Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a und 14 b auf:
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
– Drucksache 16/813 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Sportausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
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Redet
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines
Föderalismusreform-Begleitgesetzes
– Drucksache 16/814 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Sportausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
– Ich gehe davon aus, dass sich die Grünen noch daranerinnern, dass sie an den Beratungen zu diesem Reform-werk mit beteiligt waren.
Wir beginnen mit den Beratungen dieses Reform-werks gleichzeitig in Bundestag und Bundesrat. DennBund und Länder haben dieses Reformwerk gemeinsamerarbeitet und auf den Weg gebracht. In der Vergangen-heit gab es viele Anläufe zu dieser notwendigen Reform.alle gescheitert.egen wir ein Ergebnis vor, ein Ergebnis, Ordnung unseres Landes zukunftsfähigSie sind bisherHeute aber ldas die föderale
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Volker Kaudermacht. Unser Land braucht diese Reform. Wir werdenden globalen Wettbewerb nicht bestehen, wenn wir unsweiterhin langwierige und komplizierte Gesetzgebungs-verfahren leisten.
Das Hin und Her zwischen Bundestag und Bundesrat hatuns in der Vergangenheit oft genug blockiert. Es hat unslangsamer und schwerfälliger gemacht.
Mit der Föderalismusreform befreien wir uns von die-ser Selbstblockade. Wir gewinnen an gesetzgeberischerHandlungsfähigkeit; wir gewinnen an Gestaltungskraft.Dies brauchen wir in dieser Zeit.
Nur mit dieser Reform können wir das Veränderungs-tempo der Globalisierung mitgehen. Nur mit dieser Re-form werden wir von Getriebenen zu Antreibern.
Bei vielen Entscheidungen, die zwischen Bundestagund Bundesrat mühsam ausgehandelt wurden – ich weiß,wovon ich rede; denn ich war drei Jahre Mitglied desVermittlungsausschusses –, war nachher oft nicht mehrklar, wer wofür die Verantwortung trägt.
Wir selbst im Deutschen Bundestag haben uns oft darü-ber gewundert, wie ein Gesetz ausgesehen hat, das wirim Bundestag verabschiedet haben, nachdem es aus demVermittlungsausschuss erneut in den Bundestag ge-kommen ist. Das wird so nicht mehr stattfinden.
Die Föderalismusreform schafft wieder mehr Klar-heit. Sie weist Kompetenzen eindeutig zu und machtdeutlich, wo die Länder und wo der Bund Verantwortungtragen. Deshalb stärkt eine Reform des föderalen Sys-tems, wie sie heute vorgelegt wird, unsere Demokratie.
Natürlich nehmen damit die Gesetzgebungskompe-tenzen der Länder zu. Aber ganz entgegen manchen Be-fürchtungen, die geäußert werden, schwächen wir damitnicht den Bund; wir stärken ihn vielmehr. Viele Ent-scheidungen können wir nun hier im Deutschen Bundes-tag endgültig ohne Zustimmung der Länder treffen. Das,was in der Öffentlichkeit und in manchen Kommentarenin den Medien immer wieder als Kuhhandel bezeichnetwird, wird zukünftig nicht mehr stattfinden. Durch dieFöderalismusreform entflechten wir unser politischesSystem und davon profitieren beide: Bund und Länder.
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Von der Föderalismusreform, die wir heute einleiten,eht eine Botschaft an Europa, an Brüssel aus. Auch dortuss das Prinzip der Subsidiarität wieder stärker beach-et werden. In Brüssel soll nur das geregelt werden, wasir in den Nationalstaaten nicht selber regeln können.
Mit der Föderalismusreform fördern wir den Wett-ewerb zwischen den Ländern und das ist gut so. Nurür die Zaghaften und Mutlosen ist Wettbewerb etwasegatives. Nur diejenigen, die sich nichts zutrauen, ver-uchen, den Wettbewerb zu verhindern. Wir trauen unsber etwas zu, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Wettbewerb zwischen den Ländern heißt: Künftigetzt der Beste den Maßstab. Nur so kommt unser Landoran. Wir dürfen unser Heil nicht im Mittelmaß suchen.nser Land braucht Exzellenz. Wettbewerb ist ein Ent-eckungsverfahren für Exzellenz. Eine Stärkung desettbewerbs zwischen den Ländern wird mehr zumürokratieabbau und zur Vereinfachung von Verwal-ungsverfahren beitragen als jede theoretische Ankündi-ung zu diesem Thema.
PISA ist kein Schock, sondern ein Weckruf, es den er-olgreichen Ländern gleich zu tun, und zwar im Wettbe-erb der Länder innerhalb Deutschlands, aber auch inuropa. Im Korsett des einheitlichen Mittelmaßes hätteich kein Land erfolgreich profilieren können.
Für die Freiheit, in bestimmten Fragen eigene Wegeu gehen und eigene Lösungen zu entwickeln, sind dieänder bereit, auf Einfluss im Bund zu verzichten. Dieeform macht daher etwas wahr, was viele nicht mehrür möglich gehalten haben. „Deutschland lässt sichoch reformieren“, titelte die „Neue Zürcher Zeitung“or einigen Tagen zur Föderalismusreform. Manchmalüssen wir uns vom Ausland daran erinnern lassen, dass
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Volker Kauderwir nur mit Zuversicht, nicht aber mit Bedenken weiter-kommen. Für uns sollte zu Beginn der Debatte im Deut-schen Bundestag und in seinen Ausschüssen das Wortvon Tucholsky nicht gelten, der einmal gesagt hat: Wennder Deutsche nichts mehr hat, Bedenken hat er immernoch.
– Ich glaube, Herr Kollege Westerwelle, dass diesenHinweis jeder verstanden hat, der ihn verstehen soll.
Tatsächlich sind wir mit der Reformgesetzgebung ei-ner großen Herausforderung gerecht geworden. Denn esging nicht darum, eine Position des Bundes zu formulie-ren; es ging vielmehr darum, gemeinsam mit den Län-dern eine von beiden Seiten getragene Lösung zu finden.Auch die Länder waren sich nicht von vornherein in je-der Frage einig.Natürlich handelt es sich bei dem, was wir heute vor-legen, um einen Kompromiss. Was ich immer wiederhöre und lese, nämlich dass der Bund einseitig seineVorstellungen hätte durchsetzen können, zeugt nicht vonRealismus. Wenn wir zwischen Bundestag und Bundes-rat eine gemeinsame Lösung erarbeiten wollen, sollenund in diesem Fall auch müssen, dann wird sich nicht ei-ner auf Kosten des anderen zu 100 Prozent durchsetzenkönnen. Das hat mit Realität nichts zu tun.
Bei jeder einzelnen Frage haben wir deshalb das Fürund Wider abgewogen. Wir sind zu Ergebnissen gekom-men, die sich sehen lassen können und von Bund undLändern gemeinsam getragen werden.Lassen Sie mich ein paar Hinweise zu dem geben,was die Föderalismusreform ausmacht. Wir reduzierendie Vetorechte der Länder. Gleichzeitig stärken wirihre Gesetzgebungskompetenz. Den Kommunen dürfenin Bundesgesetzen künftig keine Aufgaben mehr über-tragen werden. Damit stärken wir das Prinzip der Kon-nexität; ganz einfach gesagt: Wer bestellt, bezahlt in Zu-kunft auch.
Die Organisations- und die Personalhoheit der Länderwerden gestärkt. Ich halte es für einen ganz zentralenPunkt, dass der Bund eine neue Gesetzgebungskompe-tenz zur Abwehr von Gefahren des internationalen Ter-rorismus erhält.
Ein Blick in das Gesetz erleichtert die Rechtsfindungund auch die Tatsachenerkenntnis. Deswegen möchteich hier sagen: Wer in die Gesetze hineinschaut, wird er-kennen, dass das, was wir uns vorgenommen haben,möglich wird. Durch die Föderalismusreform wird näm-lw–dAgt–kBIdbfgtszswWuwwwtmtgnzwdHs
Frau Künast,
ie Wortkaskade „Ha, ha!“ habe ich wohl vernommen.ber soweit ich mich erinnern kann, ist dieses Umwelt-esetzbuch in Ihrer Regierungszeit nicht in Kraft getre-en.
Frau Künast, Sie sollten einmal zuhören, manchmalann man etwas lernen.Ein besonderer Stellenwert kommt dem Bereich derildung zu.
m Bereich Bildung und Hochschulen können die Län-er ihre schon bestehenden Kompetenzen – manchmalekommt man den Eindruck, als ob die Verantwortungür die Bildungspolitik bisher ausschließlich beim Bundelegen hätte und jetzt auf einmal auf die Länder über-ragen werden soll; wir waren noch nie für die Grund-chulen in Deutschland zuständig – abrunden.Dass wir hier zu klaren Entscheidungen kommen, istwingend notwendig. In keinem Land in Europa gibt eso viel staatliche Einflussnahme auf das Bildungssystemie in Deutschland. Daran krankt unser System.
ir können uns einen lähmenden Streit zwischen Bundnd Ländern in diesen Fragen nicht länger leisten. Sieissen aus Ihrer Regierungszeit: Immer wieder musstenir Streit vor dem Bundesverfassungsgericht klären. Dasollen wir in Zukunft nicht mehr.
Jetzt geht es um mehr Wettbewerb und weniger Zen-ralismus. Die Föderalismusreform muss Wettbewerböglich machen und dazu führen, dass unsere Universi-äten mehr Freiheit erhalten. Bei diesem Wettbewerbeht es nicht nur um einen Vergleich der Länder unterei-ander; es geht um den Wettbewerb zwischen den ein-elnen Universitäten. Bildung und Wissenschaft – dasissen wir – kennen keine Grenzen. Der Wettbewerb,en ich mir vorstelle, besteht zwischen München undarvard, zwischen Heidelberg und Cambridge, zwi-chen Aachen und der ETH in Zürich. In diesem Wettbe-
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Volker Kauderwerb werden unsere Universitäten aber nur bestehenkönnen, wenn wir ihnen die Freiheit dazu geben.
Der Kompetenzstreit zwischen Bund und Ländern inden vergangenen Jahren hat uns nicht weitergeholfen.Deshalb führt die Föderalismusreform zu einer notwen-digen Entflechtung. Die Gemeinschaftsaufgabe Hoch-schulbau wird beendet. Der Bund lässt die Länder abernicht allein. Das hat die Bundesbildungsministerin FrauSchavan klar und deutlich gesagt. Die gemeinsame För-derung von Forschungsbauten an Hochschulen ein-schließlich Großgeräten wird in der Gemeinschaftsauf-gabe Forschungsförderung fortgeführt.Wenn wir etwas dringend brauchen, um Arbeitsplätzeschaffen und die Zukunft unseres Landes sichern zu kön-nen, dann ist es Forschungsförderung in großem Um-fang. Daran wird der Bund beteiligt werden.
Deswegen ist diese Föderalismusreform auch eine Kon-zentration auf Aufgaben. Eine solche Konzentration aufAufgaben tut in dieser Zeit mehr Not, als mancherglaubt. Das wurde in den Diskussionen über die Frage,ob wir die Gemeinschaftsaufgabe Forschungsförderungvon Bund und Ländern weiterhin betreiben, auch nie be-stritten.In den vergangenen Tagen ist hier, unter den Kolle-ginnen und Kollegen, in den Fraktionen, in der Öffent-lichkeit und in den Medien viel darüber gesprochenworden, ob das Paket Föderalismusreform noch aufge-schnürt und verändert werden kann. Das Verfahren, indas wir heute mit der ersten Lesung eintreten, ist ein Ge-setzgebungsverfahren wie jedes andere auch.
– Ich bin einigermaßen überrascht, dass das solche Be-geisterung auslöst.
Natürlich sind Änderungen an dem vorliegenden Ent-wurf denkbar.
Selbstverständlich werden wir eine ordentliche Exper-tenanhörung zu diesem großen Reformwerk durchfüh-ren.
– Augenblick, Sie sollten immer erst zuhören. – Daswird keine Schaufensterveranstaltung sein.
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hre Fraktion hat vor lauter Experten manchmal Pro-leme zusammenzufinden. Das wollen wir aber jetzticht weiter diskutieren.Klar muss sein: Entscheidungen des Bundestages al-ein reichen nicht aus. Jede Regelung muss von Bundes-ag und Bundesrat gemeinsam getragen werden, undwar mit verfassungsändernder Zweidrittelmehrheit.
er das vergisst, der hat übersehen, dass wir es hierbeiit einem besonderen Verfahren zu tun haben. Zu glau-en, es reiche aus, zu sagen, man habe einen Wunschnd dieser könne umgesetzt werden, das hat mit der Rea-ität dieses Verfahrens zwischen Bundestag und Bundes-at überhaupt nichts zu tun. Darin liegt unsere besondereerantwortung.
Herr Kollege Westerwelle, ich stelle das, was ich vor-in gesagt habe, ganz bewusst noch in einen anderen Zu-ammenhang. Wer um die vielen gescheiterten Anläufeu einer Föderalismusreform weiß – das sage ich auchem einen oder anderen Kollegen in den Koalitionsfrak-ionen –, wird das vorliegende Ergebnis umso höher ein-chätzen und sich darüber bewusst sein, welche Verant-ortung in dieser Frage im Gesetzgebungsverfahren aufns zukommt.
Die Föderalismusreform ist kein Stückwerk. Sie istin Meilenstein in der Gesetzgebung. Sie stärkt unsereundesstaatliche Ordnung und macht sie zukunftsfähig.ie ist die richtige Antwort auf die Herausforderungennserer Zeit.Unser Land braucht die Föderalismusreform. Deshalbitte ich Sie: Helfen Sie alle mit, dass es diesmal gelingt!
Ich erteile das Wort dem Kollegen Ernst Burgbacher,
DP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ieber Kollege Kauder, Sie haben gerade gesagt: Wirüssen das Veränderungstempo der Globalisierung mit-ehen. Das ist richtig. Dann haben Sie vom größteneutschen Reformvorhaben geredet. Auch das ist richtig.in Vorhaben war das. Was aber jetzt auf dem Tisch liegtnd was dabei herausgekommen ist, ist eigentlich eine
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Ernst Burgbachermutlose Reform, die weit hinter den Erwartungen derFachleute und der staunenden Öffentlichkeit zurück-bleibt.
Wir als FDP haben schon zu Beginn des Verfahrensimmer kritisiert, dass bei der Konstruktion der Födera-lismuskommission Fehler gemacht wurden. Damals ha-ben wir gesagt: Eine solche Reform aus den eigenen Rei-hen schultern zu wollen, wird schwierig. Das hat sichbestätigt. Wir haben uns damals für den Konvent ausge-sprochen. Denn es ist nun einmal schwierig, die Fröschedamit zu beauftragen, den Sumpf trocken zu legen. Ichglaube, das Ergebnis, das jetzt auf dem Tisch liegt, be-stätigt diese Einschätzung.
Auch wir haben über ein Jahr lang konstruktiv an denBeratungen der Föderalismuskommission teilgenommenund versucht, etwas zu bewegen.
Dort, verehrter Herr Kollege Röttgen, haben wir aller-dings auch miterlebt, zu welcher Erbsenzählerei es inden Projektgruppen manchmal kam: Die Beteiligten sa-ßen teilweise mit einem Taschenrechner da und habengerechnet: „Was kostet es mich und was bringt es mir?“,ohne dabei auch zu fragen: „Was müssen wir eigentlichtun, um den großen Wurf zu erreichen?“ Diesen großenWurf vermissen wir auch in den Gesetzentwürfen, dieheute auf dem Tisch liegen.
Ich denke, heute kann und muss man feststellen: Eswar ein Fehler, wichtige Bereiche auszugrenzen und zutabuisieren. Hier denke ich zum Beispiel an die Reformder Finanzbeziehungen und an das Thema Länderneu-gliederung. Es war falsch, diese Bereiche völlig außenvor zu lassen. Wie Sie sich sicherlich erinnern, habenwir in den Beratungen der Kommission den Vorschlageingebracht, wenigstens den Art. 29 des Grundgesetzesso zu ändern, dass eine Länderneugliederung, wenn siedenn von unten gewollt ist, erleichtert wird. Aber selbstdas haben Sie unter Berufung darauf, das gehöre nichtzum Arbeitsauftrag der Kommission, abgelehnt. Das warein Fehler. Wir hätten diese Themen offensiver angehenmüssen. Dann würde heute auch ein anderes Ergebnisvorliegen.
– Verehrte Frau Künast, das haben wir in der Kommis-sion zweimal beantragt; aber es wurde von ihrer Mehr-hlSSwEsdpgwhd–AmdtSzMdlWnssIimgzzWmDwlmVs
o sind nun einmal die Tatsachen.Da ich gerade von der Kommission spreche, gestattenie mir bitte, mich bei denjenigen zu bedanken, die unsesentlich unterstützt haben: bei den hervorragendenxperten, die die Arbeit der Kommission mit viel Ein-atz begleitet und auch gehofft haben, dass als Ergebniser Beratungen etwas mehr herauskommt. Diesen Ex-erten möchte ich von dieser Stelle aus für ihre Arbeitanz herzlich danken.
Die FDP hat sich von dieser „Mutter aller Reformen“,ie sie der bayerische Ministerpräsident Stoiber genanntat, wesentlich mehr erwartet – mich wundert übrigens,ass er heute nicht hier ist –
Entschuldigung, Herr Ramsauer; das war keinngriff –, nämlich eine deutliche Stärkung der Parla-ente sowie eine deutlichere Entflechtung der Zustän-igkeiten mit einer sinnvollen Neuordnung der Kompe-enzen und vor allem einer stärkeren Einbeziehung desubsidiaritätsprinzips. Das ist nur ansatzweise, aber vielu wenig gelungen. Das Grundproblem besteht unserereinung nach darin, dass das Ziel, in Deutschland wie-er mehr Wettbewerbsföderalismus zu schaffen, wirk-ich nur ansatzweise erreicht wurde.Dieser Wettbewerb wurde von manchen in einereise dargestellt, die mich nur wundern kann. Ich erin-ere mich, dass Frau Kollegin Sager immer vom „entfes-elten Wettbewerb“ geredet und ihn sehr negativ darge-tellt hat. Welche Auffassung von Wettbewerb wurde beihnen eigentlich da deutlich? Gerade durch Wettbewerbst die Bundesrepublik Deutschland wieder hochgekom-en. Durch Wettbewerb sind wir wieder zu Wohlstandekommen. Unser heutiges Problem ist nicht, dass wiru viel Wettbewerb hätten, unser Problem ist: Wir habenu wenig Wettbewerb. Das müssen wir korrigieren.
Viele haben ein völlig falsches Verständnis vonettbewerb. Die heute ärmeren Länder zum Beispieleinen, sie würden unter Wettbewerb prinzipiell leiden.as ist doch nicht der Fall. Wir wollen einen Wettbe-erb, um die besten Möglichkeiten zu finden. Wir wol-en Wettbewerb, weil Föderalismus für uns nicht Gleich-acherei, sondern Vielfalt bedeutet, und aus dieserielfalt heraus können wir die besten Ergebnisse für un-er Land erzielen. Das muss die Richtung sein.
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Kollege Burgbacher, gestatten Sie eine Zwischen-
frage der Kollegin Sager?
Sehr gerne.
Herr Kollege Burgbacher, Sie hatten mich nach mei-
nem Verständnis von Wettbewerb gefragt. Ich frage Sie:
Stimmen Sie mit mir darin überein, dass Wettbewerb in
Deutschland in erster Linie zwischen Unternehmen statt-
finden sollte und nicht darin bestehen sollte, für diese
Unternehmen möglichst viele unterschiedliche Gesetze
zu machen? Stimmen Sie mit mir darin überein, dass in
Deutschland ein Wettbewerb zwischen den Bildungsein-
richtungen stattfinden muss und nicht darin bestehen
sollte, dass die Länder für die Bildungseinrichtungen
möglichst viele unterschiedliche Gesetze machen?
Verehrte Kollegin Sager, schon Ihre Fragestellungzeigt den Denkfehler, den Sie machen. Ich will Ihnen annur einem einzigen Beispiel zeigen, wozu Wettbewerb inder Bildung führen kann: Das Land Baden-Württemberghat vor vielen Jahren die Berufsakademien eingeführt,das Erfolgsmodell schlechthin bei uns im Land. Daskonnte Baden-Württemberg, weil hier Wettbewerb be-steht. Wäre der Bund zuständig gewesen, hätten wirnoch heute keine Berufsakademien und wären für vieleLeute um einiges ärmer. Das ist eine Tatsache. Deshalbwill ich Wettbewerb.
Meine Damen und Herren, wir haben bei dieser Re-form zu viele kleine Schritte gemacht. Die Frau Bundes-kanzlerin hat in ihrer Regierungserklärung gesagt – ichzitiere –:Überraschen wir uns deshalb damit, dass wir diegroßen Fragen nicht immer aufgegliedert nach Ein-zelfragen und -interessen angehen, sondern einmalim Zusammenhang.Die Erfüllung dieser Überraschung ist wünschenswertund ich kann nur hoffen, dass dieses Hohe Haus dieKraft findet, aus den vorliegenden Gesetzentwürfen jetztauch dieses große Ganze zu machen und sich nicht inEinzelfragen zu verheddern. Wir als FDP werden daransehr konstruktiv mitwirken; da können Sie sicher sein.
Es gibt aber Punkte, die man wirklich anders hätte an-gehen und lösen können. Herr Kollege Kauder, Sie ha-ben über Bildung und über Kompetenzverteilung gere-det. Warum haben wir immer nur gefragt, wie wirKompetenzen zwischen Bund und Ländern verteilen?WhmHDtgDsvhnwaBgtadZltüsdDVFfddldabdsDdagMOmd
Ich will auch nicht verschweigen, dass es in unsererraktion Bedenken bezüglich der Themen Umwelt, öf-entliches Dienstrecht und Strafvollzug gibt. Wir hattenas in der Kommission teilweise ja auch ausführlicheriskutiert.Meine Damen und Herren, die Akzeptanz der Födera-ismusreform wird sehr stark davon abhängen, ob wiriese Bedenken ausräumen können. Wir können sie nurusräumen, wenn es ein wirklich sauberes Gesetzge-ungsverfahren gibt. Deshalb verstehe ich nicht, dass inieser Woche zum Beispiel Anhörungen im Umweltaus-chuss abgelehnt wurden, die bereits beschlossen waren.as ist kein richtiges Vorgehen, dadurch werden Min-erheitenrechte ausgehebelt. Ich kann Sie nur dringenduffordern, jetzt nicht mit der Arroganz der Mehrheit derroßen Koalition vorzugehen, sondern die Rechte derinderheit in diesem Haus sehr sorgsam zu achten. Diepposition beteiligt sich an dem Verfahren, aber Sieüssen der Opposition auch die Rechte dazu lassen.
Es ist eine kleine Reform, aber wir haben immer sehreutlich gemacht, dass wir das konstruktiv angehen. Wir
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Ernst Burgbacherbegreifen unsere Oppositionsrolle nicht so, dass wir jetztplötzlich alles ablehnen, weil wir in der Opposition sind,sondern wir begreifen unsere Rolle so, dass wir kon-struktiv handeln.
– Genau darauf habe ich gewartet.
Es ist schon faszinierend – wir saßen mit den Grünen jaimmer am Tisch –, wie Sie das Ganze begleitet und jetztvergessen haben, dass Sie einmal in der Regierung wa-ren.
Jetzt höre ich nur noch Stimmen, die besagen, dass Siealles ablehnen. Sie haben es doch mitgetragen. StehenSie doch endlich auch einmal dazu.
Meine Damen und Herren, uns liegt jetzt ein Gesetz-entwurf vor. Wenn dieser Gesetzentwurf Realität wird,wird er im Lande einiges Positive bewirken. Wir werdenden Anteil der zustimmungspflichtigen Gesetze reduzie-ren. Über die Zahlen kann man streiten, aber die Reduk-tion wird erfolgen. Das bedeutet eine Stärkung der Parla-mente – sowohl eine Stärkung des DeutschenBundestages als auch eine Stärkung der Landtage – aufKosten der Ministerpräsidenten. Das begrüßen wir aus-drücklich.
Kollege Burgbacher, gestatten Sie noch eine Zwi-
schenfrage der Kollegin Sager?
Aber selbstverständlich.
Herr Burgbacher kann es ja nicht lassen, uns immer
persönlich anzusprechen.
Herr Burgbacher, können Sie sich wenigstens noch
daran erinnern,
dass wir, als wir in der Regierung waren, keinesfalls zu
allem Ja gesagt haben, dass wir nämlich gesagt haben:
Die Regelungen im Bildungs- und Umweltbereich gehen
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Frau Kollegin Sager, ich weiß sehr wohl, wo Sie Be-enken angemeldet hatten und wo auch wir das getanatten.
ass ich jetzt von den Grünen aber nur noch ein Neinöre – andere Kommentare sind nicht mehr vernehm-ar –, zeigt, dass Sie sich nicht mehr zu Ihrer Verantwor-ung bekennen. Sie haben regiert und daran sollten Sieich noch ein kleines Stück erinnern. Das wäre hilfreichür alle.
Herr Kollege Kauder, meine Damen und Herren voner großen Koalition, lassen Sie mich noch einmal klar-tellen: Wir werden das Verfahren konstruktiv begleiten.ir haben immer gesagt, wir würden Dinge mitmachen,ber unter zwei Bedingungen:Erstens. Es muss klar sein, dass es vor Abschluss desesetzgebungsprozesses eine feste Vereinbarung da-über geben muss, dass die Reform der Finanzverfas-ung noch in diesem Jahr angegangen wird. Darin musstehen, in welcher Form, mit welchem Zeitplan und mitelchen Eckpunkten dies geschieht. Dabei darf es keineabus geben. – Das ist die eine Bedingung der FDP. Dasissen Sie auch und das müssen wir zu Papier bringen.
Zweitens. Die Länder erhalten tatsächlich erheblichrößere Kompetenzen. Deshalb wollen wir von den Län-ern auch wissen, wie sie es bewerkstelligen wollen,ass die Qualität der Bildung erhöht wird. Wir wollenaneben auch wissen, wie sie es bewerkstelligen wollen,ass Bildungsabschlüsse vergleichbar sind und überallnerkannt werden. Die Kultusministerkonferenz hat dasicht geleistet. Sie müssen uns vor Abschluss des Ge-etzgebungsverfahrens sagen, wie das geschehen soll;enn Mobilität ist in dieser Republik notwendig. Mobili-ät darf dadurch nicht eingeschränkt, sondern muss be-ördert werden.
Ich höre viel Erstaunliches aus dem Lager der großenoalition. Der Kollege Tauss
ieht durchs Land und erklärt, das Ganze könne man soicht machen. Er ist Generalsekretär der baden-württem-ergischen SPD. Sein Kollege Drexler hingegen, derraktionschef der baden-württembergischen SPD, ver-ündet überall im Land, dass diese Regelungen ganz tolleien und die SPD mitmachen werde. Herr Tauss, Sieüssen den Leuten schon erklären, was jetzt stimmt.
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1756 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. März 2006
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Ernst Burgbacher
Wir machen das nicht mit. Wir haben eine klare Linie.Liebe Kolleginnen und Kollegen von der großen Koali-tion, jetzt ist der Ball in Ihrem Feld. Sie müssen unsschon sagen: Wollen Sie auf diesem Weg weitergehenoder stimmen die Meldungen, dass dieser Beschluss inder SPD-Fraktion überhaupt nicht mehrheitsfähig ist?Wir sagen noch einmal ganz klar: Unter den genanntenBedingungen haben Sie unsere konstruktive Unterstüt-zung. Wir haben unsere Bedingungen klar gemacht. Wirwollen die Reform. Wir wären gerne einen größerenSchritt gegangen. Aber wenn der kleinere Schritt derEinstieg in eine gute Reform ist, dann soll er an der FDPnicht scheitern.Herzlichen Dank.
Ich erteile das Wort Kollegen Peter Struck, SPD-
Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Das parlamentarische Verfahren zur Föderalis-musreform beginnt heute. Es ist nicht am Ende; das willich deutlich sagen. Das heißt auch, das Ergebnis ist of-fen.
Zu dem Verfahren gehören – Kollege Kauder hat dasausgeführt – ausführliche Anhörungen, Diskussionenund, wenn es sich als notwendig erweist, Änderungenam Gesetzestext.
Erst wenn der Bundestag und der Bundesrat diese Re-form jeweils mit einer Zweidrittelmehrheit beschlossenhaben, ist sie in Kraft getreten, aber erst dann.
Ich halte auch nichts von Äußerungen, dass die Reformdann, wenn man dieses oder jenes ändern würde, nichtmehr in Kraft treten könne. Auch halte ich nichts vonÄußerungen aus meiner Fraktion, die ihre Zustimmungvon Bedingungen abhängig machen. Das betrifft auchhier im Saal Anwesende.
Vielmehr müssen wir ausführlich beraten. Wofür istdenn sonst das parlamentarische Verfahren da?
Ich will vorweg nicht nur einer Pflicht, sondern aucheinem Wunsch nachkommen. Wir müssen uns bei denje-nüDdwßAtdrmmbeumVlpUpdvwwehujdüdsIetinesndtkF
ch traue den Landtagen einiges zu. Wenn man ihnenine Zuständigkeit gibt, heißt das für mich nicht automa-isch, dass sie dann etwas Verrücktes beschließen. Dasst ganz sicher nicht der Fall. Sie werden vielmehr ge-auso sorgfältig abwägen, um zum Wohle des Landes zuntscheiden, wie wir das im Bundestag tun.Trotzdem müssen wir über einige Punkte ausführlichprechen. Ich beginne mit der Bildungspolitik. In demeuen Art. 104 b Grundgesetz wird vorgeschlagen, dasser Bund in den Bereichen keine Finanzhilfe mehr leis-en darf, in denen die ausschließliche Gesetzgebungs-ompetenz bei den Ländern liegt. Nicht nur in meinerraktion gibt es dagegen ernst zu nehmende Bedenken.
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Dr. Peter StruckDiese Regelung würde nämlich konkret bedeuten,dass der Bund generell in der Bildungspolitik keine Ak-zente mehr setzen darf. Ist das wirklich gewollt? Wirddas von allen Ländern gleichermaßen beurteilt? Oder hatman sich in dieser Frage von den Bedenken lediglich ei-nes Landes leiten lassen? Ich kann mir schwer vorstel-len, dass Länder erklären, sie wollten kein Geld vomBund haben. Das war in den vergangenen 15 Jahren im-mer anders.
Gerade in diesem Bereich hat das Ganztagsschulpro-gramm gezeigt, dass der Bund mit seinen Finanzzuwei-sungen richtige und zukunftsweisende Weichen stellenund vor allem auch Diskussionen auslösen kann.
Deshalb bin ich sehr dafür, dass im Laufe der Beratun-gen im Bundestag und Bundesrat die Frage ernsthaft ge-prüft wird, ob das Kooperationsverbot in der vorgesehe-nen Fassung sinnvoll ist oder nicht. Ich neige eher zuLetzterem, um das deutlich zu sagen.
Ich bin den Ländern auch dankbar, dass Bundestagund Bundesrat, wie heute Morgen mitgeteilt wurde, eingemeinsames Anhörungsverfahren durchführen werden.Ich glaube, damit wird den Bedenken der Opposition ei-nigermaßen Rechnung getragen.Wir müssen auch über das Umweltrecht reden.
Das ist ein weiterer Punkt, der ausführlich diskutiertwerden muss. Wird mit der beabsichtigten Regelung tat-sächlich eine klare Rechtssicherheit gewährleistet oderträgt die vorgesehene Lösung nicht vielmehr zur Zer-splitterung des Umweltrechts, zur möglichen Absenkungder Umweltstandards und zu einem für die Unternehmennicht mehr tragbaren bürokratischen Aufwand bei? Auchdiese Fragen müssen geprüft werden.
Auch das Heimrecht ist ein sehr diskussionswürdigerPunkt. Wir haben das Heimrecht erst vor wenigen Jahrennovelliert. Die Kompetenz dafür soll auf die Länderübergehen. Das kann – es muss aber nicht – in den Bun-desländern zu unterschiedlichen Qualitätsstandards beider Pflege führen. Es gab bereits eine Bundesratsinitia-tive, in den Ländern unterschiedliche Regelungen für diePersonalausstattung festzulegen, um künftig Personaleinzusparen. Die Pflege von Menschen ist aber einhAnpLldTadWi–dvcganeirgwwaAsds
ach dem Motto „In reichen Ländern steht mehr Geld fürflegebedürftige Menschen zur Verfügung, in armenändern weniger“.
Diskussionswürdig ist des Weiteren – das hat der Kol-ege van Essen bereits gestern in der Geschäftsordnungs-ebatte nicht ganz zu Unrecht angesprochen – dashema Strafvollzug. Nach meiner Kenntnis war nie be-bsichtigt, den Strafvollzug in die alleinige Kompetenzer Länder zu übertragen.
enn Sie heute jemanden fragen, wem das eingefallenst, dann will es keiner gewesen sein.
Nein, es ging um die Frage, wie es dazu gekommen ist,ie Zuständigkeit übertragen zu wollen.
Eigentlich passt das auch nicht zu der im Koalitions-ertrag getroffenen Vereinbarung, erstmals ein Untersu-hungshaftvollzugsgesetz und ein Jugendstrafvollzugs-esetz zu schaffen. Bei der Übertragung der Kompetenzuf die Länder ist zu befürchten, dass diese Bereicheicht in allen Ländern geregelt werden. Ich frage Sie: Istin Wettbewerb um die härtesten und strengsten Knästen Deutschland sinnvoll? Wollen wir das wirklich?
Das sind Punkte, die wir in den Ausschüssen diskutie-en müssen. Ich kann sehr gut verstehen, dass unsere Ab-eordneten, ich persönlich auch, darauf fundierte Ant-orten haben wollen. Nur weil etwas eingebrachtorden ist, muss es nicht so beschlossen werden. Dieserlte Grundsatz gilt nach wie vor.
Ich will in diesem Zusammenhang einen weiterenspekt nennen. In allen Verfassungen der Bundesländerind Kultur und Sport als Staatszielbestimmungenefiniert. Auch die europäische Verfassung, die wirchon ratifiziert haben, die die Europäische Union in
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Dr. Peter Struckbesonderer Weise zur Förderung und zum Schutz vonKultur und Sport verpflichtet, sieht ähnliche Regelungenvor. Wir sollten zumindest ergebnisoffen prüfen, ob einesolche Bestimmung, die Staatszielbestimmung „Förde-rung der Kultur und des Sports“, nicht auch in dasGrundgesetz Eingang finden sollte.
Ich komme zum Schluss. Es besteht überhaupt keinZweifel daran, auch für mich und meine Fraktion nicht,dass die Föderalismusreform beschlossen werden muss.Ich wollte mit meinem Beitrag nur deutlich machen,dass in der Tat für mich das, was eingebracht worden ist,noch nicht das letzte Wort ist. Das kann auch nicht sein.Jeder Abgeordnete würde seine Rechte sozusagen an derGarderobe abgeben, wenn er sagte: Ich muss das allesabnicken. – Das machen wir ja auch nicht.
Es gibt eine Reihe von Punkten, die wir diskutierenmüssen. Das Parlament wird sich dazu die nötige Zeitnehmen; daran besteht überhaupt kein Zweifel. Wir wer-den alle Sachverständigen, die von den Oppositionsfrak-tionen und den Koalitionsfraktionen vorgeschlagen wer-den, bitten, uns Auskunft zu geben. Am Ende werdenwir eine Föderalismusreform beschließen, die unserLand zukunftsfähiger macht, die die Entscheidungenhier im Parlament transparenter macht, die von den Bür-gern akzeptiert werden wird und die auch von den Abge-ordneten des Deutschen Bundestages getragen wird.Vielen Dank.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Bodo Ramelow,
Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!Man möchte Herrn Fraktionsvorsitzenden Struck direktRecht geben und sagen: Wenn dem so wäre, dass wir dasalles diskutieren würden, und wenn der Prozess so offenwäre, wie Sie ihn eben als notwendig beschrieben haben,dann würden auch wir uns eingeladen fühlen, auf diesemWeg mit Ihnen gemeinsam zu gehen, um dann amSchluss mehr zu erhalten als das, was im Moment vonHerrn Stoiber als die „Mutter aller Reformen“ bezeich-net wird.
Herr Struck, ich hatte aber eher den Eindruck, dassSie Ihre Fraktion, die ja ein Teil der großen Koalition ist,befrieden wollten und dass Sie nicht für die notwendigeOlvngnTubifwzenmsgAdalsDdgldmmDdddrngdrWwtFmWAsnsdadegbD
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Ich möchte der FDP allerdings ausdrücklich Rechtgeben, dass alle Fragen betreffend die Finanzbeziehun-gen in die Reform einbezogen werden müssen. Sie au-ßen vor zu lassen ist schon einmal ein zentraler Fehler.Herr Struck, ich begrüße Ihre Ausführungen über dieKultur. Aber ich wünsche mir, dass wir, wenn wir schondas Grundgesetz mit Zweidrittelmehrheit ändern, Subsi-diarität und Konnexität als Prinzipien festschreiben undso die Kommunalparlamente und die Landesparlamenteermutigen. Denn dann wäre endlich klargestellt: Wer dieMusik bestellt, bezahlt sie auch. Das bedeutete auchmehr Freiraum für die Kommunen. Diese Prinzipienmüssen also im Grundgesetz verankert werden. Dabeidürfen aber die Finanzbeziehungen nicht vergessen wer-den.Es gibt allerdings einen Unterschied zwischen derFDP und der Linken.
– Herr Westerwelle, das stimmt. Damit haben Sie Recht.Deswegen bin ich nicht auf Ihrer Seite.Wir unterscheiden uns eindeutig, wenn es um dieSteuereinnahmenseite geht. Wir sagen: Damit sich Bund,Länder und Kommunen finanzieren und entschuldenkönnen, brauchen wir ein klares Bekenntnis zur Wieder-einführung der Vermögensteuer, der Börsenumsatzsteuerund anderer Steuerarten.
Wir lehnen Wettbewerbsföderalismus in der Bundesre-publik Deutschland ganz klar ab. Wir wollen vielmehreinen kooperativen Föderalismus, der die Aufgaben neuverteilt.In der gestrigen Sitzung des Vermittlungsausschussesist ein verehrter Kollege nach vielen Jahren und60 Sitzungen verabschiedet worden. Der Vorsitzende desVermittlungsausschusses hat sich bei ihm für die geleis-tete Arbeit bedankt. Der Kollege hat darauf geantwortet,man habe im Vermittlungsausschuss hervorragend zu-sammengearbeitet und oft die Probleme lösen müssen,die die Parteivorderen ihnen eingebrockt hätten. Ichglaube, so nehmen das auch die Menschen in diesemLand wahr. Über die Relation zwischen Bundestag undBundesrat wird nicht im Vermittlungsausschuss ent-schieden, sondern in erster Linie in den strategischenAbteilungen der Parteizentralen. So hat man seit Jahrenund Jahrzehnten Bundestag und Bundesrat in parteipoli-tische Frontstellung zueinander gebracht.Nun sitzen die Strategen gemeinsam in der großenKoalition und wollen eine große Föderalismusreform aufden Weg bringen. Wir können nur feststellen: Diese Artder Herangehensweise ist mutlos, kraftlos und sogarziellos.
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ch denke auch an den Hochwasserschutz. Erinnern Sieich doch einmal an das Elbe- bzw. Oderhochwasser! Er-nnern Sie sich an die Hamburger Sturmflut! Wollen wirirklich zulassen, dass es 16 verschiedene Standards beiolchen Katastrophen gibt? Glauben Sie, die Flutwelleäre in einem Fluss unterschiedlich, nur weil er ver-chiedene Bundesländer durchfließt? Was soll denn aner Grenze zwischen zwei Bundesländern geschehen,ie der Fluss durchquert? Soll es da unterschiedlichetandards und unterschiedliche Deiche geben? Das, wasie in Sachen Umwelt beabsichtigen, ist ein Schritt inie Kleinstaaterei.Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang eineweite Anmerkung. Sie verlagern alle Kompetenzen aufie Länder, nur die Atompolitik soll Sache des Bundesleiben. Alles, was uns umgibt, ist aus Atomen zusam-engesetzt, selbst die Luft, die wir atmen. Bleibt alsober diesen Umweg alles in der Hoheit des Bundes?der wie soll ich diesen Unsinn verstehen, den Sie aufen Weg bringen wollen?
Kommen wir zum Thema Justiz. Ich bin erstaunt,ass Sie, Herr Struck, sagen, die Kompetenzverlagerungabe niemand vor. Ich frage mich dann allerdings, wa-um alle Fachleute, die sich bisher mit dem Teil der Fö-eralismusreform, der die Justiz betrifft, beschäftigt ha-en, kategorisch ablehnen, dass diese Kompetenzenünftig unter die Länderhoheit fallen sollen. Es muss,as den Justizvollzug betrifft, nationale Standards ge-en. Es ist ein Skandal, diesen Bereich den Ländern zuberlassen. Ich habe eben auf die Steuerdeckungsquoteingewiesen. Arme Länder können dann darüber nach-enken, ob sie die Knäste privatisieren und es den priva-en Betreibern überlassen, die Standards zu setzen. Dasalten wir für katastrophal und für den falschen Weg.
Ich glaube, dass der Kollege Beck beim Themaildung vor lauter Wahlkampf in Rheinland-Pfalz dieesentlichen Dinge aus den Augen verloren hat. Er be-ichtigt die ostdeutschen Länder, sie hätten ein merk-ürdiges Verhältnis zum Zentralstaat. Das mag sich soarstellen, wenn man aus dem Blickwinkel der südlicheneinstraße oder von Trier aus Mainz betrachtet. Tat-ächlich aber ist die Erfahrung der neuen Bundesländer,ass man mit längerem gemeinsamen Lernen und natio-alen Bildungsstandards mehr erreicht als durch Klein-taaterei, die Sie gerade auf den Weg bringen.
eswegen wäre es auch hilfreich, in Sachen nationaleildungsstandards nicht nur nach Finnland, sondern
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Bodo Ramelowauch einmal in die ehemalige DDR zu schauen. Mankönnte dann ein wenig davon finden, was in Finnland er-folgreich umgesetzt worden ist.
– Sie können einfach nach Finnland schauen, wenn Ih-nen das leichter fällt. Es fällt Ihnen ideologisch schwer,die Struktur der DDR-Schule an bestimmten Stellen– ich rede nicht von Margot Honecker und der Ideologie,sondern von den Bildungsstandards – einfach anzuer-kennen.
Die Industrie- und Handelskammer Südthüringen – sieist nicht verdächtig, uns nahe zu stehen – hat festgestellt,dass polytechnischer Unterricht in den Schulen heutefehlt. Interessant ist doch, dass ausgerechnet Wirt-schaftsvertreter diesen Teil der Föderalismusreform fürfalsch halten. Deswegen ermuntere ich Sie: Schauen Siesich doch einfach einmal das Bildungssystem genaueran!
Das Gleiche gilt auch für die Hochschulen. Wenn manExzellenzstandorte haben will, dann müssen die Hoch-schulen auch mit den entsprechenden finanziellen Mit-teln ausgestattet sein. Darüber hinaus sagen wir katego-risch Nein zu Studiengebühren.
Eine weitere Bemerkung zum Beamtenrecht. Ichfinde es hocherstaunlich, dass der verehrte Ministerpräsi-dent Dieter Althaus am letzten Wochenende die 42-Stun-den-Woche gefordert hat, und das trotz des Streiks im öf-fentlichen Dienst. Er sagte, die 42-Stunden-Woche seidie Lösung für alle Beschäftigten im öffentlichen Dienst.Er fordert sie für West- und Ostdeutschland. Es war dieCDU in Thüringen, die die 42-Stunden-Woche für Be-amte durchgepeitscht hat, und jetzt empfiehlt sie, dassden Angestellten im öffentlichen Dienst dasselbe zuge-mutet wird. Das tut sie auch noch, obwohl zurzeit ge-streikt wird. Diese Form der Solidarität verbitten wiruns. Wenn Sie Mut hätten – deshalb habe ich vorhin vonMutlosigkeit geredet –, dann würden Sie ein einheitli-ches Dienstrecht für Deutschland schaffen. Keine Tren-nung mehr zwischen Arbeitern, Angestellten und Beam-ten. Das wäre ein mutiger Schritt nach vorne, eineinheitliches Arbeitsgesetzbuch.
Was aber machen Sie? 16 Beamtenrechte auf Länder-ebene plus ein Bundesbeamtenrecht heißt 17 verschie-dene Rechtssituationen. Die kommen zu dem atomisier-ten Arbeitsrecht hinzu, das wir in Deutschland ohnehinhaben. Das ist rückwärtsgewandt. Deswegen wäre esgut, in Analogie zur Überleitung des Bundes-Angestell-tentarifvertrages in den TVöD das Dienstrecht inDeutschland insgesamt zu öffnen und damit einenSchritt nach vorne zu kommen. Ich glaube, dass Sie denBeamtenbund auf Ihre Seite ziehen können, wenn sichherausstellt, dass es nicht um formale oder um angebli-cuDbBgzzlwdswbWiPBsiDDsSUuDbm–sVmwu–ndr
Sie können weiter aus ideologischen Gründen auf-chreien. Aber es würde sich lohnen, hinzuschauen. –ergleichen Sie das Arbeitsgesetzbuch der DDR einmalit dem deutschen Arbeitsrecht! Wer entbürokratisierenill, der sollte 30 Formen von Arbeitsrecht beseitigennd durch ein einheitliches Dienstrecht ersetzen.
Wenn Sie möchten: Bitte, gerne. Im Gegensatz zu Ih-en übernehmen wir die Verantwortung, auch wenn Sieas immer leugnen.Sechstens: Hände weg von Justiz und Strafvollzug!Siebtens: eine bundeseinheitliche Verwaltungs-eform, die diesen Namen verdient hat. Das heißt, es
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Bodo Ramelowmuss zu einer Aufgabentrennung und zu einer Aufga-benzuordnung kommen. Einfließen sollten dabei die Er-gebnisse der Diskussion der Bundesländer. Ob die Auf-stellung der Bundesländer noch zeitgemäß ist, auchdarüber muss diskutiert werden, allerdings von unten.Deswegen wäre es gut, den Weg dafür über eine entspre-chende Änderung im Grundgesetz zu ebnen.Achtens: die Stärkung der Staatsfinanzen. Das heißtnicht nur, dass die Finanzbeziehungen neu geordnet wer-den müssen, sondern auch, dass die Einnahmenseite zustärken ist.Wenn Sie diese acht Punkte mit auf den Weg bringen,dann können wir gemeinsam eine Föderalismusreformverabschieden. Nach meiner Überzeugung brächte dieseReform den Menschen mehr Gewinn als Verlust. Das,was Sie im Moment machen, ist wieder Gezänk in denparteipolitischen Hinterzimmern.
Das führt leider nur zur Befriedigung von Herrn Kochund anderen, aber nicht dazu, dass wir Deutschlandwirklich zum Wohle der Menschen neu ordnen. Bitte,machen Sie sich in eine andere Richtung auf und verlas-sen Sie Ihre parteipolitischen Hinterzimmer.Vielen Dank.
Ich erteile das Wort Kollegin Renate Künast, Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir brau-chen eine Föderalismusreform. Dabei brauchen wir ei-nes: mehr Transparenz, damit die Bevölkerung und wiralle wirklich verstehen, wer eigentlich für welche Berei-che zuständig ist. Wir brauchen mehr politische Hand-lungsfähigkeit, damit die immer wieder qualvollen Ver-handlungen, die sich über ein oder zwei Jahre hinziehen,und die permanenten Blockaden durch den Bundesratendlich hinter uns liegen. Das ist unser Maßstab. Daswar übrigens auch der Maßstab der Föderalismuskom-mission. Ich muss leider feststellen: Was uns heute hiervorliegt, wird diesem Maßstab nicht gerecht. Dies istkeine große Reform.
Wir wollten entflechten. Das leistet diese Reformnicht. Wir wollten handlungsfähiger werden in Europa.Das leistet diese Reform nicht. Wir wollten Lösungender großen Zukunftsaufgaben anbieten. Auch das leistetdiese Reform nicht. Diese große Koalition hat behauptet:Nach den ersten 100 Tagen dieser Regierung kommt dasMeisterstück. Eines ist ganz klar: Wir haben das in denvergangenen Wochen kritisiert. Nach der Rede des SPD-Fraktionsvorsitzenden gibt es überhaupt kein Beweis-pßnDlwsdbWbWdnkzlzdEEK–rwmpldggnSg–acg
ir müssen den Ausgleich der Waage, die Balance hin-ekommen, sodass wir Föderalismus mit einem Stückettbewerb, aber auch mit Solidarität haben. Die Bun-esrepublik macht es nämlich aus, dass nicht an dem ei-en Ende des Landes arme Kinder oder Migrantenkindereine Chancen auf gute Bildung haben und darauf, sichu entwickeln, Teil der Gesellschaft zu sein, sich beruf-ich zu verwirklichen und in der Gesellschaft ihren Teilu leisten, während die reichen Kinder am anderen Endeer Republik so richtig durchziehen, sodass nur sie amnde die Vorstände in den DAX-Unternehmen stellen.inen solchen Föderalismus wollen wir nicht, Herrauder. Wir wollen auch Solidarität.
Nein. Von uns gibt es ein klares Bekenntnis zum Föde-alismus, Herr Kauder. Aber man muss auch im Detailissen, was man wie regelt. Ich will, dass die Länderehr entscheiden können, aber nicht nur die Minister-räsidentenbank, nicht nur der Bundesrat, sondern wirk-ich auch die Landtage.
Wir haben die Debatte um die Frage, wie hier mitem Parlament und mit seinen Anhörungsrechten umge-angen wird, schon geführt. Was Sie da gestern und vor-estern hingelegt haben, war, finde ich, demokratietech-isch nun nicht gerade ein Meisterwerk.
Herr Kauder, Ihnen fehlt noch etwas ganz anderes.ie haben hier gesagt, jetzt werde es eine wunderbareemeinsame mehrtägige Anhörung geben.
Geht es? Können Sie nicht einmal einen Koalitions-usschuss einberufen? Dann könnten Sie alles bespre-hen. Wir haben bei diesem so genannten Meisterstückerade gemerkt, dass die Koalition hoch zerstritten ist.
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Renate KünastInsofern verstehe ich sozusagen Ihre Debatte jetzt überdie grünen Bänke hinweg.Die einen sagen, es sei ein Meisterstück. Herr Strucksagt, man müsse eigentlich in wesentlichen Bereichennoch ändern. Sie sagen, Sie hätten jetzt eine Anhörungs-idee mit Bundestag und Bundesrat zusammen. Aber,Herr Kauder, Herr Struck, Sie haben schon wieder dieLandtage vergessen.
Wenn es eine ehrliche Beratung gibt, dann wollen wir,dass auch die Landtage und nicht nur die Ministerpräsi-denten und die Mehrheit an dieser Beratung beteiligtwerden.Ich würde übrigens auch gern wissen, was eigentlichdie Position der FDP ist. Herr Burgbacher, mir ist siemit Ihren Ausführungen nicht klar geworden. Wenn ichmir das Ganze noch einmal vor Augen führe, dann erin-nere ich mich daran, dass Herr Westerwelle im Dezem-ber 2004 gesagt hat, das sei deutlich zu wenig undenttäuschend. Mittlerweile hören wir von HerrnWesterwelle, Sie würden dieser Reform sowieso zustim-men, weil man danach über die Finanzfragen redet. HerrBurgbacher erklärt hier aber, es müsse noch viel geregeltwerden. Herr Burgbacher, dann widerrufen Sie doch Ih-ren Parteivorsitzenden, Herrn Westerwelle; der ist andieser Stelle längst umgefallen.
– Ich weiß, was Sie wollen, Herr Gerhardt. Wegen des26. März wollten Sie sich, weil Sie in Rheinland-Pfalzgern mit den einen und in Baden-Württemberg gern mitden anderen wollen, keinen Ärger mit den beiden ein-handeln. Deshalb haben Sie sich hier eigentlich schonzum Steigbügelhalter dieser schlechten Reformvorlagegemacht.
Ich kann nicht akzeptieren, wenn hier angesagt wird,sogar aus dem Kanzleramt, dass dieses Paket so ge-schnürt ist und so durchgeht. Ich kann auch nicht akzep-tieren, wenn uns Ministerpräsidenten das sagen; denn esgeht an dieser Stelle nicht allein darum, ein Paket durch-zuwinken. Wir haben vielmehr die Aufgabe, uns zuüberlegen: Was sind die Probleme der Republik, derKinder dieser Republik, der Wirtschaft dieser Republik?Was sind die Probleme von heute, von morgen und vonübermorgen? Diese Reform muss eine Lösung für dieseProbleme anbieten und das tut sie bisher definitiv nicht;im Gegenteil.
Ich gehe einmal zwei oder drei Punkte durch, um zuklären, ob diese Reform uns eigentlich genügt. In derGeneraleinschätzung wird behauptet, hier finde eine aus-rkBssWsmdgrdlgeAsbazwfdas1sBbzoeruaednWmusbfgsswdm
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– Das war wahrscheinlich, Herr Kauder, Ihr Wort zumFrauentag. Es kam zwar ein bisschen spät, aber passtevom Niveau her.
Herr Kauder, Sie haben gesagt, durch die Föderalis-musreform würde der Bund für Bürokratieabbau bei denLändern sorgen. Ich sage Ihnen, die Bürokratie, unterder im Augenblick die Schulen leiden, liegt nicht in derVerantwortung des Bundes, sondern wurde von denBundesländern verschuldet, weil sie den Schulen keineAutonomie geben wollen.
Schauen wir uns das Thema Umwelt an: Mit dem inIhrer Vorlage enthaltenen Vorschlag für ein Umweltge-setzbuch bauen Sie nichts anderes auf als ein potemkin-sches Dorf: vorne eine elegante Fassade, dahinter abernicht einmal ein fester Kern, der Abweichungen in denverschiedenen Bereichen verhindert, wie es ein UGB tat-sächlich ermöglichen könnte.
– Ja, Herr Röttgen, nur ein Hauch Naturschutz: Ihre Po-sition kenne ich aus der Kommission.
Ihre hier vorgesehene Abweichungsgesetzgebung ist einFehler. Sie wird am Ende nicht die Probleme lösen, diebisher im Zusammenhang mit der Erforderlichkeitsklau-sel auftraten.
Wir wollen ein Umweltgesetzbuch, das im Kern gutfür die Umwelt und gut für die mittelständische Wirt-schaft in dieser Republik ist. Das wäre zum Beispiel derFall, wenn ein Mittelständler mit einem Antrag ein Ge-nehmigungsverfahren bewältigen könnte. Er hat nämlichnicht die Möglichkeit, drei Juristen einzustellen, um dieGesetzessammlungen von 16 Bundesländern durch-schauen zu lassen.
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Ich freue mich darüber, dass auch die SPD-Fraktionn dieser Stelle einen Blick auf den Strafvollzug wirft.ch weiß, warum dieses Thema aufgenommen wordenst. Ich sage Ihnen aber: Im Interesse unser aller Sicher-eit in der Bevölkerung ist es wichtig, dass im Strafvoll-ug nicht gespart wird, sondern dass Resozialisierungtattfindet.
In diesem Sinne haben wir noch grundsätzliche Bera-ungen vor uns, damit dies eine Reform wird, die ver-ient, dass man über sie sagen kann: Das ist ein Meister-tück, das die Probleme des Landes löst.
Ich erteile das Wort Kollegen Peter Ramsauer, CDU/
SU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frauollegin Künast, Sie haben gegen Ende Ihrer Rede ge-agt: Das ist doch nicht die Zukunft unseres Landes. –ch sage Ihnen dagegen: Mit der Einstellung, die Sie so-ben in Ihrer Rede verbreitet haben, sind Sie, Ihre Parteind Ihre Fraktion garantiert nicht die Zukunft unseresandes.
Wir sind uns – darüber bin ich froh – im Grunde ge-ommen alle über die Fraktionsgrenzen hinweg darin ei-ig, dass es so wie bisher nicht weitergeht und dass wirich bin meinem Kollegen Peter Struck außerordentlichankbar, dass er dies am Ende seiner Rede noch einmaletont hat –
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Dr. Peter Ramsauerdiese Reform zu einem guten Ende bringen wollen. Des-halb bin ich mir ganz sicher, dass diese Reform des Fö-deralismus ein Zeichen der Zuversicht für unser Landist.Die Probleme sind uns seit langem bekannt. Deswe-gen wissen wir alle, dass es so nicht weitergeht. In denletzten Jahren wurde viel darüber geredet und geschrie-ben: über die schrittweisen Zuständigkeitsverluste derLänder, über die Verflechtung aller Ebenen, über ver-wischte Verantwortlichkeiten und über die Blockade-macht des Bundesrates.Neu ist: Die große Koalition redet nicht nur, sondernsie handelt auch.
Deutschland ist nicht mehr Stillstandort. Wir haben dasinnerhalb der ersten 100 Tage dieser großen Koalitionbewiesen. Wir haben bewiesen, dass wir handlungsfähigsind; es wird entschieden, es geht vorwärts und es gibtZuversicht in unserem Lande.
Ich schließe mich dem Dank, den der Kollege PeterStruck gerade ausgesprochen hat, für meine Fraktionund für meine Partei ausdrücklich an: dem Dank an diebeiden Pioniere der Föderalismusreform in den letztenJahren,
nämlich Edmund Stoiber und Franz Müntefering.
Sie haben an der Spitze der Föderalismuskommissiongroßartige Vorarbeit geleistet. Das verdient Respekt undDank.
Ich schließe auch alle anderen in diesen Dank ein:Graf Lambsdorff, wie hier zugerufen wurde, und diejeni-gen, die viel früher aktiv waren. Gerade deshalb stehendie Liberalen in der Verpflichtung, zielstrebig daran mit-zuwirken, dass wir Erfolg haben.
– Kollege Westerwelle, Sie sprechen nach mir und kön-nen dies bestätigen.
Bundestag und Bundesrat beginnen heute parallel mitden parlamentarischen Beratungen dieser umfassendenReform des Grundgesetzes. Wie meine beiden KollegenVolker Kauder und Peter Struck sehe auch ich die Bera-tung der Vorlagen von zwei Leitgedanken geprägt.Der erste Leitgedanke. Wir Abgeordneten nehmenunsere parlamentarische Verantwortung wahr. Die Ände-rgVtrRgurWddDltbWsdSdsmulRsgdeWdZdDnbnkvlhwdkRm
enn da und dort Feinschliff erforderlich ist – so hat eser Kollege Volker Kauder mit anderen Worten gesagt –,ann handeln wir entsprechend und machen aus diesemiamanten sozusagen einen großartigen politischen Bril-anten.
Der zweite Leitgedanke. Die Mehrheiten im Bundes-ag und im Bundesrat setzen auf Kooperation statt wieisher auf Konfrontation. Das ist etwas, was unsereählerinnen und Wähler nach den vielen Jahren deständigen Gegeneinanders erwarten. Wir unterstreichenies mit gemeinsamen Sitzungen: Heute gibt es paralleleitzungen im Bundesrat und im Bundestag – es findetie erste Lesung statt – und die federführenden Aus-chüsse der beiden Häuser tagen gemeinsam.Die große Koalition will eine gute Zusammenarbeitit den Ländern. Das stimmt optimistisch; denn Bundnd Länder müssen gemeinsam anpacken, um Deutsch-and wieder nach vorne zu bringen. Ich bin sicher, daseformwerk wird überzeugen. In den Debatten werdeneine Stärken hervorgehoben und Fehldeutungen korri-iert werden.
Die schlimmste Fehldeutung ist, dass der jeweils an-ere der Verlierer sein müsse, wenn Bund bzw. Ländertwas gewännen. Das ist falsch. Ich sehe das anders.enn Verflechtungen aufgelöst werden, dann gewinnenoch beide Ebenen neue Gestaltungsfreiheit. Ausuferndeustimmungserfordernisse im Bundesrat verwischenoch Verantwortung und sie verzögern Entscheidungen.ie Zahl derjenigen Gesetze wird deshalb reduziert, de-en der Bundesrat zustimmen muss. Auf dem Feld derisherigen Rahmengesetzgebung gewinnt der Bundeue Kompetenzen hinzu. In 22 Gegenständen deronkurrierenden Gesetzgebung entfällt die bisherigeerfassungsgerichtliche Prüfung, ob eine bundeseinheit-iche Regelung erforderlich ist. Das schafft Rechtsklar-eit.Im Gegenzug – darin liegt natürlich auch eine ge-isse Ausgewogenheit – wachsen die Kompetenzener Länder. Vom Presserecht bis zum Ladenschlussommen neue Kompetenzen hinzu. Schule, Kultur undundfunk werden als Sache der Länder bestätigt.Ich will auch hervorheben: Die Föderalismusreformacht endlich Ernst mit dem Grundsatz – er ist für die
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Dr. Peter RamsauerKommunen von großer Bedeutung –: Wer anschafft, derbezahlt. Dieser Grundsatz ist gerade für meine Parteisehr wichtig, da sie in den Kommunen tief verwurzeltist. Der Bund darf Aufgaben künftig nicht mehr direktauf die Gemeinden, die Städte oder die Landkreise über-tragen. Von den bisher getroffenen Behördenregelungenkönnen die Länder nach Abschluss der Reform abwei-chen. Das ist ein echter Autonomiegewinn für die Län-der. Die Länder – ich betone: die Länder – regeln damitkünftig das Verhältnis zu den Kommunen. Damit schütztdas so genannte Konnexitätsprinzip in den Landesver-fassungen die Kommunen künftig auch im Bereich derBundesgesetze.Deutschland braucht starke Länder. Deutschlandbraucht starke Kommunen. Vielfalt belebt. Wettbewerbsetzt Anreize, nach besseren Lösungen zu suchen. Nocheinmal: Beide, das Parlament im Bund und die Parla-mente in den Ländern, die Landtage, sind die Gewinnerdieser großartigen Reform. Der gesetzgeberische Spiel-raum der Landesparlamente wächst. Wir Abgeordnetenim Deutschen Bundestag sind künftig freier in der Ge-staltung unserer Gesetzesbeschlüsse. Ich stimme VolkerKauder zu, der gesagt hat, dass man die Gesetze manch-mal nicht mehr erkannt habe, als sie zerrupft aus demVermittlungsausschuss zurückgekommen seien. Viel-leicht wurden sie auch manchmal verbessert, wenn wirin den letzten sieben Jahren am anderen Ende gezogenhaben.
Es gewinnt derjenige, auf den es in unserem Land letzt-lich ankommt und dem wir unsere politische Macht undunser politisches Mandat verdanken: Letztlich gewinnendie Bürgerinnen und Bürger unseres Landes.Auf Folgendes kommt es an: Erstens. Entscheidungenkönnen schneller getroffen werden. Zweitens. PolitischeVerantwortung wird klarer. Drittens. Wichtige Kompe-tenzen rücken näher an die Bürger heran.
Die Entflechtung der Ebenen lässt die Wahlent-scheidung künftig wieder klarer als eindeutige Entschei-dung für die eine oder die andere Richtung in der Politikhervortreten. Es gibt kein Herumstochern mehr in einemEinheitsbrei, sondern klare Richtungen und klare Kom-petenzzuweisungen. Klare Verantwortlichkeiten stärkendas Vertrauen in unseren demokratischen Staat.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben mit die-ser Reform eine ganz großartige Chance in der Hand.Lassen Sie uns diese Chance für unser Land gemeinsamnutzen!
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Bundestag und Bundesrat gehen mit diesem Re-ormvorhaben einen ersten Schritt in die richtige Rich-ung. Es ist ein Stück weit ein erster Schritt, um mit demisherigen System organisierter Unverantwortlichkeit innserem demokratischen Gemeinwesen Schluss zu ma-hen.
Das gilt auch mit Blick auf die gemeinsame Heraus-orderung, die deutsche Wissenschafts- und Hoch-chullandschaft wieder an die internationale Spitzeeranzuführen. Wir müssen die Hochschulen und For-chungseinrichtungen in unserem Land befähigen, sichm immer härteren internationalen Wettbewerb um dieesten Köpfe, die größten Etats und um exzellente Er-ebnisse besser zu behaupten. Sie brauchen dafür imern zwei Dinge: erstens, die Freiheit, sich im Wettbe-erb strategisch zu entwickeln und zu positionieren,nd, zweitens, eine verlässliche und auskömmliche Fi-anzierung.
Mehr Freiheit und Verantwortung sollen die Länderm Bereich von Wissenschaft und Forschung bekom-en. Das ist ein viel diskutierter und wesentlicher Be-tandteil des heutigen Reformvorhabens. Die Länderehmen diese neue Herausforderung an. Sie sind nachnserer festen Überzeugung gut beraten, die neuenandlungsspielräume in Form von echter Freiheit undutonomie an ihre Hochschulen weiterzugeben.
ir jedenfalls tun das.Frau Künast, Sie haben eben die Autonomie derchulen eingefordert. Ich würde mich freuen, wenn Ihreartei zum Beispiel in meinem Bundesland auch dieutonomie der Hochschulen so nachdrücklich unter-tützen würde, wie Sie dies eben hier im Bundestag iminblick auf die Schulen gefordert haben.
Niemand muss Angst vor Kleinstaaterei haben. Einesunder Wettbewerbsföderalismus darf nicht mit klein-arierter Kleinstaaterei gleichgesetzt werden. Es ist einrrglaube, dass Probleme umso besser gelöst werden, jeentralistischer die Zuständigkeiten angesiedelt sind.
Das gilt mit Blick auf die letzte Legislaturperiodeuch für die Wissenschaftspolitik. Einheitslösungen wietwa ein bundesweites Verbot von Studiengebühren – es
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Dr. Andreas Pinkwart, Minister
ist beim Versuch geblieben; das ist nur ein Beispiel – ha-ben Deutschland in Europa nicht wettbewerbsfähiger ge-macht.
Freiheit ist aber nur eine Seite der Medaille. Hinrei-chende Finanzierung, Herr Tauss, ist die andere. Auchwegen unzureichender und durch die Vorgängerregie-rung abgesenkter Bundesmittel besteht im Hochschulbe-reich ein enormer Sanierungsstau.
Hinzu kommen steigende Studierendenzahlen, die wirnicht als Belastung, sondern als Chance für unser Landbegreifen sollten.Eine besondere Bedeutung kommt deshalb demHochschulbau zu. Dafür ist dreierlei notwendig: Ers-tens. Wir setzen uns für eine Garantie für eine dauerhafteZweckbindung der Bundesmittel in den jeweiligen Län-dern ein.
Zweitens. Wir – darum bitte ich das ganze Haus sehrherzlich – müssen im laufenden Gesetzgebungsverfah-ren darüber diskutieren, ob die bis 2013 vom Bund zurFinanzierung vorgesehenen Baumittel mit Blick auf diesteigenden Studierendenzahlen tatsächlich sachgerechtsind.Drittens. Wir sollten noch einmal darüber nachden-ken, ob die jetzt vorgesehene Verteilung der Mittel andie Länder sachgerecht ist;
denn es kann nicht sein, dass die Länder, in denen50 Prozent der Studierenden in Deutschland eingeschrie-ben sind, in Zukunft nur 30 Prozent der Bundesmittel er-halten sollen. Diese Regelung sollte man, wenn man denHochschulen wirklich helfen will, noch einmal überden-ken.
Auf einem anderen Feld, bei der Forschungsförde-rung und der Finanzierung von Forschungsbauten undGroßgeräten von überregionaler Bedeutung, steht derBund weiter in der Pflicht. Frau Ministerin Schavan hatangekündigt, dass sie die gemeinsamen Aufgaben in ei-nem kollegialen Verhältnis zu den Ländern angehen will.Sie hat den Ländern vorgeschlagen, einen Hochschul-pakt 2020 zu schließen, der klären soll, wie Bund undLänder auch künftig gemeinsam Verantwortung tragenkönnen. Die Gespräche dazu haben begonnen. Wir be-grüßen dieses Vorgehen. Es ist ein richtiges Signal, wennwir den Hochschulen einerseits mehr Freiheit geben, sieaber andererseits nicht im Stich lassen, wenn es darumgeht, Qualitätssicherung im Studium und bei der For-schung sicherzustellen.EtdsbWSaaDUKmrInmbssiznuwARrpwsbfd
Ich appelliere an Sie, diese Beratungen nicht in Kon-rontation, sondern im Geiste der Kooperation zwischener Bundesebene auf der einen Seite und der Länder-
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Fritz Rudolf Körperebene auf der anderen Seite anzugehen. Wenn wir nichtverinnerlichen, dass wir Kooperation brauchen, werdenwir scheitern. Das wollen wir nicht und das können wiruns nicht leisten.
Was bedeutet eigentlich Föderalismusreform? Ichhabe festgestellt, dass das von den Menschen im Landhäufig nicht richtig nachvollzogen werden kann. Bei derFöderalismusreform geht es darum, dass wir Klarheitund mehr Transparenz im Verhältnis zwischen Bund undLändern schaffen, und um eine stärkere Kompetenztren-nung und -abgrenzung. Dass der eine oder andere Streit-punkt darüber entsteht, hängt mit der unterschiedlichenInteressenvertretung zusammen.Im Moment ist die Situation so, dass 16 Materien aufdie Länder übertragen werden. Das betrifft beispiels-weise den umstrittenen Hochschulbereich, das Ver-sammlungsrecht, das aus meiner Sicht überhaupt nichtumstritten ist, und das öffentliche Dienstrecht. Auf deranderen Seite werden dem Bund Bereiche übertragen– ob man sich als Bundespolitiker darüber besondersfreuen kann, mag dahingestellt sein –, wie zum Beispieldas Waffenrecht und das Atomrecht. Und es kommt– was ganz erstaunlich ist – zu einer Kompetenzerweite-rung des Bundeskriminalamtes im Kampf gegen den in-ternationalen Terrorismus. Ich bin sehr froh, dass dieLänderebene dem zugestimmt hat. Denn das ist eineMaßnahme, die der Herausforderung, gegen den interna-tionalen Terrorismus effektiv und effizient vorzugehen,gerecht wird.
Ich komme zur Zustimmung des Bundesrates zu Bun-desgesetzen. Es ist ein wichtiges Ziel – und ich hoffe,dass wir uns darin einig sind –, die Zustimmungsquoteerheblich zu reduzieren.
Wenn wir die Zustimmungsquote des Bundesrates ummehr als die Hälfte reduzieren könnten, wäre das hervor-ragend.
Dass auch die klare Zuordnung der Finanzverantwortungzwischen Bund und Ländern klar geregelt werden muss,versteht sich von selbst.
Ich will einen weiteren Punkt ansprechen: Wenn esum Lösungen so genannter großer Probleme in unseremLand geht, dann muss man bedenken, dass sich die Er-wartungen der Menschen in unserem Land zuerst an dieBundespolitik richten. Das ist die Gefühlslage. Das istdie Erwartungshaltung. Mehr Arbeitsplätze, sichereRenten oder eine moderne Familienpolitik erhofft mansdDwSballKtcdsdseedgoPrnKoAwsmvbAQkdSzsbthlws
Ein wichtiger und richtiger Schritt auf dem Weg zuiesem Ziel ist die Änderung des Art. 84 des Grundge-etzes. Bislang muss sich der Bund entscheiden: Machtr den Ländern Vorgaben für den Vollzug seiner Gesetze,ntsteht Zustimmungspflicht. Nur dann, wenn er sich je-er Verfahrensregelung enthält – wir haben in der ver-angenen Zeit gesehen, wie man das macht –, kann erhne den Bundesrat handeln. Dieses Alles-oder-nichts-rinzip wollen und müssen wir ändern. Abweichungs-echt statt Zustimmungspflicht lautet im Grunde ge-ommen die neue Formel, die hier erfunden worden ist.ünftig soll der Bund den Vollzug seiner Gesetze auchhne die Zustimmung des Bundesrates regeln können.llerdings dürfen die Länder von diesen Vorgaben ab-eichen.Dazu sage ich mit Blick auf die Praxis: Ich bin zuver-ichtlich, dass auf Bundesebene so gute Gesetze ge-acht werden, dass die Länder nur in seltenen Fällenon der Möglichkeit der Abweichungsregelungen Ge-rauch machen werden. Davon bin ich überzeugt.
llerdings muss der Bund auch den Mut haben, auf dieualität seiner Regelungen zu vertrauen. Die Möglich-eit, eine Länderabweichung mit Zustimmung des Bun-esrates auszuschließen, ist als Ausnahmefall konzipiert.ie sollte, wenn ich das richtig verstanden habe, nichtur Regel werden.Wir müssen an einer anderen Stelle aber sehr aufpas-en, damit wir unser Anliegen nicht zunichte machen,eispielsweise bei Art. 104 a des Grundgesetzes. Künf-ig soll der Bundesrat ein Vetorecht bei allen Gesetzenaben, die die Länder zu Geld- oder geldwerten Sach-eistungen verpflichten. Das ist eine bedeutsame Aus-eitung der gegenwärtigen Regelung, die mir ganz per-önlich fast zu weitgehend erscheint.
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1768 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. März 2006
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Fritz Rudolf KörperDie Länder sollen mitreden, wenn ihnen erheblicheKosten zu entstehen drohen. Einverstanden. Braucht derBundesrat aber wirklich ein Vetorecht, wenn 99,9 Pro-zent einer Geldleistung vom Bund übernommen wer-den?
Wir sollten Obacht geben, dass wir hier keine neuenSeile auslegen, mit denen der Bund gefesselt werdenkann.
Ich habe den Eindruck gewonnen, dass bei mancheinem noch Unklarheit darüber besteht, welche Konse-quenzen praktischer Art sich aus der Föderalismus-reform ergeben. Auf Länderseite gibt es zu manchenPunkten ganz unterschiedliche Reaktionen und Kom-mentierungen. Was die einen freudig herbeisehnen, wirdvon anderen mit gewisser Sorge betrachtet. Ich nehmeauf die Richter- und Beamtenbesoldung Bezug. DasGrundgesetz kennt keinen asymmetrischen Föderalis-mus, bei dem einige Länder mehr Befugnisse haben alsandere. Das Grundgesetz kennt nur ein Entweder-Oder,Bund oder Länder. Deshalb müssen sich alle Länder imKlaren darüber sein, ob sie mehr Verantwortung wollenund ob sie die neuen Lasten auch wirklich schultern kön-nen.Das Ergebnis unserer Arbeit darf nicht zu einemScheinföderalismus führen
– klatscht doch später –,
der dazu führt, dass Gesetze in Düsseldorf oder Mün-chen, also in den großen Bundesländern, gemacht wer-den und die kleinen Länder ihren Inhalt nur noch ab-schreiben.
Einige Länder hoffen zwar, von individuellen Regelun-gen anderer Länder profitieren zu können. Aber ange-sichts eines gesetzgeberischen Wettbewerbs, bei demungleiche Startbedingungen herrschen, werden mit Si-cherheit nicht alle eine faire Chance haben.
Wir haben die Pflicht und die Verpflichtung, für einesorgfältige und intensive Beratung im Deutschen Bun-destag zu sorgen.
Das Föderalismuspaket ist nicht geeignet, mit verbunde-nen Augen und im Schweinsgalopp abgesandt zu wer-den. Deswegen werden wir es intensiv beraten und letzt-lich auch eine Reform hinbekommen.FmnvsBWeHwsWebVkvembdFDGsddlALrdrdeSdn
Ich erteile das Wort der Kollegin Inge Höger-Neuling,
raktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Föderalis-usreform könnte zum Unwort des Jahres werden,
icht weil die Menschen im Lande diesen Begriff nichterstehen,
ondern weil das, was als Jahrhundertreform und alsefreiung von der Selbstblockade angekündigt wird, inahrheit ein Bürokratiemonster ist.Sie verhindert eine einheitliche Bildungspolitik, eineinheitliche Vorschulförderung und eine einheitlicheochschulpolitik. Es fehlt auch eine einheitliche Ant-ort auf die PISA-Studie. Sie macht effektiven Natur-chutz und vernünftigen Hochwasserschutz unmöglich.ir brauchen endlich ein einheitliches Umweltrecht stattines neuen Kompetenzwirrwarrs. Man sollte doch glau-en, dass es ihr Ziel war, für Entbürokratisierung und fürerbesserungen für die Menschen zu sorgen. Herausge-ommen sind allerdings massive Verschlechterungen füriele.Die Länder und Gemeinden haben sinkende Steuer-innahmen zu verzeichnen. Nun suchen nach Einspar-öglichkeiten und sehen diese erfahrungsgemäß nichtei Wirtschaftssubventionen oder beim Straßenbau, son-ern eher in den Haushalten für Soziales und für Jugend.Die Länder und Gemeinden geben dem Druck vonirmen nach, die mit Arbeitsplatzverlagerungen drohen.ie Zuständigkeit des Bundes stellte bisher häufig einerenze dar. In Zukunft wird es einen Wettbewerb zwi-chen den Ländern – den sie ja alle befürworten – umas schnellste Sozialdumping geben. Das ist der Inhaltieser Reform.Das wird zum Beispiel die Menschen, die in Heimeneben, betreffen, also Menschen mit Behinderungen,lte und chronisch Kranke. Das Heimrecht soll nunändersache werden. Einzelne Bundesländer haben be-eits angekündigt, ihre Pflegestandards zu senken unden Pflegeschlüssel nach unten zu schrauben. Dabei wa-en es gerade die Missstände in den Heimen, die 1974azu geführt haben, dass das Heimrecht auf die Bundes-bene übertragen wurde.Die in diesem Bereich tätigen Vereine laufen dagegenturm: Die Caritas, sehr geehrte Damen und Herren voner CDU/CSU, die Arbeiterwohlfahrt, liebe Genossin-en und Genossen von der SPD, die Verbraucherzentra-
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Inge Höger-Neulinglen, werte Kolleginnen und Kollegen von den Grünen,und wichtige private Träger von Pflegeheimen – dassage ich an die Liberalen gerichtet –, alle protestierenenergisch gegen die Verlagerung der Zuständigkeit fürdas Heimrecht auf die Länder.
Worum geht es diesen Verbänden? Wenn Eltern be-hinderter Kinder umziehen müssen, können sie sich inZukunft nicht mehr darauf verlassen, dass ihr Kind in ei-nem anderen Bundesland ähnliche Bedingungen vorfin-det. Angehörige pflegebedürftiger alter Menschen wer-den sich nicht mehr darauf verlassen können, dass an derOstseeküste bei der Heimpflege ähnliche Qualitätsstan-dards gelten wie in der Rhön.
Die Menschen, die beruflich Pflege organisieren,müssen demnächst nicht nur vier Ausführungsverord-nungen zum Heimgesetz kennen, sondern 4 mal 16, also64. Die geplante Grundgesetzänderung würde also einenenormen Zuwachs an Bürokratie – ja, einen Zuwachs –bedeuten. Alle gegenteiligen Behauptungen sind schlichtunwahr.
Betroffen sind auch Kinder und Jugendliche, die insozial benachteiligten Familien aufwachsen, in Familien,die Hilfen von Jugendämtern in Anspruch nehmen müs-sen. Denn die geplante Grundgesetzänderung trifft auchdie Jugendämter. Bisher fungieren die örtlichen und dieLandesjugendämter als Berater von Familien, als An-sprechpartner für Frauen mit Unterhaltsproblemen, fürmissbrauchte Mädchen, für belastete Jugendliche. Dem-nächst werden diese Ansprechpartner kaum noch an-sprechbar sein. Denn wer glaubt im Ernst, dass die armenKommunen bzw. die Landesfinanzminister weiterhin Ju-gendämter vorhalten werden, die fachlich fundiert überHilfebedarf entscheiden können? Auch dies wird derSparwut und somit dem Sozialdumping zum Opfer fal-len.Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden nichtnur unmittelbar von der jetzt vorgesehenen vollständigenVerlagerung der Zuständigkeit für das Dienstrecht aufdie Länder betroffen sein, sondern auch mittelbar. Künf-tig wird es einen Kostenwettbewerb zwischen den Län-dern geben. Im sozialen und im Gesundheitssektor lassensich Kosten in der Regel aber nur durch Personalabbausparen. Das betrifft unter anderem die Hochschulklini-ken, die nun von den Ländern anerkannt, gefördert, ge-steuert werden sollen. Dadurch werden sie noch stärkerin den Wettbewerb mit anderen Krankenhäusern geraten.Sie werden in einen Kostenwettbewerb gedrängt, der aufdem Rücken der zurzeit streikenden Pflegekräfte ausge-tragen wird.
Der Wettbewerb, der entsteht, wenn die Zulassungvon Arzneimitteln Ländersache wird, wird auch die Be-spdnkBdLagmegdKLnDGtellgIKtlWtgSWudv
ch hoffe, dass er das heute nicht bloß gesagt hat, umritiker in den eigenen Reihen kurzfristig zu beschwich-igen.
Wie sich andere diese Reform vorstellen, hat der Kol-ege Dr. Röttgen ja gestern aufgezeigt nach dem Motto:ir können jetzt nicht auf Einzelanliegen und Einzelin-eressen schauen, wir müssen den Blick doch auf dasroße Ganze richten. Wir können aber nicht einerseits inonntagsreden immer wieder erklären, dass Bildung undissenschaft zentral für die Zukunft dieses Landes sind,
nd andererseits dann, wenn es um die Reform des Fö-eralismus geht, so tun, als seien das Eigeninteressenon Einzelpersonen. Das passt einfach nicht zusammen.
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1770 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. März 2006
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Krista SagerDass von Bildungs- und Wissenschaftsorganisatio-nen massive Kritik kommt, müssen wir ernst nehmen.Wir können uns falsche Weichenstellungen bei Bildungund Wissenschaft nicht leisten. Das wäre mit dem „gro-ßen Ganzen“ vollkommen unvereinbar.
Es ist ja richtig, dass es schwer ist, eine Mehrheit füreine Verfassungsänderung zusammenzubekommen. Abergerade wenn das schwer ist, können wir uns eine falscheWeichenstellung für Bildung und Wissenschaft erst rechtnicht erlauben; sie würde uns über Jahrzehnte begleiten,wir würden sie nicht wieder los.
Mit einem Kooperationsverbot für den Bund im Be-reich Schulen und Hochschulen würden wir internatio-nal einen absoluten Sonderweg einschlagen. Es gibt keinföderatives System, in dem das so geregelt ist. Nirgendsist es der Zentralebene verboten, für Schulen und Hoch-schulen Geld auszugeben. Das gibt es nicht einmal inden USA und wir sollen so etwas einführen. Das ist anBlödsinn kaum noch zu übertreffen.
Erzählen Sie den Menschen draußen im Lande doch ein-mal, dass dem Bund durch die Verfassung verboten wer-den soll, in Zukunft etwas für die Ganztagsschulen inDeutschland zu tun. Das begreift wirklich kein Mensch.
Es muss einen doch wirklich misstrauisch stimmen,dass die Ministerpräsidenten der großen Länder währendder Arbeit der Föderalismuskommission so tun – auch inden letzten Tagen –, als könnten sie vor Kraft kaum nochlaufen und in Zukunft alles alleine machen, während dererste Fachminister, der hier auftritt – er kommt nicht auseinem kleinen, schwachen Land –,
schon einmal den herannahenden Katzenjammer auf-scheinen lässt. Das haben wir hier erlebt und das mussuns doch misstrauisch machen.
Wer den Bund bei der Bildung und der Wissenschaftvor die Tür stellt, der tut das doch nicht nur auf Kostender schwachen Länder. Er tut das zwar ganz massiv aufKosten der schwachen Länder, aber er tut das vor allenDingen auch auf Kosten der jungen Menschen in diesemLande, einem Lande, in dem der Zusammenhang zwi-schen Bildung und sozialer Herkunft schon heute uner-träglich ist.DnhdddeAsdmsLqGiMNnhbesGdwevMrbnF
as würde dadurch noch schlimmer gemacht, was wiricht akzeptieren können.
Herr Burgbacher, Sie können es mir abnehmen – dasaben Sie auch erlebt –: Es geht nicht darum, den Län-ern die Schulkompetenz streitig zu machen. Das hatoch niemand getan. Wir müssen aber doch auch sehen,ass es in anderen Ländern mehr Freiheit der Bildungs-inrichtungen, mehr Wettbewerb um Qualität und mehrutonomie bei einem gemeinsamen Rahmen gibt. Dieseind dabei besser gefahren als wir; denn sie haben beier PISA-Studie die besseren Ergebnisse erzielt. Dasüsste uns doch ein bisschen zum Nachdenken bringen.
Von vielen Zielen, die Sie in Ihrem Koalitionsvertragelbst formuliert haben – Sie wollen etwas für jungeeute ohne Schulabschluss tun und die Studierenden-uote erhöhen –, hat sich die Bildungsministerin imrunde doch schon längst verabschiedet. Dort wird siem Bund keine Rolle mehr spielen. Sie ist nur noch eineinisterin der warmen Worte für diese jungen Leute.ach dieser Reform wird sie dort nichts mehr tun kön-en. Deswegen darf diese Reform so nicht kommen.
Wir als Grüne wollen eine Föderalismusreform. Wiraben aber an den richtigen Stellen Nein gesagt, nämlichei Bildung, Umwelt und Strafvollzug. Dass der Gesetz-ntwurf jetzt unverändert vorgelegt wird, zeigt doch, wiechlecht es für dieses Land ist, wenn der Einfluss derrünen zurückgeht.
Ich hoffe, dass gerade auch die Kollegen in der SPDas, worüber wir uns im Dezember 2004 einig waren,eiterhin ernst nehmen. Liebe Kollegen, ich sage Ihnenines: Den Stellenwert Ihrer Partei und den Stellenwerton Gerechtigkeit und Wohlstandssicherung für alleenschen in diesem Lande wird man am Ende auch da-an messen, ob Sie sich durch die Koalitionskarte nieder-ügeln lassen oder ob Sie hier noch Veränderungen vor-ehmen.
Ich erteile Kollegen Norbert Röttgen, CDU/CSU-raktion, das Wort.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Amhäufigsten diskutieren wir Abgeordnete, wir Politikerhier im Bundestag darüber, auf welche Veränderungenund Reformen sich die Bürger einstellen müssen. Wir sa-gen den Bürgern: Ihr müsst euch ändern und reformbe-reit sein.Diese Föderalismusreform ist eine Reform des Staa-tes. Sie wird damit der Erwartung der Bürger gerecht– alle sagen das: Bürger, Fraktionen und Parteien –, dasssich nicht nur die Bürger ändern müssen, sondern dasssich auch der Staat verändern muss. Er muss besser wer-den. Das ist der Anspruch, der mit dieser Reform ver-bunden wird.
Der Staat muss auf einem Gebiet besser werden, dasdas Entscheidende, das Zentrum eines demokratischenGemeinwesens ist, nämlich in der Gesetzgebung. Bevorwir wieder auf die Einzelheiten kommen: Was ist derAusgangspunkt? Was ist denn jahrelang zu Recht be-klagt worden? Was ist die Misere? Ich finde es nichtübertrieben, von einer Misere zu sprechen. Die Misere,die wir erleben und erleiden, ist der Verlust an Ent-scheidungsfähigkeit des Staates. Das ist das Problem.
Auf dieses Problem richtet sich auch der Vorwurf derMenschen. Wir reden relativ viel über Politikverdros-senheit und ich glaube, dass es dieses Phänomen gibt.Ich bin auch davon überzeugt, dass dieses Phänomen,diese Unzufriedenheit, einen zentralen Vorwurf an diePolitik beinhaltet: Ihr tut nicht das, was das Wichtigsteist, das, wozu ihr da seid, nämlich Probleme zu lösen.Dafür seid ihr gewählt und das tut ihr zu wenig. – DieserVorwurf stimmt. Darum müssen wir etwas ändern.
Ich meine das natürlich nicht in quantitativer Hin-sicht. Es werden im Bund permanent Entscheidungengetroffen und Gesetze produziert. Aber es geht um denVerlust von Problemlösungsfähigkeit. Mit diesem Vor-wurf sind wir alle, die wir hier im Parlament Verantwor-tung tragen, konfrontiert. Für diese Unzulänglichkeit, fürdiese Misere – ich will das Kind beim Namen nennen –gibt es viele Gründe. Aber es gibt einen ganz wichtigenGrund, und zwar die Frage, wie wir das Verhältnis zwi-schen Bund und Ländern organisiert haben. Es gehtdarum, dass wir das Zusammenwirken von Bund undLändern, die Verantwortung beider Ebenen, in ein Sys-tem der Vermischung von Verantwortung über fastalle staatlichen Aktivitäten verwandelt haben: Vermi-schung bei der Gesetzgebung, Vermischung bei der Fi-nanzierung und Vermischung bei der Verwaltung desStaates.tldugbtrdeWksssisVddPzgaiPddeisshotlEamBbwZdhhlh
Wir haben erlebt, dass Vermischung von Verantwor-ung im Ergebnis nur eines bewirkt und bedeutet, näm-ich Auflösung von Verantwortung. Darum ist die Fö-eralismusreform eine Reform, die dort ansetzt, wo esm die Wiederherstellung der Verantwortung im Staateeht. Bevor wir auf Einzelheiten zu sprechen kommen,evor wir über Gaststättenrecht und viele andere wich-ige Themen und Einzelfacetten dieser Reform debattie-en – was notwendig ist –, darf aber das Kernanliegenieser Reform nicht untergehen. Ich will es deshalb nochinmal sagen: Der Kern dieses Reformanliegens ist dieiederherstellung staatlicher Entscheidungsfähig-eit, die Wiederherstellung der Erkennbarkeit politi-cher Verantwortung. Das ist das zentrale staatspoliti-che Anliegen dieser Reform. Das ist der Maßstab.
Es gibt zwei Lebenselemente einer parlamentari-chen Demokratie. Das eine ist Vertrauen, das anderet Verantwortung. Wir brauchen wieder Klarheit in dererantwortung, Klarheit in der Möglichkeit, zu entschei-en, die dann mit der Möglichkeit der Bürger korrespon-iert, sich ihr eigenes Urteil darüber zu bilden, wie dieolitik entschieden hat, und dieses Urteil bei Wahlen aus-udrücken. Das ist der Anspruch. Für diesen Anspruchibt es ein Leitmotiv. In der Umsetzung des Prinzips Ver-ntwortung heißt dieses Leitmotiv: Verhinderungsmachtm Staat abbauen, Gestaltungsmacht aufbauen.
olitik darf nicht mehr verhindern wollen, sondern mussen Anspruch haben, zu gestalten. Worin drückt sichies konkret und in den Schwerpunkten aus? Ich möchteinige der Punkte benennen.Zunächst will ich unterstreichen, was das große Zielst, nämlich die Zahl der zustimmungsbedürftigen Ge-etze in der Bundesgesetzgebung zu vermindern. Inzwi-chen ist es so, dass über 60 Prozent der Gesetze, dieier im Bundestag verabschiedet werden, nicht mehrhne die Zustimmung auch des Bundesrates in Kraft tre-en können. Wir und auch die Bürger können nicht wol-en, dass die Mehrheit, die auf Zeit legitimiert wurde, amnde nicht entscheiden kann. Das höhlt das Wahlrechtus.
Wir werden mit dieser Reform die Zahl der zustim-ungsbedürftigen Gesetze – das ist das Ergebnis einerewertung dieser Reform, bezogen auf die Gesetzge-ung der letzten Legislaturperiode; das ist recherchiertorden – um ein Drittel reduzieren. Ein Drittel wenigerustimmungsgesetze, das ist ein enormer Zugewinn fürie legitime Durchsetzungskraft der gewählten Mehr-eit. Was dies bedeutet, können wir als Bundestag nichtoch genug einschätzen. Wir werden damit in Deutsch-and die Art, Politik zu machen, verändern. Die Politikat dann wieder die Chance, Strukturentscheidungen zu
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Dr. Norbert Röttgentreffen. Diese sind oft noch nicht getroffen worden.Stattdessen werden permanent Reparaturentscheidun-gen getroffen.
Es ist ein Unding, dass der Vermittlungsausschussdie Reparaturkammer der deutschen Politik ist.
Das darf nicht so weitergehen, weil es letztlich alle ent-mündigt. Es ist ein intransparentes Gremium, durch dasalle Mitglieder des Bundestages entmündigt werden,weil sie dessen Ergebnisse letztlich nur noch ablehnenoder ihnen zustimmen können; sie können kein Kommamehr ändern. Wir alle als Abgeordnete werden entmün-digt.Auch die Bürgerinnen und Bürger werden entmün-digt, weil sie bei diesem geheim tagenden Gesetzge-bungsorgan – in einem demokratischen Staat wird unterAusschluss der Öffentlichkeit Politik gemacht; das mussman sich einmal vorstellen – nicht mehr erkennen kön-nen, wer für die Politik verantwortlich ist. Wenn die Bür-ger die Verantwortlichkeiten nicht mehr erkennen kön-nen, dann entmündigen wir sie. Insofern bedeutet unserVorhaben einen riesigen Fortschritt.Fortschritte gibt es auch an anderer Stelle, etwa beider konkurrierenden Gesetzgebung. Nur noch in elfvon 33 Fällen ist der Erforderlichkeitsnachweis für dieBundesgesetzgebung notwendig. Wir schaffen mit derRahmengesetzgebung eine ganze Gesetzgebungskate-gorie ab. Das ist gut und richtig,
weil die Rahmengesetzgebung sozusagen als Gesetzge-bungstypus auf die Vermischung von Bundes- und Lan-despolitik angelegt ist. Wir teilen die damit verbundenenKompetenzen zwischen Bund und Ländern auf; einigesgeht an den Bund, anderes an die Länder.Nebenbei bemerkt – die Reform ist noch nicht be-schlossen; darum sollte man vorsichtig sein –: Der Bundist der eindeutige Gewinner. Denn nach der Grundge-setzänderung 1994 und der anschließenden Rechtspre-chung hat der Bund nur noch sehr geringe Gesetzge-bungskompetenzen in der Rahmengesetzgebung. Wirhaben auf diesem Gebiet kaum noch Kompetenzen, kön-nen also kaum etwas verlieren, gewinnen jetzt aberKompetenzen hinzu.Wir verlieren übrigens nicht die Möglichkeit derHochschulförderung, Frau Kollegin Sager.
– Bitte beschäftigen Sie sich mit den Sachverhalten! Dasist definitiv falsch. Der Bund wird weiter Hochschulför-derprogramme durchführen. Das ist auch nötig.Wir werden in der Umweltpolitik etwas realisieren,was seit vielen Jahren gefordert wird. Es wird ein ein-heitliches Umweltgesetzbuch geben.EScDtkhdmgpsDakRViettsDftGLmAsbsatAqsdDhsw
Ich will einen letzten Gesichtspunkt ansprechen. Dieeform ist ein Kompromiss – darin liegt das Wesen dererfassungsgesetzgebung –, der im Konsens entstandenst. Dabei gibt es fast nur Gewinner. Der Bundestag istin Gewinner – ich habe bereits versucht, das zu erläu-ern –, weil er seine durch Wahlen erhaltene Legitima-ion umsetzen kann. Die Landtage werden Gewinnerein, weil sie eigene Gestaltungskompetenzen erhalten.ie Ministerpräsidenten sind keine Gewinner der Re-orm. Der Bundesrat gibt Kompetenzen an den Bundes-ag und die Landtage ab. Es ist doch ein demokratischerewinn, wenn Zuständigkeiten von der Exekutive zuregislative verlagert werden. Ein solches Vorhaben kannan doch nur befürworten.
uch die Bürger sind die Gewinner, weil der Staat ent-cheiden kann und sie die entsprechende Politik bessereurteilen können.Alle, die das Thema unter dem Gesichtspunkt dertaatspolitischen Verantwortung angehen, werden sichn den Beratungen im Gesetzungsgebungsverfahren be-eiligen; aber letztlich können sie sich der praktischenlternative nicht entziehen, die dem schlechten Statusuo vorzuziehen ist.Die Grünen haben dem Vorhaben schon einmal zuge-timmt. Erinnern Sie sich an die Verantwortung, die Sieamals wahrgenommen haben!
ass die Grünen in diesem Land nichts mehr zu sagenaben, liegt daran, dass die Bürger das in Wahlen so ent-chieden haben. Je schwächer Ihre taktischen Argumenteerden, meine Damen und Herren von den Grünen,
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Dr. Norbert Röttgendesto weniger werden Sie in Zukunft in Deutschland zusagen haben.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Guido
Westerwelle, FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Ich will zunächst einmal eines klarstellen unddabei an das anknüpfen, was Kollege Röttgen gesagt hat:Es ist kein Anliegen einer Partei; es ist auch kein Anlie-gen einer großen Koalition oder einer rot-schwarzen Re-gierung, vielmehr muss es das Anliegen der gesamtendeutschen Politik sein, dass die Effizienz unseresStaatswesens wieder besser wird.
Es handelt sich hier nicht um eine Auseinanderset-zung zwischen Opposition und Regierung, sondern dieAuseinandersetzung geht quer durch alle Fraktionen unddreht sich um die Frage: Wie kann unser Staatswesenschneller werden? Wie kann es entflochten werden? Wiewird es weniger bürokratisch? Wie kann die Qualität un-serer Entscheidungen besser werden? Wie kann der Staatbesser werden? Das – und kein parteipolitisches Hin undHer – muss der Maßstab bei diesen Beratungen sein.Denn diejenigen, die im Bundestag gegeneinander auf-gestellt sind, auf der einen Seite die Regierungsbank undauf der anderen Seite wir als Teil der Opposition, treffensich ja spätestens im Bundesrat wieder. Sie wissen, dassSie eine Föderalismusreform nicht durchsetzen können,ohne dass die von der FDP mit regierten Bundesländerzustimmen, weil ansonsten keine verfassungsänderndeMehrheit möglich ist.Deswegen will ich vorab ausdrücklich würdigen: Eshat zu allen Zeiten, vor allen Dingen in der Zeit der Re-gierungsbildung, immer wieder Abstimmungsgesprächegegeben und die Bundesregierung hat sich immer wiederbemüht, jedenfalls die FDP als liberale Oppositionspar-tei in die Gespräche und die Beratungen mit einzubezie-hen.
Nachdem ich das gesagt habe, will ich aber auch dasFolgende anführen: Es ist natürlich notwendig, dass wir,nachdem wir hier miteinander demokratisch gut und fairumgegangen sind, das auch in Zukunft tun. Das, was Siegestern veranstaltet haben, nämlich die normalen parla-mentarischen Beratungen faktisch zu beenden, steht ingroßem Widerspruch zu dem, was heute Vormittag hiervon Herrn Kauder und von Herrn Struck gesagt wordenist. Das muss man an dieser Stelle ganz klar betonen.
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ntweder ist das Paket geschnürt, Herr Kollege Kauder,der, Herr Kollege Struck, das Ergebnis ist offen.
ir werden schon miteinander darüber reden müssen.Jetzt will ich zur Sache selbst kommen. Es ist auchotwendig, dass man dazu einige Bemerkungen macht.ewinner einer Föderalismusreform ist doch nicht derundestag, ist doch nicht die Bundesregierung, ist dochicht eine Landesregierung und ist auch nicht ein Land-ag; Gewinner einer Föderalismusreform sind die Bür-erinnen und Bürger.
as ist der einzige Maßstab, den wir in dieser Debattenlegen sollten.
s geht nicht darum, ob wir oder andere mehr Rechte ha-en werden; es geht darum, ob die Deutschen etwas vonieser Reform haben.Der Zustand unserer Verfassung heute ergibt sich teil-eise aus dem, was von der großen Koalition Mitte der0er-Jahre fehlerhaft gemacht wurde; das wollen wir da-ei kurz festhalten.
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Dr. Guido WesterwelleEs ist richtig, dass die heutige große Koalition das wie-der in Ordnung bringt, was die andere große Koalitiondamals „versaubeutelt“ hat. Das kann man hier auch of-fen ansprechen.
– Da ist wohl was dran. Sie stimmen dem ja zu; Sie wis-sen das als Jurist ja auch.Das Entscheidende ist aber: Derzeit haben wir einevöllig verquere Verantwortungslage der Politik. Nurwenn die Bürger sehen können, dass ihnen diese oderjene Maßnahme von einer Landesregierung oder von derBundesregierung eingebrockt worden ist, können sie dieRegierenden wirklich zur Verantwortung ziehen. Deswe-gen liegt die Trennung der verschiedenen Ebenen zual-lererst im Interesse der Bürger.
Das zählt für die Freien Demokraten.
Da meine Redezeit in Kürze zu Ende ist, möchte ichnoch Folgendes sagen: Wir legen Wert darauf, dass daseingehalten wird, was in dem Gespräch, das in IhremHaus stattgefunden hat, Frau Bundeskanzlerin, zwischenIhnen und Herrn Müntefering vereinbart worden ist.Darauf hat auch Herr Professor Pinkwart als stellvertre-tender Ministerpräsident hingewiesen. Das, worüberheute hier diskutiert wird, ist ein kleiner Schritt. Es istein Schritt in die richtige Richtung, soweit es um dieEntflechtung der Staatsverantwortungen geht. Es mussaber wie vereinbart auch der zweite Schritt gemacht wer-den. Sie haben zugesagt, dass auch die Finanzbeziehun-gen zwischen Bund und Ländern neu geordnet wer-den. Wir verlangen, dass Sie Ihr Wort halten. Nur dannkönnen Sie erwarten, dass auch wir, die Opposition, kon-struktiv mitwirken. Das muss an dieser Stelle klar gesagtwerden.
Die Qualität hängt – auch in der Bildungspolitik –weniger davon ab, welche staatliche Ebene zuständig ist.
Sie hängt vielmehr in erster Linie davon ab, welche Poli-tik tatsächlich gemacht wird. Deswegen richtet sich un-ser Maßstab nicht nach der Frage, welche politischeEbene zuständig ist, sondern danach, dass die Bildungs-einrichtungen wieder mehr Autonomie haben. Die Zu-ständigkeit des Bundes garantiert noch lange nicht, dassdie Qualität zunimmt, ebenso wenig die KMK, die sichbislang nicht als Qualitätsgarant erwiesen hat. Entschei-dend ist, dass wir Wettbewerb bekommen. Wer denWettbewerb fürchtet, der fürchtet in Wahrheit die Quali-tät. Das ist in meinen Augen falsch.
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Was würde denn passieren, wenn man nichts ändernwürde? Sie haben von falschen Weichenstellungen ge-sprochen. Am Beispiel des Hochschulrahmenrechtshat das Bundesverfassungsgericht klar entschieden, dassder Bundestag überhaupt nur noch dann ein Gesetz be-schließen darf, wenn durch unterschiedliches Recht inden Ländern eine Gefahrenlage entsteht und sich dieLebensverhältnisse zwischen den Ländern in einer un-erträglichen Weise auseinander entwickeln. Das ist dieRechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dazu.Die Beweislast, ob es zu einer unerträglichen Auseinan-derentwicklung kommt und Gefahrenlagen geschaffenwerden, trägt der Bundestag. Das betrifft den gesamtenKatalog der konkurrierenden Gesetzgebung in Art. 74des Grundgesetzes und alles, was zur Rahmengesetzge-bung in Art. 75 steht. Das betrifft den Kündigungsschutzgenauso wie den Naturschutz. Das ist der gesamte Kata-log. – Herr Ramelow, Sie unterhalten sich gerade.
Sie befürchten die Atomisierung des Arbeitsrechts. Diemüssen Sie dann befürchten, wenn Sie alles so weiterlaufen lassen wie bisher. Das, was ich gerade gesagthabe, betrifft nämlich auch das ganze Arbeitsrecht in derBundesrepublik.
Nicht nur alle neuen Gesetze, auch alle Gesetze dieserMaterien, die der Deutsche Bundestag seit 1994, näm-lich dem Zeitpunkt der Verfassungsänderung zuArt. 72 Abs. 2, verabschiedet hat, könnten die Ländernach geltender Lage vor dem Bundesverfassungsgerichtkippen. Das betrifft auch andere einheitliche Vorausset-zungen, zum Beispiel den Schutz von wild lebenden Tie-ren und Pflanzen in Naturschutzgebieten. Das alles kannangefochten werden. Das ist bisher nicht erfolgt. Bisherwissen wir nur, dass die Länder erfolgreich gegen dasHochschulrahmengesetz des Bundes vorgegangen sind.Das betraf die Studiengebühren und die Juniorprofessu-ren. Das ist aber auch bei der Abfallbeseitigung, bei derLuftreinhaltung, beim Lärmschutz, beim Naturschutzund bei den Bundeswassergesetzen möglich. Dannwürde von einem bundesweit geltenden Umweltschutzüberhaupt nichts mehr übrig bleiben. Auch das müssenShAsBfmJggbUmmgwÖrinlAmBrFDSuslsDZkIgamsnRGRfAt
Richtig ist, dass in Art. 31 des Grundgesetzes steht:Bundesrecht bricht Landesrecht.ber dort, wo es kein Bundesrecht gibt – auch das mussich jeder bewusst machen –, kann kein Landesrecht vonundesrecht gebrochen werden. Das war ein Grund da-ür, warum wir uns hier etwas Neues einfallen lassenussten. Ein Ergebnis ist, dass der Bundestag bis zumahre 2009 endlich das lang ersehnte komplette Umwelt-esetzbuch einschließlich einer integrierten Vorhabens-enehmigung für alle Umweltmedien bundesweit vorge-en kann. Dieser große Erfolg wurde gerade immweltbereich erzielt. Ich bitte darum, das einfach ein-al zur Kenntnis zu nehmen. Wenn ein Landesparla-ent davon abweichen will, dann kann es das zwarrundsätzlich tun, muss es aber landespolitisch verant-orten und umsetzen.Die EU-Umweltrichtlinien verhindern im Übrigenkodumping. Hinzu kommt, dass in den wichtigsten Be-eichen des wirtschaftsrelevanten Umweltrechts – dortst die Gefahr eines Ökodumpings besonders groß –icht abgewichen werden darf. Auch das sollten Sie end-ich einmal zur Kenntnis nehmen. Wer jetzt gegen diebweichungsmöglichkeiten der Länder wettert, deruss wissen: Wenn alles beim Alten bliebe, könnte derundestag in der Zukunft fast im gesamten Umweltbe-eich gar nichts mehr regeln.Was Herrn Westerwelle und seinen Hinweis auf dieinanzverfassung angeht: Das ist der FDP zugesagt.ie Kanzlerin hat vorhin heftig genickt. Die nächstetufe, die Beratung der Finanzbeziehungen von Bundnd Ländern, wird zügig in Angriff genommen. Das ge-chieht aber nicht, um in der Bundesrepublik Deutsch-and einen Wettbewerbsföderalismus durchzusetzen,ondern um gleichwertige Lebensverhältnisse in ganzeutschland zu gewährleisten. Wir möchten diesemiel, auch was die Finanzbeziehungen angeht, näherommen.
m weiteren Verfahren werden wir für mehr Klärung sor-en.Wir werden auch klären, was der neue, im Hinblickuf kostenbelastende Gesetze eingeführte Zustim-ungstatbestand bringt. Nach dem Urteil von Verfas-ungsexperten ist das zumindest unklar, sodass manoch einmal ganz genau prüfen muss, ob die angestrebteeduzierung der Anzahl der zustimmungspflichtigenesetze tatsächlich gelingt.Der Kollege Röttgen hat natürlich vollkommenecht: Eines der wichtigsten Ziele dieser Reform ist es,ür klar getrennte Zuständigkeiten und für klar getrennteufgabenbereiche zu sorgen, sodass wir hier im Bundes-ag wirklich bundespolitische Entscheidungen treffen
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Klaus Uwe Benneterkönnen. Wenn die Reduzierung der Zustimmungstatbe-stände nicht gelänge, dann verlöre diese Reform mit Si-cherheit einen wesentlichen Teil ihrer ursprünglichenZielstellung. Herr Röttgen, in der Tat: Der Staat mussbesser werden.Wir müssen sicher auch über das Kooperationsver-bot von Bund und Ländern im Bereich der ausschließli-chen Landesgesetzgebung nachdenken. Das ist hierschon mehrfach angesprochen worden. Wie ist derStrafvollzug auf die Liste gekommen? Das liegt zum ei-nen daran, dass der Bund keine Gefängnisse hat undauch in der Zukunft keine braucht. Das hoffe ich jeden-falls. Jetzt geht es aber darum, dass wir beim Strafvoll-zug keine völlig neuen Orientierungen – weg von derResozialisierung – in der Bundesrepublik Deutschlandzulassen. Wir sind das unseren früheren JustizministernGustav Heinemann, Hans-Jochen Vogel und wie sie alleheißen, aber auch der Menschenwürde in Deutschlandschuldig.
Strafvollzug hat etwas mit Menschenwürde zu tun. Diesdarf also kein Auftakt für einen weiteren Versuch sein,beim Strafvollzug nicht mehr die Resozialisierung inden Mittelpunkt zu stellen, sondern den Rachegedanken.Für uns gilt: Hier gibt es kein Niederbügeln. FrauKünast, wir schlucken nicht einfach, was uns vorgesetztwird, sondern wir schmecken gut ab und achten dabeiauch darauf, dass wir uns nicht die Zunge verbrennen.Aber wir nehmen unsere Gestaltungsverantwortungwahr und wir nehmen diese Verantwortung auch als eineGestaltungschance ernst.Dies setzt voraus, dass wir ebennicht nur an das Wünschbare, sondern auch an die erfor-derlichen Mehrheiten denken.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Reinhard Loske, Bünd-nis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Es fügt sich ganz gut, dass ich im Anschluss an die Kol-legen Röttgen und Benneter rede. Herr Röttgen hat dieThese vertreten, die klare Zuweisung von Verantwortungsei der zentrale staatspolitische Anspruch dieser Reform.Sowohl Herr Röttgen als auch Herr Benneter haben diegeplante Föderalismusreform also mehr oder weniger alseinen Segen für die Umweltpolitik bezeichnet. Ich willdieser These im Folgenden nachgehen und prüfen, ob siezutreffend ist.Im Bereich des Umweltschutzes klagen wir seit lan-gem darüber – das ist ganz gewiss wahr –, dass dasRecht völlig zersplittert ist. Dieser Flickenteppich istnicht mehr zeitgemäß, nicht mehr sachgerecht, nichtmehr europarechtstauglich und vor allem nicht mehrüsdmurJBBsirbgsperUwwEnvd–gBs–zkEmaDDmeKst–RbsHI
a kann einem schon schwindelig werden. Deswegenöchte ich Herrn Röttgen gern fragen: Ist das wirklichin Beitrag zur Erreichung einer klaren Zuweisung vonompetenzen? Ich würde sagen: Das ist eher ein Be-chäftigungsprogramm für Juristen und gewiss kein Bei-rag zum Abbau von Bürokratie.
Nein, keineswegs. Ich kann ja verstehen, dass Herröttgen und Sie für den Berufsstand der Juristen wer-en; das ist durchaus legitim.Ich kann noch eine andere Stimme anführen. Der Ge-chäftsführer Dierk Müller von der Amerikanischenandelskammer in Deutschland sagt auf der Grundlagehrer Pläne:
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Dr. Reinhard LoskeJeder macht, was er will – und der Investor weißnicht, was er tun soll.Das bringt die Sache ziemlich gut auf den Punkt.
Der zweite Aspekt. Mit den exzessiven Abwei-chungsmöglichkeiten, die Sie für die Länder im Natur-schutz, im Gewässerschutz und in der Raumordnungschaffen, leiten Sie – das können Sie definitiv nicht weg-reden – einen Wettbewerb um niedrigste Umweltstan-dards ein. Das wäre fatal und muss deshalb dringendunterbleiben. Vor allem passt es überhaupt nicht zusam-men, wenn die Umweltverwaltungen in den Ländern,beispielsweise in Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Hol-stein und Niedersachsen abgebaut werden, für diese aberjetzt zusätzliche Kompetenzen reklamiert werden. DieAbweichungsmöglichkeiten der Länder sind also ein fa-taler Irrweg.Vor allem ist Ihre Begründung wirklich hanebüchen.Sie sagen, es gäbe regionale Unterschiede und deswegendürfe abgewichen werden. Es ist doch klar, dass Natur-schutz im Alpenraum etwas anderes bedeutet als Natur-schutz in der Norddeutschen Tiefebene oder dassHochwasservorsorge am Rhein etwas anderes ist alsHochwasservorsorge an der Oder. Man braucht trotzdemeinheitliche Regeln, Prinzipien und Verfahren. Es gibtdoch auch kein unterschiedliches Landwirtschaftsrecht,nur weil in der Uckermark und in der MagdeburgerBörde unterschiedliche Standortbedingungen vorhandensind. Es muss Einheitlichkeit hergestellt werden.
Herr Kollege Loske, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Benneter?
Gerne.
Herr Kollege Loske, haben Sie denn mitbekommen,dass im Naturschutzbereich die Grundsätze des Natur-schutzes sozusagen abweichungsfrei sind? Zum erstenMal in der Geschichte der Bundesrepublik hat der Bundeine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für dieGrundsätze des Naturschutzes. Die gilt es zu formulie-ren. Sie sollten jetzt Ihr ganzes Gehirnschmalz einbrin-gen, damit wir hier zu guten Ergebnissen kommen. Fin-den Sie nicht auch, dass das der richtige Weg wäre?
Theoretisch ist das richtig, aber praktisch besteht dasProblem,
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ass der Sachverständigenrat für Umweltfragen und allenderen Umweltexperten diese Möglichkeiten in Bauschnd Bogen verurteilt haben, hat natürlich damit zu tun,ass die abweichungsresistenten Kerne nur einen gerin-en Umfang einnehmen. Diese Antwort möchte ich Ih-en gerne auf Ihre Frage geben.
Ich würde jetzt gerne fortfahren.Dritter Punkt. Ihre Vorschläge bezüglich der Abwei-hungsmöglichkeiten und Erforderlichkeiten machenas Umweltgesetzbuch zur Farce. Dadurch würde es zuer Situation kommen, dass es zwar ein Umweltgesetz-uch gibt, man aber, wenn man nachsehen will, was esit dem Umweltrecht auf sich hat, nicht sicher seinann, ob dieses Recht an dem Ort, wo man lebt oder in-estieren will, auch tatsächlich gilt, weil die Länder da-on abgewichen sein könnten.Ein Umweltrecht aus einem Guss sieht vollkommennders aus. Mit einer solchen Regelung im Umweltbe-eich machen wir uns in Europa lächerlich und hand-ungsunfähig. Das muss ich ganz klar sagen.
Wir wollen einen einheitlichen Kompetenztitel „Um-elt“ mit einer klaren konkurrierenden Gesetzgebung,hne Abweichungsmöglichkeiten und Erforderlichkeits-lauseln. Den Interessen der Länder können wir entge-enkommen – das hat der Sachverständigenrat für Um-eltfragen, wie Sie, Herr Benneter, sehr genau wissen,eutlich beschrieben – durch normierte Öffnungsklau-eln.Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Icheiß, dass das, was ich hier für meine Fraktion vortrage,uch von sehr vielen Kolleginnen und Kollegen in denoalitionsfraktionen so gesehen wird. Im Umweltaus-chuss herrschte ein schon fast sensationelles Maß aninvernehmen. Deshalb fordern wir die Union und diePD auf, unsere Bedenken ernst zu nehmen.Abschließend möchte ich noch ein Zitat bringen. Sieönnen nun wirklich nicht behaupten, die Fachleutetünden auf Ihrer Seite. Eine solche Aussage grenzt anealitätsverweigerung. Der Vorsitzende des Sachver-tändigenrates für Umweltfragen schreibt zusammen-assend,… dass der SRU in zahlreichen Gesprächen mitFachleuten des Umweltschutzes nirgends auf Zu-stimmung zu dem Koalitionsvorschlag gestoßen ist.
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Dr. Reinhard LoskeDiese Einhelligkeit der Kritik sei außergewöhnlich undfür die Politik sicher bedenkenswert.Ich hoffe, der SRU hat Recht; denn das, was Sie hiervorlegen, ist in Sachen Umweltschutz eine Verschlechte-rung und ganz gewiss keine Verbesserung.Danke schön.
Nächster Redner ist der Kollege Michael Grosse-
Brömer, CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Herr Loske, wenn man Ihnen zuhört, be-kommt man den Eindruck, in Deutschland existierten zuwenige Gesetze im Umweltbereich. Wenn Sie den Ge-setzentwurf gerade in diesem Punkt richtig lesen, kön-nen Sie feststellen, dass erstmalig die Chance der Kodi-fizierung, der Zusammenfassung und damit aus meinerSicht auch der Stärkung des Rechtes im Umweltbereichgegeben wird. Ich hätte eigentlich gedacht, dass Sie dasGegenteil dessen vorgetragen hätten, was ich jetzt vonIhnen gehört habe.
Meine Damen und Herren, wir debattieren über unserfundamentalstes Recht. Das Grundgesetz, das wir teil-weise ändern wollen, ist die Basis unserer Rechtsord-nung und bestimmt die Leitlinien unseres Gemeinwe-sens. Deshalb schützt es sich im Übrigen in Art. 79 auchselbst vor zu leichtfertigen Veränderungen. Es wird zuRecht eine breite Zustimmung in Bundestag und Bun-desrat verlangt, um das Verfassungsrecht neuen Ent-wicklungen und Veränderungen anzupassen.Die große Koalition will mit dem heute vorliegenden,gut vorbereiteten Gesetzentwurf diese Herausforderungannehmen. Die Föderalismuskommission hat mehr alsein Jahr in zwei Arbeits- und sieben Projektgruppen un-ter Einbeziehung des Sachverstandes von Bundesregie-rung, Landesregierungen, Landtagen, kommunalen Spit-zenverbänden und Wissenschaft intensiv gearbeitet. DasErgebnis war ein detaillierter Kompromissvorschlag, derjetzt nach Überarbeitung und nach Billigung durch fastalle Ministerpräsidenten diesem Hohen Hause zur Bera-tung vorgelegt wurde.Im Kern geht es um die Frage, ob wir die Dynamik inunserem Land verbessern, ob wir die Gesetzgebung ef-fektiver und für den Bürger durchschaubarer gestaltenund dadurch Politik- und Staatsverdrossenheit abbauensowie Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit steigern kön-nen. Ich finde, diese Ziele sind es wert, dass man sichernsthaft Gedanken darüber macht, ob man diesen Ge-setzentwurf für parlamentarische Machtspiele benutztoder bei der Debatte darüber vorrangig das gesamtstaat-liche Interesse ins Auge fasst.DtdscpjDfnlaaEgddVlfFnarbdbgmtMdgsdzdVddgdSjbGfgkus
as gilt erst recht deshalb, weil weite Teile der Opposi-ion an diesem Gesetzentwurf mittelbar als Mitgliederer Föderalismuskommission mitgearbeitet und mitge-taltet haben. Die FDP erinnert sich wohl an diese Tatsa-he; aber bei den Grünen habe ich das Gefühl, dass einartieller Gedächtnisverlust eingetreten ist, weil manetzt nicht mehr Regierung, sondern Opposition ist.
amit werden Sie der Bedeutung dieses Gesetzentwur-es nicht gerecht, meine Damen und Herren von der grü-en Fraktion. Diesen Schuh darf sich übrigens auch dieinke Fraktion anziehen.Sie vergessen in diesem Zusammenhang, dass wir allels Parlamentarier ebenfalls ein fundamentales Interessen dieser Reform der bundesstaatlichen Ordnung haben.s geht nämlich im konkreten Fall auch um unsere urei-enen Interessen. Durch dieses Gesetz wird die Anzahler zustimmungspflichtigen Gesetze verringert. Da-urch nimmt zwangsläufig die Zahl der Sitzungen desermittlungsausschusses ab. Damit wird es weniger par-amentarische Entscheidungen unter Ausschluss der Öf-entlichkeit in einem kleinen Vermittlungskreis geben.olglich steigt die Bedeutung der Abgeordneten, weil sieicht nachträglich einen Kompromiss des Vermittlungs-usschusses absegnen müssen, sondern im Parlament di-ekter und intensiver an bedeutenden Gesetzesvorhabeneteiligt werden; denn unwichtige Entscheidungen hater Vermittlungsausschuss meiner Erinnerung nach nichtesonders häufig auf der Agenda gehabt. Diese grundle-enden, strukturell positiven Wirkungen der Föderalis-usreform sollten wir bei allen weitergehenden Bera-ungswünschen als Parlamentarier nicht vergessen.Was die weiteren Beratungen betrifft, so bin ich dereinung, dass der Rechtsausschuss völlig zu Recht fe-erführend mit diesem Thema betraut wurde. Es ist ori-inäre Aufgabe des Rechtsausschusses, sich dem Verfas-ungsrecht zuzuwenden. Darum geht es nun einmal beiem vorliegenden Gesetzentwurf. Ich bin davon über-eugt, liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition,ass wir in einem sehr geordneten und strukturiertenerfahren die parlamentarischen Rechte aller Mitgliederieses Hauses bei den Beratungen berücksichtigen wer-en. Jedenfalls war das nach meiner Kenntnis in der Ver-angenheit so. Es wird auch in Zukunft so bleiben, wenner Rechtsausschuss tätig wird.
Wir haben es heute schon häufiger gehört: Unsertaatsaufbau muss dringend verändert werden. Das sagteder Experte, der sich mit dieser Frage in Deutschlandeschäftigt hat. Wir sollten uns deshalb die notwendigeelassenheit bewahren und nicht schon bei Verfahrens-ragen von „Murks“ reden, wie dies der Kollege Beckestern in der Geschäftsordnungsdebatte getan hat. Manann nicht jahrelang von der blockierten Republik redennd dann bei intensiv vorbereiteten Verbesserungsvor-chlägen reflexartig mit der gesamten Fraktion in Ab-
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Michael Grosse-Brömerwehrstellung gehen. Ich glaube nicht, dass das ein kon-struktiver Weg ist, diesen Gesetzentwurf zu behandeln.Meine Damen und Herren, wir wollen mit dem vorlie-genden Entwurf die alte Tante Föderalismus wieder mitfrischem Schwung versehen. Der dominierende Trendder letzten Jahrzehnte nach In-Kraft-Treten des Grund-gesetzes war eine Vermischung und Verwischung derpolitischen Verantwortung bei gleichzeitiger Blockadeder Gesetzgebung.Wir wollen zurück zu den Stärken des Föderalis-mus: zur klaren Teilung der Staatlichkeit mit dem damitverbundenen Schutz vor Machtmissbrauch; zur Stärkungvon demokratischer Teilhabe; zu der Grundidee im Übri-gen, dass Wettbewerb in und mit den Ländern dem Ge-samtstaat fördernd zugute kommt. Die Subsidiarität isthier schon angesprochen worden; die Kommunen wer-den hier besonders bedacht in Art. 84 neu.Ein aus meiner Sicht weiterer, sehr bedeutsamerPunkt ist die Aufhebung von Effizienzschwächen beimstaatlichen Handeln. In der Zeit der Globalisierung undder extensiven europäischen Rechtsetzung ist es unserePflicht, Defizite in unserer eigenen staatlichen Ordnungals Erstes zu beheben, bevor wir mit dem Finger auf an-dere zeigen.Vor dem beschriebenen Hintergrund wird auch derFaktor Zeit immer bedeutsamer. Wollen wir in der Welt,insbesondere in Europa, wirkungsvoller auftreten, somüssen wir da schneller und besser werden, wo wir er-kennbar zu behäbig geworden sind und der Verfassungs-motor ins Stottern gekommen ist.Meine Damen und Herren, wir werden diesen Ent-wurf intensiv beraten. Dazu werden wir auch Gelegen-heit haben. In Deutschland ist es üblich, dass bei Verän-derungen 10 Prozent Unzufriedene lauter klagen, als90 Prozent Zufriedene sich freuen. Ich würde michfreuen, wenn das in diesem konkreten Fall anders wäre.Ganz schlimm wäre aber ein vorgeschobener Ände-rungsbedarf in Bezug auf diese Reform mit dem Ziel,der großen Koalition keinen Erfolg zu gönnen. Wer dasvorhat, muss wissen, dass er nationale Interessen zu-gunsten kurzfristiger Parteiinteressen aufs Spiel setzt.Uns bringt, denke ich – so viel zum Abschluss –, beider vor uns liegenden Aufgabe nur eine Gesamtabwä-gung weiter. Lassen Sie uns hinterfragen, ob Deutsch-land durch diese Reform insgesamt schneller, dynami-scher, demokratischer und bürgernäher wird. Wenn wirhier zu einem positiven Ergebnis kommen, dann müssenwir bereit sein, angesichts der Größe und Bedeutung die-ses Vorhabens die bisher gezeigte Kompromissbereit-schaft aller Beteiligten auch im Bundestag zu honorie-ren.In diesem Sinne freue ich mich auf die anstehendenBeratungen und danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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enn wir über den vor uns liegenden Weg der großenoalition zur Grundgesetzreform reden, so müssen wirugleich an den zurückgelegten Weg in Europa erinnern.1986 hat der Bundesrat im Ratifikationsprozess zurinheitlichen Europäischen Akte sein Zustimmungs-echt genutzt, um die innerstaatlichen Mitwirkungsmög-ichkeiten deutlich auszuweiten. Mit der Entscheidungber die gemeinsame Währung 1992 erhielten die Betei-igungsrechte der Länder erstmals Verfassungsrang. Imeu gefassten Art. 23 des Grundgesetzes wurde bei derillensbildung des Bundes der Bundesrat in außerge-öhnlicher Weise mit einbezogen, und zwar durch dieaßgebliche Berücksichtigung seiner Auffassung, so-ern Gesetzgebungsbefugnisse der Länder betroffenind, und bei der ausschließlichen Gesetzgebung durchinen der Plätze am Ratstisch in Brüssel.Die Informationsbüros der Länder wuchsen in zweiahrzehnten so gewaltig, dass sie heute zum Teil größerind als die Botschaften einzelner Mitgliedstaaten. Ineun Fällen erhielten diese Einrichtungen gar den Na-en „Ländervertretung bei der Europäischen Union“.inzu kommt noch ein Büro des Bundesrates.
Während sich in der EU in diesen 20 Jahren die Mit-liederzahl von zwölf auf 25 etwa verdoppelte, ist dieahl der deutschen Repräsentanten um das Sechsfacheestiegen. Allein 400 Landesbeamte und -beamtinnenind mittlerweile in den 300 EU-Verhandlungsgremieneteiligt. Weiterhin wurde vor über zehn Jahren unteraßgeblicher Beteiligung des Bundesrates der Aus-chuss der Regionen gegründet, worin heute von insge-amt 24 unserer Vertreterinnen und Vertreter 21 aus denändern kommen. So viel zum bereits bestehenden Ein-luss auf föderaler Ebene.Jetzt ist es an der Zeit, neben den politischen und re-räsentativen Fragen auch die notwendigen Haushalts-ragen zu beantworten. Der Anspruch der Länder, auchm Rahmen der EU die Politik mitgestalten zu können,uss durch finanzielle Verantwortung ergänzt werden.
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Axel Schäfer
Diese Mitverantwortung kommt am deutlichsten durchdie Mithaftung zum Ausdruck, wie sie jetzt – manmüsste sagen: endlich – im Grundgesetz verankert wird.
Konkret bedeutet dies: Bei legislativem, exekutivemoder judikativem Fehlverhalten gegenüber der EU wirdklargestellt, dass die Verursacher die Lasten zu tragenhaben. Das heißt, bei übergreifenden Finanzkorrekturen,wie es so schön in Juristendeutsch heißt, beteiligt sichdie Ländergesamtheit mit 35 Prozent. 50 Prozent wirdvon denjenigen getragen, die die Kosten verursacht ha-ben. Der Bund – auch das sei erwähnt – leistet einen so-lidarischen Beitrag von 15 Prozent. Das ist Inhalt desneu gefassten Art. 104 a.Im neuen Art. 109 Abs. 5 des Grundgesetzes wird zurEinhaltung des nationalen Solidarpaktes erstmals eineBeteiligung der Länder eingeführt, falls die EU zu Sank-tionen greifen sollte. Das entsprechende Sprichwortkennen wir alle: Haushaltsdisziplin. Der 35-prozentigeAnteil der Länder entspricht zwar nicht dem durch-schnittlichen Anteil der Länder, inklusive Gemeinden,am gesamtstaatlichen Defizit der letzten Jahre. Aber im-merhin wurde die Mitverantwortung der Partner imzweigliedrigen Staatsaufbau grundsätzlich wie grundge-setzlich festgeschrieben.
Das heißt: Es gibt einen Paradigmenwechsel in derdeutschen Europapolitik. Dieser Wechsel ist richtig undwichtig. Es ist gut, dass wir jetzt diesen Weg gehen.
Ich sehe Franz Müntefering hier sitzen. Er weiß sehrgenau: Die Fachleute in der von ihm und Herrn Stoibergeleiteten Kommission waren sich darin einig, dass dieAusgestaltung der Länderbeteiligung in unseremGrundgesetz eher einer Geschäftsordnung denn einerVerfassung entspricht. Die Frage, ob die deutschen Län-der in der EU Motor oder Bremser bei der Durchsetzungvon Interessen sind, war deutlich aufgeworfen worden.Jawohl, die Länder bleiben in der Verantwortung.Künftig wird einer ihrer Vertreter sprechen, falls es umschulische Bildung, Kultur oder Rundfunkfragen geht.Aus der bisherigen Sollregelung wird also, wenn es nachunseren Vorstellungen geht, eine Mussregelung, die je-doch – das gehört dazu – auf diese drei Bereiche be-schränkt wurde. Das ist auch dringend notwendig. Dennes kann nicht sein, dass die Länder nach der Föderalis-musreform in noch mehr Ratsformationen das Vertre-tungsrecht beanspruchen.
Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung be-deutet ein Weiteres: Wir, der Deutsche Bundestag, wer-den in diesem Jahr mit der Bundesregierung eine Verein-bisgsambnWudhDBdnsAEbgmWssSlEdmBjdKg
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Bundesrats-ank, es gibt allerdings einen Unterschied: Wir wollenicht das 17. Land in Brüssel werden.
ir errichten nur ein Verbindungsbüro, um ungefiltertnd vollständig aktuelle Informationen, die auf die Be-ürfnisse unseres Parlamentes ausgerichtet sind, zu er-alten.
er Ort der Mitwirkung des Bundestages ist und bleibterlin. Das ist der Geist und der Buchstabe des Art. 23es Grundgesetzes.
Ich sage es hier ganz offen: Ob vor, während oderach der Föderalismusreform, alle Landesregierungenollten sich zukünftig überlegen, ob sie tatsächlich dennspruch haben sollten, zuweilen wie Regierungen vonU-Mitgliedern zu agieren. Der immer wieder ge-rauchte Hinweis, viele Länder in Deutschland seienrößer als eine Reihe von Staaten in der EU, ist zahlen-äßig sicherlich korrekt, politisch jedoch Unsinn.
eder mein geliebtes Nordrhein-Westfalen noch daschöne Bayern oder das herrliche Land Rheinland-Pfalzind quasi eigenständige EU-Mitglieder.
ie sind und bleiben Teil der Bundesrepublik Deutsch-and.
s ist völlig falsch, zu glauben, dass man die Zahl dereutschen Akteure in Brüssel nur erhöhen muss, umehr gemeinsamen Einfluss auszuüben. Bei zahlreicheneobachtern der EU-Institutionen entsteht der Eindruck:e vielstimmiger unser Chor in Brüssel, desto unklarerer Text, der gesungen wird.
Hier schließt sich der Kreis: Die Entflechtung vonompetenzen zwischen dem Bund und den Ländern beileichzeitiger Verflechtung der Politik in der Europäi-
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Axel Schäfer
schen Union wird nur dann die EuropafähigkeitDeutschlands verbessern, wenn auch unsere Länder dieneuen Herausforderungen in einem größer geworde-nen Europa solidarisch wahr- und aufnehmen. Die deut-sche Position im Rat muss klar sein. Das heißt, wir müs-sen Ja oder auch Nein sagen können und dürfen nicht aufdas Mittel der Enthaltung ausweichen. Enthaltung be-deutet immer den Verzicht auf die Möglichkeit, in Ver-handlungen etwas zu erreichen.
Bei der von uns allen gewünschten Demokratisierungund Parlamentarisierung Europas, die in der Regel zuMehrheitsentscheidungen im Rat führen, ist die Ände-rung des Grundgesetzes, die wir gemeinsam anstreben,die eine Seite. Die andere Seite ist: Wir brauchen vordem Hintergrund der Globalisierung ein neues Verständ-nis von und ein neues Verhältnis zu europäischer Politik.Wir Deutsche wollen auch künftig in Europa nicht Ge-triebene sein, sondern Gestalter bleiben.Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Hans-Peter
Friedrich, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kol-legen! Als wir im Jahr 2003 die Föderalismuskommis-sion konstituierten, gab es nur wenige, die an ein umfas-sendes Reformwerk glaubten. Ich denke, es gab einigegünstige Konstellationen. Eine davon haben Sie, lieberKollege Benneter, genannt: die Rechtsprechung desBundesverfassungsgerichts zur Frage der Erforderlich-keitsklausel. Diese Rechtsprechung hat viele Bundespo-litiker aufgeweckt; denn sie hat deutlich gemacht, dasssich die Bundesgesetzgebung Stück für Stück zugunstender Länder verändern wird, wenn nicht gegengesteuertwird. Von daher gab es in dieser Frage Handlungsbedarf.Die zweite günstige Konstellation bestand darin, dasszwei Menschen, nämlich Franz Müntefering undEdmund Stoiber, mit Herzblut daran gearbeitet haben.
Da war schon ein Hauch von großer Koalition in derletzten Wahlperiode zu spüren.
– Lieber Herr Benneter, es war sozusagen die ersteSchwalbe des großkoalitionären Frühlings, den wir jetzterleben.Darüber hinaus waren Kolleginnen und Kollegen vonden Grünen und der FDP an der sachlichen Diskussionin der Kommission beteiligt. Ich erinnere mich an vielegRBBmMidSGZdWhVdbav2IFwusedBswmmIPRmgdfS
Was macht uns eigentlich so sicher, dass Einheitsbrei,ass Zentralismus besser sein soll als Föderalismus?
enn die Lobbyisten und Verbände so reagieren, dannabe ich Verständnis dafür; denn für Lobbyisten underbände ist es immer gut, zentralistische Entschei-ungsinstanzen zu haben, weil man bei ihnen besser lob-yistisch tätig werden kann. Dass sich das aber zu einemllgemein um sich greifenden Glauben entwickelt hat, isterwunderlich.Ein Kommentar in der „FAZ“ lautete am 6. März006:Wo sind die Freunde des Föderalismus geblieben?ch bin der Überzeugung, dass wir mit dieser Reformreunde für den Föderalismus gewinnen werden, weilir mit dieser Reform beweisen werden, dass Ineffizienznd Intransparenz, die wir jetzt beklagen, keine Eigen-chaften des Föderalismus sind, sondern Eigenschafteniner unnötigen Verflechtung, die wir jetzt auflösen. Vonaher wird der Föderalismus auch im Bewusstsein derevölkerung gestärkt.Es ist richtig, wenn das Gaststättenrecht in die Zu-tändigkeit der Länder fällt. Es ist aber auch richtig, dassir den Bund da stärken, wo bundesstaatlicher Zusam-enhalt notwendig ist, beispielsweise bei der Terroris-usabwehr. Genau das ist Bestandteil der Reform.
Die „Süddeutsche Zeitung“ schrieb am 7. März 2006:Eine wirkliche Föderalismusreform muss den Län-dern mehr nehmen als geben.ch bestreite das ausdrücklich. Die Antwort auf unsererobleme ist nicht zentralistische Vereinheitlichung. Dieeaktion der deutschen Bevölkerung auf den Zentralis-us in Europa, nämlich eine spürbar werdende Abnei-ung der Bevölkerung ihm gegenüber, beweist doch,ass die These, der Zentralismus sei der richtige Weg,alsch ist. Dezentralisierung und Subsidiarität an dentellen, wo sie möglich sind, sind der richtige Weg.
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Dr. Hans-Peter Friedrich
Ich halte auch die Kritik an der Abweichungsgesetz-gebung für falsch. Manchmal ist dabei von Pingpongusw. die Rede. Gesetzgebung ist keine Rechthaberei,sondern das Bemühen von Parlamenten, ob auf Bundes-oder Länderebene, sachgerechte Lösungen für die Men-schen zu finden. Das sollten wir im Auge behalten. Des-wegen halte ich auch jedes Misstrauen gegenüber denLändern für völlig verfehlt und für den falschen Ansatz.Ich kann allen Umweltpolitikern nur dringend emp-fehlen, sich das, was Kollege Benneter zur Erforder-lichkeitsrechtsprechung ausgeführt hat, genau anzuse-hen. Wenn Sie die Urteile, die existieren, auf dieUmweltgesetzgebung fortschreiben, dann werden Sie er-leben, dass der Bund bei der jetzigen Konstellation vielmehr Kompetenzen im Umweltbereich verlieren wird,als uns recht sein kann. Deswegen rate ich uns dringend,diese Reform umzusetzen und nicht scheitern zu lassen.Der Föderalismus entspricht der kulturellen Vielfaltunseres Landes. Natürlich wird die Reform weitergehen.Wenn die große Koalition zusagt – ich sage das auch inRichtung FDP –, dass es weitere Schritte geben wird,wird das auch geschehen; wir werden das einhalten.Wichtig ist, dass wir mit dieser Reform den Beweiserbringen, dass dieses Land und seine politischen Ak-teure in der Lage sind, entschlossen und geschlossen denBundesstaat zu modernisieren. Es ist der Anfang einesguten Weges. Ich bin der Überzeugung, dass sich in dennächsten Wochen und Monaten in allen Fraktionen jederseiner Verantwortung für die Zukunft dieses Landes be-wusst sein wird.Vielen Dank.
Herzlichen Glückwunsch, Herr Kollege Friedrich, im
Namen aller Kolleginnen und Kollegen zu Ihrem heuti-
gen Geburtstag.
Das Wort hat der Kollege Volker Kröning, SPD-Frak-
tion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Wer drei Jahre an der Föderalismusreform mit-gearbeitet hat und nun schon drei Stunden dieser Debattezuhört, wer die Texte und Begründungen gelesen hat,was wir sicher alle bei diesem verantwortungsvollenWerk tun sollten, und wer weiß, was von uns erwartetwird, der darf nach diesen Stunden mit Optimismus indie nächsten drei Monate schauen. Wer abwechselnd amKartentisch und im Maschinenraum gearbeitet hat, derweiß auch, welche Verantwortung wir alle gemeinsamfür den vor uns liegenden Prozess haben – ein parlamen-tarisches Verfahren, das zusammen mit dem Bundesrat,anders als ein Vermittlungsverfahren, nämlich vor derganzen Öffentlichkeit zu bewältigen ist –, und der setztaKlKoonmnnlfmTShkod-AhAzdthidthVsEtsSgaawdpndedw
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Zur Umweltpolitik. Die heutige Bundeskanzlerin undihr Vorgänger im Amt des Umweltministers haben denVersuch unternommen, ein bundeseinheitliches Umwelt-gesetzbuch auf den Weg zu bringen. Der Vorgänger desheutigen Umweltministers musste lernen, dass das ander geltenden Kompetenzordnung scheitert. Herr Kol-lege Dr. Friedrich hat zu Recht hinzugefügt, dass ein sol-ches Vorhaben angesichts der Tendenz in der bundesver-fassungsgerichtlichen Rechtsprechung mehr denn jevom Scheitern bedroht ist. Angesichts dieser Umständesollte sich die Bundesregierung bemühen, Klarheit in dienicht nur von Sachverständigen, sondern auch von Um-welt- und Wirtschaftsverbänden geführte Debatte zubringen, und bald Eckpunkte – ich sage sogar: eine Blau-pause – eines zeitgemäßen Umweltgesetzbuches vorle-gen.
Die Vorschläge der Sachverständigen sind bereits zehnJahre alt. Die Europäisierung dieses Rechtsgebietes iststark fortgeschritten. Also brauchen wir, wenn wir Fach-und Verfassungspolitik verantwortungsbewusst koordi-nieren wollen, eine Messgröße, die materielles Rechtund Verfahrensrecht umfasst.Ich freue mich, dass das Bundeskabinett mit seinerEntscheidung vom Montag auch an dieser Stelle, aufdem Gebiet der besonders schwierigen Herausforderungder Umwelt- und Wirtschaftspolitik, Flagge gezeigt hat.Nun erwarten wir nicht nur Loyalität gegenüber unseremTun, sondern auch Mittun, um den Beweis dafür führenzu können, dass die neue Kompetenzordnung besser istals die alte.
Zu Strafvollzug und Heimrecht. Wenn man, wievorgeschlagen, auf diesen beiden Gebieten die Rege-lungskompetenz vom Bund auf die Länder überträgt,sorgt Art. 125 a Grundgesetz in der neuen wie in der al-ten Fassung dafür – es ist gar nicht schlecht, die allge-meinen Geschäftsbedingungen zu lesen; im Grundgesetzist das der Teil mit den Übergangs- und Schlussbestim-mungen –, dass das geltende Bundesrecht weiterhin gilt.Kein Land stolpert in ein schwarzes Loch. Jedes Landbleibt frei in der Entscheidung, das Bundesrecht weiter-hin gelten zu lassen oder – die Möglichkeit besteht schonjetzt – abzuweichen, das heißt, durch Landesrecht zu er-setzen.Ich rechne damit, dass gar nicht so viele Länder Al-leingänge unternehmen werden – Stichwort: mehr Viel-falt in der Einheit –, sondern dass es regionale Abstim-mungen geben wird. Das kann dem praktischenFöderalismus weiterhelfen. Im Übrigen wird das für dieLändergliederung in der derzeitigen Form in den nächs-ten zehn bis 15 Jahren eine Bestandsprobe sein. NurwwdrwvIdsdAndhLddaGopBbsBAmdtddsmmeisBdöbstest
Zu Kultur und Sport – das passt fast zu Ihrem Stich-ort: Man mag dieses Thema in der Bundesverfassungerankern wollen.
ch muss aber darauf hinweisen, dass es zwischen Bun-esverfassung und Landesverfassungen einen Unter-chied gibt. Dieser Unterschied kommt im Grundgesetz,as zugleich eine gesamtstaatliche Verfassung ist, zumusdruck. In Art. 30 des Grundgesetzes heißt es, dassur die Bereiche in die Kompetenz des Bundes fallen,ie im Grundgesetz ausdrücklich geregelt sind. Daseißt im Umkehrschluss: Für Kultur und Sport sind dieänder zuständig. Wenn das Landesverfassungsrechties ausdrücklich vorsieht, ist das das eine. Ob der Bun-esgesetzgeber das für das Bundesverfassungsrecht aberuch tut, ist etwas ganz anderes.Ehrlich gesagt, hätte ich es auch nicht gern, wenn derrundsatz des Art. 20 des Grundgesetzes verunklartder relativiert würde. Dort heißt es, dass die Bundesre-ublik Deutschland „ein demokratischer und sozialerundesstaat“ ist. Dabei sollte es auch in vollem Umfangleiben – nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Zum Schluss komme ich auf Stufe zwei der Bundes-taatsreform zu sprechen. Das, was die Kollegenenneter und Friedrich dazu gesagt haben, trifft zu.uch ich bin der Auffassung – damit bin ich zwar ineinem Laden in der Minderheit; ich sage es aber trotz-em –, dass der Bundesstaat, was unsere obersten Poli-ikziele betrifft, so lange asymmetrisch und sogar unpro-uktiv ist, wie die Länder an dem Doppelmangel leiden,ass sie weder hinreichende Ausgabenautonomie – dasoll jetzt geändert werden – noch hinreichende Einnah-enautonomie besitzen.Als es darum ging, das zu ändern, haben sie sicherkwürdigerweise geweigert. Darüber führen sie unter-inander auch noch gar keinen Dialog. Umso mehr freuech mich, dass schon im letzten Sommer mit dem Be-chluss der Ministerpräsidentenkonferenz in Aachen dieereitschaft des Bundesrates und der Länder zum Aus-ruck gekommen ist, sich einem Angebot des Bundes zuffnen und darüber zu diskutieren.Auch die Koalitionsvereinbarung ist in diesem Punktesonders interessant. In ihr wird nämlich etwas ange-prochen, was wir im Rahmen der zuletzt durchgeführ-en Runden zur Neuordnung des Finanzausgleichs nichtrlebt haben; denn diese Runden waren von der Recht-prechung induziert und normativ-juristisch ausgerich-et. In der Koalitionsvereinbarung heißt es ganz klar,
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Volker Kröningdass wir dazu beitragen wollen, dass auch der Bundes-staat der Zielsetzung, für Wachstum und Beschäftigungzu sorgen, gerechter wird, als es gegenwärtig der Fall ist.Dieses Ziel der Koalitionsvereinbarung wollen wir nachAbschluss der ersten Stufe der Bundesstaatsreform inAngriff nehmen.Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Friedbert Pflüger,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Die Föderalismusreform ist für Berlin ein histo-risches Ereignis. Denn Berlin wird im Grundgesetz erst-mals als Hauptstadt festgeschrieben.
Damit erreicht ein Prozess seinen Höhepunkt, der am9. November 1989 mit dem Fall der Mauer begonnen hatund der sich am 3. Oktober 1990 mit der VereinigungDeutschlands und am 20. Juni 1991 mit der Entschei-dung des Bundestages für Berlin als Hauptstadt fort-setzte.
Wir alle leben und arbeiten heute gerne in Berlin. DerDeutsche Bundestag im Reichstagsgebäude wird jährlichvon über 2,5 Millionen Menschen besucht. Er ist schonlängst zum Symbol des freien, vereinten Deutschlandsgeworden. Die Berliner freuen sich darüber und sindstolz darauf.
Ich möchte zum Thema „Föderalismusreform undHauptstadt“ drei Punkte ansprechen:Erstens. Mit dem zweiten Satz des neuen Art. 22 desGrundgesetzes – er soll heißen: „Die Repräsentation …in der Hauptstadt ist Aufgabe des Bundes“ – normierenwir erstmals die bislang ungeschriebene Zuständigkeitdes Bundes für die Repräsentation des Gesamtstaatesin der Hauptstadt. Das ist gut, ruft aber auch nach Kon-sequenzen. Dass der Bund dieser Aufgabe trotz umfang-reicher Zahlungen bisher nicht in vollem Umfang nach-gekommen ist – das gilt auch für den direkten Vergleichmit den nach Bonn geflossenen Bundesmitteln –, wird ineinem aktuellen Gutachten des Deutschen Instituts fürWirtschaftsforschung deutlich. Demnach beteiligt sichder Bund zum Beispiel mit nur 38 Millionen Euro anhsatgsdlbirdBqbeDskkdHugntriWnsIdsms
Auch der Anteil des Bundes an der Finanzierung kul-ureller Einrichtungen in Berlin ist, so das DIW, deutlicheringer, als nach der Bonn-Berlin-Vereinbarung vorge-ehen. Geht man von dieser Feststellung aus, so fallenie mit Berlin geschlossenen Hauptstadtverträge deut-ich restriktiver als die mit Bonn geschlossenen Verein-arungen aus.
Zweitens. Ich möchte hier ausdrücklich betonen: Dern die Begründung des Entwurfs des Gesetzes zur Ände-ung des Grundgesetzes aufgenommene Rückgriff aufie Formulierung des Koalitionsvertrages, dass dasonn-Berlin-Gesetz unberührt bleibt, ändert die Rechts-ualität des Bonn-Berlin-Gesetzes von 1994 nicht; diesestätigt ein im Auftrag des Abgeordneten Peter Rzepkarstelltes Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes deseutschen Bundestages vom 12. Januar 2006. Der Ge-etzgeber kann die Bonn-Berlin-Vereinbarungen auchünftig jederzeit mit einfacher Mehrheit ändern, um zu-ünftigen Entwicklungen Rechnung zu tragen und umie Effizienz von Parlament und Regierung in derauptstadt zu stärken.
Ich danke der Bundesregierung, dass Versuche, diensinnige Teilung der Ministerien festzuschreiben, ab-ewehrt wurden. Die Verteilung der Regierungsfunktio-en auf zwei Standorte, nämlich Bonn und Berlin, isteuer und ineffizient, beispielsweise weil Bundesbeamteegelmäßig für kurze Termine bei den Ministerien undm Parlament nach Berlin reisen müssen.
ir haben Deutschland und Berlin geeint. Wir solltenicht die Regierungsfunktionen dauerhaft getrennt las-en.
ch habe schon am 3. Juni 1991 gesagt: Wenn der Bun-estag sich mit knapper Mehrheit für Berlin entscheidenollte, gehe ich lieber nach Berlin, als einem Kompro-iss über die Teilung der Hauptstadtfunktionen zuzu-timmen.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. März 2006 1785
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Dr. Friedbert PflügerDrittens. Art. 20 des Grundgesetzes sieht als Aus-druck der bundesstaatlichen Ordnung eine Einstands-pflicht des Bundes und der Länder vor. Föderalismusbedeutet eben nicht nur Länderhoheit, sondern auchLänderverantwortung. Die enorme Schuldenlast Berlinsist nicht alleine hausgemacht. Sie ist vor allem teilungs-bedingt und beruht in hohem Maße auf dem zu schnellenRückzug des Bundes aus der Finanzierung Berlins.
Es ist wenig bekannt, dass die Berlinförderung bis 2002um rund 40 Milliarden Euro gekürzt wurde –
der größte und vor allem schnellste Subventionsabbau inder Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.
Es wird vielleicht die entscheidende Aufgabe BerlinerPolitik im nächsten Jahrzehnt sein, Verständnis dafür zuwecken, das alle Deutschen, alle Bundesländer und dieBundesregierung eine Mitverantwortung für ihre Haupt-stadt haben. Berlin soll ein Leuchtturm für das gesamteLand sein. Die Hauptstadt ist eine nationale Aufgabe.
Nein, Frau Lötzsch, ich lasse keine Zwischenfrage
mehr zu, weil Herr Pflüger seine Redezeit bereits über-
zogen hat, und zwar massiv. Herr Kollege Pflüger, ich
bitte Sie, zum Ende zu kommen.
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin.
Die Berliner Politik darf allerdings nicht nur die Hand
aufhalten. Sie muss auch nachweisen, dass sie eigene,
nachhaltige Anstrengungen unternimmt und mit konzep-
tionellen Beiträgen wieder ein Motor und Vorreiter der
deutschen Politik sein kann.
Danke für die Aufmerksamkeit.
Ich gebe das Wort zu einer Kurzintervention der Kol-
legin Lötzsch.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine Damen und
Herren! Da ich keine Zwischenfrage mehr stellen
konnte, muss ich zum Mittel der Kurzintervention grei-
fen.
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ielleicht könnten wir eine Aussage der CDU/CSU-
raktion dazu erhalten.
Ich hoffe sehr, dass wir in den Haushaltsberatungen
uch haushaltswirksame Vorschläge von der Koalition
rhalten, wie die Finanzierung Berlins gestaltet werden
ann.
Herr Kollege Pflüger, bitte.
Frau Kollegin, das ist eine nationale Aufgabe. Wirlle müssen daran mitarbeiten, das Verständnis dafür zuecken und zu stärken. Allerdings kommt es dafür sehruf die Töne und die Politik in Berlin selbst an. Die Ber-iner können eben nicht bloß die Hand aufhalten, wie eser Senat tut und wie es zum Beispiel Herr Wowereit ge-an hat.
Sie haben mich herausgefordert mit dieser Kurzinter-ention. Dann müssen Sie auch erdulden, wenn icheine Meinung dazu sage. –
err Wowereit hat gesagt: Im Jahr 2015 werden alle un-ere Finanzprobleme beseitigt sein; denn der Bund mussa bezahlen laut dem Bundesverfassungsgerichtsurteil.ch unterstütze ausdrücklich, dass das Bundesverfas-ungsgericht angerufen worden ist, um ein Normenkon-rollverfahren durchzuführen.
Ich glaube, dass vom Bund mehr für Berlin getanerden muss. Frau Kollegin, ich glaube aber auch, dasss dringend notwendig ist, dass Berlin auch seine Bei-räge leistet. Solange Rot-Rot die Stadt regiert, wird dieereitschaft anderer, Berlin zu helfen, relativ gering aus-allen.
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1786 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. März 2006
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Nächste Rednerin ist die Kollegin Antje Tillmann,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-legen! Der einen Gruppe von Rednern geht das Födera-lismusgesetz zu weit, der anderen Gruppe, der Opposi-tion, geht es nicht weit genug, was bei mir klar denEindruck erweckt, dass wir mit dieser Reform genaurichtig liegen, nämlich exakt in der Mitte dessen, washinsichtlich der Zuständigkeitsverteilung zwischen demBund und den Ländern machbar war.
Bei dem Punkt, die Kommunen vor kostenträchtigenGesetzen zu schützen, indem wir dem Bund durchArt. 84 GG versagen, dass er Aufgaben an die Kommu-nen übergeben kann, liegen wir absolut richtig. LieberKollege Burgbacher, er konnte das auch bisher nichtohne die Zustimmung der Länder. Bisher war es aber so,dass die Länder dem Bund finanzielle Erstattungen ab-gehandelt und diese nicht in jedem Fall an die Kommu-nen weitergeleitet haben. So wird es künftig nicht mehrgehen. Über die Landesverfassung wird das Konnexi-tätsprinzip für die Kommunen eingeführt. Diesen ent-scheidenden Schritt können wir mit dieser Föderalismus-kommission erreichen, wenn wir dem zustimmen.
Wir liegen mit unseren Regelungen bezüglich desnationalen Stabilitätspakts absolut richtig, indem wirdie Verantwortung für die Verschuldung des Gesamt-staatshaushaltes auf den Bund und die Länder verteilen.Erstmalig können wir die Verantwortung der Länder, diesich bereit erklärt haben, bei Nichteinhaltung des Defi-zitkriteriums einen Teil der Haftungssumme zu bezah-len, mit in die Verfassung aufnehmen. Das ist ein guterSchritt hin zur Haushaltskonsolidierung. Liebe Kollegender Linken, das nützt gerade den neuen Ländern, die sichMühe geben, ihre eigenen Landeshaushalte in Ordnungzu bringen, weil sie die Solidarität der anderen ansonstenüberstrapazieren und die Kosten, die andere verursa-chen, mittragen müssten.Wir sind absolut auf dem richtigen Weg, wenn wir dieFinanzverwaltungen vereinheitlichen. Allein 15 Mil-liarden Euro Umsatzsteuer können wir heben, wenn esuns gelingen würde, ein bundeseinheitliches Verfahrenbei der Finanzverwaltung einzuführen. Wir werden dasmit dem Föderalismusreform-Begleitgesetz und der Än-derung des Finanzverwaltungsgesetzes tun. Ich bin mirsicher, dass diese 15 Milliarden Euro, die uns durch denUmsatzsteuerbetrug verloren gehen, erheblich besser inBildung oder Forschung eingesetzt werden könnten. Mitdiesem Gesetz haben wir die Möglichkeit dazu.sssLdghdsmIwu–bdd2Hsnvkmdnandcüvztevzgtdlpn
Wir übertragen die Gemeinschaftsaufgabe Hoch-chulbau zum Teil in die Kompetenz der Länder. Hin-ichtlich der überregionalen Mittel bleibt der Bund zu-tändig. Diese 700 Millionen Euro übertragen wir an dieandtage. Liebe Kollegen, ich bin etwas erschrockenarüber, wie Sie mit den Kollegen in den Landtagen um-ehen. Die Aussage, dass all das, was wir tun, von Weis-eit geprägt ist, mag ich ja noch unterstützen,
ass Sie die Landtagskollegen aber so behandeln, alseien das alles unverantwortliche Deppen, kann ich nichtittragen.
ch glaube, dass die Landtagsabgeordneten sehr verant-ortungsbewusst mit ihren Bürgerinnen und Bürgernmgehen.
Auch die der FDP.
Aufgrund der Erfahrungen mit dem Solidarpakt II ha-en wir natürlich dafür gesorgt, dass uns für den Fall,ass diese Mittel nicht ordnungsgemäß eingesetzt wer-en, diesmal Sanktionen zur Verfügung stehen. Bis013 ist die investive Zweckbindung im Bereich desochschulbaus sichergestellt und auch nach 2013 be-teht die Verpflichtung, diese Mittel für investive Maß-ahmen zur Verfügung zu stellen. Wir werden das selbst-erständlich kontrollieren.An dieser Stelle hätte ich Frau Sager sehr gerne er-lärt, warum sie Unrecht hat, wenn sie sagt, dass es nichtehr möglich ist, dass der Bund die Länder in der Bil-ung unterstützt. Sie sagt, durch die Streichung der Fi-anzhilfen sei es nicht mehr möglich, dass sich der Bundn Länderaufgaben beteiligt. – Das stimmt so einfachicht; denn in unserer Verfassung ist vorgesehen, dassie Aufgaben von Bund und Ländern mit den erforderli-hen finanziellen Einnahmen unterlegt werden. Es istberhaupt kein Problem, das Finanzausgleichsgesetz zuerändern und den Ländern mehr Umsatzsteuerpunkteukommen zu lassen. Aber damit sind wir als Bundes-agsabgeordnete in der Verpflichtung, zu überprüfen, obs wirklich stimmt, dass der Bund für seine Aufgabeniel zu viel Geld erhält und die Länder für ihre Aufgabenu wenig Geld bekommen. Wir als Bundespolitiker tra-en die Verantwortung für den Bundeshaushalt. Ihr soll-en wir uns stellen.Das Einzige, was durch die Streichung im Art. 104 aes Grundgesetzes bei den Finanzhilfen nicht mehr mög-ich ist, sind kurzfristige Programme, die der Bildungs-olitik gar nicht angemessen sind; denn wir sind uns ei-ig, dass Bildungspolitik eine langfristige Aufgabe ist.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. März 2006 1787
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Antje TillmannBeim Finanzausgleichsgesetz sollten wir gemeinsamüberprüfen, wer tatsächlich zu viel Steuereinnahmen ausdem Umsatzsteueraufkommen erhält: die Länder oderwir.
Gegebenenfalls muss man bei beiden auf Haushaltsdis-ziplin und vielleicht auch auf die richtige Schwerpunkt-setzung achten.
Der Blick auf den Haushalt und die Haushaltsdis-ziplin hilft gerade den neuen Ländern. Ich bin sehr froh,dass sich die Föderalismuskommission ausdrücklichzum Solidarpakt II bekannt hat. Aber ich sage auch: Jeschlechter die Haushaltssituation des Bundes wird, umsogrößer ist natürlich die Gefahr, dass wir als Bund die51 Milliarden Euro, die bis 2019 fließen sollen, nicht zurVerfügung stellen können. Deshalb ist es im eindeutigenInteresse der neuen Länder, auf die Haushaltsdisziplindes Bundes zu achten. Wir brauchen den Solidarpakt II.Wir brauchen diese Sicherheit. Deshalb brauchen wirkonsolidierte Haushalte, sowohl im Bund als auch beiden Ländern.
Gegen diese Reform sind mehrfach Bedenken geäu-ßert worden. Wer an den Beratungen der letzten Jahreteilgenommen hat, der weiß, dass dies ein sehr ausge-klüngeltes System –
– ausgeklügelt – der Berücksichtigung der Interessenvon Bund, Ländern, Kommunen und Bürgern ist. Jeder,der Änderungswünsche hat, soll diese selbstverständlichvortragen. Wir nicken diese Reform nicht einfach ab.Aber jeder muss sich auch die Frage stellen, ob sein per-sönliches Anliegen, das er zu Recht vorbringt, tatsäch-lich dazu geeignet ist, die Gesamtreform scheitern zulassen. Wir werden das aus den genannten Gründen nichttun.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzent-
würfe auf den Drucksachen 16/813 und 16/814 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist
nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so be-
schlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stär-
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Aber denen wollen wir damit auch keine Freude ma-chen.
Nächster Redner ist der Kollege Jörg van Essen, FDP-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die Opposition hat zu kritisieren, wenn die Regierungund die Koalition etwas falsch machen. Die Oppositionhat aber auch Unterstützung zu leisten, wenn richtigeSchritte unternommen werden.
Im Falle des vorliegenden Gesetzentwurfs kann aus un-serer Sicht klar und eindeutig festgestellt werden, dassdie richtigen Schritte vorgesehen sind.tWsbDzzwwbwgsFngtWmmStFSzGsvsligwODafunpgmzi
Außerordentlich gut gefällt uns auch ein weiterer Vor-chlag. Es ist allgemein bekannt, dass in den meistenällen der erhoffte finanzielle Gewinn der Anlass zu ei-er Straftat ist. Die Täter wollen richtig abkassieren. Eseht aber nicht an, dass Vermögenswerte aus einer Straf-at, die übrig geblieben sind, dem Täter selbst zufallen.enn sich kein Opfer gemeldet hat oder kein Opfer er-ittelt werden kann, dann sollte besser der Staat die Ver-ögenswerte erhalten als der Täter selbst. Denn dertaat hat schließlich sehr viele Aufwendungen zu leis-en, beispielsweise für die Strafverfolgung und dieinanzierung polizeilicher Aufgaben zur Aufklärung dertraftaten. Die dafür nötigen Mittel werden vom Steuer-ahler aufgebracht. Deshalb begrüße ich es, dass daseld letztlich wieder dem Steuerzahler zugute kommenoll, indem beispielsweise Verbesserungen bei der Straf-erfolgung finanziert werden können.
Ich bitte Sie allerdings, zwei Anregungen zu berück-ichtigen. Wenn das Geld nicht an den Täter zurückfal-en soll, dann sollten wir überlegen, ob es nicht sinnvollst, wenigstens einen Teil davon für die Opferschutzor-anisationen abzuzweigen. Der Weiße Ring beispiels-eise – wer ihn kennt, weiß, wie wichtig die Arbeit ist,pfer zu unterstützen und zu betreuen und viele andereinge zu tun – leidet, wie andere solcher Organisationenuch, immer an Geldnot. Ich fände es gut, wenn wir prü-en könnten, ob der Weiße Ring beispielsweise bessernterstützt werden kann.
NIS 90/DIE GRÜNEN))Nach den vielen positiven Bemerkungen zum Schlussoch Folgendes: Wir haben ja in der 13. Legislatur-eriode, damals noch unter der Federführung eines FDP-eführten Justizministeriums, den Versuch unternom-en, die zum Teil sehr komplizierten Vorschriften in Be-ug auf Verfall und Einziehung – ich gestehe, dass selbstch als Oberstaatsanwalt bei dieser Problematik immer
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. März 2006 1789
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Jörg van Essennoch mal sicherheitshalber in die Kommentare geschauthabe,
weil das Ganze ziemlich kompliziert ist – zu vereinheit-lichen und zu vereinfachen. Wir sollten bei den anste-henden Beratungen überlegen, ob wir diesen Weg nichterneut beschreiten sollten. Wir würden der Praxis derJustiz damit ganz wesentlich helfen.Noch einmal zusammengefasst: Ich glaube, das sindgute und richtige Ansätze. Wir werden das unterstützen.Wir sollten in den Beratungen versuchen, das eine oderandere zu verbessern.Herzlichen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Siegfried Kauder,CDU/CSU-Fraktion.Siegfried Kauder (CDU/CSU):Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! DasBundeskriminalamt hat im Bundeslagebild über Wirt-schaftskriminalität des Jahres 2004 einen Schaden in derBundesrepublik Deutschland aus Straftaten in Höhe von10,4 Milliarden Euro festgestellt. In diesen Straftatensind nicht Vergehen gegen die Abgabenordnung oderZollvergehen enthalten. Wir können also mit Recht vonhohen Schadenssummen sprechen. Wo bleibt das Geld?Würde dieses illegale Vermögen beim Täter verblei-ben, entstünde in der Bevölkerung schnell der Eindruck,Straftaten lohnten sich. Deswegen ist es wichtig, diesesVermögen schnell einzufrieren und im Wege der Vermö-gensabschöpfung dem Staat zuzuführen. Dies ist insbe-sondere im Bereich der organisierten Kriminalität er-wünscht. Wenn das Geld bei den Tätern verbleibt,werden damit neue Straftaten geplant und durchgeführtund werden kriminelle Strukturen aufrechterhalten. ImVergleich dazu ist der Vermögensverfall zugunsten desStaates die bessere Lösung.Aber muss es immer der Staat sein, der Zugriff aufdieses Geld haben soll? Nein. Die Lösung, die der Ge-setzgeber gefunden hat, ist opferorientiert und nobel.Dort, wo Ansprüche des Opfers, der Geschädigten ent-standen sind, soll das Geld nicht dem Staat zugeführtwerden, sondern im Wege der so genannten Rückgewin-nungshilfe dem Geschädigten zur Verfügung gestelltwerden. Nun haben wir es aber oftmals mit Massen-delikten zu tun, bei denen der Schaden des Einzelnenaußerordentlich gering ist, die Schadenshöhe insgesamtaber außerordentlich hoch. Der Einzelne macht wegen5,70 Euro Schadensersatzansprüche nicht geltend. Dasführt in der Tat zu einem völlig frappanten Ergebnis. DieGeschädigten erheben keinen Anspruch auf ihr Geld undjeder von uns würde spontan sagen: In diesem Fall sollim Wege des nachgelagerten Verfalls das Geld an denShlek–wDdMsdgvsalWrSsgTuemvswsvhUTimt§SwdhrmdVlg
„Neue Zeitschrift für Strafrecht“ –,
enn ein genereller Anspruch Geschädigter bestehe.as führt zu dem unerwünschten Ergebnis, dass dannie beschlagnahmten und eingefrorenen Millionen- oderilliardenbeträge an den Täter ausgezahlt werden müs-en. Das soll mit diesem Gesetzentwurf zu Recht geän-ert werden.Der Weg, der mit diesem Gesetzentwurf eingeschla-en wird, ist richtig. Er dient dem Opferschutz und merzterfahrenstechnische Schwierigkeiten aus. Dieses Ge-etz stößt insbesondere auch bei der Richterschaft nichtuf Widerspruch; vielmehr wird es in all seinen Rege-ungen begrüßt. Kritik wird nur in zurückhaltendereise angemeldet. Allerdings gibt es in einem Punkt be-echtigte Kritik aus den Reihen der Strafverteidiger.Ich habe darüber gesprochen, dass das Vermögen beitraftätern beschlagnahmt wird. Die vorgelagerte Be-chlagnahme im Ermittlungsverfahren erfolgt aber nichtegenüber einem Straftäter, sondern gegenüber einematverdächtigen. Ein Tatverdächtiger ist noch nicht ver-rteilt. Hin und wieder enden Strafverfahren auch mitinem Freispruch. Für denjenigen, gegen den ein Er-ittlungsverfahren eingeleitet ist, spricht die Unschulds-ermutung. Nun ist es aber so, dass die Vermögensbe-chlagnahme manchen mindestens genauso hart trifftie eine lange Untersuchungshaft. Eine Vermögensbe-chlagnahme kann sich für einen Unternehmer existenz-ernichtend auswirken.Vergleichen wir einmal das Recht der Untersuchungs-aft mit dem der Vermögensbeschlagnahme. Gegen dientersuchungshaft gibt es ein filigran ausgearbeitetesableau von Rechtsmitteln durch zwei Instanzen. Diesst bei der Vermögensbeschlagnahme nicht so. Wird Ver-ögen beschlagnahmt, steht demjenigen, der davon be-roffen ist, das Recht der einfachen Beschwerde nach304 StPO – in Klammern für den Kollegen Benneter:trafprozessordnung – zu,
ährend es dort, wo es um die Untersuchungshaft geht,ie weitere Beschwerde nach § 310 StPO gibt. Daseißt, das Beschwerderecht ist im Untersuchungshaft-echt deutlich besser ausgebaut als im Bereich der Ver-ögensbeschlagnahme. Deswegen sollten wir uns Ge-anken darüber machen, ob wir nicht im Bereich derermögensbeschlagnahme die weitere Beschwerde zu-assen wollen.Außerordentlich erfreut hat mich die Rede des Kolle-en van Essen. Natürlich mache auch ich mich dafür
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Siegfried Kauder
stark, dass beschlagnahmtes Vermögen, das nicht an dieGeschädigten zurückgezahlt werden kann, an Opfer-schutzorganisationen geht. Sie haben sicherlich be-merkt, dass ich leuchtende Augen bekam, als der WeißeRing als eine solche Institution erwähnt worden ist.Wir sollten aber im Rechtsausschuss zur Abrundungder Sache auch andere anstehende Probleme erörtern. Esgibt das Recht der Gewinnabschöpfung nach § 10 UWG.Dieser Paragraf lässt sich in das System des Strafgesetz-buches und der Strafprozessordnung nicht einfügen. Hiergibt es Wertungswidersprüche, die wir lösen sollten.Zudem gibt es eine enorme Unklarheit dadurch, dass derStaat zwar auf fest eingefrorenes Vermögen nicht zu-rückgreifen darf, wenn Geschädigte da sind, dass er abernach der Entwurfsfassung des § 111 i Abs. 5 der Straf-prozessordnung dann, wenn sich die Geschädigten nichtmelden, das Vermögen nachgelagert einziehen kann. ImStrafgesetzbuch, im materiellen Recht, steht also, dasskein Zugriff auf Vermögen möglich ist, wenn Geschä-digte da sind. Aber in der Strafprozessordnung steht ge-nau das Gegenteil: Melden sich die Geschädigten nicht,dann dürfen wir das Vermögen im Wege des nachgela-gerten Verfalls dem Staat zuordnen. Das sind noch Un-ebenheiten, über die wir im Rechtsausschuss diskutierensollten.Zusammenfassend kann man aber sagen: Es handeltsich um den von Praktikern erarbeiteten Entwurf einesGesetzes, das Unebenheiten in der praktischen Anwen-dung ausmerzt und deswegen begrüßenswert ist.Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Sevim Dagdelen, die Frak-
tion Die Linke.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Ministerin! WerteKolleginnen und Kollegen! Mit der Vorlage, die wirheute behandeln, wird der Versuch unternommen, in derPraxis von Gewinnabschöpfung und Verfall Erleichte-rungen einzuführen und damit die Rechte der Verletztenzu stärken. Gleichzeitig geht es darum, dem Staat einAuffangrecht hinsichtlich illegal erlangter Vermögen zugewähren. Gerade den Opfern von Straftaten Möglich-keiten zu geben, den finanziellen Verlust zu minimieren,findet unsere Zustimmung. Wir sind gern bereit, mit Ih-nen im Ausschuss über die Vor- und Nachteile der vorge-sehenen Regelungen, bei denen es sich im Wesentlichenum Verfahrensfragen handelt, zu debattieren.Ich will jedoch aus Sicht meiner Fraktion auf ein Pro-blem aufmerksam machen, welches von der Bundesre-gierung selbst im Gesetzentwurf angesprochen wird.Auf Seite 11 des Gesetzentwurfs heißt es:Gerade in Wirtschaftsstrafsachen mit hohen Scha-denssummen oder einer Vielzahl von GeschädigtenDsscWFsgzmcnümlgdtNzgsDmWBkvkgz–RStMkZIsg
Darauf werden wir im Rechtsausschuss eingehen.Abschließend möchte ich zusammenfassen: Einereihe von Änderungen in den §§ 111 b ff. StPO, die dieicherstellung von Vermögen effektivieren und erleich-ern sollen, kann uneingeschränkt zugestimmt werden.
it dem Ziel verbesserten Opferschutzes ist die Verstär-ung der Zurückgewinnungshilfe durch Erweiterung desulassungsverfahrens in § 111 g StPO gut vertretbar.nsgesamt bleibt jedoch das Recht der Vermögensab-chöpfung – das hat mein Kollege Kauder ganz gut dar-elegt – auch nach diesen vereinzelten Änderungen des
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Sevim DagdelenProzessrechts kompliziert und anwenderunfreundlichund das bisherige gesetzliche Regelungskonzept imGrundsatz unverändert.Ich danke.
Der Kollege Jerzy Montag, Bündnis 90/Die Grünen,
hat seine Rede zu Protokoll gegeben1). Deswegen gebe
ich das Wort dem Kollegen Dr. Peter Danckert, SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Ich bedanke mich dafür, dass ich
hier als Letzter reden darf.
Ich hatte beinahe gehofft, dass wir das Thema ein biss-
chen kontroverser behandeln könnten, aber ich vermute,
dass wir einschließlich des Kollegen Jerzy Montag alle
einer Meinung sind.
Wenn man überhaupt eine kritische Anmerkung wa-
gen darf, dann müsste man Sie, Frau Bundesministerin,
fragen, warum diese Gesetzesinitiative erst jetzt gekom-
men ist. Das Problem ist seit geraumer Zeit bekannt. Wir
haben das Phänomen über Jahre gehabt, dass beschlag-
nahmtes Vermögen, das dem Geschädigten nicht über-
eignet werden konnte, weil er sich nicht gemeldet hat
oder weil er Fristen verpasst hat, wieder dem Täter zuge-
fallen ist. Das ist also kein ganz neues Phänomen. Aber
nun liegt der Entwurf auf dem Tisch und wir werden si-
cherlich im Rahmen der Beratungen im Ausschuss das
eine oder andere miteinander besprechen können. Es
sind durchaus – Herr Kollege van Essen ist leider schon
weg – interessante Anregungen gekommen.
Ich will aus meiner Sicht auf zwei Punkte aufmerk-
sam machen, von denen ich glaube, dass man an ihnen
im Rahmen der Ausschussberatungen arbeiten muss.
Es ist durchaus positiv, dass wir diese Fristverlänge-
rung auf drei Jahre haben. Für den Fall, dass die Rechts-
kraft erst danach eintritt, verlängert sich diese Frist noch
einmal. Das sind aber letztlich Steine statt Brot für den
Geschädigten, den wir bei solchen Massendelikten im
Auge haben. Es geschieht nämlich häufig, dass solche
Urteile erster Instanz in Revision gehen, aufgehoben
werden und wiederverhandelt werden.
Ich schlage einfach einmal vor, dass wir darüber
nachdenken, ob nicht die Rechtskraft der Punkt sein
müsste, an dem für den Beginn der Frist angesetzt wird.
Damit entstünde für den Geschädigten kein Nachteil,
sondern nur ein Vorteil; denn das ist eine sichere Marke.
Ich könnte mir Folgendes vorstellen: Jemand liest in der
Zeitung von einem solchen Fall, von dem entsprechen-
den Urteil, stellt fest, dass er selbst Betroffener ist, und
fragt sich, ob er seine Ansprüche geltend machen soll;
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1) Anlage 2
amit wir auch im Plenum in der zweiten und dritten Be-
atung zu einem Ergebnis kommen. Angesichts der Ei-
igkeit, die zwischen uns herrscht, besteht nur noch
aum für einige diskussionswürdige Änderungen oder
rgänzungen. Wenn dieses Gesetz verabschiedet wird,
aben wir das erreicht, was wir erreichen wollen, näm-
ich eine Verbesserung der Rechtslage der Geschädigten.
ußerdem haben wir dann endlich sichergestellt, dass
ie Täter nicht im Nachhinein von ihren Straftaten profi-
ieren.
Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-urfs auf Drucksache 16/700 an die in der Tagesord-ung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt esazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.ann ist die Überweisung so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:Erste Beratung des von den Abgeordneten Hans-Joachim Otto , Christoph Waitz,Dr. Claudia Winterstein, weiteren Abgeordnetenund der Fraktion der FDP eingebrachten Ent-wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grund-gesetzes
– Drucksache 16/387 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Kultur und Medien
Rechtsausschuss
Federführung strittig
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1792 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. März 2006
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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne KastnerNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei dieFDP sechs Minuten erhalten soll. – Ich höre keinen Wi-derspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der KollegeHans-Joachim Otto, FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Mit-
tel der öffentlichen Hand für Kulturförderung sind in den
vergangenen Jahren drastisch weiter gekürzt worden.
Nach einer soeben veröffentlichten Antwort der Bundes-
regierung ist die Gesamtsumme aller öffentlichen Kul-
turausgaben von 2001 bis 2004, also in nur drei Jahren,
von 8,4 Milliarden Euro auf 7,8 Milliarden Euro zurück-
geführt worden. Das ist weniger als der Etat der öffent-
lich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Ich halte das für ein
Armutszeugnis für die Kulturnation Deutschland.
Wenn man sich die Zahlen genauer anschaut, stellt
man fest, dass vor allen Dingen die Länder – minus
250 Millionen Euro – und die Kommunen – minus
230 Millionen Euro innerhalb von nur drei Jahren – für
die Kürzungen verantwortlich sind. Dass dies aber nicht
allein auf die angespannte Haushaltslage und die allge-
meinen Sparzwänge zurückzuführen ist, zeigt die Ent-
wicklung des Anteils der Kulturförderung am Brutto-
inlandsprodukt. Von 2001 bis 2004 ist er von 0,41 Prozent
auf 0,36 Prozent abgerutscht. Meine Damen und Herren,
gerade einmal ein Drittel Prozent für die Kultur!
Einen deutlicheren Beleg für die Notwendigkeit des
Staatsziels Kultur kann man sich wohl kaum vorstellen.
Mehr denn je ist es erforderlich, ein klar vernehmbares
Zeichen für die Kultur zu setzen. Mir, uns allen ist da-
bei völlig klar, dass auch ein Staatsziel Kultur im Grund-
gesetz keinen einklagbaren Anspruch auf eine konkrete
Förderung beinhaltet. Die Anhörung der bedeutendsten
Verfassungsrechtler in der Kultur-Enquete hat aber erge-
ben, dass das Staatsziel Kultur durchaus in doppelter
Hinsicht Wirkung entfaltet. Dieses Staatsziel wird – wie
alle übrigen Staatsziele – Ermessens- und Beurteilungs-
spielräume bei Gerichten und bei der Finanzverwaltung
eröffnen. Diese Ermessensspielräume wären für jeden
Kulturdezernenten zumindest eine große Hilfe bei der
Abwehr weiterer Kürzungen; Kultur ist bekanntermaßen
keine kommunale Pflichtaufgabe. Vor allem aber wäre
ein solches klares Bekenntnis des Staates zu seiner Kul-
tur ein ganz bedeutsames politisches Signal, ein Signal,
dass Kultur nicht nur ein Sahnehäubchen in guten Zeiten
ist, sondern gerade auch in schlechten Zeiten die Gesell-
schaft im Kern zusammenhält.
Auch verfassungssystematische Gründe sprechen
für das Staatsziel Kultur. Wenn die natürlichen Lebens-
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Nach dem einstimmigen und abschließenden Votum
er Kultur-Enquete – jetzt schaue ich zur Union – muss
as Plenum Farbe bekennen: Wie halten wir es mit der
ultur? Die FDP geht dabei mit gutem Beispiel voran.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Börnsen?
Beim Kollegen Börnsen immer.
Wir gehen ja fair miteinander um.
Herr Kollege, Sie haben eben den bedeutungsvollen
atz gesagt: Die FDP geht mit gutem Beispiel voran. –
as hören wir gern. Hier sitzen Kulturpolitiker, die alle
m Grundsatz Ihrer Auffassung sind. Wenn die FDP mit
utem Beispiel vorangeht, frage ich Sie: Wo sind bisher
ie Signale aus den fünf Bundesländern, in denen die
DP mitregiert? Aus keinem dieser Bundesländer gibt es
isher ein Beispiel dafür, dass man sich in der langjähri-
en Diskussion zum Thema Staatsziel öffentlich dazu
eäußert hat. Sie wissen darüber hinaus, dass eine Ver-
assungsänderung nur mit Zweidrittelmehrheit erreicht
erden kann und die FDP im Bundesrat die entscheiden-
en Stimmen hat. Wo ist da der Vorbildcharakter der
DP, Herr Kollege?
Vielen Dank, Herr Kollege Börnsen, für dieserage. – Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass die FDPisher – wir werden das ändern – noch keinen Minister-räsidenten und keinen einzigen Kulturminister in denändern stellt.
s gibt bisher nur öffentliche Äußerungen von Minister-räsidenten, interessanterweise auch von solchen ausnionsregierten Ländern, aber keine öffentliche Äuße-
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Hans-Joachim Otto
rung eines Kulturpolitikers der FDP gegen das StaatszielKultur.
Nennen Sie mir eine solche öffentliche Äußerung! WennSie das können, dann würde ich das ernst nehmen.Ich möchte Ihnen noch etwas sagen, Herr KollegeBörnsen: Die Voten, die einzelne Ministerpräsidentenohne Rücksprache mit ihrem Koalitionspartner vor-schnell abgegeben haben, müssen nicht das letzte Votumsein. Wenn Sie dabei mithelfen, dass hier vom Bundes-tag ein klares Signal gesendet wird, dann möchte ich denMinisterpräsidenten oder den Landtag sehen, der bei derVerankerung eines Staatsziels Kultur nicht mitmacht!
Meine Damen und Herren, der Kollege Börnsen hatmit Recht festgestellt: Die FDP geht mit gutem Beispielvoran.
Dabei werde ich immer wieder gefragt, warum ausge-rechnet die FDP, die sich doch sonst immer für wenigerStaat und für eine Stärkung der Zivilgesellschaft ein-setzt, so vehement für das Staatsziel Kultur kämpft. DieAntwort ist einfach: Die Ziele bedingen einander. Inter-nationale Erfahrungen belegen: Die Zivilgesellschaftlässt sich nur dann für die Kultur begeistern, wenn sichder Staat nicht gleichzeitig zurückzieht; denn kein För-derer, kein Mäzen will seine Spende dem Finanzministeroder dem Stadtkämmerer geben, sondern er will, dass sieder Kultur zugute kommt.
Daher brauchen wir – das sage ich ganz bewusst auchals Liberaler – eine verlässliche und stetige Grundfinan-zierung der Kultur durch den Staat, auf deren Fundamenteine hoffentlich wachsende private Förderung aufsetzenkann.
Diese Zusammenhänge gebieten es auch – jetzt schaueich in Richtung der beiden großen Fraktionen –, demKulturausschuss und nicht dem ohnehin völlig überlaste-ten Rechtsausschuss die Federführung für diesen Geset-zesantrag zu übertragen.
Abschließend, meine lieben Kolleginnen und Kolle-gen, möchte ich aus der klugen „FAZ“ zitieren, die die-ser Tage auf der ersten Seite kommentierte,
„politische Klugheit, ökonomische Vernunft und in-tellektuelle Selbstachtung“ geböten es, Kultur auchohne Staatsziel großzügig zu fördern. UmgekehrtavdlBzuGTFgDZIZaasSsmdstGuÜtVsrr
Das Wort hat jetzt die Kollegin Gitta Connemann von
er CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deutsch-and, das Land der Dichter und Denker, die Heimat voneethoven und Bach, ohne ein staatliches Bekenntnisur Kultur — undenkbar? Nein! Die Mütter und Väternserer Verfassung haben dem Staat viele Ziele insrundgesetz geschrieben; zuletzt wurde der Schutz deriere und der Natur aufgenommen. Aber Schutz undörderung von Kultur als unserer ideellen Lebens-rundlage sind nicht positiv verankert, und das, obwohleutschland sich immer als Kulturstaat verstanden hat.u Recht, denn Kunst und Kultur sind Teile unsererdentität.Unsere gemeinsame Kultur hat die Deutschen in deneiten der Teilung über Mauer und Stacheldraht hinwegls Einheit verbunden. Wir begreifen Kunst und Kulturls unverzichtbar für den Zusammenhalt unserer Gesell-chaft.
ollten wir dann nicht das Bekenntnis, ein Kulturstaat zuein, in unserer Verfassung zum Ausdruck bringen,eine Damen und Herren? Diese Frage wird seit 1981ebattiert. Die Mitglieder der letzten Enquete-Kommis-ion „Kultur in Deutschland“ haben sie mit Ja beantwor-et. Sie empfahlen nach langer Beratung einstimmig, dasrundgesetz um einen Artikel 20 b „Der Staat schütztnd fördert die Kultur“ zu ergänzen.
ber diese Empfehlung debattieren wir heute, auch kon-rovers. Schließlich geht es um die Änderung unserererfassung. Deshalb finde ich auch, dass das Vorpre-chen der FDP dem Anliegen schadet.
Es bedarf Zeit, Mehrheiten für eine Verfassungsände-ung zu gewinnen. Auch aus den Bundesländern – da-auf hat der Kollege Börnsen zutreffend hingewiesen –,
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Gitta Connemannin denen die FDP mitregiert, gibt es noch keine Signaledafür. Kultur ist ein besonderes Gut und eignet sich nichtfür Wahlkämpfe.
Lassen Sie uns deshalb die Zeit nehmen, Zweifler ge-meinsam zu überzeugen.Es gibt auch grundsätzliche Bedenken, die ich respek-tiere, so das Argument der Ordnungspolitik. UnsereVerfassung zeichnet sich aus durch Purismus, durchZeitlosigkeit. Sie ist eben gerade kein Warenhauskata-log, der sein Angebot von Saison zu Saison ändert.
Bedarf es da wirklich einer Kulturstaatsklausel? Schließ-lich hat das Bundesverfassungsgericht doch wiederholtDeutschland als Kulturstaat bezeichnet. Selbstverständ-liches zu regeln, sei eben überflüssig, ja sogar schädlichim Hinblick auf nicht zu erfüllende Erwartungen, undschließlich liege ja die Kulturhoheit bei den Ländern. Sodie Argumente gegen die Verankerung der Kulturstaats-klausel.Aus meiner Sicht greifen aber diese Argumente zukurz. Allein das Bekenntnis des Bundesverfassungsge-richts reicht nicht; denn es gibt nicht nur dogmatischeKritik gegen die Herleitung aus Art. 5 Abs. 3 des Grund-gesetzes. Es kann auch nicht in der Hand eines Gerichtesliegen, ob und wie wir uns definieren.
Hier besteht eine Lücke. Es liegt in der Entscheidung desGesetzgebers und damit an uns, ob und wie wir sieschließen wollen. Eine Kulturstaatsklausel würde auchnicht in die Kulturhoheit der Länder eingreifen; sie istföderalismusneutral.
Für das Kompetenzgefüge von Bund und Ländern ergä-ben sich dadurch keine Änderungen. Ich verweise dabeiimmer gerne auf Art. 7 Abs. 1, nach dem das Schulwe-sen unter die Aufsicht des Staates gestellt ist. Niemandwürde das als Angriff auf die Bildungshoheit der Länderverstehen.Es ist richtig, dass Staatszielbestimmungen keinekonkreten individuellen Ansprüche begründen. Aber einStaatsziel Kultur würde nicht nur jedem Gericht als Aus-legungs- und Anwendungsmaßstab für einfachesRecht gelten. Es könnte auch vor dem Bundesverfas-sungsgericht gegenüber Gesetzen in Ansatz gebrachtwerden.
Es würde auch die Gemeinden binden, dass Freiwillig-keit nicht mehr als Beliebigkeit verstanden werdendürfte.DGscurcFdtgKfJJNhdebwAKGianGnjhkSsSvHK
er Kollege Otto hat die Zahlen erwähnt.
Ich habe Ihnen dargelegt, dass es keine juristischenründe gegen die Aufnahme einer Kulturstaatszielbe-timmung gibt, sondern sogar rechtliche, die dafür spre-hen. Damit ist das Feld des demokratischen Prozessesnd der politischen Entscheidung eröffnet.Wenn ich mich persönlich heute hier für die Veranke-ung von Kultur ausspreche, dann hat das im Wesentli-hen einen Grund: Kultur ist kein Ornament. Sie ist dasundament, auf dem unsere Gesellschaft steht und aufas sie baut. Ich frage Sie alle: Was wären wir ohne Kul-ur? Eine gesichtslose, sprachlose Masse – ohne Vergan-enheit, ohne Zukunft.
Kindern versuche ich die Bedeutung des Begriffsultur immer mit einem Bild deutlich zu machen. Ichrage sie: Stellt euch vor, ihr lauft in 100 Jahren, imahre 2106, durch Berlin. Was wird euch an dasahr 2006 erinnern, was wird vom Jahre 2006 bleiben? –atürlich auch diese Parlamentsdebatte; sie wird abge-eftet sein. Sicherlich wird sich auch der eine oder an-ere von uns in Geschichtsbüchern wiederfinden, aberben in der Geschichte als kultureller Fähigkeit. Kinderegreifen das. Sie antworten mir immer dasselbe: Wirerden uns erinnern an die Gebäude unserer Zeit, dierchitektur. Wir werden uns erinnern an die bildendeunst dieser Zeit, vielleicht eine Bildhauerarbeit, an dieemälde, die in Galerien hängen. Wir werden uns er-nnern an die Musik dieser Zeit, nicht Daniel Küblböck,ber an die Beatles oder eine Komposition, die aufge-ommen worden ist von einem Klangkörper dieser Zeit.Meine Damen und Herren, das Einzige, was von eineresellschaft bleibt, ist ihre Kultur. Sollte sie uns deshalbicht eines besonderen Schutzes wert sein? Ich glaube,a. Deshalb bitte ich Sie inständig – die Kollegen, dieeute hier sind, aber auch die Kollegen, die nicht da seinönnen, und die Bevölkerung, die uns zusieht –: Lassenie uns gemeinsam überzeugen, lassen Sie uns gemein-am beraten, und zwar für die Aufnahme von Kultur alstaatsziel in das Grundgesetz.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Luc Jochimsen
on der Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!err Staatsminister! „Der Staat schützt und fördert dieultur.“ Dieser Satz als Grundgesetzartikel ist mehr als
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Dr. Lukrezia Jochimsennur eine schön klingende Formulierung. Die europäischeKulturnation Deutschland stellt mit dieser Verpflichtungfür sich einen Grundsatz auf; man könnte auch sagen: ei-nen guten Vorsatz der Republik.In einer Zeit, da Kultur sich als globales Thema undauch als globaler Konfliktstoff erweist, halten wir, dieFraktion der Linken, es für sehr wichtig, uns zum Staats-ziel Kultur zu bekennen, selbstbewusst einerseits, ande-rerseits auch aus Sorge, dass ein fundamentales Erbe un-seres Landes bedroht ist.Denn machen wir uns nichts vor: Die reiche Kultur-landschaft Deutschlands – ihre Theater, Museen, Opern-häuser, Konzertsäle, Bibliotheken, ihre Festspiele, auchihre Abertausende lokalen und regionalen Projekte undvor allem ihre bisherigen Bildungseinrichtungen fürKinder und Jugendliche – steht auf der Kippe. Dabeigeht es nicht allein um die dramatischen Kürzungen derKulturhaushalte von Kommunen und Ländern, die zuBeginn dieser Debatte erwähnt wurden. Es geht auch umdas Infragestellen von Kultur überhaupt angesichts eineraggressiv operierenden globalen Unterhaltungs- undWerbeindustrie, die die totale Sinnfreiheit feiert undsonst gar nichts.Ja, es geht um die Stärkung des Gewichts der Kulturin Konkurrenz mit anderen mächtigen Interessen, wennwir dafür eintreten, das Staatsziel Kultur in unseremGrundgesetz zu verankern. Der Hinweis, dass man sichfür einen Artikel im Grundgesetz nichts kaufen kann,verfängt nicht.Natürlich sind die Verfassung und die Verfassungs-wirklichkeit ein weites Feld. Aber glauben Sie mir, dieich als Mädchen, junge Frau und berufstätige Mutter dieGeschichte der Bundesrepublik erlebt habe, dass dieschrittweisen Veränderungen zur Gleichberechtigungnur möglich waren, weil die Gleichberechtigung imGrundgesetz stand und wir uns immer darauf berufenkonnten, gerade auch in den vielen Jahren der offenkun-digen Diskriminierung.Staatsziel Kultur als Versprechen für ein vielfältiges,reiches, auch alle unsere Minderheiten einbeziehendesKulturleben, dafür sind wir sehr. Deshalb unterstützenwir auch den Gesetzentwurf der FDP. Mehr noch hättenwir eine große fraktionsübergreifende Initiative in dieserSache begrüßt.Damit schließlich auch das klar ist: Wir sprechen unsnicht für eine Inflation von weiteren Staatszielen aus.Das Staatsziel Fußball brauchen wir meiner Meinungnach nicht. Kultur ist da ein besonderes Ding.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Siegmund Ehrmann
von der SPD-Fraktion.
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as war auch Auffassung der Enquete-Kommission.Die kritischen Einwände darf man natürlich nicht bei-eite schieben. Es wird gesagt, es handele sich um eineningriff in den Föderalismus und um einen wirkungs-osen Placeboeffekt. Es wird auch das Argument vorge-ragen, dies widerspreche dem Charakter unserer Verfas-ung. Im Vergleich zur Weimarer Reichsverfassung seias Grundgesetz anders angelegt. Es wird auch einge-andt, der Kulturbegriff sei zu unbestimmt und stelleür das Abwägungsgebot überhaupt keine Hilfe dar.Ich will einmal auf das letzte Argument eingehen. Iner Enquete-Kommission ist unstreitig gewesen, dass
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Siegmund Ehrmannder Kulturbegriff im öffentlich-rechtlichen Schrifttumgesichert ist.Ich glaube, jetzt ist der richtige Zeitpunkt, diesesThema anzugehen. Insofern, Herr Otto, machen Sie unsallen trotz anfänglicher Bedenken mit Ihrem Gesetzent-wurf Feuer.
Wir sind nun in der Situation, zu Klärungen kommenund Bekenntnisse ablegen zu müssen. Insofern sind wiraus den großen Fraktionen aufgefordert, unsere internenKlärungsprozesse sorgfältig durchzuführen.Zumindest für die SPD-Fraktion kann ich an dieserStelle sagen: Wir sind noch nicht an einem endgültigenPunkt angekommen. Aber unser Fraktionsvorsitzenderhat heute Morgen in seiner grundlegenden Rede dieUnterstützung dafür erbeten, im Rahmen der Föderalis-musdebatte auch dieses Thema zu erörtern und anzu-sprechen.Ich finde, unter diesem Aspekt wäre es ein guter Be-schluss, dass der Rechtsausschuss federführend ist. Esliegt dann an uns, den Kulturpolitikern, das Thema in derzu organisierenden Anhörung so zu unterfüttern, dasswir allen Kolleginnen und Kollegen im Hause Argu-mente für ihre persönliche Abwägung anbieten können,in der Hoffnung, dass es, anders als Anfang der 90er-Jahre, die nötige verfassungsändernde Mehrheit hierzugibt.Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen für IhreAufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt der Kollege Kai Gehring von
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Wir diskutieren über einen Gesetzentwurf, mitdem das Staatsziel Kultur in das Grundgesetz aufgenom-men werden soll. Die Anstöße dazu kamen aus dem Um-kreis der Enquete-Kommission „Kultur“ in der letztenLegislaturperiode. Dieser Gedanke wurde zusammenmit dem Kulturausschuss weiter verfolgt.Wir freuen uns, dass Herr Otto und die FDP diese Ini-tiative aufgreifen.
Wir sollten sie interfraktionell vorantreiben, und zwarauch im Kulturausschuss.
Rechts- und Kulturausschuss müssen die entscheidendenOrte der Debatte sein. Wir brauchen also eine intensiveMitberatung im Kulturausschuss.cvvbaAmpDWfZSwsfObdwtvDdsEudsEALStsKdga
as kann das Gewicht von Kultur steigern.
enn wir es schaffen, Kultur als Staatsziel zu verankern,ängt die Arbeit übrigens erst an. Dann gilt es, diesesiel mit Leben zu füllen.Wir wissen, wie hart die wirtschaftliche und sozialeituation für viele Künstlerinnen und Künstler ist und inelch harten Abwehrkämpfen die Kultur gegenwärtigteht. In Zeiten knapper Kassen stehen die Ausgabenür Kultur unter einem starken Rechtfertigungsdruck.ffensichtlich ist bei uns immer noch die Ansicht ver-reitet, dass Kultur nettes, schmückendes Beiwerk ist,as im Zweifelsfall auch wegfallen kann.Mit der Bestimmung eines Staatsziels Kultur könnenir einem solchen Denken ein Stück weit entgegentre-en. Kultur ist nicht Beiwerk, sondern Lebenselixier; da-on bin ich überzeugt.
er Mensch als soziokulturelles Wesen ist angehalten,ie kulturellen Bedingungen seiner Existenz ebenso zuchützen wie die natürlichen Lebensgrundlagen.
ine Bestimmung, nach der der Staat die Kultur schütztnd fördert, wäre eine logische Ergänzung des Art. 20 a,er ja den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen fest-chreibt.
ine solche Bestimmung wahrt auch die notwendigellgemeinheit. Es geht nicht um irgendeine Staats- odereitkultur, die hier verordnet wird. Es geht um denchutz des lebendigen und pluralen Prozesses der Kul-ur, der sehr elementar für unser Leben ist.Bei der näheren Begründung des Staatsziels Kulturollten wir nicht nur den Erhalt der bereits bestehendenultur in ihrer Vielfalt und Breite betonen, sondern auchie Bedingungen ihrer Entwicklung und Vermittlung. Eseht um die Freiräume, in denen Neues entsteht. Es gehtuch um faire Chancen des Zugangs zu Kultur.
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Kai Boris GehringDer UN-Sonderberichterstatter für Bildung, Muñoz,hat der Bundesrepublik für die Gerechtigkeitsdefizite ih-res Bildungssystems sehr schlechte Noten ausgestellt.Ich bin mir sicher: Diese Kritik ließe sich auch mit Blickauf den Zugang zu kultureller Bildung formulieren.Gerade hier, bei der kulturellen Bildung, brauchen wirgroße Anstrengungen. Kultur ist kein schmückendesBeiwerk, sondern ein Raum der Begegnung, der ästheti-schen Kommunikation.
Ein Gemeinwesen, das sich um die lebensweltlichenFundamente von Demokratie sorgt, das soziale Integra-tion und nicht Ausgrenzung anstrebt, muss Kultur för-dern und schützen. Eine Staatszielbestimmung Kulturwäre ein angemessener Ausdruck eines solchen An-spruchs.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dorothee Bär von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Staatsminister!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin enttäuscht,Herr Kollege Otto,
dass Sie zwei Wochen vor drei Landtagswahlen diesesThema hier aufgreifen. Ich bin nämlich der Überzeu-gung, dass die Art und Weise Ihrer Rede diesem wichti-gen Thema nicht gerecht wird.
Wir debattieren heute über eine Frage, die nicht ein-fach mit Ja oder Nein beantwortet werden kann. Das ha-ben wir schon in den vorangegangenen Reden gehört.Dennoch tendiere ich heute Bezug nehmend auf IhrenGesetzentwurf bei einer 51-zu-49-Prozent-Abwägungeher zu einer Ablehnung des Gesetzentwurfs der FDP.
Ich möchte das nicht ausschließlich an inhaltlichenPunkten festmachen, sondern auch an der Art und Weise,wie die FDP mit diesem Thema umgeht. Darauf kommeich aber später noch zu sprechen.Es gibt für uns alle sehr gute Gründe, die Kultur alsStaatsziel in unser Grundgesetz aufzunehmen. MeineKollegin Frau Connemann hat bereits viele davon ge-nannt. Es wurde schon mehrfach darauf hingewiesen,dass wir den Schutz der Natur als Staatsziel – darüberkhgsduagdDlnIgGstnhcdlGWDwsztzMtnsARnsi
nd geschützt werden sollte.
Ein Staatsziel Kultur würde Entscheidungsträgern aufllen politischen Ebenen angesichts knapper Kassen einewichtiges Argument an die Hand geben, wenn sie überen Kulturetat debattieren.
amit wäre der Schutz unserer Kultur besser gewähr-eistet.
Trotzdem gibt es auch Gründe, die gegen eine Auf-ahme des Staatszieles Kultur ins Grundgesetz sprechen.ch denke, man darf bei einer Debatte über eine Grund-esetzänderung sowohl den Befürwortern als auch denegnern nicht die Ernsthaftigkeit ihrer Argumente ab-prechen. Ich habe lange an Vorschlägen zur Entbürokra-isierung mitgearbeitet und mir dabei immer wieder ei-en Grundsatz von Montesquieu vor Augen gehalten:Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu machen,dann ist es notwendig, kein Gesetz zu machen.Die Frage, ob in diesem Fall ein Gesetz notwendig ist,aben sich viele unserer Kollegen gestellt. Ich bin mir si-her, dass alle Kulturpolitiker sich darin einig sind, dassie Kulturstaatlichkeit der Bundesrepublik Deutsch-and von keiner Seite angezweifelt wird.Zudem haben wir in Art. 5 Abs. 3 Grundgesetz alsrundrecht – nicht nur als Staatsziel – die Freiheit vonissenschaft, Forschung, Lehre und Kunst garantiert.arin drückt sich bereits aus, dass unser Staat Verant-ortung für die Kultur übernimmt.Außerdem enthalten viele Landesverfassungen, bei-pielsweise die bayerische, Aussagen zum Schutz undur Förderung der Kultur. Dass unser Staat Verantwor-ung für die Kultur übernimmt, zeigt sich auch in finan-ieller Hinsicht. Bereits jetzt werden über 90 Prozent derittel für Kultur aus staatlichen Haushalten aufgebracht.Die Frage „Ist Kultur ein Staatsziel?“ stellt sich wei-er. Das möchte ich an dieser Stelle betonen. Darüber hi-aus möchte ich, dass wir uns sachlich und fair mit die-em Thema auseinandersetzen. Wir dürfen nicht nur diergumente der Befürworter gelten lassen und ihnenecht geben, wir müssen auch die Argumente der Geg-er bewerten. Das ist ein sehr enger Abwägungsprozess.Wir haben uns in der Enquete-Kommission „Kultur“ehr intensiv mit dem Thema befasst. Deswegen möchtech, dass wir die Zeit, bis die Enquete-Kommission
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Dorothee Bär„Kultur“ zu einem Ergebnis gekommen ist, nutzen, umsowohl die Kräfte auf der einen als auch auf der anderenSeite zu mobilisieren. Diese Diskussion muss aber im-mer ergebnisoffen geführt werden, weil die Überlegun-gen mit Blick auf eine Grundgesetzänderung sehr wich-tig sind. In der Enquete-Kommission wurde sehr langedarüber debattiert; darauf hat der Kollege Ehrmann be-reits hingewiesen.Abschließend möchte ich sagen: Ich finde es einfachschofel von der FDP, dass sie das jetzt vor den Landtags-wahlen machen will.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Otto?
Bitte.
Bitte schön, Herr Otto.
Ich verlängere Ihre Redezeit. – Liebe Frau Kollegin
Bär, darf ich Ihnen mitteilen – hoffentlich mit Unterstüt-
zung der Obleute des Kulturausschusses –, dass die
FDP-Fraktion monatelang versucht hat, einen gemeinsa-
men, fraktionsübergreifenden Antrag in dieser Frage ge-
radezu wie sauer Bier anzupreisen, und dass Ihre Frak-
tion sich nicht in der Lage gesehen hat, diesen Antrag
gemeinsam mit uns zu tragen?
– Das stimmt absolut und ist im Protokoll festgehalten,
lieber Herr Börnsen.
Moment bitte. Herr Börnsen, Sie haben nicht das
Wort. Herr Otto stellt gerade eine Frage.
Ich ergänze meine Frage: Sind Sie bereit, zur Kennt-
nis zu nehmen, dass ich hier wie auch schon zuvor im-
mer erklärt habe, dass die FDP-Fraktion ihren Antrag so-
fort zurückziehen wird, wenn es einen Gruppenantrag
oder einen fraktionsübergreifenden Antrag gibt? Wenn
Sie sich in Ihrer Fraktion klar darüber werden, sind wir
bereit, unseren Antrag zurückzunehmen. Was daran
schofel ist, müssen Sie mir bitte erklären.
Herr Kollege Otto, dann bitte auch ich Sie, zur Kennt-
nis zu nehmen, dass man sich interfraktionell darauf ge-
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Nein, die sind nicht endgültig abgeschlossen, weil wir,
ie Sie wissen, in der 16. Legislaturperiode sind und
icht mehr in der 15.
ir haben in diesem Haus einstimmig beschlossen, in
er 16. Legislaturperiode den Abschlussbericht abzu-
arten; der ist noch vorzulegen. Dann können wir sehr
ern noch einmal über einen Gruppenantrag diskutieren.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Monika Griefahn von
er SPD-Fraktion.
Lieber Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damennd Herren! Wir haben schon diverse geschichtlicheintergründe als Begründung dafür gehört, warum wirberhaupt über Kultur als Staatsziel diskutieren. Aus-angspunkt war die Enquete-Kommission und derenmpfehlung nach verschiedenen ausführlichen und auchontrovers geführten Diskussionen. Dabei ist dienquete-Kommission zu einer einstimmigen Empfeh-ung gekommen. Die Fraktionen im Deutschen Bundes-ag haben diese aufgegriffen und intensiv darüber disku-iert.Herr Otto, bei Ihren Gesprächen mit den Fraktionenaben wir alle Ihnen signalisiert – ich glaube, Frauonnemann und Herr Ehrmann haben das sehr deutlichemacht –, dass wir große Sympathie für Ihren Antragls solchen haben. Aber große Fraktionen brauchen füro ein Vorhaben ein bisschen länger als kleine Fraktio-en. Ich glaube, Herr Börnsen hat verdeutlicht, dass manuch mit den Ländern übereinkommen muss. Das isteine Sache, die man einmal eben so erledigt.Ich weiß nicht, wer von Ihnen letzte Woche diereude hatte, sich auf Arte noch einmal den FilmRhythm is it!“ anzusehen, dieses sehr bemerkenswerterojekt, das Simon Rattle mit Schülern aus benachteilig-en Gebieten in Berlin gemacht hat. Sie sind zu einerunderbaren Aufführung in der Treptower Arena zu-ammengekommen und viele, die vielleicht nie gedachtatten, dass sie etwas mit Kultur zu tun haben, haben da-urch Selbstbewusstsein gewonnen. Ich war selber iner Treptower Arena und kann mich daran erinnern, dassie Besucher und auch die Eltern dieser Schüler, die sichoch nie klassische Musik angehört haben, wirklich be-eistert mitgemacht haben. Simon Rattle hat daraus dieonsequenz gezogen: Kultur ist wie die Luft zum At-en und wie das Wasser zum Trinken. Ich kann daraus
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Monika Griefahnnur schließen – so heißt es in der SPD-Fraktion –: Kulturist Lebensmittel.
Dass die Enquete-Kommission nach der kontroversenDiskussion diese Empfehlung ausgesprochen hat, ist, sodenke ich, ein Zeichen für die Überzeugungskraft vonArgumenten. Für mich persönlich als Kulturpolitikerinals auch als überzeugte Demokratin und Sozialdemokra-tin bietet unsere Verfassung, das Grundgesetz, ein Gerüstfür unser Zusammenleben. Dieses Gerüst ist nicht nurauf die unverzichtbare Formulierung von Grundrechten,auf die Beschreibung von politischen Spielregeln unddie Organisation des Zusammenspiels im föderalen Sys-tem Deutschlands beschränkt, sondern es beschreibteben auch Strukturprinzipien. Diese machen Deutsch-land zu dem, was es ist: ein Staat, der beispielsweise dasRecht auf freie Meinungsäußerung, den Schutz und dieFörderung von Kindern und Familien, Demokratie undSozialstaatlichkeit zu obersten Verfassungsprinzipien er-hebt. Was bisher vielleicht noch fehlt, ist die geistig-ideelle Dimension unseres Zusammenlebens. Manchedenken, eine Leitkulturdebatte könnte das leisten. Dasglaube ich kaum. Ich denke, dass das Grundgesetz unse-ren gemeinsamen kulturellen Nenner darstellt. Hier ha-ben wir unsere Werte und unsere Kultur auf ein für unsalle geltendes Fundament gestellt. Deswegen ist es auchhöchste Eisenbahn, im Grundgesetz Kultur als Staatszielzu verankern. Eine starke Position der Kultur schafftIdentität und politische Integration.Die europäische Verfassung leistet das bereits. DerVertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaftenthält – das wurde schon gesagt – mit Art. 151 bereitseinen Kulturartikel, der das europäische kulturelle Ver-ständnis hervorhebt. Außerdem haben fast alle Bundes-länder eine Kulturstaatsklausel in ihren Verfassungen. InSachsen wird Kultur explizit zur Pflichtaufgabe erklärt.Vor meinen Augen täte sich eine eklatante Lücke auf,wenn wir Kultur als Basis unseres Zusammenlebensnicht auch im Grundgesetz verankern würden.
Neben der in Art. 5 definierten Kunst- und Wissen-schaftsfreiheit könnte die Verankerung von Kultur alsStaatsziel im Grundgesetz dem SelbstverständnisDeutschlands als Kulturnation in Europa Ausdruck ver-leihen. Das ist das Entscheidende des Kulturbegriffs, wieer sich in der deutschen Nation seit der Zeit der Aufklä-rung entwickelt hat. Der Begriff hat sich seit der Zeit derAufklärung entwickelt und die feudale Rückständigkeitin vielen kleinen Fürstentümern überwunden. Diesengeistigen Fortschritt müssen wir verankern.
Das ist gewissermaßen die Befreiung des Menschen.Mit dem Ausdruck „Kulturnation“ gehen wir in an-dere Länder und gestalten unsere auswärtige Kulturpoli-tik. Damit treten wir in den Dialog über Demokratie ein.Ich glaube, dass wir unser eigenes Bewusstsein für Kul-tur in Situationen wie dem Karikaturenstreit deutlichmachen müssen. Kultur gehört zu unserem Selbstver-ssdgSbIusqahwndCabFKÜeSthFRÜgaaRsZ
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-urfs auf Drucksache 16/387 an die in der Tagesord-ung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Fe-erführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/SU und der SPD wünschen Federführung beim Rechts-usschuss. Die Fraktion der FDP wünscht Federführungeim Ausschuss für Kultur und Medien.Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag derraktion der FDP, Federführung beim Ausschuss fürultur und Medien, abstimmen. Wer stimmt für diesenberweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wernthält sich? – Der Überweisungsvorschlag ist mit dentimmen aller Fraktionen mit Ausnahme der FDP-Frak-ion, die für diesen Überweisungsvorschlag gestimmtat, abgelehnt.Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag derraktionen der CDU/CSU und SPD, Federführung beimechtsausschuss, abstimmen. Wer stimmt für diesenberweisungsvorschlag? – Gegenstimmen? – Enthaltun-en? – Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmenller Fraktionen bei Gegenstimmen der FDP-Fraktionngenommen. Damit liegt die Federführung beimechtsausschuss.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 sowie die Zu-atzpunkte 10 und 11 auf:17 Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Norman Paech, Alexander Ulrich, PaulSchäfer , weiterer Abgeordneter und derFraktion der LINKENAbzug der Atomwaffen aus Deutschland– Drucksache 16/448 –Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss
RechtsausschussVerteidigungsausschussP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
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1800 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. März 2006
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Vizepräsident Dr. Hermann Otto SolmsAbrüstung der taktischen Atomwaffen voran-treiben – US-Atomwaffen aus Deutschlandund Europa vollständig abziehen– Drucksache 16/819 –Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss
VerteidigungsausschussAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten JürgenTrittin, Winfried Nachtwei, Volker Beck ,weiterer Abgeordneter und der Fraktion desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNENNuklearen Dammbruch verhindern – Indien andas Regime zur nuklearen Abrüstung, Rüs-tungskontrolle und Nichtweiterverbreitungheranführen– Drucksache 16/834 –Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieVerteidigungsausschussAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-ner dem Kollegen Alexander Ulrich von der FraktionDie Linke das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Esgibt viele Gründe, warum es gut ist, dass wieder einelinke Kraft im Bundestag vertreten ist. Heute kommt einweiterer hinzu: Mit ihrem heutigen Antrag verfolgt dieLinke als einzige Fraktion im Bundestag eine glaubwür-dige Friedenspolitik.
61 Jahre nach Hiroshima und Nagasaki und 16 Jahrenach dem Ende des Kalten Krieges ist Rheinland-Pfalzein riesiges Atomwaffenlager. Auch angesichts des ge-genwärtigen Irankonflikts gilt es, klarzustellen: KeinLand auf der Welt hat ein Recht auf den Besitz von Mas-senvernichtungswaffen.
Dennoch werden nach Schätzungen von US-Expertenallein im rheinland-pfälzischen Büchel weiterhin20 Atombomben stationiert. Das Atomwaffenlager inRamstein wurde im Frühjahr 2005 angeblich zeitweisegeräumt. Wo die dort bis dahin stationierten 130 Bom-ben derzeit lagern, ist unbekannt. Die Bundesregierunghat sich in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage derFraktion Die Linke geweigert, dazu auch nur ein Wort zusagen. Wahrscheinlich weiß sie, dass eine überwälti-gende Mehrheit der Bevölkerung gegen die weitere Sta-tABgkmEKAmdgdkAsAswAUPwanKhhErrNvsuBrrAAwnewss
Sie stellen eine permanente Bedrohung für die Bevöl-erung dar. Das US-Militär selbst hat in internen Doku-enten immer wieder Zweifel an der Sicherheit der inuropa gelagerten Atomwaffen geäußert. Daraus folgt:atastrophen und Unfälle sind jederzeit möglich undtomwaffenlager sind immer ein potenzielles Ziel fürilitärische oder terroristische Anschläge.Trotzdem hält es die Bundesregierung nicht für nötig,ie deutsche Bevölkerung über die Anzahl, Art und La-erung der Atomwaffen zu informieren. Begründet wirdies zynischerweise auch noch damit, möglichen Risi-en für Bevölkerung und Umwelt vorbeugen zu wollen.uch wenn Deutschland formell keine Atomwaffen be-itzt, ist die Bundeswehr über die nukleare Teilhabe intomkriegsplanungen verstrickt. In Büchel stehen deut-che Piloten mit den Tornado-Kampfjets der Bundes-ehr für Einsätze bereit. Diese Kampfjets können mittombomben ausgestattet werden, vorausgesetzt, derS-Präsident hat diese vorher freigegeben.An die Grünen gerichtet möchte ich sagen: Diesesroblem erledigt sich nicht automatisch im Jahr 2015,ie Sie in Ihrem Antrag suggerieren, weil bis dahin alletomwaffenfähigen Tornados vollständig durch dieeuen Eurofighter ersetzt worden sind.
Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf unsereleine Anfrage mitgeteilt, dass sogar über das Jahr 2020inaus an einer kleinen Stückzahl von Tornados festge-alten wird. Die Bundeswehr soll also weiterhin für deninsatz von Atomwaffen gerüstet sein. Mit der nuklea-en Teilhabe bricht die Bundesregierung ihre völker-echtlichen Verpflichtungen in einer Art, wie sie es beiicht-NATO-Staaten zu Recht nie akzeptieren würde.Der rheinland-pfälzische Landtag hat sich bereits imergangenen Jahr für einen Atomwaffenabzug ausge-prochen. Allerdings hat der dortige Ministerpräsidentnd SPD-Vize mit hervorgehobener Stellung, Kurteck, ebenso wie die komplette rot-gelbe Landesregie-ung diesen Beschluss ignoriert und die Bundesregie-ung bisher nicht aufgefordert, auf einen Abzug dertomwaffen hinzuarbeiten. Auch das können Sie in derntwort auf unsere Kleine Anfrage nachlesen.Kurt Beck hat dieses Thema bei seinem USA-Besuch,ie man Medienberichten entnehmen konnte, bewussticht zur Sprache gebracht, da er – das muss man sichinmal überlegen – nicht die Gastfreundschaft verletzenollte. Wo kommen wir denn hin, wenn ein Ministerprä-ident nicht in der Lage ist, einer befreundeten Nation zuagen, dass der Landtag von Rheinland-Pfalz einen Be-
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Alexander Ulrichschluss zum Atomwaffenabzug gefasst hat? Es ist ebenleichter, Weinfeste zu eröffnen oder Lottoscheine entge-genzunehmen, als mit Freunden unangenehme Themenzu besprechen.
Altkanzler Kohl hat in dieser Woche in Trier gesagt, dassdieser Ministerpräsident ein Opportunist ist. Recht hater!Wir fordern, dass der Bundestag von der Bundes-regierung den Abzug jeglicher Atomwaffen verlangt, diesich auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschlandbefinden, und dass keine Piloten und Flugzeuge derBundeswehr mehr für Atomwaffeneinsätze bereitgehal-ten werden. Würden die anderen hier vertretenen Frak-tionen den Beschlüssen ihrer Landesparteien folgen,müssten wir unseren Antrag mit großer Mehrheit verab-schieden können. Ihre Glaubwürdigkeit steht also aufdem Spiel.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Karl-Theodor Freiherr zuGuttenberg von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Herr Kollege Ulrich, was eine derart unreflek-tierte und einseitige Haltung mit effektiver Friedenspoli-tik zu tun haben soll, das müssen Sie uns einmal erklä-ren.
Sie haben die Antwort der Bundesregierung auf IhreKleine Anfrage angesprochen. Dennoch hätten Sie nichtunbedingt verschweigen müssen, dass es auch innerhalbdes Bündnisses Geheimhaltungsregelungen gibt, dieman nicht so leicht vom Tisch wischen kann, wie Sie esgerade getan haben.Wir diskutieren heute zwei Themenkreise, die ohneFrage in einem gewissen Zusammenhang stehen. Dereine ist der Abzug möglicher auf deutschem Boden stati-onierter Atomwaffen. Der andere, nach einem Antragder Fraktion der Grünen, betrifft die Folgen des indisch-amerikanischen Abkommens. Hier bestehen gewisse Zu-sammenhänge und diese sollen in der Debatte auch nichtzu kurz kommen.Über die grundsätzliche Zielsetzung, die weltweiteAbschaffung aller Massenvernichtungswaffen, wer-den wir uns in diesem Hause einig sein.
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on daher werden Sie dieses Ziel auf die Art und Weise,ie Sie vorgehen, mit Sicherheit nicht erreichen, Herrlrich.Des Weiteren sind die in Deutschland stationiertenuklearwaffen der NATO unterstellt. Demzufolge ist dierage, ob und wann diese abgezogen werden, einerage, die die NATO zu beantworten hat. Sie machen esich zu leicht, wenn Sie, nur um Ihre Tradition antiame-ikanischer Reflexe aufrechtzuerhalten
so ist es doch! Es ist immer wieder dasselbe; lesen Sieoch einmal Ihren Antrag! –,
soliert die USA auffordern, ihre Waffen abzuziehen. Siecheinen die Zusammenhänge noch nicht ganz erkanntu haben. Andernfalls hätten Sie in Ihrem Antrag eineneitrag dazu geleistet, wie eine strategische Neuausrich-ung der NATO aussehen könnte. Doch darüber liestan nichts bei Ihnen. Besonders bemerkenswert ist, dass
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Karl-Theodor Freiherr zu GuttenbergSie sich auf Verteidigungsminister Rumsfeld beziehen.Das hat schon eine besondere Note. Nur sollte dann auchder entsprechende Kontext genannt werden.In die Erwägungen sollte die abgewogene Beurtei-lung einiger Punkte zumindest einbezogen werden: Mitder Verringerung der Zahl der Atomwaffen auf ein, wiees so schön heißt, allianzpolitisches Minimum ist weiter-hin die nukleare Teilhabe der europäischen Bündnispart-ner verbunden; das haben Sie richtig angemerkt. Solangewir eine nukleare Planung und ein gewisses Maß an Nu-klearwaffen innerhalb des Bündnisses haben, ist damitnatürlich auch der Einfluss auf diese Planungen gewähr-leistet. Übrigens ist diese Strategie der NATO, wenn ichdas richtig in Erinnerung habe, erst im Jahre 1999 nocheinmal fortentwickelt und bestätigt worden und die Frak-tion der Grünen hat ihr zumindest nicht widersprochen;auch das ist anzumerken.Einen weiteren Aspekt, der damit im Zusammenhangsteht, will ich eher in Frageform bringen: Kommt es auf-grund einer überhasteten Abkopplung – wenn wir alsoeine Abkopplung von dieser Strategie betreibenwürden – möglicherweise zu einer Desolidarisierung in-nerhalb des Bündnisses? Dazu liest man in Ihrem Antragnur ein wenig, während die Grünen auf Griechenlandund Kanada verweisen. Das ist aber natürlich ein biss-chen dürr. Die Frage ist, wie man dem kreativ begegnenkann. Ich glaube, das Letzte, was wir wollen – mit einerAusnahme wahrscheinlich –, ist eine Destabilisierungund Desolidarisierung innerhalb des Bündnisses. Hier istschon etwas mehr als nur das zu leisten, was in den An-trägen zu lesen ist.
Solange wir uns in einem schrittweisen Vorgehen be-finden, ist es doch auch in unserem Interesse, sich nochein gewisses Mitspracherecht für diese genannten Fällezu bewahren. Ja, meine Damen und Herren, man darfdurchaus auch kritisch hinterfragen, ob die Stationierungvon Waffen, die erst einmal an einen Ort verbracht wer-den müssten, an dem sie zum Einsatz kommen könnten,aufgrund der Erweiterung der NATO und der Europäi-schen Union sowie aufgrund der veränderten Sicher-heitslage noch zeitgemäß ist. Diese Frage darf gestelltwerden. Wenn man diese Frage aber stellt, dann sollteman sie auch mit aktuellen Entwicklungen auf dieserErde koppeln und nicht isoliert behandeln. Man sollte siedann auch in den Kontext stellen, wie sich die gesamteSicherheitslage darstellt. Stichwort „Iran“: Man musssich dabei auch fragen, wo neue nukleare Potenziale ent-stehen. Sie werden Ihrer Verantwortung nicht gerecht,wenn Sie hier so isoliert vorgehen.Um einmal einen einseitigen Zungenschlag von IhrerSeite herauszuarbeiten: Herr Ulrich, wo benennen Sie– die Grünen tun das; man sollte sie auch einmal loben –
beispielsweise die angekündigten Reduzierungen russi-scher substrategischer Nuklearwaffen? Davon liest manbei Ihnen überhaupt nichts. Es ist auch erwartungsge-mäß, dass das nicht der Fall ist. Bezüglich der Amerika-ner machen Sie wieder mal Tabula rasa. Bei Ihnen stehtnnk–caCDldbzeSNAdNnNczbcemSgitespmIsdsfrrEANw
Herr Kollege Trittin, ein Schelm, der hier irgendwel-he wahltaktischen Erwägungen vermutet, wenn manuch an Rheinland-Pfalz denkt.Zur indisch-amerikanischen Vereinbarung, derenharakter mit Sicherheit ambivalent ist.
iese Ambivalenz sollten wir auch herausstellen. Kol-ege Trittin, zu den jeweiligen Punkten in Ihrem Antrag,ie Sie im Hinblick auf diese Vereinbarung genannt ha-en, kann man nur sagen: Sie sind schwer von der Handu weisen. Ich glaube, trotzdem bleibt es für uns einernsthafte und gewichtige Wertungsfrage, ob man, wieie, darin im Wesentlichen eine Erschütterung desichtverbreitungsvertrages sehen will oder ob man dasbkommen trotz aller negativen Implikationen zumin-est auch als partielle Heranführung Indiens an denichtverbreitungsvertrag erachten kann. Das sollten wiricht vergessen, wenn wir diese Bewertung vornehmen.Das eigentliche Problem ist doch weniger, dass derichtverbreitungsvertrag durch das Abkommen als sol-hes geschwächt würde; denn Indien hat ihn nie unter-eichnet. Durch die Vereinbarung werden vielmehr dieekannten Schwächen wieder offensichtlich, Schwä-hen, für die viele Verantwortung tragen – auch die Ver-inigten Staaten. Das wollen wir hier nicht ausklam-ern. Viele tragen hierfür Verantwortung. Diesechwächen liegen aber insbesondere auch in der man-elnden Universalität. Das ist eine der Grundschwächenn diesem Zusammenhang.Wird der Beitritt Indiens zum Nichtverbreitungsver-rag damit unwahrscheinlicher? Für mich ist zunächstinmal nicht erkennbar, dass der Beitritt vorher wahr-cheinlicher gewesen ist. Noch einmal: Lassen Sie unsositiv hervorheben, dass im Kontext dieses Abkom-ens zukünftig zumindest in einem begrenzten Bereichnspektionen der IAEO stattfinden. Das ist ein Zwi-chenschritt hin zu einem zu fordernden Gesamtschritt,en wir politisch dann auch zu flankieren und zu unter-tützen haben.Herr Präsident, ich schließe mit den Fragen – das dür-en wir auch einmal selbstkritisch anmerken –: Wo wa-en in dem Gesamtkontext des letzten Punktes – Ame-ika, Indien – eigentlich wir, die Europäer? Wo war dieuropäische Union? Wo findet hier eine europäischeußenpolitik im Kontext sich verändernder strategischereuausrichtungen und Umstände in der Welt statt?Ich glaube, das ist bei weitem wichtiger, als dass wir,ie auf der linken Seite dieses Hauses, nur auf Bündnis-
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Karl-Theodor Freiherr zu Guttenbergpartner einprügeln. Wir müssen uns über unsere Rolleals solche wieder klar werden und wir müssen uns wie-der bewusst werden, dass wir in diesem Zusammenhangeine weitergehende Aufgabe haben.Herzlichen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Elke Hoff von der FDP-
Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnenund Kollegen! Drei eng miteinander verknüpfte Themenstehen im Zentrum der heutigen Debatte: die nuklearenAmbitionen des Iran, das jüngste Nuklearabkommenzwischen Indien und den USA sowie der Abzug der tak-tischen Nuklearwaffen aus Deutschland.Die Verhandlungen mit dem Iran über dessen mögli-che Ambitionen, Nuklearwaffen herzustellen, steckennach dem Scheitern der russischen Kompromisslösungin der diplomatischen Sackgasse. Die internationaleStaatengemeinschaft ist sich ausnahmslos bewusst, dasshier eine sicherheitspolitische Zeitbombe mit gefährli-chen Auswirkungen auf die Stabilität im Nahen undMittleren Osten und auch darüber hinaus tickt. Wir wis-sen, dass die Chancen der internationalen Gemeinschaft,den Iran von seinem Vorhaben abzubringen, überhauptnur dann vorhanden sind, wenn ein breiter Konsens zwi-schen den Staaten erkennbar ist. Vor allem die Geschlos-senheit der P 5 ist hier entscheidend, wenn der Iran eineAngelegenheit des UN-Sicherheitsrates wird.
In dieser Situation ist es mehr als unglücklich, dassdie Regierung Bush gerade jetzt mit Indien ein Abkom-men über zivile Nuklearkooperation abschließen will.Indien gehört neben Pakistan und Israel zu den Atom-mächten, die sich seit langem weigern, dem nuklearenNichtverbreitungsvertrag beizutreten und die darin fest-gelegten Verpflichtungen zu erfüllen. Wenn dieser bekla-genswerte Zustand jetzt in Form einer nuklearen Partner-schaft sozusagen ein internationales Gütesiegel erhält,untergräbt und schwächt dies das nukleare Nichtverbrei-tungsregime nachhaltig. Der Eindruck, der Besitz von ei-genen Nuklearwaffen auch außerhalb des Vertragswer-kes erhöhe das internationale Profil und sichere Macht,Einfluss und Anerkennung eines Staates, wäre für somanche potenzielle Nuklearmacht ein geradezu unwi-derstehlicher Anreiz.
Natürlich ist Indien die größte Demokratie weltweit,aber das ist nach den Prinzipien des nuklearen Nichtver-breitungsregimes nicht das ausschlaggebende Kriterium.Seine substanzielle Glaubwürdigkeit wird durch die An-wendung von zweierlei Maßstäben – auf der einen SeiteddAhddnsdIetslNatwDsgEweddtHsgrdikNwnndBbdkDlANhrm
Verehrter Kollege Ulrich, es bedarf nicht des Erschei-ens der Fraktion der Linken im Deutschen Bundestag;enn die FDP hat bereits vor knapp einem Jahr hier imundestag einen abrüstungspolitischen Antrag einge-racht, in dem als wichtiges Abrüstungssignal unter an-erem ein Abzug der amerikanischen taktischen Nu-learwaffen aus Deutschland gefordert wurde.
ie FDP hat damit eine Diskussion angestoßen, die seitangem überfällig war und mit den jetzt vorliegendennträgen wieder aufgegriffen wird.Die bis heute in Deutschland stationierten taktischenuklearwaffen sind ein Relikt des Kalten Krieges undaben angesichts der sicherheitspolitischen Herausforde-ungen des 21. Jahrhunderts keine strategische Funktionehr.
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Elke Hoff
Potenzielle Adressaten nuklearer Abschreckung in Staa-ten, die den atomaren Einsatz zu einem legitimen politi-schen Mittel erklären, wären mit diesen Waffen theore-tisch nicht zu erreichen.Der russische Außenminister hat im Sommer 2005verkündet, Moskau sei zu neuen Abrüstungsverhandlun-gen bereit. Der amerikanische VerteidigungsministerRumsfeld hat erklärt, dass er bereit sei, Deutschland undder NATO die Entscheidung zu überlassen. Wir wollen,dass beide hier beim Wort genommen werden.Zum Schluss darf ich feststellen: Die alte Bundesre-gierung hat zwar als Reaktion auf unseren Antrag imvergangenen Jahr zugesagt, das Thema in der NATO zurSprache zu bringen. In den zuständigen NATO-Gremienist dieser Punkt aber bisher noch nicht auf der Tagesord-nung erschienen.Ich frage die neue Bundesregierung: Macht die Statio-nierung von taktischen Nuklearwaffen in Deutschlandnoch Sinn und ist die nukleare Teilhabe nach dem Endedes Kalten Krieges in dieser Form noch begründet? DasForum, in dem über diese Frage nüchtern und sachlichdiskutiert werden muss, sind – das hat mein Vorrednerrichtigerweise gesagt – die Gremien der NATO.Wir hoffen sehr, dass in absehbarer Zeit ein klares Si-gnal zur Abrüstung, das den Prozess weiter befördernkann, zu erwarten ist. Wir als FDP stehen nach wie vorzu dem Antrag, den wir im letzten Jahr eingebracht ha-ben.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Rolf Mützenich
von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Inden vergangenen Wochen haben wir häufig über dieRolle der Atomwaffen, die Krise der nuklearen Rüs-tungskontrolle und die Folgen für die internationale Poli-tik gesprochen. Dies war richtig; denn es gab leider ge-nügend Anlässe dafür.Kollege Ulrich, die Lagerung von Atomwaffen inDeutschland ist ein weiterer Aspekt in diesem Zusam-menhang. Ich finde aber, dass Sie mit Ihrem Antrag zukurz gesprungen sind. Der Kollege Guttenberg hat be-reits einige Zusammenhänge dargestellt. Ich möchte demnoch einiges hinzufügen.Lassen Sie mich begründen, warum Sie mit dem An-trag zu kurz gesprungen und damit den Herausforderun-gen, die Deutschland im Zusammenhang mit Atomwaf-fen hat, nicht gerecht geworden sind: Sie agierenbkAttAgWtWlbdmpfragMfnfkmtgBAdsdgMusmdVaadgh
nders kann ich mir diesen Antrag nicht erklären.Wenn Sie sich ernsthaft mit den Problemen beschäf-igt hätten, dann hätten Sie einige Punkte besser gewich-en müssen. Ich habe mich gefragt, warum Sie nicht dietomwaffen in anderen europäischen Staaten wie Bel-ien oder Großbritannien thematisieren. Sind sie besser?enn wir als deutsches Parlament im europäischen Kon-ext agieren wollen, dann muss man das doch benennen.arum soll das nicht in den Antrag mit hineingehören?Sie haben die Forderung des Kollegen Guttenberg be-ächelt, auch die russischen taktischen Nuklearwaffen zuenennen. Natürlich stehen sie im Zusammenhang mitem Thema. Das hätten Sie in Ihrem Antrag mit aufneh-en können.
Deswegen wiederhole ich: Ihr Antrag ist nur innen-olitisch motiviert. Er wird den internationalen Heraus-orderungen nicht gerecht.Ich komme zu einem weiteren Punkt, den Sie in Ih-em Antrag angesprochen haben. Ich war damals dabei,ls die von Ihnen zitierte Studie vorgestellt wurde. Esing darum, dass bei einer weiteren Krise im Nahen undittleren Osten möglicherweise europäische Atomwaf-en eingesetzt werden könnten. Das ist meiner Meinungach in keiner Weise herzuleiten; ich halte es auch nichtür belegbar. Wenn es dazu kommen sollte, dann werdeneine Atomwaffen von hier aus eingesetzt; es wäre viel-ehr eine Situation, der wir gemeinsam begegnen müss-en, und zwar nicht mit Alarmismus und solchen Anträ-en, sondern durch eine kluge Politik, mit der Sie dieundesregierung unterstützen könnten.
Es gibt einen weiteren Grund, weshalb Sie mit Ihremntrag viel zu kurz gesprungen sind. Sie beziehen sicharin auf die Überprüfungskonferenz zum Atomwaffen-perrvertrag. Dabei benennen Sie nur die USA, als obas der einzige Akteur wäre, durch den die Konferenzescheitert ist. Bei der Überprüfungskonferenz imai 2005 in New York haben auch der Iran, Frankreichnd Ägypten eine Rolle gespielt. Das war nicht so ein-eitig, wie Sie es darstellen.Es bringt allerdings nichts, nur über verkürzte Zusam-enhänge in Anträgen zu sprechen. Erlauben Sie mireshalb einen Hinweis. Ich habe nichts dagegen, wennerteidigungsminister Jung in den zuständigen Gremienuf das Thema eingehen wird, aber in dem Fall solltenuch die Zusammenhänge berücksichtigt werden, wie eser frühere Verteidigungsminister Struck getan hat. Ichlaube, es lohnt sich, an dieser Stelle die Zusammen-änge zu benennen.
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Dr. Rolf Mützenich
Ich möchte auch auf den Antrag der Grünen eingehen.Sie haben zu Recht auf den Antrag unserer damaligenrot-grünen Koalition hingewiesen, weil darin die Ge-samtzusammenhänge beschrieben worden sind. Ichglaube, es lohnt sich, über beide Anträge eine intensiveDebatte im Auswärtigen Ausschuss, aber auch im Unter-ausschuss für Abrüstung und Rüstungskontrolle zu füh-ren.Der eigentliche Kern, über den wir diskutieren müs-sen, wenn es um Atomwaffen geht, besteht auch in Fol-gendem: Ich selbst habe nach dem Ende des Ost-West-Konflikts gedacht, es gebe eine Chance für Abrüstung,es gebe eine Chance für die Friedensdividende. Leiderist das nicht eingetreten. Wir erleben seit Mitte der 90er-Jahre in diesen Dingen einen Rückfall. Bisher sind esnur die europäischen Länder gewesen, die versucht ha-ben, Regelwerke in die Diskussion einzubringen, diedem Thema der nuklearen Rüstungskontrolle gerechtwerden.Wir haben diese Krise der nuklearen Rüstungskon-trolle, weil Initiativen scheitern. Der umfassende Test-stoppvertrag ist nicht unterzeichnet worden; das festzu-stellen, ist im Zusammenhang mit Indien und den USAganz interessant. Ferner gab es in jüngster Zeit Krisen inBezug auf Nordkorea und den Iran. Wir haben es aberauch mit Ländern zu tun, die sich in diesen Fragensozusagen ein besonderes Recht herausnehmen, wie bei-spielsweise Brasilien im Zusammenhang mit der Uran-anreicherung. Die Rolle, die Kernwaffen und militäri-sche Gewalt spielen können, wird in vielen Ländern neudefiniert, nicht nur in den USA, sondern auch in Russ-land und der Volksrepublik China. Wenn Sie das Themawirklich ernst nehmen würden, hätten Sie diese Ent-wicklungen in Ihrem Antrag aufgreifen müssen.
Ich möchte jetzt zu dem Themenkomplex Indienkommen. Ich glaube, dass die jüngsten Entwicklungen– wir haben am Mittwoch im Ausschuss darüber disku-tiert – leider einen weiteren Schritt darstellen, der in dennächsten zehn oder 20 Jahren die internationale Nuklear-ordnung verändern wird. Ich gebe zu: Gut ist, dass es derInternationalen Atomenergiebehörde in Zukunft mögli-cherweise erlaubt werden soll, 50 oder 60 Prozent derdortigen Anlagen zu inspizieren. Ein abschließendes Ur-teil kann man sich heute noch nicht bilden, weil uns, so-wohl der Öffentlichkeit als auch – wenn ich das richtigverstanden habe – der Bundesregierung, der Text desAbkommens nicht vorliegt. Wir sollten darüber diskutie-ren, wenn wir den Text kennen.Aber eines ist bereits jetzt klar – das hat die Kolleginvorhin sehr deutlich gemacht –: Es wird ein Prinzip desNichtverbreitungsvertrages infrage gestellt, ein Prinzip,das darin besteht: Wir belohnen die Staaten, die aufAtomwaffen verzichten, in Form von Unterstützung. Obwir das nun aus innenpolitischer Sicht für gut halten odernicht: Dieses Prinzip war wichtig und richtig, um Staa-ten an den Atomwaffensperrvertrag heranzuführen. JetztimdhdlVweRCbsVtrntweNtndnwDsmAVgwgadWadnAZhsWhSDke
Auch Folgendes möchte ich noch anführen: Ich hättes verstanden, wenn wir über eine Alternative zumichtverbreitungsvertrag, zum Atomwaffensperrver-rag verfügen würden. Aber die haben wir überhaupticht. Keiner bietet aktuell eine Alternative dazu an, we-er die ständigen Mitglieder des Weltsicherheitsratesoch andere Staaten. Deswegen ist es ja so wichtig, dassir an dem Atomwaffensperrvertrag weiterarbeiten.eswegen war es gut, dass die 25 Staaten der Europäi-chen Union im Mai auf der Überprüfungskonferenz ge-einsam agiert haben. Man muss auch sehen, dass dertomwaffensperrvertrag in den letzten zehn, 20 Jahrenorteile gebracht hat. Denn Südafrika, Brasilien und Ar-entinien haben sich zu diesem Vertrag bekannt, ebensoie einige Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Deswe-en lohnt es sich, diesen Vertrag zu stärken.
Dazu rufe ich die Bundesregierung von dieser Stelleus auf. Ich glaube, dass es notwendig ist, im Rahmener Europäischen Union neue Initiativen mit auf deneg zu bringen, mit denen der Atomwaffensperrvertrag,ber auch die Rüstungskontrolle insgesamt gestärkt wer-en. Wir sollten in diesem Zusammenhang darüberachdenken, ob möglicherweise die Ansätze betreffendbrüstung und Rüstungskontrolle, die die USA in letztereit verfolgen – sie sind zwar sehr einseitig, aber immer-in gibt es welche, wie die PSI-Initiative –, in ein Regel-ystem überführt und institutionalisiert werden sollten.ir brauchen auf jeden Fall ein Regelsystem, das ver-indert, dass Mittelstreckenraketen in die Hände vontaaten gelangen, die sie möglicherweise missbrauchen.azu sind die Ansätze geeignet. Aber es muss einen völ-errechtlichen Vertrag geben. Ich glaube jedenfalls, dasss in den USA relevante Ansätze gibt. Ich finde, es ist
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Dr. Rolf Mützenichhochinteressant, dass Senator Lugar in der „Süddeut-schen Zeitung“ darauf hingewiesen hat, er könne sichvorstellen, dass die USA direkt mit dem Iran verhandeln.Das Parlament und die Bundesregierung sollten das auf-nehmen.Die Rüstungskontrolle hat mitgeholfen, den Ost-West-Konflikt zu überwinden. Dieses Instrument könnteauch bei anderen Rüstungskonflikten und Regionalkon-flikten helfen.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt der Kollege Jürgen Trittin vom
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Abrüstung
und Nichtverbreitung sind aktuelle, aber auch globale
Themen. Global bedeutet ein bisschen mehr als Huns-
rück und Eifel, lieber Kollege Ulrich. Sie haben zwar
Recht, dass wir die taktischen Waffen abziehen müssen;
wir haben dazu entsprechende Vorschläge vorgelegt.
Aber die eigentliche Herausforderung ist in der Tat die
globale Infragestellung des Nichtverbreitungsvertrages.
Der Kern dessen, worüber wir heute diskutieren, ist die
Frage: Gelingt es uns, das Regime der nuklearen Rüs-
tungskontrolle und Abrüstung zu erhalten, oder bewegen
wir uns in eine Richtung, die dazu führt, dass dieses Sys-
tem durchlöchert und schließlich aufgelöst wird? Das ist
gerade vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung um
den Iran von zentraler Bedeutung.
Wir sind klar dagegen, dass sich der Iran unter dem
Deckmantel der zivilen Nutzung der Atomenergie
Atomwaffen verschafft. Wir wollen ihn mit friedlichen,
zivilen Mitteln daran hindern.
Aber in einer solchen Situation muss man alles vermei-
den, was anschließend nach nachträglicher Legitimation
der Argumentation der iranischen Führung aussieht nach
dem Motto „Hier soll ein Sonderrecht allein gegen den
Iran als ein muslimisches Land geschaffen werden“. Ge-
nau das ist die subkutane Botschaft des Abkommens
zwischen den USA und Indien.
Damit ich mich nicht dem Verdacht des Antiamerika-
nismus aussetze,
will ich an dieser Stelle zwei Zitate anführen. Die
„Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ schreibt,
dass mit dem USA-Indien-Deal ein „schlechtes Beispiel
schlechte Schule mache und den internationalen Bemü-
hungen zur Nichtproliferation einen Bärendienst erweise.
Indien wird im Nachhinein belohnt für seine nukleare
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Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen aufen Drucksachen 16/448, 16/819 und 16/834 an die iner Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-en. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.ann sind die Überweisungen so beschlossen.
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Vizepräsident Dr. Hermann Otto SolmsIch rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten KristaSager, Hans-Josef Fell, Kai Boris Gehring, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion des BÜND-NISSES 90/DIE GRÜNENZukunftsfähige Forschung in Europa stärken– Drucksache 16/710 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-nerin der Kollegin Krista Sager vom Bündnis 90/DieGrünen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wirdie Ziele der Lissabonagenda erreichen wollen, dannbrauchen wir zweifelsohne sowohl auf der Ebene derMitgliedstaaten als auch auf der europäischen Ebeneeine deutliche Steigerung der Mittel für die Forschung.Ich denke, darüber sind wir uns alle einig. Jetzt wissenwir – das ist positiv –: Es wird auch auf der europäischenEbene im Zusammenhang mit dem 7. Forschungsrah-menprogramm mehr Mittel für Forschung geben. Wirwissen aber auch: Es wird nicht so viele Mittel für For-schung geben, wie die Kommission in ihrem Vorschlagvorgesehen hat, wenn wir das zugrunde legen, was dieStaats- und Regierungschefs im Dezember auf dem Gip-fel über den mehrjährigen Finanzrahmen vereinbart ha-ben. Wir wissen zwar noch nicht endgültig, was Parla-ment und Rat über diesen mehrjährigen Finanzrahmenvereinbaren werden, wir müssen uns aber darauf einstel-len, dass die Bundesregierung die Frage beantwortenmuss, wie sie angesichts der Situation, dass wir wenigerGeld haben werden, als im Kommissionsvorschlag vor-gesehen war, auf der europäischen Ebene agiert.
Da haben wir einige Bitten und Forderungen. Erstens.Wir möchten Sie auffordern, sich dafür einzusetzen, dassin jedem Fall mögliche Kürzungen nicht über alle Berei-che gleichmäßig verteilt werden, sondern dass in jedemFall der Forschungsbereich gegenüber anderen Berei-chen ein stärkeres Gewicht bekommt. Das brauchen wir.
Zweitens. Wenn es innerhalb des 7. Forschungsrah-menplans gegenüber der Vorlage zu Einschränkungenkommen muss, dann dürfen diese Kürzungen nichtgleichmäßig über alle Forschungsbereiche verteilt wer-den. Es darf schon gar nicht sein, dass bestimmte Mega-projekte wie zum Beispiel ITER einen besonderenSchutz genießen. Wir wollen vielmehr einen Vorrang fürdie zukunftsrelevanten Bereiche, und zwar vor allem fürdie Bereiche, die unter dem Gesichtspunkt der Nachhal-tUrbEEpsUfejrgFmiNssmPtmvWarkneThbguEdIvsigüE
Aus meiner Sicht ist das Thema „Europäischesechnologieinstitut“ noch nicht ausdiskutiert. Die vor-andenen Modelle werfen mehr Fragen auf, als sie heuteeantworten. Es darf keinen Widerspruch zu dem Ansatzeben, die europäische Grundlagenforschung zu stärken,nter anderem durch einen gemeinsamen Forschungsrat.s muss von Anfang an Sorge dafür getragen werden,ass der gemeinsame Forschungsrat kein Instrument vonnteressengruppen wird, schon gar nicht von nationalen;ielmehr muss er wirklich ein Instrument der europäi-chen Grundlagenforschung werden. Wenn das der Fallst, können wir uns damit einverstanden erklären. Wirehen davon aus, dass die Bundesregierung uns laufendber die weitere Entwicklung auf der europäischenbene informiert, damit wir vom Parlament aus weiter
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Krista Sagerzeitnah verfolgen können, wie die Weichen gestellt wer-den.Danke schön.
Das Wort hat der Kollege Carsten Müller von der
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Wissenschaft und Forschung habenfür Deutschland und auch für die Europäische Unioneine ganz herausragende Bedeutung. Innovationen sindfür eine dauerhaft wachsende Volkswirtschaft lebensnot-wendig. Das war zwar bisher schon so; dieser Aspektwird in Zukunft aber eine noch größere Bedeutung be-kommen.Sowohl die EU als auch Deutschland liegen im Ver-gleich der Forschungsaufwendungen hinter den USAund Japan zurück. Nur durch eine Steigerung der An-strengungen ist es möglich, den uns bevorstehenden He-rausforderungen zu begegnen und gesetzte Ziele zu er-reichen.Die neue Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt,Forschung und Wissenschaft voranzutreiben.
Der hohe Stellenwert der Forschung geht aus dem Koali-tionsvertrag ganz deutlich hervor. Die Bundesregierunghat sich dort bezüglich der Bereiche Forschung und Ent-wicklung auf wichtige zusätzliche Maßnahmen geeinigt.Bis zum Jahr 2009 werden zusätzlich 6 Milliarden Eurofür besonders zukunftsträchtige Forschungs- und Ent-wicklungsvorhaben zur Verfügung gestellt. Dadurchwerden Querschnitts- und Spitzentechnologien unter-stützt und verbesserte Rahmenbedingungen für die deut-schen Forschungseinrichtungen und Unternehmengeschaffen. Ziel dieser Innovationspolitik ist es, die Ver-bindung zwischen Forschung und Zukunftsmärktenauszubauen.Deutsche Unternehmen gehören auf wichtigen Tech-nologiefeldern, zum Beispiel auf dem Gebiet der erneu-erbaren Energien, bereits heute zur internationalenSpitze. Die damit verbundenen Marktchancen werdenbislang leider noch nicht in vollem Umfang genutzt. Dasmuss sich dringend ändern.
Auch die EU muss auf die Herausforderungen ange-messen reagieren. Wir müssen deswegen in europäi-schen Dimensionen denken. Wichtige Forschungsvor-haben sind heute technisch und finanziell praktisch nurnoch im europäischen Maßstab durchführbar. Dabeidenken Sie, Frau Sager, wie ich zum Beispiel an Galileooder auch an ITER.esWjkwjwawttbbFcRbgErmDgoZsgvwLw2rkwsiiapmizmgmf
Bei den Bemühungen der EU müssen wir darauf ach-en, dass neue europäische Forschungsinfrastruk-uren nur in den Bereichen gefördert werden, in denenereits vorhandene nationale Einrichtungen diese Aufga-en nicht ausfüllen können. Hierbei sollen bestehendeorschungseinrichtungen stärker an die gemeinschaftli-he Forschungsinfrastruktur angebunden werden. Imahmen der europäischen Forschungspolitik ist es dabeiesonders wichtig, dass das Forschungsrahmenpro-ramm einen europäischen Mehrwert generieren muss.s darf nicht zulasten der nationalen Forschungsförde-ung gehen. Ein europäischer Forschungszentralismususs unbedingt vermieden werden.
ie Unionsfraktion und auch die Fraktion der SPD sindanz froh darüber, dass die neue Bundesregierung dasffensichtlich auch so sieht.Mit der Erklärung von Lissabon hat sich die EU dasiel gesetzt, Europa an die Spitze der Wissensgesell-chaften zu führen. Mit dem Forschungsrahmenpro-ramm soll Europa zur stärksten Forschungs- und Inno-ationsregion werden. Dieses Ziel wird in diesem Hausohl von allen Fraktionen gemeinsam getragen. Dieaufzeit des 7. Programms ab dem 1. Januar 2007urde sinnvollerweise der finanziellen Vorausschau von007 bis 2013 angepasst. Das bietet den Forschungsein-ichtungen eine wesentlich größere Planungssicherheit.Leider – darauf ist Frau Sager schon eingegangen –onnte auf europäischer Ebene nicht alles wie ge-ünscht im 7. Programm verankert werden. Die vorge-ehene finanzielle Ausstattung wurde nicht erreicht. Esst jedoch dem großen Einsatz der Bundesregierung undnsbesondere der Bundeskanzlerin zu verdanken, dassm Ende ein tragfähiger und auch finanzierbarer Kom-romiss steht. Im Jahr 2013 werden die EU-Forschungs-ittel 75 Prozent über denen des Jahres 2006 liegen. Dasst ein unbestreitbar großer Erfolg.
Die nächste Stufe bei der notwendigen Einigung be-üglich der finanziellen Vorausschau ist die Einigungit dem Europäischen Parlament. Der Start des Pro-ramms kann dann am 1. Januar 2007 zeitlich parallelit der deutschen Ratspräsidentschaft erfolgen und er-olgreich vollzogen werden.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. März 2006 1809
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Carsten Müller
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir, dass ichdrei für die Union wichtige Gesichtspunkte hier nocheinmal genauer benenne:Erstens. Eine Verfahrensverbesserung im Vergleichzum 6. Programm ist bei der Programmbeteiligungkleiner und mittelständischer Unternehmen zu errei-chen. Insbesondere das derzeitige Antragsverfahren hatsich als zu kompliziert erwiesen. Es kann tatsächlichnicht angehen, dass kleine und mittelständische Unter-nehmen eigene Experten beschäftigen müssen, um dieAntragsformulare bearbeiten zu können. Das muss geän-dert werden.
Zweitens. Neu ist der Bereich der Sicherheitsfor-schung. Dieser muss weit gefasst werden. Der Schutzvor Unterdrückung, Krankheit und Hunger wie auch derSchutz vor Katastrophen durch Terror oder Naturereig-nisse ist einzubeziehen. Europa muss vor dem Hinter-grund wachsender terroristischer Gefahren und zuneh-mender Umweltkatastrophen Antworten auf dieveränderte Sicherheitslage finden. Ich halte es für falsch– das sage ich mit Blick auf den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen –, dass sinnvolle Forschung nur aufgrund ei-nes eventuell möglichen Dual-Use-Charakters aus ideo-logischen Gründen abgelehnt wird. Der vorliegende An-trag trägt zudem leider nicht dazu bei, eine praktikableAbgrenzung zwischen Sicherheits- und Militärforschungzu finden.Angesichts der veränderten Bedingungen im alltägli-chen Leben durch die Gefahren von Terrorismus undKriminalität ist es wichtig, dass der Bereich der Sicher-heitsforschung auch eine Entsprechung auf europäischerEbene findet. Ihnen ist der Bereich der Sicherheitsfor-schung leider nur eine kurze Erwähnung wert.Drittens. Ein weiterer grundlegender Bereich ist dieEnergieforschung. Vor dem Hintergrund der Verknap-pung fossiler Brennstoffe sowie der notwendigen Ver-sorgungssicherheit des europäischen Wirtschaftsraumsmuss ein bezahlbarer und vernünftiger Energiemix dasklare Ziel sein. Um das zu erreichen, müssen die For-schungsanstrengungen in diesen Bereichen enorm ver-stärkt werden.
Die Aufnahme der Energieforschung als speziellesThemenfeld in das 7. Programm ist deshalb ausdrücklichzu begrüßen. In diesem Zusammenhang ist es von vor-rangiger Bedeutung, dass diesbezügliche Forschungs-projekte zunächst einmal ohne ideologische Scheuklap-pen geprüft werden; ihre Potenziale müssen gesehenwerden. Ich möchte Ihren Blick hier besonders auf lang-fristige Projekte richten und erwähne in diesem Zusam-menhang noch einmal ITER.Unerlässlich ist es jedoch, dass das gesamte7. Forschungsrahmenprogramm unter allen Umständenunter der Maßgabe des Exzellenzprinzips aufgebautusrdmBAnhBs–ebrskdECgIMpdSksleMgdÜDörgdd
Bündnis 90/Die Grünen haben zum 7. Forschungsrah-enprogramm einen sehr wortreichen Antrag vorgelegt.emerkenswert ist, wie Sie Ihre Schwerpunkte setzen.n der einen oder anderen Stelle scheinen tatsächlichoch sehr stark Ideologie und Dogmatik durch. Sie zie-en dadurch Grenzen, die gerade für die dynamischenereiche Forschung und Wissenschaft kaum hilfreichind. Ich will Ihnen einige wenige Beispiele nennen:Nehmen wir den Bereich „Ökologischer Landbau“.
Gerne, es gibt genügend, Herr Barth. – Unbestrittenin wichtiger Bereich, aber es kann nicht ernsthaft einesonders herauszustellender Aspekt des 7. Forschungs-ahmenprogramms sein.
Ein weiteres Beispiel für außerordentliche Themen-preizung liefern Sie in Ihrem Antrag im Kapitel „Ver-ehr“. Sie erwähnen dort außergewöhnlich ausführlichen Bereich Carsharing. Man könnte beim Lesen denindruck bekommen, dass Ihnen die Untersuchung vonarsharing genauso wichtig ist wie die Nanotechnolo-ie.
ch glaube tatsächlich, dass wir das auf ein gesundesaß zurückführen sollten.Insgesamt fällt auf, dass die thematische Schwer-unktbildung und der Blick für die großen Dimensionenes 7. Forschungsrahmenprogramms nicht unbedingt dietärke von Bündnis 90/Die Grünen ist. Alles in allemann leider so dem vorliegenden Antrag nicht zuge-timmt werden.Meine Damen und Herren, Sie gestatten mir eineetzte Ausführung: Für Wissenschaft und Wirtschaft gehts in nächster Zeit vor allem darum, sich auf die neuenanagementregeln des 7. Forschungsrahmenpro-ramms einzustellen. Wir müssen uns darum kümmern,ass es einen möglichst reibungslosen und fließendenbergang vom sechsten zum siebten Programm gibt.azu sind die endgültigen Regelungen frühzeitig zu ver-ffentlichen. Wir rechnen insofern auch auf die Koope-ation der Bundesregierung.Wir glauben, dass das 7. Forschungsrahmenpro-ramm ein großer Erfolg wird. Das wird nicht zuletzt da-urch gewährleistet, dass es parallel mit dem Beginn dereutschen Präsidentschaft auf EU-Ebene gestartet wird.
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1810 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. März 2006
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Carsten Müller
Herr Kollege Müller, das war Ihre erste Rede im
Deutschen Bundestag. Ich gratuliere Ihnen im Namen
des Hauses dazu sehr herzlich.
Das Wort hat jetzt der Kollege Uwe Barth von der
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!Lassen Sie mich zunächst auf das Positive eingehen. Dervorliegende Antrag führt eine Reihe richtiger Ansätzeauf: die europäische Sicherheitsforschung, den Europäi-schen Forschungsrat, die Wasserstoffforschung und dieEnergiespeicherforschung. In ganz wesentlichen Teilenist der Antrag aber eine nochmalige Zurschaustellungvermeintlicher Erfolge einer in Wahrheit verfehlten rot-grünen Forschungspolitik in Deutschland.
Das, was Sie, Frau Sager, hier als Prioritätensetzung be-zeichnet haben, ist in Wahrheit der Versuch, über das7. Forschungsrahmenprogramm trotz nicht mehr vorhan-dener Mehrheit Ihre Forschungspolitik fortzusetzen.Schon die einleitenden Feststellungen rücken die Be-deutung der Brüsseler Forschungspolitik in ein völligfalsches Licht.
Mehr Geld für Brüssel zu fordern, damit die EU-Admi-nistration mehr Geld für Forschung aufwenden kann,führt in eine Sackgasse. Auf der einen Seite reden wiruns hier im Hohen Hause die Köpfe über eine Föderalis-musreform und die damit verbundene Reform derFinanzverfassung heiß, auf der anderen Seite wird abermit diesem Antrag der Versuch unternommen, das in derEU geltende Subsidiaritätsprinzip zulasten der Mit-gliedstaaten zu unterwandern.
Das ist nicht der richtige Weg.
Ebenso ist der Verweis darauf, dass die EU-Mitglied-staaten im Durchschnitt nur knapp 2 Prozent ihres BIP inForschung und Entwicklung investieren, noch langekeine ausreichende Begründung dafür, das Budget derEU zu erhöhen. Europa kann nicht all das reparieren,was in den Ländern versäumt wird.
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o geht es nicht.Auch Deutschland ist mit seinen knapp 2,5 Prozentm Jahr 2004 nicht in der Spitzengruppe der euro-äischen Länder zu finden. Aber bei steigenden-und-E-Ausgaben in der Wirtschaft hat sich der Anteiler öffentlichen Hand deutlich verringert. Der Berichtes Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft hatns diese Entwicklung deutlich vor Augen geführt.Das zeigt: Jedes Mitgliedsland muss seine Hausauf-aben machen und klare Zielsetzungen im eigenen Landaben, um die Lissabonstrategie bis 2010 zu verwirkli-hen.
ns bleiben dafür noch viereinhalb Jahre. Das 7. For-chungsrahmenprogramm startet aber erst 2007 und gehtis 2013. Stellen wir uns doch einmal selbst die Frage,b wir daran glauben, dass Deutschland im Jahr 2010it dem Transrapid die Ziellinie überfährt. Hier sindoch deutliche Zweifel angebracht.Gingen wir den Feststellungen in diesem Antrag aufen Leim, dann würden wir nachträglich auch Ja sagenu einer aus unserer Sicht katastrophalen und verfehltennergieforschungspolitik von Rot-Grün. Herr Müller hatas Beispiel ITER schon angesprochen.Wenn wir diesem Antrag zustimmten, würden wir unsuch der Auffassung anschließen, dass ein Forschungs-erbot in einem Land automatisch die Forschungsförde-ung in allen anderen Ländern verbietet.
ch denke da an die biotechnologische Forschung undesonders an die Stammzellforschung. Warum drehenir diese Forderung nicht um? Was in einem Land er-aubt ist, soll in den anderen Ländern ebenfalls erlaubtein.
umindest sollte die Kriminalisierung der Forschung imusland beendet werden. Das wäre ein freiheitlicher An-atz; so entstünde Wettbewerb.
ber das ist mit Ihrer Regelungswut und vor allem mithrem Anspruch, quasi die letzte Instanz in allen morali-chen Fragen in diesem Universum zu sein, natürlichicht zu vereinbaren.
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Uwe BarthMeine Damen und Herren, die Grünen haben es ge-schafft, dass Deutschland seine Führungsposition in derkerntechnischen Forschung verloren hat. Nun wollensie an Euratom heran. Ich sage: Achtung! Das hat lang-fristig negative Konsequenzen für die Sicherheit derKernreaktoren in Europa und stellt letztlich eine Gefahrfür alle Europäer dar. Die Grünen wollen nicht wahrha-ben, dass die Kernenergie in Europa wieder auf demVormarsch ist
und von den Menschen wieder als Bestandteil einer si-cheren Energieversorgung angesehen wird. Deshalb– und damit wir die größtmögliche Sicherheit errei-chen – brauchen wir auch in diesem Bereich eine leis-tungsfähige Forschung in Europa.Ergebnis der Betrachtung: Den Geist dieses Antrageskönnen wir nicht mittragen. Wir müssen ihn daher ableh-nen.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege René Röspel von der SPD-
Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Es ist immer wieder gut und schön, über For-schung und Wissenschaft, Bildung und Entwicklung indiesem Hause sprechen zu können, vor allen Dingenfreitags nachmittags vor „vollem“ Haus, wenn manschon überlegen muss, wie man gleich nach Hausekommt. Es macht Spaß, hier über Forschung zu spre-chen, vor allen Dingen weil es ein Bereich ist, in demwir in den letzten Jahren auch von dieser Stelle als Bundeine Menge haben bewegen können. Ich glaube, dass wirauch in den nächsten Jahren gemeinsam eine Menge be-wegen können.
Bildung und Forschung sind von zentraler Bedeutung fürdie Zukunft unserer Gesellschaft. Deswegen ist es gut,dass dieses Thema immer wieder Eingang in dieses Hausfindet.
Die Regierungen der Mitgliedstaaten der Europäi-schen Union haben auf ihrem Gipfeltreffen imMärz 2000 in Lissabon die so genannte Lissabonstrate-gie beschlossen. Danach soll Europa – ich zitiere – „biszum Jahr 2010 der wettbewerbsfähigste und dyna-mwsdLFldD1llSSdSL–msMsmFsdddkshDdmnfnlr
Wenn Sie mir diesen Diskurs erlauben – Herr Barth,ie sind ja noch neu in diesem Haus –: Das sind Zahlen,ie sich jede FDP-Regierung erträumt hätte. Das habenie in den letzten Jahren Ihrer Regierungszeit für diesesand leider nicht erreicht.
Die FDP hat noch nie regiert? Dann schauen Sie ein-al nach. Die FDP ist die Partei, die am längsten in die-em Land an der Regierung gewesen ist.
it den Folgen müssen wir seit 1998 umgehen.Wenn Sie sich einmal anschauen, wie sich die Wis-enschaftsorganisationen äußern – die Helmholtz-Ge-einschaft lobt die Aktivitäten der letzten Jahre, dieraunhofer-Gesellschaft und die Max-Planck-Gesell-chaft äußern sich sehr zufrieden über die Zuwächse inen letzten Jahren –, dann würden Sie diese Situation an-ers darstellen, als Sie es vorhin getan haben.
In diesem Zusammenhang bietet es sich an, einmaleutlich zu machen, welche zentrale Rolle Sozialdemo-ratinnen und Sozialdemokraten dabei spielen, diese Ge-ellschaft moderner und zukunftsfähiger zu machen. Wiraben mit unserem alten Koalitionspartner Bündnis 90/ie Grünen die Trendwende 1998 eingeleitet und Bil-ung und Forschung wieder zu einem Toppthema ge-acht. Wir sind froh, dass wir diese Politik mit demeuen Koalitionspartner CDU/CSU gleichermaßen er-olgreich in der Zukunft gestalten können. Diese Konti-uität ist wichtig für das Land.
Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung. Sie haben re-ativ polemisch – das ist für einen Physiker über-aschend – in Sachen Energietechnologie argumentiert.
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René RöspelWir sind in Sachen Kernfusion sicherlich näher bei denGrünen. Das ist gar keine Frage.
Schauen Sie sich einmal an, welche Bedeutung dieKernenergie noch hat, obwohl es am 26. April vor20 Jahren die Katastrophe von Tschernobyl gab. Ausdiesem Anlass werden wir uns sicherlich mit den Men-schen beschäftigen müssen, die in Belarus leben und vondieser Katastrophe betroffen waren und sind.
Wir müssen unter diesem Gesichtspunkt die Diskussionüber die Atomkraft führen.Wenn Sie betrachten, was wir in den letzten Jahren imBereich der erneuerbaren Energien mit dem Erneuer-bare-Energien-Gesetz geschaffen haben – damit sind wirWeltmeister auf diesem Gebiet; andere Länder nehmensich ein Beispiel daran –, wenn Sie bedenken, dass wirin Sachen Windkraftenergie mittlerweile führend sind
– das sage ich als Abgeordneter eines Wahlkreises imRuhrgebiet, wo die Stahlindustrie eine große Rolle ge-spielt hat, wo jetzt aber die Windenergie und die erneu-erbaren Energien zugunsten des Umweltschutzes undder Zukunftstechnologien einen großen Anteil haben –,dann hätten Sie vielleicht eine andere Rede gehalten.
Herr Kollege Röspel, erlauben Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Fell?
Ja, wenn ich meinen Zug noch erreiche.
Bitte eine kurze Zwischenfrage, Herr Kollege Fell.
Herr Kollege Röspel, Sie haben gerade dargestellt,
wie stark die Aufwendungen für erneuerbare Energien
sein sollten und wie problematisch die Aufwendungen
für die Kernenergie sind. Ich teile diese Aussage. Kön-
nen Sie eigentlich mittragen, was im Entwurf des 7. For-
schungsrahmenprogrammes und des Euratom-Program-
mes vorgesehen ist? Danach sollen etwa 3 Milliar-
den Euro für die Kernenergie ausgegeben werden. Für
die erneuerbaren Energien hingegen sollen – man
kann es noch nicht endgültig sagen – schätzungsweise
300 bis 400 Millionen Euro, also etwa nur ein Zehntel
der Aufwendungen für die Kernenergie, ausgegeben
werden. Halten Sie dieses Verhältnis für richtig?
Ich würde mir ein anderes Verhältnis wünschen.ASiäemczgggETEsAndAgdslbgÜvgJtUifAgAPddwswwd
us den letzten Jahren, lieber Herr Kollege Fell, wissenie allerdings auch, dass wir es auf europäischer Ebenemmer sehr schwer gehabt haben, dieses Verhältnis zundern. Aus zukunfts- und umweltorientierter Sicht gibts keine Alternative zu den erneuerbaren Energien. Manuss also auch auf europäischer Ebene für diesbezügli-he Veränderungen sorgen.
Wir diskutieren heute über den Antrag der Grünenum 7. Forschungsrahmenprogramm. Dabei ist eine ins-esamt erfreuliche Entwicklung festzustellen, wenn-leich wir vom 3-Prozent-Ziel, das sich die Regierungenesetzt haben, auf deutscher wie auch auf europäischerbene noch weit entfernt sind.Der Antrag der Grünen – um auf das eigentlichehema zu sprechen zu kommen – enthält viele positivelemente. Dort werden viele Gemeinsamkeiten darge-tellt, die vom gesamten Haus getragen werden können.llerdings gibt es eine ganze Reihe von Punkten, zu de-en wir Fragen haben.Es ist Aufgabe der Opposition – das wurde auch iner Zwischenfrage deutlich –, mehr Geld zu fordern.ber wir konnten in unserer gemeinsamen siebenjähri-en Regierungszeit auf europäischer Ebene feststellen,ass das nicht immer einfach zu realisieren ist. Ich ge-tehe Ihnen also zu, diese Forderung im Antrag zu stel-en, wenngleich sie nicht einfach zu erfüllen ist.Offenere und flexiblere Strukturen zu fordern, damitin ich einverstanden. Es hat auch niemand etwas dage-en, die Effizienz der eingesetzten Mittel zu erhöhen.ber den Abbau von Bürokratie hat der Kollege Mülleron der CDU/CSU-Fraktion schon eine ganze Mengeesagt.
eder wird dazu Ja sagen.Im 6. Forschungsrahmenprogramm war die Ausrich-ung darauf angelegt, gerade für kleine und mittlerenternehmen eine Verbesserung hinzubekommen. Diesst nicht erreicht worden. Also bleibt dies eine Aufgabeür die Zukunft und für uns. Das ist dringend notwendig.ber es scheitert an der Realität.Wenn Sie von den Grünen allerdings die Bundesre-ierung auffordern – wie zum Beispiel auf Seite 5 Ihresntrages –, dafür Sorge zu tragen, „dass KMUs an denrogrammen des Bereichs Zusammenarbeit mindestensie 15 Prozent aus dem 6. FRP erreichen“, so kann manas zwar formulieren. Ich glaube aber, dass man dann,enn man für die Antragstellung ein offenes, nach be-timmten Kriterien festgelegtes Verfahren einführenill, nicht von vornherein Quoten festsetzen kann. Manird vielmehr erst im Nachhinein feststellen, wie hocher Anteil war. Es liegt außerhalb der Möglichkeiten der
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. März 2006 1813
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René RöspelBundesregierung – diese ist ja der Adressat Ihres Antra-ges –, Einfluss zu nehmen.Wenn Sie auf Seite 5 die Bundesregierung auffordern,„dass neben dem Auswahlkriterium der Exzellenz beider Förderung auch das Anwendungspotenzial der Inno-vationen berücksichtigt wird“, dann hört sich das auf denersten Blick gut an. Aber bei genauerem Nachdenken– das ist zumindest mir so gegangen; das soll ja hin undwieder vorkommen – stellt sich die Frage, ob es in derTat sinnvoll und möglich ist, Exzellenz und Anwen-dungspotenzial gleichermaßen als Anforderung zu pos-tulieren. Gerade im Bereich der Grundlagenforschung istdas Anwendungspotenzial in der Regel nicht absehbar.Wilhelm Conrad Röntgen hätte nie gedacht, dass er eineanwendungsorientierte Forschung betreiben würde, alser sich mit Röntgenstrahlen befasste.In der Tat stellen sich folgende Fragen: Was ist, wenndas Vorhaben zwar exzellent ist, aber kein Anwendungs-potenzial hat? Scheidet es deswegen aus?
Oder umgekehrt: Was ist, wenn das Anwendungspoten-zial offensichtlich und groß ist, aber keinerlei Exzellenzvorhanden ist, weil dies nicht notwendig ist? Scheidetdieses Vorhaben dann ebenfalls aus? Ich finde, über die-sen Bereich sollten wir noch nachdenken.Nebenbei offenbart sich da eine Schwachstelle der ge-samten Exzellenzdiskussion, die wir seit einigen Jahrenführen. Sie sollten sich in Erinnerung rufen, dass wir vorzwei Jahren eine Diskussion über SARS, über eine Seu-che, die von China ausging und durch Viren übertragenwurde, geführt haben. Es waren in der Tat deutsche For-scher, die als Erste das Genom des SARS-Erregers ent-schlüsselten. Herr Barth, dieser Erfolg kam übrigens da-her, dass die Genomforschung durch die rot-grüneRegierung sinnvollerweise extrem gefördert wurde. AmEnde waren deutsche Forscher bei der Analyse und derBehandlung der Erkrankung durch den SARS-Virus füh-rend.Warum war das so? Schlicht und einfach deshalb,weil Deutschland es sich erlaubt hat, eine Nischenfor-schung weiter zu fördern, die es in anderen Ländernnicht mehr gab oder die es, wenn es die SARS-Fällenicht gegeben hätte, nicht mehr geben würde, weil sie zuuninteressant war. Für SARS- oder ähnliche Viren hatsich niemand interessiert. Weil unabhängig von dem Kri-terium Exzellenz die Wirkung dieser Forschung wegender Größe der Forschergruppen überhaupt nicht messbarwar, haben wir es uns erlaubt, dieses Gebiet zu fördern.Dies ist vielleicht ein Grund dafür, noch einmal darübernachzudenken, ob wir nicht außerhalb der Exzellenzdis-kussion auch andere Bereiche betrachten sollten.
Was den Europäischen Forschungsrat anbelangt,fordern Sie, technologische, naturwissenschaftliche undgeisteswissenschaftliche Projekte gleichermaßen zu för-dern. Ich sage aus meiner Sicht: Die Stärke des Konzeptsdes Europäischen Forschungsrats ist gerade die Autono-mdrcmgmSzhsuVsuSRdIdTWFDmswkntEzaseeJEki1c
ch muss als Letzte reden und habe nur vier Minuten Re-ezeit. Wer in vier Minuten angemessen über dieseshema reden will, muss ein kleines Wunder vollbringen.under – das wissen Sie – ersetzen im Allgemeinenorschung und Wissen ohnehin.
eshalb kann ich nur ein paar wenige grundsätzliche Be-erkungen machen.Dass es so ein komplexes Programm wie das For-chungsrahmenprogramm gibt, ist natürlich eine derichtigsten Leistungen auf der EU-Ebene; das ist völliglar. Es ist schon angedeutet worden, dass es trotzdemicht kompensieren kann, was auf nationaler Ebene un-erlassen wird. So sind die Ausgaben für Forschung undntwicklung in den letzten Jahren – um es wohlmeinendu formulieren – als stagnierend zu bezeichnen. Die Ver-ntwortung dafür liegt wechselseitig sowohl bei dertaatlichen Ebene als auch bei der Wirtschaft.Die EU-Vorgabe besagt ausdrücklich, dass der Staatin Drittel für diesen Bereich ausgeben soll. Insofern ists durchaus richtig, wenn der Bund in den nächsten vierahren 6 Milliarden Euro zusätzlich für Forschung undntwicklung ausgeben will. Allerdings – das ist vorhinurz erwähnt worden – bedürfte es eigentlich Ausgabenn Höhe von 3 Milliarden Euro pro Jahr und nicht von,5 Milliarden Euro, um das angestrebte Ziel zu errei-hen.
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1814 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 23. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. März 2006
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Dr. Petra SitteIch will ein zweites Problem erwähnen. Im Rahmender Föderalismusreform wird es relativ wenige struktu-relle Veränderungen für den Bereich Forschung und Ent-wicklung geben. Damit bleibt auch die direkte Anknüp-fung an die EU-Politik erhalten. Wenn man sich aberandererseits aus der Gestaltung der Rahmenbedingungender Hochschulen heraushält, dann ignoriert man, dassdie deutschen Hochschulen seit vielen Jahren sehr er-folgreich die Einheit von Forschung und Lehre praktizie-ren.
Unter diesem Gesichtspunkt halte ich es für kritik-würdig – man kann auch an die Worte von Herrn Struckheute Morgen anknüpfen –, wenn wir hier darüber reden,weil wir alle ganz genau wissen, was am Ende passiert.Die einzelnen Bundesländer sprechen alle brav bei derIch halte es für ein wenig problematisch, wenn manversucht, nur seine eigenen Positionen in den Antragaufzunehmen, und hofft, dass diese beschlossen werden.Man kann den Versuch natürlich unternehmen, aber dieChancen sind nicht besonders groß. Ich erwähne bei-spielsweise, dass es im Bereich der Weltraumforschungerheblichen Diskussionsbedarf gibt. Ich erwähne da-rüber hinaus die neueren Diskussionen über die Stamm-zellproblematik.Über einige Punkte in Ihrem Antrag besteht durchausnoch Diskussionsbedarf. Bei anderen Punkten sind Sierelativ vage geblieben, beispielsweise beim Europäi-schen Technologieinstitut. Hier habe ich mir an denRand „sehr mutig“ geschrieben. Hier spricht man sichfür eine Prüfung aus. Ich meine allerdings, dass man auf-grund der Vorgeschichte eine eindeutig ablehnende Hal-tung zur Logik Ihrer Gedanken formulieren müsste.EU vor, um aus den einzelnen Fördertöpfen des 7. For-schungsrahmenprogramms zu schöpfen. Schauen Siesich die Präsenz der einzelnen Bundesländer in Brüsseloder Straßburg an! Sie sind ganz unterschiedlich ausge-stattet, was auch mit dem Reichtum der Länder zu tunhat. Diese Disparitäten werden noch stärker zutage tre-ten. Bayern kann zum Beispiel ganz anders agieren alsandere Bundesländer. Vielleicht ist Bayern ein schlech-tes Beispiel und ich ziehe lieber Baden-Württemberg he-ran. Baden-Württemberg kann ganz anders als andereBundesländer auf die Fördertöpfe des Forschungs-rahmenprogramms zugreifen. Ich meine, dass wir mitunseren Entscheidungen diese Disparitäten vertiefen. In-sofern muss es um Entscheidungsstrukturen in der Bun-desrepublik Deutschland gehen, die der europäischenOrganisation Rechnung tragen.Ebenso problematisch ist der Umgang mit den For-schungsgegenständen und -inhalten, die sich hinter denspezifischen Programmen und ihren thematischen Priori-täten verbergen. Zu den Schwerpunktsetzungen – das istvöllig klar – gibt es natürlich unterschiedliche Meinun-gen. Das macht auch der Antrag deutlich. Auch unserer-seits gibt es durchaus Zustimmung und Differenzen. Dasist völlig klar. In diesem Punkt wird der Antrag derBündnisgrünen besonders interessant und diskussions-würdig.qDeAdgesod(DAbschließend möchte ich sagen, dass die Kommuni-uésprache des Antrags das Lesen zu einer mühseligenisziplinübung gemacht hat. Wenn man sich aber in dieinzelnen Abschnitte vertieft, bleibt es eine spannendengelegenheit.Danke schön.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
er Drucksache 16/710 an die in der Tagesordnung auf-
eführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit
inverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überwei-
ung so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
rdnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
estages auf Mittwoch, den 15. März 2006, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.