeckende Anbindung
besonders für Unternehmen und Freiberufler,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


aber auch für die Familien.

Wir haben vor einigen Tagen hier im Bundestag da-
rüber diskutiert, wie der Anteil von Frauen in der Wirt-
schaft vergrößert werden kann.


(Dr. Eva Högl [SPD]: Ja!)


Auch und gerade hier bietet das Internet erhebliche
Möglichkeiten, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf
zu verbessern, und zwar sowohl für Frauen als auch für
Männer.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die digitale Wirtschaft schafft völlig neue Produkte
und Tätigkeitsfelder. Aber es findet auch eine zuneh-
mende Auflösung der traditionellen Aufbau- und Ab-
laufstrukturen statt. Bisher bestehende Hemmnisse kön-
nen abgebaut und neue Wege gegangen werden. Es
entstehen völlig neue Führungs- und Bearbeitungswege.
Dies ist meines Erachtens eine riesige Chance für eine
familienfreundlichere Arbeits- und Berufswelt.

Technologische Innovationen ziehen somit gesell-
schaftliche und ökonomische Änderungen nach sich.
Das kann aber nur dann funktionieren, wenn allen Bür-
gerinnen und Bürgern der Zugang zu den Datenautobah-
nen der Zukunft möglich ist. Breitbandanschlüsse mit
hochrangigen Datentransferraten gehören genauso wie
Strom-, Wasser- und Abwasserleitungen zu einem un-
verzichtbaren Bestandteil der infrastrukturellen Daseins-
vorsorge.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie sind ein entscheidender Wettbewerbsfaktor bei
Standortfragen.

Die Breitbandstrategie der Bundesregierung hat in
den letzten Jahren signifikante Ausbauerfolge vorweisen
können. Eine fast flächendeckende Versorgung mit An-
schlüssen von 1 MBit/s ist erreicht worden. Dieser
schöne Erfolg kann jedoch nur ein erster Schritt sein und
sollte uns ermutigen, auch den zweiten Schritt konse-
quent zu gehen.

Die Situation in den ländlich geprägten Kommunen
ist noch nicht zufriedenstellend. Zahlreiche Kommunen
haben zwar praktikable und wirtschaftliche Lösungen





Dieter Jasper


(A) (C)



(D)(B)


vor Ort entwickelt; es ist aber unsere Aufgabe, diese Lö-
sungen auf Bundesebene zu fördern und zu unterstützen.
Es gilt, Verantwortung zu übernehmen, besonders in den
Bereichen der Daseinsvorsorge und der Gleichheit von
Lebensqualität.

Die Anstrengungen der Bundesregierung, auch die
bisher nicht ausreichend versorgten Gebiete zu erschlie-
ßen, werden von mir ausdrücklich begrüßt. Grundsätz-
lich spreche ich mich für einen technologie- und wettbe-
werbsoffenen Ansatz aus, der auch Funklösungen
beinhaltet. Doch nach heutigem Wissensstand stellen
diese Satelliten- und Mobilfunktechniken nur Über-
gangslösungen dar. Es müssen schwankungsfreie Daten-
übermittlungen mit hohen Übertragungsraten für jeden
Endnutzer gewährleistet sein. Langfristig werden wohl
nur leitungsgebundene Anschlüsse zu zufriedenstellen-
den Ergebnissen führen.

Deutschland ist in vielen Bereichen Weltmarktführer,
aber leider nicht im Bereich der IT. Hier haben wir er-
heblichen Nachholbedarf. Aufgabe der Politik ist es, ver-
lässliche Rahmenbedingungen zu schaffen. Dies gilt ins-
besondere im Bereich der Vorratsdatenerfassung, wo
endlich eine Lösung gefunden werden muss.

Aber auch der Datenschutz ist ein zentrales Thema.
Deutsche Unternehmen, die sich im internationalen
Wettbewerb befinden, sehen sich hier 17 Datenschutz-
behörden – 16 auf Länderebene und auf Bundesebene –
gegenüber und fühlen sich durch unterschiedliche Geset-
zesauslegungen immer wieder ausgebremst. Ich bekenne
mich ausdrücklich zu unserer föderalen Struktur in
Deutschland. Aber die Anforderungen des Datenschut-
zes müssen dringend koordiniert werden.

Auch die mangelnde Investitionskultur in Deutsch-
land ist ein Problem. Junge Start-ups haben es häufig
schwer, ihre Ideen umzusetzen, da die notwendigen fi-
nanziellen Mittel fehlen. Dafür sind unbürokratische
staatliche Hilfestellungen sinnvoll und notwendig. Hier
sind die Stichworte KfW und staatliche Forschungsför-
derung zu nennen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Wachstumspotenziale der digitalen Wirtschaft
sind gewaltig. Unsere Aufgabe als Bundespolitiker ist
es, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit diese Poten-
ziale in Deutschland schnell und effizient gehoben und
ausgeschöpft werden können. Die unionsgeführte Koali-
tion hat hier schon einiges erreicht. Der vorliegende An-
trag unterstreicht unseren Willen, den eingeschlagenen
Weg weiterzugehen und den Innovationsstandort Deutsch-
land weiter zu stärken.

Herzlichen Dank und Glückauf.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1717304400

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat

nun der Kollege Dr. Georg Nüßlein von der CDU/CSU-
Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1717304500

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Das

Thema digitale Wirtschaft ist kein Zukunftsthema. Es ist
ein Gegenwartsthema, bei dem über die Zukunft unserer
Wirtschaft und unserer Gesellschaft entschieden wird.

Auch wenn der Kollege Lämmel recht hat, dass es
hier um mehr geht als nur die Frage des Breitbandan-
schlusses, möchte ich mich auf die Debatte einlassen, die
hier geführt wurde, und möchte vorrangig über dieses
Thema reden, mich auch auf das beziehen, was wir in
der TKG-Novelle festgelegt haben, was uns aus meiner
Sicht ein ganzes Stück voranbringen wird.

Glauben Sie mir, mir tut es schon leid, dass wir diese
Novelle erst jetzt in Kraft setzen können, weil die Län-
der das verzögert haben. Sie haben im Übrigen nicht
über die Sache verhandelt, sondern über den schnöden
Mammon. Bei dem, was der Bundesrat beraten hat, ging
es am Ende nur um das Geld für die Rundfunkanstalten
und nicht um Inhalte. Das ärgert mich; das sage ich ganz
offen.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Unabhängig von der Partei!)


– Es ist keine parteipolitische Kritik, Kollege Heil, son-
dern ganz einfach der Hinweis darauf, dass es nicht sein
kann, dass der Bundesrat Dinge, die gut sind, die auch er
explizit für gut hält, verzögert, weil er meint, man
könnte an der Stelle noch ein paar Euro herausschlagen.


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das letzte Mal hat es nicht funktioniert!)


Ich möchte noch einmal deutlich machen, was uns die
TKG-Novelle letztendlich sehr konkret bringen wird.
Wir haben den abstrakten Begriff der investitionsorien-
tierten Regulierung das erste Mal in einem Gesetz klar
definiert, haben damit Planungssicherheit für beteiligte
Unternehmen, die der Regulierung unterworfen sind, ge-
schaffen und Risikoteilung verordnet. Wir haben auch
klargemacht, dass das oberste Regulierungsprinzip in
Zukunft nicht ein preisbezogener Verbraucherschutz sein
kann, sondern ein Investitionsanreiz sein muss.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Ich hoffe, dass auch die Regulierungsbehörde das als
Hinweis darauf versteht, dass sich in diesem Bereich re-
gulatorisch außerhalb des Gesetzes noch einiges tun
muss.

Wir haben einen Beitrag dazu geleistet, dass wir auch
die ländlichen Räume kostengünstiger erschließen kön-
nen. Wir erreichen das dadurch, dass wir das Microtren-
ching ins Gesetz geschrieben haben. So besteht die
Möglichkeit, ohne riesigen baulichen Aufwand Kabel
beispielsweise in Bürgersteigen zu verlegen, indem man
nur einen Schlitz schneidet und das Kabel hineinlegt. Sie
glauben gar nicht, mit wie vielen Widerständen aus der





Dr. Georg Nüßlein


(A) (C)



(D)(B)


Baubranche, aber auch aus dem Ministerium man letzt-
endlich kämpft, wenn man so etwas Vereinfachendes in
ein Gesetz schreiben will! Trotzdem ist es uns gelungen.

Wir haben den Zugang zu breitbandrelevanter Infra-
struktur geregelt und festgelegt, dass insbesondere die
öffentliche Hand die bei ihr bereits vorhandene Infra-
struktur zur Verfügung stellen muss. Auch da gab es eine
ganze Reihe von Bedenkenträgern. Ich möchte mich
ausdrücklich bei Bundesminister Peter Ramsauer als
dem zuständigen Minister dafür bedanken, dass er am
Schluss ein Machtwort gesprochen und gesagt hat: Na-
türlich muss als Erstes der Bund seine Infrastruktur zur
Verfügung stellen, um auch die Länder verpflichten zu
können und um über ein Schiedsverfahren auch Private
an den Tisch holen und mit ihnen verhandeln zu können.
Infrastruktur wollen wir ja nicht doppelt aufbauen, son-
dern volkswirtschaftlich sinnvoll. Auch das wird auf
diese Art und Weise kostengünstiger gelingen.

Ich will jetzt gar nichts zu den zahlreichen Regelun-
gen zum Wegerecht sagen, die jetzt im TKG stehen.
Auch hier haben wir wieder einen Schritt nach vorn ge-
macht. Ich würde mir wünschen, dass ein solches Gesetz
dann auch in entsprechender Weise gewürdigt wird.

Natürlich ist das noch nicht alles. Ich spreche hier nie-
manden an, aber jeder muss sich überlegen, ob er sich
angesprochen fühlt. Ein guter Marktwirtschaftler muss
abschätzen, was der Markt kann, muss aber ganz ge-
nauso auch wissen, was der Markt nicht kann. Bei der
Erschließung der ländlichen Räume werden wir am
Schluss nicht vollumfänglich auf den Markt setzen kön-
nen, weil der Markt natürlich nur die Dinge im Wettbe-
werb realisieren kann, die am Schluss dann auch renta-
bel sind, bei denen Renditen entstehen. Das wird bei
dem einen oder anderen Dorf, gerade bei mir in Bayern,
letztendlich nicht der Fall sein. Deshalb ist mir ganz klar,
dass wir andere Möglichkeiten brauchen, um solche Orte
anzuschließen; denn es steht sogar in Art. 87 f unseres
Grundgesetzes, dass wir eine flächendeckende Erschlie-
ßung gewährleisten müssen. Im Übrigen steht da auch,
dass eigentlich der Bund für diese flächendeckende Er-
schließung zuständig ist. Diese Dinge sind also sehr prä-
zise geregelt.


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch wunderbar! Go! – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Erklären Sie das bitte der FDP noch mal!)


Wie geht es nun weiter? Die mit LTE verbundenen
Möglichkeiten entspannen die ganze Situation natürlich.
Dass wir in der Lage sind, den ländlichen Raum über
Funk mit relativ hoher Frequenzbreite einzubinden, ent-
spannt die Situation, aber meiner festen Überzeugung
nach nur zeitlich begrenzt. Denn am Ende des Tages
werden wir beides nutzen: die Funktechnologie und den
Glasfaseranschluss. Und es kann nicht sein, dass die
ländlichen Räume nach einer gewissen Zeit wieder abge-
hängt werden, wenn in den Städten höhere Frequenzen
und auch die entsprechenden Anwendungen vorhanden
sind. In der Tat stimmt es nämlich, dass momentan die
Anwendungen für hohe Frequenzen noch nicht in einem

solchen Ausmaß vorhanden sind. Aber das wird kom-
men.

Ich erinnere mich noch immer lächelnd an den Irrtum
meines EDV-Professors, der vor über 20 Jahren gesagt
hat, dass es an seiner Universität jetzt einen 1-Megabyte-
Rechner gibt, dass das das Beste ist, was man haben
kann, und man damit in dem Bereich alles machen kann,
was man machen will. – Was er gesagt hat, war inner-
halb von einem halben Jahr Geschichte. So wird es uns
auch bei den Frequenzen und bei der Inanspruchnahme
von Frequenzen gehen.

Wir müssen wissen, Herr Minister Rösler: Der Auf-
bau von Infrastruktur im Wettbewerb ist schwierig. Aber
er ist doppelt schwierig, wenn sich diese Infrastruktur
auch noch dynamisch entwickelt. Deshalb sage ich für
die CSU, dass wir natürlich eine hohe Sympathie für die
Überlegung hegen, die verbleibende Lücke am Schluss
mit einem Universaldienst zu schließen.


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hätten wir gerne Ihre Unterstützung gehabt!)


Wir müssen jetzt – und wir sind gut dabei, auch die Bun-
desregierung – alles dafür tun, damit diese Lücke so
klein wie möglich bleibt, und dann durch staatliches Ein-
greifen gleiche Verhältnisse bei der Breitbandversorgung
in Stadt und Land sicherstellen. Ich bin der Meinung, das
muss und wird uns gelingen. Das sind wir gerade unse-
ren ländlichen Räumen schuldig.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Darüber hinaus ist alles richtig, was zum Thema Inno-
vationsförderung gesagt wurde, insbesondere das, was
Minister Rösler zum Thema Venture Capital gesagt hat.
Es kann nicht sein, dass es für Management Fees in
Wagniskapitalfonds Nachteile bei der Umsatzbesteue-
rung gibt. Es kann auch nicht sein, dass Steuernachteile
in anderen Bereichen aufrechterhalten werden. Wir brau-
chen Anreize für Business Angels in Form von Steuerer-
leichterungen; hier müssen wir tätig werden. Deutsch-
land kann sich nämlich in der Tat in einem Bereich mit
den USA vergleichen, und zwar in der Innovations-
dichte. Bei der Anzahl der Patente pro 1 Million Ein-
wohner ist Deutschland so gut wie die USA.


(Beifall der Abg. Rita Pawelski [CDU/CSU])


– Das ist hervorragend, insofern ist der Applaus der Kol-
legin absolut angebracht.

Wir sind aber schlecht bei der Umsetzung; wir sind
schlecht darin, die Patente ökonomisch zu nutzen. Dabei
geht es dann um Venture Capital und darum, Wege zu
gehen, um solche Innovationen unternehmerisch umzu-
setzen. Darauf sollten wir unser Augenmerk richten. Wir
sollten alles dafür tun, um Innovationen zu fördern, aber
am Schluss auch den Breitbandzugang für alle zu garan-
tieren.

Vielen herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)







(A) (C)



(D)(B)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1717304600

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/9159
mit dem Titel „Wachstumspotenziale der Digitalen Wirt-
schaft weiter ausschöpfen – Innovationsstandort
Deutschland stärken“. Wer stimmt für diesen Antrag? –
Wer stimmt dagegen? –


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das ist die Mehrheit!)


Wer enthält sich?


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Opposition hatte die Mehrheit, Herr Präsident! – Weitere Zurufe)


– Ich bin der Meinung, die Mehrheit war dafür, aber wir
sind hier unterschiedlicher Meinung.


(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Dann müssen wir einen Hammelsprung machen! Ich muss nicht nach Hause! – Weitere Zurufe)


– Wenn eine Fraktion die Beschlussfähigkeit feststellen
lassen will, müssen wir einen Hammelsprung vorneh-
men.


(Zurufe)


– Es ist so und nicht zu ändern. So sieht es die Ge-
schäftsordnung vor. Das macht nicht viel Freude, Sie
müssen es aber selbst verantworten.

Ich bitte Sie, den Plenarsaal zu verlassen. Dann
schließen wir die Türen, und Sie klingeln und trommeln,
damit die Kollegen kommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie noch
einmal, den Saal zu verlassen und die Türen zu schlie-
ßen, damit wir mit der Auszählung beginnen und diese
so zügig wie möglich durchführen können.

Wir beginnen mit der Abstimmung.

Darf ich um ein Signal von den Schriftführern bitten? –
Ja, dann schließen wir die Türen. – Kann mir einer der
Schriftführer bitte das Ergebnis mitteilen? – Liebe Kol-
leginnen und Kollegen, ich bitte darum, Platz zu neh-
men. Ich möchte Ihnen das Ergebnis der Zählung be-
kannt geben. – Es haben insgesamt 334 Kolleginnen und
Kollegen an der Abstimmung teilgenommen.


(Beifall des Abg. Thomas Oppermann [SPD])


Das heißt, die Sitzung geht jetzt weiter. Es haben
198 Abgeordnete mit Ja gestimmt und 136 Abgeordnete
mit Nein. Damit ist der Antrag angenommen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich warte einen Moment, damit diejenigen, die an
dem nun folgenden Tagesordnungspunkt nicht mitwir-
ken wollen, den Saal verlassen können, und übergebe an
den Kollegen Oswald.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1717304700

Liebe Kolleginnen und Kollegen, sind alle wieder in

der Lage, einen neuen Tagesordnungspunkt zu behan-
deln? – Das scheint der Fall zu sein. Wir machen weiter.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 a bis c auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Konstantin von Notz, Volker Beck (Köln), Kai
Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

EU-Datenschutzreform unterstützen

– Drucksache 17/9166 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Konstantin von Notz, Volker Beck (Köln),
Ingrid Hönlinger, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Völlige Unabhängigkeit für den Bundesdaten-
schutzbeauftragten

– Drucksache 17/6345 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Kultur und Medien

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu dem
Antrag der Abgeordneten Dr. Konstantin von
Notz, Nicole Maisch, Tabea Rößner, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Grundrechte schützen – Datenschutz und Ver-
braucherschutz in sozialen Netzwerken stär-
ken

– Drucksachen 17/8161, 17/9198 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Stephan Mayer (Altötting)

Gerold Reichenbach
Gisela Piltz
Jan Korte
Dr. Konstantin von Notz

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Sie
sind damit einverstanden. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne somit die Aussprache. Erster Redner in
unserer Debatte ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen unser Kollege Dr. Konstantin von Notz. Bitte schön,
Kollege Dr. Konstantin von Notz.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Nachdem wir vor knapp einem Jahr einen eigenen Ge-





Dr. Konstantin von Notz


(A) (C)



(D)(B)


setzentwurf zum Beschäftigtendatenschutz eingebracht
haben, diskutieren wir heute Morgen über drei weitere
Anträge der Grünen zu dem wichtigen Thema Daten-
schutz: erstens einen Antrag zur Unabhängigkeit des
Bundesdatenschutzbeauftragten, zweitens unseren An-
trag zum Datenschutz in sozialen Netzwerken in zweiter
und dritter Lesung und drittens einen Antrag zur anste-
henden Reform des Datenschutzes auf EU-Ebene.

Mit unseren Anträgen betreten wir thematisch
schwarz-gelbes Brachland.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Manuel Höferlin [FDP]: Was ist denn das für eine Sprachblase?)


Die vollmundigen Versprechen aus dem Koalitionsver-
trag – ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz, die Stiftung
Datenschutz, Reformen im Bundesdatenschutzgesetz –
sind bisher allesamt Rohrkrepierer. Wir haben die De-
batte auf die heutige Tagesordnung gesetzt, um die Bun-
desregierung und speziell das Bundesinnenministerium
endlich dazu zu bringen, sich konstruktiv an dieser Dis-
kussion zu beteiligen.

Die EU-Datenschutzverordnung ist das zentrale Da-
tenschutzreformprojekt der nächsten Jahre. Hier wird
sich entscheiden, ob es der Politik gelingt, einen zeitge-
mäßen Grundrechtsschutz vor dem Hintergrund von In-
ternet und Digitalisierung umzusetzen oder ob dieses
Projekt scheitert mit unabsehbaren Folgen für die Rechte
der Bürgerinnen und Bürger. Von vielen Seiten wird jetzt
versucht, den nicht perfekten, aber guten ersten Auf-
schlag der Kommission zu zerpflücken: einerseits von
Konzernen und Wirtschaftsverbänden, die versuchen,
ihre lukrativen Geschäftsmodelle durch automatisierte
Verhaltensauswertung und Datenhandel profitabel zu
halten, andererseits auch von verschiedenen Bundeslän-
dern, die derzeit aus Sorge um Kompetenzverlust leider
gegen die dringend notwendige Reform mobil machen.

Hierzu gesellt sich die Bundesregierung. Minister
Friedrich – er ist leider heute nicht da – hat sich ent-
schieden, an diesem wichtigen Projekt nicht konstruktiv
mitzuwirken, sondern es zu hintertreiben.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unglaublich!)


Der Minister sagt, dass unser Datenschutzrecht nicht eu-
ropäischem Recht unterstellt werden dürfe. Er sagt etwas
volkstümlich – ich zitiere –: „An Bewährtem und Gutem
aus deutschen Landen wollen wir festhalten“, ganz so,
als lebten wir nicht in einem gemeinsamen Europa, als
gebe es kein grenzüberschreitendes Netz. Ich frage Sie:
Was hilft es den Menschen, wenn das gute Datenschutz-
niveau in Deutschland endet, sobald Sie in Spanien im
Urlaub sind,


(Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gar nichts!)


wenn die Server des Anbieters, den Sie nutzen, ganz wo-
anders stehen oder wenn Sicherheitsbehörden oder Un-
ternehmen Daten einfach in andere Länder weiterleiten?

Immer wieder suchen große Player nach dem Standort
mit den schwächsten Datenschutzvorgaben, das soge-
nannte Forum Shopping. Gleichzeitig stehen wir vor den
Herausforderungen des Cloud Computing. Es ist deshalb
überfällig, die Anwendungsregelungen nach dem Markt-
ortprinzip festzuschreiben. Weil diese Bundesregierung
das Marktortprinzip immer noch nicht im Bundesdaten-
schutzgesetz festgeschrieben hat, brauchen wir die euro-
päische Datenschutzreform. Wir brauchen hohe, gemein-
same, europäische Standards.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es stimmt: Es gibt in Deutschland in Teilen ein gutes
und im Vergleich zu anderen Ländern ein hohes Daten-
schutzniveau. Die zuständige EU-Kommissarin Reding
erklärte vor einigen Tagen, deutsches Datenschutzrecht
sei Richtschnur und Messlatte für die anstehende Re-
form auf europäischer Ebene. In einer Zeit, in der mo-
derner Datenschutz zur Schlüsselfrage in der digitalen
Welt geworden ist, in einer Zeit, in der moderner Daten-
schutz ein Standortvorteil ist, darf unser Land nicht vom
Innovationsmotor zum Bremsklotz dieser Entwicklung
werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Eva Högl [SPD])


Sonst drohen ein Ausverkauf der Grundrechte und ein
diskriminierendes Kastensystem, das auf Verhaltenspro-
filen und automatisierten Bewertungen aufbaut: Wer
trägt das Stigma der Kreditunwürdigkeit? Wer bekommt
überhaupt noch einen Vertrag? Wer verendet in der War-
teschleife des Callcenters? Wer erhält den Arbeitsplatz
nach welchen Kriterien? – Solche Fragen berühren die
Menschen ganz konkret. Wenn komplexe Algorithmen
über soziale Teilhabechancen von Menschen entschei-
den, dann laufen die Grundrechte einfach leer.

Eine ganz zentrale Grundlage der Freiheit ist die indi-
viduelle Wahlmöglichkeit, die Entscheidung, was mit
den eigenen Daten geschieht. Mit diesem Grundsatz ist
die gegenwärtige Praxis vieler Unternehmen einfach
nicht zu vereinbaren.

Es ist doch nicht zu fassen, dass bald 30 Millionen
Nutzerinnen und Nutzer allein in Deutschland soziale
Netzwerke als zentrale Informations- und Kommunika-
tionsplattform nutzen, aber diese Bundesregierung noch
immer nicht willens und nicht in der Lage ist, hier für ei-
nen adäquaten Grundrechtsschutz der Bürgerinnen und
Bürger zu sorgen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Ich komme auch nicht darum herum, das Verhalten
der Bundesverbraucherschutzministerin zu erwähnen.
Frau Aigner ist nach – zugegebenermaßen – unerquickli-
chen Gesprächen mit Facebook persönlich dort ausgetre-
ten. Seither ist nichts geschehen. Das ist doch unfassbar.
Die Ministerin erkennt Probleme und Gefahren und zieht
zwar für sich persönlich Konsequenzen, lässt aber
25 Millionen Menschen bei Facebook in diesem Land





Dr. Konstantin von Notz


(A) (C)



(D)(B)


mit der Gefahr und den Problemen alleine. Das wäre un-
gefähr so, als hätten wir einen Gammelfleischskandal
und Frau Aigner erklärte: Alles kein Problem, die Bun-
desregierung muss nichts machen. Ich selbst habe mich
entschieden, keine Bratwurst mehr zu essen. – So kann
man keine Politik machen, meine Damen und Herren!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Auch Bundesinnenminister Friedrich hat sich im letz-
ten Jahr mit Vertretern von Facebook getroffen; man
trifft sich öfter. Mit dem Unternehmen wurde eine soge-
nannte Selbstverpflichtung vereinbart. Danach sprach
der Minister von einer deutlichen Entschärfung des Kon-
flikts. Seither ist nichts passiert. Im Gegenteil: Jüngst hat
sich der Konzern ganz offiziell final vom Begriff des
Datenschutzes verabschiedet. Gerade heute wird die so-
genannte Timeline verpflichtend für alle eingeführt. Die
Erfahrungen der letzten Wochen mit Facebook und
Google zeigen: Hier werden ständig willkürlich Ände-
rungen der ohnehin völlig unverständlichen AGB ein-
fach durchgedrückt.

Das alles überrascht nur Naive, sage ich Ihnen; denn
bis heute gibt es im Datenschutz kein einziges funktio-
nierendes Selbstregulierungsmodell. Deswegen sage ich
Ihnen: Hören Sie auf, sich hinter dem Begriff der Selbst-
regulierung zu verstecken, und machen Sie endlich Ihre
Hausaufgaben!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Bewusst haben wir heute unseren Antrag zum Daten-
schutz in sozialen Netzwerken aufgesetzt. Die schwarz-
gelbe Koalition hat bislang leider nicht reagiert. Deswe-
gen freut es uns, dass der Entwurf der EU-Datenschutz-
verordnung viele wichtige unserer Forderungen, die dort
enthalten sind, aufgegriffen hat.

Lassen Sie mich klar sagen: Ausreichend ist dieser
Entwurf der Verordnung noch lange nicht. Wir müssen
jetzt dafür sorgen, dass viele Bestimmungen weiter kon-
kretisiert werden, dass Spielräume für innovative Daten-
schutzkonzepte bleiben und dass unser bewährtes Sys-
tem der Betriebs- und Behördendatenschutzbeauftragten
nicht ausgehöhlt wird.

Aber weil weltweit gerade wegen der EU-Reform
erstmalig Konturen eines globalen Datenschutzkonzep-
tes erkennbar werden und in den USA sogar das Weiße
Haus eigene Vorschläge in Reaktion auf die EU-Initia-
tive vorlegt, ist es mit der Verweigerung und einem halb-
garen Verweis auf das schöne Datenschutzrecht aus
deutschen Landen nicht getan.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Neben der aktuellen Diskussion um die EU-Reform
ist die Unabhängigkeit der Datenschutzbeauftragten zen-
traler Bestandteil eines effektiven Datenschutzes. Sie
wird sogar in Art. 8 der EU-Grundrechtecharta aus-
drücklich genannt. Aber ausgerechnet der Bundesdaten-

schutzbeauftragte ist bisher ohne entsprechende Stellung
und Durchsetzungsmöglichkeiten geblieben. Weil seine
Anbindung an die Parlamente die notwendige politische
und rechtliche Verantwortlichkeit gewährleistet, fordern
wir mit unserem Antrag die längst überfällige Anglei-
chung seiner Stellung insbesondere an die Vorgaben des
Europäischen Gerichtshofs. Mit Blick auf die Aufsichts-
funktion im nichtöffentlichen Bereich muss festgestellt
werden, dass die fehlende Möglichkeit des Beauftragten,
selbst Bußgelder zu verhängen, eine echte Schutzlücke
ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Das Internet ist herausragendes Element der digitalen
Revolution. Neue Politikfelder und eine eigene Öffent-
lichkeit mit großem politischem Gewicht sind geschaf-
fen worden. Obwohl wir alle wissen, dass erst der Daten-
schutz das notwendige Vertrauen in die freie und
unbefangene Nutzung des Netzes schafft, obwohl eine
der wichtigsten ständigen Rechtsprechungslinien des
Bundesverfassungsgerichts den Schutz der Privatheit in
allen Facetten betrifft und obwohl zahlreiche Gesetze
seit den 70er-Jahren in Kraft sind und ein entsprechen-
des Schutzniveau zu entfalten suchen, können das
Grundverständnis und eine breite Akzeptanz der Privat-
heit nicht automatisch als gesichert gelten. Das zeigen
uns alle aktuellen Debatten über die verpflichtende an-
lasslose Vorratsdatenspeicherung, über die Staatstroja-
ner, über Facebook, über die Funkzellenabfrage etc.
Deswegen müssen wir die Privatsphäre und den Daten-
schutz, dieses besondere Schutzgut unserer Demokratie,
jeden Tag neu begründen, erklären und erstreiten.

Ganz herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1717304800

Vielen Dank, Kollege Dr. Konstantin von Notz. –

Nächster Redner in unserer Aussprache ist der Parla-
mentarische Staatssekretär Dr. Ole Schröder. Bitte
schön, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Jetzt kommt Sachlichkeit in die Debatte! – Gegenruf des Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Grindel, so wie Sie immer! Sachlichkeit!)


D
Dr. Ole Schröder (CDU):
Rede ID: ID1717304900


Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es ist schon interessant, zu hören, dass die Grü-
nen plötzlich den Staat auffordern, tätig zu werden,


(Gisela Piltz [FDP]: Das ist aber nichts Neues! So sind sie doch immer, in letzter Zeit! – Gegenruf des Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt haben Sie ihn wieder lieb? – Gegenruf der Abg. Parl. Staatssekretär Dr. Ole Schröder Gisela Piltz [FDP]: Ich habe jeden von Ihnen mal lieb! Ich bin da wählerisch!)





(A) (C)


(D)(B)


dass sie die Autorität des Staates einfordern, wenn es da-
rum geht, Sicherheit für die Bürger zu erlangen. Da
kommen wir uns sehr nahe. Wir sind auch der Auffas-
sung, dass wir klare Regeln brauchen, gerade im Inter-
net, die dann auch durchgesetzt werden müssen. Von da-
her begrüße ich das, was Sie, Herr von Notz, hier gerade
an Grundsätzlichem ausgeführt haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir reden heute über das EU-Datenschutzrecht. Wir
haben jetzt einen Verordnungsvorschlag der Kommis-
sion vorliegen, der fast alles regelt. Eine Verordnung fin-
det unmittelbare Anwendung. Ausgenommen sind nur
die Bereiche Justiz und Polizei.

Wo stehen wir heute? Wir haben auf europäischer
Ebene zu wenig Vereinheitlichung im Bereich der Wirt-
schaft, im Bereich des Verbraucherschutzes. National
sehr unterschiedliche Standards prägen das Bild. Das
Schutzniveau ist sehr unterschiedlich. Der Vollzug ist
überhaupt nicht einheitlich geregelt, und es fehlt an
Transparenz, Verständlichkeit und Anwenderfreundlich-
keit. Das führt natürlich zu Wettbewerbsverzerrungen in-
nerhalb des europäischen Wirtschaftsraums. Die Debatte
über Facebook hat das gezeigt. Facebook hat wohl nicht
ohne Grund Irland als Standort in Europa gewählt. Mein
Vorredner hat das als Forum Shopping bezeichnet.

Das Datenschutzrecht auf europäischer Ebene ist in
die Jahre gekommen. Als es entwickelt wurde, haben die
sozialen Netzwerke und die Datenverarbeitungsmöglich-
keiten von Privaten noch keine so große Rolle gespielt.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Auf Fragen der modernen Informationsgesellschaft fin-
den wir hier nur unzureichende Antworten. Cloud Com-
puting ist genannt worden. Ich erinnere an die Diskus-
sion über den „Like it“-Button von Facebook oder die
Behandlung von Twitter.

Wir haben einen EU-Wirtschaftsraum mit 500 Millio-
nen Verbraucherinnen und Verbrauchern. Das ist ein gro-
ßer Markt, und das ist zunächst einmal eine unglaubliche
Chance für die IT-Branche und für jeden einzelnen Ver-
braucher. Daher ist ein einheitliches Datenschutzniveau
von großer Bedeutung. Wir müssen erreichen, dass Hür-
den abgebaut werden, um wirtschaftlich in ganz Europa
tätig werden zu können. Wir wollen erreichen, dass un-
ser hohes Datenschutzniveau auf europäischer Ebene
durchgesetzt wird.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da könnten Sie so richtig aktiv werden!)


Natürlich bietet das auch die Chance, dass wir gegen-
über den Großen wie Facebook und Google unsere Stan-
dards durchsetzen können. Deshalb ist der Übergang
vom sogenannten Niederlassungsprinzip zum Marktort-
prinzip richtig. Das heißt, dass das Datenschutzrecht des

Landes gilt, in dem die Dienstleistungen angeboten wer-
den. Diesen Übergang schaffen wir nur, wenn wir diesen
großen Wirtschaftsraum mit einer halben Milliarde Ver-
braucherinnen und Verbrauchern in die Waagschale wer-
fen. Wir begrüßen die Maßgabe, vom Marktortprinzip
auszugehen.

Dennoch gibt es grundsätzlichen Erörterungsbedarf.
Dabei geht es zum Beispiel um die Frage nach den Gren-
zen und der Reichweite des Datenschutzrechts. Daten-
schutz ist ein wichtiges Grundrecht.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Aber wir dürfen den Datenschutz nicht über alle anderen
wichtigen Grundrechte stellen. Vielmehr müssen wir im-
mer abwägen. Ich denke zum Beispiel an die Meinungs-
freiheit. Es darf nicht sein – dies wird in diesem Rechts-
akt eben nicht ausgeräumt –, dass eine Privatperson, die
beispielsweise etwas in einem Blog postet oder in sozia-
len Netzwerken aktiv ist, unter das Datenschutzrecht
fällt und betroffene Dritte umfassend informieren oder
ein Datenschutzkonzept erarbeiten müsste. Das kann
nicht der richtige Weg sein. Wir können nicht alles mit
dem Datenschutzrecht regeln. Es gibt auch andere Rege-
lungsinstrumente, beispielsweise das Urheberrecht und,
wenn es zum Beispiel um Beleidigungen geht, das Straf-
recht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir müssen bei allen Ambitionen, die wir bezüglich
des Datenschutzes haben, darauf achten, dass wir die
Bürokratie in Grenzen halten. Wir dürfen die Chancen,
die sich durch diesen einheitlichen Wirtschaftsmarkt bie-
ten, nicht dadurch verspielen, dass wir den kleinen und
mittelständischen Betrieben bürokratische Hemmnisse
auferlegen, die sie nicht erfüllen können. Dann würden
wir genau das Gegenteil von dem erreichen, was wir
wollen.

Wir müssen die Innovationsfähigkeit erhalten. Wir
dürfen mit dem Datenschutzrecht, so wichtig es auch ist,
nicht jede Innovation im Internet von vornherein abwür-
gen. Wenn ein junges Unternehmen beispielsweise die
Idee hat, auf Basis öffentlicher Geodaten eine App zu
entwickeln, dann muss transparent sein, welche daten-
schutzrechtlichen Voraussetzungen gelten. Ansonsten
wird dieses innovative Produkt nicht in Deutschland,
nicht in Europa entwickelt, sondern in Amerika und an
anderen Standorten.

Wir müssen uns auch sehr genau über die Rolle der
Kommission, insbesondere gegenüber den Datenschutz-
beauftragten, unterhalten. Ist es richtig, dass die Kom-
mission in dem Kohärenzverfahren gegenüber den Da-
tenschutzbeauftragten faktisch weisungsberechtigt wird?
Wenn ja, dann erreichen wir genau das Gegenteil von
dem, was hier gefordert wurde. Die Kommission ist
nicht die Superaufsichtsbehörde unserer Datenschutzbe-
auftragten.

Wir müssen uns auch darüber unterhalten, ob es rich-
tig ist, dass die Kommission mit Ermächtigungen zum





Parl. Staatssekretär Dr. Ole Schröder


(A) (C)



(D)(B)


Erlass von delegierten Rechtsakten – es sind insgesamt
26 – mehr oder weniger an den Mitgliedstaaten vorbei
Recht setzen kann. Wir haben bisher überhaupt keine
Möglichkeit, die Auswirkungen abzusehen. Das halte
ich nicht für den richtigen Weg.

Wir müssen uns insbesondere auch die Auswirkungen
auf unseren bereichsspezifischen Datenschutz an-
schauen. Unsere modernen Gesetze – ich denke bei-
spielsweise an die Gesetze in den Bereichen Soziales
und Gesundheit – beinhalten zum größten Teil Daten-
schutzregeln, die sich im Verlauf der letzten Jahrzehnte
entwickelt haben. Es gibt dort ein sehr austariertes Sys-
tem. Wenn jetzt alles mit der Verordnung geregelt wird,
dann verdrängt das natürlich die bereichsspezifischen
Datenschutzregelungen, die wir uns erarbeitet haben.
Wollen wir das wirklich? Ich bin der Auffassung, dass
wir diesen Rückschritt nicht machen sollten. Dies würde
letztendlich ein Weniger an Datenschutz, eine Absen-
kung des Datenschutzniveaus bedeuten. Das wollen wir
nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nichts verstanden!)


Ähnliches gilt für den Bereich der Polizei und Justiz.
Moderne Polizeigesetze und eine moderne Strafprozess-
ordnung bestehen zu einem großen Teil aus Daten-
schutzregelungen, die austariert und in den jeweiligen
Bereichen sehr spezifisch sind.

Die EU hat deshalb zu Recht in diesem Bereich eine
Richtlinie und keine Verordnung gewählt. Dennoch
muss ich sagen: Der EU fehlt die Kompetenz, den Da-
tenaustausch innerhalb eines Landes zu regeln. Gerade
Deutschland ist, weil unser Land einen föderalen Aufbau
mit den Bundesländern, mit den unterschiedlichen Si-
cherheitsbehörden hat, darauf angewiesen, dass die Si-
cherheitsbehörden die Daten untereinander austauschen
können. In unserem Datenschutzrecht gibt es dafür ent-
sprechende Regelungen. Deshalb sagen wir ganz klar:
Die EU hat hierfür keine Kompetenz, und es ist auch
nicht sinnvoll, dass die EU den Datenschutz im Bereich
von Polizei und Justiz regelt. Das ist völlig in Ordnung,
wenn es um den Datenaustausch zwischen den Mitglied-
staaten geht. Aber es gibt keine Notwendigkeit dafür,
wenn es um den Datenaustausch innerhalb der Mitglied-
staaten geht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die Verhandlungen sind auf einem guten Weg. Wir
sollten die Chancen nutzen, die sich für die Verbraucher
und für die Wirtschaft ergeben. Das Datenschutzrecht,
wie wir es uns jetzt geben, wird unser Zusammenleben
in den nächsten 10, 20 Jahren prägen. Deshalb ist hier
große Sorgfalt angebracht. Wenn wir es richtig machen,
dann kann das ein großer Standortvorteil für Europa
werden. Wenn wir es falsch machen,


(Kirsten Lühmann [SPD]: Was machen Sie denn? Sie machen ja gar nichts! Das ist das Problem!)


könnten wir allerdings enormen Schaden anrichten, den
wir lange Zeit nicht wiedergutmachen könnten. Deshalb
ist es notwendig, dass alle mitarbeiten, auch die nationa-
len Parlamente. Die Union tut das. Das zeigt sich schon
allein daran, dass ein Berichterstatter, Michael Frieser,
heute spricht, obwohl er Geburtstag hat. Herzlichen
Glückwunsch, lieber Michael!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1717305000

Jetzt müssen wir nur klären: Galt der Applaus dem

Parlamentarischen Staatssekretär oder dem Geburtstags-
kind?


(Heiterkeit – Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


– Herr Staatssekretär, jetzt haben auch Sie noch Applaus
erhalten.

Als nächsten Redner rufe ich auf für die Fraktion der
Sozialdemokraten unseren Kollegen Gerold Reichenbach.
Bitte schön, Kollege Reichenbach.


(Beifall bei der SPD)



Gerold Reichenbach (SPD):
Rede ID: ID1717305100

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zu-
nächst einmal: Lassen Sie auch mich von hier aus gratu-
lieren, Kollege Frieser. Herzlichen Glückwunsch!

Wir reden heute über Datenschutz, über den Schutz
von Daten in sozialen Netzwerken, über Verbraucher-
und Persönlichkeitsschutz.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Bis jetzt alles richtig!)


Wir reden auch darüber, wie dies in einem internationa-
len Netz bei Diensten – sie sind alle schon genannt wor-
den: Facebook, Twitter, und wie sie alle heißen – und bei
international agierenden Bestellshops durchsetzbar ist.

Aber wir haben auch über die Untätigkeit der Bundes-
regierung zu reden.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es! – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Sie, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, haben dafür
ein Beispiel gegeben.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mehrere!)


Sie haben am Anfang gesagt: „Das ist ganz wichtig; da
müssen wir etwas machen“ und anschließend erklärt,
was alles gar nicht geht.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Bedenken!)


Das war Bedenkenträgerei. Wenn wir uns die Debatten
der letzten Jahre anschauen, können wir feststellen: Das





Gerold Reichenbach


(A) (C)



(D)(B)


geht immer nach dem Motto: Eigentlich müssen wir den
Datenschutz vorantreiben. – Dann pfeift die Wirtschaft
Sie zurück, und es passiert nichts, frei nach dem schönen
hessischen Sprichwort: Bevor ich nix mach’, mach’ ich
lieber gar nix.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


So lautet das Motto dieser Koalition im Bereich des Da-
tenschutzes.

Das gilt sogar im Hinblick auf die eigenen Reihen. Es
freut mich, dass mein ehemaliger hessischer Landtags-
kollege, der jetzige hessische Justizminister, nach mir
sprechen wird; vielleicht kann er Ihnen ja ein bisschen
Dampf machen. Denn noch nicht einmal da, wo FDP
und CDU in den Ländern eine Initiative gestartet haben,
um die Daten und die Bürger im Netz besser zu schützen
– eine Initiative zur Umsetzung eines europäischen
Rechts, das bereits existiert und das Sie den Menschen in
diesem Lande seit über einem Jahr vorenthalten –, waren
Sie in der Lage, Ihren Kollegen in den Landtagen zu fol-
gen. Sie haben keine Ausrede mehr dafür.

Wir Sozialdemokraten haben Ihnen hier einen Geset-
zesvorschlag vorgelegt. Es geht darum, wie die Bürger
vor Cookies geschützt werden. Das sind kleine Dateien,
die aufzeichnen, wie Sie sich beim Surfen verhalten, was
Sie im Netz tun und lassen, welche Seiten Sie sich an-
schauen und wie oft Sie im Netz sind. Es geht darum,
dass diese kleinen Cookies ohne das bewusste, aus-
drückliche Ja am Anfang nicht gesetzt werden dürfen.
Sie sagen: Dann muss man seinen Browser umprogram-
mieren; dann kann man das ja auch hinbekommen.

Worum es hier geht, macht ein Beispiel deutlich, das
in dieser Woche im Spiegel geschildert wird. Der Vater
eines 14-jährigen amerikanischen Mädchens, das regel-
mäßig Targeting Shops besucht und in Netzwerken un-
terwegs ist, hat sich bei der Geschäftsführung eines sol-
chen Shops darüber beschwert, dass es seiner Tochter
beim Surfen im Internet, aber auch per Post, Werbung
für Babykleidung, Babyspielzeug und Kinderbetten ein-
blendet bzw. zuschickt.


(Gisela Piltz [FDP]: Interessant! Ich erinnere mich an die Debatte über Opt-in und Opt-out und wie Sie da argumentiert haben!)


Er hat gesagt: Es kann doch nicht sein, dass Sie mit Ba-
bywerbung versuchen, einem 14-jährigen Mädchen un-
terzujubeln, dass es schön ist, ein Baby zu bekommen. –
Es stellte sich heraus, dass das Mädchen tatsächlich
schwanger war. Das heißt, der Targeting Shop und die
Netzwerke haben durch Verknüpfungen von Daten,
durch das Aufzeichnen des Surfverhaltens des Mäd-
chens, durch das Aufzeichnen ihres Bestellverhaltens
und durch das Aufzeichnen dessen, was sie sich im Netz
angeguckt hat, herausbekommen, was selbst die nächs-
ten Verwandten nicht wussten.

Wir reden heute doch über diese Situation, dass viele
soziale Netzwerke und viele dieser Shops mehr wissen
als der eine oder andere nächste Partner oder Verwandte.
Ich sage: Das kann ja okay sein, wenn ich denen das be-

wusst mitgeteilt habe. Aber es ist nicht okay, wenn dies
von den jeweiligen Diensten unter Umgehung der
Selbstschutzmöglichkeit des Verbrauchers ausspioniert
wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es gab ja auch in Deutschland einige Fälle. Das Land-
gericht Berlin hat ein Urteil gegen Facebook gefällt. Es
ging dabei um die Umstellung seiner Datenschutzrichtli-
nie und die Voreinstellung, dass automatisch, wenn Sie
eine Facebook-App installieren, diese anfängt, Ihre Da-
ten, Ihre Adressdaten – und zwar nicht nur Ihre, sondern
auch die von Dritten, die vielleicht gar nicht bei Face-
book sind – zu synchronisieren und herunterzuladen.
Nur derjenige, der sich wirklich auskennt und schnell
genug reagiert, kann diesen Prozess stoppen.


(Manuel Höferlin [FDP]: Quatsch! Man wird gefragt! Blödsinn! Das gibt es doch nicht!)


Zur Durchsetzbarkeit und Wirksamkeit dieses Urteils:
Facebook sagt, wir sind ein international agierender
Konzern.

Die europäischen Datenschutzbeauftragten haben kri-
tisiert – der französische Datenschutzbeauftragte wird
jetzt ein Verfahren einleiten –, dass die Datenschutzbe-
stimmungen für die Google-Dienste, denen der Nutzer
vorher bewusst zustimmen muss, so allgemein und
nichtssagend sind, dass sie die Voraussetzungen einer
bewussten Zustimmung nicht erfüllen, weil darin Wörter
wie „womöglich“, „könnte“, „vielleicht“ und, und, und
vorkommen. Kein Mensch würde bei uns in ein Restau-
rant oder in eine Kneipe gehen, wo auf der Speisekarte
steht: Der Preis für Cola könnte womöglich oder viel-
leicht 3 Euro betragen. Aber genau das ist momentan
Usus im Netz.


(Gisela Piltz [FDP]: Wenn man mehr als fünf Minuten Zeit hat, erzählt man viel Unsinn! – Manuel Höferlin [FDP]: Aber wahrscheinlich fragt Sie die Bedienung, ob Sie noch ein Bier haben wollen!)


Ich finde es immer spannend, dass die ansonsten auf
Bürgerrechte fokussierte Partei FDP genau das vertei-
digt, weil es hier ja um Geschäftsmodelle geht.


(Gisela Piltz [FDP]: Herr Kollege, wer hat denn Opt-in und Opt-out geregelt? Waren Sie das oder wir?)


Ich sage Ihnen: Im Grundgesetz der Bundesrepublik
Deutschland steht: „Die Würde des Menschen ist unan-
tastbar.“ Daraus hat das Bundesverfassungsgericht abge-
leitet, dass der Mensch auch über seine Daten selber be-
stimmen kann. Was aber nicht in der Verfassung steht,
ist: Jedes Geschäftsmodell ist unantastbar. – Auch da-
rüber diskutieren wir hier.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen ist das, was die Grünen in ihrem Antrag
vorgelegt haben, richtig. Das unterstützen wir inhaltlich.
Darauf will ich nicht im Detail eingehen.





Gerold Reichenbach


(A) (C)



(D)(B)



(Gisela Piltz [FDP]: Jetzt haben Sie so viel Zeit und sagen uns nichts!)


Sie machen aber natürlich einen falschen Schritt, indem
sie sagen: Lasst uns doch schon jetzt mit einem Gesetz-
gebungsverfahren anfangen, wo die europäische Verord-
nung vorliegt. – Das macht keinen Sinn. Es gibt einen
Bereich – das habe ich bereits angesprochen –, in dem
Sie uns unterstützen können. Das ist die sogenannte
E-Privacy-Richtlinie. Sie ist bereits europäisches Recht.
Aber die Bundesregierung setzt diese Richtlinie seit über
einem Jahr nicht in deutsches Recht um. Nach dieser
Richtlinie ist es erforderlich, dass, bevor solche Cookies,
die den Nutzer ausspionieren können, gesetzt werden,
der Betreffende seine Zustimmung erteilen muss. Aber
diese Regierung setzt es nicht um. Herr Hahn, da Sie
gleich nach mir sprechen und eine ähnliche Position im
Bundesrat vertreten haben, können Sie vielleicht dieser
Regierung sowie Ihren Parteikollegen und -freunden die
Meinung geigen. Oder Sie haben das, was Sie im Bun-
desrat vorgetragen haben, gar nicht so ernst gemeint,
weil Sie wussten, dass die Kollegen in der Bundesregie-
rung das sowieso ablehnen werden?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Es stellt sich die Frage, wie sich das durchsetzen lässt.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1717305200

Durchsetzbar ist dies im europäischen Rahmen. – Des-
wegen begrüßen wir diese Verordnung. Ich kann mich
aber des Verdachts nicht erwehren, dass es denjenigen,
die unter Hinweis auf die Subsidiarität mit Bedenken un-
terwegs sind, um etwas anderes geht. Alle sind sich ei-
nig: Datenschutz lässt sich nur auf europäischer Ebene
und mit größtmöglicher Harmonisierung organisieren.
Aber dann kommen die Bedenken; viele sagen: Harmo-
nisierung ist gut, aber nicht so viel und nicht auf dem Ni-
veau. – In welche Richtung es gehen soll, haben Sie
schon angedeutet, Herr Staatssekretär: möglichst niedri-
ges Niveau und möglichst viel Selbstverpflichtung.

Der Herr Innenminister hat anlässlich der Vorlage der
Verordnung bereits erklärt: Natürlich soll das hohe deut-
sche Datenschutzniveau gelten. – Das Beispiel der E-Pri-
vacy-Richtlinie zeigt, dass Deutschland in einigen Punk-
ten bereits jetzt hinter dem europäischen Niveau zurück
ist. Weiter hat er erklärt: Es soll möglichst viel Spiel-
raum für Selbstverpflichtungen geben. Gucken wir uns
doch einmal die bisherigen Selbstverpflichtungen an, die
von Herrn de Maizière, dem Vorgänger des jetzigen In-
nenministers, groß gefeiert wurden. Er hat auch gesagt:
Ich lege ein Gesetz vor, um eine rote Linie zu ziehen, die
verteidigt werden muss. – Eine solche rote Linie ist nir-
gendwo in Sicht. Das ist eine Nirwanalinie, aber kein Ge-
setz. Herr de Maizière erklärte damals weiter: Ich habe es
geschafft – das ist eine gute Selbstverpflichtung –, eine
Selbstverpflichtung mit Diensten wie Google zu den
Geodaten zu vereinbaren. – Gucken wir uns einmal an:
Was ist denn von dieser Selbstverpflichtung bis jetzt um-
gesetzt worden? Nichts! Die Selbstverpflichtungsverein-
barungen der Bundesregierung mit der Industrie sehen
doch offenkundig so aus: Die Bundesregierung ver-
pflichtet sich, gesetzlich nichts zu tun, während sich die
Industrie verpflichtet, heimlich weiterzumachen, weil

die Bundesregierung sie lässt. So sehen Ihre Selbstver-
pflichtungen aus! Aber so kann man den Datenschutz in
Europa nicht voranbringen. Es müssen klare, für alle gel-
tende Regeln her.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jan Korte [DIE LINKE])


Es ist richtig, dass die Verordnung – sie gilt für die Da-
ten aller europäischen Bürger, egal wo die Daten verar-
beitet werden – klare Zustimmungspflichten, das Recht
auf Vergessen und auch Strafen für Unternehmen vor-
sieht, die sich nicht an sie halten. Es ist allerdings ein biss-
chen seltsam, dass man den Umfang der Sanktionen auf
2 Prozent des jährlichen Umsatzes festgesetzt hat. Im
Wettbewerbsrecht gelten üblicherweise 10 Prozent. Das
wirft die Frage auf: Ist der Wettbewerb mehr wert als der
Schutz der Würde und der Persönlichkeitsrechte der Bür-
ger in Europa? Seltsam ist auch die Altersgrenze von
13 Jahren zum Schutz der Jugendlichen. Eine solche Al-
tersgrenze kommt in keinem anderen Rechtskonstrukt
vor. Die einzige Erklärung ist, dass man schon mit 13 Jah-
ren bei Facebook mitmachen kann.

Wir fordern die Bundesregierung auf: Unterstützen
Sie diese Verordnung da, wo sie bereits gute und richtige
Akzente setzt! Beteiligen Sie sich nicht am Abschleifen
der Standards! Bessern Sie da nach, wo Nachbesse-
rungsbedarf besteht! Ich will nicht wiederholen, was der
Kollege von Notz dazu gesagt hat. Auch Sie haben ja ei-
nen Teil benannt.

Ich möchte zum Ende kommen. Sie haben zu Recht
moniert: Der Europäische Datenschutzbeauftragte ist ge-
mäß der Verordnung nicht unabhängig; er ist abhängig
von der Kommission; diese kann hineinregieren. Der
EuGH hat den Ländern vorgeschrieben: Die Daten-
schutzbeauftragten müssen unabhängiger von den Re-
gierungen sein. Aber dann fangen Sie im eigenen Hause
an! Der Bundesdatenschutzbeauftragte ist abhängig vom
Innenministerium. Er steht unter der Fach- und Rechts-
aufsicht dieses Ministeriums.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1717305300

Würden Sie bitte zum Schluss kommen?


Gerold Reichenbach (SPD):
Rede ID: ID1717305400

Ich sage: Wir sind für unabhängige Datenschutzbe-

auftragte, für ein breites Datenschutzrecht, auch hier in
Deutschland. Deswegen unterstützen wir auch an dieser
Stelle den Antrag der Grünen. Werden Sie endlich im
Sinne des Datenschutzes tätig, und verharren Sie nicht in
Ihrer abwartenden und industriehörigen Haltung!

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1717305500

Vielen Dank, Kollege Reichenbach. – Nächster Red-

ner ist der Staatsminister der Justiz, für Integration und





Vizepräsident Eduard Oswald


(A) (C)



(D)(B)


Europa aus Hessen, Herr Kollege Jörg-Uwe Hahn. Bitte
schön, Herr Kollege Jörg-Uwe Hahn.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Florian Hahn (CSU):
Rede ID: ID1717305600

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Ich sage vielen herzlichen Dank, dass ich
heute die Möglichkeit habe, als stellvertretender Minis-
terpräsident des Landes Hessen, aber auch als Sprecher
der Justizministerkonferenz zu Ihnen zu sprechen und
Ihnen die Überlegungen, die wir in der Länderkammer
zum Thema EU-Datenschutz-Grundverordnung und Da-
tenschutzrichtlinie angestellt haben, vorzutragen. Zeit-
gleich berät ja auch der Bundesrat über dieses Thema.

Ich kann bestätigen, Kollege Reichenbach, dass wir
Hessen eine besondere Empathie für das Thema Daten-
schutz haben. Das erste Datenschutzgesetz überhaupt ist
in Hessen im Jahre 1970, übrigens damals von einer so-
zial-liberalen Regierung, Herr Kollege Reichenbach
– lange ist es her –, verabschiedet worden.


(Gerold Reichenbach [SPD]: Das waren noch Zeiten! Da hatten Sie mehr Prozente! Da waren Sie noch nicht bei 1,2 Prozent! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gute alte Zeiten! – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Da war die FDP noch in der Mitte!)


Wir haben damals aber nicht nur das Datenschutzgesetz
verabschiedet, sondern auch einen unabhängigen Daten-
schutzbeauftragten für die öffentliche Verwaltung in
Hessen installiert.

Ich möchte Ihnen, meine sehr verehrten Damen und
Herren, sagen, dass wir uns in den letzten Wochen in den
Ausschüssen des Bundesrats sehr ausführlich sowohl mit
der Verordnung auf der einen Seite wie auch mit der
Richtlinie auf der anderen Seite auseinandergesetzt ha-
ben. Ich gehe davon aus, dass die meistens einstimmig
gefassten Beschlüsse nachher auch vom Plenum des
Bundesrates so bestätigt werden.

Was ist unsere Überlegung? Wir begrüßen zum einen
ausdrücklich, dass es eine Reform des Datenschutzrech-
tes in Europa gibt. Die technische Entwicklung und der
gewandelte gesellschaftliche Umgang mit personenbe-
zogenen Daten lassen die alte Datenschutzrichtlinie aus
dem Jahre 1995 als ungenügend erscheinen bzw. alt aus-
sehen. In einer Zeit – einige Vorredner haben es ja schon
angemerkt –, in der Informationen selbst zur Handels-
ware geworden sind, in der neue Informations- und
Kommunikationsangebote, zum Beispiel Google oder
Facebook, eine ganz andere Art von Umgang mit perso-
nenbezogenen Daten hervorgerufen haben, hat sie nichts
mehr zu bieten.

Darüber hinaus – das ist der zweite Gedanke – sind
wir Ländervertreter im Bundesrat uns einig darüber, dass
es eine Reihe von Gebieten gibt, in denen eine nationale
Regulierung keinen Sinn mehr macht. Das Thema Face-
book und das Thema Google wurden eben angespro-

chen. Wenn Wirtschaftsunternehmen, die personenbezo-
gene Daten verarbeiten, bei der Wahl ihres Standortes
eine Art Cherry-Picking machen können, ihn also da-
nach aussuchen können, wo es die aus ihrer Sicht besten
datenschutzrechtlichen Regelungen gibt, ist klar, dass
eine nationale Regulierung in diesem Bereich nicht aus-
reicht.

Ebenfalls, meine sehr verehrten Damen und Herren,
möchte ich Ihnen auch die Kritik der Länderkammer
vortragen, die sich insbesondere auf zwei Gebiete be-
zieht.

Da ist zum einen die kritische Frage: Ist denn eigent-
lich eine entsprechende Kompetenz vorhanden, in Form
einer EU-Verordnung alles und jedes zu regeln? Ich
möchte darauf hinweisen: Beim Thema Schufa, also bei
der Frage „Wie gehen entsprechende Organisationen mit
der Verarbeitung von personenbezogenen Daten um?“,
haben Sie, der Deutsche Bundestag, eine Änderung des
Bundesdatenschutzgesetzes, übrigens in enger Abspra-
che mit den Ländern, vorgenommen. Ich sage das, damit
Sie alle darüber Bescheid wissen: So etwas wird es künf-
tig nicht mehr geben, weil dann die entsprechende
Rechtszuständigkeit ausschließlich auf europäischer
Ebene liegt. Wir sind der Auffassung, dass das falsch ist.
Wir sind der Auffassung, dass man, wenn man über den
Standard hinausgehen will – in Deutschland liegt ja der
Datenschutz in vielen Gebieten über dem europäischen
Standard, auch über dem künftigen europäischen Stan-
dard –, das auch machen können oder dürfen sollte. Aber
das wäre dann aufgrund der Strukturen des europäischen
Rechts nicht mehr möglich.

Das Zweite ist – auch das ist eben schon angespro-
chen; ich will es einmal etwas polemisch formulieren –:
Die Unabhängigkeit der Datenschutzbeauftragten – wir
in Hessen sind ja stolz darauf, dass wir dieses Amt als
Erste eingeführt haben – wird abgeschafft. Dieses Amt
gehört dann in die Struktur der europäischen Regulie-
rung, und die Kommission entscheidet über diese Fra-
gen. Ich halte das, liebe Kolleginnen und Kollegen, auf
alle Fälle für bedenklich und – wenn ich ganz ehrlich bin –
eigentlich für falsch.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich bin der festen Überzeugung, dass wir es anders orga-
nisieren müssen.

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich
glaube, dass der Deutsche Bundestag die Chance nutzen
sollte, wenn der Bundesrat heute in diesen beiden Berei-
chen die Subsidiaritätsrüge erhebt. Ich bin eben auch als
Europaminister angekündigt worden. Wie ich weiß,
kann man nicht immer – ein Kollege hat es angespro-
chen – mit dem Zeigefinger durch Brüssel gehen und sa-
gen: Europäisches Recht muss sich an deutsches Recht
halten. – Deshalb bin ich bei Subsidiaritätsrügen aus
Prinzip sehr zurückhaltend. Die hier behandelte Frage ist
so wichtig, dass wir sie weiterhin auf die Tagesordnung
setzen müssen.

Wir sollten in Deutschland weiterhin ein sehr moder-
nes Datenschutzrecht haben. Im Sinne der Subsidiarität





Staatsminister Jörg-Uwe Hahn (Hessen)



(A) (C)



(D)(B)


sollten wir die entsprechenden Kompetenzen in den Län-
dern belassen. Aber natürlich muss es im Hinblick auf
den grenzüberschreitenden Verkehr auch ein europäi-
sches Recht geben.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1717305700

Herzlichen Dank, Herr Staatsminister Jörg-Uwe

Hahn. – Nächster Redner in unserer Aussprache ist für
die Fraktion Die Linke unser Kollege Jan Korte. Bitte
schön, Kollege Jan Korte.


(Beifall bei der LINKEN)



Jan Korte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717305800

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Es ist sehr erfreulich, dass wir heute einmal
die Gelegenheit haben, dieses Thema zu einer vernünfti-
gen Uhrzeit zu diskutieren. Ich möchte für die Fraktion
Die Linke vorweg einige grundsätzliche Anmerkungen
machen, bevor ich auf die vorliegenden Anträge der
Grünen konkret eingehe, die übrigens unsere Zustim-
mung finden, weil sie sehr sinnvoll sind.

Wir sprechen über das Thema Datenschutz und
Europa. Wir haben es mit einer zunehmenden Dominanz
von Finanzmärkten, von Rettungspaketen, Sparpaketen
und anderem, übersetzt gesagt: mit einer Diktatur der
Finanzmärkte, zu tun. Ich glaube, dass wir in Europa
mehr Gegenwehr, mehr Kritik brauchen. Vor allem ist
dafür ein unangepasstes Verhalten notwendig.


(Beifall bei der LINKEN)


Der Datenschutz ist neben der Frage der sozialen Sicher-
heit in Europa eine entscheidende Säule für eine intakte
Demokratie, für eine intakte Bürgergesellschaft. Wenn
allerdings immer mehr überwacht und gespeichert wird,
stirbt spontanes Handeln. Menschen fangen an, sich an-
gepasst zu verhalten. Genau das können wir in Europa
zurzeit nicht gebrauchen. Wir brauchen in Europa unan-
gepasstes Verhalten; das ist entscheidend.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn wir über das Thema Datenschutz und Europa
reden, dann ist eine Frage in Deutschland aktuell beson-
ders interessant – vielleicht bekommen wir noch eine
Auskunft dazu –: die Vorratsdatenspeicherung. Es gibt
ein paar Indizien dafür, dass es innerhalb der Bundesre-
gierung Unstimmigkeiten in dieser Frage gibt.


(Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Da trügt der Schein!)


Bei der Vorratsdatenspeicherung geht es bekannter-
maßen – man muss das ja für diejenigen übersetzen, die
zuhören – um die Totalprotokollierung des Kommunika-
tionsverhaltens der Menschen in der Europäischen
Union. Wir erinnern uns: 2010 hat das Bundesverfas-
sungsgericht in aller Deutlichkeit gesagt, dass das, so

wie es in Deutschland umgesetzt wurde, verfassungs-
widrig ist. – Das ist ein sehr gutes Urteil gewesen.

Jetzt haben wir die Situation – das ist sehr interessant –,
dass die zwei letzten Linksliberalen, die es in der FDP
noch gibt – die Justizministerin und ihr wackerer Staats-
sekretär –, sämtlichen Widerstand auffahren, um die
CDU/CSU daran zu hindern, ihr Lieblingsprojekt, die
Vorratsdatenspeicherung – in dem Fall leider zusammen
mit der SPD –, durchzusetzen.


(Gisela Piltz [FDP]: Es gibt manchmal Lob, das man gar nicht hören möchte!)


– Berücksichtigt man die Kollegin Piltz, gibt es viel-
leicht noch zweieinhalb Linksliberale, Bürgerrechtslibe-
rale in der FDP.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Zweieinviertel!)


Das mag sein. So viel Nettigkeit vor dem Wochen-
ende ist in Ordnung.

Wir reden ja über Europa. Interessant ist jetzt folgende
Situation: Die CDU/CSU und in diesem Falle die SPD
sind hochgradig erfreut – sie können damit kaum hinter
dem Berg halten –, dass die Europäische Union voraus-
sichtlich ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutsch-
land einleiten wird. Das ist übrigens eines von 80 bei
insgesamt 2 000 Vertragsverletzungsverfahren in der ge-
samten Europäischen Union. Das ist erst einmal mit Inte-
resse zur Kenntnis zu nehmen. Ich glaube, der Kollege
Stadler und die Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger ha-
ben in dieser Frage sehr recht – der Bundestag sollte sie
dabei unterstützen –, dass die Kommission erst einmal
ihre Hausaufgaben machen und die Richtlinie zur Vor-
ratsdatenspeicherung evaluieren und überprüfen muss.
Das wäre der richtige Schritt.


(Beifall bei der LINKEN)


In diesem einen Fall haben Sie, liebe FDP, unsere Unter-
stützung. Es bleibt nämlich dabei – das ist sachlich ei-
gentlich unbestritten –: Die Vorratsdatenspeicherung ist
unverhältnismäßig. Wir hatten dazu einige hochgradig
emotionale Innenausschusssitzungen.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1717305900

Der Kollege Sebastian Blumenthal hat eine Zwi-

schenfrage. – Bitte schön, Herr Kollege.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Der ist auch noch ein Drittel liberal!)



Sebastian Blumenthal (FDP):
Rede ID: ID1717306000

Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie mir die Zwi-

schenfrage gestatten.

Sie haben einen Großteil Ihrer Redezeit auf Punkte
verwendet, über die wir in der FDP-Fraktion ganz gut
Bescheid wissen. Da brauchen wir jetzt keine Aufklä-
rung von Ihnen.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Aber vielleicht wissen die Leute hier das noch nicht alles!)






Sebastian Blumenthal


(A) (C)



(D)(B)


Meine Frage ist: Haben Sie die Absicht, auch noch
zur Tagesordnung und zu den Anträgen der Grünen zu
sprechen?


(Zuruf von der CDU/CSU: Eine sehr gute Frage!)



Jan Korte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717306100

Lieber Kollege, ich habe Ihnen doch eben zugestan-

den – ich versuche, hier auf Sachpolitik einzugehen –,
dass in diesem einen Fall – als Linker fällt es mir durch-
aus schwer, das auch auszusprechen – die FDP in der Tat
richtig liegt.

Das Problem ist aber, dass der Zustand Ihrer Partei
uns nicht große Hoffnung macht, dass Sie sich in der
Frage der Vorratsdatenspeicherung gegen die CDU/CSU
durchsetzen werden. Deswegen habe ich gesagt: In die-
sem Punkt haben Sie unsere Unterstützung.


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn wir über Europa und Datenschutz reden, dann
muss es doch wohl erlaubt sein, auf die Frage der Vor-
ratsdatenspeicherung einzugehen, die viele Menschen
bewegt. Es ist komisch, dass darauf noch nicht eingegan-
gen wurde. So sieht es aus.


(Beifall bei der LINKEN)


Um zum Thema zurückzukommen: Wir reden davon
– das ist die Position der Linken, und ich finde, das wird
im Antrag der Grünen auch sehr gut dargestellt –, dass
wir eine Umkehr in der europäischen Innenpolitik brau-
chen. Auch die Linke ist in der Tat dafür, dass die Daten-
schutzstandards in der Europäischen Union harmonisiert
werden. Ich glaube, darin sind wir uns alle einig.

Die Frage ist aber: Auf welchem Niveau werden sie
harmonisiert? Das ist doch die Frage in der Auseinander-
setzung, die wir haben. Die Linke tritt dafür ein, die Har-
monisierung auf dem höchstmöglichen Niveau durchzu-
setzen.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie wollen das niedrigstmögliche Niveau. Das ist der
Unterschied, um den es hier heute geht.

Deswegen ist der Antrag der Grünen richtig. Wie es
in diesem Antrag richtig formuliert worden ist, darf es zu
keinerlei Absenkungen des Datenschutzniveaus kom-
men. Dabei ist noch einmal anzumerken – das darf man
nicht vergessen –, dass das Datenschutzniveau, das wir
haben, nicht vom Himmel gefallen ist, sondern relativ
heftig erkämpft und erstritten worden ist von Bürger-
rechtlern, von Bürgerrechtsorganisationen und vielen an-
deren. Allein deswegen gilt es schon, dieses hohe Ni-
veau anzuheben und auf diesem Niveau eine europäische
Harmonisierung hinzubekommen.

Zweiter Punkt zu dem Antrag. Ich glaube, wenn wir
über Europa und Datenschutz sprechen, dürfen wir eines
nicht vergessen: Es geht natürlich nicht, dass – ich
nehme einmal das Beispiel biometrischer Merkmale in
Pässen – die Bundesregierung über Europa Gesetze ein-
bringt und dann sagt: Das kommt von Europa, es gibt

keine Alternative dazu. – Das muss dringend geändert
werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Es wäre schön, wenn diese Bundesregierung nicht als
Anwalt immer neuer Überwachungsmöglichkeiten über
den Umweg Europa auffallen würde, sondern wenn sie
als Anwalt und Garant eines hohen Datenschutzstan-
dards in Europa agieren würde. Das wäre mal was
Neues.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Jetzt möchte ich zu dem anderen Antrag kommen,
den wir heute beraten und der sich mit der Unabhängig-
keit des Bundesdatenschutzbeauftragten befasst. Auch
das hat in der Tat mit Europa zu tun. Das zeigt die ganze
Zweischneidigkeit und Differenziertheit der europäi-
schen Innenpolitik, in der nicht alles schlecht, aber eben
auch nicht alles gut ist.

In diesem Falle gibt es ein wirklich gutes Urteil des
EuGH, in dem es heißt: Die Datenschützer müssen – ich
zitiere – „vor jeglicher Einflussnahme von außen ein-
schließlich der unmittelbaren oder mittelbaren Einfluss-
nahme des Bundes oder der Länder sicher sein …“. Das
ist ein wegweisendes Urteil. Wenn Sie wegen Vertrags-
verletzungsverfahren in große Panik verfallen, verstehe
ich nicht, warum Sie dieses Urteil des EuGH nicht zum
Anlass nehmen, um an der Situation etwas zu ändern. Es
ist doch höchste Eisenbahn, das zu tun. Wir würden Sie
in diesem Falle dabei unterstützen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn wir über die Unabhängigkeit des Bundesdaten-
schutzbeauftragten sprechen, dürfen wir nicht nur über
die institutionelle Unabhängigkeit reden – das ist zu
Recht hier schon angesprochen worden –, sondern – und
das ist natürlich ganz entscheidend in der Politik – wir
müssen auch über die finanzielle Unabhängigkeit, die
haushalterische Unabhängigkeit des Bundesbeauftragten
für den Datenschutz sprechen. Denn – auch das ist in
dem Antrag richtig angedeutet – es gibt immer mehr Da-
teien; die Speicherung nimmt zu. Es gibt übrigens er-
freulicherweise auch ein immer größeres Bewusstsein
für Fragen des Datenschutzes. Allerdings sind die Mittel
des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die In-
formationsfreiheit nicht kongruent mit den neuen He-
rausforderungen gestiegen. Will man eine richtige Unab-
hängigkeit, ist mehr Personal notwendig, damit der
Bundesbeauftragte endlich mit der zunehmenden Spei-
cherung Schritt halten und analog dazu seinen Prüfauf-
gaben nachkommen kann. Dafür ist seine finanzielle Un-
abhängigkeit notwendig.


(Beifall bei der LINKEN)


Zu überlegen ist auch, ob wir nicht bei Gesetzen, die
für den Bundesbeauftragten für den Datenschutz einen
erhöhten Personalaufwand mit sich bringen – ein aktuel-
les Beispiel sind die Dateien zum Thema Rechts-
extremismus –, die dafür notwendigen Kosten im Ge-
setzgebungsverfahren berücksichtigen sollten. Das ist





Jan Korte


(A) (C)



(D)(B)


vielleicht eine konkrete Idee, über die wir uns interfrak-
tionell verständigen können.

Zu dem letzten Antrag, der heute beraten wird, ist
schon viel gesagt worden. Rund 48 Prozent der bundes-
deutschen Bevölkerung kommunizieren in sozialen
Netzwerken. Erfreulich ist, dass es aufgrund vieler De-
batten und politischer Entwicklungen bei den dort Akti-
ven zunehmend ein Bewusstsein für Fragen des persönli-
chen Datenschutzes und die persönliche Integrität gibt.
Das ist, glaube ich, eine sehr gute Entwicklung. Es ist
völlig logisch, dass beispielsweise Facebook oder
Google völlig andere Interessen haben. Im Kapitalismus
ist das so; das ist zunächst so festzuhalten. Deswegen ist
an dieser Stelle der Staat gefragt. Alle Selbstverpflich-
tungserklärungen, auf die die FDP, die CDU und die
CSU setzen, haben sich in allen Politikbereichen – seien
es die Umweltfragen in den 80er-Jahren oder heute das
Thema soziale Netzwerke und Fragen des Datenschutzes –
als völlige Lach- und Luftnummern entpuppt. Das
müsste einem klar sein, wenn man die Fakten zur Kennt-
nis nimmt.


(Beifall bei der LINKEN)


Daher bringen Selbstverpflichtungen überhaupt nichts.
Sinnvoll ist vielmehr, dass jeder, der sich in den sozialen
Netzwerken bewegt, selber aufpasst und versucht, so
weit wie möglich zu steuern, was er dort tut und was er
dort einstellt. Entscheidend ist aber, dass wir mit Selbst-
verpflichtungen der großen Konzerne nicht weiterkom-
men. Hier muss vor Ort und in Europa staatlicherseits
eingegriffen werden. Deswegen unterstützen wir den
vorliegenden Antrag zu diesem Thema.

Ich komme zum Schluss. Ich glaube, dass der Daten-
schutz ein zentrales Anliegen von uns allen sein sollte.
Zumindest für den Großteil der Opposition kann ich fest-
stellen, dass das der Fall ist. Bei der FDP ist davon leider
nicht viel übrig geblieben. Das wäre vielleicht eine Mög-
lichkeit, sich in dieser Frage zu profilieren.


(Gisela Piltz [FDP]: Ehrlich gesagt, Herr Korte, kann ich auf Ihre Ratschläge wirklich verzichten!)


– Sie sagen, Sie können auf die Ratschläge verzichten.
Das glaube ich angesichts Ihrer Wahlergebnisse nicht.
Sie sollten ein paar Ratschläge annehmen. Dann wären
Sie vielleicht erfolgreicher.

Aber davon abgesehen glaube ich, dass Datenschutz
nicht nur ein Thema für Fachpolitiker, sondern auch ein
großes Thema für die Öffentlichkeit ist.


(Gisela Piltz [FDP]: Zu dem Thema kann ich mir von der Linken sowieso nichts sagen lassen!)


Ich glaube darüber hinaus, dass Datenschutz ein elemen-
tares Abwehrrecht gegenüber dem Staat und einer un-
kontrollierbaren Wirtschaftsmacht in Deutschland und
Europa ist. Das ist eine ganz entscheidende Feststellung.


(Gisela Piltz [FDP]: Dann haben Sie aber die Grundrechte nicht ganz verstanden!)


Ich gehe abschließend noch ein Stück weiter: Ich glaube,
der Datenschutz ist ein offensives Bürgerrecht, und er
muss, gerade wenn wir über Europa reden, als Mittel des
Protests und der Unangepasstheit dienen, um endlich ein
solidarisches und soziales Europa zu schaffen. Das funk-
tioniert mit Ihrer Trümmertruppe leider nicht.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1717306200

Vielen Dank, Kollege Jan Korte. – Nächster Redner

für die Fraktion der CDU/CSU ist unser Kollege
Michael Grosse-Brömer. Bitte schön, Herr Kollege.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Michael Grosse-Brömer (CDU):
Rede ID: ID1717306300

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich bin doch einigermaßen zufrieden, dass
Sie, Herr Korte, zum Schluss doch noch die Kurve zur
Sozialpolitik gekriegt haben; mir hätte das sonst gefehlt.


(Jan Korte [DIE LINKE]: Ja, das ist zwanghaft bei mir!)


– Deswegen sind Sie auch in Ihrer Fraktion und nicht in
unserer.


(Jan Korte [DIE LINKE]: Das stimmt! – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Er ist ein guter Mann!)


Datenschutz war natürlich auch schon zu früheren
Zeiten eine Aufgabe, nur einfacher zu handeln. Es gibt
noch ein paar Kolleginnen und Kollegen in meinem Al-
ter. Wir wissen noch, dass man Briefe auch handschrift-
lich verfassen und dann verschicken kann. Wer wollte,
dass der Inhalt nicht bekannt wird, packte diesen Brief
einfach nur in einen Umschlag. Wer vielleicht sogar be-
wusst wollte, dass der Inhalt bekannt wird, schrieb eine
Postkarte oder eine Ansichtskarte.


(Gisela Piltz [FDP]: Offener Brief! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das konnte er sogar anonym machen!)


Jedenfalls entschied der Absender immer selbst, in wel-
chem Maß Datenschutz für ihn wichtig oder gegebenen-
falls völlig unwichtig war. Der Staat hat dann etwas ganz
Sinnvolles gemacht. Er hat für die Fälle, in denen der
Bürger entschieden hat, dieser Brief wird in einem ge-
schlossenen Kuvert verschickt, den Inhalt durch das
Postgeheimnis geschützt. Ich glaube, der Staat hat jetzt
die Aufgabe, Wege zu finden, wie man den Datenschutz
auf der Grundlage der Wünsche der Menschen sichert.


(Kerstin Tack [SPD]: Richtig! – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Vorratsdatenspeicherung!)


– Dazu komme ich gleich noch.


(Zuruf der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE])






Michael Grosse-Brömer


(A) (C)



(D)(B)


– Aber Sie sind doch im Ausschuss nicht so unruhig und
schon gar nicht so ungeduldig, Frau Kollegin.

Ich gehe mit meiner Fraktion jedenfalls vom mündi-
gen Bürger aus,


(Beifall des Abg. Dr. Peter Röhlinger [FDP])


der erst einmal selbst entscheidet, ob er Datenschutz will
oder nicht. Ich glaube, das ist die richtige Grundlage, im
Übrigen auch beim Verbraucherschutz. Wir als Union
und vielleicht auch als Koalition unterscheiden uns da
von Ihnen. Sie trauen den Menschen nicht zu, für sich
selbst verantwortlich sein zu können. Ich möchte nicht,
dass der Staat mir mein Leben grundsätzlich erklärt und
alles vorschreibt. Ich möchte erst einmal selbst entschei-
den, was ich will und was ich nicht will, auch im Hin-
blick auf den Datenschutz.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1717306400

Gestatten Sie eine Zwischenfrage unseres Kollegen

Reichenbach?


Michael Grosse-Brömer (CDU):
Rede ID: ID1717306500

Selbstverständlich.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1717306600

Bitte schön, Kollege Reichenbach.


(Gisela Piltz [FDP]: Das ist bei Reichenbach immer eine Kurzbelehrung!)



Michael Grosse-Brömer (CDU):
Rede ID: ID1717306700

Das wird er sich nicht trauen. Er wird jetzt eine kurze

Frage stellen.


Gerold Reichenbach (SPD):
Rede ID: ID1717306800

Ich habe eine Frage zu Ihrem Beispiel. Beispiele hin-

ken ja bekanntlich.


Michael Grosse-Brömer (CDU):
Rede ID: ID1717306900

Aber nicht alles, was hinkt, ist ein Beispiel; das sollte

man auch noch sagen.


Gerold Reichenbach (SPD):
Rede ID: ID1717307000

Genau. – Beispiele sind aber auch immer schön. Um

bei Ihrem Beispiel mit dem Briefumschlag zu bleiben:
Jetzt haben wir aber die Situation, dass die Industrie
Briefumschläge verkauft, die gegenüber dem Nutzer so
aussehen, als seien es Briefumschläge; bestimmte Unter-
nehmen aber können da hineingucken. Sind Sie der Auf-
fassung, dass diese Unternehmen gezwungen werden
sollten, zu kennzeichnen, dass dieser Briefumschlag
nicht für alle dicht ist, sondern für sie offen und einseh-
bar?


Michael Grosse-Brömer (CDU):
Rede ID: ID1717307100

Ja, ich glaube, da sind wir einer Auffassung. Ich bin

der Meinung, dass gerade bei den sozialen Netzwerken
Sensibilität wesentlich mehr angezeigt ist als bei der
Vorratsdatenspeicherung und bei allem anderen, was hier

mit Kampfbegriffen bezeichnet wird, wo dem Staat ein
Aufspürinteresse grundsätzlicher Art unterstellt wird.
Man denkt: Wir kaufen einen Computer, und da ist im-
mer ein kleiner Bundesinnenminister drin, der dann
gleich alles nach Berlin weiterschickt.


(Heiterkeit der Abg. Gisela Piltz [FDP] – Gerold Reichenbach [SPD]: So langsame Computer gibt es nicht mehr!)


Das ist der wahre Unsinn. Deswegen gebe ich Ihnen
recht. Ich glaube, in den sozialen Netzwerken ist die Ge-
fahr des Datenmissbrauchs für jeden einzelnen Bürger
und für jede einzelne Bürgerin wesentlich größer als bei
den Themen, über die wir hier sonst diskutieren. Deswe-
gen bin ich mit Ihnen der Auffassung: Wir müssen da-
rüber nachdenken – dazu komme ich gleich noch –, wie
wir Wege finden, möglichst auch grenzüberschreitend,
um Datenmissbrauch zu verhindern. Ich halte es für völ-
lig falsch, dass von 15-jährigen oder 16-jährigen Kin-
dern Profile erstellt werden.


(Kerstin Tack [SPD]: Das stimmt!)


Ich glaube, das können wir alle nicht wollen. Da müssen
wir überlegen, wie man das verhindert; gar keine Frage.


(Gerold Reichenbach [SPD]: Dann können Sie unserem Vorschlag ja auch zustimmen!)


– Wir können uns auch gleich persönlich noch ein biss-
chen unterhalten. Ich möchte jetzt eben die Rede zu
Ende führen.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Mein grundsätzlicher Gedanke geht dahin, dass wir
mit der freiwilligen Selbstverpflichtung und auch mit der
Vorstellung vom mündigen Bürger arbeiten müssen. Wir
müssen die Medienkompetenz des Bürgers stärken, und
er muss selbst entscheiden, wie er vorgehen will. Deswe-
gen finde ich den grundsätzlichen Ansatz in dem Antrag
der Grünen gar nicht falsch. Endlich einmal wird er-
kannt, dass da vielleicht ein wesentlich größeres Daten-
schutzproblem besteht als bei den Mindestspeicherungs-
fristen, über die wir sonst immer diskutieren. Wir haben
auf Antrag der Grünen und sonstiger Kolleginnen und
Kollegen auch über die akustische Wohnraumüberwa-
chung diskutiert.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gott sei Dank!)


Die hat 2010 viermal stattgefunden. Es ist manchmal
sinnvoller, wenn man über die Fakten und Probleme re-
det, die es täglich gibt. Da sind Facebook, Google und
alles, was damit zusammenhängt, wesentlich gefährli-
cher als das, was wir sonst diskutieren.

Ich glaube auch, wir müssen gerade in dieser Hinsicht
aufpassen. Das diffuse Gefühl des Beobachtetseins, das
das Bundesverfassungsgericht im Urteil zur Vorratsda-
tenspeicherung festgestellt hat, das bei den Menschen
offensichtlich vorhanden ist, erlegt uns vielleicht auf,
einmal seriös mit dem Thema umzugehen, den Leuten
keine Angst zu machen, sondern ihnen zu erklären: Der
Staat kann deine Daten nur bekommen, wenn er den





Michael Grosse-Brömer


(A) (C)



(D)(B)


starken Verdacht einer Straftat hat, einer Tat, die mit Ter-
rorismus zusammenhängt. Aber dann muss er es auch
noch von einem Richter genehmigen lassen. Der Staat ist
also nicht das Problem. Das Problem sind große, welt-
weit agierende Unternehmen, die Profile erstellen, weil
sie sich daraus Vorteile erhoffen. Das können wir nicht
zulassen, jedenfalls dann nicht, wenn die Menschen
nicht wissen, was mit ihren Daten passiert. Das ist,
glaube ich, die große Aufgabe, die wir gemeinsam ha-
ben. Deswegen bin ich ganz froh darüber, dass die Grü-
nen fordern – ich glaube, wir alle sollten das tun –, dass
wir uns mit dem EU-Datenschutzpaket beschäftigen.
Wir müssen es aktiv mitgestalten und überlegen, wie es
künftig ausgestaltet sein könnte.

Ich möchte in diesem Zusammenhang einen Aspekt
erwähnen, der hier noch gar nicht angesprochen wurde:
Hierbei ist besondere Sorgfalt geboten, wie auch aus be-
rufenem Munde zu hören war; denn mit einer Vollhar-
monisierung des Datenschutzrechtes durch eine europäi-
sche Verordnung könnte – so jedenfalls die Auffassung
eines Bundesverfassungsrichters – die Kontrollfunktion
des Bundesverfassungsgerichts beim Datenschutz ausge-
schaltet werden. Darüber müssen wir reden. Damit
könnte die Rechtsprechung zum Datenschutz nach
30 Jahren Geschichte werden. Da diese Verordnung wie
ein europaweites Gesetz wirkt, müssen wir schon überle-
gen, wie wir in Deutschland, wo das Datenschutzniveau
hoch ist, mit einer solchen Verordnung umgehen wür-
den. Darauf hat Johannes Masing, Richter am Bundes-
verfassungsgericht, Anfang Januar in der Süddeutschen
Zeitung hingewiesen. Er hat sogar davor gewarnt, dass
die Grundrechte dann nicht mehr anwendbar seien und
Einbußen beim Grundrechtsschutz entstehen könnten.
Seinen Worten nach – ich zitiere –

erweisen sich die scheinbar rechtstechnisch daher-
kommenden Regulierungsvorschläge der Europäi-
schen Kommission zum Datenschutz als hochpoli-
tisch. Ihrer Wirkung nach haben sie das Potenzial
einer tiefgreifenden Verfassungsänderung – und
müssen als solche diskutiert werden.

Das ist auch für uns eine besondere Herausforderung.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Es ist nicht so, dass alles nur glorreich abzuwickeln wäre –
Hauptsache, wir haben ein bisschen grenzüberschreiten-
den Datenschutz. Wir haben da noch einiges zu tun.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


Darüber haben wir noch intensiv zu diskutieren. Das
Verfahren in Brüssel läuft gerade erst an. Ich habe heute
Vormittag noch mit einem Kollegen in Brüssel telefo-
niert. Ich glaube, es gab bislang eine vierjährige Vor-
arbeit in Kooperationsrunden, und jetzt rechnet man
noch mit anderthalb Jahren Arbeit an diesem Thema.
Deswegen haben wir als Bundestag noch ausreichend
Möglichkeiten, uns einzubringen.

In Ihrem Antrag zum Bundesdatenschutzbeauftrag-
ten habe ich nicht so richtig verstanden, warum er nicht
unabhängig handeln können soll.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darüber können wir nachher noch mal reden!)


Nach § 22 Abs. 4 Bundesdatenschutzgesetz ist er in der
Ausübung seines Amtes unabhängig und nur dem Gesetz
unterworfen. Freie Stellen können nur im Einvernehmen
mit ihm besetzt werden.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber er kann nicht selber besetzen!)


– Ja, das muss er vielleicht auch nicht, wenn er grund-
sätzlich auf das Personal zugreifen und selbst entschei-
den kann, ob es ihm passt oder nicht. Das ist doch kein
Zeichen fehlender Unabhängigkeit.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja, wenn wir das bei Ihnen im Büro auch so handhaben können!)


– Es ehrt mich ja, dass Sie mich mit dem Bundesdaten-
schutzbeauftragten vergleichen, aber meine Aufgaben
sind glücklicherweise, insbesondere in meinem Büro,
andere.

Das von Ihnen zitierte Urteil des EuGH ist jedenfalls
nicht passend; denn es bezieht sich nur auf die Länder.
Es gibt nach meiner Kenntnis jetzt ein Verfahren gegen
Österreich; vielleicht sollte man das abwarten, damit
man konkrete Informationen hat. Es sollten nicht vor-
schnell irgendwelche Forderungen aufgestellt werden.

Jedenfalls können wir als Parlamentarier im Deut-
schen Bundestag doch erst einmal froh und glücklich
sein, dass eine so kluge Frau wie die Kommissarin
Reding am 21. März 2012 gesagt hat:

Ihr habt bislang den stärksten Datenschutz in
Europa, und das Bundesdatenschutzgesetz hat mich
bei meiner Arbeit inspiriert.

Da muss man doch einmal sagen: Herzlichen Glück-
wunsch, Bundesregierung! Alles habt ihr auch nicht
falsch gemacht.


(Lachen der Abg. Kerstin Tack [SPD] – Gerold Reichenbach [SPD]: Das hat der Staatssekretär auch nicht verstanden!)


Manches scheint doch ganz gut zu sein. Aber natürlich
ist es Aufgabe der Opposition, Fehler zu suchen; das
nehmen wir Ihnen auch gar nicht übel.

Ich will zum Schluss noch sagen: Wie immer hat die
EU auch ein paar ganz tolle Ideen, zum Beispiel zu Ver-
bandsklagerechten. Das findet meine Fraktion nicht so
toll. Es soll derjenige klagen, der in seinen Rechten be-
einträchtigt ist.

Wir werden also eine spannende Debatte zu spannen-
den Themen führen. Aus unserer Sicht müssen dabei im-
mer die Selbstverantwortung und auch das Selbstbe-
wusstsein der Menschen sowie deren Bereitschaft, sich
mit dem Thema auseinanderzusetzen, um künftig medial





Michael Grosse-Brömer


(A) (C)



(D)(B)


sensibler zu sein, berücksichtigt werden. Ich glaube, das
ist unser aller Verpflichtung. Das geht in diesem Fall
auch einmal ohne Gesetz. Wir haben also noch viel zu
diskutieren; und das werden wir auch tun. Es wird span-
nend werden.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1717307200

Vielen Dank, Kollege Grosse-Brömer. – Jetzt spricht

für die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kollegin
Kerstin Tack. Bitte schön, Frau Kollegin Kerstin Tack.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Kerstin Tack (SPD):
Rede ID: ID1717307300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

glaube, wenn wir uns über die europäische Verordnung
unterhalten, merken wir an vielen Stellen, dass wir Ge-
meinsamkeiten haben, über die es sich zu reden lohnt.
Wir merken aber auch, dass wir die Verbraucherinnen
und Verbraucher einbeziehen müssen, wenn es um die
Frage geht: „Wo und warum sehen wir Regelungs- und
Handlungsbedarf?“, wenn es darum geht, Verbraucherin-
nen und Verbraucher im Netz zu schützen und den
Datenschutz hier so ernst zu nehmen wie außerhalb der
digitalen Welt. Deshalb diskutieren wir über die Netz-
politik.

Das Internet ist eine der größten Errungenschaften. Es
ist selbstverständlich, dass wir Internet haben. Wir alle
nutzen es regelmäßig. Insbesondere der weltweite Aus-
tausch stellt sich ganz anders dar. Aber – auch das ist
klar – wer sich im Netz bewegt, ist auf der einen Seite
Verbraucher, auf der anderen Seite aber auch Anbieter;
denn er konsumiert auf der einen Seite, aber er handelt
auf der anderen Seite, nämlich mit seinen persönlichen
Daten. Das Zahlungsmittel im Internet, in der digitalen
Welt messen wir nicht in Euro, sondern in der Eingabe
der persönlichen Daten. Die Erkenntnis, dass dies nicht
kostenlos ist, dass ich mit meinen persönlichen Daten,
die ich eingebe, zahle, weil andere ein wirtschaftliches
Interesse daran haben und Vorteile daraus ziehen, muss
reifen. Wir müssen uns klarmachen, warum wir Daten-
schutz im Internet brauchen, der sich am Datenschutz
außerhalb der digitalen Welt misst. Ich mache an drei
Beispielen deutlich, was das bedeuten kann.

Ich fange an mit Paul. Paul ist erst 13 Jahre alt. Er ist,
wie viele seiner Freunde und Mitschüler, in sozialen
Netzwerken. Seine Eltern nehmen das zur Kenntnis und
unterstützen das auch ein Stück weit. Er gibt ganz selbst-
verständlich seine Daten, seinen Namen, seine Adresse
und auch sein Geburtsdatum ein. Er chattet mit Freun-
den. Er lädt Bilder hoch. Er gibt im Netz Kommentare
ab. Das alles macht er ganz selbstverständlich, ohne dass
irgendjemand daran interessiert ist. Wenn er seine Bilder
hochlädt, so lädt er auch Bilder hoch, von denen man sa-
gen würde: Na ja, ob das die Bilder sind, die uns alle in-
teressieren? – Es sind zum Beispiel Fotos, auf denen ge-
rauft wird. Diese Fotos, auf denen er im Netz nicht
immer nur positiv dargestellt wird, können ihm an ande-
rer Stelle aber wieder begegnen. Wenn sich unser Paul
mit 16 Jahren zum Beispiel als Einzelhandelskaufmann

bewirbt, könnte ein potenzieller Arbeitgeber sagen:
„Dich halten wir für charakterlich nicht geeignet“, weil
er sich im Netz über Paul informiert hat. An dieser Stelle
merken wir, dass es möglich sein muss, einmal ins Inter-
net Gestelltes wieder löschen zu können. Würde Paul in
der nicht digitalen Welt seine Fotos seinen Freunden zur
Kenntnis geben und sie in der Schule oder woanders auf-
hängen, könnte er sie wieder abhängen. Das muss auch
im Internet möglich sein. Hier zeigt sich, dass es auf eu-
ropäischer Ebene Handlungsbedarf gibt.

Paul ist 13 Jahre alt und nicht geschäftsfähig.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1717307400

Frau Kollegin Kerstin Tack, gestatten Sie eine Zwi-

schenfrage?


Kerstin Tack (SPD):
Rede ID: ID1717307500

Ja, bitte schön.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1717307600

Bitte schön.


Manuel Höferlin (FDP):
Rede ID: ID1717307700

Sehr verehrte Kollegin Tack, ich möchte auf Paul zu-

rückkommen.


Kerstin Tack (SPD):
Rede ID: ID1717307800

Gerne.


Manuel Höferlin (FDP):
Rede ID: ID1717307900

Ich weiß nicht, ob Sie wirklich mit Paul gesprochen

haben oder ihn sich ausgedacht haben. Ich habe mit Re-
alschulklassen aus meinem Wahlkreis gesprochen. Das
sind 13-, 14-jährige Schüler. Ich muss sagen: Entgegen
meiner Erwartung war ich höchst überrascht, dass diese
Realschüler zu 80 bis 85 Prozent ihre Facebook-Profile
gesichert hatten. Ich jedenfalls konnte nicht darauf zu-
greifen. Es gibt also durchaus ein Bewusstsein dafür, wie
man mit dem Datenschutz umgeht. Ich weiß nicht, wer
Paul ist; ich kenne ihn nicht. Aber vielleicht kennen Sie
ihn. Haben Sie das einmal überprüft? Meine Erfahrung
jedenfalls ist eine andere.

Sie fordern, es solle im Internet die Möglichkeit ge-
ben, die Bilder wieder zurückzuholen, so wie in der ana-
logen Welt, wenn man Bilder in der Schule verteilt hat.
Ich weiß nicht, wo Sie zur Schule gegangen sind; aber
ich weiß, dass sich Peinlichkeiten, die man sich in der
analogen Welt geleistet hat – ich möchte keine Beispiele
nennen; aber Sie können sich vielleicht Peinlichkeiten
eines Jugendlichen bei einem Dorffest vorstellen –, nicht
rückgängig machen lassen. Darüber wird noch nach
20 Jahren geredet. Wie wollen Sie es in der digitalen
Welt überhaupt technisch realisieren, Dinge, die einmal
eingestellt wurden, wieder zurückzunehmen? Bilder, die
Sie einmal in der Schule verteilt haben, bekommen Sie
auch nicht mehr zurück. Ich finde das, was Sie hier vor-
tragen, völlig lebensfremd.


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das ist ein FDP-Problem zurzeit! Darunter leiden Sie!)







(A) (C)



(D)(B)



Kerstin Tack (SPD):
Rede ID: ID1717308000

Herzlichen Dank, Herr Kollege. Ich glaube, an dieser

Stelle merken wir, wie hoch die Anforderungen sein
müssen, die wir an den Datenschutz stellen. Das gilt vor
allem im Hinblick darauf, wie schnell sich die Daten-
schutzbestimmungen und die Einstellungen in den sozia-
len Netzwerken verändern. Man hat es nämlich zum Ziel
des wirtschaftlichen Interesses gemacht, zu sagen: Die
Einstellungen für einen gesicherten Datenschutz im Netz
werden ständig geändert. Es gehört zum Geschäftsmo-
dell, bei den Schutzbestimmungen immer wieder Verän-
derungen herbeizuführen. Man will die Schnelllebigkeit
im Netz nutzen, sodass die jungen Leute und alle ande-
ren dies nicht mitbekommen. Das ist doch reines Ge-
schäftsinteresse. Hier gilt es eine Schutzfunktion einzu-
bauen. Darum wollen wir im Datenschutz Regelungen
einführen, die über die Haltung „Wenn ihr euch selber
nicht genügend informiert, dann seid ihr eben schutzlos“
hinausgehen.

Lassen Sie mich fortfahren.


(Manuel Höferlin [FDP]: Sie haben meine Frage nicht beantwortet!)


Auch und insbesondere für die ältere Generation sind
folgende Fragen wichtig: Wie schützen wir im Netz?
Wie kann man erreichen, dass jeder ein eigenes Interesse
an seinen Zugängen entwickelt? Wie schaffen wir es, die
Verbraucherinnen und Verbraucher im Hinblick auf die
Einwilligungsvorbehalte über nötige und einzuhaltende
Schutzfunktionen zu informieren, bevor mit ihren Daten
gearbeitet wird? – Die Verbraucherinnen und Verbrau-
cher müssen wissen, welche Daten von ihnen erhoben
werden und was mit ihren Daten geschieht. Darüber
müssen sie von vornherein eine klare Vorstellung haben,
und dem müssen sie auch zugestimmt haben. Sie dürfen
sich nicht darauf verlassen, dass die Schutzbestimmun-
gen schon ausreichen und die Daten nicht missbräuch-
lich verwendet werden.

Insbesondere wenn es um das Ausspionieren des
Surfverhaltens von Verbraucherinnen und Verbrauchern
geht, ist es wichtig, dass die Bundesregierung die
EU-Cookie-Richtlinie in nationales Recht umsetzt; das
wurde bereits mehrfach angesprochen. Wir wollen die-
sen Schutz; er muss klar und deutlich umgesetzt werden.

Ich komme zum Schluss. Wenn es um die Daten im
Internet geht, die als Wirtschaftsgut gelten, ist ein Ver-
braucherschutz mit entsprechenden Informationen, mit
Transparenz und mit einer Kontrolle sämtlicher Vor-
gänge im Internet unabdingbar. Diesen Schutzgedanken
müssen wir auf europäischer Ebene regeln; das ist ganz
klar. Aber auch auf nationaler Ebene müssen wir unsere
Regelungskompetenzen ernst nehmen und, soweit erfor-
derlich, die notwendigen gesetzlichen Maßnahmen er-
greifen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1717308100

Vielen Dank, Frau Kollegin Kerstin Tack. – Nächste

Rednerin für die Fraktion der FDP ist unsere Kollegin
Gisela Piltz. Bitte schön, Frau Kollegin Gisela Piltz.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Gisela Piltz (FDP):
Rede ID: ID1717308200

Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol-

legen! Ich denke, es ist klar, was jetzt kommt, nach den
Reden von Herrn von Notz und von Herrn Reichenbach.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dass bei Rot-Grün alles viel schlimmer war! – Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


– Danke. Warum sagt ihr es denn nicht selber? – Ich
habe einmal den Koalitionsvertrag von 1998 mitge-
bracht. Darin findet sich kein einziges Wort zum Daten-
schutz. Dort steht aber:

Wir setzen uns in der EU zur Stärkung der Inneren
Sicherheit und zur Gewährleistung der Bürger-
rechte folgende Ziele:

Verbesserung der grenzüberschreitenden Zusam-
menarbeit bei der Verbrechensbekämpfung sowie
Ausbau von Europol unter Gewährleistung der ge-
richtlichen Kontrolle und der Befassungsrechte des
Europäischen Parlaments.

Datenaustausch schon; aber Datenschutz hatten Sie nicht
auf dem Schirm.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war vor 14 Jahren! Es geht ums Jetzt!)


Im Koalitionsvertrag 2002 – das ist noch gar nicht so
lange her –


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur zehn Jahre!)


stand Folgendes:

Wir werden das Datenschutzrecht auf der Grund-
lage der Vorarbeiten der 14. Legislatur umfassend
reformieren.

Darauf warten wir bei Ihnen bis heute.

Der Schutz der Daten der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer wird erstmals in einem eigenen Ge-
setz verankert.

Das hören Herr Frieser und ich besonders gerne. Herzli-
chen Glückwunsch, Herr Kollege!


(Gerold Reichenbach [SPD]: Da haben Sie doch auch nichts hingekriegt!)


– In der Realität haben Sie nichts gemacht; wir arbeiten
wenigstens daran. Das unterscheidet uns.


(Gerold Reichenbach [SPD]: Nur am Schutz der Arbeitgeber, nicht am Schutz der Arbeitnehmer! Das ist ein Unterschied! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Thema verfehlt, Frau Piltz!)


Weil es so schön ist: Es gab ein Terrorismusbekämp-
fungsgesetz, ein Finanzmarktförderungsgesetz, ein
GKV-Modernisierungsgesetz, ein Gesetz zur Änderung





Gisela Piltz


(A) (C)



(D)(B)


des Bundesgrenzschutzgesetzes, ein Steueränderungsge-
setz, ein Telekommunikationsgesetz, ein EU-Passagier-
datenabkommen und ein Gesetz zur Neuregelung von
Luftsicherheitsaufgaben. All das sind Regelungen aus
Ihrer Zeit, bei denen Sie sich nicht um den Datenschutz
gekümmert haben. Wir brauchen von Ihnen keine Beleh-
rung.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welches Gesetz haben Sie denn jetzt geändert mit Ihrer Mehrheit? Kein einziges wurde abgeändert!)


Wenn wir hier und heute über einen europäischen
Rechtsrahmen für den Datenschutz reden, geht es im Er-
gebnis um nicht mehr und nicht weniger als die nahezu
vollständige Ersetzung, das heißt Außerkraftsetzung, des
nationalen Datenschutzrechtes. Entsprechend sorgfältig
sollten wir alle uns mit den Entwürfen beschäftigen.


(Zuruf des Abg. Gerold Reichenbach [SPD])


– Hören Sie auf, zu blöken. – Zunächst ist es gut und
richtig, dass die Ansätze der Kommission mehr sind als
eine Lex Google oder eine Lex Facebook. Es geht um
eine harmonisierte Rechtsordnung im gesamten Binnen-
markt und damit auch außerhalb der virtuellen Welt. Das
muss man sehen; denn wir reden hier nur über die virtu-
elle Welt. Es geht um allgemein verbindliche Rechte für
die Betroffenen und um einheitliche Spielregeln für
sämtliche Branchen. Wir alle wissen: Manches, was für
uns ein kleiner Schritt ist – ich spreche in diesem Zu-
sammenhang zum Beispiel vom Datenschutzbeauftrag-
ten –, ist ein großer Schritt für Europa. Das sollten wir
nie vergessen.

Die uns vorliegenden Anträge sind eine ordentliche
Diskussionsgrundlage. Wir freuen uns, dass damit end-
gültig die Modernisierung des Datenschutzrechtes ange-
stoßen wird.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie reden von unseren Anträgen, hoffe ich!)


Wir finden die holzschnittartigen Vorwürfe, die Sie uns
immer machen, nicht ganz passend, weil sie nicht der
Sache dienen.

Wir haben natürlich auch Kritik; das ist klar. Vor al-
lem im nicht öffentlichen Bereich sollte sich eine unmit-
telbar wirkende Verordnung und der damit verbundene
hohe Grad der Harmonisierung sowohl auf alle Unions-
bürger als auch auf die datenverarbeitende Wirtschaft
positiv auswirken, dies vor allem deshalb, weil künftig
auch solche Unternehmen vom Rechtsregime der EU er-
fasst werden, die ihren Sitz nicht in der EU haben; da-
rauf ist schon hingewiesen worden. Ein hoher Harmoni-
sierungsgrad darf auf der anderen Seite nicht dazu
führen, dass das hohe deutsche Datenschutzniveau un-
terschritten wird; darauf werden wir sehr sorgfältig ach-
ten.

Es geht hier um Grundrechtseingriffe. Da muss man
ganz klar sagen – das war bei einigen von Ihnen nicht so
ganz klar –: Es geht im Verhältnis zwischen den Betrof-

fenen und den verantwortlichen nicht öffentlichen Stel-
len vor allen Dingen um die Betätigung und Ausübung
von Grundrechten. Nach unserer Einschätzung muss das
noch klarer herausgearbeitet werden. Das fehlt uns in
den Anträgen.

Ich wende mich an die Kollegen von den Grünen. Aus
unserer Sicht lässt sich bei Ihren Vorschlägen ein auffäl-
liges Missverhältnis zulasten des Datenschutzes bei der
polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit erkennen.
Zu den Vorstellungen der Europäischen Kommission,
wie der Schutz der Bürgerrechte gerade in diesem sen-
siblen Bereich in Zukunft ausgestaltet sein soll, sagen
Sie gar nichts; aber das wundert einen nicht wirklich.

Am Ende haben auch wir noch viele Kritikpunkte. Ei-
nige sind hier schon, verstreut über alle Reden, genannt
worden. Auch wenn man sich mit der europäischen Sa-
che beschäftigt, gibt es noch viele Kritikpunkte. So stellt
sich etwa die Frage, ab welcher Größe der Unternehmen
es Datenschutzbeauftragte geben sollte. Die Tatsache,
dass dort 45 Rechtsetzungsakte vorgesehen sind, kann
man als stolzer Parlamentarier nicht hinnehmen. Wir
werden uns darum kümmern müssen, dass viele Sachen
nicht direkt geregelt werden. Die Fragen, wie wir das
Bußgeld, das Verbandsklagerecht und die Altersgrenze
regeln, sind angesprochen worden.

Frau Kollegin Tack, ich wundere mich schon, dass
Sie für die SPD eine nicht gegenderte Rede halten und
nur von Paul reden dürfen. Bei uns müsste man schon
von Paul und Paula sprechen.


(Gerold Reichenbach [SPD]: Paula ist doch durch die Zwischenfrage der FDP geklaut worden!)


Wenn Sie schon das Beispiel des 13-jährigen Paul nen-
nen, dann hätte ich mir schon – das hätte ich mir ge-
wünscht – eine Äußerung zu der Altersgrenze auf euro-
päischer Ebene gewünscht. Denn es ist aus unserer Sicht
nicht hinzunehmen, dass das total undifferenziert ist.


(Gerold Reichenbach [SPD]: Das hat sie doch gesagt!)


– Ja, der erwähnte Paul war 13. Wir wissen immer noch
nicht, ob es ihn gibt. Wir würden ihn gerne kennenler-
nen. – Wir werden sicherlich alle gemeinsam daran ar-
beiten, dass der Datenschutz in Europa und damit in
Deutschland noch besser wird.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1717308300

Vielen Dank, Frau Kollegin Gisela Piltz. – Nächster

Redner in unserer Aussprache ist für die Fraktion der
CDU/CSU unser Kollege Stephan Mayer. Bitte schön,
Kollege Stephan Mayer.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1717308400

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kollegin-

nen! Sehr geehrte Kollegen! Das EU-Datenschutzrecht





Stephan Mayer (Altötting)



(A) (C)



(D)(B)


ist in die Jahre gekommen. Die noch heute gültige EU-
Datenschutzrichtlinie stammt aus dem Jahr 1995, ist also
17 Jahre alt. Das bedeutet Lichtjahre im Bereich des Da-
tenschutzes,


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das gilt auch für den Koalitionsvertrag!)


gerade angesichts der rasanten Entwicklung im Bereich
der Informations- und Kommunikationstechnologie.
Deshalb begrüßen wir grundsätzlich das Tätigwerden
der EU-Kommission in diesem Bereich. Die EU-Kom-
missarin und Vizepräsidentin der EU-Kommission,
Viviane Reding, hat am 25. Januar 2012 zwei Rechtset-
zungsvorschläge für eine neue Datenschutz-Grundver-
ordnung und für eine Datenschutzrichtlinie unterbreitet.

Was mich wundert, gerade in Bezug auf die drei An-
träge der Grünen, die wir heute debattieren: Meine lie-
ben Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Sie ge-
hen schon sehr zaghaft und sehr zögerlich in Ihrer Kritik
gegenüber diesen beiden Rechtsetzungsakten vor.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Konstruktiv!)


Ansonsten sind Sie mit Kritik gegenüber der Regie-
rungsseite auf Bundes-, Landes- oder auf europäischer
Ebene nicht so zurückhaltend. Ich muss sagen: Ihre An-
träge sind insoweit schon reichlich armselig.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollen Ihnen auch einen Aktionsraum lassen!)


Was mich ebenfalls wundert – auch das muss ich ganz
offen gestehen –, ist, dass Ihren Anträgen eine unheimli-
che Regulierungshörigkeit innewohnt, eine Staatsgläu-
bigkeit, die Ihnen an sich sonst eher fremd ist. Aber
offenbar sind das die neuen Grünen, die lieber auf Regu-
lierung und gesetzgeberisches Handeln als auf Selbstver-
pflichtungen oder auf die Eigenverantwortung der Bür-
ger setzen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Grundrechtsschutz, Herr Kollege!)


Bei aller Grundsympathie gegenüber diesen beiden
Rechtsetzungsvorschlägen der EU-Kommission bleiben
meines Erachtens doch deutliche Kritikpunkte an den
beiden Vorschlägen. Es ist gut, dass wir uns mit diesen
beiden Vorschlägen frühzeitig befassen. Es wird mit Si-
cherheit noch 18 Monate dauern, bis die beiden Vor-
schläge letzten Endes Gesetzeskraft erlangen werden.
Aber gerade bei EU-Rechtsetzungsakten kann man sich
aus meiner Sicht als nationales Parlament gar nicht früh
genug zu Wort melden.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das kennen wir von der Vorratsdatenspeicherung!)


Deswegen begrüße ich grundsätzlich die heutige De-
batte.

Ich möchte deutlich betonen, dass es meines Erach-
tens sehr berechtigte und stichhaltige Gründe gibt, dass
sich der Bundesrat heute mit zwei Subsidiaritätsrügen zu
Wort meldet. Sehr geehrter Herr Landesminister Hahn,
ich darf Ihnen stellvertretend für den Bundesrat ganz
herzlich dafür danken, dass Sie sich dieses Themas an-
nehmen, weil die beiden Rechtsetzungsakte die durchaus
berechtigte Frage aufwerfen, inwieweit hier nicht die
Kompetenz, die Rechtsetzungshoheit der nationalen
Mitgliedsländer betroffen ist; andersherum gefragt, ob
die Europäische Union nicht teilweise Gesetzgebungs-
kompetenzen an sich zieht, die ihr an sich gar nicht zu-
gemessen sind.

Ich meine vor allem den Bereich der polizeilichen
und justiziellen Zusammenarbeit. Aus meiner Sicht geht
es die EU-Kommission und auch die europäische Ge-
setzgebung nichts an, wenn Daten von einer Polizei-
inspektion in Bad Reichenhall an eine andere Polizei-
inspektion nach Altötting übertragen werden. Ich sehe
die ganz konkrete Gefahr, dass unser bewährtes deut-
sches Strafprozessrecht durch diesen Vorschlag im Be-
reich der Datenschutzrichtlinie ausgehöhlt wird.

In der Datenschutzrichtlinie werden umfangreiche
Vorgaben für die Führung von Verfahrensakten, für Er-
mittlungsmaßnahmen unter der Verwendung besonderer
Kategorien von personenbezogenen Daten sowie für die
Akteneinsicht und die Auskunftserteilung gemacht. Dies
ist alles sehr sauber und sehr ordentlich im Strafprozess-
recht in Deutschland geregelt und bedarf keiner europäi-
schen Regulierung. Die Argumentation der Kommission
ist: Es kann ja einmal sein, dass Daten, die von Polizei-
behörden erhoben werden, grenzüberschreitend weiter-
gegeben werden. – Ich sage ganz offen: Dies ist aus mei-
ner Sicht eine zu kurz greifende und zu kurz springende
Argumentation, weil die überwiegende Mehrheit der Da-
ten, gerade im polizeilichen Bereich, die Landes- und
Bundesgrenzen nicht verlässt. Über die Hintertür, das
abstrakt und rein hypothetisch die Möglichkeit besteht,
dass irgendwann einmal eine Weitergabe der Daten an
ausländische Polizeibehörden erfolgt, eine Gesetzge-
bungskompetenz der Europäischen Union zu begründen,
halte ich für verfehlt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Auch die Datenschutz-Grundverordnung begegnet
aus meiner Sicht großen Bedenken. Ich habe grundsätz-
lich Verständnis für den Wunsch der Wirtschaft nach
einheitlichen Datenschutzstandards in der gesamten
Europäischen Union; dagegen ist zunächst überhaupt
nichts einzuwenden. Ich sage ganz offen: Davon werden
die Verbraucherinnen und Verbraucher profitieren, weil
auch die jetzige Regelung nicht zielführend ist, da sich
manche Unternehmen – ein Fall ist heute schon genannt
worden – als Sitzland das Land aussuchen, das die ge-
ringsten Datenschutzstandards aufweist.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Insoweit ist es richtig, dass wir ein einheitliches Grund-
niveau in Europa schaffen. Es muss nur verhindert wer-





Stephan Mayer (Altötting)



(A) (C)



(D)(B)


den, dass damit die sehr hohen deutschen Datenschutz-
standards ausgehöhlt werden.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Völlig richtig!)


Es ist schon mehrmals auf die Aussage der EU-Kom-
missarin Reding hingewiesen worden, die in der Wo-
chenzeitung Die Zeit vom 21. März ganz deutlich betont
hat, dass das deutsche Datenschutzrecht mit das beste in-
nerhalb der Europäischen Union ist.


(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Es ist das Beste!)


Das ist ein Ritterschlag für Deutschland. Ich kann den
Vorwürfen vonseiten der Opposition nur entgegnen: Las-
sen Sie die Fakten sprechen und vor allem die profilierte
zuständige EU-Kommissarin!


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sagt, wir müssen weitergehen! Das ist doch kein Argument!)


Wenn sie der Auffassung ist, dass wir in Deutschland ei-
nen hohen Datenschutzstandard haben, dann sollte man
dies sehr wohlwollend und anerkennend zur Kenntnis
nehmen.

Ich nehme ebenfalls sehr anerkennend und positiv zur
Kenntnis, dass der Verordnungsentwurf der Kommissa-
rin vorsieht, dass der Strafrahmen für Bußgelder deutlich
erhöht wird. Das in Deutschland derzeit maximal festzu-
stellende Bußgeld von 300 000 Euro schreckt große
Konzerne wie Microsoft oder Google nicht ab. Es ist
deshalb richtig, dass der Bußgeldrahmen auf 5,6 Millio-
nen Euro erhöht wird.

Das vorgesehene Kohärenzverfahren hingegen sehe
ich sehr kritisch. Aus meiner Sicht begegnet es großen
verfassungsrechtlichen Bedenken. Ich teile die Auffas-
sung der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der
Länder, die in ihrer Entschließung vom 21. und 22. März
dieses Jahres deutliche Kritik am vorgesehenen Kohä-
renzverfahren geübt haben; denn mit dem Kohärenzver-
fahren wird die Unabhängigkeit der Datenschutzbeauf-
tragten deutlich beeinträchtigt. Die EU-Kommission
schriebt sich ein Selbsteintrittsrecht zu, was im End-
effekt bedeutet, dass die Befugnisse nationaler Daten-
schutzbehörden ausgehöhlt werden, dass die Entschei-
dungen von nationalen Datenschutzbehörden bis zu
einem Zeitraum von zwölf Wochen sogar suspendiert
werden können und die EU-Kommission sich an die
Stelle der nationalen Datenschutzbehörden setzt. Das ist
meines Erachtens mit deutschem Recht, vor allem mit
deutschem Verfassungsrecht, nicht in Einklang zu brin-
gen.

Aus meiner Sicht ist ebenso kritisch zu sehen, dass
der Verordnungsentwurf insgesamt knapp 50 Verord-
nungsermächtigungen für die EU-Kommission beinhal-
tet. Wir sollten unserem Selbstbewusstsein als nationales
Parlament entsprechend die Auffassung vertreten, dass
die Grundzüge, die wesentlichen Inhalte des Daten-
schutzrechts entweder von den Mitgliedstaaten oder in
der Verordnung selbst geregelt werden, aber nicht im

Wege von Ermächtigungen, weil dann der Kommission
die Möglichkeit gegeben wird, eigenmächtig, ohne jegli-
che demokratische Rückkopplung Änderungen in das
Datenschutzrecht zu implementieren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Sebastian Blumenthal [FDP])


Ich möchte auf einen sehr wesentlichen Punkt zurück-
kommen. Wir haben in Deutschland bereits ein qualitativ
hochwertiges Datenschutzrecht. Deswegen erfreut es
mich, dass die EU-Kommission die Bedeutung von be-
trieblichen Datenschutzbeauftragten grundsätzlich aner-
kennt. Ich möchte aber kritisch hinterfragen, dass die
EU-Kommission die Einsetzung von betrieblichen Da-
tenschutzbeauftragten erst ab einer Mitarbeiterzahl von
250 pro Unternehmen verbindlich vorsieht.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das ist auch zu kritisieren!)


Es muss im Zuge von Öffnungsklauseln die Möglichkeit
geben, dass die in Deutschland bewährte Regelung, dass
schon ab einer Mitarbeiterzahl von 10 ein betrieblicher
Datenschutzbeauftragter vorgesehen ist, weiterhin in
Kraft bleiben kann.

Der Programmsatz, der im Verordnungsentwurf steht,
dass es ein „Recht auf Vergessenwerden“ gibt, ist wun-
derschön. Das Problem ist nur, dass das derzeit technisch
nicht umsetzbar ist: Den digitalen Radiergummi gibt es
nicht. Nach dem Ermessen von Fachleuten, von ausge-
wiesenen Experten, wird dies auch in absehbarer Zeit
nicht möglich sein. Deswegen sollte man ein großes Fra-
gezeichen hinter dieses „Recht auf Vergessenwerden“
setzen. Es ist zwar schön gemeint, aber meines Erach-
tens nicht gut gemacht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das Verbandsklagerecht ist schon angesprochen wor-
den.

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wie
schon erwähnt: Es ist gut, dass wir uns frühzeitig mit den
beiden Rechtsetzungsakten auseinandersetzen. Wir wer-
den mit Sicherheit in den nächsten Monaten bei unter-
schiedlichen Gelegenheiten noch die Möglichkeit dazu
haben.

Den drei Anträgen, die heute zur Abstimmung stehen
und die seitens der Grünen gestellt worden sind, kann
nur in aller Deutlichkeit die Zustimmung verweigert
werden.

Ich danke Ihnen ganz herzlich für die Aufmerksam-
keit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1717308500

Vielen Dank, Kollege Stephan Mayer. – Nächste Red-

nerin ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unsere
Kollegin Frau Kirsten Lühmann. Bitte schön, Frau Kol-
legin.






(A) (C)



(D)(B)



Kirsten Lühmann (SPD):
Rede ID: ID1717308600

Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen!

Sehr verehrte Gäste! Eine junge Frau stellt ein freizügi-
ges Foto von sich selbst in ein soziales Netzwerk und
findet es auf einer privaten Sexseite wieder, deren Server
in Russland steht. Sie wird ihre Rechte genauso wenig
geltend machen können wie das Opfer des Einbruch-
diebstahls aus Reutlingen, das bei Facebook Hinweise
auf den Täter vermutete. Der Server stand in den USA.
Die Hinweise konnten nicht erlangt werden.

Wir reden heute hier sehr viel über Deutschland und
die EU. Die beiden Beispiele zeigen, dass eine Forde-
rung aus dem Antrag, den wir heute debattieren, nämlich
neben den Regelungen für Deutschland und die EU und
auch den Schutz der Rechte von Bürgerinnen und Bür-
gern gegenüber Drittstaaten zu sichern, von drängender
Bedeutung ist.

Das Internet hat erreicht, was die Politik noch nicht
geschafft hat – daran arbeiten wir –, nämlich eine welt-
weite Gemeinschaft, Stärkung und Fortschritt durch Dis-
kussionen in allen Bereichen der Gesellschaft. Aber ne-
ben den Chancen dieser Gesellschaft ohne Grenzen gibt
es natürlich auch Möglichkeiten für unerwünschtes Ver-
halten. Wir alle sind uns einig: Regeln sind nötig. Aber
die Frage ist: Wer stellt diese Regeln in einem weltwei-
ten Netz auf, und wie werden diese Regeln dann durch-
gesetzt?

Dieses Thema ist nicht neu. Die EU und die USA ha-
ben bereits im Jahr 2000 das Safe-Harbor-Abkommen
getroffen. Dabei geht es um die Speicherung von perso-
nenbezogenen Daten. Aber auch da ist die Frage der
Sanktionierung noch unklar. Der G-8-Gipfel hat sich im
letzten Jahr des Themas angenommen. Präsident
Sarkozy forderte die „Zivilisierung des Netzes“ mit ent-
sprechenden Eingriffen. Attac merkte dazu an, der Fokus
liege bei dieser Forderung wohl einseitig auf der Wirt-
schaft, und von der Freiheit sei wenig die Rede. Wenn
ich mir die Worte unseres Staatssekretärs Schröder von
vorhin vor Augen halte, dann muss ich sagen, dass das
zu stimmen scheint.

Der UN-Sonderberichterstatter hat im Juni 2011 zu
der Frage der Informations- und Meinungsfreiheit fest-
gestellt: Es gibt deutliche Unterschiede zwischen den
konventionellen Medien und dem Netz. Wir müssen auf-
passen, dass wir die Freiheitsrechte sicherstellen. – Da
stellt sich mir jetzt die Frage: Wo bleibt eigentlich die
Bundesregierung in dieser Debatte?


(Jan Korte [DIE LINKE]: Das ist eine gute Frage!)


– Genau, das ist eine gute Frage. – Bei der Antwort habe
ich etwas gefunden. Die Kanzlerin nimmt Stellung.
Beim G-8-Gipfel hat sie Stellung genommen, aber weni-
ger zu den Einschränkungsplänen des französischen Prä-
sidenten, sondern ihr wichtiges Thema bei den interna-
tionalen Verhandlungen war: schnelles Internet. Bei der
UNO hat Deutschland den Bericht noch nicht einmal un-
terzeichnet.


(Gerold Reichenbach [SPD]: Hört! Hört!)


Das heißt, bei einer elementaren Zukunftsfrage, nämlich:
„Wie wollen wir unsere Gesellschaft organisieren?“, ist
diese Bundesregierung abgetaucht. Das finde ich un-
glaublich.


(Beifall bei der SPD – Gerold Reichenbach [SPD]: Bevor wir nichts machen, machen wir lieber gar nichts!)


Dabei gibt es doch Beispiele: Im internationalen
Flugverkehr haben wir die ICAO, im internationalen
Schiffsverkehr haben wir die IMO. Das heißt, gemein-
sam mit allen wurden Regeln festgelegt, die für alle ver-
bindlich sind. Nun weiß auch ich, dass man diese beiden
Organisationen nicht eins zu eins auf das Netz übertra-
gen kann. Aber wir haben doch eine Richtung, wohin es
gehen kann. Die Richtung heißt nicht binationale Ver-
träge. Die Richtung heißt auch nicht G 8. Die Richtung
heißt weltweite Standards. Gerade für Deutschland als
Hochtechnologieland sind Freiheit und Sicherheit im
Netz sowohl für die Wirtschaft als auch für die Zivilge-
sellschaft elementar wichtig. Und was hören wir dazu
von der Bundesregierung? Dröhnendes Schweigen,
meine Herren und Damen. Reden Sie endlich, Frau
Merkel!


(Beifall bei der SPD)


Die Menschen in diesem Land haben ein Recht darauf,
dass sich die Regierung hier für ihre Interessen einsetzt.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1717308700

Wir danken Ihnen, Frau Kollegin. – Nächster Redner

in unserer Aussprache ist für die Fraktion der FDP unser
Kollege Sebastian Blumenthal. Bitte schön, Kollege
Sebastian Blumenthal.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Sebastian Blumenthal (FDP):
Rede ID: ID1717308800

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben

jetzt schon einige Debattenbeiträge zu den Anträgen ge-
hört, die Sie von Bündnis 90/Die Grünen uns hier vorge-
legt haben. Ich möchte in meinem Beitrag auf den Antrag
von Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/8161 ein-
gehen. Das ist der Antrag zu Datenschutz und Verbrau-
cherschutz in sozialen Netzwerken.

Lieber Herr Kollege von Notz, wir stimmen mit Si-
cherheit in vielen Punkten überein, gerade wenn es da-
rum geht, darauf hinzuweisen, dass die bestehenden Da-
tenschutzgesetze von den Dienstebetreibern, namentlich
Facebook und Google, nicht immer vorbildlich eingehal-
ten wurden. Das eint uns. Gleichwohl sind in Ihrem An-
trag auch einige Punkte aufgeführt, zu denen ich, wie so
häufig, sagen muss: Die Arbeit ist im Detail nicht ganz
gelungen.





Sebastian Blumenthal


(A) (C)



(D)(B)



(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist auch gut, wenn wir uns unterscheiden!)


Darauf möchte ich im Folgenden gezielt eingehen.

Sie fordern die Bundesregierung und die Regierungs-
fraktionen auf, sich offensiver mit dem Thema zu be-
schäftigen. Genau das findet statt. Herr von Notz, Sie
waren selbst dabei. Wir haben uns im Unterausschuss
Neue Medien mehrfach mit Google und Facebook aus-
einandergesetzt, unter Beteiligung des Bundesinnen-
ministeriums und des Verbraucherministeriums.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Unfruchtbar war das!)


Die handelnden Akteure waren dort vertreten und haben
ihre Position dargestellt.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was ist passiert? – Gerold Reichenbach [SPD]: Und was ist herausgekommen?)


– Gut, dass Sie danach fragen. – Wir haben dort einen
Erfolg erzielt. Sie erinnern sich, dass der Dienst
Google+, ein Konkurrent von Facebook im Bereich so-
zialer Netzwerke, im letzten Jahr versucht hat, die Ver-
wendung von Pseudonymen bei der Nutzung des Diens-
tes nicht zuzulassen. Das war ein klarer Verstoß gegen
das Telemediengesetz in Deutschland. Wir haben
Google+ in der Sitzung des Unterausschusses mit die-
sem Umstand konfrontiert. Wir haben schon vorher
Druck ausgeübt. Es gab offene Briefe, auch von Parla-
mentariern; Sie waren mit dabei. In der Sitzung des Un-
terausschusses Neue Medien hat Google+ klargestellt,
dass das offensichtlich dann doch ein Versehen war. Die
Pseudonyme dürfen wieder verwendet werden. Die
Rechtskonformität mit dem Telemediengesetz wurde
hergestellt.


(Gerold Reichenbach [SPD]: Das zeigt, dass sie sich an ein bestehendes Gesetz halten! Das ist ja schon ganz beachtlich! Also wirklich!)


Hier den Eindruck zu erwecken, man schaue einfach nur
zu und tue nichts, ist nicht zielführend. Das Gegenteil ist
der Fall, und das können wir mit Fakten belegen.

Ich möchte nun auf Punkt III.4 Ihres Antrags einge-
hen. Sie möchten gesetzlich regeln, dass Maßnahmen zu
ergreifen sind, „die grundsätzlich die Auslesbarkeit von
Profilen und nutzergenerierten Inhalten durch Suchma-
schinen ausschließen“. Wer die Souveränität und die
Entscheidungsfreiheit von Nutzern ernst nimmt, kann so
etwas auf gar keinen Fall gesetzlich regeln wollen. Ich
erinnere daran, dass zum Beispiel das Businessnetzwerk
Xing die Möglichkeit bietet, dass sich Nutzer zum
Zweck der Jobsuche mit ihren eigenen Profilen darstel-
len. Diese Menschen machen das ganz bewusst. Sie
publizieren dort ganz bewusst ihre Skillprofile, also ihre
Fähigkeitsprofile, um über die Suchmaschine entspre-
chend gefunden zu werden. Deswegen geben sie Stich-
worte ein, die auf Branchenschwerpunkte hinweisen
oder auf besondere Fähigkeiten, zum Beispiel im Be-
reich Softwareentwicklung und Programmierung.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU])


Gesetzlich regeln zu wollen, dass das nicht mehr passie-
ren darf, dass Suchmaschinen das nicht mehr auslesen
dürfen, widerspricht komplett den Gedanken von Wahl-
freiheit und Nutzersouveränität. Dafür stehen wir von
der Fraktion der Freien Demokratischen Partei unbe-
dingt.

Es gibt trotz vieler Gemeinsamkeiten also gute
Gründe, Ihren Antrag abzulehnen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1717308900

Vielen Dank, Kollege Sebastian Blumenthal. – Letz-

ter Redner in unserer Aussprache ist das heutige Ge-
burtstagskind, Michael Frieser, dem schon mehrfach
gratuliert worden ist. Auch ich gratuliere ihm. Vielleicht
klatschen wir jetzt Beifall, weil sich jetzt vermutlich alle
Fraktionen dem Beifall anschließen können.


(Beifall)


Man weiß nie, wie das am Ende einer Rede ist.


(Heiterkeit)


Bitte schön, Kollege Michael Frieser.


Michael Frieser (CSU):
Rede ID: ID1717309000

Sogenannter Akontoapplaus tut immer gut. Vielen

Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen
und Herren! Es ist ein schöner Tag, auch um über den
Datenschutz zu reden. Dann bekomme ich von den Grü-
nen auch noch drei Anträge, die ich nun zusammenfas-
send würdigen darf. Das ist ein wunderschönes Paket,
aber es ist vieles dabei, was uns nicht ganz neu ist. Aber
so ist das nun einmal mit Geschenken. Wann schaut man
sie sich schon genau an? Wir freuen uns trotzdem da-
rüber. Ein schönes Schleifchen gehört auch dazu: Zur
Stunde berät der Bundesrat bei der Subsidiaritätsrüge
über genau diese Frage.

Der letzte Redner hat immer das Problem, dass vieles
schon gesagt wurde. Ich versuche, es zusammenzufas-
sen.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1717309100

Man muss die Redezeit natürlich nicht ganz ausnut-

zen.


(Heiterkeit)



Michael Frieser (CSU):
Rede ID: ID1717309200

Ich wollte gerade sagen: Wenn mich das Präsidium

nicht unterbricht, könnte ich die geplante Redezeit sogar
unterbieten.


(Heiterkeit)


Ich möchte deutlich machen, dass es einen wirklichen
Konsens gibt: Es ist wichtig, dass sich Europa endlich
mit der Frage einer EU-Datenschutzrichtlinie, soweit es





Michael Frieser


(A) (C)



(D)(B)


Recht und Justiz betrifft, und einer entsprechenden Ver-
ordnung, soweit es im weitesten Sinne die privaten Da-
ten betrifft, befasst. Wenn wir uns die Zahlen in Europa
anschauen, sehen wir, dass immer noch drei Viertel der
Menschen ihr Verhältnis zum Thema Daten und Datensi-
cherheit zumindest als gestört ansehen. In Deutschland
sind es über 80 Prozent. Deshalb ist es nicht nur geboten,
dass wir uns dieser Frage intensiv stellen, sondern auch,
dass wir die Tatsache aufnehmen und uns mit der Frage,
wie man dieses Thema europaweit regeln sollte, aus-
einandersetzen. Es ist keine Häresie und keine Majes-
tätsbeleidigung, wenn man sagt, dass das, was vorgelegt
wurde, noch nicht ganz dem entspricht, was wir wollen.
Wir haben eine Harmonisierung des Datenschutzes und
der Planungssicherheit auf europäischer Ebene erwartet.
Das sind die grundlegenden Ziele. Von diesen sind wir
noch etwas entfernt.

Ich darf sagen, dass ich von der heutigen Debatte et-
was überrascht bin. Die Regelungswut, die uns hier von-
seiten der Grünen entgegenschlägt – sie wird zumindest
von den Linken akkompagniert –, hat mich etwas über-
rascht.


(Beifall der Abg. Gisela Piltz [FDP])


Herr Kollege, ich bin gespannt, welche Reaktionen von
der Netzcommunity kommen, wenn sie Kenntnis davon
erlangt, welche Grenzen im Einzelnen gesetzt werden
sollen und welche Einzelbestimmungen die Grünen for-
dern.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da täuschen Sie sich!)


Wir wollen – das ist der Punkt –, dass nicht nur die
Regelungen an sich betrachtet werden. Wir haben vor al-
lem die Sorge, dass es auf diesem sehr hohen Abstrak-
tionsniveau zu einer Vollharmonisierung kommt. Was
sind die Gefahren? Die Gefahren sind alle schon hin-
länglich angesprochen worden. Deshalb möchte ich sie
nicht noch einmal benennen. Das Problem der Niveau-
absenkung scheint mir das entscheidende zu sein. Inso-
fern sind alle politischen Kräfte aufgefordert, wenn sie
Einfluss im Europäischen Parlament haben, darauf hin-
zuwirken, dass man sich nicht auf dem niedrigstmögli-
chen Niveau einigt. Das kann nicht unser gemeinsames
Ziel sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Es bedarf auch noch der Konkretisierung. Das hat die
Kommission anscheinend selbst erkannt. Sie hat inso-
fern einen Hilfsmodus eingenommen und gesagt: Das,
worauf wir uns jetzt nicht einigen können, werden wir ir-
gendwann einmal regeln. Gerade deshalb sind wir in der
Union bereit, die inhaltlichen Bedenken der derzeitigen
Subsidiaritätsrüge zu teilen.

Ich darf zu dem Thema der personenbezogenen Daten
sagen, dass es wichtig ist, dass wir nicht alle Daten, die
wir sammeln, dem gleichen Schutzkatalog – ich spreche
noch nicht einmal von Schutzniveau – unterwerfen. Es
ist ein Unterschied, ob Daten zwischen Privaten ohne
jegliches wirtschaftliches Interesse gesammelt werden
oder ob private Daten mit einem kommerziellen Gedan-

ken, aufgrund wirtschaftlicher Interessen, oder von öf-
fentlichen Verwaltungen und staatlichen Behörden erho-
ben werden. Das sind unterschiedliche Risikosphären,
die unterschiedlich behandelt werden müssen. Hier müs-
sen wir feststellen, dass in der vorgelegten Verordnung
noch Nachholbedarf besteht.

Ich komme zum zweiten wesentlichen Punkt; ich
möchte mich ja in meiner Rede auf wenige Punkte be-
schränken. Die Delegated and Implementing Acts sind
tatsächlich wichtig. Wenn man sich vorstellt, dass es bei
45 von 91 vorgelegten Artikeln eine Ermächtigungs-
grundlage für die EU geben soll, dann erweckt das den
Anschein, dass sich hier unterschiedliche Bereiche in-
nerhalb der Kommission nicht ganz einigen konnten,
was man am Ende des Tages wirklich regeln kann und
regeln will. Deshalb muss ich sagen: Über diese Form
von nichtkontrollierbarer selbstgewählter Eigenmacht
der Kommission würde ich gerne näher informiert wer-
den, bevor ich einer solchen Verordnung zustimme. Ich
glaube, an dieser Stelle ist es deshalb nicht zu viel ver-
langt, wenn man versucht, etwas nachzubessern.

Es wird Sie nicht irritieren, dass wir beim Thema Be-
schäftigtendatenschutz hängen bleiben. Als Berichterstat-
ter nehme ich mir heraus, noch ein Beispiel zu nennen. Ei-
niges wird durch die EU vielleicht etwas überorganisiert.
Aber eines hat sie nicht geregelt. Wir finden in der ge-
samten Verordnung nichts zum Thema Konzernprivileg.
Dabei geht es um Daten, die innerhalb eines europäisch,
international organisierten Konzerns – derer haben wir ja
nun wirklich viele – von einem Sitz an einen anderen
weitergegeben werden. Hier waren wir uns hinsichtlich
des Schutzniveaus relativ einig. Es soll erst einmal einen
Erlaubnistatbestand geben, das heißt, Daten dürfen über-
mittelt werden, aber beim Empfänger müssen alle An-
forderungen an den Datenschutz erfüllt werden.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist er denn, der Beschäftigtendatenschutz?)


Diese Frage ist im Augenblick noch nicht geregelt.

Ich kann nur sagen: Wir sollten in der Debatte nicht
versuchen, das alte Klischee zu bedienen, dass der Staat,
dass Europa versucht, Daten zu sammeln, wo immer es
geht. Vielmehr sollten wir versuchen, bei dieser Frage
ernst zu bleiben. Wir müssen das Datenschutzniveau so
hoch halten, wie es irgend geht. Vor allem müssen wir
Grenzen setzen, wenn es um sogenannte Datenmilliar-
däre geht, also um Unternehmen, die so viele Daten sam-
meln, dass sie gar nicht mehr wissen, wohin damit.
Letztendlich haben wir unsere Arbeit dann richtig getan,
wenn wir den Datenschutz auf unserem, dem deutschen
Niveau gehalten haben, ohne überzureglementieren.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1717309300

Vielen Dank, Kollege Michael Frieser. In der Tat ha-

ben Sie Ihre Redezeit nicht ausgeschöpft. Das verdient
Anerkennung. Vielen Dank.





Vizepräsident Eduard Oswald


(A) (C)



(D)(B)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die
Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 17/9166 und 17/6345 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.

Wir kommen jetzt – Tagesordnungspunkt 32 c – zur
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Innen-
ausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen mit dem Titel „Grundrechte schützen – Daten-
schutz und Verbraucherschutz in sozialen Netzwerken
stärken“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 17/9198, den Antrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/8161
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! –
Das sind die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die
Linksfraktion. Enthaltungen? – Die Fraktion der Sozial-
demokraten. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.


(Unruhe)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, um allzu große Ver-
zögerungen zu vermeiden, mache ich weiter.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 34 auf:

Beratung des Antrags der Fraktion der SPD

Umsetzung von Basel III: Finanzmärkte stabi-
lisieren – Realwirtschaft stärken – Kommu-
nalfinanzierung sichern

– Drucksache 17/9167 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Sie wi-
dersprechen nicht. Dann ist auch das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner in unserer
Debatte ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unser
Kollege Manfred Zöllmer. Bitte schön, Herr Kollege
Manfred Zöllmer.


Manfred Zöllmer (SPD):
Rede ID: ID1717309400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein

wesentlicher Baustein der Neujustierung der Finanz-
märkte sind die Vorschläge des sogenannten Baseler
Ausschusses für Bankenaufsicht – Stichwort Basel III –,
der notwendige, strengere Regeln zur Regulierung des
Finanzsystems vorgelegt hat. Im Vordergrund und im
Mittelpunkt dieser Regulierung stehen dabei Regelungen
zur Eigenkapitalunterlegung. Die EU-Kommission setzt
diese Vorschläge zurzeit in europäisches Recht um. Sie
sollen stufenweise von 2012 bis 2018 umgesetzt werden.
Dabei hat die EU-Kommission die Empfehlungen des
Baseler Ausschusses weitgehend übernommen. Diese
Empfehlungen wurden für international tätige Großban-
ken formuliert.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die beabsichtigte
Stärkung der Eigenkapital- und Liquiditätsausstattung
von Banken ist notwendig, um die Krisenfestigkeit des
Systems zu erhöhen.


(Beifall bei der SPD)


Die quantitative und qualitative Anhebung der Eigen-
kapitalausstattung erhöht die Risikovorsorge der Kredit-
institute. Aber: Diese Bundesregierung ist dafür ver-
antwortlich, dass dieses Regelwerk in Form einer
Verordnung und nicht, wie wir Sozialdemokraten gefor-
dert haben, in Form einer Richtlinie umgesetzt wird. Sie
blockieren damit jede Möglichkeit, diese Regeln an die
Besonderheiten der deutschen Bankenstruktur anzupas-
sen.


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Das deckt sich jetzt aber nicht mit dem, was Sie in Ihrem Antrag schreiben!)


Wir haben in Deutschland nun einmal eine dreigliedrige
Struktur – mit Sparkassen, Genossenschaftsbanken und
international agierenden Großbanken –, die so in ande-
ren Ländern nicht zu finden ist. Für die Kreditver-
sorgung gerade des Mittelstandes sind die örtlichen
Sparkassen und Genossenschaftsbanken von zentraler
Bedeutung.

Nun ist Basel III aber für international agierende, ka-
pitalmarktorientierte Großbanken konzipiert. Deshalb
wollen wir mit unserem Antrag auf ein wichtiges Problem
aufmerksam machen: Wenn der Grundsatz „Same
Risk – Same Rules“, also „Gleiches Risiko – Gleiche Re-
geln“, richtig ist – und wir halten ihn für richtig –, dann
müssen örtliche Sparkassen und internationale Großban-
ken differenziert behandelt werden. Wir sind nicht der
Auffassung, dass eine Bankengruppe von dem neuen Re-
gelwerk ausgenommen werden sollte, aber die Finanz-
marktkrise hat gezeigt, wo Risiken und Gefahren liegen –
jedenfalls nicht bei den örtlichen Sparkassen.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Richard Pitterle [DIE LINKE])


Die Europäische Kommission hat diese Differenzie-
rung innerhalb der Bankenlandschaft in Deutschland bei
der Umsetzung von Basel III bisher allerdings zu wenig
beachtet. Wir fordern die Bundesregierung in unserem
Antrag nun auf, hier tätig zu werden. Wir fordern, dass
die neuen Eigenkapital- und Liquiditätsanforderungen
auf die Größe und auf das Geschäftsmodell der Kredit-
institute differenziert Anwendung finden. Neben der
Stabilisierung des Finanzsystems muss auch die Kredit-
vergabefähigkeit besonders der Sparkassen und der Ge-
nossenschaftsbanken, die ja die Hauptkreditgeber für
den Mittelstand sind, besondere Beachtung finden.


(Beifall bei der SPD)


Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, bei den
Verhandlungen über Basel III folgende Punkte umzuset-
zen:

Die Eigenkapital- und Liquiditätsregeln sind nach Ge-
schäftsmodell und Größe der Institute zu differenzieren.
Die Risikogewichte von Mittelstandskrediten sind an ihre





Manfred Zöllmer


(A) (C)



(D)(B)


tatsächlichen Risiken anzupassen und nicht mit dem
gleichzusetzen, was von Großbanken spekulativ umge-
setzt wird. Die besonderen Bedingungen der Finanzver-
bünde bei Sparkassen und Genossenschaftsbanken sind
zu berücksichtigen. Bei der Bankenaufsicht – wir haben
bereits gestern Abend darüber diskutiert – muss es zu ei-
ner vernünftigen Arbeitsteilung zwischen europäischer
und nationaler Bankenaufsicht kommen, die die Unter-
schiede zwischen systemrelevanten internationalen Groß-
banken und zum Beispiel der Sparkasse Wuppertal be-
rücksichtigt.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Richard Pitterle [DIE LINKE])


Bei der risikounabhängigen Verschuldungsobergrenze,
der sogenannten Leverage-Ratio, ist zu differenzieren.
Wir Sozialdemokraten sagen: Wir brauchen eine Leve-
rage-Ratio. Sie ist im Grundsatz eine wirksame Maß-
nahme, um eine ausufernde Fremdfinanzierung der Ban-
ken zu verhindern, und damit eine sinnvolle Ergänzung
der risikogewichteten Eigenkapitalunterlegung. Wenn es
diese Leverage-Ratio gibt, dann besteht für die Banken
allerdings der Anreiz, auf risikoreiches und damit ge-
winnträchtigeres Geschäft auszuweichen, um bei glei-
chem Geschäftsvolumen eine höhere Eigenkapitalren-
dite erwirtschaften zu können.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717309500

Kollege Zöllmer, gestatten Sie eine Frage oder Be-

merkung des Kollegen Schick?


Manfred Zöllmer (SPD):
Rede ID: ID1717309600

Aber immer.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Herr Schick hat keine Heimat!)


– Das haben Sie jetzt gesagt.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Frage ist auch ganz kurz: Mich würde interessie-
ren, welche Höhe die Leverage-Ratio nach der Vorstel-
lung Ihrer Fraktion haben soll. Ich habe das im Antrag
nicht gefunden.


Manfred Zöllmer (SPD):
Rede ID: ID1717309700

Nein, das haben wir nicht in den Antrag hineinge-

schrieben. Ich denke, hier muss man erst einmal die Vor-
schläge des Baseler Ausschusses abwarten, bevor wir
uns differenziert über die Höhe unterhalten.


(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die gibt es doch!)


Wir haben gesagt: Bei einer Leverage-Ratio sind die Ri-
siken unterschiedlich zu bewerten. Das muss in den Vor-
gaben dann auch entsprechend umgesetzt werden.

Wir wollen nicht, dass eine solche Leverage-Ratio
letztendlich zulasten des risiko- und margenarmen Kom-
munal- und Hypothekenkreditgeschäftes geht. Deshalb
muss bei einer Leverage-Ratio zwischen risikoreichen

und risikoarmen Geschäftsmodellen unterschieden wer-
den.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, unsere
Ziele sind eine effektive Regulierung und eine effiziente
Aufsicht. Entscheidend ist dabei der Grundsatz „Same
Risk – Same Rules“. Dieser Grundsatz muss bei Ba-
sel III eingehalten werden. Die Bundesregierung ist hier
in der Pflicht, für die deutschen Banken das Gebotene
nachzuverhandeln – ich habe eben versucht, das zu skiz-
zieren – und auch auf europäischer Ebene durchzuset-
zen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Koali-
tionsfraktionen, bei diesem Vorhaben werden Sie uns an
Ihrer Seite haben.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717309800

Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege Ralph

Brinkhaus.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Ralph Brinkhaus (CDU):
Rede ID: ID1717309900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der

Kollege Zöllmer hat schon erklärt: Ein Ergebnis der
Bankenkrise 2008 ist die Erkenntnis, dass die Banken
mehr Eigenkapital und mehr Liquidität brauchen. Der
sogenannte Baseler Ausschuss hat sich daraufhin zusam-
mengesetzt und neue Regeln gemacht. Diese Regeln
werden gerade in europäisches Recht umgesetzt. Das
nennt man CRD IV. Wenn diese Regeln in europäisches
Recht umgesetzt werden, kommen wir zu einem Grund-
problem jeglicher europäischer Rechtsetzung: Sie passen
nicht für alle gleichermaßen. Das heißt, wenn wir ein-
heitliche Regeln für ganz Europa aufstellen, dann passen
sie nicht zu 100 Prozent zu Deutschland. Teilweise sind
diese Regeln dann schlechter als diejenigen, die wir al-
lein beschließen würden. Wir müssen uns daher die
Frage stellen: Was wollen wir? Was ist uns wichtiger:
gemeinsame europäische Regeln oder ein Rechtssystem,
das zu 100 Prozent zu uns passt?

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, nichts-
destotrotz ist es mehr als berechtigt, dass wir uns mit
diesem Punkt befassen; denn wir kennen die vielfachen
Sorgen insbesondere von kleinen, regionalen und mittel-
ständischen Banken genauso wie die Sorgen des Mittel-
standes, der sogenannten Realwirtschaft, und der Kom-
munen. Man kann auf die eben gestellte Frage zwei
Antworten geben. Die eine Antwort lautet – diese haben
wir auch in unserem Antrag gegeben, den wir gestern
hier im Plenum beschlossen haben –: Wir akzeptieren,
dass es gemeinsame europäische Regeln gibt, aber wir
wollen diese Regeln verbessern. Wir wollen, dass diese
Regeln alle Institute berücksichtigen, nicht nur die klas-
sische britische börsennotierte Bankaktiengesellschaft,
sondern zum Beispiel auch die Volksbank Kaunitz mit
einer Bilanzsumme von 90 Millionen Euro in meinem
Wahlkreis. Ich denke, diese Antwort ist richtig.





Ralph Brinkhaus


(A) (C)



(D)(B)


Wenn ich allerdings Ihren Antrag lese, habe ich das
Gefühl, dass Sie eigentlich ein deutsches Sonderrecht
generieren wollen. Ich glaube, dass das nicht gut ist. Ich
will Ihnen das anhand einiger Beispiele erläutern. Sie
haben als erste Forderung aufgestellt, dass unterschiedli-
che Banken unterschiedlich behandelt werden sollen,
dass also differenziert wird. Herr Kollege Zöllmer hat in
seiner Rede begründet, was damit gemeint ist. Im
Grunde ist damit ein spezielles Aufsichtsrecht für Spar-
kassen und Volksbanken gemeint. Ich glaube, es ist nicht
gut und nicht richtig, für unser deutsches System und un-
sere deutschen Besonderheiten ein spezielles Aufsichts-
recht zu schaffen. Das kann sich irgendwann einmal
auch gegen uns richten. Griechen, Spanier und Portugie-
sen können dann ebenfalls ein spezielles Aufsichtsrecht
für ihre kleinen und mittleren Banken fordern. Das kann
man nicht wirklich wollen.

Damit sind wir wieder bei der Ausgangsfrage. Was ist
uns wichtiger: ein System, das zu 100 Prozent zu uns
passt, oder gemeinsame europäische Regeln? Ich bin der
Meinung, dass es gut ist, dass wir an dieser Stelle ge-
meinsame europäische Regeln haben. Aber wir müssen
die Regeln so konstruieren, dass die deutschen Interes-
sen berücksichtigt werden. Das hat die Bundesregierung
mit ihren Vertretern im Verhandlungsprozess im Baseler
Ausschuss und im CRD-IV-Verfahren in Brüssel er-
reicht. Die Bundesregierung hat es geschafft, dass als
Eigenkapital nicht nur – wie von mancher Seite ge-
wünscht – das Kapital gilt, das an der Börse oder auf
dem Kapitalmarkt beschafft wird, sondern auch das gute
Genossenschaftskapital und stille Beteiligungen. Das ist
ein riesiger Erfolg. Herr Zöllmer, es ist nicht richtig und
nicht wahr, dass die Bundesregierung, wie Sie behauptet
haben, nichts erreicht und nicht versucht hat, den tat-
sächlichen Besonderheiten und Anforderungen des deut-
schen Bankensystems gerecht zu werden. Wir haben hier
einiges geschafft, und das ist auch gut so. Ich denke, es
ist ein besserer Weg, gemeinsame europäische Regeln zu
schaffen, die zu allen passen, als spezielle deutsche Re-
geln.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Zu den Mittelstandskrediten. Sie haben gesagt, die
Mittelstandskredite dürften sich durch Basel III nicht un-
nötig verteuern. Wir sind hier genau der gleichen Mei-
nung. Die Bundesregierung hat sich dafür eingesetzt,
dass noch einmal geprüft wird, ob die Risikogewichtung
der Mittelstandskredite richtig ist und gegebenenfalls
eine Anpassung notwendig ist. Herr Staatssekretär, wir
sind auf einem guten Weg. Wir werden hier einiges er-
reichen. Aber die Dramatik, die Sie hier sehen, Herr
Zöllmer, ist tatsächlich nicht gegeben. Erst heute hat die
Bundesbank veröffentlicht, dass sie nicht damit rechnet,
dass die Kreditkosten des Mittelstands durch Basel III
signifikant steigen werden. Ich habe bei den Sparkassen
nachgefragt und erfahren, dass man mit einem Anstieg
von 30 bis 40 Basispunkten rechnet. Das führt zu 0,3 bis
0,4 Prozent höheren Kreditkosten. Wenn das tatsächlich
in dem Rahmen bleibt, dann sollte es uns, wie ich
glaube, das wert sein, dass wir einen stabilen Finanzrah-
men in Europa haben. Insofern ist zu den Mittelstands-

krediten zu sagen: Die Bundesregierung arbeitet daran.
Wir sollten das nicht dramatisieren. Wir werden zu einer
guten Lösung kommen.

Ein weiterer Punkt ist die Eigenkapitalunterlegung
bei Verbundbeteiligungen. Das ist in der Tat sehr interes-
sant. Hier geht es zum Beispiel um eine Sparkasse, die
über ihren Verband wiederum an einer anderen wirt-
schaftlichen Einheit, wie zum Beispiel einer Bauspar-
kasse oder Ähnlichem, beteiligt ist. Hier gab es in der
Tat bisher eine Sonderregelung. Diese hat ganz gut ge-
passt, wenn auch nicht immer; denn durch solche Betei-
ligungen sind durchaus auch einige Risiken in das Spar-
kassenlager hineingekommen, wie wir in der jüngsten
Vergangenheit schmerzvoll erfahren mussten. Bei dieser
Sonderregelung stellt sich aber nun auch wieder die
Frage: Wollen wir, dass sie europaweit gilt? Wollen wir,
dass solche Sonderregelungen, die das Finanzsystem
weniger stabil machen, auch in Griechenland und Spa-
nien gelten? Ich frage mich angesichts dessen, ob es
nicht besser wäre, den deutschen Genossenschaftsban-
ken und Sparkassen eine angemessene Übergangsfrist zu
gewähren – diese haben wir ja auch ausgehandelt –, so-
dass wir auch hier am Ende des Tages zu einheitlichen
europäischen Regelungen kommen.

Nun kommen wir zu einem weiteren interessanten
Punkt: Sie sagen, dass eigentlich bei Hypotheken- und
kommunalen Krediten überhaupt kein Risiko vorhanden
sei, und fordern, dass man dieses Risiko auch entspre-
chend geringer gewichten sollte. Das ist vielleicht sogar
richtig angesichts der heutigen Situation in Deutschland.
Aber, wie gesagt, wir machen Regelungen für ganz Eu-
ropa. Finden Sie, Herr Zöllmer, dass bei griechischen
Gemeinden gewährten Kommunalkrediten kein Risiko
besteht?


(Zuruf des Abg. Manfred Zöllmer [SPD])


Schauen wir einmal weiter in die Zukunft: Glauben Sie,
dass Kommunalkredite, die Ihrer Heimatstadt Wupper-
tal, für die Sie ja jahrelang als Kommunalpolitiker Ver-
antwortung getragen haben und die eine der am höchsten
verschuldeten Städte Deutschlands ist, gewährt wurden,
auf ewige Zeiten sicher sind? Ich bin mir da nicht ganz
sicher.

Wir haben, meine Damen und Herren, eines in der
Krise gelernt: Dinge, die wir heute als sicher ansehen,
können auf einmal zu einem erheblichen Risikofaktor
werden. So hätte vor zwei oder drei Jahren jeder gesagt,
bei griechischen Staatsanleihen könne nichts passieren.
Dementsprechend mahne ich zur Vorsicht, ehe man aus
der Augenblicksbetrachtung heraus sagt: Das ist doch si-
cher. Da kann im Grunde genommen nichts passieren.
Dementsprechend müssen Banken dafür weniger Eigen-
kapital hinterlegen und können mit diesem Risiko anders
umgehen. – Ich trete dafür ein, dass wir hier ein wenig
mehr in die Zukunft schauen.

Jetzt zu den Punkten 5 und 6 Ihres Forderungskata-
logs: Diese Forderungen bezüglich der Aufsicht sind
richtig gut, wir teilen sie auch. Wir kommen hier zu dem
eigentlichen Punkt, der bei der Umsetzung der CRD IV
im Zuge von Basel III tatsächlich auch unsere Sparkas-





Ralph Brinkhaus


(A) (C)



(D)(B)


sen, Volksbanken und kleinen Privatbanken belastet. Ih-
nen wird das Gefühl vermittelt, dass sie aufsichtsmäßig
genauso behandelt werden sollen wie Großbanken und
dass eine große Bürokratie aufgebaut wird. Sie haben
nun Angst, dass sie auf einmal Briefe von der EBA in
London bekommen, mit denen sie nicht umgehen kön-
nen. Diese Punkte sind in der Tat ernst zu nehmen. Genau
aus diesem Grund haben wir gestern einen entsprechen-
den Antrag gestellt, den die SPD dankenswerterweise
auch unterstützt hat. Ich glaube, wir sind uns einig, dass
wir aufpassen müssen, dass hier das passiert, was Sie im
ersten Punkt Ihres Antrages fordern, nämlich dass unter-
schiedliche Dinge unterschiedlich behandelt werden. Wir
werden über diesen Antrag auch noch im Ausschuss be-
raten. Da sollten wir uns wirklich die Zeit nehmen, noch
einmal auf diesen Punkt einzugehen, und uns fragen, ob
die Aufsicht so tatsächlich funktionieren kann.

Ich habe lange nach einem passenden Vergleich ge-
sucht, um das verständlich zu machen. Vielleicht neh-
men wir einmal eine Situation aus dem Straßenverkehr:
In einer geschlossenen Ortschaft dürfen Sie überall nur
50 km/h fahren. Diese Regelung gilt für ungefährliche
Straßen und auch für Unfallschwerpunkte. Ungefährli-
chen Straßen entsprächen in diesem Bild Sparkassen und
Volksbanken, Unfallschwerpunkten große international
tätige Banken und Institute. Wie kontrolliert die Polizei
jetzt die einzuhaltende Geschwindigkeit? Sie stellt sich
ganz oft an die Unfallschwerpunkte. Das ist auch gut so;
denn es ist ganz besonders wichtig, dass hier die Ge-
schwindigkeitsgrenze eingehalten wird. Manchmal stellt
sich die Polizei auch an Stellen, die keine Unfallschwer-
punkte darstellen, aber eben nicht mit der gleichen Inten-
sität.

Wir sollten uns einmal überlegen, meine Damen und
Herren, ob wir Finanzaufsicht nicht auch so organisie-
ren: Da, wo große Risiken bestehen, also bei den großen
Banken, muss es eine intensive Aufsicht geben. Hier
muss ganz genau hingeschaut werden. Hier ist es ange-
bracht, lieber eine Zahl mehr als eine Zahl weniger zu
erheben. Aber bei den kleineren Banken, bei der von mir
schon erwähnten Volksbank Kaunitz zum Beispiel, muss
nicht jedes Jahr genau das abgefragt werden, was bei
größeren Instituten abgefragt wird. Diese Banken sollen
sich vor Ort mit der Kreditvergabe beschäftigen, mit den
Häuslebauern, den Firmenkunden und den Handwer-
kern, mit denen sie Geldgeschäfte tätigen.

Wenn man das Positive aus diesem Antrag heraus-
zieht, der sicherlich gut gemeint war, aber in vielen Be-
reichen einen falschen Ansatz verfolgt, weil gefordert
wird, eine spezielle Regulierungswelt für Deutschland
zu schaffen, so ist festzustellen: Gut an diesem Antrag
ist, dass wir uns mit der Bürokratie, mit der Intensität der
Aufsicht beschäftigen müssen. Da haben Sie auch mit
uns einen Partner. Lassen Sie uns das gemeinsam ange-
hen. Ich glaube, dann werden wir mehr für den Finanz-
platz Deutschland tun, als wenn wir eine Diskussion da-
rüber führen, ob wir eine Verordnung oder eine
Richtlinie, ob wir ein Sonderaufsichtsrecht für Sparkas-
sen und Volksbanken brauchen. Ich denke, eine Eini-

gung darüber bringen wir nach einer guten Diskussion
im Finanzausschuss zustande.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717310000

Für die Fraktion Die Linke hat nun Richard Pitterle

das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Richard Pitterle (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717310100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle-

ginnen und Kollegen! Was haben wir nicht schon alles
von den Vertretern der Regierungskoalition in den letz-
ten Monaten, aber auch heute wieder gehört: Die Regie-
rung wolle die Finanzmärkte stabilisieren und die Real-
wirtschaft stärken, nichts solle unbeaufsichtigt bleiben,
alle Finanzprodukte sollten reguliert werden. Manchmal
könnte man meinen, dass die Bundesregierung in die
richtige Richtung denkt, zum Beispiel, wenn von Ban-
kenabgabe, der Finanztransaktionsteuer oder dem Fi-
nanzmarkt-TÜV die Rede ist.

Doch leider ist es nicht so. Die Redewendung „etwas
auf die lange Bank schieben“ bekommt erst bei dieser
Bundesregierung ihren Sinn.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Bundesregierung hat bei der Regulierung der Fi-
nanzmärkte fast nichts auf die Reihe bekommen: keine
Finanztransaktionsteuer, keine richtige Bankenabgabe.
Da müsste sie bereit sein, sich mit den Ackermännern
anzulegen, statt ihnen Sahnetörtchen zu schenken.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Oder Geburtstagsfeiern auszurichten!)


Sie gehen Tippelschritte – zum Beispiel leichte Erhö-
hung des Eigenkapitals, Einschränkungen bei der Ver-
schuldung –; ein größerer Wurf fehlt allerdings. Aber
den bekämen Sie bei der FDP auch nicht durch.

Da hatten wir einen Rettungsschirm mit 400 Milliar-
den Euro Garantien und 80 Milliarden Euro direkte Ka-
pitalhilfen. Damit haben wir unter anderem die Com-
merzbank gerettet. Ja, die Commerzbank: Selbst als sie
Gewinne erwirtschaftet hatte, haben wir kaum einen
Cent davon gesehen, weil Sie die Verträge so schlecht
ausgehandelt hatten, dass die Commerzbank bisher
kaum Zinsen auf die Kapitalhilfen zahlen musste.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das war noch der Steinbrück!)


Durch Ihre mehr als großzügige Unterstützung greift die
Commerzbank außerdem Sparkassen und Genossen-
schaftsbanken an und nimmt ihnen mit Kampfkonditio-
nen Spargelder weg.

Ich sage Ihnen: Wenn es um die Regulierung der Ban-
ken geht, haben Sie die Sache so gebogen, wie Sie sie
brauchen. Der Schutz von Sparkassen und Genossen-
schaftsbanken kommt nicht vor. Dabei sind sie es, die in





Richard Pitterle


(A) (C)



(D)(B)


der Finanzkrise die Kreditversorgung der kleinen und
mittleren Unternehmen, der Verbraucherinnen und Ver-
braucher sowie der Kommunen sichergestellt hatten.


(Beifall bei der LINKEN)


Bei der Umsetzung der neuen Vorschriften für Ban-
ken, Basel III genannt, in deutsches Recht, besteht jetzt
die große Gefahr, dass die bewährten Vorteile, beispiels-
weise eine sichere und stabile Kreditversorgung, auf der
Strecke bleiben. Bereits Bundesbankdirektor Zeitler be-
tonte, dass das Kreditgeschäft der Banken wichtiger ist
als deren spekulative Geschäfte.

Meine Damen und Herren, was mir in dem Antrag der
SPD noch fehlt, ist der stärkere Schutz der Kreditnehme-
rinnen und Kreditnehmer, nämlich des Mittelstands, der
Verbraucherinnen und Verbraucher, der Kommunen. Wir
wollen, dass sie weiter langfristige Kredite zu stabilen
Bedingungen bekommen können, für 10 Jahre, für
15 Jahre oder noch länger. Und nicht nur das: Auch die
Zinsen sollen für einen langen Zeitraum festgeschrieben
bleiben. Damit hätten Unternehmen, Kommunen und
Privatleute eine klare Kalkulationsgrundlage und wären
vor unangenehmen Überraschungen an der Zinsfront ge-
schützt.


(Beifall bei der LINKEN)


Doch diese Sicherheit ist durch die geplante Umset-
zung von Basel III in deutsches Recht stark gefährdet.
Basel III fördert die aus den USA und Großbritannien
bekannte Kurzfristkultur. Was bedeutet Kurzfristigkeit?
Das sind Bankkredite für ein bis zwei Jahre für Maschi-
nen, die aber zehn Jahre laufen sollen. Doch nach Ablauf
der zwei Jahre ist unsicher, ob die Unternehmerin oder
der Unternehmer einen neuen Kredit bekommt. Wenn sie
oder er ihn bekommt, ist unsicher, zu welchem Zinssatz.
Damit werden Finanzmärkte aber nicht stabilisiert, son-
dern es werden Schwankungen und Unwägbarkeiten er-
höht. Das wollen wir nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir sagen: Statt Rentnerinnen und Rentner, Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer zu belasten, müssen
endlich die Spekulation der Banken beendet, die Finanz-
transaktionsteuer eingeführt, die großen Banken zer-
schlagen und vergesellschaftet werden. Dann würden die
Banken auch wieder der Realwirtschaft dienen und nicht
nur ihren Aktionären.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717310200

Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Björn

Sänger das Wort.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Björn Sänger (FDP):
Rede ID: ID1717310300

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Im Grunde genommen hat sich die Debatte mit
der Abstimmung von gestern Abend über den Antrag zur

Stärkung des Systems der europäischen Finanzaufsicht
erledigt.

Dabei sind wir uns mit der SPD einig. Die strittigen
Punkte sind von der Bundesregierung – durch das Bun-
desministerium der Finanzen und das Bundesministe-
rium für Wirtschaft und Technologie – aufgegriffen wor-
den, und darüber wird in Brüssel gut verhandelt, sodass
auch die Kreditversorgung der kleinen und mittleren Un-
ternehmen gewährleistet ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Ihr Antrag
geht aber von einem grundsätzlichen Missverständnis
aus. Ich werde versuchen, darzulegen, worin das Miss-
verständnis bestehen könnte. Sie gehen davon aus, dass
es nicht um „Same Business – Same Rules“, sondern um
„Same Risk – Same Rules“ geht. Wenn Sie aber eine
Bank betreiben, dann haben Sie eben ein bestimmtes Ri-
siko, das für alle Bereiche gilt.

Ich habe gestern schon einmal versucht, das anhand
der Gastronomie zu verdeutlichen. Das ist vielleicht
nach dem Vergleich mit dem Straßenverkehr ein weite-
res Bild, das Ihnen weiterhilft. Wenn Sie einen gastrono-
mischen Betrieb betreiben, dann unterliegen Sie den Hy-
gienevorschriften. Deshalb können Sie nicht sagen: Ich
habe aber ein besonders gutes Restaurant mit einem be-
sonders ausgewählten Kundenkreis. Außerdem ver-
wende ich überhaupt gar keine Risikolebensmittel. Ro-
her Fisch kommt bei mir nicht auf die Karte. Ich
verwende keine Mayonnaise. Eier lasse ich weg.


(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 7 Prozent Mehrwertsteuer!)


Also im Prinzip all das, was möglicherweise zu Proble-
men führen könnte, lasse ich weg. Außerdem kommen
die Tierchen nur aus ökologischer Aufzucht und werden
sanft in den Tod gekuschelt.


(Heiterkeit bei der FDP)


Ich brauche also nicht die Hygienevorschriften einzuhal-
ten, die beispielsweise für eine grenzüberschreitend tä-
tige Imbisskette gelten müssen, bei der die knoblauch-
haltige Joghurtsoße vorne in der Auslage steht.

Es beruht auf einem Grundmissverständnis, dass Sie
diese Regeln ändern wollen. Im Grunde genommen wol-
len Sie aus Basel III eine Art Lüneburg I machen. Das
wird aber nicht funktionieren.

Natürlich bilden die Sparkassen und Volksbanken
wertvolle Institutsgruppen. Ich bin Kunde von Instituten,
die zu diesen beiden Säulen gehören, und außerordent-
lich zufrieden mit ihnen.


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Dann bist du befangen!)


– Ich bin nicht befangen, sondern gehe, wie man merkt,
kritisch damit um.

Wir haben aber Krisenerfahrungen gemacht. Wir ha-
ben auch eine Anhörung zu Basel III durchgeführt, in
der die Wirtschaftssachverständige Frau Professor Buch
sehr klar gesagt hat, dass auch bei kleinen und mittleren
Unternehmen systemische Risiken entstehen können.





Björn Sänger


(A) (C)



(D)(B)


Weil Ostern vor der Tür steht, möchte ich Ihnen das
anhand eines Beispiels aus dem Lebensmittelbereich
verdeutlichen. Wir haben Erfahrungen mit schadstoffbe-
lasteten Eiern gemacht. Es ist sozusagen das Ei an sich
in Probleme geraten. Dabei wurde auch nicht differen-
ziert, aus welchem Betrieb das Ei kommt. Sondern das
Ei an sich war das Problem.

Wenn beispielsweise ein Problem bei einer Bank mit
einem großen S auftaucht, dann differenziert der Kunde
nicht, welche Sparkasse dies ist, ob dies die Lüneburger
Sparkasse ist, die möglicherweise besonders gut aufge-
stellt ist, oder ob dies die Sparkasse Köln-Bonn ist, bei
der man vielleicht etwas vorsichtig sein sollte.

Damit sind wir beim zweiten Punkt Ihres konsequen-
ten Ausblendens der Krisenerfahrung. Sie möchten, dass
Finanzbeteiligungen weiterhin beim Eigenkapital ange-
rechnet werden. Herr Kollege Zöllmer, Sie haben die
Sparkasse Wuppertal angesprochen, die auch an der
WestLB beteiligt war. Ich habe nicht den Eindruck, dass
das eine besonders werthaltige oder eine besonders risi-
kofreie Beteiligung gewesen ist. Bei der BayernLB sieht
es ähnlich aus.

Natürlich wird Basel III die Kreditvergabe hinsicht-
lich der Konditionen für Unternehmen und auch für
Kommunen verändern. Bei den Unternehmen ist es et-
was problematisch, weil wir in Deutschland traditionell
einen sehr starken Fokus auf die Kreditfinanzierung le-
gen.

An dieser Stelle sage ich Ihnen ganz klar: Wenn Sie
etwas für die kleinen und mittleren Unternehmen tun
wollen, können Sie beispielsweise dazu beitragen, dass
die Unternehmen in die Lage versetzt werden, Eigenka-
pital aufzubauen. Ihre Steuerbeschlüsse – bei der SPD
plus 30 Milliarden Euro, bei den Grünen plus 26 Milliar-
den Euro – passen aber sicherlich nicht dazu. Diese Be-
schlüsse sind sicherlich nicht dazu geeignet, Eigenkapi-
tal bei kleinen und mittleren Unternehmen aufzubauen.
Dabei habe ich die Gebote und Verbote, mit denen Sie
unseren gut arbeitenden deutschen Mittelstand überzie-
hen wollen, noch gar nicht eingepreist.

Es geht eher darum, auch kleinen und mittleren Un-
ternehmen einen alternativen Zugang zum Kapitalmarkt
zu verschaffen. Gute Ansätze dafür gibt es beispiels-
weise bei den Börsen in Düsseldorf oder Stuttgart. Diese
gilt es weiter auszubauen.

Auch für die Kommunen gibt es einen Weg, um aus
der Finanzierungsproblematik herauszukommen. Dieser
Weg heißt – das wird Sie jetzt möglicherweise ein biss-
chen irritieren –: Sparen. Auch dafür gibt es in Nord-
rhein-Westfalen gute Beispiele, etwa in Düsseldorf. Dort
halten sich Einnahmen und Ausgaben die Waage.


(Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Du meinst jetzt die Kommunalpolitik, nicht die Landespolitik!)


Die Düsseldorfer Bürger haben sich aber auch eine be-
sondere App geleistet. Diese App heißt Schwarz-Gelb.
Da funktioniert das: Dort halten sich Einnahmen und
Ausgaben die Waage.


(Beifall bei der FDP)


Aber auch die Kommunen können und müssen sich
Alternativen überlegen, um Zugang zum Kapitalmarkt
zu bekommen. Damit kommen wir im Grunde genom-
men zu der Intention Ihres Antrags, wenn man die Prosa
links und rechts wegstreicht.

Sie möchten den Kommunen weiterhin niedrige Zin-
sen sichern, damit Sie – Nordrhein-Westfalen macht es
vor – Ihre Schuldenorgien weiterfeiern können.


(Zurufe von der SPD: Oh! – Bernd Scheelen [SPD]: Der Schuldenkönig von Deutschland heißt Wolfgang Schäuble! Das haben Sie wohl nicht mitbekommen!)


Sie möchten weniger Sicherheit bei den Finanzsyste-
men, um Ihre Schuldenorgien feiern zu können. Diesen
Weg gehen wir nicht mit. Wir machen keine Abstriche
bei der Sicherheit in den Finanzsystemen.


(Beifall bei der FDP)


Die berechtigten Anliegen, die der Antrag aufgreift,
sind bei der Bundesregierung in guten Händen. Darüber
wird in Brüssel verhandelt. Mit der Ergänzung des An-
trags gestern sind wir insgesamt auf einem guten Weg.
Deswegen kann Ihr Antrag keine Zustimmung finden.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717310400

Der Kollege Dr. Gerhard Schick hat nun für die Frak-

tion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn man die Öffentlichkeitsarbeit der SPD in der letz-
ten Zeit verfolgt hat, dann hat man festgestellt, dass kna-
ckige Sätze die Runde machten. Der Parteivorsitzende
Sigmar Gabriel hat gesagt: „Unsere Gegner sind die Fi-
nanzmärkte.“ Die Kampfansage lautet: „Demokratie
statt Bankenmacht.“

Vor diesem Hintergrund habe ich den vorliegenden
Antrag gelesen und festgestellt, dass davon wenig übrig
bleibt.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Ach! Dann haben Sie ihn aber nicht ganz gelesen!)


Alle Ihre Forderungen zum Thema Basel III laufen da-
rauf hinaus: Die Aufsicht soll weniger tun.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Das ist doch Unsinn!)


Ich möchte aus Ihrer gestrigen Rede zitieren, Herr
Zöllmer:

Wir hatten gehofft, dass Sie in Ihren Formulierun-
gen Konkretes von der Bundesregierung fordern.
Aber diese Hoffnung war vergeblich. Wir diskutie-
ren hier im Bundestag viele Anträge, aber selten





Dr. Gerhard Schick


(A) (C)



(D)(B)


gibt es im Forderungsteil eines Antrags eine solche
Ansammlung von Plattitüden und Gemeinplätzen
wie hier.

Das haben Sie gestern anderen vorgeworfen und dann
gesagt, das sei alles nicht besonders klar.

Jetzt will ich zwei Beispiele nennen. Sie wollen, dass
Aufsichtsstandards angemessen angewandt werden. Sol-
len sie etwa unangemessen angewandt werden? Das ist
doch eine Selbstverständlichkeit.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Es geht um Arbeitsteilung, Herr Kollege!)


– Sie sprechen von einer angemessenen Arbeitsteilung
zwischen nationaler und europäischer Aufsicht, ohne zu
sagen, wer eigentlich was machen soll.

Wenn Sie Forderungen zur Bankenregulierung vorle-
gen, dann sollten Sie auch konkrete Vorschläge vorle-
gen. Sonst geht der Vorwurf, den Sie gestern geäußert
haben,


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Der im Übrigen falsch war!)


auch an Sie. Sie haben nämlich gesagt: „Da werfen Sie
aber schwer mit Wattebäuschchen.“ Ich finde, das ist
verglichen mit den großen Forderungen Ihres Parteivor-
sitzenden bei diesem Antrag der Fall.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Manfred Zöllmer [SPD]: Gut, Sie sind kein Germanist! Das halte ich Ihnen zugute!)


Ich will aber konkret sagen, um welche zentralen
Auseinandersetzungen es in Brüssel bei der Kapitalad-
äquanzrichtlinie gerade geht. Eine zentrale Frage betrifft
die Leverage-Ratio. Deswegen habe ich gerade die Zwi-
schenfrage gestellt. Es geht darum, ob ein Mindestni-
veau an Eigenkapital gelten soll, unabhängig davon, was
man sich mit den Risikogewichten ausrechnet. Wir hal-
ten diese Schuldenbremse bei Banken für eine zentrale
Regelung.


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Wir auch!)


Die Bundesregierung hat sich dagegen ausgespro-
chen, sie verbindlich zu machen, sowohl in Basel als
auch in Brüssel. So hat die Bundesregierung meine
Kleine Anfrage dazu beantwortet.


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Wir testen das erst!)


Wir fordern, dass sie auch in Deutschland verbindlich
eingeführt wird. Das ist übrigens auch auf nationaler
Ebene möglich. Wenn man sie will, muss man eben an
dieser Stelle auch einmal springen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Ihr von den Linken dürft jetzt nicht klatschen!)


Die zweite Frage, die sich stellt, lautet: Wie gehen wir
mit dem Streit über die Frage „Soll es eine Maximalhar-

monisierung sein oder nicht?“ um? Wichtige Auseinan-
dersetzung in Brüssel! Die Regierung des Vereinigten
Königreichs hat gesagt: Wir wollen, dass eine nationale
Regierung höhere Anforderungen an die Banken stellen
kann. Die Position der Kommission ist: Wir wollen eine
einheitliche Regelung für alle. Die Position von Bünd-
nis 90/Die Grünen dazu ist völlig klar: Es braucht eine
Mindestharmonisierung auf europäischer Ebene, aber es
gibt keinen Grund, auszuschließen, dass eine nationale
Aufsichtsbehörde dann, wenn sie feststellt, dass es zu
wenig Kapital bei ihren Banken gibt, einen zusätzlichen
Aufschlag festsetzt. Ich finde, wir müssen hier bei dieser
Debatte klären: Was ist eigentlich die Position Deutsch-
lands in dieser entscheidenden Frage? Darauf geben Sie
keine Antwort.

Mich würde bei den nachfolgenden Reden die Posi-
tion der Regierungsfraktionen dazu interessieren; denn
ich höre, dass die Bundesregierung auf der Seite derer
ist, die sagen: Nationale Regierungen sollen keinen Auf-
schlag festsetzen können. Ich fände diese Position
falsch. Ich fordere Sie auf: Machen Sie den Weg frei da-
für, dass wir eine Mindestharmonisierung bekommen,
aber dass dann zusätzlich national Vorsorge getroffen
werden kann! Es ist ja wichtig, konkret reagieren zu
können, wenn es Schieflagen im nationalen Bankensek-
tor gibt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Damit komme ich zu der abschließenden Bewertung.
Was passiert bei Basel III? Ich glaube, es gibt für eine
Reihe von regionalen Banken tatsächlich zu hohe Anfor-
derungen, gerade in den Säulen 2 und 3, also bei der
Frage der Standards. Das ist so. Wir müssen dafür sor-
gen, dass es hier Erleichterungen gibt, um nicht einem
Konzentrationsprozess Vorschub zu leisten.

Ich finde Folgendes richtig – an dieser Stelle aus-
drückliche Zustimmung; ich glaube, da haben wir einen
Konsens –: Wenn die empirischen Daten zeigen, dass die
Risikogewichte bei den Mittelstandskrediten zu hoch ge-
setzt sind, müssen diese runter.


(Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Da sind wir uns ja einig! – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Da sind sich alle einig!)


Es ist völlig klar, dass wir uns hier an den wissenschaftli-
chen Ergebnissen orientieren müssen.

Aber auf der anderen Seite müssen wir auch dafür
sorgen, dass die Eigenkapitalanforderungen, die ja im-
mer wieder heruntergerechnet werden, eine Mindestun-
tergrenze bekommen. Ich will noch einmal die Zahl nen-
nen, die einfach die Verantwortung auch in Deutschland
verdeutlicht: Die Deutsche Bank hat eine ungewichtete
Eigenkapitalquote von nur 2,3 Prozent.


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


Die Zahl ist vom Sachverständigenrat. Das zu tolerieren,
halte ich für einen Fehler. Wir brauchen sofort eine ver-
bindliche Untergrenze von 3 Prozent. Wir Grünen sagen:
Die muss über die Jahre auf 5 Prozent aufwachsen.






(A) (C)



(D)(B)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717310500

Kollege Schick, ich kann leider keine Zeitkredite ver-

geben. Sie müssen bitte zum Schluss kommen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


5 Prozent Eigenkapital muss das Minimum sein, das
wir bei Banken einfordern.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717310600

Für die Unionsfraktion hat nun die Kollegin Antje

Tillmann das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Antje Tillmann (CDU):
Rede ID: ID1717310700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Liebe Kollegen
der SPD, in Ihrem Antrag, der auch „Kommunalfinan-
zierung sichern“ im Titel hat, gibt es drei Sätze über
Kommunalfinanzierung – ein bisschen enttäuschend. In
diesen drei Sätzen fordern Sie, dass wir sicherstellen,
dass auch hochverschuldete Kommunen unbegrenzt und
preisgünstig an neue Kredite gelangen. Was macht das
für einen Sinn? Was macht das für einen Sinn für Kom-
munen, die selbstverschuldet in Schwierigkeiten geraten,
weil sie jahrelang fahrlässig mehr Geld ausgegeben ha-
ben, als es die Lage zuließ, weil sie auf sinkende Steuer-
einnahmen nicht mit Ausgabenkürzungen oder Personal-
abbau reagiert haben, weil sie gegebenenfalls bewusst
Probleme nicht beachtet und nicht dementsprechend re-
agiert haben? Mit Blick auf diese selbstverschuldeten
Schwierigkeiten macht Ihr Antrag gar keinen Sinn.

Das gilt auch für die Aussage des Deutschen Städte-
tages:

Das Risikogewicht von Direktausleihungen der
Kreditinstitute an Kommunen … muss sich auch in
Zukunft an der Bonität des Zentralstaates orientie-
ren können. Für die Bundesrepublik Deutschland
bedeutet das aufgrund des gesamtstaatlichen Haf-
tungsverbundes aus Bund, Ländern und Kommu-
nen eine Beibehaltung der Null-Risiko-Gewich-
tung.

Für die Kommunen, die bewusst nicht reagieren, ob-
wohl sie finanzielle Schwierigkeiten haben, heißt das:
Ganz egal, was sie ausgeben – irgendjemand im Staat
wird es schon bezahlen. Bezahlen wird es genau die
Kommune, die, gegebenenfalls mit hohen eigenen An-
strengungen, versucht, auf die wirtschaftliche Situation
zu reagieren, die ihren Bürgern und Bürgerinnen Einspa-
rungen zumutet. Diese Kommune soll nach Ihrer Auffas-
sung demnächst der Nachbarkommune, die diese Diszi-
plin nicht aufbringt, aus der Patsche helfen. Das heißt,
sie soll nicht nur beim eigenen Haushalt einsparen, son-
dern auch noch die Fehler der Nachbarkommune mitbe-
zahlen. Das kann aus unserer Sicht nicht richtig sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Aber selbstverständlich gibt es auch Kommunen, die
unverschuldet in die Situation geraten, dass ihr Haushalt
nicht mehr ausgeglichen ist. Das kann zwei Gründe ha-
ben. Erstens könnte ein großes Unternehmen, das den
Hauptanteil an den Gewerbesteuereinnahmen erbracht
hat, aus einer Kommunen weggezogen oder pleitegegan-
gen sein. Die Auswirkungen der Wirtschaftskrise könn-
ten also eine Kommune, die sehr abhängig von den Ge-
werbesteuereinnahmen ist, besonders getroffen haben.
Zweitens könnten Bürgerinnen oder Bürger, die eine
hohe Einkommensteuer zahlen, aus einer Kommune
weggezogen sein, weil sie anderswo einen Arbeitsplatz
gefunden haben.

Solchen Kommunen sagen Sie: Wir helfen dir. Wir ge-
ben dir die Möglichkeit, zu deinen sowieso schon hohen
Schulden weitere Schulden aufzunehmen, die du sehr
günstig finanzieren kannst. – Auch das ist doch wohl
keine sinnvolle Lösung. Eine Kommune, die unverschul-
det in eine solche Situation geraten ist, braucht einen
Strukturwandel. Sie braucht Hilfen vom entsprechenden
Land, um ihre Struktur umzubauen. Wir haben auf Bun-
desebene reagiert, indem wir es schon seit einigen Jahren
zulassen, dass mit der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesse-
rung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ nicht mehr nur
ostdeutsche Kommunen, sondern selbstverständlich auch
strukturschwache westdeutsche Kommunen unterstützt
werden können. Einer betroffenen Kommune helfen
keine neuen Kredite, sondern Förderprogramme, wie wir
sie zusammenstellen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn man sich dann die Verteilung der Schulden auf
die einzelnen Länder anschaut, dann wird doch ganz of-
fensichtlich, dass die Länder ihre Kommunen finanziell
sehr unterschiedlich ausstatten. Ich will nicht die Son-
dersituation der ostdeutschen Kommunen aufzeigen, die
Gott sei Dank aus manchen Fehlern der westdeutschen
Kommunen gelernt haben, die von Anfang an Haushalts-
disziplin großgeschrieben haben, die aber natürlich auch
über den Solidaritätszuschlag und über den Solidarpakt
Hilfen bekommen.

Aber vergleichen Sie nur einmal die Kommunen in
Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg! Warum
sind denn die Kommunen in Nordrhein-Westfalen so
viel höher verschuldet als in Baden-Württemberg? Man
hat doch den Verdacht, dass manche Länder ihre Haus-
halte sehr wohl auf Kosten der Kommunen entlasten.
Auch diesen Kommunen hilft man nicht durch zusätzli-
che billige Kredite, sondern man hilft ihnen, indem die
Länder ihrer Verantwortung gerecht werden und ihre
Kommunen entsprechend entlasten.

Gott sei Dank haben das die ersten Länder getan; es
gibt kommunale Hilfsfonds. Die ersten Länder haben
festgestellt, dass zusätzliche Neuverschuldung keine Lö-
sung ist, sondern dass die Haushalte wieder zur Haus-
haltsdisziplin und -konsolidierung zurückgeführt werden
müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Aber ich sage an dieser Stelle ganz deutlich: Die
Kommunen sind verfassungsrechtlich Teil der Länder.





Antje Tillmann


(A) (C)



(D)(B)


Es ist nicht Bundesaufgabe, die Kommunen zu finanzie-
ren, sondern das ist Aufgabe der Länder. Der Bund ist
hingegen für die Sozialversicherungssysteme zuständig.
Unsere Verantwortung für die Sozialversicherungssys-
teme nehmen wir genauso ernst wie unsere Verantwor-
tung für die Schuldensituation im Bund.

Doch der Bund hat in der Vergangenheit auch Fehler
gemacht. Wir sind dabei, diese Fehler peu à peu in dieser
Legislaturperiode zu beheben. Wir haben bei der Grund-
sicherung angefangen, bei der die rot-grüne Bundesre-
gierung einen großen Fehler gemacht hat. Wir haben ihn
behoben, indem wir den Kommunen die Kosten für die
Grundsicherung im Alter zu 100 Prozent erstatten.


(Bernd Scheelen [SPD]: Das haben wir Ihnen doch abringen müssen im Vermittlungsausschuss, Frau Tillmann! Das müssen Sie doch wissen!)


– Dass Ihnen das nicht gefällt, Herr Scheelen, ist mir
klar. Aber Sie haben ja gleich noch fünf Minuten, um
das richtigzustellen.

Es ist eine Tatsache, dass die Kommunen bis 2020
von dieser Bundesregierung um 50 Milliarden Euro ent-
lastet werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Seien Sie sicher, das hilft den Kommunen mehr, als
wenn ihnen Kredite zu günstigen Konditionen zur Verfü-
gung gestellt würden.


(Dagmar Ziegler [SPD]: Und wer hat das errungen bei den Verhandlungen? Sie nicht!)


– Es war diese Regierung. Die Finanzierung der Kom-
munen hat unser Finanzminister Schäuble als Erster ins
Gespräch gebracht. Ich habe Ihnen die Protokolle schon
x-mal zugeschickt; ich tue das gerne noch einmal.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Aber passiert ist doch nichts!)


Ich weiß sehr sicher, dass die Verhandlungen zum 1. Ja-
nuar 2013 abgeschlossen sein werden und dass diese
Entlastungen kommen.

Aber ich möchte noch andere Punkte aufgreifen, die
Sie aufregen werden. Von daher können Sie Ihre Emo-
tionen noch ein bisschen zurückhalten.


(Bernd Scheelen [SPD]: Hoffentlich! Da kommen einem ja Tränen in die Augen!)


Wir kommen zum Thema Kinderbetreuung. Auch
hier hat der Bund seine Aufgabe erfüllt. Wir haben
4 Milliarden Euro für den Ausbau der Kinderbetreuung
zur Verfügung gestellt. Auch hierbei sieht man wieder,
welche Länder ihren Kommunen Kofinanzierungmittel
zur Verfügung stellen und welche nicht.

Bei den Familienhebammen, beim Bildungspaket, bei
der Sprachförderung, bei Mehrgenerationenhäusern ha-
ben wir unseren Anteil gezahlt. Der Bund lässt die Kom-
munen nicht im Stich. Wir geben Hilfen und nicht die
Möglichkeit, neue Kredite aufzunehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf der Abg. Caren Marks [SPD])


– Das hätten Sie unter Rot-Grün ja mit sehr viel weniger
Druck haben können, Sie haben es aber nicht gemacht.
Von daher ist diese Aussage sehr fragwürdig.

Wir haben aktuell eine einmalige Chance: Im Jahr 2011
stiegen die Einnahmen aus der Gewerbesteuer um fast
14 Prozent auf einen neuen Rekordwert von 42,5 Milliar-
den Euro.


(Bernd Scheelen [SPD]: Sie wollten sie abschaffen!)


2008 – vor der Krise – waren es 41 Milliarden Euro. Das
sind also Steuereinnahmen in einer Höhe, die es nie zu-
vor gegeben hat.

In dieser Situation erzählen Sie den Kommunen: Es
ist doch gut, wenn ihr zusätzliche Kredite zu günstigen
Konditionen aufnehmt. Wir helfen euch dabei. – Das ist
für uns der falsche Weg. Wir glauben, durch eine Kom-
bination aus Strukturmitteln, aus Hilfen aus den Ländern
und auch aus Haushaltskonsolidierungen können wir die
Kommunen auf dem richtigen Weg begleiten. Bei diesen
Hilfsmaßnahmen stehen wir an der Seite der Kommu-
nen. Das gilt aber nicht für den Fall, dass trotz über-
schuldeter Haushalte zusätzliche Kredite aufgenommen
werden.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717310800

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Bernd

Scheelen das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Bernd Scheelen (SPD):
Rede ID: ID1717310900

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kollegin Tillmann, die schwarz-gelbe Ko-
alition kann froh sein, dass es den Vermittlungsaus-
schuss gibt, in dem die SPD und die Grünen eine ge-
wisse Durchschlagskraft haben, sonst hätten Sie diese
positiven Dinge für die Kommunen nicht auf Ihrer Ha-
benseite verbuchen können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Gestern war ich in meiner Heimatstadt Krefeld. Dort
fand eine Konferenz zur Aufstellung der Kandidatinnen
und Kandidaten für die Landtagswahl am 13. Mai statt.


(Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Wechseln Sie?)


Es ging dort um die Wahlkreise Krefeld I und Krefeld II.
Als ich sagte, dass ich heute im Bundestag eine Rede
zum Thema Basel III halten werde, wurde ich gefragt,
welcher Wahlkreis das sei.


(Heiterkeit bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)






Bernd Scheelen


(A) (C)



(D)(B)


Dabei wurde mir deutlich, dass wir häufig über Dinge
reden, die der Bevölkerung nur schwer zu vermitteln
sind. Deswegen will ich noch einmal kurz erklären, was
Basel III ist.


(Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Das war aber ein SPD-Parteitag!)


– Möglicherweise.

Basel III ist ein Regelwerk, das der Baseler Aus-
schuss für Bankenaufsicht geschaffen hat, um Leitplan-
ken zu entwickeln, innerhalb derer sich Banken in ihrem
Geschäft bewegen können, und um auf dem Bankensek-
tor Sicherheit herzustellen. Basel III heißt aber auch,
dass es zuvor Basel I und Basel II gegeben haben muss.
Basel I und II haben die große Finanzkrise mit dem Zu-
sammenbruch von Lehman Brothers im Jahre 2008 nicht
verhindern können. Deswegen ist es logisch, dass es eine
Weiterentwicklung des Regelwerks geben muss. Diese
liegt uns jetzt vor. Darüber debattieren wir heute.

Das Regelwerk Basel III ist sinnvoll, weil es system-
relevante große Banken regulieren soll; denn dort ent-
stand die Krise. Das ist der Ansatz. Wir versuchen, in
unserem Antrag deutlich zu machen, dass das generelle
Regelwerk, das für systemrelevante, weltweit agierende
Banken gedacht ist, die besondere Handelsgeschäfte be-
treiben, nicht für alle Banken gleichermaßen angewen-
det werden kann. Das würde nämlich einer Rasenmäher-
methode entsprechen, durch die die Geschäfte kleiner
und mittlerer Institute, die nur regional tätig sind, sehr
begrenzt würden bzw. durch die bestimmte Kreditge-
schäfte sogar verhindert würden.

Das ist unser Thema. Deswegen haben wir die Kom-
munen in unserem Antrag – „Kommunalfinanzierung si-
chern“ – erwähnt. Frau Kollegin Tillmann, es geht nicht
darum, Kommunen zu ermuntern, sich auf Teufel komm
raus zu verschulden. Das, was Sie hier vorgetragen ha-
ben, ist Wahlkampfrabulistik.


(Antje Tillmann [CDU/CSU]: Wir haben doch keinen Wahlkampf!)


Es geht darum, zu ermöglichen, dass die Kommunen in
Zukunft noch Kredite aufnehmen können.


(Beifall bei der SPD)


Sowohl der Bund, die Länder, die Kommunen wie
auch die reale Wirtschaft kommen nicht ohne Kredite
aus. Es ist sinnvoll, dass man über Kredite Investitionen
finanziert. Das macht jeder Privatmann, der sich ein
Haus bauen oder eine Wohnung kaufen will. Er geht zur
Bank und bittet um einen Kredit, den er dann über
20 oder 30 Jahre abbezahlt. So ähnlich agieren auch die
staatlichen Ebenen, zu denen auch die Kommunen gehö-
ren.

Uns geht es darum, dass dies in Zukunft weiterhin
möglich ist. Wenn Sie mit den Vertretern der Sparkassen
reden – reden Sie doch einmal mit Herrn Haasis; der
steht Ihnen politisch doch näher als uns –, werden Sie
feststellen, dass sie sehr große Sorgen haben, dass dieses
Regelwerk, wenn es nicht differenziert angewendet

wird, verhindert, dass Banken überhaupt noch Kommu-
nalfinanzierung machen.

Wie kommt das? In diesem Zusammenhang will ich ei-
nen Punkt besonders hervorheben. Das ist die Verschul-
dungsobergrenze. Sie wird als Leverage-Ratio bezeich-
net. Verschuldungsobergrenze heißt: Die Banken haben
aufgrund ihres Eigenkapitals und Geschäftsmodells ein
bestimmtes Volumen, das sie als Kredit ausgeben können.
Kommunalkredite zeichnen sich dadurch aus, dass sie
hundertprozentig sicher sind – Frau Kollegin Tillmann
und Herr Sänger, Sie haben diesen Punkt angesprochen –,
weil hinter den Kommunen der Haftungsverbund von
Ländern und Bund steht. Wenn Sie hier die Bonität der
Bundesrepublik Deutschland anzweifeln wollen, dann
sollten Sie das zu Protokoll geben. Ich glaube, das wäre
eine falsche Aussage.


(Beifall bei der SPD)


Es geht, wie gesagt, darum, dass Kommunalkredite
hundertprozentig sicher sind. Kommunen können nach
der geltenden Gesetzeslage nicht pleitegehen. Banken
vergeben Kommunalkredite und erhalten dafür relativ
wenig Zins; denn für ein sicheres Geschäft bekommt
man nur eine kleine Marge.

Wenn nun einer Bank im Hinblick auf ihre Geschäfte
Grenzen vorgeschrieben werden, dann kann, um genü-
gend Geld zu verdienen, die Neigung dieser Bank groß
sein, zu sagen: Wir vergeben keine Kommunalkredite
mehr; wir vergeben lieber Mittelstandskredite oder küm-
mern uns um andere, risikoreichere Geschäfte mit einer
größeren Marge, die also mehr Gewinn bringen. Auch
Institute wie Banken, Sparkassen, Genossenschaftsban-
ken und Förderbanken leben natürlich davon, dass sie ei-
nen Profit machen. Das ist ihre Aufgabe. Die Gefahr be-
steht, dass sie das margenschwache Kommunalgeschäft
abstoßen und sich risikoreicheren Geschäften widmen.
Genau das wollten wir mit Basel III eigentlich verhin-
dern. Hier beißt sich die Katze in den Schwanz.

Deswegen sagen wir: Das Regelwerk muss differen-
ziert angewendet werden, um Kreditklemmen zu verhin-
dern. Ebenso muss verhindert werden, dass sich Kom-
munen in Zukunft nicht mehr finanzieren können; denn
Kommunen tragen 60 Prozent der öffentlichen Investi-
tionen. Sie haben die Verantwortung für Arbeitsplätze
und Beschäftigungssicherung im Mittelstand und im ört-
lichen Handwerk.

Wenn Sie das alles eliminieren wollen, dann müssen
Sie gegen unseren Antrag stimmen. Ich gehe aber davon
aus, dass auch Sie das örtliche Handwerk und den Mit-
telstand in den Kommunen unterstützen wollen. Deswe-
gen müssen Sie unserem Antrag zustimmen. Ich rechne
mit einer breiten Mehrheit.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717311000

Ich schließe die Aussprache.





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)


Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/9167 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 35 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Jörn
Wunderlich, Diana Golze, Matthias W. Birkwald,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Alleinerziehung von Kindern würdigen –
Alleinerziehende gebührend unterstützen

– Drucksache 17/8793 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich bitte Sie, die notwendigen Umgruppierungen im
Plenarsaal zügig vorzunehmen, damit wir jetzt dem ers-
ten Redner folgen können.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Jörn Wunderlich für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Jörn Wunderlich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717311100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Bei dieser Debatte geht es um die Situation Alleinerzie-
hender; man könnte glatt von der „Auflage 3“ reden. Das
Thema dürfte eigentlich allen bekannt sein; für die, die
an partieller Demenz leiden, möchte ich kurz daran erin-
nern:


(Zuruf von der FDP: Was für diskriminierende Äußerungen!)


Wir haben in der 16. Legislaturperiode darüber gespro-
chen, wir haben auch vor anderthalb Jahren über die Si-
tuation Alleinerziehender gesprochen.

Alleinerziehende sind häufig massiv von Arbeitslo-
sigkeit bedroht, sie befinden sich in Teilzeitarbeit oder
sind im Niedriglohnsektor beschäftigt. Ich will aus dem
Koalitionsvertrag zitieren; dort heißt es:

Wir wollen die Rahmenbedingungen für Allein-
erziehende durch ein Maßnahmenpaket verbessern.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Ach nee! Und was hat die Regierung gemacht?)


Was ist in der Zwischenzeit passiert? Nichts. Seit dem
letzten Mittwoch wissen wir ja, wie die Familienministe-
rin mit solchen Themen umgeht: Sie weiß um die Situa-
tion, sie fordert Sachverständigengutachten an usw., und
dann ruft sie hilfeschreiend nach Ideen und Initiativen,
weil ihr selbst nichts einfällt. Gut. Wir legen nun ein
Bündel von Maßnahmen und Initiativen vor. Ich hoffe,
dass die Ministerin zumindest das eine oder andere da-
von aufgreift.


(Beifall bei der LINKEN)


In Anbetracht der Kürze der mir verbleibenden Zeit
kann ich nur einige wenige Punkte aufgreifen. Es geht
zunächst um die Flexibilisierung der Arbeitszeit; darüber
haben wir schon gesprochen. Die Arbeitszeit muss flexi-
bel gestaltet sein. Das ist gerade für Frauen wichtig. In
diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal an die
Quote erinnern und daran, wie wichtig Frauen für die
Unternehmen sind. Ebenfalls erforderlich ist ein gesetz-
licher Mindestlohn, um die Situation von Alleinerzie-
henden deutlich zu verbessern.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Bei einem vorübergehenden Ausstieg aus dem Beruf
muss weiterhin ein Rechtsanspruch auf Qualifizierung
bestehen, ebenso nach dem Wiedereinstieg in den Beruf.
Dieser Anspruch muss also während der Auszeit sowie
nach der Rückkehr Bestand haben. Die soziale Infra-
struktur, auf die Alleinerziehende besonders angewiesen
sind, ist auszubauen. Notwendig ist insbesondere eine
umfassende bedarfs- und altersgerechte Ganztagskinder-
betreuung.

Die Ausbildung und Qualifikation von Erzieherinnen,
Erziehern, Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen
sind sicherzustellen und dem gestiegenen Bedarf anzu-
passen. Vor Jahren habe ich Frau von der Leyen schon
darauf hingewiesen, dass es, berechnet im Hinblick auf
das Jahr 2013, einen Fehlbedarf von 14 000 Erzieherin-
nen und Erziehern gibt.


(Markus Grübel [CDU/CSU]: Guck mal, die Leute gehen!)


– Ja, Markus, die Leute gehen, aber das hat, glaube ich,
andere Gründe. – Inzwischen wurde festgestellt, dass
nicht nur 14 000, sondern 20 000 Erzieherinnen und Er-
zieher fehlen. Es gibt aber keine entsprechend hohe Zahl
von Auszubildenden. Das heißt, die Regierung weiß,
dass es zu einem Mangel kommt, aber sie macht nichts –
das Übliche halt.

Die Kürzungen in der Kinder- und Jugendhilfe müs-
sen rückgängig gemacht werden.


(Dagmar Ziegler [SPD]: Frau Ministerin ist auch nicht da!)


– Frau Ministerin ist auch nicht da; das stimmt. Sie inte-
ressiert sich anscheinend nicht so richtig für dieses
Thema. –


(Sibylle Laurischk [FDP]: Die Regierung ist vertreten!)


In diesem Bereich geht es darum, auf kommunaler
Ebene und auf Kreisebene letztlich die alleinerziehenden
Mütter und – wir wollen sie nicht vergessen – die allein-
erziehenden Väter zu unterstützen.

In diesem Zusammenhang ist natürlich zu sagen, dass
das sogenannte Betreuungsgeld zurückzunehmen ist. Es
ist familienpolitisch absoluter Quatsch und Nonsens; das
hat die Anhörung gezeigt. Insofern hat die Regierung
gestern wieder eine Chance vertan, als es um das Betreu-
ungsgeld ging.


(Beifall bei der LINKEN)






Jörn Wunderlich


(A) (C)



(D)(B)


Ich zitiere einmal den VAMV, der zum Kindertages-
stättenausbau sagt: Davon würden besonders Allein-
erziehende und Familienernährerinnen profitieren, denn
Alleinerziehende brauchen Kitaplätze und kein Betreu-
ungsgeld.


(Beifall bei der LINKEN und der SPD – Caren Marks [SPD]: Da ist wieder das böse Wort!)


Bei der Gesundheitsförderung und den Maßnahmen
der Prävention, bei den Mutter-Kind- und Vater-Kind-
Kuren – man muss sich nur die Ablehnungspraxis der
Krankenkassen anschauen – besteht dringender Hand-
lungsbedarf. All das steht in unserem Antrag.

Die finanzielle Absicherung von Alleinerziehenden
und Kindern ist zu gewährleisten. Der Unterhaltsvor-
schuss ist auszubauen. Es dürfen nicht, wie jetzt von der
Regierung geplant, Streichungen erfolgen. Den Allein-
erziehenden darf beim Unterhaltsvorschuss kein Monat
verloren gehen, wodurch sie wieder finanziell schlech-
tergestellt werden würden, was offensichtlich der Sinn
der Maßnahme ist. Vielmehr ist der Unterhaltsvorschuss
auszubauen und bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres
zu gewähren. Die maximale Bezugsdauer von derzeit
72 Monaten ist zu entfristen. Der Entlastungsbetrag für
Alleinerziehende im Steuerrecht ist auf 1 308 Euro anzu-
heben. Die Kürzungen beim Elterngeld sind zurückzu-
nehmen.

Wenn mir jetzt einer von der Koalition kommt und
sagt: „Da sind wir ja dran, und alles ist auf einem guten
Weg“, dann muss ich sagen: Diesen „guten Weg“ kenne
ich jetzt seit sechseinhalb Jahren. Auf dem „guten Weg“
ist so dermaßen viel abgeladen worden, dass ich nicht
weiß, wo er zu finden ist; wahrscheinlich ist er im Be-
reich der Mythologie anzusiedeln. Es gibt Vorhaben der
Regierung, die so alt sind, dass sie in Kürze eingeschult
werden.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717311200

Kollege Wunderlich, achten Sie bitte auf die Zeit.


Jörn Wunderlich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717311300

Ja, es geht doch noch.


(Heiterkeit)


Ich bin sofort fertig. – Langsam habe ich den Eindruck:
Bei dieser Regierung ist der Weg das Ziel. Ich denke, da
besteht dringender Handlungsbedarf, damit den Allein-
erziehenden endlich geholfen wird.

Danke für die Nachsicht. Ich wünsche frohe Ostern.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717311400

Ich weise darauf hin, dass es noch die Möglichkeit

gibt, diesen Antrag in aller Ausführlichkeit in den Aus-
schüssen zu beraten.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das wollte ich ja sagen, aber das durfte ich dann nicht mehr!)


Die Kollegin Nadine Schön hat für die Unionsfrak-
tion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen!

Wenn ich als Mutter alleine wäre und ich hätte we-
der Partner noch Großeltern, noch soziales Umfeld
oder Freunde noch irgendwas, dann würde ich viel-
leicht wirklich sagen, bin ich „alleinerziehend“.

Ich bin eine Mutter mit Kind, aber ich bin nicht al-
leinerziehend.

Das sind Aussagen aus der Studie Lebenswelten und
-wirklichkeiten von Alleinerziehenden des Sinus-Insti-
tuts.

Diese Aussagen zeigen: Die meisten Alleinerziehen-
den mögen das Wort „alleinerziehend“ nicht, weil es
nach Einsamkeit und Isolation klingt. Die Studie zeigt,
dass das Selbstbild alleinerziehender Mütter und Väter
in Deutschland – in der Studie dreht es sich vor allen
Dingen um Mütter – wesentlich positiver ist als das
Fremdbild. Das war für mich eine sehr interessante Er-
kenntnis.

Laut der Studie überwiegt bei allen Schwierigkeiten,
die Alleinerziehende anerkanntermaßen haben und die
wir auch in den Blick nehmen müssen, bei vielen das
glückliche und stolze Gefühl, Mutter zu sein. Viele be-
werten ihr Leben weitaus weniger kompliziert, als ihnen
das durch die Öffentlichkeit suggeriert wird. Sie leiden
unter den Vorurteilen, dem negativen Fremdbild und der
Opferrolle, die ihnen zugeschrieben wird.

Diese Studie verschafft wirklich ein sehr klares Bild.
Wenn man sich Medienberichte anschaut und auch
schaut, wie wir immer über das Thema diskutieren – ich
glaube, da müssen wir uns an die eigene Nase fassen –,
dann erkennt man, dass das Bild wirklich von Begriffen
wie „Hilfsbedürftigkeit“, „Chancenlosigkeit“, „finan-
ziell schwierige Situation“ und „Einsamkeit“ geprägt ist.
Das ist auch der Tenor Ihres Antrags, liebe Kolleginnen
und Kollegen von der Linkspartei. Ich finde, das müssen
wir alle gemeinsam einmal überdenken.

Das Bild, das Sie in Ihrem Antrag von den Allein-
erziehenden zeichnen, ist sehr einfach. Deshalb sind
auch Ihre Antworten auf die wirklich komplexe Lebens-
situation Alleinerziehender ziemlich einfach. Sie sagen
schlicht: Es muss mehr Geld her, und die Wirtschaft
muss umgekrempelt werden.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Die Strukturen!)


Ich habe mich beim Lesen Ihres Antrags wirklich
gefragt: Was bringt nun den Alleinerziehenden eine
„kollektive Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnaus-





Nadine Schön (St. Wendel)



(A) (C)



(D)(B)


gleich“? Eben haben Sie die Quote angesprochen. So-
sehr ich dafür bin: Aber was bringt die Frauenquote den
Alleinerziehenden? Wie viele Unternehmen werden
dann noch Alleinerziehende einstellen, wenn Sie den
Kündigungsschutz für Alleinerziehende bis zum 7. Le-
bensjahr des Kindes ausdehnen? Ihre Vorschläge gehen
in die falsche Richtung. Sie werden den Bedürfnissen
und auch der komplexen Situation von Alleinerziehen-
den in keiner Weise gerecht.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Natürlich legen Alleinerziehende wie jeder andere
auch Wert auf soziale Absicherung und finanzielle Si-
cherheit. Dass sie es besonders schwer haben – das zei-
gen uns die Zahlen –, kritisieren Sie in Ihrem Antrag zu
Recht. Was Sie aber verkennen, ist, dass auch Allein-
erziehende die soziale Sicherheit am liebsten nicht vom
Staat bekommen, sondern sich selbst erarbeiten wollen.
Dafür spricht, dass über 57 Prozent der Alleinerziehen-
den tatsächlich einen Job haben. Zwei Drittel von denen,
die arbeitslos sind, wollen arbeiten. Selbstständigkeit,
das eigene Leben managen, das wollen die meisten Al-
leinerziehenden. Das ist ihnen wichtiger als die Transfer-
leistungen, die Sie fordern. Genau in diesem Wunsch
sollten wir sie unterstützen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Genau! Kinderbetreuung! Kindertagesstätten!)


Dafür braucht es natürlich an erster Stelle einen Arbeits-
platz. Hier gilt: Sozial ist, was Arbeit schafft.


(Caren Marks [SPD]: Jede Arbeit?)


Deshalb trägt die gute wirtschaftliche Entwicklung dazu
bei, die Chancen von Alleinerziehenden zu verbessern.

Will ich als Alleinerziehende arbeiten, dann brauche
ich in dieser Zeit natürlich eine gute Kinderbetreuung.
Deshalb ist der vom Bund forcierte Ausbau der Kinder-
tagesstätten genau das Richtige für Alleinerziehende.
Nachmittagsbetreuung in den Schulen und vor allem
verlässliche Schulzeiten sind hier unverzichtbare Ele-
mente; denn als Mutter oder Vater kann ich nur dann ar-
beiten, wenn ich mein Kind in guten Händen weiß. Be-
treuung wiederum kann nur funktionieren, wenn die
Arbeitszeiten mit den Öffnungszeiten der Betreuungs-
einrichtungen harmonisieren.

Diese Zahnräder müssen perfekt ineinandergreifen.
Das macht die Sache so schwer. Deshalb beschäftigt sich
die vom Bundesfamilienministerium forcierte Initiative
„Familienbewusste Arbeitszeiten“ mit genau diesem
Thema. Sensibilität und Verständnis des Arbeitgebers
sind wichtige Voraussetzungen für die Vereinbarkeit von
Kindererziehung und Beruf und für Alleinerziehende
ganz besonders wichtig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Neben dem Arbeitsplatz und neben der Betreuung ist
natürlich die finanzielle Absicherung ein wichtiges
Thema, gerade dann, wenn derjenige, der Unterhalt zah-
len muss, seinen Pflichten nicht nachkommt. Fehlende
Unterhaltszahlungen können ein massives Problem für

diejenige werden, die die Verantwortung für das Kind
übernimmt. Deshalb gibt es den Unterhaltsvorschuss.
Wie Sie wissen, haben wir die Höhe in dieser Legislatur-
periode angehoben. Wir sind mit der Entwicklung des
Unterhaltsvorschusses ganz sicher noch nicht am Ende.
Diese Art von Hilfe kommt wirklich an.

Schließlich brauchen Alleinerziehende unbürokrati-
sche und schnelle Hilfe. In meinem Wahlkreis laufen
zwei Projekte mit Alleinerziehenden als Zielgruppe. Da
wurde genau geschaut: Was brauchen Alleinerziehende
vor Ort wirklich? Wie Sie wissen, komme ich aus dem
ländlichen Raum, wo die Situation besonders schwierig
ist. Als Ergebnis der Projekte hat sich herausgestellt:
Wenn engagierte Menschen als Ansprechpartner vor Ort
mit den Alleinerziehenden zusammen ein Netz spinnen,
wenn sie die Kinderbetreuung sicherstellen, wenn sie im
Haushalt unterstützend tätig sind und sich dafür ein-
setzen, dass die Arbeitszeiten mit dem Arbeitgeber ab-
gestimmt werden, dann können diese Helfer dazu beitra-
gen, dass die Alleinerziehenden genau das bekommen,
was sie brauchen. Dann können sie dazu beitragen, dass
Alleinerziehende ihr Leben selbst managen. Das ist
wirklich konkrete Unterstützung, die ankommt. Von die-
sen Projekten können wir alle lernen.

Mit der chronischen Verteilungsmaschinerie, die Sie
vorschlagen, hilft man bestimmt kurzfristig, aber nicht
nachhaltig. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab. Wir
wollen Politik machen, die wirklich hilft.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ja, dann fangt mal an!)


Deshalb wollen wir genau so vorgehen, wie ich es eben
geschildert habe. Mit Ihrem Antrag helfen wir vielleicht
kurzfristig, aber langfristig helfen wir den Alleinerzie-
henden nicht.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Da ist er wieder, der gute Weg!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717311500

Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Caren

Marks das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Caren Marks (SPD):
Rede ID: ID1717311600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem
letzten Tagesordnungspunkt in dieser Sitzungswoche vor
Ostern debattieren wir ein wichtiges Thema: die Unter-
stützung Alleinerziehender in unserem Land. Viele der
im Antrag der Linken formulierten Forderungen sind
richtig und gleichermaßen wichtig. Über Details werden
wir sicherlich noch in der Ausschussberatung sprechen.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Dafür sind die da!)


Fakt ist: Alleinerziehende, aber auch ihre Kinder leis-
ten in ihrem Alltag Enormes und müssen von der Politik,





Caren Marks


(A) (C)



(D)(B)


von uns, insgesamt noch mehr Unterstützung erfahren,
und zwar nicht nur in Form von politischen Erklärungen,
Frau Schön, sondern in Form von Taten.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Nadine Schön [St. Wendel] [CDU/CSU]: Machen wir doch!)


Der Anteil Alleinerziehender hat sich in den letzten
30 Jahren verdoppelt. Die sogenannten Ein-Elternteil-
Familien – in Deutschland sind es circa 1,6 Millionen –
machen ungefähr ein Fünftel aller Familien in Deutsch-
land aus. Es sind nach wie vor überwiegend alleinerzie-
hende Frauen, circa 90 Prozent. All das ist bekannt.
Aufgabe der Politik ist es, gesellschaftliche Rahmenbe-
dingungen zu schaffen, die die Lebenssituation Allein-
erziehender und ihrer Kinder wirklich verbessert. Politik
für Alleinerziehende ist und bleibt eine Querschnittsauf-
gabe.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dabei muss es insbesondere um die Vereinbarkeit von
Familie und Beruf, um die Betreuungssituation, die Bil-
dung, die Erwerbssituation, aber um auch um eine ge-
zielte finanzielle Unterstützung gehen. Alles in allem
geht es um nichts anderes als um eine moderne und so-
zial gerechte Familienpolitik, die diesen Namen auch
verdient; denn Familie ist für uns überall dort, wo Men-
schen füreinander Verantwortung übernehmen.

Beim Thema Alleinerziehende geht es aber auch um
Gleichstellung und Chancengleichheit vor allem von
Frauen, etwa auf dem Arbeitsmarkt; es geht aber auch
um die Chancengleichheit von Kindern. Im Detail geht
es natürlich – Herr Wunderlich sprach das an – um Re-
gelungen im Zusammenhang mit dem Elterngeld, dem
Sorgerecht, dem Unterhalt, dem Unterhaltsvorschuss
und vieles andere Wichtige mehr. Es ist theoretisch ein
wirklich weites Betätigungsfeld für die Bundesregie-
rung. Nur leider kommt auch hier nichts, aber auch gar
nichts Substanzielles.

Alleinerziehende brauchen einen gelungenen Mix aus
all dem. Vor allem brauchen sie gute Arbeit. Nach wie
vor haben sie nur eingeschränkte Möglichkeiten, einer
existenzsichernden Arbeit nachzugehen und eine eigen-
ständige Alterssicherung aufzubauen. Der Gleichstel-
lungsbericht der Bundesregierung hat sehr deutlich dar-
gelegt, dass eine eigenständige Existenzsicherung und
finanzielle Unabhängigkeit nur mit einer Vollzeitbe-
schäftigung bzw. vollzeitnahen Beschäftigung möglich
sind. Alleinerziehende sind mit 37 Prozent mehr als an-
derthalbmal so häufig in Vollzeit erwerbstätig als Mütter
in sogenannten Paarhaushalten. Die Möglichkeit, einer
solchen Beschäftigung nachzugehen, hängt aber ent-
scheidend vom Betreuungsangebot in unserem Land ab.
Ist die Betreuung der Kinder unter sechs Jahren sicher-
gestellt, ist immerhin über die Hälfte der alleinerziehen-
den Mütter erwerbstätig.

Allerdings liegt die Teilzeitquote von Frauen insge-
samt in Deutschland deutlich über dem EU-Durch-
schnitt. Fast die Hälfte aller erwerbstätigen Frauen ar-
beitet – überwiegend nicht gewünscht – in Teilzeit.

Hauptgrund für Teilzeittätigkeit sind die Betreuung von
Kindern und die Pflege von Angehörigen sowie unzurei-
chende Betreuungs- und Unterstützungsangebote. Auch
deshalb brauchen wir einen Rechtsanspruch auf Wieder-
aufstockung der Arbeitszeit und weder unverbindliche
Erklärungen von Arbeitgebern noch Showveranstaltun-
gen für die Presse.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie der Abg. Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Teilzeitarbeit und die Beschäftigung zu Niedriglöh-
nen stehen einer eigenständigen Existenzsicherung Al-
leinerziehender im Weg. Deshalb ist die Einführung ei-
nes gesetzlichen Mindestlohns – wir können es nicht oft
genug sagen – ein notwendiger und wirklich längst über-
fälliger Schritt.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber auch hier bleibt festzuhalten: Die Bundesregierung
interessiert sich nicht für die Situation der Frauen, und
schon gar nicht für die Situation Alleinerziehender.


(Ewa Klamt [CDU/CSU]: Das ist einfach Quatsch! – Sibylle Laurischk [FDP]: Das stimmt doch nicht, Frau Marks!)


– Ich scheine es getroffen zu haben, sonst würden Sie
nicht so aufjaulen.


(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh! – Sibylle Laurischk [FDP]: Es ist nur die Frage, wer hier aufjault!)


– Der Beweis ist noch einmal erbracht; das ist schön.

Alleinerziehende benötigen vor allem verlässliche
Angebote an Kinderbetreuungsplätzen. Deswegen sind
Kitas und Ganztagsschulen, aber auch die Erfüllung des
Rechtsanspruchs auf einen Krippenplatz für unter Drei-
jährige ab 2013 so besonders wichtig. Der Ausbau muss
hier schneller vorangehen. Wir fordern von Familienmi-
nisterin Schröder, die hier in der Pflicht ist, zu Recht,
endlich einen Krippengipfel einzuberufen, um mit den
Ländern und Kommunen schneller voranzukommen.
Die Eltern und Kinder in unserem Land brauchen das.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ewa Klamt [CDU/CSU]: Richtig, weil die Länder nichts bringen!)


Eine Verbesserung der Betreuungssituation bedingt
auch mehr Ganztagsangebote. Eine zuverlässige ganztä-
gige Betreuung geht mit mehr Chancen für eine Er-
werbstätigkeit gerade Alleinerziehender einher. Daher
muss der Ausbau von Ganztagsangeboten und Ganztags-
schulen vorangehen.

Gerade erst gestern hat die Bundesfamilienministerin
eine neue Studie präsentiert. Die Studie zeigt, dass ein
flächendeckendes Angebot an Ganztagsbetreuungsplät-
zen 110 000 Alleinerziehende in Arbeit bringen könnte.
Damit wären 175 000 Kinder finanziell besser abgesi-
chert. Zudem haben Kinder von Alleinerziehenden





Caren Marks


(A) (C)



(D)(B)


durch gute Betreuungsangebote – auch das sagt diese
Studie – bessere Bildungschancen.

Die Studie zeigt ebenfalls ganz klar, dass sich die
Ganztagsbetreuung mittelfristig für die öffentliche Hand
auch finanziell auszahlt: durch Erwerbstätigkeit, weni-
ger Sozialleistungen, weniger Nachqualifizierung und
vieles mehr.

Das alles sind viele richtige und wichtige Erkennt-
nisse. Aber es steht zu befürchten – wie bei vielen ande-
ren Studien, die aus dem Familienministerium veröffent-
licht werden –, dass es bei der Präsentation bleibt.
Fakten und wichtige Erkenntnisse, wie zum Beispiel im
Gleichstellungsbericht, führen nicht zu einer politischen
Umsetzung durch die Bundesregierung. Frau Schröder
ist und bleibt seit nunmehr gut zwei Jahren handlungsun-
willig. Ich finde, es ist Zeit zum Aufwachen.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der Ausbau der Kinderbetreuung ist und bleibt die
wichtigste Voraussetzung dafür, erwerbstätig sein zu
können und damit unabhängig von staatlichen Transfer-
leistungen zu leben. Dies ist auch langfristig die wirklich
beste Armutsvermeidungsstrategie; denn Alleinerzie-
hende haben nach wie vor ein hohes Armutsrisiko. Das
ist nicht zu akzeptieren. Auch in diesem Zusammenhang
bleibt unerklärbar, weshalb diese Bundesregierung das
unsinnige Betreuungsgeld einführen will.

Natürlich haben auch die Transferleistungen für die
Situation von Alleinerziehenden eine Bedeutung. Mehr
als jede dritte Familie mit nur einem Elternteil bezieht
Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II. Für
knapp ein Drittel der Alleinerziehenden stellt diese Leis-
tung eine Überbrückungsphase dar. Die Vermittlung in
existenzsichernde Arbeit ist eine sehr wichtige Aufgabe.

Alleinerziehende brauchen auch Teilzeitqualifizie-
rungsmöglichkeiten; denn diese können gerade für ar-
beitslose Alleinerziehende für die spätere Berufstätigkeit
eine wichtige und gute Grundlage darstellen.

Ich komme zum Schluss. Zu der Situation von Allein-
erziehenden gäbe es noch viel zu sagen. Fest steht: Im
Gegensatz zu Schwarz-Gelb wollen wir, also alle Oppo-
sitionsparteien, Alleinerziehende in unserer Gesell-
schaft nicht im Regen stehen lassen. Sie brauchen die
Unterstützung und Wertschätzung der Politik. Darum
muss gehandelt werden.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717311700

Für die FDP-Fraktion hat die Kollegin Sibylle

Laurischk das Wort.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Sibylle Laurischk (FDP):
Rede ID: ID1717311800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diese

Debatte zeigt mir, dass wir noch einmal ganz grundsätz-

lich etwas zum Thema Alleinerziehende sagen sollten.
Man kann dieses Thema sicherlich behandeln, indem
man über viele Einzelleistungen spricht. Wir sollten uns
aber bewusst machen, dass sich die Gesellschaft in den
letzten Jahren tatsächlich gewandelt hat. Diesem Wandel
widmen wir uns als die die Bundesregierung tragenden
Koalitionsfraktionen ernsthaft.

Im Raum steht zum einen der Begriff des Alleinerzie-
henden, der alleinerziehenden Mutter; Frau Schön, Sie
haben das Stichwort genannt. Vor Jahren war das noch
ein Stigma. Das war ein Tabu. Es wurde die Frage ge-
stellt: Ist da etwas schiefgelaufen? Mittlerweile ist das
Realität. Ungefähr ein Viertel unserer Familien sind Fa-
milien mit einem Elternteil. Das heißt, es sind Allein-
erziehende. Es gibt immer mehr Alleinerziehende, übri-
gens auch immer mehr alleinerziehende Männer.
Männer nehmen zunehmend ihre Verantwortung wahr
und stellen sich der Aufgabe, die sich aufgrund von
Trennung oder anderen persönlichen Entwicklungen ein-
fach ergibt. Dieser Realität müssen wir uns politisch
stellen.

Ich glaube, wir stellen uns dieser Realität. Im Fami-
lienausschuss sind wir einhellig der Auffassung, dass
wir den Bereich der Kinderbetreuung ganz entschieden
ausbauen müssen. Es ist gar keine Frage mehr, ob wir
das wollen. Die Frage ist eher, ob wir das in angemesse-
ner Zeit schaffen. Der Anspruch auf Kinderbetreuung ist
für uns eine Selbstverständlichkeit. Er wird überhaupt
nicht mehr infrage gestellt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Ich möchte hier durchaus auch anmerken, dass das
Betreuungsgeld, das in diesem Zusammenhang immer
wieder genannt wird, nach meinem Dafürhalten zu
Recht kritisiert wird. Der Wunsch, daheimbleiben zu
können und sich seinem Kind widmen zu können, ist ja
verständlich. Ob wir dafür unbedingt Geld ausgeben
müssen, bezweifle ich.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Es ist durchaus wünschenswert, sich seinem Kind wid-
men zu können. Ob wir uns das leisten können, ist eine
ganz andere Frage. In vielen Familien ist nicht nur das
Einkommen eines Elternteils, sondern beider Elternteile
dringend notwendig, um überhaupt die Existenz der Fa-
milie zu sichern. Das zeigt, dass der Alleinerziehende
bzw. die alleinerziehende Mutter mit ihrem Einkommen,
so sie eines hat, oftmals am Rand des Existenzmini-
mums steht.

Wenn die Alleinerziehende dann auch noch keinen
Unterhalt bekommt, dann ist die Situation der Familie
ganz schwierig. In der Debatte wird dieses Thema mei-
ner Ansicht nach völlig unterschätzt. Viele alleinerzie-
hende Elternteile bekommen vom anderen Elternteil
keinen Unterhalt für ihre Kinder. Das ist kein Kavaliers-
delikt – dies ist übrigens ein Straftatbestand im Strafgesetz-
buch; dessen sollten wir uns einmal bewusst werden –, son-
dern dabei handelt es sich um eine völlige Verkennung





Sibylle Laurischk


(A) (C)



(D)(B)


der Situation der Alleinerziehenden. Hier müssen wir
Hilfestellung geben.

Ich glaube, dass das Ziel, eine Erhöhung des Unter-
haltsvorschusses zu erreichen, richtig ist. Das ist finan-
ziell zweifellos schwierig; daraus mache ich gar keinen
Hehl. Der Unterhaltsvorschuss ist eine familienpoliti-
sche Leistung und keine Sozialleistung, die es schon
lange gibt. Dieser Unterhaltsvorschuss muss als Über-
brückungsleistung dann, wenn kein Unterhalt gezahlt
wird, für einen längeren Zeitraum gewährt werden und
nicht nur bis zum zwölften Lebensjahr eines Kindes.
Dies wurde von uns zu Recht im Koalitionsvertrag ver-
ankert.

Meiner Ansicht nach müssen Alleinerziehende – in
der Mehrzahl sind es Mütter – die Möglichkeit zur Be-
rufstätigkeit haben. Hierfür ist öffentliche Unterstützung
in Form von Kinderbetreuung nötig.

Im Zusammenhang mit dem Thema Alleinerziehende
wird oftmals die Situation von Migranten verkannt. Al-
leinerziehende Migranten befinden sich in einer noch
schwierigeren wirtschaftlichen Situation. Sie leiden be-
sonders unter Stigmatisierung, weil es in der Zuwande-
rungsgesellschaft oftmals überhaupt nicht akzeptiert ist,
alleinerziehend zu sein.

In diesem Feld haben wir also einige Fragen aufzu-
werfen und zu beantworten, die meiner Ansicht nach zu
wenig Beachtung finden. Sie eignen sich auch nicht für
Plattitüden und kontroverse Exkurse, die man heute in
der letzten Debatte eventuell noch auf den Weg bringen
will.

Ich werbe dafür, dass wir das Thema Alleinerzie-
hende als eine echte Aufgabenstellung der Familienpoli-
tik in diesem Lande verstehen und entsprechende Si-
gnale senden; dies tun wir insgesamt mit unserer
familienpolitischen Aufstellung. Durch die Anhörung im
Ausschuss werden wir hoffentlich die Differenziertheit
dieser Situation noch besser verstehen. Wir müssen in
unsere Gesellschaft das Signal senden, dass es kein
Stigma mehr ist, alleinerziehend zu sein, sondern dass es
je nach persönlicher Situation durchaus ein Schicksal
sein kann, das man sich so nicht ausgesucht hat, dem
man sich aber stellt. Wir werden die bestehenden Pro-
bleme hoffentlich gut lösen.

Ich hoffe, dass ich in diese Diskussion etwas mehr
Ruhe und Augenmaß bringen konnte; das ist mir bei die-
sem Thema sehr wichtig.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717311900

Mein Respekt, Kollegin Laurischk, Sie sind bisher die

Einzige, die sich an die vorgesehene Redezeit gehalten
hat.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das Wort hat nun die Kollegin Katja Dörner für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1717312000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Liebe Kollegin Schön, ich finde es sehr
gut, dass Sie hier deutlich gemacht haben, dass sich Al-
leinerziehende nicht in der Opferrolle sehen. Das ist
nämlich nicht so. Aber das darf gerade nicht heißen, dass
wir in der Politik ihre besondere Lebenssituation und
ihre besonderen Bedürfnisse komplett aus dem Blick
verlieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Nadine Schön [St. Wendel] [CDU/CSU]: Das habe ich nicht gesagt!)


Das ist leider bei dieser Bundesregierung der Fall.
Weitere Belege dafür sind der aktuelle Achte Familien-
bericht und auch die Stellungnahme der Bundesregie-
rung dazu. Der Familienbericht befasst sich dezidiert mit
dem Faktor Zeit. Der Faktor Zeit ist natürlich für Allein-
erziehende von ganz besonders herausragender Bedeu-
tung, aber weder im Familienbericht noch in der Stel-
lungnahme werden die Alleinerziehenden besonders
erwähnt. Dabei müsste sich die Familienministerin den
Alleinerziehenden ganz besonders widmen.

Eben wurde schon gesagt: Zwei Drittel der Alleiner-
ziehenden bestreiten ihren Lebensunterhalt durch Er-
werbstätigkeit. Mehr als die Hälfte von ihnen arbeitet in
Vollzeit. Damit ist die Erwerbsquote deutlich höher als
die verheirateter Frauen. Trotzdem ist das Armutsrisiko
von Alleinerziehenden deutlich erhöht. Das muss uns zu
denken geben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Was ist zu tun? Selbstverständlich ist der Ausbau der
Kindertagesbetreuung elementar; das ist schon gesagt
worden. Erst gestern hat das Deutsche Rote Kreuz eine
Studie vorgelegt, in der ganz klar belegt wird, dass Ganz-
tagsplätze unabdingbar sind. Deshalb ist es überfällig,
dass in dem diesbezüglichen Bundesgesetz klargestellt
wird, dass es sich beim Recht auf einen Betreuungsplatz
um einen Ganztagsplatz handelt. Selbstverständlich
muss auch der Ausbau der Ganztagsschulen forciert wer-
den.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Es geht um mehr. Gut die Hälfte der alleinerziehen-
den Frauen mit Kindern zwischen null und sechs Jahren
hat keinen Berufsabschluss. Fast 20 Prozent haben nicht
einmal einen Schulabschluss. Vor diesem Hintergrund ist
es fatal, dass die schwarz-gelbe Koalition die Anzahl der
öffentlich geförderten Beschäftigungsangebote fast hal-
biert hat; denn passgenaue Hilfen bei der Qualifizierung
und die Heranführung an den ersten Arbeitsmarkt sind
für diese jungen Mütter unerlässlich. Wir unterstützen
ausdrücklich die Forderung im Antrag der Linken, die
Möglichkeiten, eine Teilzeitausbildung zu machen, aus-





Katja Dörner


(A) (C)



(D)(B)


zubauen, weil sich damit für viele Alleinerziehende neue
Perspektiven eröffnen, insbesondere wenn sie kleine
Kinder haben.

Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag verein-
bart, die Altersgrenze der Kinder im Unterhaltsvor-
schussgesetz von 12 auf 14 Jahre auszuweiten. Das wäre
eine sinnvolle Maßnahme. Wir wissen: Dieses Vorhaben
liegt auf Eis. Wir dürfen jetzt nicht nur nicht auf Verbes-
serungen hoffen, sondern wir müssen uns eventuell so-
gar auch auf Verschlechterungen einstellen. Aus dem
Bundesrat kommt das sogenannte Unterhaltsvorschuss-
entbürokratisierungsgesetz auf uns zu; Herr Wunderlich
hat es schon angesprochen. Wir müssen befürchten, dass
unter dem Label Entbürokratisierung Maßnahmen einge-
führt werden, die faktisch zulasten der unterhaltsberech-
tigten Kinder und damit ihrer alleinerziehenden Eltern
gehen. Wir werden uns damit im Bundestag befassen.
Ich möchte Sie aber bereits jetzt für dieses Thema sensi-
bilisieren, weil ich finde, dass wir das nicht zulassen dür-
fen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, der Verband al-
leinerziehender Mütter und Väter hat in einem Positions-
papier zur Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik sehr
gut herausgearbeitet, dass alleinerziehende Frauen auf
dem Arbeitsmarkt nicht in erster Linie deshalb benach-
teiligt sind, weil sie alleinerziehende Frauen sind, son-
dern erstens deshalb, weil sie Frauen sind, und zweitens,
weil sie Mütter sind. Solange die Geschlechtergerechtig-
keit auf dem Arbeitsmarkt nicht forciert wird, so lange
wird sich auch für alleinerziehende Mütter wenig än-
dern. Wir müssen also große und kleine Räder drehen.
Es wäre wichtig, bei den Alleinerziehenden endlich da-
mit anzufangen.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717312100

Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Eckhard

Pols das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Eckhard Pols (CDU):
Rede ID: ID1717312200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Frau Marks hat es schon gesagt:
1,6 Millionen Menschen in Deutschland sind alleinerzie-
hend, und 90 Prozent davon sind Frauen; da haben Sie
völlig recht. Die Linksfraktion hat in ihrem Antrag ver-
sucht, eine Momentaufnahme der Situation der Alleiner-
ziehenden zu machen. Ich finde, das Bild, das Sie zeich-
nen, ist ein bisschen schief. Sicherlich ist nicht alles
glänzend; aber das Bild ist schief.

Die Gründe für Alleinerziehung sind vielfältig. Mal
ist sie ungewollt, mal gewollt. Vielleicht kommt es auch
durch das Ende einer Beziehung dazu. Wenn es ganz
schlimm kommt, wird sie durch den Tod des Partners

verursacht. Aber viele Alleinerziehende sind nicht ein
Leben lang alleinerziehend. Wer alleinerziehend ist,
muss all das, was vorher gemeinsam mit der Familie und
dem Partner rund lief, allein bewerkstelligen. Dabei geht
es um Erziehung, Schule, Unterhalt, Versorgung und
Freizeit; das sind nur einige Themen, die auf die allein-
erziehende Person und ihre Kinder zukommen.

In Ihrem Antrag fordern Sie zu Recht, dass der Staat
hierfür Rahmenbedingungen schaffen muss, Rahmenbe-
dingungen, wie sie der Staat auch für eine funktionie-
rende, florierende Wirtschaft schafft. So gut wie diese
Bundesregierung dies für die Wirtschaft tut – wir mer-
ken, es boomt in Deutschland –, tut sie das auch für die
Familien in Deutschland. Dazu zählen auch die Familien
der Alleinerziehenden. Das Bild, das Sie von den allein-
erziehenden Familien zeichnen, ist falsch.

Wir als CDU haben schon in der Großen Koalition
mit der zentralen Aufgabe einer modernen und zukunfts-
weisenden Familienpolitik, wie es in Ihrem Antrag heißt,
begonnen. Unter Rot-Grün war so etwas nicht möglich.
Kanzler Schröder hat Familienpolitik ja noch als „Ge-
döns“ abgetan.


(Caren Marks [SPD]: Oje! Schon wieder!)


Wir haben diese Kompetenz an uns gezogen und – ich
nenne nur ein Beispiel, das wir schon mehrfach gehört
haben – die Krippenvereinbarung zwischen Bund, Län-
dern und Kommunen auf den Weg gebracht. Dies war
ein entscheidender Schritt zur Förderung der Vereinbar-
keit von Familie und Beruf. Besonders für Alleinerzie-
hende muss eine bedarfsgerechte Palette von Kinder-
betreuungsangeboten zur Verfügung gestellt werden.
Denn gerade Alleinerziehenden ermöglicht oft erst die
Kinderbetreuung eine eigene Erwerbstätigkeit, ohne die
nicht selten andere staatliche Leistungen wie das Ar-
beitslosengeld II in Anspruch genommen werden müss-
ten.

Sie behaupten in Ihrem Antrag, dass auf der Ebene
der unterstützenden Infrastruktur Defizite unübersehbar
sind.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ja!)


Ich behaupte das Gegenteil. Der Ausbau der Kinderbe-
treuung für unter Dreijährige stockt nicht – wenn, dann
vielleicht in den Ländern und Kommunen, in denen Sie
an der Regierung beteiligt sind.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ja, ja! So wie in München!)


Ich will nur ein Beispiel nennen, wo das funktioniert,
Herr Wunderlich.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: In Bayern?)


– Nein,


(Caren Marks [SPD]: Sagen Sie jetzt bitte nicht: in Niedersachsen!)


in Niedersachsen,


(Caren Marks [SPD]: Oh Gott! Niedersachsen ist Schlusslicht!)


und zwar in meiner Heimatstadt Lüneburg.





Eckhard Pols


(A) (C)



(D)(B)


Ich kann Ihnen sagen, dass wir dort sehr gut aufge-
stellt sind. Bis Ende 2012 haben wir die 35-Prozent-
Quote erreicht. Wir hören aber nicht auf. Denn wir wis-
sen: Wir leben in einer wachsenden Region, und wir
brauchen mehr. Wir wollen nämlich attraktiv bleiben.
Wir wollen den Alleinerziehenden das bieten, was sie
brauchen. Viele Alleinerziehende sind nämlich – das
wissen Sie – im Schichtdienst tätig: in der Alten- oder
Krankenpflege und in Produktionsbetrieben. Daher müs-
sen sich Kinderbetreuungseinrichtungen, ob in kommu-
naler oder freier Trägerschaft, den zeitlichen Bedürfnis-
sen der Alleinerziehenden anpassen. Wenn Flexibilität
von der Wirtschaft gefordert wird, dann muss sie auch
von den Betreuungseinrichtungen gefordert werden.
Dies ist aber Aufgabe der Kommunen.


(Caren Marks [SPD]: Sagen Sie lieber mal etwas zum Land Niedersachsen!)


Auch Ihre Aussage zur nicht bedarfsorientierten Be-
rechnung der Hartz-IV-Regelsätze für Kinder ist falsch.
Das Bundesverfassungsgericht hat seinerzeit nicht die
Höhe, sondern die Berechnungsverfahren beanstandet.
Die nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts in
der Höhe unverändert gebliebenen Hartz-IV-Regelsätze
für Kinder sind das Ergebnis einer realitäts- und bedarfs-
gerechten Ermittlung.


(Dagmar Ziegler [SPD]: Na ja!)


Die Richter konnten nicht feststellen, dass die Regelleis-
tungsbeträge evident unzureichend sind.

Vieles, was Sie bemängeln und fordern, sind kommu-
nale Aufgaben. Diese Bundesregierung ist die kommu-
nalfreundlichste, die wir seit langem haben, und sie
entlastet – das haben wir auch schon gehört – die Kom-
munen auf vielen Ebenen.


(Caren Marks [SPD]: Da bekomme ich Husten!)


Die Kommunen sind für die Umsetzung des Bildungs-
und Teilhabepakets für Kinder zuständig. Insbesondere
alleinerziehende Mütter, die überdurchschnittlich häufig
auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende
angewiesen sind, profitieren davon.

Ich möchte noch einmal auf meine Heimat zurück-
kommen. Im Landkreis Lüneburg wurde im Vorfeld eine
umfangreiche und erfolgreiche Informationspolitik be-
trieben. In Kitas und Schulen sind flächendeckend Hin-
weise verteilt worden. Auch meine Kinder kamen mit
den Hinweisen nach Hause. Außerdem wurden alle Be-
darfsgemeinschaften angeschrieben. Die Rücklaufquote
beträgt immerhin über 60 Prozent.


(Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja!)


Die Verwaltung in Lüneburg ist damit ihrer Bring-
schuld nachgekommen. Ich meine aber, die Eltern haben
hier auch eine Holschuld. Als Mitglied des Rates der

Stadt Lüneburg widerspreche ich Ihnen, Herr
Wunderlich, dass viele Kommunen öffentliche Infra-
struktureinrichtungen wie Büchereien, Jugendzentren
und Musikschulen aus Finanznot schließen mussten. Die
Stadt Lüneburg baut zurzeit eine neue Musikschule, Herr
Wunderlich, und ein Jugendtheater ist vor zwei Jahren
entstanden.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Kommen Sie einmal nach Sachsen!)


Innovativ und zukunftsorientiert ist auch eine Projekt-
idee des Landkreises Lüneburg, die im Rahmen des Mo-
dellvorhabens „LandZukunft“ des Bundesministeriums
für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
eingereicht wurde. Eine Kinder-Notfall-App wird Eltern
verlässlich über Betreuungsangebote informieren.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Die Jugendhilfe wird in allen CDU-regierten Ländern ohne Ende heruntergefahren! Alles Schwarz!)


Das ist ein wichtiger Schritt zur weiteren Verbesserung
der Situation von Alleinerziehenden.

Alle Alleinerziehenden brauchen unsere gesellschaft-
liche Anerkennung; das ist richtig. Viele von ihnen sind
doppelt belastet: durch Erwerbstätigkeit und Fürsor-
geaufgaben. Deshalb müssen wir die Möglichkeiten der
Unterstützung für Alleinerziehende ausweiten. Es darf
kein Entweder-oder zwischen Familie und Beruf geben.

Herr Wunderlich, ich wünsche Ihnen und auch allen
anderen ein frohes Osterfest im Kreise Ihrer Familien
und freue mich, wenn wir uns in etwa vier Wochen hier
wiedersehen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Und im Ausschuss darüber diskutieren!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1717312300

Herzlichen Dank. – Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/8793 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf Mittwoch, den 25. April 2012, 13 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen alles
Gute. Finden Sie auch ein wenig Erholung über die Fei-
ertage.