Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine 'Damen und Herren! Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich dem Kollegen Scharnberg die Glückwünsche des Hauses zu seinem 65. Geburtstag auszusprechen, den er am 28. Juni gefeiert hat.
Der Glückwunsch wäre an sich gestern fällig gewesen; aber es ist eine Übung dieses Hauses, daß an Tagen, an denen wir unserer Trauer Ausdruck geben, nicht zu Geburtstagen gratuliert wird. —Der Kollege Scharnberg ist nicht da; sonst hätte ich einige Worte an ihn gerichtet.
Das Wort zur Tagesordnung hat der Abgeordnete Rasner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Ergänzung der Tagesordnung darf ich bitten, auf Grund einer interfraktionellen Vereinbarung in die heutige Diskussion: dritte Lesung des Bundeshaushaltsplanes, Kapitel Außenpolitik, einzubeziehen den Mündlichen Bericht des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten über die Anträge zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betreffend die deutsche Frage auf künftigen internationalen Konferenzen und der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betreffend Gipfelkonferenz und atomwaffenfreie Zone.
Habe ich Sie recht verstanden: Sie wünschen, daß dieser Fragenkreis in die allgemeine Ausspracheeinbezogen wird?
— Sie wollen also keinen gesonderten Tagesordnungspunkt?
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mommer.
Herr Präsident! Ich bitte, so zu verfahren, wie Herr Rasner vorgeschlagen hat. Zu dem Zweck wäre es richtig, zuerst dem Berichterstatter des Auswärtigen Ausschusses, Herrn Dr. Gradl, das Wort zu seinem Mündlichen Bericht zu geben. Der Umdruck, der dem Bericht zugrunde liegt, wird an die Mitglieder des Hauses alsbald verteilt werden.
Ist das Haus einverstanden? — Das ist der Fall.
Dann treten wir in die Tagesordnung ein:
Fortsetzung der dritten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1958 (Drucksachen 300, 354, 357, 362 bis 365, 378, 400 bis 404, 408, 412, 413, 440 bis 444, 447, 460 bis 468), Zusammenstellung der Beschlüsse des Bundestages in zweiter Beratung (Drucksache 490) (Erste Beratung: 20. Sitzung, zweite Beratung: 34., 35. und 36. Sitzung).
Wir setzen die allgemeine Aussprache in der dritten Beratung beim Kapitel Außenpolitik fort. Verbunden wird damit also der:
Mündliche Bericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten über die Anträge zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betreffend die deutsche Frage auf künftigen internationalen Konferenzen und der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betreffend Gipfelkonferenz und atomfreie Zone (Drucksache 230) — Drucksache 502 —.
Entsprechend dem Beschluß, den wir soeben gefaßt haben, erteile ich das Wort zunächst dem Abgeordneten Dr. Gradl als Berichterstatter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am Schluß der außenpolitischen Debatte am 25. März ist eine Reihe von Anträgen den zuständigen Ausschüssen überwiesen worden. Dazu gehörten auch zwei Anträge der Fraktion der FDP, die Viermächteverhandlungen über die deutsche Frage betrafen. Es handelt sich um den Umdruck 33, Antrag der FDP vom 18. März 1958, und um den Umdruck 40, Antrag der FDP vom 22. März 1958. Diese beiden Anträge sind im Auswärtigen Ausschuß erörtert worden. Ich habe nun über das Ergebnis der Ausschußberatungen Bericht zu erstatten.
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2178 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1958
Dr. GradlIm Auswärtigen Ausschuß sind die beiden Anträge auf meinen-Vorschlag als eine Einheit genommen worden, weil sie substantiell identisch sind.Die FDP-Fraktion beschränkte sich in ihrem Antrag vom 22. März 1958 darauf, im Hinblick auf eine kommende Gipfelkonferenz die Forderung zu formulieren, daß man sich im Zusammenhang mit dieser Gipfelkonferenz oder auf dieser Gipfelkonferenz bei den Vier Mächten für die Aufnahme von Verhandlungen über einen Vertrag für Gesamtdeutschland einsetzen möge. Der andere Antrag sah darüber hinaus vor, daß den Vier Mächten vorgeschlagen werden sollte, ein besonderes Gremium zu schaffen, ein Vier-Mächte-Gremium, eine Art Arbeitsgruppe mit hohem Rang, der das Thema „Lösung der deutschen Frage" zur Beratung übertragen werden sollte.Diese beiden Anträge sind, wie gesagt, im Ausschuß gemeinsam erörtert worden. Um den Bericht abzukürzen und Ihnen das Verständnis der Begründung zu erleichtern, will ich Ihnen zunächst den Antrag in seiner endgültigen Fassung, wie ihn der Auswärtige Ausschuß dem Hohen Hause zur Annahme vorschlägt, zur Kenntnis geben. Der Umdruck wird im Laufe der Sitzung verteilt werden. Der Antrag lautet:Der Bundestag wolle beschließen,Um die Wiederherstellung der deutschen Einheit zu fördern, wird die Bundesregierung beauftragt, sich bei den Vier Mächten, den USA, der UdSSR, dem Vereinigten Königreich und Frankreich, dafür einzusetzen, daß auf einer künftigen internationalen Konferenz oder auch unabhängig davon ein Vier-Mächte-Gremium (mindestens im Range einer Botschafter-Konferenz) mit dem Auftrag gebildet wird, gemeinsame Vorschläge zur Lösung der deutschen Frage zu erarbeiten.Dies ist der Antrag, den der Auswärtige Ausschuß dem Hohen Hause zur Annahme empfiehlt.Zur Begründung oder zur Erklärung des Antrages darf ich noch einige kurze Bemerkungen machen. An den Anfang des Antrages ist das Grundmotiv gestellt, das den Auswärtigen Ausschuß und die Fraktionen bei der Beratung dieses Antrages und seiner Formulierung geleitet hat: die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands. Es bedarf keiner besonderen Begründung, daß das das Ziel einer jeden solchen Überlegung ist. Der Antrag, der nun dem Hohen Hause vorgelegt ist, zeigt in der Tat einen Weg, einen nicht unwesentlichen, vielleicht sogar einmal einen wesentlichen Beitrag zur Lösung der deutschen Frage — und darunter verstehen wir natürlich die Wiederherstellung der staatlichen Einheit unseres Landes — zu leisten.Der Antrag gibt dem Vier-Mächte-Gremium, dessen Bildung zu gegebener Zeit er vorschlägt, die Anregung eines Arbeitsauftrages, gemeinsame Vorschläge zur Lösung der deutschen Frage zu erarbeiten. Das ist eine sehr allgemeine Formulierung, aber sie ist mit Bedacht gewählt worden, um allen Vier Mächten nach allen Seiten den Weg und die Möglichkeit freizuhalten, daß sie auf den Vorschlag, der in dem Antrag enthalten ist, eingehen, ohne sich dabei durch irgendwelche früheren Erklärungen, die sie bei dieser oder jener Gelegenheit einmal zur deutschen Frage abgegeben haben, gehemmt zu fühlen.Die Arbeitsaufgabe ist auch deshalb so allgemein formuliert — und es ist bewußt auf jede Präzisierung dieser Arbeitsaufgabe verzichtet —, weil wir der Überzeugung sind, daß bei ernsthaften Verhandlungen über die Lösung der deutschen Frage doch alles mit einbezogen werden muß, was dem deutschen Problem seine eigentlichen Schwierigkeiten gibt. Infolgedessen ist es, so betrachtet, auch nicht notwendig, den Arbeitsauftrag konkreter zu formulieren, als es mit den Worten dieses Antrages geschehen ist: zur Lösung der deutschen Frage Vorschläge zu erarbeiten.Es versteht sich von selbst, daß es dabei urn die Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands geht, zu der sich die Vier Mächte — alle vier Mächte — in wiederholten und zum Teil feierlichen Erklärungen verpflichtet haben. Es versteht sich von selbst, daß es in diesen Zusammenhängen auch darum geht, in Europa eine Friedensordnung zu finden, die den Sicherheitsinteressen aller Beteiligten, soweit das irgend möglich ist, entspricht. Es ist durchaus denkbar, daß man sich dabei über Vertragsentwürfe und über die Frage, ob ein Vertrag oder ob verschiedene Verträge abgeschlossen werden sollen, sehr sorgfältig unterhalten wird. Alle diese Möglichkeiten sind in dieser allgemeinen Formel des Arbeitsauftrags enthalten; damit sind alle Möglichkeiten geöffnet. Deshalb eben ist auf die Präzisierung des Arbeitsauftrages verzichtet worden.Das Wesentliche dieses Antrags liegt in dem Vorschlag, die Vier Mächte, die als ursprüngliche Besatzungsmächte eine primäre Verantwortung für die Wiederherstellung der deutschen Einheit haben, dazu zu bringen, nun ein besonderes Gremium zu schaffen, das die Lösung der deutschen Frage als eigentlichen Auftrag bekommt. Die deutsche Frage ist auf vielen internationalen Konferenzen nach dem Kriege erörtert worden. Aber niemals hat eine solche Erörterung dazu geführt, daß die Vier Mächte ein Gremium eingesetzt hätten, das wirklich die eigentliche Verantwortung für die Behandlung der deutschen Frage und für ein systematisches stetiges Gespräch auferlegt bekam. Wir erinnern uns, daß es z. B. für die österreichische Frage ein solches Gremium im Rang einer Botschafterkonferenz oder auch zeitweise der. stellvertretenden Außenminister gegeben hat. Eine solche Instanz gab es auch für die Lösung der Triester Frage. Für die deutsche Frage hat es bisher eine solche Institution nicht gegeben.Bei der Erörterung dieses Vorschlags waren wir uns darüber einig, daß, auch wenn ein Viermächtegremium gebildet wird, damit keineswegs eine sichere Gewähr für den Erfolg der Arbeit dieses Gremiums besteht. Wir sind uns auch darüber im klaren, daß damit schon gar nicht die Gewähr für einen schnellen Erfolg gegeben ist. Auf der andern Seite sind wir uns darüber einig und klar, daß anders als
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Dr. Gradldurch sehr mühselige Verhandlungen eine befriedigende und befriedende Lösung der deutschen Frage ohnehin nicht möglich ist. Wenn dieses Ziel erreicht werden soll — und es soll ja erreicht werden —, dann geht das eben nicht anders als dadurch, daß man eine feste Institution schafft, die sich dieser Angelegenheit besonders und verantwortlich annimmt.Ich sagte eingangs, daß die Anträge, die schließlich zu dem jetzigen gemeinsamen Antrag geführt haben, in der außenpolitischen Debatte im März eingebracht worden sind und daß sie gewissermaßen von der Erwartung überschattet waren, in absehbarer Zeit könnte eine internationale Konferenz, eine sogenannte Gipfelkonferenz, zustande kommen. Aber selbst wenn in naher Zeit eine solche Konferenz zusammenträte, wäre dadurch dieser Vorschlag, wie wir meinen, in keiner Weise überflüssig. Im Gegenteil, wenn eine Gipfelkonferenz zustande kommt, kann man von ihr sicherlich nicht erwarten, daß sie die deutsche Frage erschöpfend behandelt und es gewissermaßen bis zu einer vollzugsfähigen Lösung bringt. Bei dem Charakter einer solchen Konferenz und dem üblichen Ablauf können ohnehin nur Grundzüge erwartet werden. Im günstigsten Falle, selbst wenn also eine Gipfelkonferenz die deutsche Frage einer Lösung wirklich näherbringen sollte, wird nachher zweifellos eine besondere Kommission, irgendein besonderes Arbeitsgremium geschaffen werden müssen. Dieses Gremium ist also auf alle Fälle auch im Zusammenhang mit einer Gipfelkonferenz notwendig, und das war mit eine der Überlegungen, die nun zu diesem Antrag geführt haben.Vielleicht darf ich hinzufügen — weil ich glaube, daß auch darüber volle Übereinstimmung bestand —, daß der Gedanke eines besonderen ViermächteGremiums für die deutsche Frage in den Überlegungen des Auswärtigen Ausschusses auch aus folgendem Grunde so positiv betrachtet wurde: wenn eine solche große internationale Konferenz zustande kommt, darf sie, vom deutschen Standpunkt aus betrachtet, auf keinen Fall' so zu Ende gehen, daß für die deutsche Frage nur ein deklamatorisches Ergebnis übrigbleibt und sonst gar nichts. Das mindeste, was wir erwarten und verlangen müssen, ist dann eben der Arbeitsauftrag an eine besondere Gruppe, die sich der deutschen Frage verantwortlich annimmt und' verpflichtet ist, die Erörterungen darüber stetig, dauerhaft und sehr ernst zu führen.In dem Antrag ist gesagt, daß bei diesem Appell an die Vier Mächte, ein Vier-Mächte-Gremium einzusetzen, und dem Auftrag an die Bundesregierung, sich in diesem Sinne zu bemühen, der Blick zunächst auf eine etwaige Gipfelkonferenz gerichtet ist. Aber es heißt in dem Antrag auch, daß dieser deutsche Wunsch auch dann vertreten werden soll, wenn man in absehbarer Zeit nicht mit einer Gipfelkonferenz sollte rechnen können. Es ist durchaus vorstellbar, daß man auch unabhängig von einer Gipfelkonferenz ein solches Vier-Mächte-Gremium schafft.Über die Notwendigkeit brauche ich dem, was schon gesagt worden ist, nichts hinzuzufügen. DieFrage, die sich bei dem Lesen des Antrages aufdrängt, wann denn dieser Vorschlag den Vier Mächten zur Kenntnis gebracht und bei ihnen vertreten werden soll, kann man dahin beantworten, daß man es der Bundesregierung, an die das Hohe Haus durch Annahme des Antrages den Auftrag richten würde, überlassen muß, wann und wie dieser durch Annahme des Antrags deutlich gemachte Wunsch des Hohen Hauses vertreten und durchgesetzt werden sollte.Damit sind, glaube ich, die wesentlichen Punkte des Antrags in der in dieser Debatte gebotenen Kürze begründet. Es handelt sich, wie gesagt, um einen Antrag, den alle Fraktionen dieses Hauses befürworten. Wir geben uns alle, das darf ich abschließend sagen, auch bei diesem Vorschlag keinen Illusionen hin. Alle sind sich darüber im klaren, daß damit vielleicht nur ein ganz winziger Ansatz erreicht wird, um in der deutschen Frage der ersehnten Lösung näherzukommen. Aber so, wie die Dinge sind, muß man jede, auch die winzigste Möglichkeit benutzen, hier weiterzukommen. Das war der Grundgedanke aller, die gemeinsam diesen Antrag dem Hohen Hause unterbreitet haben.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen vor, daß das Problem während der Diskussion über das Kapitel Außenpolitik in der allgemeinen Aussprache mitbesprochen wird und daß wir nicht in eine besondere Diskussion darüber eintreten. Abstimmen würden wir über den Antrag am Schluß der Abstimmungen zum Einzelplan 05. Sind Sie damit einverstanden?
Das Wort hat der Abgeordnete Meyer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich heute zum Haushalt sprechen darf, so möchte ich zunächst der Genugtuung Ausdruck geben, daß dank dem neuen Haushalt das Auswärtige Amt endlich wieder eine Ostabteilung erhalten hat. Gewiß hat auch vorher im Auswärtigen Amt die Pflege der Ostbeziehungen niemals völlig geruht. Gewiß bedeutet die Begründung der Ostabteilung kein Abrücken vom Westen und unseren 'dortigen Freunden. Aber sie ist doch, so möchte ich meinen, eine Unterstreichung der ungeheuren Bedeutung unserer Ostbeziehungen. Sie gibt die erweiterte Möglichkeit, so hoffen wir, zu ihrer besseren Wahrnehmung als bisher.Um so mehr beklagen wir die Tatsache, daß bislang mit der Entwicklung der diplomatischen Beziehungen zu den Ländern zwischen der Sowjetunion und uns noch keine wesentlichen Fortschritte erzielt worden sind. Es ist gesagt worden, daß die Sowjetunion entsprechende deutsche Schritte mißdeuten und annehmen könnte, wir wollten in Warschau oder Prag oder anderswo gegen die Sowjetunion womöglich gar intrigieren. In Wahrheit denken wir
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Dr. Meyer
hieran nicht im Traum — mit Ausnahme lediglich einiger unverantwortlicher politischer Wirrköpfe. Aber wir hätten keine deutsche Diplomatie mehr wert des Namens, wennn sie nicht etwaige sowjetische Besorgnisse auch auszuräumen vermöchte. Wir bleiben uns bewußt, daß der Schlüssel zu allen Ostfragen und der Schlüssel auch zur Wiedervereinigung in der Hauptsache im östlichen Raum liegt. Selbstverständlich denken wir nicht daran, Sondierungen Moskaus etwa zu unterlassen, wenn es sich um die Aufnahme jener Beziehungen handeln sollte.Noch eine große Anzahl anderer Gründe sind gegen die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit jenen Staaten, die zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion liegen, vorgebracht worden Es heißt, daß die Aufnahme solcher diplomatischen Beziehungen virtuell eine Anerkennung der OderNeiße-Linie in sich schließen würde. Aber ich glaube, man kann es völlig klarmachen, daß dies niemals in die Aufnahme von diplomatischen Beziehungen mit jenen Staaten hineininterpretiert werden darf. Es ist ferner gesagt worden, daß Beziehungen von Volk zu Volk wertvoller seien als Beziehungen zu Regierungen. Aber es sind eben leider Regierungen, mit denen die Menschen und die anderen Staaten verhandeln müssen.Man kann auch nicht sagen, daß es uns der Westen etwa verargen könnnte, wenn wir mit jenen Staaten diplomatische Beziehungen aufnähmen, denn der Westen selbst unterhält sie ja, und die amerikanische Botschaft in Warschau ist gewiß nicht gegründet worden, um den Kommunismus zu fördern.
Aber was auch alle diese und noch viele andere Einwände sein mögen: insgesamt — das ist unsere Auffassung — reichen sie nicht aus und können einer exakten Prüfung wirklich nicht standhalten.
Wesentlich ist, daß es fahrlässig, daß es unendlich gefährlich, daß es fast unheimlich erscheinen muß, in diesen weiten Räumen, bei diesen großen Völkern nicht eine einzige amtliche bundesdeutsche Vertretung zu unterhalten
und alle Nachrichten und Beurteilungen nur aus zweiter und dritter Hand zu erlangen, oft sogar aus trüben Quellen. Wie lange soll dieser unbefriedigende Zustand denn dauern? Soll er ungezählte Jahre dauern? Soll es ungezählte Jahre dauern, bis wir diese Beziehungen aufnehmen, obschon doch zu Abrüstungsverhandlungen, zu Wiedervereinigungsverhandlungen, zu Friedensverhandlungen, wenn es zu ihnen kommen sollte, ganz gewiß auch Vertreter der genannten Zwischenstaaten am Verhandlungstisch mitsitzen würden? Welche Vorteile könnten für uns aus solcher unserer Abstinenz erwachsen?Auch John Foster Dulles, der amerikanische Außenminister, erhebt bekanntlich keinen Widerspruch dagegen, daß sich Vertreter dieser Staaten bei Konferenzen einfinden. Und während wir hier zusammensitzen, befinden sich, wenn ich mich nicht täusche, Vertreter Rumäniens, der Tschechoslowakei und Polens neben den Amerikanern am Verhandlungstisch in Genf.Ich kann verstehen, daß manche zögern, daß manche sagen: Laßt uns vorerst nur Wirtschaftsvertretungen einrichten! Freilich weiß ich nicht, wie sich jene Staaten hierzu stellen, also ob sie hiermit einverstanden sein würden. Aber gesetzt, sie wären es, so können Wirtschaftsbeziehungen —hierüber müssen wir uns völlig klar sein — diplomatische Beziehungen doch nicht ersetzen. Wirtschaftsdelegierte haben im allgemeinen keinen Zugang zu den Außenämtern, keinen ausreichenden Verkehr mit dem Diplomatischen Korps.Nur warnen kann man vollends davor, etwa auf innere Umwälzungen oder Revolutionen in den Oststaaten warten oder mit solchen Vorgängen auch nur rechnen zu wollen. Erstens wissen wir nicht, ob Umwälzungen kommen werden; in der Außenpolitik darf man spekulativen Erwartungen nicht zu großen Raum geben. Zweitens wissen wir nicht, ob uns die neuen Regierungen überhaupt günstig wären, und drittens käme eine solche Haltung im Kern einer Einmischung in innere Angelegenheiten anderer Staaten nahe. Und vor nichts — so wage ich zu erklären — hat sich unsere Außenpolitik in diesen ungeheuer schweren Zeiten mehr zu hüten als vor dem Verdacht auch nur eigener 'deutscher Einmischung in anderer Staaten Innenpolitik; niemals werden wir unsere neue deutsche Einheit fest begründet haben, wenn wir nicht jede fremde Einmischung in unsere deutschen Affären endgültig ausgeschlossen haben.
Diese Kardinalthese der allseitigen Nichteinmischung in die inneren Verhältnisse der Staaten, diese deutsche Generalthese dürfen wir niemals durch irgendeine Seitenpolitik auch nur der Möglichkeit einer Schwächung aussetzen.Wenn wir uns gegen einen Anfang mit Wirtschaftsvertretungen in diesen Ländern wenden und alsbaldige diplomatische Beziehungen fordern, dann geschieht dies aber auch deshalb, weil wir an dieses große Vorhaben nicht mit Lauheit, nicht mit Halbherzigkeit herantreten wollen. Lassen Sie uns vielmehr — so möchte ich vorschlagen — vor aller Weltöffentlichkeit klar zum Ausdruck bringen, daß wir zwar in Wahrnehmung unserer eigenen Interessen solche Schritte unternehmen würden, daß wir hiermit aber gleichzeitig auch einer allgemeinen Entspannung dienen und einen Beitrag zu einer allgemeinen Friedensgestaltung liefern wollen.Wir hoffen, daß unsere Außenpolitik allmählich derartige Schritte gehen wird. Wir werden die Außenpolitik hierbei unterstützen. Aber einstweilen arbeitet sie leider so zögernd, so sehr langsam, so initiativarm, daß wir dieser Außenpolitik zu unserem tiefen Bedauern unser volles Vertrauen nicht schenken können.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1958 2181
Dr. Meyer
Alles, was ich heute im Rahmen der Haushaltsdebatte nur sehr gedrängt zu sagen habe, kann und will keinen Anspruch auf eine zusammenfassende Erörterung der außenpolitischen Probleme erheben. Noch weniger kann ich eine so wesentliche Institution wie unser Auswärtiges Amt erschöpfend behandeln.Vielleicht war das Auswärtige Amt mit seinen riesenhaften Nachkriegsaufgaben schon längst seiner bisherigen Organisation entwachsen, so daß diese Organisation reformbedürftig geworden war. In solcher Annahme begrüßen auch wir die nunmehrige — jedenfalls virtuelle — Schaffung der beiden Unterstaatssekretariate. Bisher blieb allzu viel allzu lange mit nachteiligen Folgen für unsere Politik beim Staatssekretär hängen. Nun ist der Staatssekretär wie der Außenminister wohl doch erheblich entlastet worden. Wir hoffen, daß dies der gesamten Arbeit der großen und ehrwürdigen Behörde zugute kommen wird. Ich frage mich sogar, ob in dieser Hinsicht schon genug geschehen ist, nicht was die gehobenen, aber die wirklich leitenden Stellen anlangt.Ein großer Umschwung in- und außerhalb aller Auswärtigen Ämter der ganzen Welt vollzieht sich auch in der Gestaltung der Kulturpolitik. Die Anträge, die wir insoweit zum Etat gestellt haben, hatten die Bewilligung beachtlicher zusätzlicher Mittel zum Ziel. Die deutsche Kulturpolitik im Ausland wird sich — dessen, so glaube ich, müssen wir uns bewußt werden — in der Gegenwart und Zukunft im allgemeinen weitgehend den Männern und Frauen der Politik, der Presse, der Universitäten und auch der technischen Wissenschaften, den Instituten wirklich großen Charakters und der Jugend zuwenden müssen und wird weniger — wenn natürlich in begrenzten Umfang auch weiterhin — die Besucher von Tanzvorführungen, Theatern und Gemäldeausstellungen zu erfassen haben. Die Kulturbestrebungen unserer Außenpolitik werden auch unsere ganze Unterstützung finden, wenn sie allmählich dazu übergeht, Studienassessoren ins Ausland hinauszuschicken, damit diese nach zwei- bis dreijährigen Erfahrungen den Unterricht in unseren Gymnasien und Lyzeen befruchten können, wie das bitter nötig ist.Unsere Institute im Ausland sind heute im wesentlichen archäologische Institute. Der Kreis dieser Institute wird in der Richtung erweitert werden müssen, daß sie junge und alte Dozenten wie der Geschichte, der Soziologie und der Wirtschaftswissenschaft einerseits und wie der Mineralogie, der Ölkunde, der Chemie und der Physik andererseits beherbergen. Auf diese Weise könnte wieder das aufgeholt werden, was wir in den letzten Jahrzehnten in so tragischer Weise in diesen Ländern verloren haben und was einst zum guten Teil unsere Größe ausmachte, eine Größe, auf die stolz zu sein wir jedenfalls nicht zu verzichten brauchen. Vieles geschieht aber auch in dieser Hinsicht auf unserer Seite noch zu langsam und mit zu armseligen Mitteln. Gestern hat mein Freund Erler über die Entwicklungsländer gesprochen. Es versteht sich von selber, daß wir ihnen im großen Umfange zur Seite stehen müssen. Über die epochale Bedeutung der Neugestaltung der Verhältnisse in den Entwicklungsländern brauchen wir kaum noch viele Worte zu verlieren. Es handelt sich hierbei aber — dies möchte ich ganz klar zum Ausdruck bringen — keineswegs, wie man mitunter hört, etwa um eine Abwehr des Kommunismus, vielmehr sollte es sich für uns um eine sittliche Verpflichtung handeln.
Zu lange sind diese Länder ausgenutzt oder in ihrer Entwicklung nur ungenügend gefördert worden. Wir freuen uns über jedes Land, das den Kolonialismus, in welcher Form er sich auch immer repräsentieren mag, abschüttelt und in junger Freiheit einen berechtigten Platz im Rate der Völker einnimmt.
Ich übergehe jüngste außenpolitische Entwicklungen, wie sie sich im Zerschlagen von Fensterscheiben geäußert haben. Ich übergehe sie nicht, weil ich den Vorgängen nicht etwa gerecht werden wollte auch in dem ihnen zugrunde liegenden Ernst; ich übergehe diese Vorgänge vielmehr, weil ich in Erinnerung an Religion- und Pseudoreligionskriege nicht den Gebrauch, aber den Mißbrauch des Ideologischen in der Politik verabscheue,
nicht zuletzt im Gedanken auch an die Geschichte unseres deutschen Volkes, das ebenfalls aus ideologischen und pseudoideologischen Gründen so wahnsinnige Kriege einst und noch erst gestern geführt hat und das heute wiederum Gefahr läuft, Ideologie und Außenpolitik zu identifizieren, obschon sie im Wesen so unendlich verschieden sind.Schon seit etwa 25 Jahren, mindesteens seit Hiroshima und Nagasaki hat eine Zeitenwende angehoben. Lange haben die Außenministerien vieler Staaten gleichwohl eine überkommene Außenpolitik getrieben. Nunmehr hat, wenn nicht alles täuscht, große Unruhe, große Bewegung in der Außenpolitik eingesetzt, zwar nicht immer in Richtung nach vorwärts, ja mitunter fast in Richtung nach rückwärts, wie in solchen Zeitenwenden ja nicht alles einheitlich geschehen kann. Indes eine große Bewegung ist offenbar im Werden. Es sieht so aus — noch kann man gewiß nichts Endgültiges sagen —, als ob in Genf die Sowjetunion und Amerika zu einer Einigung über die Beendigung von Atomexperimenten gelangen werden. Gerade wir würden dies außerordentlich begrüßen.
Es wäre ein außenpolitisches Ereignis allerersten Ranges mit vielleicht sehr großen Konsequenzen. Ist unsere deutsche Außenpolitik hierauf bereits vorbereitet? Diese Frage muß aufgeworfen werden.Sodann wirft sich die weitere schwere Frage auf: Hat die Sowjetunion wirklich nur an einem geteilten Deutschland Interesse? Ist nicht eine Koexistenz mit einem geeinten und freien Deutschland doch auch der Sowjetunion bei verständnisvoller Wahrnehmung ihrer eigenen Interessen und unserer eigenen Bedeutung möglich?
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Dr. Meyer
Wir werden unsere Außenpolitik auf solche Möglichkeit einzustellen haben. Sind wir vorbereitet?Haben wir Demarchen in New Delhi, in Kabul, in Kairo, in Stockholm unternommen, um festzustellen, ob Indien, Afghanistan, Ägypten, Schweden — diese Staaten werden heute am meisten genannt — bereit sind, an einer etwaigen Gipfelkonferenz teilzunehmen? Haben wir genug Interesse gezeigt oder auch versucht, an der Zuziehung solcher sogenannten „Neutralen" unterstützend mitzuwirken? Sollten wir solche Möglichkeiten der Entspannung nicht ernsthaft fördern, eben durch jene Demarchen an den genannten Orten?Und weiterhin: Sind wir darauf vorbereitet — ich möchte es ganz vorsichtig formulieren, weil es sich um Formulierungen gegenüber einem Staat und seiner Regierung handelt, mit dem in Freundschaft zu leben eines unserer wesentlichen Bedürfnisse, nicht nur des Kopfes, sondern auch des Herzens, ist —, daß der heutige französische Ministerpräsident uns nützen, daß er uns aber auch schaden mag? Haben wir an Alternativen gedacht, — ein Denken, das eines der wesentlichsten Elemente jeder Außenpolitik darstellen muß?
Daß de Gaulle vielleicht in Moskau oder in Warschau neue Wege gehen mag, auch vielleicht aus einem französischen Sendungsgefühl heraus, scheint sicher. Sind wir hierauf vorbereitet?Wenn ich an unsere heutige Außenpolitik denke, habe ich mitunter den Eindruck — aber ich hoffe, zu Unrecht —, daß der Geist des Barons von Holstein wieder auferstanden ist. Nach Faschoda glaubte die damalige deutsche Außenpolitik, daß es niemals zu einer Einigung zwischen Frankreich und England würde kommen können. Wie hat sich aber damals unsere Außenpolitik in verhängnisvoller Weise getäuscht! Bereits im Jahre 1903 wurde die Entente cordiale zwischen beiden Staaten geschlossen, und in gewisser Hinsicht ist sie heute noch von Bestand. Ähnlich täuschte sich unsere damalige Außenpolitik darin, daß sie annahm, England und Rußland könnten nicht zu einem Einvernehmen gelangen. Aber kurze Zeit darauf, wenige Jahre später — also nur Augenblicke im weltgeschichtlichen Betrachten — war dieses Einvernehmen erzielt.Manchmal habe ich, wenn ich an unsere heutige Außenpolitik denke, auch den Eindruck — und ich hoffe, zu Unrecht —, daß sie von einem so schönen und reinen Geiste wie etwa jenem von Christian Morgenstern beherrscht ist, der schrieb: „daß nicht sein kann, was nicht sein darf".
Man denkt, so weiter machen zu können wie bisher, weil sich eben doch nichts ändern werde. Vollends: was strömt an Energien von der deutschen Außenpolitik her ins deutsche Volk? Wir sehen einige andere Energien in immer stärkerem Wachsen sich breitmachen und Einfluß ausüben. Ich möchte den Namen nicht nennen, der heute auf unsere Lippentritt, wenn wir das sagen. Vor zwölf Jahren hätte man auf seine Worte noch nicht geachtet. Heute beachtet man sie im deutschen Volke und sogar im Ausland. Ich bin sicher, daß alle Parteien dieses Hohen Hauses weit abrücken von Männern dieser Art, die im großen Umfange zentrifugale Tendenzen in unserem wahrhaftig schon verstümmelten Land noch vorwärtszutreiben sich anschicken.Ich bin auch betroffen, daß ich, wenn ich mich nicht irre, von seiten eines der Herren Bundesminiter Äußerungen des Inhalts gehört habe, daß uns mehr noch als an der Wiedervereinigung an der Befreiung der Menschen Mitteldeutschlands gelegen sei. Was sollen solche Worte bedeuten? Was ist das für eine Illusion; oder was ist das für eine Abkehr von ganz natürlichem Denken und eine Hinkehr zu Methoden des Zwanges verabscheuungswürdigsten Charakters!
— Die Illusionen bestehen insofern — Herr Kollege, ich hoffe, daß Sie mir bald zustimmen werden —, als die Freiheit für die Menschen in Mitteldeutschland schlechthin nicht garantiert werden kann. Das werden Sie zugeben, sofern Sie nicht zu kindhafte oder illusionäre Vorstellungen von der Macht und .dem besonderen Denken der Regierungen haben, die sich östlich von Mitteldeutschland an der Macht befinden. Eine Hinkehr zur Gewalt wäre es, weil diese Menschen in Mitteldeutschland von ganzem Herzen und in uns bedrängender Form sich danach sehnen, mit uns wiedervereinigt zu werden. Ist das auch nur im entferntesten Nationalismus? Ist es nicht ein gesundes Nationalgefühl, das wir allesamt hier in diesem Hause kultivieren wollen, und ein gesunder Patriotismus, ohne den wir nicht zur Wiedervereinigung je zu gelangen vermögen?
Sodann: Sind wir wirklich schon hinreichend vorbereitet, daß eine Gipfelkonferenz stattfinden mag? Wirft sich nicht die Frage auf, ob unsere Regierung sich beteiligen wird? Arbeitet unsere Regierung auf eine Beteiligung hin, auf eine Beteiligung nicht in Form von Anwesenheit in einem Vorraum, auf eine Beteiligung nicht im Wege lediglich von Konsultationen? Mir sind Konsultationen und dergleichen nicht genug. Ich möchte aus vielen Gründen, die ich hier nicht im einzelnen erörtern möchte und kann, daß unsere Regierung doch de facto an der Führung und Gestaltung einer solchen Gipfelkonferenz mitbeteiligt wird.Ich kenne natürlich auch die Genfer Beschlüsse. Ich weiß, daß danach die vier vertragsschließenden Mächte auch heute immer noch verpflichtet sind, die deutsche Wiedervereinigung herbeizuführen. Ich befürworte keineswegs, sie aus solcher Verantwortung zu entlassen. Aber ich weiß auch, daß die Sowjetunion von den Genfer Beschlüssen abgerückt ist und sie als überholt bezeichnet. Deshalb dürfen wir, so scheint mir, nicht zu sehr, nicht zu stark auf die Erfüllung jener Genfer Verpflichtungen bauen. Wir dürfen nicht vergessen, daß eben eine Großmacht — manche mögen vielleicht sagen: leider — zu nichts und gar nichts im Gang der Geschichte
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Dr. Meyer
jemals gezwungen werden konnte, es sei denn um den fürchterlichsten Preis, an den man heute überhaupt nicht mehr zu denken wagt. Das ist der Preis eines Krieges. Sonst gibt es keine Zwangsausübung gegenüber einer Großmacht. Auch dies ist eine der bitteren Lehren aus den ungarischen Vorgängen, eine Lehre, die freilich manchmal nicht genügend in unsere Köpfe eingedrungen zu sein scheint.Wir müssen, so denke ich, auch Amerika klarmachen - ohne es zu kränken; vielmehr in dem Geist, in dem man sprechen kann, wenn man befreundet ist, befreundet sein und befreundet bleiben will —, daß das hundertprozentige Festhalten an den Genfer Bestimmungen uns nicht weiterbringen dürfte. Wir müssen in unserer Außenpolitik etwas einfallsreicher werden.
Ist ferner unsere Regierung vorbereitet, eine klarere Sprache zu sprechen, auch in den westlichen Hauptstädten? Ist sie bereit, durch unsere Botschafter den dortigen Außenämtern zu sagen, daß es schlechthin unsittlich ist, die Sicherheit der Welt im wesentlichen Umfang darauf aufzubauen, daß 18 Millionen Deutsche nach 12 Jahren nun noch weitere Jahre in Knechtschaft gehalten werden?
Ist dies christlich? Ich glaube, es ist weder dieses noch amerikanisch noch britisch noch demokratisch. Ebensowenig glaube ich, daß es eine Förderung der Gedanken des Abendlandes zu bedeuten vermöchte.
Ist unsere Außenpolitik bereit, in diesem Sinne mit größter Energie auch unsere Presseabteilung — unsere vielbesungene Presseabteilung — zu benutzen? Die Presseabteilungen von Ägypten und Tunis, von Marokko, Ghana und Israel, von Jugoslawien und Zypern verkünden, wie ich fürchte, ihre Wahrheiten besser als wir unsere eigenen.
Von unserer Außenpolitik strömt oft doch noch zuviel Lethargie aus, mitunter — nur mitunter — wie eine breite Lava. Aber wir haben den festen Willen, daß es eines Tages — und je eher desto lieber — doch zu einer gemeinsamen Außenpolitik Deutschlands kommen wird; denn diese kann und darf nicht gegründet sein auf die Zustimmung von wenig mehr als nur 50 % der deutschen Bevölkerung. Natürlich trägt letzteres dazu bei, daß unsere Außenpolitik Einbuße an Wirkungsmöglichkeiten erleidet. Deshalb sind meine politischen Freunde und ich sehr froh darüber, daß heute früh, auch dank der großen Arbeit unseres Kollegen Dr. Gradl, aber doch auch dank der Zustimmung aller Fraktionen, im Auswärtigen Ausschuß ein gemeinsamer Schritt getan worden ist, den ich im einzelnen nicht mehr zu erläutern brauche, weil das in vorzüglicher und erschöpfender Weise von Herrn Gradl geschehen ist. Ein Reis der Hoffnung ist es, lassen Sie mich sagen, dem dürren Stamm entsprossen.Dann aber, wenn es auf solchem Wege weitergehen soll, machen Sie doch nicht sich selbst und uns die Aufgabe so unendlich schwer! Derjenige ist gewiß niemals berufen, sich mit deutscher Außenpolitik in einer Weise zu beschäftigen, die einer gemeinsamen Außenpolitik dienen soll, der die präsumptiven Partner der Außenpolitik Zerstörer des Christentums und Förderer des Kommunismus nennt.
Außenpolitik und Innenpolitik befinden sich nicht in voneinander getrennten Retorten, sondern in einer Art von kommunizierenden Röhren. Eine vergiftete, eine krankhafte Innenpolitik erzeugt auch eine unheilbestimmte, krankhafte Außenpolitik.
Ich möchte dem Herrn deutschen Außenminister von ganzem Herzen wünschen, daß es ihm im Interesse des gesamten deutschen Volkes hüben und drüben von Elbe und Werra gelingt, die deutsche Außenpolitik von den Sünden der deutschen Innenpolitik einigermaßen frei zu halten, ja, eher der deutschen Innenpolitik gesunden zu helfen, damit sie einen Beitrag auch zu einer gesunden deutschen Außenpolitik liefern kann.
Wer durch das Brandenburger Tor in Berlin einzieht, Herr Adenauer oder Herr Ollenhauer, ist mir nicht völlig gleichgültig, aber doch unendlich zweitrangig, wenn nur das eine Deutschland auch durch deutsche außenpolitische Staatskunst endlich wieder vereinigt ist.
Das Wort hat der Außenminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Professor Meyer Stellung nehmen und möchte damit beginnen, daß auch ich meine Befriedigung darüber ausdrücke und betone, wie glücklich ich es empfunden habe, daß wir heute morgen im Auswärtigen Ausschuß in einer so wesentlichen Frage zu einer gemeinsamen Entschließung gekommen sind. Es ist in der Tat die wesentlichste Frage der Außenpolitik, die uns in den letzten Sitzungen des Ausschusses beschäftigt hat, und die Diskussion hat doch wieder bewiesen, daß es in dieser Frage Meinungsverschiedenheiten geben mag, die sich vielleicht auf die Art der Verwirklichung, auf die Prozedur beziehen — Dinge, die ich in diesem Zusammenhang als Nuancen bezeichnen möchte —, während in der Zielsetzung, so glaube ich, im Ausschuß die volle Übereinstimmung sichtbar wurde, wie es auch Herr Kollege Gradl heute morgen hier vorgetragen hat. Ich glaube, Ihnen kaum sagen zu müssen, daß die Bundesregierung diesen, wie ich wohl annehmen kann, einmütigen Auftrag des Parlaments auch mit dem gebührenden Ernst behandeln wird.Lassen Sie mich nun zu den einzelnen Punkten, die Herr Professor Meyer behandelt hat, einiges
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2184 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1958
Bundesaußenminister Dr. von Brentanosagen. Erlauben Sie mir aber zunächst eine Vorbemerkung.Die Fragen, die Herr Kollege Meyer stellte, die Punkte, an denen er Kritik übte, — irgendwo gipfelte das alles in der kritischen Frage, ob es nicht der Bundesregierung und insbesondere der auswärtigen Politik der Bundesregierung an der nötigen Initiative fehle, ob nicht von einer Ideenarmut gesprochen werden müsse. Ja, es war herauszuhören, daß Herr Kollege Dr. Meyer doch meinte, die Bundesregierung habe sich in den vergangenen Jahren mehr oder weniger darauf beschränkt, rezeptiv die Dinge zu verfolgen, ohne aktiv in die Entwicklung der Dinge einzugreifen.Meine Damen und Herren, ich verstehe, daß eine solche Kritik Lautwerden kann, ja daß sie lautwerden muß. Denn wir alle empfinden es doch, daß sich die Welt in dem Zustand einer chaotischen Unordnung befindet, die uns alle — ich sage: alle, denn ich möchte die Länder, in denen sich eine öffentliche Meinung nicht bilden kann, nicht ausnehmen — in gleichem Maße bedrückt. Die Frage, die wir alle stellen, ist doch die, ob diese harte Auseinandersetzung, die in dem Rüstungswettlauf ihren Ausdruck findet, zu einem Ziel, zu einer Lösung führen kann, die uns befriedigt; und die Sorge, die wir alle empfinden, ist doch die, ob es uns möglich ist, diese Zeit durchzustehen. Es machen sich gewisse Ermüdungserscheinungen bemerkbar — und das scheint mir verständlich zu sein —, eine gewisse Unruhe und Ungeduld, daß nichts Wesentliches erreicht worden ist, um aus dieser Spannung in der Welt herauszukommen, ja, daß wir, wenn irgendwo ein Ansatz für eine Entspannung sich zu zeigen scheint, immer wieder feststellen müssen, daß eine neue Entwicklung diese Möglichkeit schon wieder zu überschatten scheint.Ich sagte: es ist begreiflich, daß diese Kritik lautwird. Sie wird ja wohl in allen Ländern laut, in denen es eine öffentliche Meinung gibt, in denen eine Diskussion möglich und notwendig ist. Aber ich bitte Sie doch, meine Damen und Herren, bei der Kritik nicht von der, wie mir scheint, falschen Logik auszugehen, daß, wenn ein Ziel der Politik in den letzten Jahren nicht erreicht werden konnte, das ein Beweis dafür sei, daß diese Politik falsch war. Ich glaube, so können wir nicht argumentieren. Ich gehe gerade auf diese Frage ein, die uns ja alle beschäftigt, die Frage der Wiederherstellung der deutschen Einheit. Was ist erreicht worden? Sind wir diesem Ziel nähergekommen? Ich höre die Kritik: „Wir sind diesem Ziel nicht nähergekommen" — und das ist richtig —; und daran schließt sich dann die kritische Feststellung: „Also war die Außenpolitik der Bundesregierung falsch."Meine Damen und Herren, ist das ein Schluß, der gezogen werden kann? Ist es angängig, aus einem objektiv unbestreitbaren Mißerfolg in einem Bereich der Politik die Schlußfolgerung zu ziehen, daß es nun diese Politik gewesen sei, die den Mißerfolg verschuldet habe? Meine Damen und Herren, dagegen wehre ich mich,
das scheint mir in der Tat eine eigenartige logische Fehlleistung zu sein.
Ebenso — und damit komme ich auf das, was Herr Kollege Meyer auführte, als er die Frage der deutschen Beziehungen zum Satellitenbereich besprach — scheint es mir falsch zu sein, aus der Untätigkeit der Bundesregierung auf einem gewissen Gebiet nun den Schluß zu ziehen, daß die Bundesregierung keine Initiative ergreife. Denn es gibt ja auch die Alternative zwischen einer richtigen und einer falschen Initiative; und wenn die Bundesregierung bisher — vielleicht im Gegensatz zu Ihnen, meine Damen und Herren, aber nach pflichtgemäßer Prüfung der Lage, die sie zu sehen glaubt — von einer solchen Initiative Abstand genommen hat,
dann scheint mir das kein Beweis dafür zu sein, daß wir arm an Ideen waren, sondern ein Beweis dafür, daß wir entschlossen waren, falsche Ideen nicht zu verwirklichen.Ich möchte nun, Herr Kollege Meyer, nicht in die Diskussion über das Für und Wider der Beziehungen zu den Oststaaten im einzelnen eintreten. Ich darf hier als bekannt unterstellen — Sie haben ja auch darauf hingewiesen, Herr Kollege —, daß wir uns mit dieser Frage im Auswärtigen Ausschuß schon sehr sorgfältig beschäftigt und uns dahin verständigt haben, diese Frage demnächst im Auswärtigen Ausschuß noch einmal zu Ende zu diskutieren.Ich bitte Sie um Verständnis dafür, daß ich mich hier zurückhalte; denn ich glaube, wir erweisen der Sadie keinen guten Dienst, wenn ich hier als Sprecher der Bundesregierung etwa das Für und Wider einer solchen Entscheidung in einer unbeschränkten Öffentlichkeit vortrage. Wir müssen uns hier außerordentlich zurückhalten; denn — darin sind wir sicherlich einig — was wir auch tun, es darf nicht dahin ausschlagen oder auch nur dahin ausgelegt werden, als wollten wir in diesem Bereich irgendeinen Einfluß ausüben — Sie haben es mit Recht hervorgehoben — oder als würden wir irgendwelche spekulativen Erwägungen mit einer solchen Entscheidung verbinden, als könnten wir durch unsere Anwesenheit dort einen Prozeß, der sich in diesem Bereich vollzieht, fördern oder hemmen. Das verbietet mir auch — ich glaube, Sie haben Verständnis dafür —, nun im einzelnen die Gründe darzulegen, warum wir bis zur Stunde eine solche Entscheidung noch nicht getroffen haben.Ich möchte aber eines hinzufügen: daß wir sie nicht getroffen haben, hat nicht den Grund — ich habe es früher schon einmal gesagt —, daß wir etwa die Existenz und die Existenzberechtigung dieser Staaten bestreiten. Wir erkennen diese Staaten als souveräne Staaten voll an und wir haben auch den Wunsch, zum rechten Zeitpunkt unsere Beziehungen auch zu diesen Staaten so zu gestalten, daß sie — ich wage das zu hoffen — zu einem späteren Zeitpunkt, nach Ausräumung von Schwierigkeiten, die eine traurige Vergangenheit noch auf uns legt, zu einer echten Freundschaft werden und auf der
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Bundesaußenminister Dr. von BrentanoGrundlage gegenseitiger Achtung und einer echten Partnerschaft ausgebaut werden können.Die Nichtaufnahme diplomatischer Beziehungen zu diesen Staaten — handelspolitische Beziehungen unterhalten wir zu allen diesen Staaten — hat nicht etwa den Grund — ich brauche es hier kaum zu wiederholen —, daß wir damit diesen Staaten und ihren Regierungen eine Zensur erteilen, daß wir ihre Politik kritisieren wollen, daß wir sie durch die Nichtaufnahme der amtlichen Beziehungen zu einer anderen Politik zwingen wollen. Die Gründe, die die Bundesregierung bisher veranlaßt haben, diplomatische Beziehungen zu Polen und zu anderen Staaten noch nicht aufzunehmen, liegen vielmehr auf einem anderen Gebiet, sie liegen tiefer. Ich hoffe und wünsche, daß wir uns darüber demnächst im Auswärtigen Ausschuß noch einmal sehr eingehend aussprechen und unterhalten werden.In diesen Bereich gehört auch das, was Herr Kollege Meyer über die mögliche Untätigkeit der Bundesregierung bei der Vorbereitung einer Gipfelkonferenz und bei dem internationalen Gespräch über Abrüstung und Entspannung geäußert hat. Meine Damen und Herren, ich möchte hier mit großem Nachdruck sagen: die Bundesregierung kann mit gutem Gewissen erklären, daß dieser Vorwurf unbegründet ist. Es wäre leicht — ich möchte es nicht tun, um die Diskussion nicht auszuweiten —, heute und hier einen kurzen Rechenschaftsbericht zu geben, um diesen Vorwurf zu entkräften; denn unsere Politik in allen Gebieten der Welt hat gezeigt, daß wir es an Initiative weiß Gott nicht haben fehlen lassen.
Ist es denn von ungefähr gekommen — ich glaube, niemand wagt das zu behaupten —, daß wir, zunächst in dem Raum, in dem wir Partner hatten, mit denen wir sprechen konnten, die Beziehungen der Bundesrepublik zu allen ihren Nachbarstaaten völligneugestaltet haben, so daß wir heute sagen können, daß es im europäischen Raum keine Rivalitäten und keine Spannungen mehr gibt, sondern nur noch eine gemeinsame Politik, die auf gegenseitiger Achtung, auf dem Bewußtsein der Solidarität beruht.Deswegen glaube ich auch, wenn ich das in einem Zwischensatz sagen darf, daß wir heute keinen Anlaß haben, etwa eine Alternative für die bisherige deutsch-französische Politik zu suchen, weil wir es für möglich halten müßten, daß die neue französische Regierung eine andere Politik führen könnte. Meine Damen und Herren, wenn wir uns heute schon mit einer Alternative unserer bisherigen Politik gegenüber Frankreich beschäftigen wollten, dann wäre das allerdings ein Ausdruck des Mißtrauens, der in Paris die logische Konsequenz hervorrufen müßte, die Politik zu ändern.
Ich möchte auch hinzufügen, daß sich nach allem, was wir bisher wissen, die Erwartung der Bundesregierung bestätigt hat. Die Erklärungen, die der französische Ministerpräsident selbst, die Erklärungen, die sein Außenminister Couve de Murville, die Erklärungen, die sein Finanz- und Wirtschaftsminister Pinay abgegeben haben, bestätigen invöllig eindeutiger Weise, daß die französische Regierung entschlossen ist, die bisherige Politik in ihren großen Linien fortzuführen. Was nun die französische Regierung im Interesse des eigenen französischen Volkes für nötig hält, zusätzlich zu tun, meine Damen und Herren, darauf Einfluß zu nehmen ist nicht unser Recht, geschweige denn unsere Pflicht. Deswegen kann ich nur sagen: Wir sind überzeugt, daß die Politik, die in der Westeuropäischen Union und in der Atlantischen Gemeinschaft ebenso wie im Gemeinsamen Markt und in der Montanunion ihren Niederschlag gefunden hat, ihren Fortgang nehmen wird. Die Bundesregierung ist auf jeden Fall entschlossen und bereit, gerade auch im Verhältnis zu Frankreich alles zu tun, um die Fortsetzung dieser Politik sicherzustellen. Denn ich bin mit Ihnen der Meinung, Herr Kollege Meyer, daß das deutsch-französische Verhältnis wirklich die entscheidende Vorfrage für eine Friedensregelung in Europa und darüber hinaus in der Welt ist.
Aber ich sagte, wir haben es auch sonst nicht an der Initiative fehlen lassen, und die dunkle Vermutung von Herrn Kollegen Dr. Meyer, daß der Geist des Geheimrats von Holstein im Auswärtigen Amt hier noch irgendwo zu spüren sei — ich glaube, ich darf Sie angenehm enttäuschen und Ihnen sagen: dem ist nicht so. Ich habe schon angedeutet, es ist doch wirklich nicht durch Zufall dahin gekommen, daß wir heute zu allen Staaten der Welt, zu den Staaten, mit denen wir in einem engen Bündnissystem stehen. ebenso wie zu den Staaten, die diesen Bündnissystemen nicht angehören, ja sogar, die diese Bündnissysteme kritisch ablehnen, gute, ja ausgezeichnete Beziehungen unterhalten auf dem Gebiet der Politik, auf dem Gebiet der Wirtschaft, auf dem Gebiet des kulturellen Austausches. Ausgenommen sind bisher leider nur die Staaten des Sowjetblocks mit Ausnahme der Sowjetunion selbst.Hatten Sie wirklich nicht den Eindruck, daß es doch eine ganz erfolgreiche Initiative war, die wir entfaltet haben, Herr Kollege Meyer, als wir unsere Beziehungen zu Frankreich, zu Belgien, zu Österreich, zu Italien, zu Spanien, zu Portugal und zu anderen Staaten regelten, als wir Verträge abschlossen, die mit den traurigen Restbeständen einer miserablen Vergangenheit aufräumten und die Voraussetzungen dafür geschaffen haben, daß wir nun mit diesen Staaten einen neuen Start gemeinsam beginnen, der auf der Partnerschaft und auf der Freundschaft beruht? Meine Damen und Herren, das war nicht das Ergebnis mangelnder Initiative, sondern ich wage zu behaupten: das war das Ergebnis einer sehr fruchtbaren Initiative.
Lassen Sie mich aber auch sagen: wir haben diese Initiative auch nicht nach dem Osten vermissen lassen. Vor zweieinhalb Jahren hat der Herr Bundeskanzler die Einladung nach Moskau angenommen. Sie wissen selbst, daß dieser Entschluß nicht leicht war. Er hat sie angenommen in der Hoffnung, daß wir die Beziehungen zur Sowjetunion tatsächlich auf eine andere Grundlage stellen könn-
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Bundesaußenminister Dr. von Brentanoten. Wir sind auch nicht mit allzu großen Erwartungen dorthin gefahren. Nun, wir haben dort am Abschluß dieser Gespräche die Grundlage für einen ersten Abschnitt in diesen neuen Beziehungen gefunden. Wir haben das Problem der Kriegsgefangenen regeln können, das doch wie eine psychologische Hypothek auf dem deutsch-russischen Verhältnis lastete. Wir haben diplomatische Beziehungen aufgenommen. Gewiß, nicht alle Erwartungen, die wir hatten, sind in Erfüllung gegangen. Aber, meine Damen und Herren, ist das ein Mangel an deutscher Initiative?Wir haben sehr oft aus dem Munde der leitenden Politiker der Sowjetunion gehört, der Sowjetunion liege an einer Normalisierung des Verhältnisses zum deutschen Volk. Wir sind bereit, diesen Weg mitzugehen. Aber bisher sind wir doch wohl verpflichtet, diese Erklärungen mit einem gewissen Mißtrauen zu betrachten. Denn die Voraussetzungen dafür, daß das deutsche Volk seine Beziehungen zur Sowjetunion neu gestalten kann, sind auf Grund des „Nein" der Sowjetunion bisher noch nicht geschaffen worden. Die Wiedervereinigung Deutschlands ist bisher an dem Nein der Sowjetunion gescheitert, und — ich wiederhole es auch hier — von normalen Beziehungen zwischen der Sowjetunion und dem deutschen Volke kann erst dann die Rede sein, wenn e i n sowjetrussisches Volk mit einem deutschen Volk verhandelt.
Aber auch diese Enttäuschung — um ein sehr zurückhaltendes Wort zu wählen — hat uns nicht gehindert, auch in diesem Bereich weitere Initiative zu entfalten. Sie werden sich erinnern, daß im letzten Jahr eine deutsche Delegation nach Moskau fuhr, um dort Verhandlungen über einen Konsularvertrag, über einen Handelsvertrag und über die Repatriierung Deutscher aus der Sowjetunion aufzunehmen. Nun, diese Verhandlungen waren nicht leicht; Sie wissen es selbst. Die Delegation hat entsprechend der Weisung der Bundesregierung auch alle Rückschläge hingenommen. Sie hat weiter verhandelt, zäh und unermüdlich, und vor wenigen Wochen — es war wohl am 24. April — konnte ich die Vereinbarungen, die in Moskau entstanden sind, mit dem stellvertretenden Ministerpräsidenten der Sowjetunion, Herrn Mikojan, hier in Bonn unterzeichnen. Ich glaube, ich kann feststellen, daß es auch hier nicht an der deutschen Initiative fehlte. Denn daß wir auch diesen neuen Schritt in den deutsch-russischen Beziehungen taten, ist ebenfalls auf die Initiative der Bundesregierung zurückzuführen.Nun komme ich zu der Frage, die Sie gestellt haben, Herr Kollege Meyer: In welcher Weise beschäftigt sich die Bundesregierung mit den großen politischen Problemen, die heute in aller Leute Munde sind, der Vorbereitung der Gipfelkonferenz, der Abrüstung oder was sonst? Sie haben dabei auch ,die Frage gestellt: Hat die Bundesregierung schon irgendeine Vorstellung über ihre unmittelbare Beteiligung an einer solchen Konferenz?Zum ersten möchte ich sagen: Die Bundesregierung war an den Abrüstungsverhandlungen, die inLondon geführt worden sind und die mit der Ausarbeitung der Vorschläge vom 29. August vorigen Jahres ihren vorläufigen Abschluß gefunden haben, unmittelbar beteiligt. Sie saß nicht am Verhandlungstisch, wie auch viele andere Staaten nicht am Verhandlungstisch saßen. Aber sie hat auf dem Wege der laufenden Konsultation mit ihren Bündnispartnern nicht nur die Information über das erhalten, was geschehen ist, sondern sie hat sich in diese Verhandlungen auch durch eigene Vorschläge aktiv eingeschaltet. Daß das nicht in der Weise geschah, daß wir Noten veröffentlichten, hat dem Erfolg vielleicht mehr gedient als die Veröffentlichung zahlreicher Noten, Memoranden und Briefe, die in den letzten Wochen und Monaten erfolgte und von der ich nur sagen kann, daß sie dem Erfolg hinderlich ist. Die Abrüstungsvorschläge, die dann am 29. August gemacht worden sind, sind in Zusammenarbeit mit der Bundesregierung entstanden, und sie sind von der Bundesregierung vollinhaltlich gebilligt. Daß sie nicht wertlos waren, meine Damen und Herren, zeigte ja auch die Abstimmung im November in den Vereinten Nationen, als eine überwältigende Mehrheit in der Vollversammlung der Vereinten Nationen, alle Saaten außer denen des Ostblocks, diese Abrüstungsvorschläge als eine gesunde Grundlage für weitere Verhandlungen bezeichnet hat.Das gleiche gilt auch — und auch 'darüber möchte ich Herrn Kollegen Meyer beruhigen — für die Vorbereitung der Gipfelkonferenz. Sie dürfen überzeugt sein, daß die Bundesregierung, die sehr wohl weiß, daß auf dieser Gipfelkonferenz, sei es heute, sei es morgen, sei es mittelbar oder unmittelbar, auch über das deutsche Volk entschieden werden wird, nicht daran denkt, diese Gipfelkonferenz untätig an sich herankommen zu lassen, sondern daß sie mit allen Mitteln bemüht ist, sich in diese Vorbereitungen einzuschalten. Die freundschaftlichen Beziehungen einer Partnerschaft, wie wir sie mit den anderen Staaten unterhalten, ermöglichen es uns, daß wir nicht mir über jeden Schritt, der hier geschieht, unterrichtet werden, sondern daß wir uns — und das möchte ich mit großem Nachdruck hier sagen — auch mit eigenen Vorstellungen und Ideen an dieser Gipfelkonferenz beteiligen.
— Ich weiß nicht, Herr Kollege Wehner, warum Sie nun sagen: „Alles ist bestens". Ich kann mir nicht denken, daß das eine Zustimmung sein sollte. Aber warum Sie in diesem Zusammenhang eine Kritik äußern, weiß ich nicht recht. Ist es eine Kritik, weil Sie enttäuscht sind, daß ich mich nicht zur Ideenarmut bekenne?Ich wiederhole: Wir sind in diese Vorbesprechungen nicht nur eingeschaltet, sondern wir nehmen an den Vorbereitungen unmittelbar teil, weil wir wissen, daß wir hier auch eine Mitverantwortung tragen, der wir uns gar nicht entziehen können, eine Mitverantwortung, die wir einmal vor unserem deutschen Volk haben— und diese Verantwortung
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Bundesaußenminister Dr. v. Brentanokann uns niemand abnehmen —, aber auch eine Mitverantwortung, die wir für die Ordnung der Dinge in Europa und in der Welt tragen, an der wir uns .beteiligen wollen, weil sie nicht ohne oder gar gegen uns, sondern mit uns entstehen soll.Auf die Frage der unmittelbaren Beteiligung der Bundesregierung an solchen Verhandlungen möchte ich heute und hier nicht eingehen. Ich glaube, daß diese Frage zumindest verfrüht ist; verfrüht ist, solange wir noch nicht einmal den Teilnehmerkreis der Konferenz als solchen kennen; verfrüht ist auch, solange wir uns nicht doch darüber Gedanken gemacht haben, welche Konsequenzen diese Beteiligung in anderen Bereichen auslösen wird. Daß wir kein Interesse daran haben, durch eine falsche Art der Beteiligung einen indirekten Beitrag zur Anerkennung der DDR zu leisten, ist ebenso selbstverständlich wie die Feststellung, daß wir nicht, um jeden Anschein einer Anerkennung der DDR zu vermeiden, uns selbst aus solchen Beratungen in irgendeiner Weise ausschließen werden. Ich glaube, es geht hier darum, den richtigen Mittelweg zu finden, und Sie dürfen überzeugt sein, daß wir zum rechten Zeitpunkt und in der rechten Form unsere Vorstellungen auch darüber unterbreiten werden. — Meine Damen und Herren! Soweit zu dem Allgemeinen, was gesagt worden ist.Ich möchte noch ein paar Worte zu dem sagen, was Herr Kollege Meyer über die Kulturpolitik ausgeführt hat. Ich bin hier für jede Unterstützung aus dem Hohen Hause dankbar, und ich kann nur mit Befriedigung feststellen, daß auch der Herr Finanzminister bei der Beratung des neuen Haushalts diesen Bedürfnissen des Auswärtigen Amtes sehr weit entgegengekommen ist. Unserem guten Wollen sind natürlich finanzielle Grenzen gesetzt. Wir müssen uns auch darüber klar sein, daß die Aufgaben, die uns gestellt sind, außerordentlich groß sind. Die Aufgaben kommen ja zusammen, denn wir haben — wenn ich das Wort gebrauchen darf — einen echten Nachholbedarf.
All das, was wir im Ausland hatten, ist zerstört worden. Wir haben die Kontakte verloren. Wir müssen die Schülen wiedererrichten, die Kulturinstitute,
wir müssen die Krankenhäuser wiedererrichten. Wir brauchen dafür außerordentlich hohe Mittel. Aber ich glaube doch sagen zu können, daß der neue Haushalt das Auswärtige Amt in die Lage versetzen wird, diese Aufgaben besser noch als seither zu erfüllen, was nicht besagen soll, daß ich nicht die Absicht habe, im nächsten Haushalt erneut auf diese Frage zurückzukommen.
— Ja, deswegen sage ich es. Und ich möchte eine Anregung, die ich vor einiger Zeit schon einmal im Auswärtigen Ausschuß ausgesprochen habe, wiederholen, nämlich zu überlegen, ob es nicht gut wäre, wenn wir einen kleinen Unterausschuß des Parlaments schafften, der sich gerade mit der Aufstellung eines Plans für solche kulturellen Aufgaben beschäftigen soll. Wir müssen natürlich auch hier den Versuch machen, Wertkategorien zu bestimmen und zu prüfen, was vordringlich ist und was zurückgestellt werden kann. Ich wäre dankbar, wenn wir das in einem gemeinsamen Gespräch einmal machten, wie es mir überhaupt notwendig zu sein scheint, daß wir jetzt, nachdem wir, sagen wir einmal, die notwendige Zeit des Improvisierens überstanden haben, zu einer gewissen Planung auch in der Frage der Kulturpolitik kommen, zu Plänen, die über ein Jahr hinausschauen müssen, .damit wir nicht so wie seither — ich wiederhole es: es war eine Notwendigkeit — die augenblicksbedingten Forderungen erfüllen und anderes daneben liegenlassen. Hier bin ich - ich wiederhole es — für jede Unterstützung dankbar, und es gibt auch keinerlei Meinungsverschiedenheiten zwischen Regierung und Opposition, wenn wir diese Aufgaben gemeinsam lösen.Meine Damen und Herren, ich wollte mich darauf beschränken, zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Meyer Stellung zu nehmen und ihm zunächst einige Antworten und Aufklärungen zu geben. Andere Fragen, die in diesem Zusammenhang auch gestellt worden sind, werde ich vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt beantworten.
Das Wort hat der Abgeordnete Becker.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich der Beruhigung wegen — dabei denke ich an die vergangene Woche — mit einer Banalität beginnen. Wenn im Ausland unsere Sportler einmal nicht den gewohnten Sieg davongetragen haben, dann geht davon die Welt noch nicht unter.
Wenn deutsche Technik und deutsches Kunstschaffen im Ausland Anerkennung finden und wenn deutsche Sportler gewinnen, dann verdienen sie unseren Beifall, dann verdienen sie unser Lob, und dann sind wir stolz auf sie, — aber die außenpolitische Lage Deutschlands hat sich dadurch nicht geändert.
Vergessen wir doch nie, wenn wir hier Außenpolitik treiben, wie die Welt wirklich aussieht! Da haben wir die beiden großen Staaten, die Atomgiganten, mit 180 Millionen Menschen in den USA und 220 Millionen in der Sowjetunion, dann die 350 Millionen in Hindustan, 80 Millionen in Pakistan, 80 Millionen in Indonesien, 88 Millionen in Japan und die 600 Millionen Einwohner von China mit 15 Millionen Menschen jährlichem Geburtenüberschuß, mit jenem China, das vor wenigen Tagen der großen amerikanischen Nation eine ultimativ befristete Aufforderung zugesandt hat, mit jenem China, in dem vor neun Jahren, 1949, das
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Dr. Becker
letzte englische Kanonenboot den Jangtsekiang verließ, verfolgt von Artillerieschüssen der MaoTse-tung-Armee.Das müssen wir uns vor Augen halten, wenn wir Außenpolitik treiben wollen. Dann kommt uns das, was uns hier angeht, so bescheiden vor, daß ich einmal etwas in folgender Form ganz kurz formulieren möchte. Was sollte unser gemeinsames deutsches Anliegen sein? Frieden, Freiheit und Sicherheit für uns! Wiedervereinigung Deutschlands mit Berlin als Mittelpunkt und endlich ein freies und geeintes Gesamteuropa!
Ich kann Ihnen nur sagen: wir, die Freien Demokraten, stehen gerade zur Erfüllung dieser Voraussetzungen zu den von uns mitabgeschlossenen Verträgen. Wir sind bereit, die Freiheit und die Sicherheit zu verteidigen. Wir bejahen auch eine Wehrpolitik, die der Lage Deutschlands und den rüstungstechnischen Gegebenheiten, aber auch der finanziellen Leistungsfähigkeit der Bundesrepublik entspricht. Bei alledem haben wir unsere Mittellage zwischen Ost und West zu beachten.Wie wollen wir das verwirklichen? Wenn wir hier eine außenpolitische Debatte führen, habe ich immer den Eindruck, daß sie, nachdem sie zuvor in der Presse mit großem Tamtam angekündigt worden ist, wie ein großer Strom beginnt. Dann entwickelt es sich in umgekehrter Richtung — etwa entsprechend der Symphonie von Smetana über die Moldau — von einem Strom rückwärts in einen Fluß und in ein Bächlein, und zum Schluß ist alles aus. Überschrift: Hornberger Schießen.
Könnte man es nicht anders machen? Fangen wir einmal beim Außenpolitischen Ausschuß an! Ich bin seit 1949 Mitglied dieses Ausschusses. Ich will von vornherein zugeben — ich wende mich dabei an die Adresse unseres verehrten Kollegen Kiesinger und unseres Außenministers —, daß sich in den letzten Wochen Ansätze einer fruchtbaren, ergiebigen Diskussion gezeigt haben.
Aber was haben wir vorher erlebt! Da hat man unter dem Siegel der Vertraulichkeit mitgeteilt, was wir aus der ausländischen Presse längst wußten. Auf der anderen Seite hat man, um in die Dinge einzudringen, Fragen gestellt, die nicht Aufklärungsfragen, sondern Fangfragen waren; jetzt spreche ich einmal von der Opposition. Das genügt nicht, um Außenpolitik zu treiben.Wir haben in der Regierungserklärung vom vergangenen Herbst gehört, daß von der Regierung eine gemeinsame Außenpolitik gewünscht wird. Gut, wir sind auch der Meinung, sie sollte kommen. Warum sollte sie kommen? Überlegen wir doch einmal: Gibt es eine sozialistische, gibt es eine christlich-demokratische, gibt es eine liberale, gibt es eine klerikale Außenpolitik? Ich kenne nur eine deutsche Außenpolitik, und zwar eine Außenpolitik mit festen Zielen, während sich die Methoden von Fall zu Fall je nach den Umständen ändern müssen.
Deshalb bin ich der Meinung, es gäbe die Grundlage für eine gemeinsame Außenpolitik.Ferner: Die Durchschlagskraft der deutschen Argumente nach außen würde verstärkt werden, wenn gesagt werden könnte, hinter dieser Politik stehen alle Parteien.
Auch deshalb sollten wir uns bemühen, zu einer gemeinsamen Außenpolitik zu kommen. Gerade jetzt, wo wir vor der Gipfelkonferenz stehen— ich darf in diesem Zusammenhang Herrn Kollegen Gradl für seine Ausführungen und für die prompte Vorlage des im Auswärtigen Ausschuß erarbeiteten Schlußantrags danken —, würde unser Anliegen besonders unterstützt sein, wenn wir mit einer gemeinsamen Außenpolitik aufwarten könnten. Der heute vorliegende Antrag ist dazu zwar nur ein kleiner, aber immerhin doch ein Anfang.Aus welchen Gründen noch eine gemeinsame Außenpolitik? Ich will es Ihnen ganz offen sagen: Ich habe in meiner Jugend — ich war damals etwa 20 bis 25 Jahre — in den Jahren vor dem ersten Weltkrieg mit Bangen erlebt, wie sich da die Wolken ,zusammenzogen, wie aus der Angst vor der Einkreisung, wie aus einem Rüstungswettbewerb zwischen Deutschland und England, wie aus den Balkanwirren, wie aus dem österreichisch-russischen Gegensatz sich ein Gewölk formte, bis dann mit dem Mord von Sarajewo der Blitz aus dem Gewölk her-niederfuhr und der Weltkrieg da war. Mich erinnert die heutige Situation furchtbar an jene Zeit. Ich habe die Sorge, daß es gehen könnte wie damals. Auch damals hat keiner der beteiligten Staaten einen Krieg gewollt. Ich bin überzeugt, daß angesichts des Gleichgewichts der Atomwaffen auch heute kein Staat dazu verführt werden könnte, vorsätzlich einen Krieg zu wollen. Aber so wie damals nach den Worten von Lloyd George die Menschheit, die europäische Menschheit zunächst und dann die weitere, in den Krieg hineingeschlittert ist, so könnten wir — das ist meine Sorge — durch. Mißtrauen, durch Unvorsichtigkeiten irgendwelcher Art in einen solchen Krieg hineinstolpern.
Deshalb bin ich der Meinung, wir könnten in der deutschen Politik durch alle Parteien hindurch auch darin übereinstimmen, wie ein solches Stolpern zu vermeiden wäre, d. h. daß wir uns überlegen, wie wir irgendwie aus den Dingen herauskommen und wie wir die internationale Atmosphäre dahin bessern können, daß derartige Gefahren beseitigt sind.Ich bitte, meine Damen und Herren, zu verstehen, wenn ich jetzt manche Ausführungen mache, daß sie keineswegs nur an unsere Adresse und keineswegs an die Adresse der Bundesregierung allein gerichtet sind, sondern weiter hinauszielend an alle diejenigen, die es angeht, auch an unsere Verbündeten. Ich darf noch einmal eine Erinnerung an den ersten Weltkrieg bringen. Damals die Parole: Durchhalten!
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Dr. Becker
Durchhalten kann richtig sein, wenn eine Festung belagert ist und diese Festung durchhält, weil ihr Entsatz in Aussicht steht. Durchhalten kann richtig sein für einen vorgeschobenen Truppenteil, der standhalten muß, bis sich im Hintergrund neue Formationen gebildet haben für die Endentscheidung. Aber Durchhalten schlechthin für einen Staat allein ist gar nichts, ist falsch. Eine Zeitung — ich glaube, es war die „Welt" — hat am vergangenen Sonnabend an eine Szene aus dem ersten Weltkrieg erinnert. Damals, im Juni 1918, hat der Staatssekretär des Auswärtigen, Herr von Kühlmann, im Reichstag erstmalig davon gesprochen, daß das Durchhalten falsch sei und daß man verhandeln müsse. Er hat durchblicken lassen, daß er Verhandlungen eingeleitet habe.
— Er wurde gestürzt. Das war im Juni. Im August verlangte die Oberste Heeresleitung die Einleitung von Waffenstillstandsverhandlungen. Und im November 1918 war alles vorbei!Meine Damen und Herren! Alle Vergleiche hinken, aber die Vergangenheit ist dazu da, daß wir aus ihr lernen. Ich bin der Meinung, daß wir beizeiten durch unseren deutschen Beitrag im Zusammenwirken mit den anderen Nationen versuchen sollten, in Ausgleichsverhandlungen und in diplomatischen Verkehr mit den Staaten, mit denen wir noch nicht im Verkehr stehen, zu kommen. Man sage nicht, das widerspreche dieser oder jener Weltanschauung, es ginge nicht, weil wir damit dieses oder jenes anerkennen würden, was uns nicht liegt. Ich bin nun mal für Beispiele aus der Vergangenheit; deshalb bekommen Sie gleich noch zwei vorgesetzt.
— Ich gehe noch viel weiter zurück zu einem, der viel mehr gekonnt hat als Bethmann-Hollweg, nämlich zu Bismarck. Als der Krim-Krieg nahte, waren die preußischen Fortschrittler der Meinung, es wäre nun die beste Gelegenheit, dem totalitären Staat des zaristischen Rußlands mit seinen Unterdrückungen,
mit seiner Unterdrückung der Meinungsfreiheit
— das ist ungefähr dasselbe —, mit seinen Einkerkerungen, mit seinen Verbannungen nach Sibirien, einen richtigen Denkzettel zu versetzen; man solle sich am Krim-Krieg beteiligen. Bismarck tat es nicht, weil er davon ausging, daß er nicht nach Neigungen und nach Gefühlen zu handeln habe, sondern nach den Tatsachen. Und er hat recht daran getan, wenn man die weitere Zukunft bedenkt.
— Doch, er ist 1815 geboren, und er war damals Mitglied des Abgeordnetenhauses und hat sich in der von mir eben geschilderten Form geäußert. Wenn Sie es aber bezweifeln, dann empfehle ichIhnen die neueste Biographie über Bismarck von Ludwig Reiners. Da können Sie es genau nachlesen. Wenn ich es nicht vor ein paar Wochen gelesen hätte, wüßte ich es vielleicht auch nicht so genau.
— Wenn Sie soviel Zwischenrufe machen, wird es immer noch länger; Ihr Schade!
— Danke sehr, das schmeichelt mir.Nun das andere Beispiel! Als er auch noch nicht Minister, aber immerhin Gesandter in Paris war, machten ihm diesmal nicht die Fortschrittler, sondern die Gegenpartei, seine konservativen Freunde und Standesgenossen, zum Vorwurf, daß er sich mit einem Mann wie Napoleon III., der auf Grund des demokratischen Plebiszits gewählt sei, mit diesem Kronenräuber und Prätendenten unterhalte. Er sagte wieder: Ich richte mich nach den Interessen, die ich zu vertreten habe, und nach den Tatsachen, die ich vorfinde.Meine Damen und Herren, das war damals richtig, und es hat sich als richtig erwiesen. Vielleicht könnten wir — ich darf nochmals einschalten: unter „wir" verstehe ich nicht nur Deutschland — uns alle ein bißchen danach richten. Mein Wunsch ist also auch hierzu, daß wir uns in einem Gremium zusammensetzen und eine gemeinsame Außenpolitik finden.Ich hatte im vergangenen November an alle Fraktionen dieses Hauses einen entsprechenden Vorschlag brieflich herangetragen und dem Herrn Bundeskanzler sowie dem Herrn Minister des Auswärtigen davon Kenntnis gegeben. Ich konnte die Dinge nicht weiter verfolgen, weil ich dann, wie Sie wissen, längere Zeit krank war. Der Versuch ist im Sande verlaufen.Ich hatte darauf hingewiesen, daß die Bundesregierung einmal erklärt hatte, daß sie im Auswärtigen Ausschuß eigentlich nicht so frei sprechen könne, wie es nötig wäre. Meine Damen und Herren, daß dort die Vertreter der Länder sitzen, ist nicht unsere Schuld. Ich sage das, obwohl ich Mitglied des Parlamentarischen Rates war. Es ist nicht unsere Schuld; denn diese Sorte Föderalismus wollten wir ja nicht. Wir Bundestagsabgeordnete sitzen ja auch nicht in den Ausschüssen des Bundesrates, um zuzuhören und hineinzureden. Wenn es der Regierung zu viele Vertreter der Ministerien bei den Beratungen des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten sind, kann sie das ja kraft ihrer exekutiven Vollmachten abstellen. Jedenfalls ist der Hinweis, der Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten sei nicht sicher genug und deshalb könne die Regierung nicht alles das, was sie sonst vorgetragen hätte, vortragen, eine Unmöglichkeit. So etwas ist in keinem Parlament der Welt möglich.
Um diesen Einwänden Rechnung zu tragen, hatte ich damals vorgeschlagen, eventuell ein anderes
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Dr. Becker
Gremium, wenn auch nicht gerade institutioneller, aber konsultativer und unterrichtender Art zu schaffen. Auch das ist nicht geglückt. Der Herr Minister für auswärtige Angelegenheiten, der mir dankenswerterweise geantwortet hat, wies darauf hin, daß es zunächst Sache der Fraktionen sei, sich dazu zu äußern, und ließ durchblicken, daß ihm der Auswärtige Ausschuß lieber wäre. Mir auch, wenn wir im Auswärtigen Ausschuß jede Aufklärung bekommen!Ich will Ihnen ganz offen sagen, welche Aufklärungen wir wünschen. Ich möchte im Auswärtigen Ausschuß eine Aussprache haben über die militärstrategische Lage der Welt und die Stellung Deutschlands in ihr und zu ihr. Ich möchte eine Aussprache über den Verteidigungsplan haben, wie ihn sich die Regierung nunmehr organisatorisch denkt, eine Aussprache über die Konzeption, nach der sie Deutschland zu verteidigen gedenkt. Ich möchte, um nur eines zu sagen, das Wesentliche aus allen Berichten der Botschafter und Gesandten wissen. Ich möchte wissen, wie für den Fall eines Zusammenstoßes die Luftschutzsicherung der deutschen Bevölkerung gedacht ist, und weiter möchte ich wissen, was das alles zusammen kostet, damit wir aus diesem Gesamtplan heraus das, was mir und meinen Freunden am Herzen liegt, schaffen können, nämlich die gemeinsame deutsche Außenpolitik.Der Bundeskanzler hat mir damals im November 1957 geantwortet, er habe meinen Brief mit Interesse gelesen; er würde demnächst auf die Sache zurückkommen. Ich hoffe, daß dies wohl „demnächst" geschieht.
Nun einige Einzelfragen! Ich trage sie nicht deshalb vor, damit wir hier darüber disputieren, sondern tue es in dem Bestreben, eine gemeinsame Lösung bei der Erörterung in dem von mir in Aussicht genommenen Ausschuß zu finden.Zunächst folgende Frage: Wer ist in Fragen der Außenpolitik nun eigentlich der Sprecher der Bundesregierung, der sich mit uns zusammenzusetzen hätte?
Ist es der Herr Bundeskanzler? Er gibt die Richtlinien der Politik an, und er ist der Vorgänger des Herrn von Brentano auf dem Posten des Ministers des Auswärtigen. Oder ist es der Herr Minister des Auswärtigen, der aber den Richtlinien des Herrn Bundeskanzler zu folgen hat? Ich will ganz offen, in allem Ernst und in aller Freundschaft eine Stellungnahme zu diesem Punkt versuchen. Es ist menschlich absolut verständlich, daß jemand, der einen Posten gehabt hat und ihn dann abgibt, gleichzeitig aber das Recht hat, die Richtlinien für die Ausführung der Geschäfte dieses Postens noch zu bestimmen, und der in der gleichen Bundesregierung, in dem gleichen Kollegium sitzt, in die Versuchung kommt, in die Angelegenheiten seines bisherigen Ressorts einzugreifen, wenn er der Meinung ist, daß er es besser kann. Es ist aber ebenso klar, daß der, der diesen Posten nunmehr eingenommen hat, das Bestreben hat, selbständig zu werden, selbständig zu handeln, selbständig zu denken.
Es können daraus gewisse Widersprüche entstehen; es kann sich daraus ein gewisser, vielleicht nach außen nicht immer sichtbarer, aber doch vorhandener Zickzackkurs ergeben. Ich möchte das mal mit aller Deutlichkeit ansprechen; denn wir werden, wenn wir uns zusammensetzen wollen, um eine gemeinsame Außenpolitik zu betreiben, uns auch darüber klarsein müssen, wer tatsächlich das entscheidende Wort zu sprechen hat.Wir haben einen Kollegen in unserer Fraktion, der oft sehr treffsichere Bemerkungen von sich gibt. Er meinte, Herr von Brentano fände wohl nicht unseren Beifall, aber vielleicht doch ein beinahe an Mitleid grenzendes Bedauern.
Nun eine weitere Frage. Es reden noch mehr über Außenpolitik. Ich meine nicht die dei minores, wie wir Bundestagsabgeordnete; die finden im Ausland nicht die Aufmerksamkeit! Wohl aber finden die Minister kraft ihres Amtes und kraft ihres Ranges dort Widerhall. Man kann als Prätendenten für auswärtige Angelegenheiten den Herrn Minister des Innern nennen, man kann den Herrn Bundeswehrminister nennen.Da fällt mir wieder eine Geschichte von früher ein. Es gab da mal einen gewissen Moltke; er wurde der große Schweiger genannt. Moltke ist „Moltke" wegen seiner Tugenden und Leistungen geworden, aber auch deswegen, weil er zur rechten Zeit zu schweigen wußte.
Dann wäre noch ein scharmanter Herr zu nennen, der Herr von Eckardt,
der liebenswürdige Souffleur der Bundesregierung
und der liebenswürdige und scharmante Retoucheur der Bundesregierung,
wenn es gilt, übereilte Bemerkungen ins richtige Gleis zu bringen. Wir möchten nun wissen, wer mit Autorität und mit Verantwortung spricht. Ich glaube, das Parlament hat ein Recht darauf, diese Dinge geklärt zu sehen.Noch einige weitere Einzelpunkte. Ich bin der Meinung, man sollte in der Politik keine Doktrinen aufstellen. Der Satz, daß man in der Politik — erst recht in der Außenpolitik — niemals „niemals" sagen sollte, ist wohl bekannt. Wir haben, als wir im Jahre 1955 die diplomatischen Beziehungen mit
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Dr. Becker
Rußland aufnahmen, am Tage darauf im Gegensatz dazu die These aufgestellt, daß wir mit keinem anderen Land diplomatische Beziehungen aufnehmen würden, welches mit der sogenannten DDR seinerseits Beziehungen unterhalte. Ob diese Doktrin richtig ist oder nicht, darüber können wir uns in dem engeren Gremium, von dem ich immer spreche, unterhalten. Aber bestimmt war es falsch, diesen Grundsatz öffentlich zu plakatieren;
denn in dem Augenblick gaben wir ja irgendeinem anderen Land die Chance in die Hand, uns in irgendeine Situation hineinzumanövrieren, in der wir nun entweder diesen Grundsatz zu unserem Schaden anwenden oder ihn zurücknehmen mußten. Wir stehen vor ähnlichen Problemen, wenn wir die im Bundestag schon wiederholt angeschnittene Frage der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu den Staaten des Ostblocks, auch zu China, zu erörtern haben. Wir sind im Begriff, sie im Ausschuß zu erörtern. Ich möchte wünschen, daß wir das bald tun.Dazu ein weiteres. Es gibt einen Satz, der lautet: bis dat, qui cito dat. In zweifacher Richtung übersetzt heißt das einmal: Wer schnell etwas tut, bekommt es für die Hälfte, und zum andern: Wer zu spät etwas tut, zahlt das Doppelte. Das gilt nicht nur für uns, es gilt vielleicht für die ganze weite Welt, auch in Ostasien. Ich glaube, wir sollten auch diesen Satz bei unseren gemeinsamen Erörterungen auf bestimmte Angelegenheiten anwenden.Dann zu Frankreich. Ich kann dem Herrn Kollegen Meyer nicht zustimmen, wenn er hier die Möglichkeiten, die sich aus dem Regierungswechsel in Frankreich ergeben haben, erörtert. Ich stimme hier dem Herrn Außenminister zu; denn ich halte es nicht für richtig, solche Fragen hier zu erörtern. Das können wir in unserem Ausschuß zur Genüge tun, aber nicht hier in der Öffentlichkeit. Warten wir ab, was sich in Frankreich entwickelt, warten wir die Tatsachen ab, und üben wir bis dahin Zurückhaltung!
Wir haben manchmal — jetzt muß ich gegen mein Fach sprechen; ich bin nämlich Rechtsanwalt — zuviel Juristerei in der Außenpolitik.
Ein guter außenpolitischer Vertrag sollte nicht mehr als höchstens 25 Paragraphen haben. Dann kann man etwas damit anfangen; wenn er mehr hat, ist die Sache schon faul. Ich entsinne mich, daß damals, als der Abschluß des Vertrages mit Jugoslawien zur Debatte stand, der inzwischen nach Europa abgereiste Staatssekretär Hallstein von dieser Tribüne aus — ich glaube, auf eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen von Manteuffel-Szoege — den Standpunkt vertreten hat: Wir geben ja das Geld nur auf Grund einer gewissen Geschäftsgrundlage, damit die Beziehungen so und so bleiben. Er ließ dabei mit einem gewissen Seitenblick auf die berühmten §§ 812 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchesdurchblicken, daß man gegebenenfalls die weiteren Zahlungen sperren oder vielleicht sogar zurückfordern könne. Ich habe damals nichts gesagt. Ich durfte nämlich nichts sagen, weil ich eben am Präsidentenpult saß. Aber man kann — damit will ich es kurz zusammenfassen — die Außenpolitik nicht so behandeln wie einen Zivilprozeß am Landgericht in Bonn. Das eine schließt das andere aus.
Nicht richtig war es, bei der Bestallung des Herrn Außenministers von Brentano den Herren Hallstein und Blankenhorn zuzubilligen, daß sie über seinen Kopf hinweg dem Herrn Bundeskanzler unmittelbar Vortrag halten konnten; denn das mußte die Autorität des Bundesaußenministers mehr oder weniger untergraben.
Aber damit will ich meine Ausführungen zu den einzelnen Punkten abschließen. Ich denke, daß wir noch im Ausschuß, den ich wiederholt anempfehle, darüber sprechen wollen.Noch ein Gedanke zum Schluß. Man wirft uns Deutschen oft vor, daß wir das militaristischste Volk der Welt seien, und dagegen möchte ich einmal Stellung nehmen. Wenn man uns, nachdem wir zwei Kriege verloren haben, nachdem das deutsche Volk und die deutsche Jugend sich nicht zu den Waffen gedrängt haben und nachdem man uns als Militaristen verschrien hat und uns hat entwaffnen wollen, jetzt vom Westen und vom Osten bittet, doch ja wieder zu den Waffen zu greifen — die einen im Westen, die anderen im Osten — dann liegt darin immerhin eine gewisse Anerkennung, daß wir militärtüchtig seien. Aber es entspricht nicht so sehr dem, was wir wollen, und es ist geradezu eine Tragik der jetzigen deutschen Geschichte, daß wir wegen unserer Militärtüchtigkeit nun praktisch zerrissen sind, denn wenn wir nicht in West und Ost als militärtüchtig gälten, wären wir vielleicht gar nicht gespalten.Sind wir wirklich das militaristische Volk, als das wir verschrien werden? Wenn wir den zweiten Weltkrieg nehmen: ich glaube, jeder unbefangene und objektive Beurteiler auch im Ausland wird ihn ausnehmen; denn er ist von einer totalitären Regierung angezettelt worden, die nicht auf das Volk und seinen Willen zu hören brauchte. Wenn Sie an den ersten Weltkrieg denken, dann gilt von ihm das, was ich vorhin ausführte, das Wort von Lloyd George, daß damals alle Länder in den Weltkrieg hineingeschlittert sind. Aber wie war es denn vorher, vor 1914? Gewiß haben wir mit Frankreich oft die Klinge gekreuzt; aber das ist ja nun Gott sei Dank vorbei, und ich möchte der Hoffnung Ausdruck geben, daß die guten und freundnachbarlichen Beziehungen, die sich mit Frankreich angebahnt haben, auch in dieser Beziehung ihren Fortgang nehmen möchten. Mit England haben wir bis 1914 nie Krieg geführt. Mit den Vereinigten Staaten haben wir vor 1914 nie Krieg gehabt. Ich darf bei dieser Gelegenheit — es ist jetzt zehn Jahre her, daß der Marshall-Plan in
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Kraft trat — vielleicht in Ihrer aller Namen dem Dank an die amerikanische Nation dafür Ausdruck geben, daß sie uns damals durch die großzügige Hilfe des Marshall-Plans — eine Hilfe, die der Sieger dem Besiegten gewährt hat — wieder hat auf die Beine helfen können. Dafür sei dieser großen Nation unser Dank ausgesprochen.
Und nun Rußland! Haben wir eigentlich vor 1914 mit Rußland Krieg gehabt? Ich glaube, man muß schon um 150 Jahre bis zu dem Siebenjährigen Krieg zurückgehen, um einen solchen kriegerischen Zusammenstoß festzustellen, einen Zusammenstoß, der in letzter Linie dadurch hervorgerufen war, daß Friedrich der Große und die Zarin Elisabeth sich gegenseitig spitzige Epigramme zugeschickt hatten und es dadurch der Madame Pompadour leicht geworden war, sie mit Maria Theresia, dieser dritten Dame im Bunde gegen Friedrich den Großen, zusammenzuführen. Ich darf darauf verweisen, daß im Krim-Krieg Preußen gegenüber Rußland neutral blieb. Ich darf weiter darauf verweisen, daß es sogar zwischen den beiden Weltkriegen einmal eine Situation gegeben hat, die vielleicht in der Grundlage vorbildlich sein könnte. Wir, Deutschland, waren damals durch die Verträge von Locarno und durch den Eintritt in den Völkerbund mit dem Westen verbunden und lagen endlich richtig — richtig im Gegensatz zu dem Versuch, immer in der Mitte für sich zu stehen —; gleichzeitig aber hatte ein gewisser Stresemann einen Vertrag — —
— Ja, ein gewisser Stresemann. Ich denke da an den Stresemann-Film; so, wie der Film ihn zeigt, war er nicht.
Er war zwar auch der Europäer, war zwar auch der Mann, der mit Frankreich Ausgleich und Frieden wollte, und wir haben ihm als junge Menschen zugejubelt, als er diese Politik verkündete; aber er war auch der Mann realistischer Entschlüsse, der wußte, daß entscheidend sein kann, unter Umständen auch einmal eine Drehung vorzunehmen, und er war der Mann, von dem ich jetzt sprechen wollte, der daran gedacht hat, daß wir in Deutschland zwischen West und Ost liegen. Denn als wir uns mit dem Westen so verankert hatten, da schloß er mit dem Osten, mit Rußland den berühmten Vertrag vom April 1926, in dem stand, daß sich beide Staaten gegenseitig Neutralität zuerkennen, das heißt, daß, wenn der eine unprovoziert angegriffen wird, der andere neutral bleibt, und vice versa, und daß beide ferner einen Nichtangriffspakt abgeschlossen hatten. Es war ein kluges Beispiel. Denn dieser Vertrag schuf dem Osten die Garantie, daß er unter den damaligen Verhältnissen vom Westen wenigstens über Deutschland hinweg nicht angegriffen werden konnte, und er schuf dem Westen die Garantie, daß 'er ohne deutsche Zustimmung vom Osten über deutsches Land hinweg nicht angegriffen werden konnte.Es war ein merkwürdiges Zusammentreffen —vielleicht auch nicht ein merkwürdiges Zusammentreffen, vielleicht sogar ein gewolltes Zusammentreffen —, daß bei dem Besuch des Herrn Mikojan die Veröffentlichungen der sowjetrussischen Botschaft in Bonn an diesen Vertrag erinnert haben. Ich möchte in Erinnerung an diesen damals erschienenen Aufsatz unsere Auffassung dazu, so wie ich sie soeben geschildert habe, in Erinnerung rufen. So war's! Nicht irgendwelche Abschattierungen anderer Art. Aber wenn über diese Richtung verhandelt werden sollte — warum nicht?Als Herr Mikojan hier war, ist wiederholt jene russische These bestätigt worden, die da sagt, wir sollten uns zunächst mit Pankow an einen Tisch setzen, und dann werde man ja sehen; eine deutsche Einigung sei eine Sache der Deutschen unter sich. Darauf ist folgende Frage zu stellen. Wenn diese Behauptung echt ist: wird Rußland unbesehen zu allem, was die beiden, Bonn und Pankow, etwa ausmachen würden, Ja und Amen sagen? Kann der Kreml uns heute schon die Zustimmung von Washington, London und Paris dazu geben, daß alles, was die beiden miteinander ausmachen, gebilligt werden würde? Ich glaube, wenn Sie die Frage so stellen, dann stellen Sie nur einer dialektisch gewollten Ausrede eine dialektisch gewollte replicatio entgegen. Die Dinge sollten realistischer betrachtet werden; und die realistische Betrachtung ist die, daß der Osten heute noch im Besitz dessen ist, was unserer Auffassung nach unser ist, daß es aber immerhin eine Atlantik-Charta gibt und ein Potsdamer Abkommen, das uns Rechtsansprüche gibt.Es kommt noch eines hinzu. Der Osten ist im Besitz von Ländern, die nicht im russischen Besitz bleiben wollen. Er ist im Besitz von Ländern, die praktisch als russische Kolonien behandelt werden. Wenn Rußland dem Westen Kolonialismus vorwirft — uns trifft dieser Vorwurf des Kolonialismus schon lange nicht mehr —, dann kann mit gleichem Recht entgegengehalten werden, daß auch der Osten Kolonialismus betreibt in einer Form, die — und hier mache 'ich dem freien Westen den Vorwurf der mangelnden politischen und psychologischen Initiative —, wenn sie bei den Ländern, um deren Gunst der Osten heute buhlt, richtig bekannt würde, doch auch ein gewisses Erwachen zur Folge haben müßte.Ich glaube, auf die Dauer wird Rußland sich darüber klar sein müssen, daß der alte Satz immer seine Richtigkeit hat: „Pfeiler, Säulen kann man brechen, aber nicht ein freies Herz." Das gilt für unsere Deutschen in der Sowjetzone, das gilt auch für die armen osteuropäischen Völker, die doch von europäischem Geiste sind und vom europäischen Freiheitsgefühl noch Funken in sich spüren und das tapfer gezeigt haben. Ich glaube, daß, wenn ich vorhin von dem Satz sprach: „Bis dat qui cito dat", das vielleicht auch im Verhältnis der Sowjetunion zu den Staaten des Ostblocks dereinst von Bedeutung sein kann. Denn ich kann mir nicht vorstellen, daß diese Art Kolonialismus, aufrechterhalten mit unendlichem Zwang, ewig dauern könnte. Hier wird irgendwann auch aus der inneren
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russischen Überlegung heraus die Konsequenz kommen müssen.Noch ein Letztes! Erinnern wir uns wieder daran, daß das Ziel des Marxismus, des Leninismus folgendes ist! Wie St. Marx und St. Lenin gepredigt haben, geht der kapitalistische Westen angeblich an seinen eigenen inneren Schwierigkeiten, an seinem eigenen kapitalistischen System zugrunde. Diese Theorie wird heute noch aufrechterhalten. Wenn der Stalinismus, auch der wieder neu erweckte Stalinismus einen Sinn hat, dann doch den, auch diese Theorie aufrechtzuerhalten.Ich bin überzeugt, daß die russische Expansion auch auf dem Gebiet vorangeht, das ich eben angedeutet habe. Die Sowjetunion will ihre industrielle Produktion und ihren Export derart steigern, daß sie Amerika übertrifft, und zwar nur deshalb, um dieser Theorie von Marx und Lenin Folge zu leisten, den Export der westlichen Länder zu drosseln und verkümmern zu lassen. Wozu kämpft Rußland um die Seele der Völker im Südosten Asiens, im mittleren Orient, in Afrika, vielleicht demnächst in Südamerika? Um sie für sich zu gewinnen, um sie auf der Grundlage ihrer Zuneigung als Absatzmärkte zu gewinnen und im freien Westen, im sogenannten kapitalistischen Westen, Exportschwierigkeiten, soziale Spannungen und Währungsverfall hervorzurufen, so daß es dann mit einem letzten militärischen Stoß diese Länder leichthin an sich bringen kann.Bitte, meine Damen und Herren, unterschätzen Sie diese Gedankengänge nicht! Ich kann mir vorstellen, daß dem Osten an der Gewinnung atomverseuchter, kriegszerstörter Volkswirtschaften und Länder weniger gelegen sein kann als an der Gewinnung nicht derart verseuchter und zerstörter Volkswirtschaften und deren Rohstoffe. Auf deutsch: Wir müssen beide Möglichkeiten beachten. Wir dürfen nicht nur unverwandt auf diese Art Maginotlinie starren, die von Jütland bis Triest gezogen ist, sondern wir müssen darauf achten, daß der Kriegsschauplatz des Kalten Krieges heute im wesentlichen ganz woanders, nämlich in Südostasien, im mittleren Orient, in Nordafrika, vielleicht demnächst in Südamerika, liegt. Dann sehen wir die Dinge richtig.Ich habe eine Menge Probleme angesprochen, nicht um sie in dieser Versammlung zu lösen, sondern um sie gewissermaßen als Aufgabenbereich für die Kommission — meinethalben den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten, den ich vorschlagen möchte — abzugrenzen, in der wir zusammen mit der Regierung, einträchtig in dem Ziel, eine gemeinsame Außenpolitik zu erarbeiten und zu finden, diese Probleme zu lösen versuchen sollten.Deshalb möchte ich mit der Frage an den Herrn Bundeskanzler und an den Herrn Außenminister schließen: Ist die Bundesregierung bereit, die Frage der militärstrategischen Lage in der Welt, die Frage der militärischen Konzeption für unsere Bundesrepublik, alle Erkenntnisse, die sich aus den Berichten unserer Botschafter und Gesandten ergeben, und die damit in Verbindung stehenden finanziellenFragen einträchtig in einem vertraulichen Ausschuß zu behandeln? Ich bitte darum, ja zu sagen.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Herr Kollege Becker hat einige Ausführungen persönlicher und verfassungsrechtlicher Natur gemacht, die mich nötigen, dazu eine kurze Erklärung abzugeben. Zunächst hat er von Gegensätzlichkeit zwischen dem Außenminister und mir gesprochen. Diese Behauptungen sind nicht richtig. Zwischen Herrn von Brentano und mir besteht volle Übereinstimmung in der Behandlung der auswärtigen Politik. Ich habe dem noch unlängst auch in der Presse Ausdruck gegeben.Er hat weiter gesagt, daß Staatssekretär Hallstein und Ministerialdirektor Blankenhorn als Besonderheit das Recht zum unmittelbaren Vortrag bei mir gehabt hätten. Ich nehme an, daß Herr Kollege Becker nicht gemeint hat, daß ein Staatssekretär, wenn der Minister nicht anwesend ist, selbstverständlich ihn vertritt. Aber abgesehen davon hat — und das war schon immer so, nicht nur seitdem die Bundesrepublik besteht — jeder Staatssekretär und jeder Ministerialdirektor das Recht, sich unmittelbar zum Vortrag beim Bundeskanzler, früher Reichskanzler, zu melden. Nur muß dem Bundesminister dann davon Mitteilung gemacht werden. Herr Hallstein und Herr Blankenhorn haben also kein besonderes Recht zugestanden bekommen.Herr Kollege Becker hat ferner die Frage aufgeworfen, wer denn nun dem Parlament verantwortlich ist. Diese Frage gibt mir einen nicht unwillkommenen Anlaß, meine Damen und Herren, doch auf Bestimmungen des Grundgesetzes hinzuweisen, die nicht immer gegenwärtig sind. Sie wissen, daß der Bundeskanzler die Richtlinien der Politik bestimmt, und er trägt dafür die Verantwortung. Innerhalb dieser Richtlinien leitet jeder Bundesminister seinen Geschäftsbereich selbständig. Das ist eine Bestimmung, die aus der früheren Reichsverfassung wörtlich übernommen ist. Aber das Grundgesetz enthält eine entscheidende Änderung gegenüber der Reichsverfassung dadurch, daß allein der Bundeskanzler dem Parlament verantwortlich ist. Während nach der Reichsverfassung jeder Reichsminister auch verantwortlich war und ihm das Mißtrauen ausgesprochen werden konnte, kann nach unserem Grundgesetz nur dem Bundeskanzler das Mißtrauen des Parlaments ausgesprochen werden. Infolgedessen trägt auch der Bundeskanzler die Verantwortung gegenüber dem Parlament für alle Handlungen der einzelnen Minister, und daraus ergeben sich natürlich gewisse Konsequenzen, die in der Natur der Sache liegen.Die Ausführungen des Herrn Dr. Becker zum Eingang zeigen ganz klar, wie die Sache gehandhabt21gMetadaten/Kopzeile:
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Bundeskanzler Dr. Adenauerwerden muß. Er hat, um eine gute Außenpolitik treiben zu können, Auskunft über Angelegenheiten des Bundesverteidigungsministers verlangt. Wenn der Bundeskanzler die Verantwortung gegenüber dem Parlament sowohl für die — selbstverständlich wichtigeren — Sachen des Bundesverteidigungsministers wie des Bundesaußenministers übernehmen muß — und ich leugne nicht, daß diese Fragen in engem innerem Zusammenhang stehen —, dann muß er natürlich auch das Recht haben, darauf einzuwirken.Ein Bundeskanzler, meine Damen und Herren, trägt — ich sage das jetzt nicht für mich — nach unserem Grundgesetz eine ungeheure Verantwortung. Er kann die Verantwortung nur dann tragen, wenn er in Übereinstimmung mit den Mitgliedern des Kabinetts in den wichtigsten Fragen ist. Daß der Bundeskanzler sowohl seine Kraft und seine Zeit vergeuden würde wie auch die Zeit und die Kraft der Bundesminister, wenn er sich um Einzelheiten und Kleinigkeiten bekümmerte, versteht sich von selbst.
Aber in den entscheidenden Fragen muß der Bundeskanzler in der Lage sein, vor dem Parlament die Verantwortung zu übernehmen, auch für die Handlungen eines Bundesministers.
Das Wort hat der Abgeordnete Kiesinger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es kann nicht geleugnet werden, daß das nüchterne Klima einer Haushaltsdebatte offenbar auch außenpolitischen Erwägungen, die wir in diesem Hause anstellen, zugute kommt. Wir haben heute eine Debatte gehabt, bei der am bemerkenswertesten der von allen Seiten ausgesprochene Wunsch nach der Anbahnung einer gemeinsamen Außenpolitik war. Ich will meinen Beitrag dazu zu leisten versuchen, ohne mich auf rhetorische Deklamationen einzulassen. Ich will vielmehr eine kleine Untersuchung darüber anstellen, wie wir auf dem Wege zu diesem gemeinsamen Ziel ein Stückchen vorwärts kommen könnten.Herr Kollege Dr. Meyer hat davon gesprochen, daß heute am dürren Stamm ein Reis der Hoffnung entsprossen sei. Ich würde eher ein anderes Bild wählen. Ich würde sagen, daß ein Reis in einem Garten entsprossen ist. Das Klima aber, in dem es gedeihen soll, ist im allgemeinen durch einen sehr ungünstig wirkenden jähen Wechsel zwischen Hitze und Kälte und ewigem Regen und Hagel ausgezeichnet. Daß für das Gedeihen eines solchen Pflänzchens eben ein günstiges Klima Voraussetzung ist, das ist wohl das Entscheidende.Nun, auch wir wollen natürlich eine gemeinsame Außenpolitik. Wer könnte sie nicht wünschen angesichts der schwierigen Lage, in der sich unserVolk in dieser gefährlichen Welt befindet; auf drei weltpolitischen Aktionsfeldern hat sich unsere Außenpolitik zu bewähren. Das erste ist das Feld, das wir gemeinhin den Westen zu nennen pflegen, ein in sich sehr kompliziertes Gebilde; das zweite ist der kommunistische Block, obwohl es auch da eine Differenzierung gibt; und es sind schließlich die weiten Gebiete Asiens und Afrikas, die wir unter dem Sammelbegriff der Entwicklungsländer zusammenzufassen pflegen.Es hat mich nicht sehr gewundert, daß die Ausführungen von Herrn Kollegen Meyer und auch von Herrn Kollegen Becker zu dem Aktionsfeld Westen etwas mager ausgefallen sind. Im großen und ganzen haben sich die beiden Redner darauf beschränkt, zu sagen, wir müßten unsere Verbündeten, unsere Freunde im Westen ermahnen, etwas mehr für unsere Sache zu tun und nicht so starr auf gewissen Prinzipien und Doktrinen zu bestehen.Nun, ich sage ganz offen: Für uns ist nach wie vor das Prinzip der Solidarität mit dieser Welt des Westens das Entscheidende. Das ist keineswegs eine Selbstverständlichkeit. Diese Solidarität ist —die Entwicklung während des letzten Jahres hat es gezeigt — durchaus nicht ungefährdet. Dazu gehört das weite Feld unserer europäischen Bemühungen. Dazu gehört aber auch das nordatlantische Bündnis, idessen Wichtigkeit ifür die Sache der Freiheit unseres ganzen Volkes, unserer heute und derer drüben morgen, nicht bezweifelt werden kann.Ich will die alten Argumente, die wir in diesem Hause oft miteinander ausgetauscht haben, heute nicht wieder hervorholen. Aber es ist sicher so, daß hier ein tiefer Unterschied in der Analyse der Situation besteht. Wir sind uns eben leider nicht einig über das Ausmaß der unserer Freiheit, der Freiheit des Westens, immer noch vom Osten drohenden Gefahr.
Man hat uns vorgeworfen, wir malten den Teufel an die Wand, wir suchten damit, daß wir das bolschewistische Gespenst immer wieder heraufbeschwörten, billige Erfolge bei den Wählermassen zu erzielen. Wir wären froh, wenn es anders wäre. Aber wir können nun einfach nicht, nach bestem Wissen und Gewissen die Weltlage beurteilend, zu demselben Schluß kommen wie manche Leute in unserem Land, zu dem Schluß nämlich, daß das alles nicht so schlimm sei. Wir betrachten die Lage nach wie vor als sehr schlimm, und wir würden unsere Pflicht versäumen, wenn wir nicht alles täten, um gegen diese Gefahr, die wir nicht primitiv nur als einen bewaffneten Angriff vom Osten denken, sondern die wir in ihrem ganzen Umfange und in ihrer ganzen Kompliziertheit sehen, unser Volk, den freien Reist unseres Volkes zu sichern.
Herr Kollege Dr. Meyer hat einen kleinen Vorwurf, so habe ich ihn verstanden, an die Adresse unserer Verbündeten gerichtet, als er von den 18 Millionen drüben sprach. Gewiß, meine Damen und
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KiesingerHerren, ist es in erster Linie unsere Sache, uns um das Los dieser 18 Millionen zu kümmern, und wir dürfen natürlich nicht voraussetzen, daß man anderswo dasselbe Interesse hat, diesen Menschen die Freiheit wiederzuschenken, wie bei uns. Das ist nun einmal so. Auch in unserem Volke ist für die Last, das Anliegen und die Not anderer Völker nicht dasselbe Interesse vorhanden wie dort. Aber ich weiß nicht recht, ob man, wenn man eine solche Mahnung ausspricht, doch nicht zu allererst nach dem Osten blicken sollte.Wenn ich Sie recht verstanden habe, so ging im übrigen der Appell an unsere Verbündeten in dem Sinne, sie sollten sich zu einer elastischeren, beweglicheren Politik entschließen. Sehen Sie, da habe ich nun meinerseits Bedenken. Es ist Mode geworden, über Disengagement zu sprechen. Ich weiß, daß man auch in Deutschland vielfach meint, diese Disengagement-Pläne zielten in erster Linie auf die Herbeiführung der staatlichen Einheit Deutschlands und auf die allmähliche Befreiung der Menschen in den sogenannten Satellitenländern ab. Ich habe da oft ein bängliches Gefühl, daß diejenigen, die diese militärischen Disengagement-Pläne verkünden, zwar mit den Lippen ein Bekenntnis zur deutschen Wiedervereinigung und auch zur künftigen Freiheit der Völker in den Satellitenländern ablegen, daß aber viele von ihnen sich innerlich mit einem europäischen Modus vivendi auf der Basis des Status quo abgefunden haben.
Daher, meine Damen und Herren, bitte Ermahnungen an die richtige Adresse!Was den kommunistischen Block anbelangt, so hat es viele Illusionen im Laufe der beiden letzten Jahre gegeben. Viele Leute glaubten schon im Osten das Morgenrot kommender Freiheit aufglühen zu sehen. Ich glaube, sie sind inzwischen enttäuscht worden. Ich erinnere nur an die Worte, die Herr Kiritschenko jüngst auf dem kommunistischen Kongreß in Prag gesagt hat, mit denen er die berühmte, auf dem XX. Parteikongreß feierlich verkündete Formel des eigenen Weges zum Sozialismus als ein lächerliches und gefährliches revisionistisches Geschwätz abgetan hat. Das zeigt uns doch, daß das unheimliche Phänomen drüben für uns alle noch immer unfaßbar ist und daß wir gut daran tun, ihm mit äußerster Wachsamkeit gegenüberzustehen.Es ist wahr, daß das große Anliegen der deutschen Wiedervereinigung deswegen so kompliziert ist, weil unser Land zu einem Teil im kommunistischen Block — natürlich wider seinen Willen und wider den Willen der 18 Millionen steckt und daß wir versuchen müssen, die 18 Millionen dort herauszuholen. Herr Kollege Dr. Meyer, ich würde eine Formel wie die, daß wir wenigstens versuchen sollten, den Menschen drüben ein größeres Maß an Freiheit zu verschaffen, nicht ohne weiteres vom Tisch wischen. Ich wäre von Herzen froh, wenn es uns auf irgendeine Weise gelingen könnte, als Vorstufe der Herstellung der staatlichen Einheit ein solches wachsendes Maß an Freiheit für sie zu gewinnen. Natürlich soll es kein Ersatz für die Herstellung der staatlichen Einheit, für die Wiedervereinigung sein. Aber es ist doch eine der Möglichkeiten, über die man auch einmal in Ruhe nachdenken und in Ruhe sprechen sollte.Die Opposition hat es natürlich in der Frage der Wiedervereinigung leicht, viel leichter als wir; das erleben wir seit Jahr und Tag. Es wäre eine schlechte Opposition, wenn sie uns nicht vorwerfen würde, daß wir nicht genügend aktiv seien, daß uns nicht genügend einfalle. Es ist die Aufgabe der Opposition in allen Parlamenten, es ist ihr gutes Recht, ja, es ist sogar ihre Pflicht, eine Art Stachel in unserem Fleische zu sein.Aber wir können ja nicht nur Pläne ausarbeiten, sondern wir müssen diese sofort in die harte Wirklichkeit der Politik umsetzen. Und da hat sich eben bisher gezeigt, daß wir in der deutschen Frage nicht deshalb nicht weitergekommen sind, weil uns nichts eingefallen wäre, sondern deswegen, weil die Bedingungen, unter denen die Sowjetunion heute eine deutsche Wiedervereinigung zu akzeptieren bereit wäre, für uns niemals akzeptabel sind.
Hier, Herr Kollege Becker, sagen wir doch beide gemeinsam „niemals". Man soll eben doch mitunter in der Politik „niemals" sagen, und in diesem Falle sagen wir es ja alle. Wir wollen alle nicht eine Lösung der deutschen Frage, die praktisch ganz Deutschland in den kommunistischen Einflußbereich einbezöge. Nein, es ist nicht alles bestens, Herr Kollege Wehner; sicher nicht. Es ist sogar schlimm, es ist tragisch schlimm. Aber nicht wir sind schuld daran, daß es so schlimm ist, sondern es ist das Erbe des zweiten Weltkriegs, mit dem wir uns herumplagen müssen.Ich will auf den von Herrn Kollegen Dr. Meyer behandelten Komplex der Pflege der Beziehungen zu den ost- und zentraleuropäischen Ländern, die man gewöhnlich mit dem Namen „Satellitenstaaten" zusammenfaßt, auch nicht eingehen. Diese Frage ist anhängig. Wir werden nach der Sommerpause im Ausschuß darauf zurückkommen. Und wie so oft in außenpolitischen Angelegenheiten ist es in der Tat besser, diese Frage erst einmal im Schoße des Ausschusses gründlich zu Ende zu beraten und dann im Plenum auf sie zurückzukommen. Wir haben natürlich mit Aufmerksamkeit Ihren Argumenten hier gelauscht.Was die Beziehungen zur Sowjetunion anbelangt, so können wir nur wiederholen, was wir immer schon gesagt haben: Es liegt uns daran, mit der Sowjetunion in ein Verhältnis zu kommen, das es erlaubt, die deutsche Frage zu lösen, gutnachbarliche Beziehungen herzustellen und den Frieden und die Freiheit unseres Landes und Westeuropas zu sichern. Die Sowjetunion kann gewiß sein, daß sie uns, wenn sie einen ernsthaften Versuch in dieser Richtung unternimmt, zu jedem Gespräch und jedem Versuch einer Besserung bereitfinden wird.
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2196 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1958
KiesingerWas das Gebiet der Entwicklungsländer anlangt — ein Gebiet, das man nicht nur unter dem Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Hilfe sehen darf, sondern das der westlichen Außenpolitik überhaupt eine der wichtigsten politischen Aufgaben stellt —, so kann ich im großen und ganzen den Ausführungen, die bisher gemacht worden sind, für meine Freunde zustimmen. Jedermann weiß, daß das künftige Schicksal unseres Planeten davon abhängen kann, wie sich die politische Entwicklung in jenen riesigen Gebieten Asiens und Afrikas fortsetzt, wo weniger die Sowjetunion als das kommunistische China als Vorbild und Herausforderung wirkt.Es ist richtig, Herr Kollege Dr. Meyer, wir müssen unser Verhalten gegenüber diesen Gebieten in erster Linie als Ausfluß einer sittlichen Pflicht betrachten; ich stimme Ihnen zu. Aber Sie werden mir zugeben, daß für uns alle, daß für den Frieden und die Freiheit in dieser Welt unendlich viel davon abhängt, wie sich die Völker jener Gebiete politisch entscheiden werden. Vielleicht werden sie sich einmal weder kommunistisch entscheiden noch in einem Sinne, der unserer westlichen Demokratie entspricht. Das Entscheidende wird aber sein, ob sie sich in ihrer Art für die Sache der 'Freiheit, der Menschenwürde und der Menschenrechte entscheiden, und hier liegt unser aller dringlichste Aufgabe.
Ich bedauere, daß es bis jetzt nicht möglich gewesen ist — die Gründe dafür sind vielfältig —, daß die deutsche Politik auf diesem wichtigen Aktionsfeld mehr Kraft und Energie entfaltete. Man sollte dafür nicht allein die Regierung oder den Außenminister, von dem ich weiß, daß er diese Frage für sehr wichtig hält, verantwortlich machen. Wir sollten auch von uns aus, in diesem Hause, mehr Initiative entwickeln.Mich schmerzt es immer sehr, wenn ich sehe, wie viele ausländische Studenten den vergeblichen Wunsch haben, in unserem Lande zu studieren, welche Möglichkeiten gegeben wären, diesen Menschen nicht nur eine gute technische und wissenschaftliche Ausbildung zu vermitteln, sondern sie auch in Kontakt mit unserem Volk zu bringen, so daß lebenslange Freundschaften begründet werden könnten, und wenn mir auf der anderen Seite erklärt wird, daß diese Möglichkeiten an technischen und finanziellen Fragen scheitern müßten. Ich richte an uns alle, die Regierung eingeschlossen, den dringenden Appell, alle Möglichkeiten zu untersuchen, um in dieser wichtigen Frage Besserung zu schaffen.
Wir lassen uns sonst eine kostbare Gelegenheit entgehen, die im Interesse unseres Volkes wie für den Frieden und die Freiheit in der Welt genutzt werden sollte.Eine kleine Einschränkung, Herr Dr. Meyer: Sicher, auch wir begrüßen jede Geburt einer neuen freien Nation in der Welt der ehemaligen Kolonialherrschaft. Nur, glaube ich, neigt man gelegentlich dazu, die Schwierigkeiten und Gefahren des Übergangsstadiums zu unterschätzen. Eine neue kraftvolle Nation wird ja nicht von heute auf morgen wie ein Phönix aus der Asche geboren; sie kann sich oft nicht sofort ihrer Haut wehren, weder militärisch noch mit Ideen. Vielmehr entsteht häufig ein machtpolitischer Hohlraum, in den dann der allzeit bereite, aktive und aggressive Weltkommunismus vorstößt. Wir werden uns daran gewöhnen müssen, für Bewältigung solcher Übergangsperioden ernsthafte Überlegungen anzustellen, soweit wir mitwirken können. Wir haben ja genug Beispiele vor Augen, die uns den ganzen Ernst dieser Übergangsperiode vom Kolonialstatus zum Status einer freien, unabhängigen Nation klarmachen.Ich will aber, wie gesagt, heute nicht die Gesamtproblematik unserer Außenpolitik aufrollen, sondern nur versuchen, uns gemeinsam zu fragen, wie wir auf dem heute begonnenen Wege weiterkommen wollen.Sie wissen, daß ich mich als Vorsitzender des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten seit längerer Zeit sehr bemüht habe, den von Herrn Kollegen Becker mit Recht kritisierten, seit Beginn der Arbeit dieses Ausschusses bestehenden unbefriedigenden Zustand zu überwinden. Eine gewisse Sterilität dieses Ausschusses — von den Fällen abgesehen, wo wir gemeinsame Gesetzesvorlagen zu beraten hatten — bestand ja nicht etwa deswegen, weil die Mitglieder des Ausschusses nicht willens gewesen wären, ihre wichtige Arbeit zu tun, sondern weil wir uns zu weit auseinandergelebt hatten. Ich will das jetzt nicht im einzelnen darlegen; alle diese Dinge sind ja jedermann bekannt. Es kommt sicher auch hinzu — da gebe ich dem Herrn Kollegen Becker recht —, daß der Ausschuß ein etwas großes Gremium ist und daß die Wahrung der Vertraulichkeit von Anfang an ein Problem gewesen ist. Aber diese Hindernisse sollten nicht unüberwindlich sein, d. h. bei gemeinsamer Disziplin sollte sich die Vertraulichkeit wirklich garantieren lassen.Was nun die Mitarbeit der Regierung im Ausschuß anlangt, so würde ich meinen, wir sollten auch nicht einseitig die Anklage gegen sie richten. Erinnern Sie sich bitte an das oft unwürdige Bild einer peinlichen Befragung der Regierung, einer Befragung, bei der es nicht zu einer fruchtbaren Aussprache mit dem Ziel einer gemeinsamen Willensbildung kam. Ich meine, dieser Zustand sollte und könnte überwunden werden.Ich habe eine Reihe von Besprechungen mit Vertrauensleuten der Fraktionen aus dem Ausschuß gehabt. Aus irgendeinem Mißverständnis, Herr Kollege Becker, war Ihre Fraktion bei der letzten, vor ein paar Tagen, nicht vertreten. Mein Vorschlag war, wir sollten von dem Recht des Ausschusses, von sich aus Gebiete seiner Wahl zu beackern, in Zukunft kräftig Gebrauch machen. Wir sollten auch an die Materien herangehen, die Sie erwähnt haben. Ich habe sie für den Arbeitsplan des Ausschusses nach der Sommerpause vorgeschlagen. Wir sollten die Beratung einleiten durch Referat und Korreferat, wie in den vergangenen Wochen, und versuchen,
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Kiesingerdie Problematik zu bewältigen, mit einem Mindestmaß an gegenseitigem Vertrauen. Wir sollten uns dabei weiter bemühen, unsere wechselseitigen Argumente so sorgfältig, so nüchtern und so sachlich wie möglich im Ausschuß vorzutragen. Ich erhoffe davon sogar eine Besserung des Klimas zwischen den Fraktionen außerhalb des Ausschusses.In unserer unheimlich komplizierten Welt wird die Möglichkeit einer weitplanenden Außenpolitik von manchen klugen Geistern angezweifelt. Ich erinnere mich an ein Wort Paul Valérys, der sagte, daß in der gegenwärtigen komplizierten Welt eine langplanende Außenpolitik, eine verläßliche Prognose, wie sie ehedem möglich gewesen sei, nicht mehr denkbar sei. Er meinte, solche Bemühungen hätten heute allenfalls den Wert eines tuyau de bourse, eines Börsentips. Nun, das halte ich für überspitzt; hätte Paul Valéry recht, müßten wir unser Geschäft aufgeben und den Lauf der Dinge eben dem Zufall überlassen. Aber wahr ist, daß die Analyse der weltpolitischen Situation heute so ungeheuer schwer geworden ist, daß wir uns mit dem größten Ernst dieser Aufgabe widmen müssen. Dabei — jetzt nehme ich den kleinen Tadel auf, der gegen die Juristen oder gegen die Jurisprudenz ausgesprochen worden ist — erinnere ich an eines der kostbarsten Geschenke des juristischen Studiums und der juristischen Arbeit. Herr Kollege Becker! Sie wissen, daß das, was den juristischen habitus auszeichnet, das Vermögen ist, einen komplizierten Sachverhalt genau zu erfassen. Wir wissen aus den juristischen Examina, daß die Lösung der Prüfungsaufgaben nur zu 20 % an der falschen Anwendung des Rechts, zu 80 % aber an der ungenügenden Auffassung des Sachverhalts scheitert. Es hat mich sehr gefreut, in den Lebenserinnerungen Mahatma Gandhis — wenn Sie mir diese kleine Abschweifung gestatten — zu lesen, daß er dieselbe Erfahrung gemacht hat. Er schreibt, daß er als junger Inderanwalt in Südafrika oft in einer Rechtssache feststak und dann zum alten, erfahrenen Partner ging und ihm seine Not klagte. Dieser sagte ihm dann: Der Sachverhalt, Herr Kollege! Und Ghandi bekennt, daß ihm sehr bald bei einer erneuten gründlicheren Untersuchung des Sachverhalts auch die rechtlichen Zusammenhänge klarer wurden.Wenden wir diese Erfahrung auf das Gebiet der Außenpolitik an! Das würde bedeuten: Wenn wir alle in diesem Hause — zunächst einmal im Auswärtigen Ausschuß, wo sich die Dinge leichter behandeln lassen — uns dieser Aufgabe der Analyse sorgfältiger und mit mehr Ernst und Nachdruck unterzögen, dann meine ich, daß sich beinahe wie eine reife Frucht vom Baum auch mehr an gemeinsamer Prognose und damit mehr an gemeinsamer Außenpolitik ergäbe. Dies, meine Damen und Herren, wäre ein praktischer Weg zum gemeinsamen Ziel.Keiner von uns wind leugnen, daß er Tag um Tag mit diesen Riesenschwierigkeiten kämpft. Ich habe manchmal den Eindruck, daß Nichtparlamentarier, außenstehende Kritiker, die uns tadeln, unsere Arbeit im Parlament gehörig unterschätzen.Ich denke an das Beispiel — nun, ich spreche es offen aus —, das uns Herr Professor Weizsäcker gegeben hat: Erst eine Aktion, und hinterher eine sehr nützliche, sehr zu respektierende Betrachtung, wie er sie in seiner Artikelserie in der „Zeit" gegeben hat, und zwar mit der Bemerkung — wenn ich mich recht erinnere —, daß diese Betrachtung das Ergebnis ihm erst nachträglich bekanntgewordener Tatsachen und Zusammenhänge sei.
Nun, Herr Professor Weizsäcker darf sicher sein, daß alle seine Gedankengänge in diesem Hause und in unseren Fraktionen in wochenlangen Bemühungen durchgedacht worden sind.
Ich darf bei dieser Gelegenheit der deutschen Offentlichkeit doch einmal sagen, daß in diesem Hause nicht nur dickfellige Pragmatiker sitzen, die über den Daumen gepeilte 'Entscheidungen treffen. Es sind hier doch Menschen beisammen, die die Weltdiskussion über die großen Probleme unserer Zeit einigermaßen beherrschen unid bei ihren Überlegungen und Entscheidungen berücksichtigen.
Meine Damen und Herren, ohne Illusionen: Wir sind sicher in unseren Konzeptionen noch weit voneinander entfernt. Machen wir diesen ernsthaften und mühevollen Versuch einer gemeinsamen gründlicheren Analyse! Ich bin überzeugt, die Prognose und das gemeinsame Anliegen einer gemeinsamen Außenpolitik werden daraus Nutzen ziehen.
Das Wort hat der Abgeordnete Schneider .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch heute ist wieder das Wort gefallen, daß die Lage sehr ernst geworden sei. Ich glaube, wir haben das schon wiederholt in außenpolitischen Debatten gehört. Ich gehe aber wohl nicht fehl, wenn ich feststelle, daß die Lage an sich schon immer sehr ernst gewesen ist, nämlich seit dem Tage, da Deutschland infolge der Kriegsereignisse durch die Beschlüsse von Jalta und Potsdam gespalten wurde. Wir waren uns auch seit eh und je darüber klar, daß, wenn dieser — ich will ruhig einmal sagen — Unruheherd in der Mitte Europas nicht beseitigt werden kann, es nicht zu einem wirklichen Frieden in der Welt und in Europa kommen kann.Herr Kollege Becker hat heute morgen in ausgezeichneter Weise die Maßstäbe aufgezeigt, innerhalb deren sich unsere Politik zu bewegen hat. Er ist dabei von der weltpolitischen Lage und nicht zuletzt auch von der Größe der Nationen, der Völker ausgegangen. Ich glaube, wir alle sollten diese Worte beherzigen und sollten auch selber zum Maßstab unserer Wünsche und Forderungen, zum
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Maßstab der Wünsche und Forderungen der Bundesrepublik, die Gesamtweltlage machen und sollten erkennen, daß unser Anliegen nur eingebettet in das Anliegen all der übrigen Nationen verwirklicht werden kann.Die Art und Weise, in der in den letzten Monaten oftmals im Hause und auch draußen über Lebensfragen unserer Nation, nämlich über die Fragen der Wiedervereinigung, der Wehrpolitik und der Außenpolitik, gesprochen worden ist, hat meine Freunde von der Deutschen Partei sehr besorgt gemacht. Sie werden mit mir darin übereinstimmen, daß wir vielleicht alle nach einem neuen Beginn suchen sollten und daß wir den Parteihader aus der Erörterung dieser Lebensfragen herauslassen sollten.
Keine Nation der Welt würde es sich erlauben, diese Fragen zu einem Hauptstreitpunkt der Parteipolitik zu machen. Ich habe deswegen nach der ersten diesjährigen außenpolitischen Debatte dieses Hauses bereits im Frühjahr im sogenannten Rundfunkkrieg für die DP die Stimme erhoben und gesagt, daß wir hier zu einem neuen Stil kommen müßten, wenn das Anliegen der freiheitlichen Bundesrepublik nicht einfach untergehen soll. Ich habe mit meinen politischen Freunden die Hoffnung, daß die heutige Annahme des Antrags des Auswärtigen Ausschusses — ein kleiner Lichtstrahl! — ein solcher Neubeginn sein möge.Wir sprechen von der Wiedervereinigung unseres Vaterlandes. Ich will hier nicht zu all dem etwas sagen, was wiederholt erwähnt worden ist. Es kann sich heute auch nicht um eine außenpolitische Debatte handeln, sondern praktisch nur um Streiflichter.Meine Freunde macht es besorgt, daß sich in letzter Zeit wiederholt Stimmen im Ausland gezeigt haben, die die Frage stellten, ob es überhaupt zweckmäßig und richtig sei, Deutschland seine nationale Einheit wiederzugeben. Gewiß, man könnte sagen, es sind Randerscheinungen. Man muß sich aber darüber im klaren sein, daß hinter Äußerungen vereinzelter Wissenschaftler, Politiker usw. auch Strömungen in den betreffenden Nationen stehen, die wir nicht zu gering einschätzen dürfen. Ich glaube, daß wir gerade deshalb alle Veranlassung haben, unsere Freundschaft und Bündnispartnerschaft nicht aufs Spiel zu setzen, sondern diejenigen, die sich mit uns befreundet und verbündet haben, bei dem gegebenen Wort zu nehmen.Besonders hat es meine Freunde besorgt gemacht, daß in diesen Tagen in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" — ich muß annehmen, daß die Meldung stimmt — eine Notiz stand, die — Herr Präsident, erlauben Sie mir bitte, sie kurz zu zitieren — folgendes enthält:Wie die französische Illustrierte „Paris Match" in einem Aufsatz von Jean Farran berichtet, hat Pflimlin vor einigen Tagen in einer Kabinettssitzung eine außenpolitische Darlegung mit der Aufforderung geschlossen: „Zeigen wir keinen Eifer für die WiedervereinigungDeutschlands!" Darauf habe de Gaulle hinzugefügt: „Ja, mein lieber Staatsminister, zeigen wir keinen Eifer für die Wiedervereinigung Deutschlands — seit tausend Jahren sage ich das."
— Der Herr Außenminister sagt, die Meldung sei falsch. Es würde mich sehr freuen, wenn diese Bemerkung des Herrn Außenministers zuträfe. Aber es sind leider von verschiedenen anderen Seiten ähnliche Äußerungen gemacht worden, und wir sollten wachsam sein. Wir können glücklich sein,. daß speziell die Berliner Erklärung nach wie vor im Raume steht, in der vor aller Weltöffentlichkeit dokumentiert worden ist, daß jedenfalls der Westen sich für die Wiedervereinigung Deutschlands einsetzen werde. Damit ist für uns die Erkenntnis gegeben, daß der Schlüssel dafür, ob sie überhaupt einmal praktiziert werden kann oder nicht, in Moskau liegt.Es ist von sowjetischer Seite, aber auch selbst von Politikern in unserem Lande gesagt worden, daß die eventuelle Bewaffnung der Bundeswehr mit taktischen Atomwaffen ein Hindernis auf dem Wege zur nationalen Einheit Deutschlands sein könne. Nachdem wir uns dieses Faustpfand für kommende Verhandlungen geschaffen haben, wobei wir jetzt im Begriff sind, die Ausbildung an solchen Waffen zu praktizieren und bekanntlich die Waffen selbst erst in anderthalb bis zwei Jahren erhalten werden, erhebt sich die Frage, ob wir vielleicht dieses Faustpfand jetzt schon, nämlich bis zur Effektuierung der Bewaffnung, als einen Verhandlungsgegenstand - taktische Atomwaffen gegen nationale Einheit Deutschlands — benutzen sollten, Ich erlaube mir persönlich diese Frage, wenn Sie wollen: diesen Vorschlag. In diesem Falle ist es gut, daß es noch zwei Jahre dauert, bis die Bewaffnung selbst effektiv wird. Wir haben also Zeit, über die Sache nachzudenken und gegebenenfalls bei denen, die allein uns die nationale Einheit bis zur Stunde vorenthalten, einmal nachzuforschen, ob sie bereit sind, einen solchen Handel mit uns einzugehen, wie überhaupt die Regierung, aber auch der Auswärtige Ausschuß diese Zeit benutzen mögen, sich aktiv in allen Fragen, die speziell unser Land betreffen, zu betätigen, um nach etwa zwei Jahren das allerletzte Wort in der Frage einer eventuellen atomaren Bewaffnung zu sprechen. Ich sagte: „das allerletzte Wort", weil meine Freunde und ich immer noch die Hoffnung haben, daß das allerletzte Wort in dieser Frage noch nicht gesprochen ist. Wir erwarten vor allen Dingen, daß unter` Umständen auf einer Gipfelkonferenz jedenfalls ein so weit- gehendes Arrangement möglich ist, daß nicht nur wir, sondern gegebenenfalls auch andere davon entbunden sein werden, sich diese Waffen anschaffen zu müssen.Erlauben Sie mir bitte noch ein politisches Wort. Wir sollten uns — und hiermit mache ich mir keineswegs die Diktion der Opposition in diesem Hause zu eigen, aber ich muß es doch aussprechen — auch nicht unbedingt in diesen Dingen vordrän-
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gen; denn die teilweise unfreundliche Reaktion auf unseren Beschluß, den wir damals nicht nur in unserem Interesse, sondern praktisch im Interesse des gesamten Bündnisses gefaßt haben, sollte uns veranlassen, nüchtern, zwar konsequent, aber nicht überstürzt, vorzugehen.Uns mangelt es im übrigen nicht wie den Initiatoren der Volksbefragung gegen den Atomtod an dem Mut, das Notwendige zu tun und unserer Bevölkerung auch das Notwendige zu sagen, nämlich ihr zu sagen, was wir tun müssen und welche Opfer wir bringen müssen, um unsere Freiheit und den Bestand von Volk und Vaterland zu sichern.In diesem Zusammenhang möchte ich mit einer kurzen Bemerkung auf die Volksbefragung gegen den Atomtod eingehen. Diese Fragestellung erweckt in der Öffentlichkeit den Eindruck, als gäbe es Menschen, die für den Atomtod, und solche, die gegen den Atomtod wären. Ich darf hier wohl feststellen, daß es auf der ganzen Welt keinen Menschen gibt, der nicht gegen den Atomtod wäre. Somit sind wir alle von vornherein die zwar nicht eingeschriebenen, aber unsichtbaren Mitglieder dieser Bewegung, und es bedurfte nicht einer parteipolitischen und gewerkschaftlichen Initiative, um diese Bewegung ins Leben zu rufen. Ich meine vielmehr, daß ihre Initiatoren den Mut haben sollten, der Bevölkerung die ganz e Wahrheit zu sagen, ihre Fragen so zu stellen und ihre Aktionen so zu steuern, daß jeder sieht, worauf es ankommt, nämlich darauf, wie wir den Atomtod verhindern können.
Das aber vermisse ich bei denen, die diese Aktionen in der Öffentlichkeit in Gang gebracht haben.In diesem Zusammenhang auch ein Wort zum deutschen Soldaten. Diejenigen, die sich gegen eine eventuelle Ausrüstung der Bundeswehr mit taktischen Atomwaffen wenden, haben es bisher vermieden, uns klipp und klar zu sagen, wie sie sich eine wirksame Verteidigung, noch dazu im Rahmen des Bündnisses der NATO, denken, wenn unsere demokratischen Verteidiger nicht mit denselben Waffen ausgerüstet werden wie ein eventueller totalitärer Angreifer. Wir lehnen es jedenfalls ab, den deutschen Soldaten zum Volkssturm zu degradieren für den Fall, daß — was Gott verhüten möge — einmal ein Ernstfall eintritt. Man sollte dann auch den Mut zur letzten Konsequenz haben und erklären, daß man überhaupt keine Soldaten haben will.
Ich spreche doch kein Geheimnis aus, wenn ich sage, daß die Unberechenbarkeit unseres großen östlichen Nachbarn es einfach notwendig macht, daß wir gewisse Maßnahmen treffen, die uns davor bewahren sollen,- daß etwa eines Morgens ein SED- Polizist oder ein Sowjet vor unserer Haustür steht. Daß das Opfer kostet, ist allenthalben bekannt, und diejenigen, die nicht sehen wollen, daß ein souveränes Volk auch etwas tun muß zur Erhaltung seiner Souveränität, seiner Substanz als Volk, als Nation, zur Sicherung seiner Freiheit, sind uns bis heute die schlüssige Antwort darauf schuldig geblieben, wie sie sich eine wirksame Verteidigung dieser Dinge vorstellen. Es ist eine Platitude, wenn man sagt, daß es genüge, daß wir Schulen, Krankenhäuser usw. bauten, daß wir eine soziale Sicherheit für alle hätten. Diejenigen, die das behaupten, übersehen bewußt oder unbewußt, daß es damit allein in dieser Welt, in der leider Gottes — wir alle bedauern das ja von links bis rechts — immer noch die Macht ein entscheidendes Wort redet, nicht getan ist.Meine Damen und Herren! Mein Kollege von Merkatz ist, glaube ich, einer der ersten Angehörigen der Regierungskoalition gewesen, der — schon vor Jahren — Gespräche mit denen jenseits der Weichsel gefordert hat. Damals ist das innerhalb der Koalition nicht ohne weiteres gutgeheißen worden. Inzwischen ist die Zeit weitergegangen, und in der Außenpolitik gibt es kein starres Dogma. Wir alle können es nur begrüßen, daß heute allenthalben die Einsicht verbreitet ist, daß wir zwar unbequeme Nachbarn im Osten haben, daß wir aber auch mit unbequemen Nachbarn sprechen müssen. Denn das ist auch klar: wir werden unsere Probleme, gerade soweit sie die Teilung unseres Landes und unsere Grenzen im Osten betreffen, nicht gegen diejenigen lösen können, die uns unbequem sind, sondern wir werden sie nur mit ihnen lösen können. Deswegen sage ich mit aller gebotenen Zurückhaltung auf Grund der Ereignisse in der letzten Zeit — ich denke dabei besonders an den Mord von Budapest — und auch mit aller gebotenen Zurückhaltung in Rücksicht auf das, was Herr Chruschtschow z. B. in den letzten Monaten gesagt und widerrufen hat, was er an Geschriebenem und Gesprochenem einfach zerrissen und weggeworfen hat, daß wir trotzdem nicht so tun dürfen, als sei östlich unseres Vaterlandes ein weißer Fleck auf der Landkarte.Eine gespannte Lage, wie wir sie heute in der gesamten Welt vorfinden, erfordert eine gespannte Aufmerksamkeit, und ich glaube, daß gerade die derzeit besonders gespannte Lage die Aufmerksamkeit aller Parteien hier im westlichen Vaterlande erfordert und daß es gerade in diesem Augenblick vielleicht ein guter Ansatz ist, daß wir beginnen, da und dort, wenn auch zaghaft, nach Gemeinsamkeiten in der Außenpolitik zu suchen. Außenpolitik ist mehr als ein „seid nett zueinander", nur damit die Opposition nichts sagt und die Regierung ihre Ruhe hat. Nein, wir müssen die Probleme, die uns alle betreffen, gemeinsam zu lösen suchen. Sie werden wohl mit mir darin übereinstimmen, daß diejenigen unserer Außenpolitik und unserem Lande einen schlechten Dienst erwiesen haben, die die Fensterscheiben eingeworfen haben, was ja prompt eine gleiche Reaktion zur Folge hatte, daß auch diejenigen, die in etwas überdrehter und hektischer Form Vorschußlorbeeren für einen Fußballweltmeister ernten wollten, uns einen schlechten Dienst erwiesen haben; daß uns diejenigen einen schlechten Dienst erwiesen haben, die dann in Verfolg der Haltung des schwedischen Gastlandes schwedische Fahnen herabgerissen haben. Aber ich muß auch mit aller Offenheit hier sagen, daß die
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häufigen Belehrungen und Zensuren, die wir als Deutsche vom Ausland entgegenzunehmen haben, auch einmal ein Ende haben sollten. Es gibt heute in der Welt keine Sieger und Besiegten mehr; denn wir sitzen alle gemeinsam in einem Boot, und das ewige Gegeneinanderaufrechnen führt zu nichts als zu neuen Feindschaften und Unzuträglichkeiten.Insoweit haben es meine Freunde auch als eine Unfreundlichkeit betrachtet, daß man Herrn Krupp— über den man denken mag wie man will — norwegischerseits eine Aufforderung sandte, lieber nicht an einer Segelregatta teilzunehmen. Ich frage den Herrn Außenminister, ob vielleicht wenigstens ein Wort über diese Frage anläßlich des Besuchs des Herrn norwegischen Außenministers gefallen ist. Ich richte aber diese Frage gleichzeitig auch an die Sozialdemokraten, die dem Herrn norwegischen Außenminister in Berlin ein Essen gegeben haben.
— Herr Wehner, Sie belieben manchmal auch ungewöhnliche Methoden anzuwenden.
— Herr Wehner, das müssen Sie bitte mir überlassen!
— Herr Wehner, ich sage Ihnen noch einmal: die Methode, die ich anzuwenden beliebe, müssen Sie mir überlassen. —Meine Damen und Herren! Die richtige Außenpolitik — wenn es überhaupt eine richtige Außenpolitik gibt — kann sicherlich nicht mit dem Rechenschieber gemacht werden. Es wind erst später einmal von anderen darüber entschieden wenden, und die Verhältnisse, wie sie sich einmal darstellen, werden zeigen, wer recht gehabt hat.Aber ich glaube doch eines sagen zu können: Daß wir hier heute sitzen und uns freimütig über alle diese Probleme aussprechen können, ist wohl der schlagendste Beweis dafür, daß die Außenpolitik der Bundesregierung in den letzten Jahren grundsätzlich richtig gewesen ist.Es ist in den Darlegungen der Herren Vorredner auch von der aus dem Osten drohenden Gefahr wiederum die Rede gewesen. Ich brauche dazu nichts zu sagen; es weiß jeder, was damit gemeint ist. Allerdings sollten wir nicht übersehen, daß 'diese Gefahr uns nicht nur militärisch droht, sondern daß sie insbesondere auf dem Felde der Wissenschaft und Technik droht. Ich möchte das, was der Kollege Kiesinger hier vorhin gesagt hat, nachdrücklich unterstreichen. Auch meine Freunde von der Deutschen Partei und ich wünschen uns sehnlichst, daß Wissenschaft, Technik und Forschung als einem Instrument, das auch der Außenpolitik dient, in der Zukunft nachdrücklichere Förderung zuteil werden möge, als es in der Vergangenheit der Fall gewesen ist. Wir haben einen guten Ansatz dazu bereits in diesem Haushaltsplan; aber wir werden in Zukunft noch mehr tun müssen, wenn wir nicht eines Tages auf diesem Felde überrollt wenden wollen.Ich gebe ohne weiteres zu, daß uns eine Gefahr, wenn auch auf andere Weise, allerdings auch auf anderen Gebieten, droht; beispielsweise, wenn Frankreich gezwungen ist, sich mit Algerien in einer Form auseinanderzusetzen, die wir alle bedauern müßten; bedauern nicht nur wegen der menschlichen Seite, sondern auch vom Bündnis her gesehen, da wir nicht übersehen können, daß wir auch mit den arabischen Nationen speziell seit eh und je eine traditionelle Freundschaft gepflogen haben, die wir unter keinen Umständen aufs Spiel setzen dürfen. Es ist schmerzlich für uns — ich mache damit den Franzosen keinen Vorwurf —, so drastisch demonstriert zu bekommen, wie stark die Tatsachen die Welt und die Politik regieren und wie wenig Raum für Gefühle und Sentiments dabei übrigbleibt. Das soll uns aber Ansporn sein, allen, sowohl unseren Bündnispartnern wie auch eventuell zukünftigen Freunden, mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Dazu ist eine der Hauptvoraussetzungen, daß dais Auswärtige Amt sich bemüht, auch diejenigen vakanten Auslandsposten zu besetzen, die heute immer noch nicht besetzt sind. Meine politischen Freunde und ich haben manchmal den Eindruck, daß es mit diesen Dingen etwas zu langsam geht und daß man, wenn man lange und noch länger gesucht hat, letzten Endes doch nicht immer den richtigen Griff getan hat. Eine Aktivierung der 'Besetzung der Auslandsämter wäre ebenfalls ein ausgezeichneter Beitrag zu einer Aktivierung unserer Außenpolitik schlechthin.Die Vorgänge auch im entferntesten Winkel der Welt, die heute seismographisch genau in den entgegengesetzten, entferntesten Winkeln gemessen wenden, machen es notwendig, daß man das Ohr dauernd an den Vorgängen dieser Welt hat, um in diesem Welttheater 'bestehen zu können.Deswegen unterstreiche ich, was der Herr Kollege Becker heute morgen ausgeführt hat, der noch einmal auf seinen seinerzeitigen Vorschlag einer gemeinsamen Aussprachebasis für außenpolitische Fragen zurückgekommen war. Wir unterstützen diesen Vorschlag wärmstens und müssen uns darüber im klaren ,sein, wenn wir zu einer solchen Diskussion kommen, daß wir nur dann verlangen können, daß unsere eigenen Anliegen von anderen vertreten wenden, wenn wir uns selbst darüber einig sind, wie wir unsere Anliegen vertreten wollen.
Meine Damen und Herren, damit sind die Wortmeldungen zum Punkt Außenpolitik erschöpft.Wir haben auf Grund einer interfraktionellen Vereinbarung beschlossen, über den Antrag auf
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Vizepräsident Dr. PreuskerDrucksache 502, der heute morgen von dem Herrn Abgeordneten Gradl bereits begründet worden ist, noch abzustimmen, obwohl die Mittagsstunde bereits überschritten ist.Ich darf diejenigen, die ,diesem Antrag des Ausschusses zustimmen, um das Handzeichen bitten.— Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen?— Soweit ich sehe, einstimmig angenommen.Wir kehren nun zu der gestern schon begonnenen Aussprache über dieVerteidigungspolitikzurück. Der Herr Abgeordnete Merten hat dazu gestern nachmittag die einleitenden Ausführungen gemacht.Das Wort hat Herr Abgeordneter Schultz.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe im Auftrag der Fraktion der Freien Demokratischen Partei einige Bemerkungen zu dem Verteidigungshaushalt zu machen. Die Erörterungen über den Verteidigungshaushalt haben einen erheblichen Teil der vergangenen Etatberatungen in Anspruch genommen. Es wurde sehr oft gesagt, daß dies oder jenes nicht richtig sei, daß dies oder jenes gekürzt oder verändert werden könne. Nun macht dieser Verteidigungshaushalt, wenn man die Stationierungskosten als mittelbaren Beitrag zur Verteidigung der Bundesrepublik hinzunimmt, immerhin 35% des Gesamthaushalts aus.
- Ich meine: wenn man sie rechnerisch in die Gesamtbetrachtung einbezieht, weil auch sie letzten Endes Verteidigungsleistungen sind.
— Ich habe nicht ganz verstanden, wie Sie das gemeint haben; es tut mir leid.
— Bitte sehr!
Herr Kollege, ich verstand Sie so: Wenn man die Stationierungskosten dazurechnet, dann ergeben sich 35. Prozent. Ich frage, wollen Sie die Stationierungskosten zu dem Verteidigungsbeitrag hinzurechnen, oder wollen Sie die Stationierungskosten, wie es ja bisher immer geschehen ist, sein muß und auch wieder vorgesehen ist, aus dem Verteidigungsbeitrag herausnehmen, also später aus dem Einzelplan 14 in den Einzelplan 35 transferieren? Das ist die Frage.
Ich habe diese meine Bemerkung nicht auf die haushaltsrechtliche Seite abgestellt, sondern ich habe die Stationierungskosten, die man bezahlen muß, dem Verteidigungsbeitrag zugerechnet.
— Vielleicht ist jetzt die Erklärung richtig gegeben worden.Es ist also doch wohl notwendig, sich zu überlegen, ob das Geld, das für die Verteidigung ausgegeben ist, richtig ausgegeben ist, ob das Geld im richtigen Sinne angelegt ist. Es ist schwierig, darüber jetzt schon eine endgültige Entscheidung zu treffen, da die Erfahrungen noch verhältnismäßig jung sind, was man ja auch aus dem Verteidigungshaushalt entnehmen kann. Bei den meisten einmaligen Ausgaben steht in der Erläuterung: Der Betrag ist geschätzt. Bei allen größeren Posten sind Bindungsermächtigungen für mehrere Jahre ausgesprochen. Das alles zeigt, daß man sich doch nicht ganz im klaren ist, wie nun der Verteidigungshaushalt oder die Verteidigung überhaupt in der kommenden Zeit abgewickelt werden soll.Eins jedoch ist auf jeden Fall dazu zu sagen: daß das Parlament — durch die Bindungsermächtigungen vor allen Dingen — weitgehend die Möglichkeit verloren hat, auf die effektive Gestaltung der Ausgaben praktischen Einfluß zu nehmen. Nur die wenigsten Bindungsermächtigungen tragen den Vermerk, daß vor Ausgabe des Geldes der Haushaltsausschuß und der Verteidigungsausschuß des Bundestages zu befragen sind. Auch in der Vergangenheit sind Fehlentwicklungen, die sich in der Verteidigungsplanung ergeben haben, vielleicht auch dadurch entstanden, daß der Verteidigungsausschuß überhaupt zuwenig in die Planung der Verteidigung eingeschaltet worden ist. Es war immer so, daß erst Abgeordnete die Erörterung militärtechnischer Fragen verlangen mußten, daß oft vollendete Tatsachen geschaffen waren, an denen das Parlament hinterher nichts mehr ändern konnte.Weiter kommt dazu, daß unser Verteidigungshaushalt weitgehend auch von dem NATO-Bündnis her bestimmt wird. Als wir im Verteidigungsausschuß den Haushalt berieten, sagte ein Mitglied des Ausschusses resignierend: „Unser Haushalt wird ja von der NATO her völlig bestimmt."Da ist eine Frage in diesem Zusammenhang doch interessant. Wir haben in der NATO keine parlamentarische Kontrolle über die Verteidigungsausgaben. Das ist verschiedentlich schon als bedauerlich vermerkt worden. Das wirft weiter die Frage auf, die ich schon einmal in der Debatte über die Große Anfrage der Sozialdemokraten zum Rüstungshaushalt gestellt habe: „Wieweit sind wir in der Lage, von Bonn aus auf die Planung und die Verteidigungskonzeption der NATO Einfluß zu nehmen?" Wenn man von dieser Stelle aus betont, wir müßten mehr unsere besondere Situation zum Ausdruck bringen, wird immer gesagt: Wir sind nur ein kleines Rädchen, wir können da eben nicht allzu viel tun, wir müssen uns nach den Verbündeten und vor allen Dingen nach dem größten Verbündeten richten. Auf der anderen Seite wird aber argumentiert, daß ohne unseren Verteidigungsbeitrag in einer ganz bestimmten Form die NATO zusammenbräche. Wenn wir doch so viel Gewicht in der NATO haben, müßte es auch mög-
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Schultzlich sein, unsere Interessen dort besser zur Geltung zu bringen.Vor einigen Tagen erfuhren wir aus der Presse, daß eine Umrüstung und eine Umgliederung der im Aufbau befindlichen Bundeswehr geplant sei. Damit sich die Mitglieder des Verteidigungsausschusses nicht wieder völlig überfahren fühlten, wurde uns vom Pressereferat des Bundesverteidigungsministeriums eine knappe Erläuterung der geplanten Umgliederung zugesagt. Sie traf etwa einen Tag vor der Pressekonferenz des Herrn Bundesverteidigungsministers bei uns ein. Die verschiedenen Erläuterungen, die da gegeben worden waren, waren nicht ohne weiteres zu verstehen. Wer sich wirklich dafür interessierte, was die Umgliederung bedeuten sollte, mußte den Gang ins Verteidigungsministerium antreten, um die nötige Aufklärung zu erhalten.Ich möchte daran die Frage knüpfen, ob es nicht für das Zusammenspiel zwischen Legislative und Exekutive besser wäre, wenn solche Überlegungen, bevor man damit in die Öffentlichkeit tritt, zunächst einmal im Verteidigungsausschuß angestellt würden. Am Freitag und am Samstag können wir uns zwar im Verteidigungsausschuß noch im nachhinein über diese Frage unterhalten. Aber es genügt meines Erachtens nicht, in der Verteidigungsplanung immer neue Schlagworte zu erfinden wie „Mehrzweckarmee" oder „Mehrzweckwaffen", ohne daß zunächst untersucht ist, ob diese Schlagworte auch einen Sinn behalten, wenn man versucht, ihre Bedeutung bis zum Ende der möglichen Auswirkungen zu durchdenken.Was soll z. B. „stufenweise Abschreckung" bedeuten? Hier liegt nach dem, was man gehört hat, anscheinend der Gedanke zugrunde, daß man auf einen möglichen Angriff des vermutlichen Gegners nicht mit dem atomaren Gegenschlag mit allen seinen Folgen antworten will. Man möchte also in der Abwehr beweglich sein. Man möchte insbesondere durch Ausstattung der fechtenden Truppe mit den sogenannten taktischen Mehrzweckwaffen, also Atomwaffen, erreichten, daß einer Aggression sowohl mit den klassischen Waffen als auch mit den sogenannten modernen Waffen begegnet werden kann. Es soll weiterhin dem Aggressor die Lust genommen werden, zu einem Angriff anzusetzen; er soll wissen, daß er sofort mit atomarer Gegenwirkung zu rechnen hat.Was aber geschieht, wenn der sogenannte Aggressor aus der Beurteilung der Psychologie der gegenüberstehenden Völker damit rechnet, daß die atomare Waffe doch nicht eingesetzt wird? Wir müssen uns doch darüber klar sein, daß die Unterscheidung zwischen taktischen und strategischen Atomwaffen in der Praxis nicht standhält, weil der Einsatz der taktischen Atomwaffen unweigerlich den Einsatz strategischer Atomwaffen mit allen bekannten Folgen nach sich ziehen wird. Das weiß die andere Seite doch auch und bezieht diese Feststellung in ihre Überlegungen ein. Wird im Konfliktsfall die Atomwaffe zum Einsatz nicht freigegeben, so sind die NATO-Divisionen, also auch unsere Divisionen, die der NATO unterstellt sind, infolge der Umrüstung ein wenig kampfkräftiger als bisher, sie sind beweglicher und schlagkräftiger in der Führung, aber mehr doch wohl nicht.Ich darf in diesem Zusammenhang einen Absatz aus dem Artikel von Adalbert Weinstein "Was ist stufenweise Abschreckung?" aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zitieren, der diese meine Auffassung bestätigt. Er schreibt zum Schluß:Wenn auch die atomare Vergeltung als amerikanische strategische Idee das atlantische Bündnis im Frieden belebt, wird doch die Frage immer öfter erhoben, wie der atomare Gegenschlag ausgelöst würde. Wahrscheinlich nicht so total, wie erklärt wird, denn der große Donner ließe das Weltall einstürzen. Und was ist dann „stufenweise" Abschreckung?Ich hoffe, daß wir im Verteidigungsausschuß auf diese Frage eine Antwort bekommen.Unserer Auffassung nach müssen wir versuchen, der Rüstung des vermutlichen Gegners etwas Gleichwertiges im Rahmen dieses Bündnisses entgegenzustellen. Der vermutliche Gegner besitzt starke atomare Rüstung; sie ist der atomaren Rüstung der westlichen Welt gleichzusetzen. Er besitzt eine sehr viel stärkere konventionelle Rüstung, der die westliche Welt bisher nichts Gleichwertiges entgegensetzen konnte. Man soll doch nicht glauben, daß man der starken konventionellen Rüstung des Ostens mit einer breiteren Verteilung der atomaren Rüstung auf unserer Seite begegnen könne. Die bisherigen durchgeführten Planspiele haben doch erwiesen, daß, wenn die atomaren Waffen angewendet werden, die Zerstörung in einem eventuellen Krieg so sein wird, daß nichts mehr von dem übrigbleibt, was eigentlich hätte verteidigt werden sollen.Wäre es da nicht besser, um tatsächlich einen Effekt in der Verteidigung, wenn es so weit kommen sollte, zu erreichen, die Verteidigungsanstrengungen so zu gestalten, daß der Angreifer weiß, daß er auch bei einem Angriff mit herkömmlichen Waffen sich in einem Netz von herkömmlicher Abwehrbereitschaft festläuft? Auf der Lissaboner Konferenz der NATO war die Aufstellung einer bestimmten Anzahl von herkömmlichen Divisionen festgelegt worden. Man ist von dieser Planung immer weiter abgegangen und hat gesagt, man könnte sich das finanziell, wirtschaftlich nicht leisten. Wir sind der Meinung, daß diese Auffassung nicht stichhaltig ist. Denn das wirtschaftliche Potential, das dem Westen zur Verfügung steht, schiene mir doch ausreichend zu sein, um dem Osten etwas Gleichwertiges in unserem Rahmen entgegensetzen zu können.Nun sagt man darüber hinaus, die taktische Atomwaffe, also die sogenannte kleine Atomwaffe, sei die modernste Waffe, und wir könnten nicht fechten, wenn wir diese modernste Waffe nicht hätten. Ich möchte da Herrn Kollegen Schneider entgegnen: ich glaube, auch das ist ein Schlagwort, das keinen Sinn hat. Denn die Atomwaffe ist in diesem Sinne nicht eine Waffe, mit der man kämpfen kann, sondern sie ist eine Waffe,
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Schultzmit der man schrecken kann, die aber, wenn sie eingesetzt wird, zur Massenvernichtung führt. Darüber muß man sich völlig klar sein. Es wird nicht möglich sein, die Sicherheit auf die Atomwaffe zu bauen, ohne den persönlichen Einsatz des Mannes ebenso stark herauszustellen. Ich möchte damit sagen, daß immer noch mit der Person, mit jedem einzelnen Mann verteidigt werden muß.Wir glauben, daß es günstiger wäre, der territorialen Landesverteidigung, die wir ja erst beginnen aufzubauen, den ihr zukommenden Wert beizumessen. Bisher ist das noch nicht geschehen. In der Verteidigungskonzeption der NATO ist die territoriale Landesverteidigung bisher eine rein nationale Aufgabe, die nicht als Beitrag zur NATO- Verteidigung gewertet wird. Wir sind der Meinung, daß die territoriale Landesverteidigung der Bundesrepublik in ihrem Aufbau wohl aus nationalen Kräften bestritten werden muß, daß aber rein auf Grund der geographischen Lage ihr Auftrag und auch ihre Wirksamkeit weitgehend für die NATO da sind und von der NATO her bestimmt werden. Man kann ruhig zu der Schlußfolgerung kommen, daß in einem eventuellen Konfliktsfall die Befehlsgewalt dann doch wohl bei den NATO-Befehlshabern liegen wird.Wir müssen uns sehr viel mehr als bisher klarmachen, daß eine mögliche kriegerische Auseinandersetzung auch den ganzen zivilen Bereich mit einbeziehen wird. Das läßt die Folgerung zu, daß alle Anstrengungen, die im zivilen Bereich zur Abwehr eines Angriffs unternommen werden, auch ein Beitrag zur Verteidigung sind. Es ist deshalb notwendig, daß bei uns klare Zuständigkeiten für eine wirksame Verteidigung geschaffen werden. Wir besitzen wohl einen Bundesverteidigungsrat. Wir haben aber den Eindruck, daß die verschiedenen Ressorts noch nicht unter einen Hut gebracht worden sind, d. h. daß die Aufgaben noch nicht gleichmäßig gesehen werden.Der Herr Bundesverteidigungsminister hat in der Debatte im März erklärt, daß die Verteidigung heute keine rein militärische Aufgabe mehr ist, daß überhaupt alles getan wenden muß, um den Ausbruch eines Krieges unmöglich zu machen. Er hat sich — wie auch andere Sprecher der Koalition — dafür eingesetzt, daß durch allgemeine und weltweite Abrüstung die Kriegsgefahr auf ein Mindestmaß reduziert wird. Alle Anstrengunngen, hier weiterzukommen, haben bisher zu nichts geführt. Das einzige konkrete Ereignis ist die augenblickliche Zusammenkunft 'der Atomexperten in Genf. Wir hatten sie schon im Mai 1957 gefordert und können mit Vergnügen feststellen, daß es nun doch einmal zu einer solchen Verhandlung gekommen ist.Die zweite Möglichkeit für den Fall, daß eine weltweite Abrüstung nicht zu schaffen ist, ist die Abrüstung auf regionaler Basis. Wir können nicht verstehen, daß ein konkreter Plan, der bisher vorlag — es handelt sich um den Rapacki-Plan—von der Bundesregierung und den westlichen Verbündeten als Diskussionsgrundlage abgelehnt worden ist.Man hat also nicht nur den Planabgelehnt, sondern auch abgelehnt, in Verhandlungen über ihn einzutreten. Das wäre durchaus möglich gewesen ohne irgendwelche außenpolitische Neuanerkennungen und ohne einen Austausch von Botschaftern. Der Herr Bundeskanzler hat in einer seiner JanuarReden zur Außenpolitik ausgeführt, daß dieser Plan des Herrn Rapacki von den Sowjets inspiriert worden sei. Da wir ja eine diplomatische Vertretung in Moskau haben, wäre es, wenn man gewollt hätte, durchaus möglich gewesen, dort über diesen Plan zu sprechen.Das Mißtrauen in der Welt ist so groß, daß es nicht mit einer einzigen Kraftanstrengung beseitigt werden kann. Deshalb glauben wir, daß man an einem Punkt nun einmal einen Anfang machen muß und daß sich Deutschland deswegen noch nicht dem Kommunismus ausliefert, wenn man über diese Dinge auch einmal regional spricht. Alle Disengagement-Pläne wurden aber bisher als jenseits von Gut und Böse abgelehnt. Auch Herr Kollege Kiesinger sagte, daß man eigentlich nicht darüber sprechen könnte. Wir glauben, daß man sich, wenn man darüber nicht sprechen will, mancher Möglichkeit begibt.Wir wollen, gestützt auf diese unsere Auffassungen, auf die Ausrüstung der Bundeswehr mit atomaren Waffen verzichten. Aus dieser Überlegung heraus ist auch unser Wunsch nach Schaffung einer atomwaffenfreien Zone zu verstehen, und aus dieser Überlegung ist unsere Forderung zu verstehen, daß man der territorialen Landesverteidigung mit den klassischen Waffen — nicht den Atomsprengköpfen — den Wert zumißt, der ihr zukommt und der es erst ermöglicht, den Atomwaffen die ihnen eigene abschreckende Wirkung zu verschaffen. Diese ist nämlich nur gegeben, wenn man so gerüstet ist, daß man sie nicht einsetzen muß. Aus dieser Überlegung ist auch unser Wunsch zu verstehen, daß die beiden militärischen Blöcke in einem zweigeteilten Deutschland schrittweise auseinandergerückt werden. Es wird doch jeder zustimmen müssen, wenn wir sagen, daß für uns erst dann eine relative Sicherheit geschaffen ist, wenn es gelingt, die sowjetischen Truppen hinter den Bug auf ihr eigenes sowjetrussisches Territorium zurückzubringen.Uns scheint, daß es Aufgabe der Bundesregierung sein muß, in dieser Richtung politisch aktiv zu werden. Wir können diese Aktivität natürlich nicht allein, losgelöst von den westlichen Verbündeten, entfalten. Wir sollten aber keine Gelegenheit vorübergehen lassen, in unseren Gesprächen mit unseren westlichen Verbündeten darauf hinzuweisen und damit vor allen Dingen vielleicht ein Vorurteil, das unsere westlichen Verbündeten haben, auszuräumen, daß wir nicht immer und für alle Zeiten zum Westen stehen würden.Der Widerstand, der einem Wunsch auf Disengagement und auf Auseinanderrücken der militärischen Blöcke entgegengesetzt wird, ist bekannt. Viele unserer Partner glauben, daß ein Krieg dann am besten vermieden werden kann, wenn sich die beiden Blöcke Brust an Brust gegenüberstehen.
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2204 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1958
SchultzDas bedeutet alber die Zementierung des Status quo und den endgültigen Verzicht auf Wiedervereinigung der beiden Teile 'Deutschlands.Diese Auffassung bedeutet weiter, daß — nicht durch eine überlegte Handlung, aber durch eine nervöse Reaktion — der Ausbruch von Feindseligkeiten möglich sein kann mit allen Folgen, die wir uns vorstellen können.Da 'die gespannte Situation in der Welt ohne politische Aktivität nicht vermindert wird, erfordert diese Spannung selbstverständlich immer neue Anstrengungen in der Rüstung. Diese Anstrengungen haben ihre Rückwirkung auf das wirtschaftliche, politische und soziale Leben unserer Völker und bergen die Gefahr in sich, daß wir insbesondere im psychologischen Bereich der fortdauernden Aggression der kommunistischen Idee nicht genügend Widerstand entgegensetzen können. Die Gefahr ist groß, daß wir, wenn wir unsere Sicherheit nur auf die militärische Rüstung hauen, die Auseinandersetzung in den anderen Bereichen verlieren, insbesondere dann, wenn wir nicht den Mut haben, das Risiko politischer Lösungen einzugehen.Man scheint bei unseren Verbündeten, aber auch bei der Mehrheit unseres Parlamentes zu glauben, daß das deutsche Volk nur in der festen Klammer des NATO-Bündnisses dem Kommunismus Widerstand leisten könne; ich sagte das vorhin schon. Wir haben uns schon oft darüber unterhalten, ob die NATO ein Dogma ist oder nicht. Wir waren uns weitgehend einig — das ergibt sich aus den Protokollen der früheren Sitzungen —, daß sie kein Dogma sei. Kam es aber zu Situationen, in denen man hätte undogmatisch handeln müssen, so mußten wir feststellen, daß Bundesregierung und Koalition nicht gewillt waren, eine Weiterentwicklung der Pariser Verträge überhaupt zu erwägen.Wir glauben, daß das deutsche Volk nach den Erfahrungen, die es in den letzten Jahrzehnten gemacht hat, von innen heraus dem freiheitlichen Westen in der Staatsform der Demokratie zugeordnet ist. Auch ein militärpolitischer Sonderstatus der Bundesrepublik würde nichts daran ändern. Es gilt allerdings, mehr als bisher die Kräfte des Widerstandes auf psychologischem Gebiet gegen den Kommunismus zu wecken. Man muß nüchtern aussprechen, daß die Freiheit eines Volkes nicht mit Atomwaffen erkauft werden kann, sondern daß die Verteidigung eines Volkes den Einsatz des einzelnen voraussetzt, die Opferbereitschaft eines jeden, für die Gemeinschaft, für den eigenen Lebensbereich und den seiner Familie einzutreten und ihn gegen jede Unterdrückung zu verteidigen. Die technische Auswirkung dieser Forderung ist der Begriff „Verteidigungsdienstpflicht". Wir haben uns über diesen Begriff anläßlich des Wehrpflichtgesetzes unterhalten. Er wurde damals wohl von dem Kollegen Dr. Mende geprägt und vom Herrn Bundesverteidigungsminister aufgenommen. Aber wir haben seitdem nichts mehr davon gehört.Ich möchte damit ausdrücken, daß wir uns auch auf dem psychologischen Gebiet vielleicht anders verhalten müssen. Zur Erläuterung möchte ich ein Beispiel geben. Wir, Herr Kollege von Haniel-Niethammer und ich, haben vor kurzem an einem Gespräch über europäische Sicherheit, atomare Bewaffnung usw. bei einer europäischen Bewegung teilgenommen. Dort äußerte einer der Teilnehmer, daß den Studenten aus der Zone, die sich als Gasthörer an unseren Universitäten einschreiben lassen wollten, von hier aus sehr viel mehr Schwierigkeiten gemacht würden als umgekehrt; er habe jedenfalls drüben sehr viel leichter als Gasthörer an Vorlesungen teilnehmen können, und das sei doch bedauerlich. Sofort wurde an ihn von einem anderen Teilnehmer die Frage gestellt, auf Grund welcher Beziehungen er in den Osten gefahren sei und dort studiert habe. Er konnte sagen, daß er auf Grund keiner Beziehungen hingefahren sei; sein Vater lebe als Rentner in Greifswald und habe keine politische Funktion. Dieses Beispiel zeigt ein Mißtrauen gegenüber der eigenen Stärke in der geistigen Auseinandersetzung mit dem Kommunismus, das uns zu denken geben sollte.Es wird bei uns auch sehr viel mit Schlagworten wie „illusionär", „unrealistisch" und dergleichen mehr gearbeitet. Insbesondere wird all denen, die einer weitergehenden politischen Aktivität dem Osten gegenüber das Wort reden, gesagt, sie handelten fast leichtfertig und sie bedächten nicht, daß wir dann nur zu leicht in den Sog des Kommunismus gerieten und dem Osten angeschlossen würden. Ich glaube, daß man diesen Vorwurf der Illusionen zurückgeben kann, und zwar — muß ich sagen — der Regierungspartei; denn die Parolen, über die ich mich schon einmal aufgehalten habe, „keine Experimente", „Wohlstand und Sicherheit bei unveränderter Politik", „Sicherheit durch Atomwaffen" spiegeln draußen im Volke wider, daß wir, wenn wir nichts unternehmen, sozusagen auf der „Insel der Seligen" in der Sicherheit des NATO- Bündnisses leben können, daß uns also weiter nichts passieren kann. Den Wehrwillen, den Selbstbehauptungswillen eines Volkes fördert das nicht, aber gerade diese Förderung tut not.Es wäre der Regierung zu empfehlen, mehr von anderen Sätzen Gebrauch zu machen, die auch schon gesagt worden sind, daß nämlich die Freiheit auch im Zeitalter des Atoms über Kimme und Korn, d. h. in persönlicher Auseinandersetzung auf geistige Art, und wenn es sein muß, mit Waffen verteidigt werden muß. Ich möchte empfehlen, daß die Regierungskoalition die Verbreitung dieser unpopulären Parole nicht den Freien Demokraten als Oppositionspartei allein überläßt.
Das Wort hat der Abgeordnete Ritzel.
Ich darf bei dieser Gelegenheit noch einmal auf
den § 37 der Geschäftsordnung aufmerksam machen.
— Das gilt nicht für Sie, Herr Kollege Ritzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kurz vor der Mittagspause möchte ich noch einiges zu der finanzpolitischen Situation im
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1958 2205
RitzelBereich des Verteidigungshaushalts überhaupt und zu dem Antrag Umdruck 150 sagen, mit dem die Sozialdemokraten vorschlagen, die Gesamtausgaben des Bundeshaushalts für die Verteidigung um den Betrag von 3 Milliarden DM zu kürzen.Wie kommen wir rein technisch und sachlich zu diesem Antrag? Zunächst geht der Antrag auf die Tatsache zurück, daß im Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages eine gründliche Beratung des Einzelplans 14 — also auch in Detailfragen nicht möglich war. Wir können also bei dieser pauschalierten 'Beratung nichts anderes tun, als einen pauschalierten Antrag auf Durchführung einer Ersparnis zu bringen. Wir lassen uns weiter von der Tatsache leiten, daß die Spuren der jüngsten Vergangenheit in der Geschichte des Einzelplans 14 — des früheren Einzelplans 35 — warnen. Wir möchten mit dieser Kürzung nicht etwa die Position der Bundesregierung in den Verhandlungen mit der NATO erschweren.Ich freue mich, indem Zusammenhang etwas feststellen zu können, was gestern auch der Herr Bundesfinanzminister anerkannt hat: daß erhebliche Beträge — es sind Hunderte von Millionen —, die auch zur Verteidigung gehören, nicht als Verteidigungskosten anerkannt werden und daß hier noch nach wie vor für die Arbeit der Bundesregierung gegenüber der NATO ein sehr großes Feld übrigbleibt. Die Bundesregierung sollte nämlich dafür sorgen, daß sehr schwere und ernste Leistungen aus dem deutschen Bundeshaushalt als Leistungen zugunsten der Verteidigung Deutschlands und Europas anerkannt werden, die bisher nicht anerkannt worden sind.Wir wollen aber mit diesem Antrag weiterhin einen Anreiz geben, im Bereich des Bundesverteidigungsministeriums zu einer größeren Sparsamkeit einzuladen, die doch mindestens bei der Planung und, wie ich auch aus dem Verteidigungshaushalt und seinen Beratungen erfahren zu haben glaube, auch in der Ausführung nicht unerheblich zu wünschen übrig läßt. Wir wünschen also eine Besinnung auf die wirklichen Möglichkeiten.Damit nun das Hohe Haus erkennt, was bei den Überlegungen, einen derart summarischen Antrag auf Minderausgaben von 3 Milliarden DM einzubringen, praktisch Pate steht, darf ich wenige Sätze zu der geschichtlichen Entwicklung sagen. Ich gehe dabei zunächst von den heutigen Tatsachen aus. Wir haben einen 10-Milliarden-Etat im Einzelplan 14, wir haben 5,4 Milliarden DM Reste, für die der Satz auf Seite 6 des gedruckten Haushaltsentwurfs zu Einzelplan 14 gilt:Ausgaben aus übertragenen Bewilligungen früherer Rechnungsjahre dürfen geleistet werden, soweit ihnen entsprechende Minderausgaben im Rahmen der veranschlagten Gesamtausgaben von 10 Milliarden DM gegenüberstehen.Wir haben Bindungsermächtigungen zugunsten des Verteidigungshaushalts über 15 Milliarden DM. Wir dürfen nicht vergessen, immer wieder zu betonen, daß für diese Reste kein Geld mehr da ist.Alles, was auf Grund der Ausgabebewilligungen im Rahmen der Reste ausgegeben wird, muß neu beschafft werden.In allen Fraktionen ist wohl das Bewußtsein allgemein, daß die 10 Milliarden DM, die damit also per Saldo in einem Rechnungsjahr, 1958, zur Verfügung stehen, in Wirklichkeit gar nicht ausgegeben werden können. Das auch von allen Kreisen im Hohen Hause anerkannte Ziel, die Reste von 5,4 Milliarden DM im Verteidigungsbereich zu töten, ist eine Aufgabe, die in diesem Zusammenhang gesehen werden muß. Es handelt sich bei all den Ansätzen für Verteidigung ja nicht nur um Gewehre, Kanonen, Atomgranaten und dergleichen Dinge mehr; es handelt sich vor allem auch um die silbernen Kugeln, die bereitgestellt werden sollen und die so verwendet werden müssen, daß es vor dem Volke selbst und vor unserer Wirtschaft verantwortet werden kann.Um das zu erkennen, ist ein kleiner geschichtlicher Rückblick nötig. Die Entwicklung des Verteidigungshaushalts seit 1955 weist einige sehr interessante Stationen auf. Ich erinnere Sie an die 1. bis 5. Vorwegbewilligung 1955, zusammengefaßt im 4. Nachtragshaushalt 1955 mit einer Endsumme von 1 595 000 000 DM. Dann kam noch ein erster und zweiter Nachtrag in der Gesamtberechnung hinzu. Nach Abzug eines Vorgriffs von 157 000 DM standen im Jahre 1955 1 601 399 000 DM zur Verfügung.Was wurde davon verbraucht? Erinnern sich die beteiligten Kollegen der Pressur, die ihnen gegenüber ausgeübt worden ist, um diese Bewilligungen im Jahre 1955 durchzupeitschen, mit allen Mitteln durchzusetzen?
1 601 399 000 DM! Verbraucht wurden in Wirklichkeit 95,4 Millionen DM, noch nicht 100 Millionen DM. Mit Hinzuziehung der verfallenen früheren Bewilligungen von 56,4 Millionen DM waren in diesem Rechnungsjahr im ganzen 151 888 000 DM abzubuchen. Es war — ich habe es gestern an die Adresse des gewesenen Bundesverteidigungsministers Blank gesagt — die eigentliche Geburtsstunde des Juliusturms, als dieser Rest aus dem Verteidigunghaushalt des Jahres 1955 in Höhe von 1 499 519 000 DM blieb.Dann setzte sich das Spiel mit einer 1. bis 4. Vorwegbewilligung fort, zusammengefaßt im 1. Nachtragshaushalt 1956 mit 2,6 Milliarden DM. Dazu kamen der 3. bis 6. Nachtragshaushalt, und daraus resultiert eine Endsumme von 7 065 000 000 DM. Das Ist gegenüber diesen 7 Milliarden betrug 3,4 Milliarden DM. So schlossen wir dieses Rechnungsjahr mit einem Rest von 3,66 Milliarden DM ab.Der Haushalt 1957 und seine Aufbereitung — nicht in seiner etatisierten Endsumme von 9 Milliarden DM — nennt die Ziffer von 7,8 Milliarden DM nach dem jetzigen Stand. Dazu kommt dann der Rest aus 1956 mit 3,6 Milliarden DM; das sind 11,4 Milliarden DM. Wir haben heute gegenüber diesen 11,4 Milliarden DM effektiv ein Ist von
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2206 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1958
Ritzel5,4 Milliarden DM. Wenn wir dann verfallene Bewilligungen abziehen, kommen wir auf den wiederholt genannten Rest von 5,4 Milliarden DM im Rechnungsjahr 1957, die in die Zukunft hinübergehen. Hier steht das, was möglich ist, in untragbarem Widerspruch zu dem, was im Rahmen des Einzelplans 14 vernünftig ist.Wir sind der Auffassung, daß jede Einsparung bei dem Einzelplan 14 zu einem echten Ausgleich des Gesamthaushalts beizutragen vermag. Wir sehen bei Annahme unseres Antrags die Möglichkeit einer Deckung der Reste von 5,4 Milliarden DM — nicht anteilig aus Kassenmitteln — durch echte Einsparungen auf Grund einer solchen Kürzung. Damit würden die Einnahmen zur Dekkung der aus Resten bereits bewilligten Ausgaben bereitgestellt. Auf diese Weise könnte der sonst im außerordentlichen Haushalt notwendige Ansatz entsprechend verringert werden, und das wäre für den Herrn Bundesfinanzminister eine Erleichterung. Würde das Hohe Haus unserem Antrag zustimmen, dann müßte die Änderung etatrechtlich als ein neuer Titel, dessen Bezeichnung noch zu finden wäre, nämlich als Minderausgabe von 3 Milliarden DM im Bereich des Einzelplans 14 in Erscheinung treten.Ich bin überzeugt davon, daß die Möglichkeit besteht, auch den Herren Machthabern in der NATO klarzumachen, daß die Leistungen der Bundesregierung auf Grund der Beschlüsse des Parlaments im ganzen erheblich den Betrag übersteigen, der dann noch im Einzelplan 14 stehen würde. Es kommen ja auch noch andere Beträge in Frage, über die schon gesprochen worden ist, und ich glaube, wir vertreten hier einen Antrag, dem Sie ohne weiteres zustimmen können. Sollten Sie aber nicht mit Ihrer Mehrheit zustimmen, so handelt es sich nach meiner Meinung doch wenigstens um einen nützlichen Beitrag zu den künftigen Erörterungen über den Etat des Jahres 1959 in bezug auf seine dringend notwendige Gesundung und die Bereinigung der Probleme der Bindungsermächtigung und der Reste. Sie würden jedoch, wenn Sie diesem Kürzungsantrag zustimmten, ganz wesentlich dazu beitragen können, eine echte Entlastung, vor allem des außerordentlichen Haushalts, herbeizuführen, und die Möglichkeit geben, dringend notwendige Verpflichtungen weiterhin zu erfüllen, die bis jetzt das Ohr des Hohen Hauses nicht ,gefunden haben.Ich hoffe auf den Beifall des Herrn Präsidenten. Ich habe mich an die Zeit bis zum Beginn der Mittagspause gehalten.
Ich glaube, das können wir dem Herrn Abgeordneten Ritzel ohne weiteres konzedieren. Er hat uns sogar die Möglichkeit gegeben, die Sitzung noch 6 Minuten vor dem vorgeschriebenen Termin zu unterbrechen. Das tue ich hiermit. Wir setzen sie um 14.30 Uhr mit der Diskussion desselben Gegenstandes fort. Die Sitzung ist unterbrochen.
Die Sitzung wird fortgesetzt. Das Wort hat der Abgeordnete Probst.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es scheint uns notwendig zu sein, bei einer Generaldebatte über den Verteidigungshaushalt, die damit zu einer Generaldebatte über die Verteidigungspolitik wird, vor allem den grundlegenden Gedanken jeder Verteidigungspolitik herauszustellen: Verteidigungspolitik ist nur e i n Mittel einer gesamtpolitischen Konzeption und darf in keinem Falle soviel Eigengewicht für sich gewinnen, daß die Gesamtpolitik in ihrer notwendigen Bewegungsfreiheit dadurch behindert wird. Die Aufgabe der Verteidigungspolitik ist es im Gegenteil, die Möglichkeiten der Gesamtpolitik dadurch zu vergrößern, daß die Risiken der Bedrohung der Sicherheit durch geeignete Verteidigungsanstrengungen gemindert werden. In keinem Augenblick aber darf Verteidigungspolitik ein eigenes Gewicht und ein eigenes Leben gewinnen, die geeignet wären, mit ihrem Schwergewicht die Bewegungsfreiheit der Politik einzuengen.Bei den derzeitigen Stärkeverhältnissen zwischen der Verteidigungskraft des Westens auf dem Gebiet der herkömmlichen Waffen und der latenten Bedrohung aus dem Osten ist eine wirksame Verteidigung des Westens ohne die Androhung der atomaren Vergeltung ausgeschlossen. Schon durch die Tatsache der atomaren Verteidigung ist z. B. der Angreifer gezwungen, seinen Angriffsformationen eine Gliederung zu geben, die die Abwehr mit herkömmlichen Mitteln weitaus aussichtsreicher macht. So kann durch die Drohung der atomaren Luftabwehr verhindert werden, daß ein potentieller Angreifer massiert mit Bomberverbänden angreift. Er kann dieses Risiko der Massierung in der Luft gegenüber einer in Rechnung zu setzenden atomaren Luftverteidigung nicht übernehmen. Und auf der Erde kann eine nötige Konzentration von Erdkampfverbänden nicht herbeigeführt werden, wenn dieser Angriff eventuell auf eine atomare Verteidigung stößt. Schon allein dadurch werden die Aussichten der Verteidigung mit herkömmlichen Mitteln weitaus größer, ohne daß von vornherein die atomare Verteidigung selbst angewendet wird.In diesem Sinne hat die Fraktion der Deutschen Partei stets eine Verteidigungskonzeption der abgestuften Abschreckung bejaht, weil sie davon überzeugt ist, daß nur durch eine solche Konzeption das eigentliche Ziel der Verteidigungspolitik erreicht werden kann, auch den kleinen Konflikt zu verhindern, von dem ja heute niemand weiß, ob er nicht in der Konsequenz zur großen Auseinandersetzung führen würde.Die Verteidigung des Westens ist bis jetzt auf die Strategie des „alles oder nichts" angewiesen. Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß diese Konzeption „alles oder nichts", d. h. auch auf den kleinen, örtlich begrenzten Zwischenfall mit den stärksten zur Verfügung stehenden Mitteln zu antworten, alle Partner des Bündnisses ständig dazu zwingt, ihre Risikobeteiligung laufend zu überprüfen. Es ist nämlich das gute Recht jedes einzelnen Staates, in der Übernahme von Risiken, die ihm aus
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1958 2207
Probst
der Übernahme von vertraglichen Verpflichtungen erwachsen, seinen Risikobeitrag sorgfältig abzuwägen. Diese Situation zwingt aber die Bundesrepublik — und um deren Sicherheit allein kann es sich bei dieser Debatte handeln — ebenfalls zu lauf enden Überlegungen, wie sie dieser jedem Bündnis naturbedingt innewohnenden Tendenz durch eigene Anstrengungen entgegenwirken kann.Diese Aufgabe der Verteidigungspolitik der Bundesrepublik stellt nach unserer Auffassung eine Absage an die Theorie von der Arbeitsteilung innerhalb der NATO dar, soweit jedenfalls diese Arbeitsteilung sich auch auf die Landesverteidigung in Mitteleuropa beziehen soll. Wer der Arbeitsteilung innerhalb der NATO auch für die Landverteidigung in Mitteleuropa das Wort redet — wie z. B. die Freie Demokratische Partei —, der muß auch den Mut haben, zu fordern, daß der Beitrag der Bundesrepublik an Divisionen mit herkömmlichen Waffen um ein Mehrfaches höher angesetzt wird, als das heute der Fall ist, gleichlaufend mit einem wesentlich größeren Anteil der Gesamtkosten der Verteidigung an unserem Haushalt. Ist dieser Mut aber nicht vorhanden, so bleibt das Bekenntnis zur Theorie von der Arbeitsteilung eben nur ein theoretisches Gerede, das mit den Aufgaben einer wirklichen Sicherheitspolitik für die Bundesrepublik im Rahmen des westlichen Bündnisses nicht vereinbar ist.Diese unsere Vorstellung, ,daß die abgestufte Verteidigungspolitik möglich und zweckmäßig ist — zweckmäßig im Sinne der Kriegsverhinderung —, läßt es angeraten erscheinen, den Aufbau der sogenannten Territorialverteidigung gleichlaufend mit dem der NATO-Kräfte vorzunehmen. Gleichlaufend! Der Effekt liegt dabei nicht nur darin, daß die Territorialverteidigung geeignet ist, kleinere Angriffe, mit beschränktem Ziel und konventionell geführt, abzuwehren, ohne die Gesamtabwehr des Westens 'auszulösen, sondern der Effekt liegt darin, daß im selben Tempo die Verteidigungskraft der in der NATO integrierten Divisionen gestärkt wird, gestärkt deshalb, weil erst die territoriale Verteidigung den schnellen operativen Einsatz der NATO-Verbände gewährleistet. Es ist meine Auffassung, daß heute, wo von einer ausreichend starken und entsprechend gegliederten territorialen Verteidigung vorläufig nur Ansätze vorhanden sind, im Falle eines drohenden Angriffs die der NATO unterstellten Panzerverbände kaum aus ihren Kasernen und Bereitstellungsräumen herausrücken können, weil sofort alle Straßen unter dem Schock eines drohenden Angriffs blockiert und alle Nachrichtenmittel überlastet sind, so daß die Führung der Verteidigung ausschließlich durch die der NATO unterstellten Verbände von vornherein in Frage gestellt ist. Ich meine, daß im Grundsatz über diese Zusammenhänge im Hause durchaus Einmütigkeit besteht. Auch der Sprecher der SPD-Fraktion hat gestern ausdrücklich den Aufbau einer zweckmäßigen Territorialverteidigung bejaht; allerdings wiederum mit jener Zwiespältigkeit, die Wir auch heute noch angesichts der gesamten Verteidigungskonzeption der SPD feststellen müssen — keinesfalls mit Genugtuung, sondern durchaus mit Bedauern, weil wir glauben, daß die Aufgabe, die Sicherheit der Bundesrepublik zu gewährleisten, zum Beispiel sehr viel leichter zu lösen wäre, wenn die größte Oppositionspartei hier endlich ihre traditionellen Vorbehalte und Hemmungen überwinden könnte.Lassen Sie mich in diesem Sinne auch einige Worte zu den Vorstellungen der SPD über den Aufbau einer territorialen Verteidigung auf freiwilliger Grundlage sagen. Wir bewundern den Mut der SPD, hier vor dem Bundestag die Auffassung zu vertreten, daß eine solche Territorialverteidigung ohne Wehrpflicht auskommen könne, wenn alle demokratischen Parteien der Bundesrepublik sich hinter diese Aufgabe stellten. Es muß jedoch einmal gesagt werden, daß es auch heute noch nicht nur in der größten Oppositionspartei, sondern darüber hinaus in großen Organisationen starke Kräfte gibt, die nach wie vor die Verteidigungswürdigkeit der sozialen und gesellschaftlichen Verhältnisse in der Bundesrepublik insgesamt in Frage stellen. Woher soll dann die genügende Anzahl von Freiwilligen für diese Aufgabe kommen, eine Zahl, die weit über die Zahl der Freiwilligen in der Bundeswehr hinausgehen muß? Diese Auffassung, daß der Bedarf der territorialen Verteidigung durch Freiwillige gedeckt werden kann, scheint uns genauso illusionär zu sein wie das, was uns der Herr Kollege Merten über die Gesamtkonzeption der SPD zur Verteidigungspolitik angeführt hat.Es klingt zwar sehr ideal, davon zu sprechen, daß es darauf ankomme, eine Verteidigungspolitik auszugestalten, die auch die Sicherheit des anderen Teils Deutschlands berücksichtigt. Uns scheint aber, daß diese Auffassung genauso ideal wie illusionär ist. Denn unsere Aufgabe ist es leider, angesichts der realen Verhältnisse in der Welt erst einmal für die Sicherheit der Bundesrepublik zu sorgen. Und ich glaube, daß wir größere Schritte vorwärts auf diesem Gebiet in der Vergangenheit gemacht hätten, wenn die SPD bereit gewesen wäre, anzuerkennen, daß unter den heutigen Verhältnissen diese Sicherheit der Bundesrepublik nur gewährleistet werden kann im Rahmen der gemeinsamen Verteidigungspolitik des Westens, im Rahmen der NATO.Auch dazu haben wir allerdings in dieser Debatte Ausführungen der SPD vermißt. Auf die Tatsache, daß die SPD nach wie vor einer wirklichen Klärung dieser Frage ausweicht, führen wir im wesentlichen auch den hier zur Debatte gestellten Antrag auf Kürzung des Verteidigungshaushalts um 3 Milliarden DM zurück. Ich stehe dabei nicht an, meinerseits zu erklären, daß auch die Fraktion der Deutschen Partei nicht davon überzeugt ist, daß in diesem Jahr die angeforderten 10 Milliarden DM völlig zur Verausgabung kommen werden. Es scheint mir aber gerade nach den Ausführungen der SPD und der FDP über die Territorialverteidigung eine besondere Aufgabe des Verteidigungsausschusses zu sein, Überlegungen dahingehend anzustellen, mit welchen finanziellen Mitteln und in welcher verkürzten Zeit wir dieser Aufgabe der Verteidigungspolitik der Bundesrepublik neue2208 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 38. Sitzung, Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1958Probst
und besondere Impulse verleihen können. Dabei sollten wir uns gemeinsam auf dem Boden treffen, daß die Aufgabe einer wirksamen Territorialverteidigung auch von den böswilligsten unserer außenpolitischen Kontrahenten nicht als eine aggressive Maßnahme bezeichnet werden kann, weil die territoriale Verteidigung in ihrer Organisation und in ihrer Bewaffnung ganz klar zeigt, daß sie eine reine Verteidigungsorganisation ist.Ich darf für die DP-Fraktion zum Ausdruck bringen, daß wir uns hier auf einem Feld bewegen, das vielleicht doch in Zukunft wenigstens zu Ansätzen einer gemeinsamen Verteidigungspolitik des ganzen Hauses führen kann.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Verteidigung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Laufe der Aussprache während der dritten Lesung des Haushalts ist eine Reihe von Verteidigungsproblemen angeschnitten worden, zu denen einige Erklärungen der Bundesregierung, des zuständigen Ressortministers notwendig sind. Ich möchte nicht zu den Ausführungen jedes einzelnen Redners, der sich hier zu Worte gemeldet, der bestimmte Fragen gestellt und bestimmte Probleme als nicht gelöst bezeichnet hat, Stellung nehmen, sondern versuchen, das in Kürze und in zusammenfassender Form zu tun.Mehrere Redner haben die Tatsache erwähnt, daß Ausgaben aus übertragenen Bewilligungen früherer Rechnungsjahre nur geleistet werden dürfen, soweit ihnen entsprechende Ausgaben im Rahmen der veranschlagten Gesamtausgaben von 10 Milliarden DM gegenüberstehen. Damit ist die Feststellung, zum Teil der Vorwurf verbunden worden, daß dieser Haushalt also nicht der Wirklichkeit entspreche. Denn wenn der vorliegende Haushalt in vollem Umfang bedient würde, dann würde das bedeuten, daß Ausgaben aus den früheren Haushalten nicht mehr genehmigt werden könnten. Oder wenn diese Sperre nicht besteht, dann würde das bedeuten, daß statt 10 Milliarden maximal bis zu 15,4 Milliarden ausgegeben werden können.Ich glaube, alle in diesem Hause — und ich gehöre hier zu allen — werden damit einverstanden sein, daß das kassenmäßige Limit, die kassenmäßige obere Grenze von 10 Milliarden festgelegt worden ist,
— einschließlich der Stationierungskosten, auf die ich kurz zu sprechen kommen darf, soweit sie Auswirkungen auf den Verteidigungshaushalt haben. Ich möchte zu deren politischen Problem nicht Stellung nehmen, weil das nicht in mein Arbeitsgebiet gehört.Bei den Ausgaberesten von 5,4 Milliarden handelt es sich aber um Haushaltsansätze, die vom Parlament bereits genehmigt sind, Ausgaben, die aber bisher aus einer Reihe von Gründen nicht vorgenommen werden konnten. Sie wissen, daß einmal eine große Änderung der Aufstellungstermine und der Aufstellungspläne vorgenommen werden mußte. Die Haushaltsreste ebenso wie auch der vorliegende Haushalt umfassen Ausgaben auf zwei Gebieten, wo der zeitliche Ablauf nicht in das exakte Schema eines Haushaltsjahres hineingedrängt werden kann, nämlich auf dem Gebiet der Bauten und auf dem Gebiet der Beschaffungen. Auf dem Gebiet der Bauten gibt es manche Gründe, die langfristige Programme mit genauen Terminen nicht ermöglichen. Auf dem Gebiet der Beschaffungen habe ich bisher den Grundsatz vertreten, daß angesichts der schnellen technischen Entwicklung, angesichts der Notwendigkeit, mit ihr im Rahmen des Möglichen Schritt zu halten, nicht mehr Beschaffungen vorgenommen werden können und vorgenommen werden sollen, als für die unmittelbar bevorstehende Aufstellungsphase der Bundeswehr notwendig ist.
Es ist deshalb etwas ungerecht, wenn damit Vorwürfe verbunden werden, sei es der Unklarheit, sei es der Unwahrheit oder sei es der Unfähigkeit. Es wäre leicht, auf dem Gebiete der Geräte, die heute modern sind und die heute bei allen Armeen der Welt eingeführt sind, gleichgültig ob es Waffen, Fahrzeuge oder Ausrüstungsgegenstände sind, eine Beschaffung vorzunehmen, die bis zum Endpunkt der ersten Aufstellungsphase, dem 31. März 1961, reichen würde. Wir haben das bewußt nicht getan, und wir sind bisher gut dabei verfahren. Der Vorwurf, der gerade aus den Reihen der Opposition zu beiden Seiten erhoben wird, daß die Bundeswehr veraltete Waffen, veraltete Fahrzeuge und veraltete Geräte habe, würde erst dann wirklich zutreffen, wenn man in dem Zeitraum von 1956 bis 1961 die Programme durchführte.Der Verteidigungsminister braucht — natürlich jeweils in Abstimmung mit dem Finanzminister — hier eine gewisse Bewegungsmöglichkeit, einen gewissen Spielraum. Er muß in den Haushalten 1955 bis 1958 aus den Ansätzen, die das Parlament im einzelnen bewilligt hat, und im Rahmen des kassenmäßigen Limits, das mit dem Finanzminister vereinbart und hier in dem Haushaltsplan Bestandteil des Haushaltsgesetzes geworden ist, seine Ausgaben tätigen können. Nur so ist es zu erreichen, den drei oftmals kontradiktorischen Notwendigkeiten Rechnung zu tragen, einmal dem relativ starren Haushaltsrecht — ich möchte kein Wort dagegen sagen, aber es ist so — zu entsprechen, zum zweiten langfristige Programme mit unbekannten Faktoren, mit neu eintretenden politischen oder technischen Schwierigkeiten — wie gerade auf dem Gebiet der Bauten und Beschaffungen — durchzuführen und schließlich im Zeitalter der schnellsten technischen Entwicklung, die die Geschichte der Menschheit jemals gesehen hat, eine Bundeswehr vom Punkte Null in einem Zeitraum von 5 1/4 Jahren — bei Luftwaffe und Marine in das 6. und 7. Jahr hinein — zu einer modernen, im Rahmen der
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Bundesverteidigungsminister StraußNATO geeigneten Streitkraft aufzubauen und verwendungsfähig zu machen. Es gibt keine perfektionierte Lösung, es gibt keine ideale Lösung, die sowohl den Grundsätzen der Haushaltswahrheit und -klarheit bis zum letzten Detail als auch gleichzeitig dem Gesichtspunkt der Umrüstung, dem Gesichtspunkt der sparsamen Verwendung von Mitteln und dem Gesichtspunkt der Anpassung an die technische Entwicklung in vollendeter Weise Rechnung trägt.Dieses Problem kann nach dem, was ich im Ausland gesehen und von meinen Kollegen gehört habe, schon bei den Armeen nicht gelöst werden, die' voll aufgebaut sind und deren Mannschaftsbestand sogar abgebaut wird, die nur die Aufgabe haben, ihren jeweiligen Bestand zu erhalten, die jeweils notwendigen Ergänzungen vorzunehmen und sich im Sinne einer modernen Ausstattung auf dem laufenden zu halten. Wenn das dort schon nicht möglich ist, wie soll es dann angesichts der geschilderten Umstände möglich sein, das in einer fünf- oder sechsjährigen Aufbauperiode vom Punkte Null bis zum Zeitpunkt der Erreichung der Friedensstärke zu schaffen! — Ich habe nur einmal diesen Gesichtspunkt nennen wollen. Man könnte vieles dazu im einzelnen anführen.Ich darf zum zweiten Auskunft über ein Problem geben, das Kollege Merten gestern angeschnitten hat. Er sprach von den Garantiezahlungen für amerikanische Rüstungsgüter, die nach einem amerikanischen Gesetz nur durch die Regierung der USA, nicht aber durch Firmen an andere Staaten verkauft werden. Die Bundesregierung kauft daher Rüstungsgüter bei der Regierung der Vereinigten Staaten, und diese nimmt die Rückkäufe bei der amerikanischen Industrie vor. Die Regierung der USA verlangt eine Sicherung dafür, daß die Forderungen der Industrie erfüllt werden können, damit die Regierung der USA aus der Vermittlertätigkeit keinen finanziellen Schaden erleidet. Im Rahmen des Sicherungsverlangens der Regierung der USA ist zwischen ihr und der Bundesrepublik ein grundsätzliches Abkommen geschlossen worden. Nach meiner Erinnerung ist dieses Abkommen Ende des Jahres 1955 auch vom Parlament ratifiziert worden. Nach diesem Abkommen muß die Bundesrepublik bei Abschluß eines Lieferungsvertrages 15 % der Kaufsumme an das amerikanische Schatzamt als Sicherung leisten. Ferner muß die Bundesbank eine Garantieverpflichtung über weitere 25 % der Kaufsumme übernehmen. Durch Vereinbarung zwischen Bundesbank und Bundesregierung ist der Gegenwert der Garantieverpflichtung vom Verteidigungsminister an die Bundesbank zu zahlen. Die Bundesregierung hat also bei Abschluß eines jeden Kaufvertrags insgesamt 40% der Kaufsumme teils an das amerikanische Schatzamt, teils an die Bundesbank zu leisten. Entsprechend der Auslieferung der Ware sind dann weitere Zahlungen zu leisten. Nach Abschluß der Lieferung und nach Endabrechnung werden die Sicherungsleistungen verrechnet und der Saldo an das Verteidigungsressort zurückgegeben. Ein Schaden entsteht der Bundesrepublik durch dieses Verfahren nicht, zumal die 15 % vom Schatzamt in amerikanischen Schatzwechseln kurzfristig angelegt und in Dollars verzinst werden. Der Zinsertrag geht in die allgemeine Kasse des Bundes. Das grundsätzliche Abkommen ist vor zwei Jahren dem Verteidigungsausschuß und dem Haushaltsausschuß vorgelegt und nach eingehender Diskussion von beiden Ausschüssen gebilligt worden.Ich darf hier einen dritten Punkt, den Kollege Merten angeschnitten hat, erwähnen. Er sprach davon, daß General Kammhuber anscheinend auf höhere Weisung das Flugzeugprogramm nicht mehr den Ausschüssen vorgetragen habe. Es besteht ein Flugzeugprogramm. Dieses Flugzeugprogramm wird vor Leistung der Unterschriften unter die Verträge, also vor einer Rechtsverbindlichkeit der Verträge, den beiden zuständigen Ausschüssen vorgelegt, und die Gründe für diese Entscheidung werden eingehend besprochen werden, so daß das letzte Wort, die Genehmigung, beim Parlament liegt. Ich halte es aber aus Gründen, die ich schon bei anderer Gelegenheit hier nannte, für falsch, auf Grund der Möglichkeiten, die ins Auge gefaßt werden, schon Positionen zu schaffen, bevor die Gestaltung der Verträge nach der rechtlichen Seite, nach der preislichen Seite und nach der Lizenznahme hin mit den Firmen ausgehandelt ist, Positionen, deren Existenz nicht geleugnet, nicht geheimgehalten und dann ohne Zweifel zum Vorteil der industriellen Seite ausgenutzt werden kann.
Es wird kein Vertrag, Herr Kollege Merten, unterschrieben werden, bevor nicht diese Vorlage an den Ausschuß gegangen ist und bevor nicht eine eingehende, zum Teil schriftliche und zum Teil noch wesentlich detailliertere mündliche Begründung erfolgt ist, weil wir jetzt zu wissen glauben, was wir wollen. Es wäre aber vor den Parlamentsferien nicht mehr möglich gewesen, die Verhandlungen mit mehreren Beteiligten, die als Konkurrenten in Betracht kommen, so weit zu führen, daß man dies dem Ausschuß jetzt hätte vorlegen können. Wir wollen gerade die Zeit der Parlamentspause, in der die Mitarbeiter des Hauses nicht durch andere Verpflichtungen so stark beansprucht sind, dazu benutzen, diese wirtschaftlichen und vertragsrechtlichen Verhandlungen zu führen. Wir wären sehr dankbar, wenn Verteidigungs- und Haushaltsausschuß möglichst bald nach Wiederzusammentritt des Parlaments Ende September/Anfang Oktober sich mit dieser Frage befassen würden.Die Dringlichkeit liegt dabei nicht in der Beschaffung von Flugzeugen für die Luftwaffe; wir sind noch auf sehr lange Zeit mit gebrauchsfähigen Flugzeugen in ausreichender Zahl versorgt. Die Dringlichkeit liegt darin, daß die Ansätze der wiedererstandenen deutschen Luftfahrtindustrie, die wir geschaffen haben und die auch für die Wirtschaft der Bundesrepublik, ihre Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt und für das Ansehen Deutschlands insbesondere auch angesichts der Konkurrenzentwicklung in der sogenannten DDR von erheblicher Bedeutung sind, nicht durch eine Beschäftigungspause, in der die Entwicklungsteams entlassen und die Facharbeiter anderswohin geschickt werden, von neuem zum Erliegen kommen.
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Bundesverteidigungsminister StraußIch darf einen weiteren Punkt erwähnen. Das sind die Stationierungskosten. Wie schon erwähnt, nehme ich nicht zur politischen Seite des Problems Stellung; das steht mir nicht zu. Die Stationierungskosten konnten ja in diesen Haushalt haushaltsrechtlich überhaupt nicht eingesetzt werden, weil das Ratifizierungsgesetz dafür weder eingebracht, geschweige denn verabschiedet ist. Also ist es unmöglich, die Stationierungskosten in dem vorliegenden Haushalt festzulegen.
Ich habe nie einen Zweifel daran gelassen, daß gewisse Änderungen bei der Bewilligung von Stationierungskosten, gewisse materielle Einschränkungen oder Verschiebungen der Termine auf die Dauer unvermeidbar sind. Ich habe das auch vor der Offentlichkeit gesagt. Wir haben auch unsere Verbündeten darauf hingewiesen, daß man hier eine optimale Lösung finden muß. So viel zur Begründung, warum die Stationierungskosten nicht hm Haushalt untergebracht sind.Nun darf ich, bevor ich zu einigen politischen Themen Stellung nehme, einige halbpolitische Themen erwähnen. Kollege Merten hat gestern seinem Zorn über das Pressereferat des Bundesverteidigungsministeriums Ausdruck gegeben. Ich darf zunächst sagen, daß die drei Veröffentlichungen, von denen er gesprochen hat, zwar unter der Überschrift Bundesverteidigungsministerium/Pressereferat laufen, daß sie alber nach den von mir genannten Gesichtspunkten zusammengestellt worden sind und ihre redaktionelle Formulierung von mir überprüft worden ist und daß ich für diese Veröffentlichungen, soweit es einem Bundesminister nach den einschränkenden Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers von heute morgen zukommt,
selbstverständlich auch die politische Verantwortung übernehme. Ich wäre niemals so unfair, einen Referenten, wenn er in meinem Auftrag und mit meinem Wissen handelt, hernach im Stich zu lassen und die Schuld auf ihn abzuschieben. Nein, das, was hier gesagt worden ist, stammt von mir, Herr Kollege Merten!
Und ein Ministerium hat ja verschiedene Kanäle.Nun haben Sie sich zu 'der Stellungnahme des Ministeriums zu Ihren Ausführungen über die Nike geäußert. Sie haben ein sehr kühnes Urteil über die Nike abgegeben, ein Urteil, dessen sichere Präzision, dessen technische Apodiktion und dessen militärische Verbindlichkeit jedermann überraschen muß, der sich als Techniker, als Soldat oder als Politiker jahrelang mit dem nicht voll lösbaren Problem der Luftverteidigung befaßt hat; denn es steht außer Zweifel, daß eine vollendete Luftverteidigung nicht möglich ist. Es steht außer Zweifel, daß ein gewisses Maß an Luftverteidigung notwendig ist, und es steht außer Zweifel, daß innerhalb dieser Grenzen zur Zeit die von Ihnen so heftig kritisierte amerikanische Fliegerabwehrwaffe wohl zu dem Besten gehört, was es gibt. Ich möchte hier nicht in die Einzelheiten gehen, um Ihnen Zeit zu ersparen. Aber wenn ich Ihr Urteil über die Nike hier vorlesen würde, würden Sie mir sicherlich auch hier vor dem Forum des Bundestages ein wenig recht geben, daß solche Urteile, wenn sie so verbindlich, so sicher und so abschließend 'abgegeben werden, doch schon ein großes Maß an Sachkenntnis, das ich Ihnen nicht abstreiten möchte, und an Risikofreude voraussetzen.Zum Ende ihrer Stellungnahme, Herr Kollege Merten, hat das Pressereferat, also das Bundesverteidigungsministerium, folgendes gesagt:Wenn MdB Merten die Ansicht vertritt, daß diese derzeit modernste Fliegerabwehrwaffe für die Bundeswehr auf Grund ihrer technischen Unzulänglichkeiten nicht geeignet sei,dann darf der Verteidigungsminister annehmen, daß damit eine — von mir in keiner Weise zu beanstandende —, vom Standpunkt der Opposition 'in jeder Weise berechtigte Kritik verbunden ist. Es ist mein gutes Recht, gegen diese Kritik eine Stellungnahme abzugeben. Sie haben Ihre Meinung dazu, ich habe meine Meinung dazu. Ich glaube, wenn wir die parteipolitische Wirkung auf beiden Seiten wegstrichen, wären unsere Meinungen technisch manchmal übereinstimmender, als sie zu sein scheinen.
Dann heißt es weiter:
. . . dann käme später nur noch die NikeHerkules, eine noch vollkommenere, allerdings mit Atomsprengkopf ausgerüstete Abwehrrakete in Frage.So heißt es in der Veröffentlichung. Das wiederum ist der einzige Satz, den Sie subjektiv überhaupt angreifen können. Das würde sich mit der Wehrkonzeption der Opposition schlecht vertragen. Ist es etwa ein unzulässiger Eingriff eines Pressereferats in die Meinungsfreiheit eines Abgeordneten, wenn hier von Ihnen selbst festgestellt wird, daß die Nike-Ajax technisch unzulänglich ist, wenn aber von Ihnen die Nike-Herkules wegen ihres Atomsprengkopfes als für die Opposition nicht in Betracht kommend bezeichnet wird, zu sagen, daß das eine das andere ausschließt?Sie selber, Herr Kollege Merten, haben ja in jüngster Zeit schlechte Erfahrungen gemacht. In einer Pressebesprechung wurde Ihnen von mehreren Journalisten die Frage gestellt, ob ein Atomsprengkopf für Luftabwehrraketen für, die SPD in positivem oder negativem Sinne ein Dogma sei. Nach den Presseberichten haben Sie zur Antwort gegeben, das sei eine Frage der Zweckmäßigkeit, nicht des Dogmas. Allerdings haben Sie hinzugefügt, wegen der damit für die Bevölkerung verbundenen Gefahr könnten Sie einer Verwendung von Atomsprengköpfen nicht zustimmen. In die Öffentlichkeit — siehe „Die Welt" — ist dann eine für Sie und Ihre Partei und den Erfolg der Atomtod-Aktion alarmierende Berichterstattung gekommen, die lautete: Also ist die Front der SPD gegen die Atom-
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Bundesverteidigungsminister Straußwaffen doch nicht so undurchdringlich und doch nicht so lückenlos, wie es zu sein scheint. Daraufhin haben Sie eine weitere Erklärung abgegeben. Das ist Ihr gutes Recht. Ich habe nur versucht, den Sachverhalt darzustellen.Wenn hier das Verteidigungsministerium sagt, nach den Feststellungen des MdB Merten Sei die Nike-Ajax technisch unzulänglich, die Nike-Herkules vertrage sich aber wegen ihres Atomsprengkopfes nicht mit dem Wehrkonzept der Opposition, dann ist das doch wirklich keine unzulässige Einschränkung der Meinungsfreiheit eines Abgeordneten oder eine Überschreitung der Kompetenzen eines Ministeriums oder gar die Einmischung der Bundesregierung- in die inneren Verhältnisse einer Partei. Ich wollte die Dinge nur einmal auf das wirkliche Maß reduzieren, bevor Behauptungen stehenbleiben, die in der Form nicht berechtigt sind.
Sie haben weiterhin kritisiert, Herr Kollege Merten, daß in dem Haushaltsplan der Umrüstung, der bekanntgegebenen Umgliederung des Bundesheeres — ich möchte sagen: den bekanntgegebenen Prinzipien für die Umgliederung des Bundesheeres — nicht Rechnung getragen ist. Daß das nicht geschehen ist, ist selbstverständlich, denn der Haushaltsplan muß von uns im August eingereicht werden, und der vorliegende Haushaltsplan ist im August 1957 eingereicht worden. Die NATO-Pläne, die für die Ausstattung der Bundeswehr, ihre Ausbildung und Gliederung gewisse Auswirkungen haben, sind, wie Sie wissen, erst im Frühjahr dieses Jahres fertiggestellt worden. Was wir getan haben, die Einteilung der Divisionen statt in Kampfgruppen in 'Brigaden vorzusehen, Zwei Versuchsbrigaden für die Manöver zu bilden und im übrigen die Umgliederung im Herbst 1959 zu beginnen — ein Zeitpunkt, bis zu dem das im einzelnen noch besprochen werden kann —, steht also nicht im Widerspruch zu diesem Haushaltsplan, auch nicht im Widerspruch zu der Möglichkeit, beim nächsten Haushaltsplan der Umgliederung schon im Entwurf Rechnung zu tragen.Sie haben sich ferner, Herr Kollege Merten, gegen die „böswillige Unterstellung" gewendet, daß die SPD nichts für die Verteidigung tun wolle. Sie haben sich gegen eine Interpretation Ihres Nein zum Haushaltsplan gewendet, die sagt: weil die SPD den Einzelplan 14 ablehnt, ist sie gegen die Landesverteidigung. Sie sagten, aus der Ablehnung des Haushaltsplans dürfe kein solcher Rückschluß gezogen werden. Sie erklärten weiter, die SPD habe durch ihre Geschichte bewiesen, daß sie bereit sei, für die Verteidigung der Freiheit Opfer zu bringen; ihr Nein zum Haushaltsplan sei politisch und verteidigungspolitisch bedingt; die SPD sage ein unmißverständliches Ja zur Landesverteidigung und ein ebenso unmißverständliches Nein zu militärischen Maßstäben bei Gestaltung der Politik.An dieser Stelle wollte ich einige Sätze anknüpfen. Es haben sämtliche Vertreter der Bundesregierung, an der Spitze der Herr Bundeskanzler, der Bundesaußenminister und ich, bei wiederholtenGelegenheiten gerade von diesem Platz aus betont, daß sie es ebenso wie Sie für verfehlt, für falsch und für gefährlich halten — von der Zweckmäßigkeit her gesehen —, Politik unter militärischen Gesichtspunkten zu betreiben. Allerdings kann Politik ohne militärische Gesichtspunkte genauso wenig betrieben werden. Ich bekenne mich völlig außerhalb des Verteidigungsministeriums und in meiner Amtsführung mit meinen Mitarbeitern und gegenüber meinen Männern mit Recht zu der Auffassung, daß das militärische Instrument dem politischen Willen untertan sein muß,
daß andererseits der politische Wille das militärische Instrument nicht mißbrauchen darf, wie es einmal in der deutschen Geschichte mit einem schauerlichen Ergebnis geschehen ist.
Am Ende wurde den Soldaten — die ich hier nicht zu vertreten habe — die Alleinschuld gegeben, was historisch ebenso ungerecht war, wie von vornherein eine kollektive Unschuld festzustellen.Das militärische Instrument auch der Bundeswehr ist dem politischen Willen unterworfen. Darüber gibt es keinen Zweifel. Aber bei der Festlegung unserer außenpolitischen Position, bei der Festlegung unserer Möglichkeiten und unserer Grenzen können wir uns von bestimmten militärischen Notwendigkeiten oder Selbstverständlichkeiten nicht im Sinne einer Ignorierung dieser Dinge frei machen und im luftleeren Raum politisch planen. Das kann wohl nicht bestritten werden.
Wir können auch nicht so planen, als ob wir mit unserem Verteidigungsinstrument allein auf der Welt wären und als ob heute noch eine nationale Verteidigung im Stile des 19. Jahrhunderts oder der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts denkbar und möglich wäre.
Wir müssen also unsere Gesamtpolitik, unsere Sicherheitspolitik einmal abstellen auf unsere Außen- und Bündnispolitik und zum andern auf die Aufgabe, die wir im Rahmen dieses Bündnisses zu erfüllen haben. Und hier hat das militärische Instrument im Zeitalter der Atomwaffen eine sehr undankbare Rolle zu übernehmen; denn die Soldaten müssen mit den besten Waffen ausgerüstet werden. Sie müssen eine harte Ausbildung auf sich nehmen. Sie müssen ein Maximum an Können, Beherrschung von Waffen und Geräten auf sich nehmen, alles zu dem Zweck, damit das alles nie angewendet zu werden braucht; im Gegenteil, wenn sie jemals angewendet werden sollten, wäre der Hauptsinn dessen schon weggefallen, wofür überhaupt die Verteidigung aufgebaut worden ist. Ich weiß, das klingt sehr paradox, aber es ist im Zeitalter der Atomwaffen, wenn man nicht nein sagen will zur Verteidigung, sondern das Ja im Prinzip sagt und konsequent durchdenkt — und wir haben es genauso konsequent durchdacht, wie dies unsere politischen Gegner für sich in Anspruch
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Bundesverteidigungsminister Straußnehmen —, die einzig mögliche Einstellung, wenn man sich nicht den Standpunkt von Stephan King Hall zu eigen macht, der im Zeitalter der Atomwaffen Gewaltlosigkeit, d. h. Verzicht auf Verteidigung nach außen, von vornherein zum Prinzip der Außen- und Sicherheitspolitik erhebt, ein Prinzip, das in seiner Weise erst die Aggression heraufbeschwört und den Krieg in die Nähe des Wirklichen rücken könnte.
Ich lege großen Wert darauf — und da nehme ich die Geduld des Hauses in Anspruch, weil mir daran liegt, diese Gedankengänge gerade angesichts der verwirrenden Parolen und der oft absichtlichen Verdrehungen in der Öffentlichkeit, die von allen Seiten unternommen werden —, das klarzustellen. Es gibt keine militärischen Maßstäbe für die Gestaltung unserer Politik. Aber es gibt die Einordnung der militärischen Notwendigkeiten in unsere Gesamtpolitik, ohne daß der Primat des politischen Denkens dadurch aufgehoben wird.
Denn militärische Notwendigkeiten gehören zum politischen Denken, wenn sie auch das politische Denken nicht usurpieren, überwuchern oder gar sich selbst unterordnen dürfen.
In dem Sinne, Herr Kollege Merten — weil Sie gestern anklagend Ihre Stimme erhoben haben, und ich bemühe mich, sehr deutlich, aber ohne eine beißende Schärfe, zu sprechen —, sollten Sie sich — nicht nur Sie persönlich — überlegen, ob Sie die Behauptungen und die Vorwürfe — ich rede jetzt nicht von Wahlreden draußen, von denen werden wir ja genug in Anspruch genommen —, daß die Verteidigungspolitik der Bundesregierung auf ein größenwahnsinniges Machtstreben zurückzuführen und daß sie vom militärischen Großmachtwahn erfüllt und daß die Bundesregierung heute vom Stil des typischen Großmachtdenkens befangen sei, aufrechterhalten können, ob Sie das bei ehrlicher Prüfung vor Ihrem Gewissen und vor Ihrem gesunden Menschenverstand wirklich ernsthaft, ohne sich schämen zu müssen, aussagen können.
Denn was wir heute tun, ist in Art und Umfang nichts anderes, als was in der gemeinsamen Planung der NATO, also von 15 Nationen, als Anteil der Bundesrepublik im allseitigen Einvernehmen und nach langen und schwierigen inneren Beratungen festgestellt worden ist. Wer kann ernsthaft glauben, daß die Kanadier, daß die Vereinigten Staaten, daß Großbritannien, daß Frankreich, daß die drei Benelux-Staaten, selbst Dänemark und Norwegen, die dieser Planung zugestimmt haben, daß Portugal, Griechenland, Italien und die Türkei uns auffordern, uns verpflichten, ein militärisches Großmachtdenken an den Tag zu legen, einen militärischen Größenwahnstil von neuem zu praktizieren? Wer glaubt das ernsthaft? Das möchte ich einmal fragen.
Daran ändert sich auch nichts, wenn beispielsweise auf dem Stuttgarter Parteitag der SPD — wo ja nach dem Kolorit der Delegierten sicherlich die Formulierungen etwas weniger moderiert gefallen sind, als sie hier fallen — von mir als dem „Bundesberserker" die Rede war — dieser Ausdruck kam aus dem Munde Ihres neuen zweiten Parteivorsitzenden, des Kollegen Wehner
oder wenn in einer Veröffentlichung Ihres Pressedienstes — ich glaube, des Kollegen Ollenhauers — zu lesen war, man könne bei schärfstem Nachdenken nicht herausfinden, was der Unterschied zwischen mir und einem Alldeutschen sei. — Wenn man das nicht herausfindet, dann liegt das nicht an mir, sondern an dem, der darüber nachdenkt, weil es ihm nicht einfällt.
Uns unterscheidet — ich möchte das gerade wegen der laufend auch gegen meine politische Auffassung erhobenen Vorwürfe sehr deutlich sagen — schlechthin alles von dem, was man das typisch alldeutsche Denken nennt, aber schlechthin alles.
Waren wir nicht die ersten in diesem Hause - ich sage nicht, in der breiten deutschen Landschaft, aber in diesem Hause —, die dem Grundsatz einer verstaubten und überholten Souveränitätsvorstellung der nationalen Staaten vom Typ des 19. Jahrhunderts abgeschworen haben?
Waren wir nicht die ersten, die den Vorwurf der Vorleistungen an das westliche Ausland, ich möchte sagen, mit einem gewissen Stolz getragen haben, weil dieser Vorwurf in Wirklichkeit eine Ehrenerklärung war, da wir uns bemüht haben, das verpfuschte Verhältnis des deutschen Volkes zu seinen Nachbarn in Ordnung zu bringen, und das nach dem zweiten Weltkrieg?
Ich möchte noch einige Stilblüten bringen. Sie werden sicher Verständnis dafür haben. Der Kollege Merten z. B., der sich gestern mit großer innerlicher Erregung — ich sage nicht, mit künstlicher Erregung — gegen Vorwürfe gewendet hat, durch die er und seine politischen Freunde sich beleidigt fühlen, erklärte als Vortragsredner bei einer Schulungstagung seiner Parteifreunde — es ist allerdings schon einige Wochen her, aber nicht Jahre, nur einige Wochen oder Monate —, von Wilhelm II. führe über Adolf Hitler ein gerader Weg zu Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß I.
„So erklärte Bundestagsabgeordneter Pfarrer Merten am Montag auf einer Schulungstagung der SPD in Alsfeld", schreibt dpa Frankfurt. „Nicht die Russen wollten nach Deutschland, sondern Strauß wolle nach Rußland."
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Bundesverteidigungsminister StraußKollege Merten, Sie waren so lange in Rußland, wie ich aus Ihrer Lebensgeschichte weiß. Sie waren länger dort als ich, und ich teile bestimmt mit Ihnen den Wunsch, nie mehr, weder als Krieger noch als KZ-Häftling jemals dort aufzutauchen.
— Ja, das hängt von Ihrem Verstand ab, nicht von meiner Einstellung.
Herr Abgeordneter Eschmann, der Ausdruck „Großschnauzigkeit" verstößt gegen die Ordnung des Hauses. Ich rufe Sie zur Ordnung.
Wenn ich nichts anderes sage, als daß ich mit dem Kollegen Merten, dem Oppositionssprecher zu meinem Haushalt, hoffentlich und wie ich überzeugt bin, einen Wunsch gemeinsam habe, daß nämlich wir beide weder als Krieger noch als Häftlinge jemals gegen Rußland zu marschieren haben, und ein Mitglied der Opposition sagt: „Ob man Ihnen das glauben darf?", dann möchte ich wissen, wo die Unterstellung und wo die beleidigende Absicht ist.
Damals hat der Kollege Merten fortgefahren:Der Minister hoffe, mit Hilfe der Amerikaner die politischen Verhältnisse in Rußland ändern zu können.Merten betonte, daß er an die Möglichkeit einer echten Koexistenz glaube, und vertrat die Ansicht, daß der Rapacki-Plan die Möglichkeit bietet, die Russen aus Polen hinauszumanövrieren.Es heißt dort weiter:Von der evangelischen Kirche erhofft Merten ein sehr ernstes Wort, sobald die Bundeswehr mit Atomwaffen ausgerüstet wende. Er wisse, daß es Militärpfarrer gebe, die ihren Soldaten dann verbieten werden, sich an der Ausbildung zu beteiligen, auch wenn sie hinausfliegen.Ich hätte einen solchen klerikalen Einfluß in der Bundeswehr an sich nie für wünschenswert gehalten;
auf alle Fälle hielte ich ihn für nicht in Übereinstimmung befindlich mit der Auffassung des Kollegen Merten. Sehen Sie, das sind die Töne, vor denen wir — ich möchte es einmal sehr allgemein fassen — uns hüten sollten. Denn Sie wissen ganz genau, daß die Behauptung, die Politik der Bundesregierung sei eine konsequente Fortsetzung oder sei die geistige Nachfolge der Politik, die von Wilhelm II. bis Hitler getrieben worden sei, eine aus der Propagandakiste der SED auf Moskauer Weisung kommende Parole ist; das ist nicht zu bestreiten.
Wenn Sie einmal in den Archiven des Bundesgebietes, in den Archiven des Ostbüros, in den Archiven des DGB nachforschen und versuchen, die verschiedenen für zugkräftig gehaltenen Parolen zu registrieren, dann werden Sie diese Parole: Wilhelm II. — Hitler - Adenauer schon in sehr frühen Jahren finden.Kollege Schmid sagte neulich, im Hause des Gehängten spreche man nicht vom Strick. Sie sind gestern gegen beleidigende Unterstellungen zu Felde gezogen. Ich möchte mir die von unserem Kollegen Carlo - Schmid neulich ausgesprochene Mahnung ebenfalls voll zu eigen machen und Sie bitten, ohne Empfindlichkeit auch von mir anzuhören, was ich zu sagen habe.Sie sagten: Die SPD sagt ja zur Landesverteidigung. Das heißt, sie sagt ja zu der Wehrkonzeption, wie sie in Stuttgart verabschiedet worden ist und wie sie gestern, glaube ich, zum ersten Mal in diesem Parlament hier von Ihnen vertreten worden ist. Es ist fast bedauerlich, daß uns die Besprechung des Haushaltsplanes aus zeitlichen Gründen nicht auch die Möglichkeit gibt, nüchtern und sachlich einmal über die Grundlagen und die Denkmaßstäbe, die zu dieser Konzeption geführt haben, und über die Analysen, die darin ihren Niederschlag gefunden haben, sowie über die Ergebnisse, die dort festgelegt sind, in aller Ruhe zu sprechen, ohne daß man eine Wirkung von draußen erwartet.Ich darf Ihnen entgegenhalten, daß nicht nur nach meiner Auffassung in Ihrer gestrigen Rede doch einige offensichtliche Fehler oder grobe Irrtümer enthalten sind. Einmal kommt in dieser Wehrkonzeption zum Ausdruck, daß die Bundeswehr nach der Vorstellung der Opposition hier in der Bundesrepublik die Aufgabe habe, ein Gegengewicht gegen die sogenannten Volksarmeen, also gegen die Nachbarn, darzustellen: Wenn man als Nachbarn die sowjetische Besatzungszone, Polen und die Tschechoslowakei nimmt, dann kommt man nach dem gegenwärtigen Stand schon auf sieben plus achtzehn plus fünfzehn Divisionen; dais wären vierzig Divisionen. Die Bundeswehr mit ihren sieben nur zum Teil aufgebauten Divisionen scheidet als Gegengewicht also völlig aus. Ein Gegengewicht zur Armee der sogenannten DDR darzustellen, ist nicht Aufgabe der Bundeswehr. Das löst das Problem nicht. Denn die Frage für uns ist nicht, eine Bruderkampfauseinandersetzung mit den Soldaten der SBZ erfolgreich zu bestehen, die ihrerseits angesichts der Methoden, die drüben angewandt werden, sicherlich auch nicht alle überzeugte Anhänger dieses Systems sind.
Unser Problem liegt wirklich anders. Ich meine das ernst, und es ist keine Phrase, Herr Kollege Eschmann. Wir kennen die Wirkung der modernen Waffen Gott sei Dank nur aus Büchern und nicht aus der Wirklichkeit. Aus der Wirklichkeit kennt sie zum Glück keiner. Aber aus Büchern und Berichten über die Versuche kennen wir sie. Deshalb muß unser Bestreben darauf gerichtet sein, im Rahmen des großen übernationalen Sicherheits-
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Bundesverteidigungsminister Straußsystems das, was an uns liegt, zu tun, damit das politische Ziel, dem das militärische Instrument dienstbar gemacht werden muß, erreicht wird, nämlich den Ausbruch eines Krieges zu verhindern. Die Volkspolizei oder die nationale Volksarmee könnte kaum von sich aus auf Befehl Ulbrichts einen Krieg unternehmen. Das ist nach allen politischen Maßstäben ausgeschlossen. Die Polen wollen das weder, noch sind sie dazu bereit. Die Tschechen wollen es sicherlich auch nicht. Wenn eine Satellitenarmee marschiert, dann marschiert sie auf Befehl Moskaus,
sei es mit der Roten Armee, sei es als Vorhut der Roten Armee oder sei es in ihrem Auftrag.Das politische Ziel, das wir als Voraussetzung für Einheit, Frieden und Sicherheit, als Voraussetzung für Abrüstung, Entspannung und wirklichen Frieden in der Welt unentwegt verfolgen müssen, muß in zwei Etappen erreicht werden. Die Endetappe muß die kontrollierte allgemeine Abrüstung sein. Bis es dazu kommt — und das geht weder sehr schnell, noch wird die Durchführung der kontrollierten Abrüstung sehr schnell gehen —, muß die Anwendung des Machtinstruments des Sowjetblocks oder einzelner Teile dieses Machtinstruments gegen uns oder gegen einen anderen Verbündeten unmöglich gemacht werden.
Ich sehe keinen anderen Sinn in der Bundeswehr. Andernfalls wäre ihr Aufbau verfehlt. Darum geht die Vorstellung vom Gegengewicht gegen die Volkspolizei am politischen Ziel vorbei und wird den politischen Notwendigkeiten in keiner Weise gerecht.Ferner scheint mir die Wehrkonzeption der SPD sehr stark von der Vorstellung bedingt zu sein, was für uns an Sicherheitsapparat und aktiven Verteidigungsmaßnahmen notwendig ist, wenn der von der SPD gewünschte ideale außenpolitische Zustand eines allgemeinen Sicherheitssystems erreicht ist. Aber unsere Aufgabe als Bundesregierung und Parlament ist heute im Jahre 1958 nicht, Maßnahmen zu überlegen, die wir nach Eintreten eines Idealzustandes für notwendig halten, sondern unsere Aufgabe ist, die Maßnahmen zu überlegen, die bis zum Eintreten dieses Zustandes notwendig sind, damit dieser Zustand überhaupt eintreten kann.
Sie haben in dem Sinne eine sehr heftige Polemik gegen die Wehrpflicht geführt. Sie haben auch von der Geschichte der SPD gesprochen. Natürlich unterliegen die Formen der Verteidigung dem Wandel, je nach dem Fortschritt und der Entwicklung der Technik. Das steht außer Zweifel. Aber wir halten daran fest, daß es ohne eine Verteidigungspflicht, die in verschiedenen Formen — Länge, Dauer, Art usw. — abgeleistet werden kann, eine Landesverteidigung bei uns nicht gibt, Herr Kollege Merten. Alles andere ist eine Illusion. Es mag für Sie schwer sein, das zu vertreten. Ich glaube nicht, daß Sie es sich sehr leicht machen. Aber ein Berufsheer veraltet sehr schnell, und seine Qualität vermindert sich. Auch die Engländer haben jetzt ihre schweren Probleme, und ob sie damit bei ihrer ganz anders gearteten geographischen Situation zu Rande kommen, ist noch mit einem Fragezeichen zu versehen.Zweitens braucht man ein gewisses Maß an Reserven. Herr Merten, wir sind bestimmt nicht so töricht, daß wir uns vorstellten, es wäre heute noch eine Mobilmachung im Stile vom September 1870 oder vom August 1914 möglich. Aber ein gewisses Maß an Reserven — über die Frage „Wo?", „Wieso?" und „Warum?" ist hier nicht zu sprechen — ist auch heute noch notwendig. Dann müßte gerade die SPD aufgeschlossen sein für den Gedanken, daß ein Berufsheer immer die Gefahr in sich birgt, einen Staat im Staate darzustellen oder sich dazu zu entwickeln. Durch ein reines Freiwilligenheer würde das Volk von dem Gedanken der Verpflichtung des Staatsbürgers zur Landesverteidigung isoliert werden.
Das ist nicht wünschenswert.
Ferner ist es nicht möglich, die erforderliche Anzahl von Freiwilligen zu stellen. Die besten Freiwilligen bekommen wir dadurch, daß wir von den Wehrpflichtigen diejenigen übernehmen, die sich nach ihren Erfahrungen im militärischen Dienst dazu entschließen, länger zu dienen, weil die Formen, in denen sich heute das militärische Leben in der Bundeswehr abspielt, nicht der Schreckvorstellung entspricht, die man, vielfach mit gewissem politischem Hintergrund, im Lande verbreitet hat.
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Sie halben hier eine interessante Bemerkung gemacht, die ich festhalten möchte — ich kann sie nicht wörtlich, aber sinngemäß, glaube ich, sehr genau wiedergeben —, daß natürlich genug Freiwillige dann vorhanden wären, wenn die Verteidigung von allen politischen Kräften des Landes getragen würde. Ich weiß, was damit gemeint ist. Es geht auch zurück bis auf die Zeiten von Dr. Kurt Schumacher, als er sagte, in einer SPD-Wehrverfassung gibt es keine Kriegsdienstverweigerer. Ich greife diese Auffassung gar nicht an. Aber ist es nicht sehr gefährlich, zu sagen: wenn Ihr uns an der Regierung beteiligen würdet, oder wenn wir an der Regierung beteiligt wären — was ja nicht eine Frage der Verteidigungspolitik oder Nichtverteidigungspolitik ist —, dann gäbe es genug Freiwillige, weil dann alle politischen Kräfte dahinterstehen würden?
Ich halte im Gegenteil ein Abseitsstehen ,gerade der Wählerschichten und der Bevölkerungsgruppen, deren politisches Vertrauen Sie haben und von denen Sie getragen werden, aus der heutigen Bundeswehr vom gesamten staatspolitischen Sinne aus für verfehlt, für verhängnisvoll und für alle demokratischen Kräfte in diesem Lande schädlich.
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Bundesverteidigungsminister StraußIch weiß genau, warum ich das sage.Sie werden es auch sofort als Rabulistik bezeichnen, Herr Kollege, wenn ich mir die Frage erlaube - nur einmal, aber ich bin ja auch politischer Diskussionsredner : Welches wäre die Einstellung der SPD, wenn sich die Bundesregierung für eine Freiwilligen- und Berufsarmee entschieden hätte? Wissen Sie, warum ich die Frage stelle? Nicht aus politischer Spielerei, sondern weil in der englischsprachigen Ausgabe des SPD-Pressedienstes vom Jahre 1951, als noch die Gespräche auf dem Petersberg und die Vorarbeiten für die EVG in Paris liefen, geschrieben stand, der Bundeskanzler betreibe offensichtlich die Aufstellung eines Freiwilligenheeres, wenigstens für den Anfang, die Opposition sage dazu mit aller Entschiedenheit nein. Ich kann es im Wortlaut zitieren, aber Sie kennen ja sicher das Zitat. Es kann sein, daß das die übereilte Stilübung eines Parteiredakteurs war. Das haben wir auch schon kennengelernt,
das gibt es überall, intra und extra muros. Es kann aber auch sein, daß das noch die letzten Ausläufer der SPD-Wehrtradition waren, die seit dem Erfurter Programm ja immer von dem Gedanken der Verpflichtung des Bürgers getragen war. Deshalb möchte ich wirklich wissen, wie heute Ihre Einstellung wäre, wenn der Bundeskanzler auf die falsche Idee — das darf man ja wohl in Zusammenhang mit seinem Namen sagen — gekommen wäre, als politische Entscheidung eine Berufsarmee ins Leben zu rufen statt eine Armee auf der Basis der Wehrpflicht. Denn wenn er zu dieser falschen Entschließunggekommen wäre, und Sie würden dieselbe Meinung vertreten wie heute, dann wäre das eine Übereinstimmung, die einem beinahe wie ein Geschenk erscheinen müßte. Aber ich habe etwas den Verdacht, daß Sie dann das Gegenteil von dem sagen würden, was Sie haute sagen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wienand?
Bitte.
Herr Abgeordneter Wienand zu einer Zwischenfrage!
Herr Minister, sind Sie mit mir einer Meinung, wenn ich sage, daß alles das, was Sie jetzt hier .ausführen, doch nur auf einen bestimmten Effekt hinzielt, nachdem Sie doch, wenn Sie unsere Entschließung von Stuttgart richtig zur Kenntnis genommen haben, erkannt haben müssen, daß es hier wirklich von der Grundlagenbeurteilung ausgehend nachher zu den Divergenzen in der Auffassung gekommen ist, während Sie jetzt nur von den Auswirkungen sprechen, aber mit einem sehr schnellen Sprung von der wirklichen Beurteilung des Gesamten abgewichen sind und nicht so sehr von dem gesprochen haben, was an offensichtlichen Mängeln in Ihrer eigenen Wehrkonzeption liegt?
Herr Kollege Wienand, das ist keine Frage, das ist eine sehr subjektive Meinung, die Sie hier vertreten haben. Alber ich bin heute bei meiner Darlegung davon ausgegangen, daß erstens die Realitäten nicht nach parteipolitischen Gesichtspunkten in ihrer objektiven Existenz verschieden sind — das kann man wohl unterstellen —, zweitens, daß die Schlußfolgerungen, die man aus Realitäten ziehen muß, keinen allzu großen parteipolitischen Spielraum zulassen. Vielleicht einen gewissen Spielraum, aber keinen Spielraum von der Weite, wie es der Unterschied zwischen unserer Verteidigungsauffassung und Ihrer Wehrkonzeption ist.Ich bleibe bei meiner Meinung, die nicht meine persönliche Meinung allein ist, die aber sicherlich nicht die offizielle Meinung der Bundesregierung ist, weil diese sich nie dazu geäußert hat; alber ich nehme an, daß sie damit identisch ist. Ich nehme an, daß Ihre Vorstellungen von der deutschen Landesverteidigung aufgebaut sind auf einer ganz anderen außenpolitischen Analyse, ,aufgebaut sind auf einer ganz anderen Zukunftsvorstellung, auf einer Wunschvorstellung, die auch nach unserer Hoffnung Wirklichkeit werden soll, die aber heute nicht Wirklichkeit ist und die, wenn wir nach Ihrem Rezept verfahren, so fürchten wir, nie Wirklichkeit werden würde.
Das unterscheidet uns nun einmal.
Ich habe mich jetzt bewußt irgendeines Schlagwortes oder eines Stichwortes oder ähnlicher Dinge — wie man sie uns unterschiebt — enthalten, weil das Problem zu ernst ist, als daß man es hier nur nach der Zugkraft der jeweils aufgefundenen Parolen behandeln könnte.Kollege Merten hat gestern eine für mich und für uns alle sehr interessante Feststellung gebracht. Er sprach von „modernen Waffen". Nun, der Kollege Schultz hat den Vorwurf erhoben, daß Schlagworte erfunden würden: „moderne Waffen", „Mehrzweckewaffen", „abgestufte Verteidigung". Ich wollte mich nicht über dieses vielschichtige Problem langwierig mit ihm auseinandersetzen. Aber, Kollege Schultz, bevor man diese Worte als Schlagworte bezeichnet, muß man die Literatur, die es darüber gibt, gelesen und verarbeitet haben. Dann würde man nämlich merken, daß das nicht Schlagworte der Bundesregierung, sondern international geläufige Begriffe der einschlägigen Richtung sind, über die schon seit Jahr und Tag die ernsthaftesten Diskussionen bestehen.Aber Kollege Merten machte gestern die Unterscheidung: „Auch wir sind für moderne Waffen; aber wir sind selbstverständlich gegen Waffen, die man als Massenvernichtungswaffen bezeichnen
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Bundesverteidigungsminister Straußkann." Ich glaube, Kollege Merten, es gibt leider nur einen einzigen Standpunkt; alles andere wäre entweder ein Selbstbetrug oder eine Irreführung der Öffentlichkeit. Es gibt nur einen Standpunkt des Ja oder des Nein.
Wer ja sagt zur Verteidigung, der kann dem eigenen Verteidigungsinstrument — das heißt hier nicht „Bundeswehr", das heißt „NATO" da überall, wo ihr diese Aufgabe gestellt ist — nur Waffen derselben Wirksamkeit in die Hand geben, wie sie bereits seit geraumer Zeit der einzige — verstehen Sie das jetzt nicht als „Hetze"! — nach menschlichem Ermessen überhaupt in Betracht kommende Angreifer hat und in immer vermehrter Zahl haben wird.
Alles andere ist Selbstbetrug.
— Jeder im Rahmen seiner Aufgabenstellung, Herr Kollege Heiland!
— Nein! Es hat keinen Sinn, durch Zurufe, und es hat keinen Sinn, in einer Art Autosuggestion hier die Tatsachen anders darzustellen, als sie sind, oder sie zu vernebeln. Wir haben niemals gesprochen von strategischen Atomwaffen, wir haben niemals davon gesprochen, daß die Bundesrepublik in das atomare Wettrüsten mit einbezogen werden solle.
Doch, das ist auch eine dieser Begriffsverwechslungen oder dieser Unterstellungen anderer Sinninhalte, als dem Wortlaut entspricht.
Denn „atomares Wettrüsten" heißt Produktion und nationale Verfügungsgewalt über Atomwaffen.
Was heute in der NATO geschieht, erweitert den Kreis der Produzenten nicht; sondern ist eher geeignet, ihn noch einzuschränken. Sie wissen genau, warum ich das sage. Was heute in der NATO geschieht, erweitert nicht den Kreis der Produzenten, sondern ist geeignet, ihn einzuschränken. Zweitens— und darauf legen wir großen Wert —: Es gibt keine nationale Verfügungsgewalt über diese Waffen, damit nicht diese Waffen für bestimmte nationale Kurzschlußreaktionen oder Sonderaktionen überhaupt in Anspruch genommen werden könnten.Deshalb ist die Anwendung dieses Begriffs „atomares Wettrüsten", die Behauptung, die Bundesrepublik beteilige sich am atomaren Wettrüsten, entweder Unkenntnis der Tatsachen oder Irreführung der Öffentlichkeit.
Wenn nämlich im Laufe einer von uns gewünschten, ich möchte beinahe sagen, mit Blankoscheckheute gegenüber den Westmächten begrüßten allgemeinen kontrollierten Abrüstung, die sich ruhig in Phasen vollziehen kann, die sich nicht auf einmal vollziehen kann, die Amerikaner gleichzeitig mit den Sowjets — zu glauben, daß es eher geschehen kann, ist utopisch — die Atomwaffen aus der Hand legen, dann würden all die Atomsprengkörper, die ja in amerikanischem Eigentum und unter amerikanischem Verschluß bleiben, wieder aus der Welt verschwinden, ohne daß eine einzige weitere Nation dazu ihre Zustimmung geben müßte. Das ist ein entscheidender Unterschied zu dem, was Sie behaupten und womit Sie die deutsche Öffentlichkeit in dieser Aktion in Angst und Furcht versetzen.
Herr Minister, habe ich richtig verstanden, daß dann, wenn Sie das nur auf den Fall der allgemeinen und kontrollierten Abrüstung beschränken, die Atomsprengkörper wieder zurückgehen? Oder habe ich Ausführungen von Ihnen noch recht in Erinnerung, die Sie kürzlich vor der Presse gemacht haben, als Sie von dem weiten Gebiet vom Norden bis zur Türkei sprachen, in dem die Verfügungsgewalt individuell auf die Kommandeure abgestellt werden müsse?
Da sind Sie sachlich falsch unterrichtet. Ich habe davon gesprochen — den Sprechzettel habe ich hier —, daß die Anweisung zur Anwendung dieser Waffe niemals von einem Kommandeur auf der Divisions-, Korps- oder Armee-Ebene oder auf nationaler Ebene, sondern nur zentral gegeben werden könne, wenn es nach einer übersehenden Darstellung der Lage überhaupt in Betracht käme, niemals auf der Ebene der kleinen Verbände.Aber ich habe jetzt nicht die Absicht, mich auf kleine Dinge einzulassen. Hernach werfen Sie mir vor, daß ich Ihre Zeit verbraucht habe und ähnliches. Glauben Sie mir, ich bleibe auf die Frage nicht die Antwort schuldig. Das haben wir schon besprochen und das werden wir auch noch bei anderer Gelegenheit besprechen.Wir vertreten doch nichts anderes, meine Herren, als den Standpunkt, den Herr Spaak — sicherlich ein Mann, mit dem wir auf vielen politischen Gebieten nicht übereinstimmen, weil er Sozialist ist — neulich in seiner Ansprache in Bonn vertreten hat, als er sagte: Es gibt nur zwei logische Standpunkte. Der eine ist logisch und schlecht und besagt: Jede Verteidigung ist unmöglich; wir strengen uns nicht mehr an und überlassen uns völlig dem Schicksal. Das ist ein logischer Standpunkt. Er ist schlecht, aber er ist logisch. Der andere Standpunkt besagt, daß wir uns auch weiterhin verteidigen und dazu die besten Waffen benötigen.Dazwischen gibt es einen Standpunkt — das ist der, den Sie gestern vertreten haben, Herr Kollege Merten —, der heißt: Wir stellen eine Armee auf, aber wir sagen euch gleich, daß wir freiwillig eine schlechte Armee aufbauen. Ich versichere Ihnen -sagte Spaak daß ich mich nach Kräften bemühe,
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Bundesverteidigungsminister Straußdas zu verstehen, aber es gelingt mir nicht. — Sie können von einem Mitglied der Bundesregierung Adenauers nicht mehr Verstand verlangen als von dem Sozialisten Spaak in dieser Hinsicht.
Wenn das politische Ziel, den Krieg zu verhindern, erreicht werden soll, dann gibt es nur ein Ja oder ein Nein, entweder eine Erklärung der Gewaltlosigkeit von vornherein — nach Stephan King Hall - oder eine Abschreckung des Gegners, so daß er überhaupt nicht auf den Gedanken kommt, eine militärische Aktion zu unternehmen. Daß die NATO nicht auf diesen Gedanken kommt, bedarf bei der Struktur ihrer Staaten, vor allen Dingen ihrer führenden Staaten, wohl keiner Versicherung.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Mommer?
Bitte sehr! Nehmen Sie mir aber die Bitte nicht übel, es möge die letzte sein; ich möchte nämlich zu Ende kommen.
Herr Minister, haben Sie noch in Erinnerung, daß der Herr Bundeskanzler bei der Debatte über die Ratifizierung der Pariser Verträge den Verzicht auch auf den Besitz und Gebrauch von Atomwaffen bei der deutschen Bundeswehr als unseren Beitrag zum Frieden und zur Abrüstung charakterisiert hat?
Die Pariser Verträge enthalten eine von uns begrüßte und auch in Zukunft beibehaltene Erklärung des Verzichts auf die Produktion von Atomwaffen. Wir können dais ruhig auch auf eine nationale Verfügungsgewalt ausdehnen, weil wir auch diese für falsch halten und weil wir hier vieles gemeinsam haben.Aber niemals kann ein Regierungschef in der Frage der Ausrüstung der eigenen Truppe angesichts des Tempos der technischen Entwicklung und angesichts der Ausstattung der sowjetrussischen Streitkräfte jenseits der Zonengrenze mit diesen Waffen eine Dauererklärung bindender Art abgeben. Das wissen Sie so gut wie ich.
Ich erwähne das aus einem bestimmten Grunde: weil ich einmal klarmachen will, Herr Kollege Mommer, in welchen Auffassungen wir uns offensichtlich von Ihnen unterscheiden. Ich habe, Herr Kollege Wienand, in der bewußten Pressekonferenz wie auch hier ganz klar der Auffassung Ausdruck gegeben, daß der Krieg als Mittel der Politik sinnlos geworden ist. Es gibt nur zwei Möglichkeiten, ihm zu entgehen, bis zur allgemeinen Abrüstung. Die eine Möglichkeit ist, den Einmarsch der anderen hinzunehmen, wie es in der „Frankfurter Allgemeinen" als Leserbrief der Kriegsdienstgegner steht. Dann gibt es keinen Kampf,wenn man sich alles gefallen läßt. Die andere Möglichkeit ist, in dem anderen von vornherein nicht die Idee aufkommen zu lassen, daß er risikolos einmarschieren könnte. Dazwischen gibt es nichts mehr. Ich erwähne das wegen einer Äußerung, die der Kollege Erler in Stuttgart gemacht hat; ich habe es aus Ihrem eigenen Protokoll entnommen. Dort heißt es:Was die Aufgabe der Bundeswehr anbetrifft für den Fall einer beabsichtigten nicht Vernichtung, sondern Besetzung unseres Landes, muß die Möglichkeit bestehen, durch den Widerstand unseres Volkes die Aggression sichtbar zu machen.Ich zitiere hier Herrn Erler wörtlich; ich bedaure, daß er im Augenblick nicht da ist.Was da gesagt ist, scheint uns das Verhängnisvollste zu sein.
Denn bei der Stolperdrahttheorie, der Feuermeldertheorie: Warten, ob man angegriffen wird, was man selbstverständlich nicht wünscht, was man mit allen heißen politischen Kräften vermeiden will, aber warten, ob man angegriffen wird und wenn es, Gott sei es geklagt, trotzdem so weit gekommen sein sollte, laut schreien, daß die Welt aufmerksam wird, — da sind wir der Auffassung, daß, gleichgültig ob ein solcher Angriff mit konventionellen oder mit nicht konventionellen Waffen geführt werden würde, das Schicksal des deutschen Volkes schaurig und nicht auszudenken wäre.
Darum: wenn wir nicht von vornherein den Gedanken der Widerstandslosigkeit, der totalen Widerstandslosigkeit, uns zu eigen machen mit allen Konsequenzen, die darin enthalten sind und über die hier im einzelnen nicht zu reden ist, gibt es nur eine einzige andere Auffassung: gemeinsam mit den Bundesgenossen in Umfang, in technischer Ausstattung, in Ausbildung und in Dislozierung die Streitkräfte der NATO so aufzustellen, daß ein Angriff gegen sie nach menschlichem Ermessen ausgeschlossen ist.
Denn wir können — und ich glaube, hier unterscheiden wir uns nicht, meine Damen und Herren von der Opposition — doch davon ausgehen, daß die Sowjetunion genauso wenig wie wir eine Auseinandersetzung wünscht, in der ihr eigener Bestand gefährdet wird.
Ich möchte mich hier einmal sehr ruhig und sehr vorsichtig ausdrücken. Kein Machthaber, ganz gleichgültig von welchen Maßstäben und sittlichen Maßstäben oder nicht sittlichen Maßstäben er getragen ist, wird den Bestand seines eigenen Systems, den Rückhalt seiner eigenen Ideologie und sein eigenes Land einer unübersehbaren Gefahr aussetzen. Solange das so ist, leben wir, vielleicht gerade deshalb, weil wir im Augenblick kein Disengagement haben, ruhiger als die Menschen im
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2218 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1958
Bundesverteidigungsminister StraußNahen Orient, wo das Vakuum zu allen möglichen dunklen Spielchen mit dem Feuer Raum geboten hat.
Ich habe das jetzt aus einem weiteren Grunde erwähnt, meine Damen und Herren, und ich bitte Sie, es uns nicht 'übelzunehmen: wir sagen es ja nicht aus Angst und nicht als Rechtfertigung, sondern um der Auseinandersetzung willen, wir sagen es, weil wir heute diese Vorwürfe erleben. Man sagt natürlich, man sei für Abschaffung der Atomwaffen auf der ganzen Welt; aber in Wirklichkeit richtet sich der Vorwurf gegen die Bundesregierung wegen ihrer Beteiligung an den NATO-Plänen. Der Vorwurf richtet sich doch in erster Linie gegen uns hier, und darum dürfen wir unsere Meinung dazu sagen. Das schlägt sich auch im Verteidigungshaushalt und in der Kritik daran nieder.Hier haben Sie bis jetzt auf eine Diskrepanz, die wir Ihnen aufgezeigt haben, noch keine Antwort gegeben. Kollege Merten hat gestern ebenso wie früher Kollege Erler erklärt, man sei beileibe nicht für eine einseitige Niederlegung der Atomwaffen auf der westlichen Seite, man lehne eine einseitige Atomwaffenabrüstung für den Westen ab. Ich erinnere mich sehr wohl der Äußerungen, die Kollege Heinemann gemacht hat. Er hat gesagt: Die eigene Regierung darf sie nie in die Hand nehmen. Er hat weiterhin erklärt: Wir muten auch keinem unserer Bundesgenossen, keinem anderen zu, daß er sie für uns haben soll. — Das ist doch ein Widerspruch in sich selber! Wenn die These Heinemann, die ich in ihrer Ehrenhaftigkeit in keiner Weise herabsetzen möchte, konsequent bis zu Ende gedacht wird, dann ist das der Standpunkt Stephan King-Hall: Verzicht auf Widerstand, Verzicht auf Verteidigung; sicherlich Verzicht auf eine Verteidigung, die den Krieg überhaupt nach menschlichem Ermessen ausschalten kann.Die andere These, die Herr Merten und Herr Erler vertreten haben, hat wenigstens etwas gemeinsam mit unserer. Wenn diese These gilt, ist es nur mehr eine Frage der Zweckmäßigkeit. Sie hat nämlich ,das 'mit unserer Auffassung gemeinsam, daß die Existenz von Atomwaffen in den Händen der Westmächte, in diesem Fall der USA und Englands, bejaht, anerkannt und als unvermeidliches Übel begrüßt wird, bis sie auf beiden Seiten aus der Hand gelegt werden. Das ist doch logisch; wenn nicht, dann verstehe ich wirklich nichts mehr von den Gesetzen der Logik. Wenn aber der Standpunkt Erler-Merten richtig ist, dann ist die Frage, ob die Ausdehnung der Atombewaffnung — nicht Produktion! — innerhalb der NATO richtig oder falsch ist, keine Grundsatzfrage mehr, sondern nur mehr eine Frage der Zweckmäßigkeit und des Kalküls der Zweckmäßigkeit.
Dann ist aber auch die ganze Kampagne, wie sie betrieben wird, aus einem Grunde betrieben, den Sie sich noch einmal ernstlich überlegen sollten.Herr Kollege Merten hat gestern gesagt, es würden solche Vorwürfe gegen die SPD erhoben; wer das tue, verstehe entweder nichts von den Tatsachen oder verleumde wider besseres Wissen; ich glaube, ich habe ihn ziemlich wörtlich zitiert. Das waren seine Schlußausführungen vor dem flammenden Bekenntnis zur Landesverteidigung und zur Verteidigung der Freiheit. Nun, Sie kennen sicherlich — und da fällt es mir leichter, das zu sagen — den Aufruf, den eine große Zahl Schweizer Bürger jüngst unterschrieben haben, darunter 35 führende Sozialisten der Schweiz und fast alle maßgebenden gewerkschaftlichen Exponenten. In diesem Aufruf wird gegen das Aufkommen einer ähnlichen Aktion im Schweizer Gebiet Stellung genommen, wie sie zur Zeit im Gebiet der Bundesrepublik betrieben wird. Es heißt dort, daß das eine Imitation der innenpolitisch bedingten Kampagne in der Bundesrepublik sei. Sie kennen den Wortlaut so gut wie ich; ich stelle nur einmal den Text in objektiver Weise fest.Daraus ist immerhin zu schließen, gleichgültig ob die Behauptung dort richtig oder falsch ist — jede Behauptung kann unter Umständen richtig oder falsch oder halbrichtig oder halbfalsch sein —, daß ein großer Teil Ihrer ideologischen Gesinnungsgenossen in der Schweiz Ihnen unterstellt, daß Ihre Kampagne hier in der Bundesrepublik aus innenpolitischen Gründen erfolgt ist.
Das ist doch nicht zu bestreiten, und das ist ein gefährlicher Vorwurf. Sie würden sagen, das sei wieder eine der typischen Verleumdungen des Bundeskanzlers gegen Sie. Aber der Bundeskanzler hat diesen Aufruf nicht unterschrieben.
Es sind 35 führende Schweizer Sozialisten, die Ihnen unterstellen
— ja, ich versuche nur, ganz kühl abzugrenzen —, daß Sie aus innenpolitischen Gründen — das heißt auf deutsch: Spiel Regierung — Opposition, Versuch der Opposition, die Regierung zu stürzen, Versuch der Opposition, endlich, was ihr gutes Recht ist, selber ,an die Regierung zu kommen —, in dieser Auseinandersetzung zwischen Regierung und Opposition um die innenpolitische Macht das Mittel der Atomfurcht als innenpolitische Waffe einsetzen.
— Aber es ist doch bezeichnend! Sie sind viel zu klug, als daß Sie meine Beweisführung nicht verstehen.Sie haben gestern gesagt: Das sind die einseitigen Darstellungen des Bundeskanzlers, das ist die seit Jahr und Tag uns sattsam bekannte Herabsetzung der sozialdemokratischen Motive und Ziele durch die Bundesregierung. — Nun sage ich Ihnen, daß Ihnen Ihre eigenen Gesinnungsgenossen in einem anderen Land dieses Motiv unterstellen und sagen, daß Ihre Kampagne innenpolitisch bedingt ist.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1958 2219
Bundesverteidigungsminister Strauß— Sie können uns doch nicht übelnehmen, nachdem dieses Thema von ihnen nicht nur im Lande draußen-das interessiert mich nicht; wir habenGott sei Dank heute keinen Rundfunk hier —, sondern auch bei der Haushaltsbesprechung, — —
— Ich möchte nicht ihre Schweizer Freunde als grundsätzliche Gegner der deutschen Wiedervereinigung bezeichnen. Das scheint mir eine allzu primitive und vereinfachende Darstellung zu sein.
Eine so einfache Formulierung, daß jedermann im Ausland, der für eine moderne Bewaffnung der Bundeswehr ist, das ausschließlich ist, weil er die deutsche Wiedervereinigung nicht will, heißt, daß Sie den Vorwurf, den Sie dem Bundeskanzler machen,
den Vorwurf einer sachfremden Vereinfachung komplizierter Zusammenhänge in vollem Umfange selbst verdienen, wenn Sie ihn aufrechterhalten.
— Darüber werden wir immer verschiedene Meinungen haben, Herr Kollege Heiland.Es heißt in diesem Aufruf:Mit großer Sorge nehmen wir zur Kenntnis, daß sich in unserem Land eine Richtung abzeichnet, welche in Verkennung aller Realität und leider in nur allzu deutlicher Imitation der innenpolitisch bedingten Kampagne in der Bundesrepublik eine Werbung gegen den Atomtod einleitet,
die, wenn sicher auch ungewollt, in ihrem Wirklichkeitsgehalt nichts anderes ist und sein kann als ein Versuch zur Wehrlosmachung der freien Völker.- Ob man frei ist in einem Bündnissystem oder neutral, spielt in dem Zusammenhang keine entscheidende Rolle.
Im Gegenteil,
— jetzt schlage ich Sie mit Ihrem eigenen Argument —ein neutrales, mit Atomwaffen bewaffnetes Deutschland wäre außenpolitisch für alle Beteiligten ein viel größeres Risiko und eine viel unübersehbarere Gefahr als ein in einem Bündnissystem gebundenes.
Meine Damen und Herren, nachdem sich von Ihnen bereits ein Redner gemeldet hat, lassen Sie doch den Herrn Bundesminister zu Ende kommen und überlassen Sie Ihrem Redner die Antwort.
Es heißt dort, daß diese Kampagne, „wenn sicher auch ungewollt" — es wird zu Ihren Gunsten unterstellt: ungewollt — „in ihrem Wirklichkeitsgehalt nichts anderes ist und sein kann als ein Versuch zur Wehrlosmachung der freien Völker." — Weiter heißt es:Dabei ist festzustellen, daß die kommunistischen Mächte von konventionellen und Kernwaffen strotzen. Eine ähnliche Bewegung gegen die Atomrüstung existiert weder in der Sowjetunion noch in den Satellitenstaaten und würde dort wohl auch nicht geduldet.Man müßte mehr verlesen, aber ich begnüge mich mit diesen meines Erachtens das Kernstück darstellenden Zeilen. Ich habe sie nicht verlesen, um hier wieder in dem bekannten Stil Klischee gegen Klischee zu setzen, sondern wirklich einmal in dem Versuch, die Dinge zu analysieren, sie auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und auch die Stichhaltigkeit der eigenen, sicherlich nicht unanfechtbaren Anschauung, die vielleicht nur von einem parteipolitischen Vorteilsdenken bestimmt ist, nicht nur einer einmaligen, sondern einer laufenden subjektiven Prüfung zu unterziehen.Sie haben sich gestern gegen diese Unterstellung gewehrt, und ich würde es an Ihrer Stelle auch tun. Denn die Sozialdemokraten haben in ihrer Geschichte, in ihrer Politik und in ihrer Zielsetzung mit den strategischen Zielen des Weltkommunismus nichts gemeinsam, absolut nichts gemeinsam. Es wäre eine törichte und unanständige Simplifizierung des Problems, hier Identitäten oder Analogien aufzudecken. Aber: si duo idem faciunt, heißt es manchmal, nicht nur: non idem est; es heißt manchmal: idem est.
Wenn zwei dasselbe tun, heißt das Sprichwort, ist es nicht dasselbe. Das ist richtig, was Ihre Motive, was Ihre Ziele anbetrifft. Aber es kann sehr wohl dasselbe sein, was den Effekt anbetrifft, auch wenn er von Ihrer Seite nicht gewollt und nicht gewünscht ist.
Es ist neulich von Ihrer Seite heftig gegen mich zu Felde gezogen worden, und zwar in einem Ihrer Pressedienste, weil ich behauptet habe, daß die Parole „Kampf dem Atomtod" als politisches Mittel nicht von Ihnen erfunden worden ist, sondern daß sie in Moskau konzipiert wurde.
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2220 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1958
Bundesverteidigungsminister Strauß— Das ist jetzt eine sehr billige Antwort.
Ich darf es etwas deutlicher darstellen.
— Es wäre gut, wenn Sie sich das in Ruhe anhören würden; Sie können ja darauf antworten.Es gibt keinen Zweifel darüber, daß das Zentralkomitee, das Politbüro der Kommunistischen Partei der Sowjetunion im Januar 1957 den Auftrag gegeben hat, die Aktion, die der Weltkommunismus nach den Darlegungen des Bundesinnenministers schon seit Jahren in allen Ländern betreibt, in verstärktem Maße und mit der ausschließlichen Zielrichtung und dem hauptsächlichen Schwerpunkt Bundesrepublik zu betreiben. Die Wirkungen, die hierbei von Moskau gewünscht werden, sind nicht dieselben, die von Ihnen, meine Damen und Herren der Opposition, gewünscht werden. Aber die Wirkungen, die in Moskau gewünscht werden, sollen dazu führen, daß eine innenpolitische Aktion, eine innenpolitische Angstreaktion, eine innenpolitische Panikreaktion die Folge hat, daß den Amerikanern und den Engländern die Stationierung dieser Waffen auf deutschem Boden untersagt wird und daß die eigenen Streitkräfte auch nicht im Rahmen der NATO jemals an solchen Waffen ausgebildet werden und das NATO-Bündnis zerbricht und damit die Tür nach dem Westen zuschlägt.Das liegt doch auf der Hand. Sie haben doch selbst die zahlreichen Resolutionen. Ich habe ein Material darüber, das ich hier bewußt nicht nennen will. Ich kann es ruhig vorlegen, wenn Sie es in der Erwiderung von mir verlangen. Es ist ein Material, das im Gleichlaut der Parolen, in der Gleichformulierung der Thesen wirklich erschütternd ist. Dieses Material — Sie kennen es doch selbst — soll Ihnen Anlaß geben, die Grenzlinie nicht nur in den Motiven und Zielen, sondern auch im Kalkül des Effekts genauer zu ziehen, als es bisher geschehen ist.
Es geht uns nicht darum, Ihnen einen parteipolitischen Vorteil streitig machen zu wollen. Aber es geht darum, daß Gemeinsamkeiten aufrechterhalten und Unterschiede gewahrt bleiben, die nicht verwischt werden dürfen.Es müßte Ihnen unter anderem zu denken geben, daß Sie, gerade Sie, Herr Kollege Menzel, laufend Veranlassung haben, sich von der Aktion „Kampf gegen die atomare Aufrüstung der Bundeswehr" zu distanzieren, weil sie kommunistisch infiltriert sei, und daß Sie Veranlassung haben, sich von dem Ständigen Kongreß der Atomwaffengegner zu distanzieren. Ich habe die zwei Dinge in den letzten Wochen in den Zeitungen gelesen. Warum haben Sie Anlaß, sich zu distanzieren? a) Weil Sie keine Kommunisten sind, b) weil Sie merken, daß der Kampf gegen die Atomwaffen, so wie Sie ihn führen, von der falschen Feldpostnummer zur Wehrlosmachung der freien Völker und zu einer einseitigenÜberlegenheit der anderen Seite mißbtaucht wird.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Menzel?
Nachdem ich ihn so angesprochen habe, sicherlich.
Herr Bundesverteidigungsminister, ist Ihnen bekannt, daß diese Distanzierung, die ich in zwei Pressenotizen herausgegeben habe, von keiner CDU- und DP-Zeitung, von keinem der Regierungsblätter gebracht worden ist?
Das würde ich sehr bedauern, Herr Kollege Menzel, weil das nicht der Klärung dient. Denn ich spreche hier nicht als Funktionär oder als Vorsitzender oder Stellvertretender Vorsitzender der Partei, der ich angehöre, sondern weil es mir um die Sache geht und weil ich, auch wenn Sie es mir nicht abnehmen, hoffe, daß Sie, wenn ich so oft spreche und so oft mit Argumenten der Vernunft dazu spreche, doch eines Tages glauben werden, daß es uns darum und um nichts anderes geht.
Ich möchte Ihnen einmal ein leider etwas utopisches Bonmot bieten. Wenn ich Führer der Opposition in der heutigen Verteilung der Kräfte wäre
— es ist nicht leicht, es zu begreifen, und noch schwerer, es bei Ihnen zu verwirklichen —,
dann würde ich mir überlegen, wie ich mein ,altes Lieblingsziel, den Bundeskanzler zu Lebzeiten zu stürzen, endlich erreichen kann. Das ist doch sicherlich ein Ziel von Ihnen; ich müßte ja sonst nicht mehr lesen und schreiben können.
Wenn ich von dem Ziel ausginge und wenn ich eine sehr starke Persönlichkeit wäre, die die eigene Partei formen und bilden könnte
— Sie haben eine solche Persönlichkeit gehabt, und niemand wünscht sehnlicher als wir, daß Sie sie wieder bekommen —,
dann würde ich innenpolitisch aus der SPD eine Kleinbürgerpartei machen mit einem sicherlich steigenden Anspruch auf Beteiligung am Sozialprodukt und einer Förderung derjenigen sozialen Schichten, für die heute etwas getan werden muß; das ist nämlich nicht einmal der tariflich bezahlte Facharbeiter, der genau weiß warum.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1958 2221
Bundesverteidigungsminister Strauß— Ich darf das zu Ende führen, Herr Kollege Schmid. — Ich würde außenpolitisch nicht eine Atrappe von Sicherheit bieten — fassen Sie das bitte nicht als beleidigend auf —, wie das Kollege Merten getan hat, indem er ein flammendes Ja zur Landesverteidigung gesagt, aber den Haushalt des Verteidigungsministeriums abgelehnt und zur NATO ein De-facto-Nein gesagt hat, sondern ich würde den Mut haben, der deutschen Öffentlichkeit in dieser Frage reinen Wein einzuschenken. Ich würde den Mut haben, zur atlantischen Schicksalsgemeinschaft ja zu sagen und die Realitäten der Sowjetpolitik zu sehen. Sie würden sehen, daß der Verbrauchsprozeß, dem jede Regierung und jede Regierungspartei auf die Dauer unterliegen, der bisher aber vor den jetzt Regierenden Halt gemacht hat, dann einsetzen würde, weil die Zugkräfte für Sie stärker wären als die den Abnutzungsprozeß bei uns aufhaltenden Kräfte.
— Ich habe hier kein Betriebsgeheimnis verraten, weil sie genauso intelligent sind wie ich. — Aber ich weiß, daß Sie wegen der bei Ihnen bestehenden Widerstände nicht in der Lage sind, diesen Durchstoß in die Welt der Realitäten vorzunehmen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schmid ?
Bitte!
Herr Bundesminister, hätten Sie dann nicht die Befürchtung, daß dieser Wein die Reinheit jenes Weines haben könnte, den Valentin Korn in Geisenheim zu fabrizieren pflegte?
Welche Beziehungen zwischen dem Wein des Valentin Sowieso
— dem Wein des Valentin Korn und Ihrer Politik bestehen,
möchte ich hier nicht sagen, weil ich a) nicht in der Lage bin und b) das für eine unanständige Attacke hielte.
Herr Bundesminister — —
Nur ganz kurz, Herr Präsident! Ich will dem Herrn Verteidigungsminister „auf den Trab helfen" — wie man schwäbisch sagt —, damit er leichter versteht, was ich gemeint habe: nicht unsere Politik war das Tertium comparationis, sondern seine Vorstellungen von Reinheit — der Wahrheit.
Man kann die Welt als Wahn oder als Wirklichkeit sehen.
Ich habe diese Ausführungen — Sie haben es an dem Protest meiner eigenen Freunde gesehen — gemacht — —
— Ich bin nicht gern arrogant, aber: habe ich das nötig?! Sie haben es sicherlich nicht.
— Ja, das glaube ich. Aber ich habe es sehr gern gesagt. Wissen Sie, warum? Weil ich beweisen will, daß eis uns um die Sache geht und nicht darum, wie die Gewichte zwischen Regierung und Opposition verteilt werden, weil es hier wirklich um eine große und wichtige Sache geht, weil wir angesichts der Vorgänge im Osten wie im Westen gerade jetzt in einer entscheidenden Phase der weltpolitischen Kraftverteilung stehen, in der wir nur ein ganz kleines Gewichtchen darstellen, nicht eine Großmacht, wie man es uns im Denken oft so gern unterstellt.Ich wundere mich, wenn ich draußen, ich möchte nicht sagen: unangenehmerweise zu spüren bekomme, aber immerhin mich überall mit Dingen auseinandersetzen muß wie diesen: Der Gemeinderat Dattenfeld will keine Atomabschußrampen! Der Siegkreis läßt sich nicht in das Atomwettrüsten einbeziehen! Der Dillkreis liefert keine Unterstützung für die atomare Bewaffnung! Der Kreistag Unna erklärt sich sozusagen weltpolitisch neutral.
Ich weiß, daß allmählich aus der Fülle der Ereignisse
— wir lachen nicht, weil wir die Hintermänner kennen — ein Schluß sehr viel Wahrscheinlichkeit hat, selbst wenn man nicht ein klares Wissen hätte, aber Wahrscheinlichkeit und Wissen treffen hier zusammen. Vor vielen Monaten ist von irgendeiner Führungsspitze der SPD — vielleicht war es der vielberühmte PV oder eine organisatorische Führungsspitze — die Weisung hinausgegangen, in möglichst vielen kommunalen Vertretungskörperschaften Resolutionen einzubringen, wie Sie sie kennen. Diese Resolutionen werden dann zur Abstimmung gestellt, und je nach der Bundespolitik und nach den Zielrichtungen in der Landespolitik von dem einzelnen mit Ja oder mit Nein beantwortet. Wer dann gegen die Resolution ist, ist ein Anhänger des Atomtodes, ein Atomkriegsvertreter, und wer für die Resolution ist, ist ein Atomfriedensheld oder Antiatomfriedensheld. Dann werden die Namen der Kreis-, Stadt- und Gemeinderäte -so wie sie abgestimmt haben — an Litfaßsäulen oder in Veröffentlichungsorganen bekanntgegeben. Hat nicht die „Deutsche Rundschau" des Kollegen Heinemann empfohlen, außerparlamentarische
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2222 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1958
Bundesverteidigungsminister StraußAktionen zu starten und die Namen der Bundestagsabgeordneten, die im März in diesem Hause mit Ja gestimmt haben, öffentlich auf Litfaßsäulen anzugeben? Sehen Sie, das ist das, was ich leider mit einem Wort, das ich gelesen habe, als die Proskriptionsliste des Herrn Ulbricht bezeichnen muß. Leider!
Sie haben einen neuen zweiten stellvertretenden Parteivorsitzenden.
— Ich meine nicht den einen, den Sie meinen, sondern den anderen.
Der andere ist mir als Bayer wohl bekannt; er hat auch einige Zeit hier in diesem Bundestag gesessen. Er hat von Bayern aus versucht, eine neue Weltordnung zu schaffen, nicht nur die Viererkoalition in Bayern — sehr schwer, aber möglich, Herr Kollege Schmid —, deren Tage gezählt waren, sondern er hat auch landauf, landab gepredigt, daß eine neue Zeit angebrochen sei, in der der Mensch in den Mikrokosmos eindringe, eine neue Zeit, in der die Atomwelt das ganze Bild der Gesellschaft, der Technik und der Politik entscheidend revolutioniere, und daß wir armen Erdenpilger bei den Regierungsparteien keine Vorstellung davon hätten, was fortschrittliche Weltanschauung und ein fortschrittliches Weltbild bedeuteten.
Sein unermüdlicher Geist drang auch hinaus über die Sphäre, über. die Erde. Die Weltraumschiffahrt war ihm kein unlösbares Geheimnis mehr.
Mikrokosmos und Makrokosmos hatten sich ihm erschlossen.
Herr Kollege Schmid, er hat zwar in manchem recht,
aber glaubt man, daß im Zeitalter der Überschallflugzeuge, der interkontinentalen Raketen und der thermonuklearen Sprengkörper weltpolitische Probleme, um deren Lösung sich die Großmächte, die Mächtigen und Verantwortlichen in dieser Zeit bemühen, durch Resolutionen in kommunalen Vertretungskörperschaften auf Raten gelöst werden können?
Das ist die Frage! Ich habe die Botschaft, die Herr Kollege Merten gestern verkündet hat, gern gehört, nämlich das Ja zur Landesverteidigung; aber es gibt eine normative Kraft des Faktischen.
Diese normative Kraft des Faktischen würden wir bei Ihnen begrüßen. Dann fiele in dem Falle die Änderung der Praxis leichter. Aber wissen Sie, was es nicht gibt? Es gibt nicht eine faktenersetzende Kraft der Phraseologie. Die gibt es nicht!
Man schafft nicht durch Aussprechen einer platonischen Erklärung Tatsachen. Ein Ja zur Landesverteidigung muß konkrete Konsequenzen auf der Grundlage der Realitäten, der Möglichkeiten und der Notwendigkeiten haben.
— Ich wende mich nur dagegen, daß man Worten eine tatsachenersetzende Kraft verleihen will.Kollege Merten, ich bin gestern heimgegangen, um meine Allgemeinbildung aufzubessern.
— Das ist immer nötig. — Ich habe im Herder-Lexikon — das können Sie ruhig als einen Anfall klerikaler Anwandlungen betrachten —
unter einem Stichwort nachgelesen, mit dem ich meine Rede schließen will. Ich habe es mir aufschreiben lassen, damit es genau zitiert ist.
— In meiner persönlichen Bibliothek habe ich dieses Buch, Herr Kollege. Ich habe nicht den Mut — aus kulturpolitischen Gründen —, das nicht zuzugeben.
Ich habe also unter dem Stichwort „Coué" nachgelesen, und ich habe dort gefunden: „Emile, französischer Psychotherapeut, 1857 bis 1926, bis 1910 Apotheker in Troyes, entwickelte eine auf Autosuggestion beruhende Heilmethode, wobei der Erfolg der Behandlung in der Entspannung liegt."
Ziehen Sie daraus die Konsequenzen!
Das Wort hat der Abgeordnete Merten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin dem Herrn Bundesverteidigungsminister recht dankbar, daß er sich im Lexikon über Coué und seine Methode orientiert hat. Ich war nur etwas erstaunt, daß er das erst gestern abend gemacht hat, denn ich hatte eigentlich schon
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1958 2223
Mertenseit Jahren den Eindruck, er lebt nach der Methode Coué, indem er sich einredet, Atomrüstung bedeute unüberwindliche Sicherheit in diesem Lande,
während wir .Sozialdemokraten - und nicht nur wir Sozialdemokraten, sondern auch viele andere Leute, die in unserem Volke hin und wieder einmal nachdenken — zu der Überzeugung gekommen sind, daß 'die Atomausrüstung der Bundeswehr ebenso wie die Lagerung oder gar die Herstellung derartiger Waffen in unserem Lande die Sicherheit unseres Landes nicht nur nicht fördern, sondern darüber hinaus, wie wir glauben, in entscheidender Weise beeinträchtigen würde.
Wir haben also den Artikel über Coué nicht gelesen und waren infolgedessen wahrscheinlich auch nicht in der Lage, uns etwas vorzumachen.Aber ich möchte dem Minister noch etwas anderes sagen, um auf den Schluß seiner Rede einzugehen. Er sagt, ein Ja zur Landesverteidigung bedeute konkrete Konsequenzen. Aber wenn er das sagt, dann meint er natürlich ein völliges Einschwenken auf den Kurs der Bundesregierung bzw. auf seine eigenen verteidigungspolitischen Vorstellungen.Ich habe Ihnen gestern schon gesagt, daß es unter Ihnen viele Köpfe gibt, die sich über die Rolle der Opposition im demokratischen Staat keineswegs im klaren sind, weil sie glauben, eine Opposition habe seiner Majestät allergehorsamste Opposition zu sein
und habe infolgedessen zu Kreuze zu kriechen und zu kapitulieren. Ich glaube, ich habe gestern in meinen Ausführungen ,den Willen zu erkennen gegeben, daß wir Sozialdemokraten durchaus bereit sind, mit Ihnen über verteidigungspolitische Konsequenzen unserer Einstellung zu reden. Ja, ich habe Ihnen sogar gesagt, daß wir Möglichkeiten für einen gemeinsamen Weg in dieser Frage sehen. Ich muß Ihnen ganz offen sagen, daß ich zu Beginn der Rede, die der Herr Minister hielt, gewisse Hoffnungen in mir aufkeimen fühlte, daß auf diesem Gebiet etwas zu machen sei. Allerdings hat die zweite Hälfte seiner Rede alle diese Hoffnungen wieder grausam zerstört.Der Herr Minister — das muß ich ihm einmal ganz offen sagen — ist ein Mann, mit dem man ganz ausgezeichnet verhandeln und diskutieren kann, der aber fast regelmäßig, wenn er vor einem größeren Gremium redet, der Versuchung unterliegt, daß es dann plötzlich nicht mehr e r ist, der redet, sondern es redet aus ihm.
Dann kommen Dinge heraus, die von der Opposition auf gar keinen Fall akzeptiert werden können, und dazu muß ich Ihnen gleich sagen: es gibt kein Gespräch mit der Opposition auf einer Grundlage, wie sie in dem letzten Teil der Rede des Herrn Ministers hier zum Ausdruck gekommen ist.Ich habe schon gestern gesagt, daß die Opposition es sich ganz .energisch verbitten muß, aus dem Munde der Politiker 'der Regierungsparteien ständig vor der Offentlichkeit lächerlich oder verächtlich gemacht zu werden. Genau das hat 'der Herr Minister wieder getan, als er meinen Parteifreund von Knoeringen zitiert hat. Er hat das in einer Art und Weise getan, die dem außerordentlich ernsten Anliegen, das dieser Mann seit Jahren vertritt, in keiner Weise gerecht wird. Er hat nichts anderes fertiggebracht, als ihn lächerlich 711 machen.Dasselbe gilt für andere Dinge. Wenn kommunale Parlamente Entschließungen fassen, die sich mit der Atomfrage befassen, dann tun Idas die Stadtverordneten oder die Kreistagdelegierten oder wer da zuständig ist aus ernsten inneren Gewissensnöten.
— Ihr höhnisches Gelächter, meine Damen und Herren von der CDU, bei dieser Feststellung wirft ein bezeichnendes Licht auf die Auffassungen, die Sie von der Tätigkeit kommunaler Parlamente haben.
Es wird viele Kommunalpolitiker in der Bundesrepublik interessieren, daß Sie ihnen nicht zutrauen, auch einmal aus echten Gewissensbedenken auf diese Dinge einzugehen und Beschlüsse zu fassen. Gewiß kann man darüber streiten, ob sie dafür zuständig sind oder nicht.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Zimmermann?
Bitte schön!
Herr Abgeordneter Zimmermann!
Herr Abgeordneter Merten, wollen Sie bestreiten, daß von einem Organ der Soziademokratischen Partei Deutschlands eine Aufforderung an die kommunalen Parlamente, Kreistage, Gemeinderäte und Städte hinausgegangen ist, solche Resolutionen zu beschließen, oder wollen Sie das nicht bestreiten?
Herr Kollege Zimmermann, erstens ist es das Recht jeder politischen Partei,
ihre politische Auffassung draußen bekannt zu machen, soweit sie es irgend möglich kann.
Zweitens wissen Sie genauso gut wie ich, daßweder ein sozialdemokratisches Organ noch irgendein anderes Organ in der Lage ist, Kreistagen und
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2224 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1958
MertenStadtverordnetenversammlungen irgendwelche Weisungen zu erteilen.
Drittens werden Sie von meinem Freund Wienand gleich hören, daß auch Ihre eigenen Freunde in den Kommunalparlamenten bei der Behandlung dieser Frage außerordentlich nachdenklich geworden sind, ohne daß sie, wie ich glaube, erst den „Vorwärts" studieren mußten, um zu einer rechten Einstellung zu kommen.Aber noch etwas zu anderen Problemen, die hier angedeutet oder vom Minister dargestellt worden sind. Der Minister hat seine Verteidigungskonzeption als die allein mögliche hier dargestellt. Wir Sozialdemokraten sind der Auffassung, daß es mehrere Möglichkeiten gibt und daß die von der Sozialdemokratie aufgezeigte Möglichkeit vollkommen gleichwertig und auch gleichberechtigt in diesem Hause neben der Auffassung steht, die der Herr Minister vertritt, es sei denn, daß die größere Zahl von Abgeordneten immer auch das größere Maß von Weisheit bedeutet, und das wird der Herr Minister wohl kaum annehmen.Er hat sich sehr ausführlich mit dem Aufruf befaßt, der in der Schweiz erschienen ist, als die atomare Bewaffnung der Schweizer Armee zur Debatte stand. Herr Minister, wenn Sie sich auf diese Kronzeugen berufen, dann befinden Sie sich in keiner sehr guten Gesellschaft. Denn die Kräfte, die in der Schweiz für die atomare Ausrüstung der Schweizer Armee eintreten und die auch diesen Aufruf unterschrieben haben, sind die gleichen Kräfte, die den Kampf der Bundesrepublik um die Wiedervereinigung als nationalistische Regung ablehnen. Es sind die gleichen Kräfte, die den Kampf um die Rückkehr der Saar als einen Rückfall in deutschen Nationalismus abgelehnt haben. Diese Kräfte haben sich jetzt zusammengetan, um die atomare Ausrüstung der Armee zu betreiben.Sie können sich darauf verlassen, Herr Minister: wenn wir uns mit der Regierung innenpolitisch auseinandersetzen wollen, haben wir Themen in reicher Fülle und in reicher Auswahl. Da sind wir nicht genötigt, aus Verlegenheit auf die Atomfrage auszuweichen. Da gibt es eine ganze Menge anderer Fragen, die durchaus auf Jahre hinaus genügen, um unseren Bedarf an Kritik an der Regierung zu decken. Sie wissen auch ganz genau, daß der Anlaß, diese Frage hier zu behandeln, nicht von der Sozialdemokratischen Partei, sondern von Ihnen ausgegangen ist und von Ihrem Willen, die Bundeswehr atomar auszurüsten, den Sie hier noch durch einen Beschluß der Mehrheit dieses Hauses dokumentiert haben. Wir haben diese Dinge vorher nicht zum Gegenstand eines innenpolitischen Streites mit Ihnen zu machen brauchen, weil wir annahmen, daß Ihre Erklärungen, die Sie vor der Wahl abgegeben haben, insbesondere diejenige, die der Herr Bundeskanzler in Kiel abgegeben hat, Ihrer tatsächlichen Auffassung entsprächen. Wir haben uns inzwischen belehren lassen, daß zwischen dem, was Sie vor der Wahl sagen, und dem, was Sie nach der Wahl tun, ein kleiner Unterschied besteht.
Ich muß Ihnen aber noch etwas anderes sagen, Herr Minister. Es gibt außerhalb der Sozialdemokratischen Partei auch andere Kräfte, die sich durchaus aus ernsten Beweggründen und aus tiefster Gewissensnot ebenfalls gegen die atomare Ausrüstung der Bundeswehr wenden. Ich darf Sie nur an die Anträge erinnern, die auf der letzten evangelischen Generalsynode gestellt und eingehend begründet worden sind. Wenn Sie sie einmal im Wortlaut lesen, müssen sie auch Ihnen klarmachen, daß hier Menschen aus tiefster Gewissensnot heraus gesprochen haben. Ich will diese Anträge hier nicht zitieren, weil ich annehme, daß sie einem großen Teil des Hauses bekannt sind. Ich will nur eine Äußerung zitieren, von der ich bis jetzt keinen Gebrauch gemacht habe, die Sie aber im Hinblick auf diese Menschen und ihre Gründe getan haben. Sie haben die echte Gewissensnot, die aus dem Antrag zahlreicher evangelischer Gruppen an die Generalsynode gesprochen hat, einfach mit der Erklärung abgetan, daß die Anti-Atombewegung im kirchlichen Raum nichts weiter sei als ein pseudokirchlicher Kismet-Glaube und daß man diese Dinge genauso wie den Aberglauben einfach vom Tisch wischen könne.
So kann man mit den ernsten Gewissensbedenken nicht umgehen, Herr Minister, und so kann man auch in der Rage des Gefechts nicht über derartige Dinge urteilen. Ich habe das Zitat zunächst nicht gebracht, weil ich glaubte, daß Ihnen die Äußerung in der Rage des Gefechts entflohen sei. Nach dem letzten Teil Ihrer Rede, die Sie hier gehalten haben, bin ich allerdings der Auffassung, daß es nicht nur die Rage des Gefechts war, sondern daß es Ihre innere Überzeugung ist, hier könne nicht von echter Gewissensnot, sondern nur von KismetGlaube und Pseudo-Christentum gesprochen werden.Sie haben mich zitiert, Herr Minister. Wenn ich richtig unterrichtet bin, haben Sie meine angebliche Äußerung auf einem Schulungstag in Alsfeld zitiert. Ich habe von dieser meiner angeblichen Äußerung zum erstenmal gehört, als sie der Herr Kollege Kiesinger hier im Plenum bei einer außenpolitischen Debatte erwähnte. Ich habe an diesem Tag ungefähr acht Stunden gemeinsam mit dem Herrn Kollegen Kiesinger in diesem Raum gesessen. Er hat mich vorsichtshalber nicht nach der Richtigkeit dieser Meldung gefragt, denn andernfalls hätte er sie nicht benutzen können.
Auch Sie, Herr Minister, haben mich nicht gefragt, und Sie haben offenbar auch das von mir veranlaßte schriftliche Dementi nicht gelesen. Ich würde Ihnen doch dringend raten, sich einmal in Ihrem Pressereferat umzuschauen in Hinsicht darauf, was Ihre eigene Unterrichtung über die Pressestimmen betrifft. Hätte nämlich Ihr Pressereferat Ihnen gegenüber, Herr Minister, seine Pflicht erfüllt, dann wüßten Sie, daß diese Äußerung weder an dem betreffenden Tage noch an dem betreffenden Ort noch in dem betreffenden Wortlaut getan worden
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1958 2225
Mertenist. Außerdem stand bei der Schulungstagung, die an diesem Tage in Alsfeld stattfand, ein kommunalpolitisches Thema auf der Tagesordnung. Die Presse war überhaupt nicht geladen und nicht dabei. Es kann also auch gar nicht so gewesen sein. Aber wenn es Ihnen Spaß macht, Herr Minister, will ich auch hier noch einmal in aller Form davon abrücken, daß ich Ihnen derart furchtbare Dinge unterstellt habe wie zum Beispiel, daß von Wilhelm II. über Adolf Hitler zu Franz-Josef Strauß ein roter Faden laufe. Ich habe das nicht gesagt; es ist von anderer Seite gesagt worden. Ich hätte es hier als Zitat aus der Presse nehmen können, einer Presse, die von mir gar nicht beeinflußt werden kann.Ich habe auch nicht gesagt, daß Sie nach Rußland marschieren wollen, und ich habe auch nichts davon gesagt, daß die evangelischen Bundeswehrpfarrer den Soldaten empfehlen würden, den Dienst zu verweigern, wenn sie mit atomaren Waffen zu tun hätten. Aber wenn Sie einmal die Anträge lesen würden, die auf der Generalsynode gestellt worden sind, dann würden Sie sehen, daß über die Militärseelsorge und ihre Aufgabe angesichts der atomaren Aufrüstung auf der Generalsynode — der ich gar nicht angehöre - ähnliche Gedankengänge geäußert worden sind, und vielleicht wären Sie dann in der Lage, auch derartige Überlegungen, die unsere eigene Bundeswehr betreffen, etwas ernster zu nehmen, als Sie das bei den Ausführungen, die Sie hier gemacht haben, zu tun für richtig hielten.Eine andere Frage, die Sie auch hier behandelt haben, ist die, wie die Bewegung gegen den Atomtod mit den vom Zentralkomitee der sowjetrussischen KP im Januar 1957 ausgegebenen Parolen in Zusammenhang stehe. Sie haben hier — und ich begrüße das — eindeutig erklärt, daß die Sozialdemokratische Partei wohl nichts mit diesen Dingen zu tun habe. Ich freue mich, das hier von Ihnen zu hören; denn ich hatte Pressemeldungen gelesen, die mir sehr zu denken gegeben hatten. Sie haben in einer öffentlichen Versammlung erklärt: „Die seit langem vom Osten erstrebte Aktionseinheit zwischen Kommunisten und demokratischen Sozialisten ist nunmehr hergestellt, und die Parolen dafür werden nicht in Bonn, sondern in Moskau entworfen." Ich kann wohl annehmen, daß Sie nicht mehr zu dieser Äußerung stehen und daß die Presse Sie in diesem Falle mißverstanden hat; denn sonst könnte ich Ihre Ausführungen von vorhin nicht in Übereinstimmung mit dem bringen, was dort über andere Äußerungen, die Sie in öffentlichen Versammlungen getan haben, berichtet worden ist. Nehmen Sie aber bitte noch einmal ganz klar zur Kenntnis: Die Sozialdemokratische Partei empfängt keine Parolen aus Moskau, und die Sozialdemokratische Partei läßt sich in ihrem Abwehrkampf gegen die kommunistische Gefahr von niemand in diesem Lande oder in der freien Welt übertreffen.
Die Sozialdemokratische Partei weiß aber, daß daskommunistische Terrorregime nicht nur ein militärisches Problem ist, sondern daß auch viele andereProbleme der Lösung bedürfen, wenn man dieser Terrorwelle des Ostens und diesem kommunistischen Geist von innen heraus Widerstand leisten will.Sie haben gesagt, die Bundeswehr müsse einen sowjetischen Angriff unmöglich machen, und deswegen müsse sie mit allen hierfür in Frage kommenden Waffen ausgerüstet werden. An einer anderen Stelle Ihrer Rede haben Sie gesagt, daß es innerhalb der NATO eine Arbeitsteilung gebe und daß es Aufgabe der NATO sei, die Dinge so zu organisieren und so zu verteilen, daß die Verbündeten im ganzen in der Lage seien, ein Gegengewicht gegen die russische Bedrohung zu bilden. Herr Minister, aus Ihrer Rede hier und auch aus früheren Äußerungen müssen die Menschen in der Offentlichkeit und auch wir in diesem Hause den Eindruck gewinnen, daß Sie ein Gegengewicht gegen die militärische Bedrohung der Sowjetunion allein durch die Bundeswehr zu schaffen beabsichtigen.
Der Herr Minister hat eben von dieser Stelle aus wörtlich erklärt: bis dahin muß die Bundeswehr jeden sowjetischen Angriff unmöglich machen, und er hat an anderer Stelle erklärt: die Bundeswehr soll nicht einen zukünftigen Sieg vorbereiten, sondern das Risiko für einen dritten Weltkrieg unübersteigbar machen. Er hat gesagt: die Bundeswehr, und er nicht gesagt: die NATO. Meine Damen und Herren, das ist nicht logisch.
— Ich glaube, daß Ihnen das nicht gefällt; aber ich kann es nicht ändern. Ich habe genau zugehört und habe es mir genau notiert. Er hat an einer Stelle seiner Rede das eine und an einer anderen Stelle seiner Rede das andere gesagt.Wir Sozialdemokraten sind der Auffassung, daß die wirtschaftliche, finanzielle und militärische Kapazität der Bundesrepublik einfach überfordert ist, wenn man der Bundeswehr diese Aufgabe zuweisen wollte, und daß deswegen das Problem des militärischen Gleichgewichts gegenüber der Sowjetunion ein Problem ist, das nur gemeinsam in der freien Welt gelöst werden kann und das nicht auf die Schultern eines Teiles dieses Bündnisses und dieser freien Welt abgeladen werden kann.Ich wäre dem Minister dankbar für die Beantwortung einer Frage, die ich an ihn zu richten habe: ob er der Auffassung ist, daß die Bundeswehr so ausgerüstet und so gestellt werden muß, daß sie allein in der Lage ist — wie er sich ausdrückte —, das Risiko eines dritten Weltkriegs unübersteigbar zu machen; oder, wie er sich eben hier ausgedrückt hat: bis dahin — nämlich bis zur kontrollierten allgemeinen Abrüstung — muß die Bundeswehr einen sowjetischen Angriff unmöglich machen. Und ich wäre sehr dankbar für eine einwandfreie Klärung der Frage, welche Rolle der Minister der Bundeswehr innerhalb der NATO zuteilt und wie er sich das Zusammenwirken der einzelnen nationalen Streitkräfte innerhalb der
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2226 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1958
MertenNATO vorstellt: ob er meint, daß eine Arbeitsteilung innerhalb der NATO — wie wir sie angesprochen haben — unmöglich ist; daß es notwendig sei, alle Streitkräfte innerhalb der NATO mit haargenau der gleichen Bewaffnung zu versehen, oder ob es nicht viel einfacher und viel besser wäre, im Rahmen der Abrüstungsbestrebungen die Arbeitsteilung in der NATO in der Form beizubehalten und weiterzuentwickeln, wie sie augenblicklich besteht.Gestern ist in Genf eine Konferenz eröffnet worden, die, soweit wir das bis jetzt übersehen können, einen außerordentlich wertvollen Dienst auf dem Gebiete der atomaren, und zwar der kontrollierten atomaren Abrüstung leisten kann. Sollte auch nicht angesichts dieser Konferenz und um die Ergebnisse dieser Konferenz von uns aus zu fördern, in diesem Punkte eine klare Haltung eingenommen werden, eine Haltung, die uns nicht in den Verdacht bringt, von uns aus durch unser Bestreben und durch von uns aus provozierte, völlig unnötige Ausbreitung der atomaren Ausrüstung das Ergebnis dieser Konferenz zu gefährden?Nun zu einigen anderen Fragen, die der Minister hier angesprochen hat. Er hat gesagt, er brauche Spielraum für seine langfristigen Programme, und deswegen seien diese ungeheuren Haushaltsreste von 5,4 Milliarden DM in den letzten Jahren entstanden. Ich glaube, der Herr Minister unterliegt hier einer Verwechslung zwischen Bindungsermächtigung und Bewilligung von Geldern.Für seinen Spielraum hat er Bindungsermächtigungen von heute 15,2 Milliarden DM.
Aber die Haushaltsreste beweisen, daß dem Ministerium in den vergangenen Haushaltsjahren mehr Geld bewilligt worden ist, als es verbrauchen konnte, obwohl es bei der Begründung dieser Bewilligung sowohl dem Haushaltsausschuß als auch dem Verteidigungsausschuß immer glaubte nachweisen zu können, daß die Mittel auch in dem angegebenen Zeitraum verbraucht werden könnten.Deswegen stehen wir in diesem Jahr voller Mißtrauen vor dieser Anforderung von 10 Milliarden, weil wir nach den Erfahrungen der letzten Jahre wissen, daß auch diesmal ganz offensichtlich diese Mittel nicht verbraucht werden können. Wir haben deshalb einen Antrag auf Kürzung dieser Mittel um 3 Milliarden DM gestellt, um damit den wirklichen Verhältnissen gerecht werden zu können.Ich habe mit Befriedigung zur Kenntnis genommen, daß das Flugzeugprogramm uns noch vorgelegt werden soll.Aber ich stelle fest, daß der Herr Minister mir die Antwort auf einige Fragen finanzieller Natur schuldig geblieben ist. Ich darf nur noch einmal an die Verwendung `und Zurückrechnung der Bankgarantien erinnern, ich darf die Frage nach den Anzahlungen, die geleistet worden sind, noch einmal wiederholen, und ich darf die Frage nach den Guthaben des Verteidigungsministeriums bei Lieferanten und bei Garantiebanken noch einmal wiederholen. Auch hier wäre uns eine Antwort außerordentlich interessant.Der Herr Minister hat sich am Beginn seiner Rede ganz klar zu dem Primat der Politik vor dem Militärischen bekannt und gesagt, das Militär dürfe niemals mißbraucht werden, um erstes und größtes Mittel der Politik zu sein. Aber er sagt auf der anderen Seite: Es darf auch keine Politik im luftleeren Raum geben, und man kann in der Politik nicht so tun, als ob es keine militärischen Kräfte gäbe. Herr Minister, in diesem Punkt sind wir mit Ihnen einig. Aber von da her kann man natürlich ganz verschiedener Auffassung sein, wie man sich von der Beurteilung der politischen Lage her nun zur militärischen Aufrüstung stellen soll. Da muß ich Ihnen ganz offen sagen, daß unsere sozialdemokratische außenpolitische Konzeption zu anderen militärischen Anstrengungen die Grundlage gibt als die außenpolitische Konzeption, die Sie Ihrer militärischen Anstrengung zugrunde legen. Wenn Sie die Entschließung des Stuttgarter Parteitages einmal richtig lesen, dann werden Sie merken, daß die sozialdemokratische Wehrpolitik in die sozialdemokratische Außenpolitik eingebettet ist und daß man das eine nicht ohne das andere sehen kann.Was aber nicht in dieser Entschließung steht, ist, daß die Bundeswehr lediglich ein Gleichgewicht oder Gegengewicht zu den militärischen Kräften der SBZ darstellen solle. Darin steht vielmehr, daß ein angemessenes Verhältnis der eigenen Verteidigungsanstrengungen zu denen der unmittelbaren Nachbarn gefunden werden soll. Sie wissen ja, daß es außer der SBZ noch einige andere unmittelbare Nachbarn gibt, die man dabei im Auge behalten muß.Wir glauben, daß eine derartige Politik sowohl eine kontrollierte Abrüstung wie auch eine militärisch entspannte Zone in Mitteleuropa wesentlich leichter herbeiführen kann als die von Ihnen bevorzugte Politik der Aufrüstung, die keine Rücksicht auf derartige politische Bestrebungen nimmt und nach der außenpolitischen Konzeption, die Sie hier zugrunde legen, auch nicht nehmen kann. Selbstverständlich ist auch nach Ansicht der Sozialdemokratie das Endziel der politischen Anstrengungen die kontrollierte allgemeine Abrüstung. Aber ebenso selbstverständlich sind wir nicht der Auffassung, daß man, wenn man die Abrüstung als politisches Ziel will, dazu erstmilitärisch aufrüsten muß. Wir glauben vielmehr, daß man das Ziel der kontrollierten allgemeinen Abrüstung durch eine freiwillige Beschränkung der eigenen Rüstungsanstrengungen wesentlich leichter erreichen wird, als wenn man diese eigenen Rüstungsanstrengungen weit über daß Maß hinaus ausdehnt, das erforderlich ist. Das trifft aber nach unserer Meinung auf die Rüstungsanstrengungen zu, die die Bundesregierung macht.Der Herr Minister hat die Gefahr aufgezeigt, daß ein Berufsheer, ein Freiwilligenheer, wie es die SPD in ihrer Wehrkonzeption fordere, Staat im Staate sein könne. Er hat bezweifelt, daß es möglich sei, genügend Freiwillige herbeizubringen, selbst dann, wenn alle politischen Gruppen dieses Hauses hinter den militärischen Anstrengungen stünden.Herr Minister, das freiwillige Bekenntnis des Staatsbürgers zum Opfer und zum Dienst für seinen
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1958 2227
Mertendemokratischen Staat ist natürlich hundertmal mehr wert als die Einziehung des gegen seinen Willen zum Dienst für diesen Staat gezwungenen Bürgers. Es ist ganz einfach ein Problem der Erziehung, ob Sie die Freiwilligenzahl bekommen oder nicht. Als die Bundeswehr aufgestellt wurde, haben Sie drei- oder viermal soviel Freiwilligenmeldungen bekommen, als Sie überhaupt gebrauchen können. Sie wissen, daß auch heute noch immer Freiwilligenmeldungen in ausreichender Zahl vorliegen.Aber wenn die Wehrkonzeption so einseitig vorwärtsgetrieben wird, wenn die Auffassungen der Opposition so systematisch von Vertretern der Mehrheit in diesem Hause als illusionär, irreal, wirklichkeitsfremd abgetan werden, wenn es nicht möglich ist, über diese Dinge einsachliches Gespräch zu führen, dann machen Sie die Bundeswehr zum Staat im Staate; Sie machen sie zu einer Partei-Armee, ob Sie das wollen oder nicht, auch wenn sie eine Wehrpflichtarmee ist.
Es ist zum Beispiel vorgekommen, Herr Minister — diesmal muß ich schon wieder Ihr Pressereferat anpflaumen —, daß in einer Mitteilung des Pressereferats an die Kommandeure über die Tagung des Bundeswehrverbandes vermerkt wird, ein Abgeordneter der CDU habe an der Veranstaltung des Bundeswehrverbandes teilgenommen, während ganz peinlich verschwiegen wird, daß auch sechs Abgeordnete der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion an dieser Veranstaltung teilgenommen haben. Was halten Sie von einer derartigen Beeinflussung der Bundeswehr? Meinen Sie nicht, daß das ein Beitrag Ihres Pressereferats dazu ist, daß diese Bundeswehr sehr bald ein Staat im Staate sein wird, 'daß sie sich von den anderen demokratischen politischen Kräften, die es auch in diesem Lande und auch in der Bundeswehr, wenigstens vorläufig, noch gibt, abkapselt? Ich glaube, daß Sie gut daran täten, auch in Ihrem eigenen Hause diese Einstellung publik zu machen, daß dieses Heer kein Staat im Staate zu sein hat und daß, genauso wie wir das in Stuttgart auf dem Parteitag der Sozialdemokraten beschlossen haben, dieses Heer ein Heer des ganzen Volkes sein muß, weil sonst alle die Gefahren, die wir sehr deutlich sehen, auf uns zukommen.Sie haben gerade bei der Frage Freiwilligenarmee und Freiwilligenmiliz einen sozialdemokratischen Pressedienst aus dem Jahre 1951 zitiert. Sehen Sie, Herr Minister, ich will hier nicht andere Stimmen aus den Jahren 1950 und 1951 zitieren. Ich könnte genauso gut wie Sie natürlich in meinem Zettelkasten nachsehen, und dann kämen Äußerungen von einigen Prominenten Ihrer eigenen Partei zutage, die noch im Jahre 1950 beispielsweise jeden Gedanken an die Aufstellung von deutschen militärischen Kräften weit von sich gewiesen haben, die geglaubt haben, daß die Aufstellung derartiger Kräfte eine entscheidende Gefährdung des Weltfriedens sei und was immer mehr. Ich gehöre nicht zu den Politikern in diesem Lande, die da glauben, daß das, was einer mit 20 Jahren einmal von sich gegeben hat, nun bis zu seinem Lebensende gültig sein müsse. Wenn er unter veränderten politischen Gegebenheiten glaubt, zu einer veränderten Einstellung kommen zu müssen, braucht er deswegen noch lange kein charakterloser Lump zu sein. Deswegen habe ich auf derartige Zitate verzichtet. Aber sowohl gestern Herr Dr. Bucerius als auch Sie heute kommen wieder mit diesen jahrealten Zitaten und Ausführungen daher, die unter völlig anderen politischen Verhältnissen sowohl in unserem Lande als auch in der internationalen Politik gemacht worden sind, und glauben, Sie könnten mit diesen alten Ladenhütern etwas beweisen, was heute Gültigkeit haben müsse. Ich muß bedauern, daß Sie sich immer noch von derartigen Methoden irgendwelche Erfolge erhoffen; damit kommen Sie keinen Schritt weiter.Zur Frage der modernen Waffen nur noch ein kurzes Wort. Herr Minister, wir Sozialdemokraten sind jederzeit bereit und auch jederzeit in der Lage, mit Ihnen, wenn Sie es wünschen, hier an dieser Stelle eine neue Diskussion über die atomare Aufrüstung der Bundeswehr zu führen. Ich habe Ihnen gestern ganz klar zum Ausdruck gebracht, daß wir, wenn wir „moderne Waffen" sagen, „Waffen" meinen und keine Massenvernichtungsmittel zum Ausrotten der Zivilbevölkerung und zum Unbewohnbarmachen von Ländern.Sie sagen: Es gibt entweder nur eine Verteidigung mit atomaren Waffen oder gar keine Verteidigung, und Sie berufen sich auf Herrn Spaak, der uns zum Vorwurf macht: Die Sozialdemokraten in der Bundesrepublik wollen zwar eine Armee aufstellen, aber sie verzichten freiwillig darauf, eine gute Armee aufzustellen, und sie sind freiwillig bereit, eine schlechte Armee aufzustellen. Wissen Sie, Herr Minister, was ich, wenn ich solche Sachen höre, immer zu sagen pflege? Ich sage dann einfach, das ist dummes Geschwätz, und ich möchte doch glauben, daß Sie sich nicht diesem dummen Geschwätz anschließen. Herr Spaak ist Generalsekretär der NATO, ein hoher diplomatischer Beamter. Aber wenn er glaubt, es gäbe eine ernstzunehmende politische Gruppe in irgendeinem Lande, die freiwillig eine Sache schlecht mache, die sie genauso gut machen könnte, dann kann ich das nicht anders als demagogisches und dummes Geschwätz bezeichnen. Das mag er mir nun übelnehmen oder nicht.
Auch wenn es Herr Spaak sagt! Denn Herr Spaak — das wissen Sie ganz genau, Herr Minister — ist in der internationalen sozialistischen Bewegung ein absoluter Außenseiter, genau wie die Herren aus der Schweiz, die Sie zitiert haben. Wenn Sie sich Ihre Kenntnisse über den internationalen Sozialismus lediglich von den Außenseitern liefern lassen, dann darf man sich nicht wundern, wenn Sie zu außerordentlich schiefen unid falschen Urteilen kommen. Ich würde Ihnen dringend empfehlen, sich mit denen zu beschäftigen, die den Sozialismus wirklich repräsentieren. Vielleicht werden Sie dann auch zu einem gerechteren Urteil über seine Bestrebungen kommen.
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2228 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1958
MertenDaß eine Verteidigung entweder nur mit atomarer Ausrüstung oder überhaupt nicht möglich ist, das ist gerade bei der Aufgabenstellung im Rahmen der NATO nicht richtig, Herr Minister. Heute und auch in absehbarer Zukunft ist die Aufgabenteilung innerhalb der NATO so, daß allein die Vereinigten Staaten und Großbritannien über Kernwaffen verfügen, und zwar, wie ich weiß, auch nicht erst auf Beschluß der NATO, sondern in nationaler Zuständigkeit. Es wird also keineswegs die NATO gefragt, wenn diese Waffen zum Einsatz kommen. Das können diese beiden Länder in nationaler Zuständigkeit entscheiden.Dadurch ist das Gleichgewicht der atomaren Kräfte so hergestellt, daß ,eigentlich kein Wunsch mehr in bezug auf dieses Gleichgewicht übrigbleibt. Sie können durch eine atomare Ausrüstung anderer NATO-Staaten dieses atomare Gleichgewicht zwischen Ost und West nicht in entscheidender Weise ändern, schon gar nicht, wenn, wie Sie sagen, auch nach der Ausbildung der Bundeswehr an diesen Waffen die Waffen selber unter amerikanischem Verschluß und unter amerikanischem Korn-mando bleiben.Es ist schon der Verdacht geäußert worden, daß diejenigen, die so laut nach der atomaren Ausrüstung schreien, den Amerikanern irgendwie mißtrauen und der Auffassung sind, daß sich die Amerikaner in einem Konflikt, an dem NATO-Länder beteiligt sind, für desinteressiert erklären könnten, daß sie deswegen glauben, diese Länder sollten lieber selber über diese Waffen verfügen, und sich nicht darauf verlassen möchten, daß die Amerikaner diese Waffen dann auch wirklich selber einsetzen. Sehen Sie, Herr Minister, ich habe dieses Mißtrauen gegenüber unseren amerikanischen NATO-Verbündeten in keiner Weise. Ich bin der Auffassung, daß sich die amerikanischen Verbündeten an die beschlossenen Verträge und an die Verpflichtungen, die aus diesen Verträgen hervorgehen, halten werden.
— Ja, aber weil wir dieses Vertrauen haben, ist eine atomare Ausrüstung der Bundeswehr völlig überflüssig.
Wer so laut nach der atomaren Ausrüstung der Bundeswehr schreit, setzt sich der Vermutung aus, daß er irgendwie mißtrauisch ist und glaubt, die Amerikaner würden im Ernstfall ihren Verpflichtungen vielleicht nicht nachkommen, und er müsse deswegen selber über diese Waffen verfügen. Wie gesagt, wir haben dieses Mißtrauen nicht, und wenn Sie es ebenfalls nicht haben, dann ist erst recht kein Grund dafür einzusehen, daß Sie sich so danach drängen, ebenfalls in den Besitz dieser Waffen zu kommen.Wir sind darüber hinaus der Auffassung — um das noch einmal zu sagen —, daß ein Land, in dem eine Armee über atomare Fernwaffen verfügt, wesentlich gefährdeter und wesentlich eher einem feindlichen atomaren Schlag ausgeliefert ist als ein Land, in dem das nicht der Fall ist.
Das ist der Grund dafür, daß so viele Kommunalparlamente, wie ich schon sagte, glauben, das Ihrige tun zu müssen und diese starke Gefährdung unseres Landes abzuwehren. Durchdenken wir die Dinge einmal logisch! Wenn hier für die Sowjetunion gefährliche Einrichtungen zum Abschießen atomarer Waffen entstehen, dann ist es selbstverständlich, daß sich im Falle eines sowjetischen Angriffs der sowjetische Atomschlag gegen diese Einrichtungen richtet. Es liegt in der Natur dieser Waffen, daß dann nicht nur diese Einrichtungen zerstört werden, sondern das ganze Land darunter leiden muß und wahrscheinlich unbewohnbar und zerstört wird. Wenn man sich nur auf den Verteidigungskrieg ausrichtet und nicht beabsichtigt, seinerseits zum Angriff überzugehen, stellt sich die Frage der atomaren Ausrüstung eines kleinen Landes, wie wir es sind, völlig anders dar, als Sie sie darstellen. Wir Sozialdemokraten sind eben dagegen, daß unser Land, das ja sowieso wegen seiner Grenznähe im Ernstfall außerordentlich gefährdet sein würde, nun auch noch durch den Ausbau zu einer atomaren Festung einer noch weit größeren militärischen Gefährdung ausgesetzt wird, als das bisher der Fall gewesen ist.Ich habe nicht die Absicht, die ganze Atomdebatte noch einmal zu wiederholen, die hier schon stattgefunden hat, und nun alles von allen möglichen Standpunkten aus zu beleuchten. Ich habe nur versucht, Ihnen noch einmal in aller Klarheit und aller Offenheit zu sagen, warum wir nicht daran glauben können — Sie haben uns bis jetzt noch nicht überzeugt und werden das wahrscheinlich auch, wenn Sie Ihre Argumente nicht besser aussuchen, als Sie das bisher getan haben, in Zukunft nicht tun —, daß durch die Ausrüstung der Bundeswehr mit diesen Waffen so etwas wie die Sicherheit unseres Landes verstärkt werden könnte, ganz abgesehen von den politischen Folgen, die eine derartige Ausrüstung hätte.In diesem Zusammenhang darf ich sagen, daß das natürlich auch für die atomare Flugabwehr gilt. Der Herr Minister hat mich hier zitiert, aber er hat mich leider nicht richtig zitiert. Bei einem Gespräch, und zwar einem rein theoretischen Gespräch darüber, ob die Frage der Atomwaffen für die SPD eine Weltanschauungsfrage sei, habe ich gesagt, die Atomenergie an sich ist für die SPD weder gut, noch böse, es kommt ganz darauf an, was man damit macht. Wenn man sie benutzt, um elektrische Kraftwerke zu treiben, dann haben wir nicht das geringste gegen die Atomenergie. Wenn man sie dazu benutzt, Land unbewohnbar zu machen und unterschiedslos Zivilisten vom Leben zum Tod zu befördern, dann haben wir eine ganze Masse gegen die Ausnutzung der Atomenergie. Wenn es heute eine Atomflakrakete gäbe, die einen Sprengstoff hat, mag er heißen, wie er will, der uns in die Lage versetzt, uns mit dieser Rakete wirksam zu verteidigen, ohne daß sie auf dem Boden alles möglicheDeutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 38, Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1958 2229MertenUnheil anrichtet — warum sollten wir nicht darüber reden, ob man eine derartige Luftverteidigung machen soll oder nicht? Da es sie aber nicht gibt, und da auch gar nicht abzusehen ist, daß es sie jemals geben wird, müssen wir uns an die Luftverteidigungsmethoden halten, bei deren Anwendung zwar feindliche Flugzeuge vernichtet, aber nicht gleichzeitig auf dem Boden alles kurz und klein geschlagen wird, wogegen man sich ja gerade schützen wollte. Denn das ist eine merkwürdige Art der Luftverteidigung, ein Flugzeug abzuschießen und dann mit den eigenen Waffen den Schaden anzurichten, den eigentlich das Flugzeug hat anrichten wollen.Herr Minister, das wissen Sie ganz genau, daß dies unser Anliegen ist. Wir haben wiederholt über diese Dinge gesprochen, und es hat keinen Zweck, hier in der Öffentlichkeit so zu tun, als ob man aus einer — falsch zitierten — Äußerung nun eine plötzliche Wendung der SPD in der Atomwaffenfrage konstruieren könnte. Sie können ganz beruhigt sein: In der Atomwaffenfrage gibt es für die SPD bei der jetzigen Situation und bei den Argumenten, die Sie für die Verwendung der Atomwaffen immer wieder bringen, keine andere Haltung als die, die Atomwaffen und die Atomausrüstung kompromißlos und ohne irgendein Ausweichen nach irgendeiner Seite abzulehnen.
Mit dieser Auffassung können Sie in die Öffentlichkeit gehen und mit nichts anderem!Meine Damen und Herren! Zu den finanziellen Fragen, über die der Herr Minister hier gesprochen hat, wird wahrscheinlich mein Freund Gülich noch das eine oder andere zu sagen haben. Zur Frage der Kommunalpolitik wird mein Freund Wienand noch sprechen. Ich darf Ihnen abschließend nur das eine sagen: Die Bereitschaft zu einer gemeinsamen Verteidigungspolitik, die ich gestern hier zum Ausdruck gebracht habe, besteht auch jetzt noch, obwohl es nach den Worten des Herrn Bundesverteidigungsministers keinem Oppositionsabgeordneten übelgenommen werden könnte, wenn er keine Lust mehr hätte, noch weiterhin diese Bereitschaft zu bezeugen und Ihnen die Tür zu dieser gemeinschaftlichen Zusammenarbeit offenzuhalten. Wir glauben aber, daß wir alle diese Fragen — und das nehmen Sie bitte auch sehr ernst zur Kenntnis — nicht deshalb zur Sprache bringen, weil wir glauben, wir könnten als Partei innenpolitisch irgend etwas erben, wenn wir gegen Ihre Verteidigungskonzeption oder wenn wir gegen die atomare Ausrüstung sind. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß in der Sozialdemokratischen Partei alle politischen Entscheidungen einzig und allein von der Überlegung diktiert und beeinflußt sind, ob sie unserem Volke nützen oder ob sie ihm schaden.
Das ist der einzige Gesichtspunkt, der dabei eine Rolle spielt. Dabei ist es uns ganz egal, ob diese Entscheidung mit der Ihrigen übereinstimmt oder ob sie von ihr abweicht. Das ist ein Gesichtspunkt,der für uns erst in zweiter Linie eine Rolle spielen könnte. Aber bei der Landesverteidigung und bei den Anstrengungen, die für die Landesverteidigung gemacht werden müssen, und bei der Konzeption, die wir für die Landesverteidigung ausgearbeitet haben, hat nichts anderes als der Gedanke Pate gestanden, unser Land und seine Freiheit zu sichern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat Herr Bundesminister Strauß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Ausführungen waren eine Erwiderung auf die Ausführungen des Kollegen Merten. Da er eine Erwiderung zu meiner Erwiderung gebracht hat, bin ich leider veranlaßt, in einigen Punkten zu seinen zweiten Ausführungen Stellung zu nehmen.
Bevor ich das tue, darf ich aber wenige Worte zu dem Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/ CSU und der DP zur dritten Beratung des Entwurfs eines Haushaltsgesetzes 1958, Einzelplan 14, sagen. Er betrifft die Härteausgleichs- und Mietbeihilfe für Angehörige der Bundeswehr. Die Mieten der für die Angehörigen der Bundeswehr erstellten Neubauwohnungen sind relativ hoch. Sie führen für die Masse der verheirateten Soldaten nach den überall geltenden Richtlinien zu einer untragbaren finanziellen Belastung, die zum Teil erheblich über der Mietbelastung vergleichbarer Gruppen der Bevölkerung liegt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Bundesminister, wir hatten vereinbart, diese Einzelanträge erst unter Ziffer 3 zu erörtern, wenn die Einzelpläne zum Zwecke der Beratung der Änderungsanträge aufgerufen werden.
Ich danke für den Hinweis. Das habe ich nicht gewußt, ich werde dann meine Begründung später bringen.Der Kollege Merten hat ein halbes dutzendmal gesagt: „Nehmen Sie zur Kenntnis". Herr Kollege Merten, wir sind ja, wenn wir hier sitzen, dazu da, daß wir hören. Ich weiß nicht, was der Hinweis „Nehmen Sie zur Kenntnis" bedeutet. Wir hören und prüfen genauso, wie Sie hören und prüfen. Aber in einigen Punkten habe ich heute bei Ihnen doch eine erstaunliche Unkenntnis der primitivsten Tatsachen festgestellt.
Sonst hätte ich mich überhaupt nicht mehr zu Wort gemeldet.Ich finde es für eine Auseinandersetzung nach dem, was auch ich persönlich von Ihrer Seite im Laufe der letzten Monate, in der Märzdebatte und jetzt während der Haushaltsdebatte an Angriffen gegen den Herrn Bundeskanzler erlebt habe, schlechthin unverständlich, für eines Demokraten schlechthin nicht würdig, zu sagen, man könne es
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2230 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1958
Bundesverteidigungsminister Straußuns jetzt nicht mehr übelnehmen, wenn man nach dieser Rede bei uns eine verschlossene Tür vorfinde.
Das ist schlechthin unverständlich. Darf man hier denn nicht einmal mehr die durch Tatsachen sehr erhärteten, begründeten Ansichten sagen? Darf man hier denn nicht einmal mehr Originaldokumente zitieren mit allen Vorbehalten, die ich damit verbunden habe? Wenn in meiner Rede ein einziger Satz beleidigend war, ein einziger Satz undemokratisch war, ein einziger Satz diffamierend im Sinne einer unwürdigen Aussprache war, dann, bitte, sagen Sie mir ihn.
Es ist einfach unmöglich, hier einen solchen Stil einzuführen, daß man den Regierungschef, wie es gestern geschehen ist, mit den wildesten Ausdrükken herabsetzt und heute eine in der Sache scharfe, in der Form aber ohne Zweifel verbindliche Polemik mit der Feststellung erwidert, so etwas sei geeignet, die Tür für ein politisches Gespräch überhaupt zu schließen. Wenn Sie das sagen, dann wollen Sie es nicht mehr.
Deutlicher gesagt: Wenn Sie das so meinen, wie Sie es gesagt haben, dann wollten Sie es nicht mehr.Ich darf zweitens einige Irrtümer bei Ihnen beheben. Ich habe niemals -gegen Einzelpersonen und Gruppen, die gegen die Atombewaffnung auf der Welt oder -in Deutschland sind, gesprochen als von Gruppen, die einen pseudo-christlichen Kismetglauben hätten. Das ist eine ganz. grobe Verdrehung der Tatsachen, eine ganz grobe Vermengung zweier völlig verschiedener Dinge. Dabei kann ich im Augenblick nicht nachprüfen, ob die Vermengung von Ihnen vorgenommen worden ist — was ich nicht hoffe — oder ob sie in -der oft zutage tretenden Vereinfachung mancher Agenturberichte eingetreten ist.Ich habe bei jeder Gelegenheit hier in diesem Hause, in jeder Verlautbarung, in jeder Versammlung gesagt, daß die Motive derer, die gegen die Atomwaffen, auch gegen die Atomwaffen der Bundeswehr sind, so vielfältig wie die Farben eines Regenbogens sind, daß die Motive reichen können vom humanitären, ethischen, totalen Pazifismus bis zur Moskauer Untergrundpropaganda.
Daß wir es mit dieser ganzen Palette von Motiven zu tun haben, das macht -eine sachliche Klärung, eine sachliche Auseinandersetzung, eine Analyse der Motive und Effekte so schwer. Auf der einen Seite sind es ethisch hochstehende, ethisch ehrenwerte Männer und Frauen, die diese technischen Tatsachen ablehnen, auf -der anderen Seite sind es gedungene Agenten von drüben, die nichts anderes wollen, als die freien Völker wehrlos machen. Innerhalb dieser Pole findet man bei den Gegnern der Atombewaffnung nahezu jede Variante. Das kann man nicht bestreiten.Ich habe auch heute ausdrücklich erklärt, daß Sie sich in Ihren Motiven und Zielen grundsätzlich von denen unterscheiden, die im Auftrage Moskaus gegen die Atombewaffnung sprechen. Daß man aber in der Politik nicht nur Motive und Ziele prüfen muß, sondern daß man auch die Richtigkeit der Wege und die eintretenden Effekte mit in das Kalkül einsetzen muß, das -ist doch eine unbestreitbare Tatsache. Ich habe noch keine Einleitung zu Macchiavelli geschrieben wie der Kollege Schmid, weil mir dazu doch die breite Basis der Allgemeinbildung fehlt. Ich glaube aber nicht, daß er der Meinung ist, in der Politik müßten -Erfolg und Moral absolut im Gegensatz zueinander stehen.
Vielmehr führt doch gerade der technische Fortschritt mit -all seinen fragwürdigen Begleiterscheinungen und Aspekten 'zu -der Auffassung, daß heute politische Ziele und moralische Verantwortung für die Mittel und für diese Ziele nicht mehr voneinander zu trennen sind. Das mag nie so -gültig gewesen sein wie gerade im Zeitalter der Atomwaffen.Ich habe das Wort „pseudo-christlicher Kismetglauben" -gebraucht, Herr Kollege Merten, aber für eine ganz bestimmte Auffassung, für die Auffassung nämlich, daß Verteidigung Sünde sei. Diese Auffassung habe ich neulich in einem Leserbriefgefunden, der offenbar von einem der Niemöller-oder Heinemann-Richtung sangehörenden Theologen aus -Hessen stammt„ Dort wird die Auffassung vertreten, daß Verteidigung Sünde sei, weil Verteidigung bedeute, der göttlichen Vorsehung in den Arm zu fallen. Ich habe mich in einer Diskussion gegen diese billige Interpretation von der göttlichen Vorsehung und vom göttlichen Willen gewandt.
— Herr Kollege Merten, Sie haben heute das von mir gebrauchte Wort „pseudo-christlicher Kismetglauben" zitiert. Ich rede jetzt nicht von Theologie, und ich wäre der letzte, der hier mit Ihnen konkurrieren wollte, sondern ich rede davon, in welchem Zusammenhang dieses Wort gefallen ist. Und da lesen Sie in der „Frankfurter Rundschau", einem Ihnen nahestehenden Blatt, vor wenigen Wochen den Leserbrief eines evangelischen Theologen, offensichtlich der Niemöller- oder Heinemann-Richtung — genau vermag ich das nicht zu analysieren —
— der Leserbrief ist ja nicht von mir erfunden —, in dem die Verteidigung gegen einen Angriff mit Sünde identifiziert wird, weil man damit der göttlichen Vorsehung in die Arme falle. Und gegen diese Auffassung, die die ehrenwerte Auffassung eines Individuums sein mag, verwahre ich mich, wenn sie zur Maxime der Staatsführung gemacht werden soll.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1958 2231
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte!
Herr Minister, wissen Sie, daß es eine theologische Richtung gibt, die das Abschließen einer Lebensversicherung als Sünde ansieht, weil man dadurch der göttlichen Vorsehung in den Arm fällt?
— Wenn Sie, meine Herren von der CDU, das besser wissen, kann ich Ihnen den Namen des Bischofs nennen, der diese Richtung vertritt; es ist ein skandinavischer Bischof namens Berggraf. Wissen Sie, Herr Minister, daß es eine Prädestinationslehre in der reformierten Theologie gibt, die denen, die dieser Lehre anhängen, gar keinen anderen Schluß zuläßt, als fatalistisch die Arme sinken zu lassen? Und die letzte Frage, Herr Minister! Glauben Sie, daß sich die Sozialdemokratische Partei in ihrer Verteidigungspolitik diese Lehre zu eigen gemacht hat?
Nein, Herr Kollege Merten, aber Sie reden, entschuldigen Sie, in dem Falle wie der Blinde vom Licht. Ich habe Ihnen doch niemals diese Einstellung unterstellt. Sie haben mir in den ersten Sätzen Ihrer Replik vorgeworfen, daß ich die Atomwaffengegner mit dem herabsetzenden Wort vom pseudochristlichen Kismetglauben gekennzeichnet hätte. Und ich erwidere Ihnen hier: Das ist nicht wahr! Ich habe immer erklärt, erkläre es hier und werde es immer erklären, daß sich die Gegner der Atomwaffen aus so zahlreichen Gruppen zusammensetzen, daß sie vom humanitären, ethischen, totalen Pazifisten bis zum offenen oder versteckten Agenten Moskaus reichen. Alle diese Richtungen gibt es dabei. Ich habe beinahe in jeder Rede, als dieses Thema aufkam, das als Beispiel angeführt, wie wir nicht handeln können. Es war die Leserzuschrift eines evangelischen Pfarrers in der „Frankfurter Rundschau" — es ist mühelos, das festzustellen —, in der einer Auffassung das Wort gesprochen worden ist, wie Sie es eben kommentiert haben, daß Lebensversicherung Sünde sei, daß Arbeit Sünde sei, und wenn Gott wolle, daß sogar die eigene Familie verhungert, soll man dies nicht durch eigene Arbeit verhindern usw. Diese Einstellung habe ich als einen pseudochristlichen Kismetglauben bezeichnet, aber niemals die Motive der Atomwaffengegner, niemals! Bitte, nehmen Sie zur Kenntnis, ich habe dies niemals und mit keinem Wort mit der Kollektivbezeichnung „pseudo-christlicher Kismetglauben" versehen. Nur das wollte ich richtigstellen und sonst gar nichts!
Herr Minister, meinen Sie nicht auch, daß diese Ihre Auffassung in bezug auf den Prädestinationsglauben, den ich weitgehend teile, doch sehr stark in die Richtung gerückt werden kann, sie sei SPD-Politik? Wenn Sie uns erstens sagen, die „Frankfurter Rundschau" wäre eine der SPD nahestehende Zeitung, dann war es in diesem Zusammenhang völlig sinnlos gewesen, das zu sagen. Zweitens haben Sie in der Richtung die Herren Niemöller und Heinemann erwähnt; also einer von beiden ist ohne Zweifel sozialdemokratischer Politiker.
Auch hier haben Sie den Anschein zu erwecken versucht, als ob die Sozialdemokratische Partei, sei es durch die Presse — sie ist es leider nicht —, sei es durch einen Abgeordneten, der sogar dem Parteivorstand angehört, diesem pseudo-christlichen Kismetglauben, wie Sie sich ausdrücken, anhängen könne. Wenn Sie das hätten abgrenzen wollen, meinen Sie dann nicht, Herr Minister, daß es gut gewesen wäre, diese beiden Hinzufügungen vielleicht doch besser wegzulassen?
Herr Kollege Merten, ich habe das Wort vom pseudochristlichen Kismetglauben hier überhaupt nicht gebraucht.
Sie haben es mir in einem falschen Zusammenhang in den Mund gelegt, und ich habe Ihnen erklärt, in welcher politischen Diskussion und aus welchem Anlaß — nämlich konkret bei der Stellungnahme zu dieser Leserzuschrift — ich es gebraucht habe. Ich habe ausdrücklich hier gesagt — und unzählige Kollegen haben es gehört —: Leserzuschrift. Dabei wissen wir alle, daß die Auswahl der Leserzuschriften auch ein redaktionspolitisches Mittel für die Wiedergabe der echten, vermeintlichen oder gewünschten öffentlichen Meinung ist. Ich habe gesagt, daß in dieser Leserzuschrift diese Auffassung vertreten war. Speziell zu dieser Auffassung — sie ist mir in einer Versammlung entgegengehalten worden — habe ich das Wort gebraucht, zu dem ich auch jetzt stehe: pseudochristlicher Kismetglauben, wenn man Verteidigung mit Sünde gleichsetzt und mit einem Widerstand gegen Gottes Vorsehung.
— Ich habe leider das Material nicht dabei.
Wenn Sie mir gestatten, es zu holen, kann ich Ihre Ausführung aus der Bundestagssitzung vom 20. März zitieren, wo Sie sagten, für uns nicht diese Waffen, aber auch für keinen anderen! — Das haben Sie doch gesagt.
Ich habe hier heute die Auffassung Erler-Merten Ihrer Auffassung gegenübergestellt. Das darf man doch wohl in einer politischen Aussprache im Parlament tun.
Erler-Merten sagen: Keine Atomwaffen für die Bundeswehr, bestimmte Motive; selbstverständlich, die Amerikaner und Engländer sollen sie haben.
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2232 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1958
Bundesverteidigungsminister StraußPolen, das ist eine andere Frage, siehe RapackiPlan; wir bejahen auch das Gleichgewicht des Schreckens, und sie sollen sie nicht eher niederlegen, bis die Sowjets sie niederlegen.Die Auffassung Erler-Merten bedeutet doch, daß sie zu den Atomwaffen in den Händen des Westens ja sagen, und zwar so lange, bis infolge einer allgemeinen Abrüstung die Atomwaffen auf beiden Seiten niedergelegt sind. Und damit wagte ich die Behauptung zu verbinden, daß somit ihr Widerstand gegen Atomwaffen nicht prinzipiell, sondern graduell und zweckbedingt ist.Wenn Sie die Existenz von Atomwaffen, ich darf noch deutlicher sagen: die Berechtigung der Existenz von Atomwaffen in den Händen der Amerikaner und Engländer — rebus sic stantibus — bejahen, dann können Sie doch nicht in Anspruch nehmen, prinzipielle Gegner der Atombewaffnung zu sein, sondern dann ist es für Sie eine Frage der Zweckmäßigkeit, wann, wo und in welcher Ausdehnung. Das ist doch nicht im geringsten zweifelhaft.
— Das ist eine ganz andere Frage.
— Wir reden ja nicht über die Genesis dieses Faktums, wir reden nicht über die Zukunft und ihre verschiedenen Möglichkeiten, wir reden davon, wie es ist, und so wie es ist, bejahen — ich muß sagen, Gott sei Dank — die Kollegen Erler und Merten die Existenz von Atomwaffen, die Berechtigung dieser Existenz in den Händen der Amerikaner und Engländer, in der NATO. Das kann doch nicht bestritten werden! Sie sagen: Abrüstung, und wenn beide Seiten die Atomwaffen niederlegen werden, sollen natürlich auch die Amerikaner sie niederlegen.Anders, Herr Kollege Heinemann, habe ich Sie verstanden.
— Nein, das ist nicht gut möglich. Ich bitte, das nicht mit so einfachen, billigen und primitiven Zurufen abtun zu wollen.
Wenn der Kollege Heinemann — dessen Motive ich damit ja nicht herabsetze, ich will nur seine Einstellung klarstellen — sagt: Das ist falsch; ich bejahe die Atomwaffen in den Händen der Amerikaner, bis sie überall auf der Welt abgelegt werden — dann ändert sich meine Meinung. Dann ändert sich aber auch Ihre Feststellung, die Sie im März hier getroffen haben. Damals sagten Sie: „Lassen Sie ab von ihrer Bewaffnung" — das gilt für die Bundeswehr —; „wir sagen aber auch nicht" — ich habe es hier liegen, Herr Kollege Heinemann, es ist keine Erfindung von mir —, „dann mögen es andere für uns tun. Wir muten auch anderen nicht zu, für uns die Atomwaffen zu haben!"Das ist doch ein manifester, ein eklatanter, ein doch für einen Blinden klarer Gegensatz zwischen der Auffassung Erler-Merten und der Auffassung Heinemann!
Hier wage ich meine Behauptung von vorhin zu wiederholen. Die Behauptung, daß heute die Politik zur Erfüllung ihres Auftrags leider auch ein militärisches Instrument braucht, ist wirklich kein Resultat parteipolitischer Überlegungen. Der Auftrag lautet nicht, eine Stolperdraht- oder Feuermeldertheorie zu treiben, sondern er lautet, den Ausbruch eines Krieges durch Gleichwertigkeit der eigenen Bewaffnung gegenüber der Bewaffnung der Truppen, die angreifen könnten, zu verhindern. Nicht mehr und nicht weniger!
Da behaupte ich, Herr Kollege Merten, daß Ihre Terminologie — man kann ja fast kein hartes Wort mehr sagen, weil es sofort falsch verstanden wird — entweder eine Selbsttäuschung — ich wollte sagen: Selbstbetrug — oder eine Irreführung der Öffentlichkeit ist, die Theorie, daß moderne Waffen, die das Ziel haben sollen, den Krieg zu verhindern, angesichts der Bewaffnung entlang der Zonengrenze etwas anderes als leider diese Waffen sein können. Sagen Sie mir: Was ist eine moderne Waffe? Glauben Sie mir, daß ein normales modernes Flugzeug, daß eine moderne Kanone, ein moderner Panzer oder eine Rakete mit normalem Sprengkörper eine moderne Waffe ist? Das ist es nicht. Das ist eine Selbsttäuschung oder Irreführung der Öffentlichkeit. Das darf ich doch noch als Verteidigungsminister hier sagen, daß es moderne Waffen außer diesen Waffen nicht gibt.
Ob Sie es gern hören oder nicht: darüber ist doch leider die technische Entwicklung und das politische Kalkül sämtlicher Staaten auf der Welt längst hinweggegangen, gleichgültig, ob diese Staaten diktatorisch oder demokratisch regiert werden, gleichgültig, ob in den Demokratien Christliche Demokraten, Liberale oder Sozialdemokraten an derSpitze stehen. Über diese Ihre Auffassung, die wirklich museumsreif ist, ist das politische Kalkül längst hinweggegangen. Dafür können Sie nichts und dafür kann ich nichts. Aber Sie dürfen ihre Meinung hier Gott sei Dank in Freiheit sagen, und ich habe auch noch die Freiheit, zu sagen, daß diese Meinung nach meiner Auffassung falsch ist.
Dann darf ich einen weiteren Irrtum richtigstellen, damit er nicht mehr in der Diskussion hochkommt. Es ist wahr, daß wir drei- bis viermal soviel Meldungen an Freiwilligen hatten, wie wir brauchten. Aber von welchen Dienstgraden und von welchen Altersstufen? Es haben sich 250 000 gediente Soldaten gemeldet. Da waren schon sehr ehrwürdige Semester dabei. Es waren Gott sei Dank auch in einer beachtlichen Größenordnung Leute dabei, die geistig und physisch noch tauglich waren. Wenn wir die 250 000 Meldungen angenommen hätten,
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1958 2233
Bundesverteidigungsminister Straußdann hätten wir eine Armee gehabt, in der es keine normalen Soldaten, wenige Gefreite — das hat manchmal etwas für sich —,
beachtlich viel Unteroffiziere, noch mehr Feldwebel, eine gewisse Zahl von Leutnanten, Oberleutnanten, Hauptleuten, eine unübersehbare Zahl von Stabsoffizieren, Beamten im gleichen Rang und eine stattliche Armee von Generalen gegeben hätte.Wir haben von diesen 250 000 Meldungen etwa 40- bis 42 000 genommen. Wir müssen heute — das wissen Sie als Experte, Herr Kollege Merten, genausogut wie ich — zu einem normalen Altersaufbau in der Bundeswehr kommen. Der jüngste Soldat des zweiten Weltkrieges ist heute schon an die dreißig Jahre oder über dreißig Jahre. Dreißig Jahre ist heute aber schon das Endalter für Unteroffiziere und für Feldwebel. Ein gesunder Altersaufbau ist nicht mehr zu erreichen, wenn man nur auf Gediente zurückgreift. 18 % der Meldungen haben wir angenommen; 82 % der Bewerbungen von Freiwilligen haben wir — mein Vorgänger und ich — abgelehnt, weil sonst die Bundeswehr niemals zustande gekommen wäre.Eines allerdings ist richtig, Herr Kollege Merten, und da sind Sie jetzt umgekehrt im Unrecht. Die Meldungen von Freiwilligen, die wir außerhalb der Wehrpflicht bekommen haben, sind entweder wegen des Alters oder wegen der persönlichen Qualifikation nicht ausreichend. Die besten Freiwilligen bekommen wir heute aus dem Kreise derjenigen, die als Staatsbürger zur Ableistung der normalen Wehrpflicht eingezogen werden, sich während ihrer Dienstleistung davon überzeugen, daß hier ein Lebensberuf für sie ist oder eine Aufgabe, die es rechtfertigt, sich ihr eine längere Zeit zu widmen, und die dann, weil sie sehen, daß der Dienst in der Bundeswehr anders ist, als er oft in der Verzerrung geschildert worden ist, sich entschließen, länger zu dienen. Das sind sehr wertvolle Leute.Ich bin über eine Feststellung von Ihnen erschrocken. Sie sagten, das freiwillige Bekenntnis desjenigen, der sich freiwillig zu den Soldaten melde, sei mehr wert als das Opfer des zum Dienst gezwungenen Bürgers. Das ist eine völlige Abkehr von der SPD-Tradition, von den Grundsätzen in der Verteidigungsauffassung der SPD. Das war für mich geradezu ein Novum, war mir völlig unbegreiflich. Denn damit geht man ab von den elementaren Grundsätzen von den Rechten und Aufgaben eines Bürgers in einer Demokratie.
Das könnte ja ein Bekenntnis zu einer Prätorianerarmee sein. Ich glaube, daß Sie diese Auffassung eines Tages revidieren müssen.
Herr Minister, darf ich Sie fragen, welche SPD-Auffassung Sie soeben gemeint haben?
Ich habe mir Ihre Worte mitstenographiert: „Freiwilliges Bekenntnis" — gemeint ist: des freiwilligen
Soldaten — „des länger dienenden Berufssoldaten ist mehr wert als das Opfer des zum Dienst gezwungenen Bürgers".
Sie können doch gar nicht bestreiten, daß das so ist. Aber was ich gefragt habe, war etwas anderes. Sie -haben gesagt, das stehe im Gegensatz zur SPD-Konzeption. Welche meinten Sie da?
Von den Bürgerpflichten!
Sie haben vorhin gesagt, diese meine Auffassung stehe im Gegensatz zur SPD-Konzeption!
Im Gegensatz zur Wehrtradition der SPD, nicht zur Konzeption!
Darf ich fragen, auf welchen Jahrgang Sie dann hinauswollen?
Das gilt zumindest bis zum Jahre 1951. Das sage ich, nachdem Sie mich vorher wegen eines Zitats aus der Vergangenheit festgenagelt haben!
— Wenn Sie damals gesagt hätten, die SPD bekenne sich zur Wehrpflicht, und wenn Sie heute sagten, die technische Entwicklung und die Anforderungen an eine moderne Armee zwingen uns, unser Bekenntnis zur Wehrpflicht zu ändern, dann würde ich Ihnen sofort eines als technisch plausibel abnehmen, nämlich eine aus Freiwilligen bestehende NATO-Truppe. Ich würde Ihnen aber nicht abnehmen: eine aus Freiwilligen bestehende Territorialverteidigung; denn Miliz und Freiwilligkeit sind ein Widerspruch in sich selber. Das Wesen der Miliz ist die Verpflichtung des Bürgers zur Landesverteidigung. Ich würde eine NATO-Armee aus Berufssoldaten nicht bejahen, Herr Kollege Merten, aber ich hielte das noch, so wie die Engländer es vorhaben, für eine plausible Lösung des NATO-Beitrags, allerdings wiederum nicht unter unseren Umständen; denn bei uns besteht doch die Zäsur der zwölf Jahre. Durch die Schrecken und Mißbräuche der Vergangenheit, die politischen Wirren um den Neuaufbau der Bundeswehr und auch durch die Verzerrung des Weltbildes für viele junge und ältere Staatsbürger ist es notwendig geworden, ihnen die elementare Pflicht des Staatsbürgers wieder klarzumachen und sie in der Konsequenz dazu anzuhalten.
Da gibt es für uns nicht den geringsten Zweifel, und deshalb war ich erschüttert, als Sie sagten: Das freiwillige Bekenntnis ist mehr wert als das erzwungene Opfer.
Herr Minister, habe ich denn nicht soeben selber gesagt, daß das eine Frage der
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2234 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1958
MertenErziehung sei? Ich glaube, wir unterscheiden uns nur darin, daß Sie offenbar die Bundeswehr als ein wertvolles Erziehungsinstrument für dieses Ziel ansehen und daß ich meine, diese Dinge müssen in der Schule geregelt werden.
Wir wären sehr dankbar, wenn die Ihnen nahestehenden Kreise in den Schulen dieser Auffassung das Wort reden würden.
Auf diesem Gebiet haben wir schon Wunder erlebt, Herr Kollege Merten.
Sie haben heute nicht nur der subjektiven Berechtigung nach, sondern auch dem Sachverhalt nach das Pressereferat zu Unrecht erwähnt. Es müßte eine andere Abteilung des Hauses sein. Das Pressereferat hat, wie ich habe feststellen lassen, zur Frage der Teilnahme von Bundestagsabgeordneten an der Tagung des Bundeswehrverbandes keine Verlautbarung herausgegeben. Ich werde aber nachprüfen lassen, ob das eine andere Stelle, etwa auf dem Kommandowege, getan hat. Mir ist das nicht bekannt.
Weiter haben Sie gesagt, Herr Kollege Merten, daß ich die Meldung aus Alsfeld zitiert hätte, ohne Sie zu fragen. Es ist mir nicht zehnmal und fünfzigmal, sondern unzählige Male unterlaufen, daß Redner der SPD in Stuttgart und anderswo auf Grund von Zeitungsmeldungen zu richtigen oder angeblichen Äußerungen von mir polemisch, zum Teil gehässig Stellung genommen haben. Ich bin bis jetzt in keinem einzigen Fall gefragt worden. Und mir werfen Sie vor, ich hätte Sie nicht gefragt!
— Sie haben festgestellt, ich hätte Sie nicht gefragt.
Das habe ich nicht getan. Ich habe Ihnen nur vorgeworfen, daß Sie mein Dementi nicht gelesen haben. Ich habe mich auf das Zitat meiner angeblichen Äußerung von Herrn Kiesinger bezogen und gesagt: Herr Kiesinger hat mich nicht gefragt. Von Ihnen war gar nicht die Rede.
Wo ist das Dementi erschienen?
— Die Meldung ist von dem „Hamburger Echo", einem Parteiblatt der SPD abgedruckt worden. Das Parteiblatt der SPD hat offensichtlich Ihr Dementi nicht gebracht, sonst hätte ich es gelesen, Herr Kollege, und sonst hätte ich niemals nur die Meldung gebracht, ohne Ihr Dementi zu erwähnen, wenn ich sie überhaupt gebracht hätte.Dann zur Meldung selbst. Die Meldung, auf die Sie Bezug nehmen, stammt von dpa. Wie oft haben Sie und Ihre Presseorgane sich auf dpa berufen. Es ist doch kein Staatsverbrechen, wenn ich mich hier auf dpa berufe.
— Das ist das Bedauerliche, daß Ihr Dementi unter Ausschluß der Öffentlichkeit erschienen ist.
— Öffensichtlich hat man die dpa-Meldung ernster genommen als Ihr Dementi.
— Das „Hamburger Echo" ist keine überparteiliche Zeitung, sondern eine Parteizeitung der SPD, und in der Parteizeitung der SPD — —
— Na, na — —
— Nicht beim „Hamburger Echo", aber sonst sehr wohl. Hier ist im Fernschreiben die Meldung der dpa, hier ist die Fotokopie des Artikels im „Hamburger Echo". Dabei ist nur das eine interessant: Im Fernschreiben der dpa heißt es: „Die evangelischen Pfarrer werden ihren Soldaten verbieten, sich an der Ausbildung mit atomaren Waffen zu beteiligen, auch wenn sie hinausfliegen." In der Wiedergabe durch das „Hamburger Echo", das im Presse- und Informationsamt offensichtlich unter „SPD" geführt wird, ist der Nebensatz „auch wenn sie hinausfliegen" weggelassen worden, weil seine Veröffentlichung offensichtlich nicht zweckmäßig war. Wir haben aber noch einmal prüfen lassen; wir haben kein Dementi gefunden. Ich wäre der letzte gewesen, der dieses Dementi nicht zum mindesten erwähnt hätte; denn ich habe es nicht nötig, eine dementierte Meldung hier einseitig in den Mittelpunkt einer Auseinandersetzung zu stellen.In einem Punkte, Herr Kollege Merten, muß ich mich aber noch mit Ihnen auseinandersetzen. Es gäbe noch vieles; aber ich will mich jetzt auf einen Punkt beschränken. Sie sagten, der Beschluß, die Bundeswehr an modernen Waffen auszubilden und sie mit diesen Waffen auszurüsten, enthalte ein Mißtrauen gegen die USA. So ist es hier doch gesagt worden. Ich halte es für sehr merkwürdig, um nicht zu sagen: paradox, zu behaupten, daß die USA uns eine Politik empfehlen, die nach ihrer Meinung oder objektiv wieder mit einem Mißtrauen gegen die USA identisch ist. Dias ist doch mit gesundem Menschenverstand nicht mehr zu begreifen.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1958 2235
Bundesverteidigungsminister StraußSie bringen nämlich in diese Diskussion zwei falsche Akzente hinein. Einmal: Atomrüstung durch die Bundesrepublik — findet tatsächlich nicht statt. Der zweite falsche Akzent, der hineinkommt, ist der, als ob die Bundesregierung allein sozusagen aus eigener Initiative und als erste Regierung der NATO-Staaten diesen Beschluß gefaßt habe. Ich darf Ihnen hier noch einmal sagen: Diese Behauptung ist objektiv falsch.
— Es ist von Herrn Erler. Das geht durch Ihre Argumentation, daß wir die ersten und bisher die einzigen seien und daß wir es sozusagen freiwillig, spontan gemacht hätten. Ich sage noch einmal: Das ist objektiv falsch, das ist unwahr, Herr Kollege Merten.
Wir haben wegen der kontroversen Situation in der Bundesrepublik damals in der März-Debatte gesagt: Bevor die Entscheidung auf den internationalen Konferenzen im Grundsatz fällt, gehen wir vor den Bundestag, um klar und deutlich Auskunft und Rechenschaft zu geben, um zu verhindern, daß uns nach diesen Konferenzen vorgeworfen wird, man habe mit dem Parlament nicht gesprochen oder das Parlament nicht gefragt. Sämtliche Regierungen der NATO — sämtliche! — haben dieser Planung zugestimmt, haben auch einer Ausrüstung der Bundeswehr in der Art und Weise, wie wir es vorhaben, zugestimmt. Es gab keinen einzigen Vorbehalt, es gab keine einzige Stimmenthaltung, es gab kein einziges Nein. Ich muß das einmal sagen dürfen, um diesen vergiftenden Vorwurf, als ob wir uns einseitig, ungefragt, unverlangt, allein und als erste nach der Atomrüstung drängten, endlich einmal hier vor dem einzig berufenen Forum aus der Welt zu schaffen.
Sie haben ein bemerkenswertes Geständnis hier abgelegt. Sie haben gesagt, eine Armee mit Atomwaffen ist wesentlich gefährlicher und ist deshalb eher einem atomaren Gegenschlag ausgesetzt.
— So ist es hier, wörtlich zitiert, gesagt worden. Ich darf hier objektiv feststellen, daß sich in den Händen der sowjetrussischen Truppen strategische und taktische Atomwaffen auch auf deutschem Boden, auf dem Boden der SBZ, befinden. Ich darf feststellen, daß es Waffen gibt im Rahmen der Divisionen, im Rahmen der Korps, im Rahmen strategischer Sondereinheiten und im Rahmen der Luftwaffe; sie sind schon seit einem Jahr vorhanden, und sie werden laufend ergänzt, vermehrt und ausgebaut. Daran gibt es keinen Zweifel. Sie sagen also, eine Armee mit solchen Waffen ist gefährlich. Sie sagen es aber in bezug und in Blickrichtung auf die Bundeswehr und sagen, „wenn diese Atomwaffen bekommen sollte" — die sie gar nicht bekommt in eigener Zuständigkeit! —, „ist diese Armee gefährlich und deshalb der Gefahr des Gegenschlages ausgesetzt". Wenn heute die freie Welt allein darüber sich gegenseitig in den Haaren liegt, wer mehr dem Risiko des Gegenschlages ausgesetzt ist, ist das Ergebnis dieser Unterhaltung nichts anderes als die einseitige Abrüstung, als die totale Verteidigungslosigkeit.
— Das ist sehr logisch!
Denn die großen Ziele, die gefährdeten Ziele, die Ziele für Massenvernichtungs- und Flächenwirkungen liegen nicht einmal in der Bundesrepublik — das wissen Sie sehr genau —, die liegen in England, die liegen in den USA und sind für die sowjetrussische Atombewaffnung ohne jeden Zweifel erreichbar.
— Genauso!
Aber wenn jeder sagt: „Wir nicht, aber der andere!", und wenn nicht alle sagen: „Wir tragen das Risiko gemeinsam!", dann werden Sie den Einmarsch der Roten Armee erleben, und dann werden Sie erleben, daß wir Kriegsschauplatz von beiden Seiten werden.
Ich wende mich hier gegen die Diktion, die Sie hier angewendet haben, indem Sie sagen: „Es entstehen somit auf dem Boden der Bundesrepublik für die Sowjetunion gefährliche Anlagen." Darüber, daß auf dem Boden der SBZ, der Tschechoslowakei, Polens und der Sowjetunion seit Jahr und Tag gefährliche Anlagen errichtet worden sind, ist hier nicht gesprochen worden.
Wenn der Verteidiger nur gleichzieht, dann ist von der Gefahr gesprochen worden, die das für uns bedeute.
„Es entstehen für die Sowjetunion gefährliche Anlagen." Wann ist eine Anlage gefährlich? Eine Anlage ist unter zwei Umständen gefährlich: Erstens, wenn sie zu einer Aggression mißbraucht wird. Die ganze NATO-Politik hat mit Aggression oder Aggressionsabsichten nicht das geringste zu tun.
Wann ist sie noch gefährlich, Herr Kollege Merten? Sie ist gefährlich für einen Angreifer, der deshalb seinen Entschluß unterlassen muß, weil die Verteidigung zu risikohaft für ihn ist. Und diese Gefahr bejahen wir.
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2236 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1958
Bundesverteidigungsminister Strauß— Ich habe niemals behauptet, Herr Kollege Merten, daß die Bundeswehr die Rote Armee abschrekken muß. Ich habe immer — auch heute hier — gesprochen von der Verteilung der Aufgaben in der NATO, davon, daß nicht der Gegenspieler für uns die SBZ, für England vielleicht Polen, für Frankreich die Tschechoslowakei ist, sondern daß die gesamten Streitkräfte der NATO in ihrer Aufgabenteilung, in ihrer Integration, in ihrer Gemeinsamkeit das Risiko für jeden Angreifer darstellen, nicht eine Nation allein. Das ist auch unser politisches und unser technisches Bekenntnis, das man hier einmal laut und offen sagen muß.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, ein Wort zur Geschäftslage. Unter Ziffer 2 unserer aus drei Punkten bestehenden Disposition sind bis jetzt die Ziffern a und b erledigt; an der Ziffer c sind wir eben. Es stehen noch aus die Ziffern d bis h und dann noch Punkt 3. Es ist vorgesehen, morgen eine Plenarsitzung, um 14 Uhr beginnend, abzuhalten, und es ist in Aussicht genommen, den Freitag mit hinzuzunehmen, wobei ich jetzt schon darauf aufmerksam mache, daß voraussichtlich am Freitag die Abstimmungen erfolgen werden. Ich bitte, das zur Kenntnis zu nehmen.
Ich bitte ferner, damit einverstanden zu sein, daß ich, ganz gleich, ob es 18 Uhr wird oder später, diesen Abschnitt „Verteidigungspolitik" unter allen Umständen heute zu Ende führen möchte, damit wir — wie mir mitgeteilt worden ist, auf Grund einer interfraktionellen Absprache — morgen Nachmittag mit dem Thema „Wirtschaftspolitik" —nicht „Innenpolitik" — beginnen können.
Das Wort hat jetzt der Herr Abgeordnete Wienand.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sollten uns bemühen, in diesem Hause einander wieder zuzuhören.
— Meine Damen und Herren von der CDU, reagieren Sie doch nicht sofort! Hören auch Sie doch bitte einmal zu!Ich möchte mich zunächst dem zuwenden, was der Herr Minister als Antwort auf die Ausführungen meines Freundes Hans Merten bezüglich der geschlossenen Türen sagte. Ich habe ihn so verstanden, daß er sehr wohl die Türen offenhalten wollte. Wir sind alle daran interessiert, daß die Türen offengehalten werden. Sonst können wir hier zumachen und kommen nicht mehr in ein gemeinsames Gespräch; dann brauchen wir nicht mehr von Parlamentarismus zu reden.So gesehen, sollte man sich aber auch bemühen, in etwa die Absprachen einzuhalten. Wenn ich mich recht erinnere, wollten wir das alles in 24 Stunden zu Ende bringen. Doch nun sind wir durch die Ausführungen des Herrn Ministers heute und die ganze Verteidigungsdebatte ziemlich in Zeitnot geraten.Herr Minister — wenn ich zunächst einmal ein persönliches Wort zu Ihnen sagen darf —, ich glaube, Sie haben einen Zwischenruf, der von der SPD-Seite kam, falsch verstanden. Wenn man vorher dafür plädiert hat, einander zuzuhören, und Wert darauf gelegt hat, zu betonen, daß die eigenen Ausführungen fair, wenn auch hart in der Sache waren, sollte man nicht mit einer Reihe von Worten wie „einfach", „billig" oder „primitiv" reagieren; denn als Sie zu dem Punkt sprachen, waren wir wirklich ernsthaft der Auffassung, Sie hätten uns falsch verstanden. Deshalb braucht ein solcher Zwischenruf nicht sofort als „billig" und „primitiv" qualifiziert zu werden.Bevor ich zu meinen eigentlichen Ausführungen komme, möchte ich noch etwas zu einer Sache sagen, auf die der Herr Minister !in seinen zweiten Ausführungen etwas mehr Zeit verwandt hat. Er hat — wenn ich es richtig verstanden habe — davon gesprochen, daß zumindest in der SPD in der Frage der atomaren Ausrüstung der Bundeswehr unterschiedliche Auffassungen vorhanden seien. Er hat gesagt, daß Erler und Merten — er hat das als „Richtung" bezeichnet — die Waffen in der Hand der anderen für richtig hielten und daß diese Waffen nach deren Meinung im Ernstfall auch für uns eingesetzt werden sollten. Als er dagegen von der „Richtung Heinemann" sprach, tendierte er mehr auf King Hall hin, so wie wir das ja auch in der jüngsten außenpolitischen Debatte erlebt haben. Ich glaube, so sollte man die Dinge nicht darstellen.Bevor ich das begründe und meine Meinung dazu sage, möchte ich noch ein Wort des Herrn Ministers aufgreifen. Er sagte, diejenigen, die als Gegner der atomaren Ausrüstung anzusehen seien, täten das gewiß aus sehr vielfältigen Motiven. Diese Motive gingen gewiß, so sagte er, vom ethischen Pazifismus bis zur Moskauer Untergrundpropaganda. Er hat dann zur Erhärtung eine Anweisung des Zentralkomitees der bolschewistischen Partei in Rußland angeführt, die an die westlichen Länder und auch an ihre Bewegungen oder Verbindungsleute in der Bundesrepublik gegangen sei, um die Frage der atomaren Ausrüstung zu einem Politikum nach dem Willen der Machthaber in Rußland zu machen. Er hat dazu ausgeführt, daß in einigen Gemeinden — wobei er Dattenfeld an der Sieg und Gemeinden im Dillkreis nannte — nunmehr diese Fragen zur Debatte ständen, und das ist der Grund, warum ich mich zu Wort gemeldet habe.Meine Damen und Herren, ich lege jetzt Wert darauf, daß Sie einmal versuchen, zuzuhören, damit wir uns nicht wieder mißverstehen. Wenn der Herr Minister sagte, die Motive der Atomaufrüstungsgegner seien sehr vielfältiger Art und gingen vom ethischen Pazifismus bis zu denjenigen, die von der Moskauer Untergrundpropaganda gesteuert würden, dann wenden Sie es doch auch den Atomgegnern zubilligen, zu sagen: Wir sind der Meinung, daß diejenigen, die Atomwaffen wollen, von sehr vielfältigen Motiven her zu dieser Einstellung kommen, und daß sehr wohl anzunehmen und zu verstehen ist, wenn wir sagen, daß man hier von
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Wienandden Farben des Regenbogens sprechen kann, vom kriegslüsternen Militaristen, der die Atomwaffen zum Angriff benutzen möchte, bis zu dem ehrlichen Demokraten, der sie nur für den Fall der Abwehr einsetzen will.
— Sie schütteln den Kopf. Sind Sie wirklich der Meinung, man könne nicht sagen, daß die Befürworter der atomaren Aufrüstung von genauso vielfältigen Motiven ausgingen wie diejenigen, die gegen die atomare Aufrüstung sind? Was ich dem einen zubillige, muß ich doch gerechterweise auch dem anderen zuzubilligen bereit sein. Ich möchte das keinem Ihrer Leute absprechen. Aber ich wollte das hier sagen, um die Dinge wieder zurechtzurücken.Nun ist hier so viel die Rede von der stufenweisen Abschreckung gewesen. Früher hatten wir einmal im Bundestag einen anderen Ausdruck; da wurde von der Schild-Schwert- oder Schwert-Schildtheorie gesprochen. Alle diese Dinge müssen doch mehr oder weniger dazu herhalten, um das herumzureden, was man in Wirklichkeit nicht klar zum Ausdruck bringen will. Aber ich wollte mich auch diesen Fragen nicht allzusehr zuwenden. Es kam mir darauf an, gewisse Dinge, die der Herr Minister vorhin angeführt hat, in ein etwas anderes Licht zu rücken, ohne mich in Verbalinjurien zu ergehen. Das hat der Herr Minister auch nicht getan; das stelle ich ausdrücklich fest. Er war hart in der Sache, aber fair.Nur eins, Herr Minister, und das versuchte ich schon durch meine Zwischenfrage klarzustellen. Entschuldigen Sie, es steht mir gewiß nicht an, Belehrungen zu erteilen. Aber ich darf Ihnen einmal meinen Eindruck sagen. Ihre Argumentation ist typisch und symptomatisch für die politische Auseinandersetzung zwischen Regierung und Opposition schlechthin. Wenn ich Sie als einen der gewiß besten und beredtesten Interpreten der Regierungspolitik in diesen Fragen höre, habe ich immer das Gefühl, daß Sie versuchen, mit einem salto mortale in die späteren Auswirkungen hineinzukommen, daß wir uns aber nicht genügend bemühen, von den Grundlagen und von dem Gemeinsamen auszugehen. Würden wir, wenn wir in diesen Fragen nur sehr wenig auseinander sind, uns mit der gebotenen Loyalität auf dieser Basis weiter unterhalten und weiter diskutieren, wären wir nachher vielleicht nicht so meilenweit auseinander, was ich jetzt an Hand von einigen Beispielen aus Ihren Ausführungen nachzuweisen versuchen möchte.Sie ließen anklingen, Herr Minister, daß man das, was heute aus den vielfältigen Motiven im Hinblick auf den Widerstand gegen die atomare Aufrüstung hier anlief, ja auch als von Moskau gesteuert ansehen könne. Schreien Sie jetzt direkt nicht wieder. Ich glaube, wir haben im Norden unserer Bundesrepublik — Herr Kollege Seffrin, Sie kommen wohl daher — den Begriff der Spökenkieker. Das sind Leute, die aus der Vergangenheit und für die Zukunft gewisse hellseherische Fähigkeiten haben. Ich habe das Gefühl, daß der Hamburger Block dieseSpökenkiekerfähigkeiten gehabt hat im Hinblick auf die Politik, die die CDU dann macht. Denn der Hamburger Block hat immerhin — ich zitiere jetzt mit Erlaubnis des Präsidenten aus dem amtlichen Protokoll — in der 12. Sitzung der Hamburger Bürgerschaft vom 16. April 1957, als noch keine Aktionen der SPD oder des Ausschusses „Kampf dem Atomtod" angelaufen waren, zu Atomfragen Stellung genommen: Antrag Nr. 57 im Stenographischen Protokoll, Seite 498 ff.:Hierin wurde der Senat vom Hamburger Block— die stärkste Partei im Hamburger Block ist die CDU —ersucht, bei der Bundesregierung und dem Bundesrat dahingehend zu wirken, daß die deutsche Atomwissenschaft sich auch weiterhin nur mit der friedlichen Verwendung der Atomenergie in der deutschen Volkswirtschaft befaßt und daß die Bundeswehr jedenfalls so lange nicht mit Atomwaffen ausgerüstet wird, wie sich diese nur in den Händen der Großmächte befinden.Diese Entschließung wurde mit den Stimmen des Hamburger Blocks und des CDU-Bürgermeisters Sieveking angenommen.
Ich sprach vorhin vom Spökenkiekern nur, um einen verbindlicheren Ausdruck zu finden. Denn ich möchte nicht sagen. wie es sehr oft in Ihrer Rabulistik zum Ausdruck kommt, es habe ein kürzerer Draht vom Hamburger Block zu der Zentrale in Moskau bestanden oder es hätte gar noch Querverbindungen fiber Schmidt-Wittmack geoeben. Ich glauhe das nicht; denn ich glaube, daß diese Leute genauso wie die anderen, die heute in Kommunalparlamenten tätig werden, aus Sorge und Verantwortung diese Dinge in die Wege geleitet haben. Ich bringe diese Unterstellungen hier einfach nicht. Deshalb sagte ich einleitend, wir sollten versuchen zuzuhören.Der Herr Minister hat vorhin die Gemeinde Dattenfeld an der Sieg und andere genannt. Lassen Sie mich auch dazu etwas sagen. Der Gemeinderat der Gemeinde Kaan-Marienborn an der Sieg hat im März dieses Jahres einen einstimmigen Beschluß gefaßt, in dem sich alle — also auch die CDU-Mitglieder. Herr Minister, trotz der markanten Führerpersönlichkeiten in ihrer Partei, von denen Sie vorhin in Analogie zu uns gesprochen haben, und auch das bemerke ich mit Genugtuung — dagegen ausgesprochen haben, auf ihrem Gebiet Raketenbasen zuzulassen, soweit sie dort Einfluß haben.Sie haben weiter angeführt, daß im Gemeinderat von Dattenfeld ein solcher Antrag eingebracht worden ist. Ich gehöre dem Gemeinderat Dattenfeld selbst an. Aber lassen Sie mich, bevor ich zu der gestrigen Sitzung komme, noch ein Wort zu diesem Gemeinderat sagen, der eine absolute CDU-Mehrheit hat.
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2238 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1958
WienandIch bin erst zwei Jahre da, und da sind die CDU-Stimmen immerhin schon weniger geworden. Warten Sie ab, was in einigen Jahren da los sein wird!
— Wollten Sie eine Zwischenfrage stellen, Herr Minister? Ich habe Sie vorhin strapaziert, Sie dürfen es auch.
— Also noch mehr Führerpersönlichkeiten in Ihrer Partei, dann schaffen Sie es bestimmt.Nun aber lassen Sie mich etwas aus dem Jahre 1956 betreffend diesen Gemeinderat sagen, Herr Kollege Zoglmann, als ich ihm noch nicht angehörte. Damals hat sich die Bundesluftschutzschule Waldbröl an diesen Gemeinderat mit der Bitte gewandt, ein kleines Gebiet Land im Wald oben — wer die Gegend kennt, wird verstehen, daß ich das so ausdrücke — zur Verfügung zu stellen, damit die Teilnehmer der Lehrgänge der Bundesluftschutzschule in Waldbröl dort Versuchsexplosionen mit kleineren Sprenggranaten als im Ernstfall durchführen können. Einstimmig hat damals dieser Gemeinderat — ihm gehörten damals nur zwei oder drei SPD-Vertreter an — sogar das abgelehnt; also noch nicht einmal nach dem Prinzip „Hannemann, geh du voran", denn das möchte ich nicht unterstellen. Aber die haben dort in den Monaten Februar und März 1945 schlechte Erfahrungen mit Abschußstellen für V 1 und V 2 gemacht, und das sitzt den Leuten noch in den Knochen. Das sollte man auch entsprechend würdigen.Wie war aber die Begründung gestern in den vorhin erwähnten Gemeinderäten? Im Gemeinderat von Rosbach standen gestern ähnliche Fragen zur Diskussion.
— Ach, Herr Kollege Stoltenberg, Sie stellen das jetzt auf die Heimatzeitung ab, was ich wirklich ernst nehme, was ich sogar Ihren Parteifreunden in Hamburg zugebilligt habe. Ich hätte doch auch von Ihnen erwartet, daß Sie sich allmählich wieder dem Niveau anpassen, das wir hier hereinbringen wollen. Bemühen wir uns doch gemeinsam!
Da hat die Mehrheit dem zugestimmt, wie der Herr Minister vorhin zitierte. Die CDU hat sich in dem genannten Gemeinderat mit folgender Begründung der Stimme enthalten.
— Das gehört nicht dazu? Habe ich es hineingebracht? Ich darf es doch jetzt bringen. Sie haben gesagt, wir sind im Grunde gegen die atomare Aufrüstung, und wir wollen nicht, daß Raketenbasen hier stationiert werden. Aber wenn das heute von uns zum Ausdruck gebracht wird, dann wird das von der anderen Seite für diesen Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen benutzt. Wir stellen deshalb einen Vertagungsantrag und wir sind bereit, nachden Landtagswahlen uns darüber zu unterhalten, und dann werden Sie erstaunt sein, daß wir auch mit Ihnen in diesen Fragen einer Meinung sind.
Nun, meine Damen und Herren, ich nehme auch solche Argumentation ernst und möchte nicht hoffen, Herr Minister Strauß, wenn ich mich jetzt Ihrem Zuruf wieder zuwenden kann, daß es Ihnen nun aber wirklich, effektiv gelingt, mit den vorhin apostrophierten Führerpersönlichkeiten auch diese Meinungen, die sich, vom Verantwortungsbewußtsein her gesehen, entwickelt haben, zu uniformieren und sie auf Parteilinie zu bringen. So weit sollten Sie in Ihrer Partei auch nicht gehen. Wir tun das keineswegs.Um meinen Beitrag nicht allzu weit auszudehnen — ich nehme die Worte des Herrn Präsidenten ernst, daß wir heute dieses Thema zum Abschluß bringen wollen —, erlauben Sie mir nur noch eine abschließende Bemerkung. Wenn wir über diese Frage so, wie wir sie sehen, diskutieren, sollten wir einander zuhören. Ich mache mir die Worte des Herrn Ministers zu eigen, daß die Atomwaffengegner aus sehr vielfältigen Motiven zu diesem Ergebnis der Gegnerschaft gekommen sein mögen und daß sehr viele sich bemühen, aus vielfältigen Motiven heraus Anschluß zu finden. Aber erlauben Sie mir dann auch zu sagen, daß meine Freunde und ich die Dinge bei denjenigen, die für die atomare Ausrüstung sind, genau so sehen, damit wir hier die Gewichte gleichmäßig verteilt haben, wobei ich noch einmal ausdrücklich betonen möchte, daß ich der Hamburger Bürgerschaft nicht unterstelle, wie es ja in Bausch und Bogen von Rednern Ihrer Partei sehr oft geschieht, daß sie von Moskau gesteuert worden ist oder daß sie gar nach dem Prinzip: „Heinemann, geh du voran" oder wie man es hier mit der Erler-Merten-Richtung darzustellen beliebt, das Eigene davon verschonen wollte, sondern ich gehe davon aus, daß sie damals — der Bundeskanzler war damals auch der Meinung, die wir heute noch haben und die die Hamburger CDU innerhalb des Hamburger Blocks hatte — aus diesen Überlegungen das für richtiggehalten hat. Ich weiß nicht, wie die Herren heute dazu stehen.Nun hat allerdings der Herr Minister — das muß ich um der Objektivität willen abschließend noch sagen — hier ,erstmalig, soweit ich mich erinnern kann — ich bin vorsichtig und stelle es hier nicht als absolute Behauptung auf —, erklärt, daß in der DDR und in den Satellitenländern, das könne er hier verbindlich sagen — so ähnlich haben Sie sich ausgedrückt —, Mehrzweckwaffen, also auch atomare Waffen seien. Ich kann mich erinnern, daß Sie vor einigen Wochen oder Monaten Derartiges als Vermutung geäußert haben.
Was die Raketenbasen anbetrifft, möchte ich abschließend eine Frage an Sie richten, weil wir sonst auch wieder aneinander vorbeidiskutieren. War Ihnen und war dem Kabinett diese Tatsache schon
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1958 2239
Wienandbekannt, als sich das Kabinett — wie ich vermute: vor den Wahlen, aber zumindest unmittelbar nach den Wahlen — damit befaßt hat, die Bundeswehr atomar auszurüsten, und war das mit Gegenstand der Überlegungen, die dann zu dem Ergebnis bei der NATO geführt haben? War es dem Herrn Bundeskanzler schon bekannt — und hat das den Gesinnungswandel des Herrn Bundeskanzlers verursacht —, als er noch auf der Kundgebung in Kiel erklärte, wir wollen die atomare Ausrüstung nicht? Wenn es Ihnen damals noch nicht bekannt war — das möchte ich unterstellen —, warum ist es dann von seiten der Regierung, von seiten Ihrer Partei— wenn der Gesinnungswandel dann nachher eingetreten ist — unterlassen worden, es damit zu begründen, statt mit so viel Aufwand, wie das hier in der jüngsten Debatte geschehen ist? Weil ich diese Frage für mich nicht beantworten kann, werden Sie mir erlauben, mich zweifelnd dahingehend zu äußern, daß das nicht der Grund der Entscheidung für die atomare Ausrüstung gewesen sein kann, da das erst nachher von Ihnen gesagt worden und, ich nehme deshalb an, Ihnen auch nachher erst bekanntgeworden ist. Ich wäre dankbar, wenn Sie das noch klarstellen könnten.
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Der Herr Bundesminister wünscht zu sprechen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie wirklich um Nachsicht, aber ich bitte auch um Verständnis dafür, daß ich, wenn der Kollege Wienand diese konkrete Frage stellt, mir den Vorwurf ersparen möchte, sie sei nicht oder nicht rechtzeitig beantwortet worden.Wir hatten eine Debatte über dieses Problem am 10. Mai 1957: Ablauf und Ergebnis sind bekannt. Die Äußerungen des Bundeskanzlers in Kiel sind mir aus Ihrem Munde zum erstenmal bekanntgeworden. Es ist keine Rabulistik, wenn ich sage, daß seine Feststellung: „Wir wollen die Atomausrüstung nicht" und der Beschluß, der gefaßt worden ist, nicht in einem echten sachlichen Widerspruch stehen. Man kann etwas ablehnen und sich trotzdem aus zwingenden Gründen genötigt sehen, es zu tun. Ich weiß genau, man kann sehr wohl die subjektive, die objektive, die persönliche, die politische Einstellung haben, daß Atomwaffen abgeschafft werden müssen. Ich glaube, wir haben alle diese Einstellung, daß die Atomrüstung wegen der in ihr enthaltenen, von der technischen, naturwissenschaftlichen Seite herkommenden Gefahren abgelehnt werden muß. Man kann aber trotzdem in einer konkreten politischen und militärischen Situation gezwungen sein— eben um dieses Ziel zu erreichen —, de facto das zu tun, was man im Prinzip ablehnt.
— Wenn Sie sich das in Ruhe anhören würden, darf ich zur Frage des Kollegen Wienand konkret Stellung nehmen.Der Beschluß, den die Parlamentsmehrheit in Zusammenarbeit mit der Bundesregierung gefaßt hat, geht zurück auf eine Studie, auf eine Ausarbeitung der NATO, deren Existenz wir hier erwähnt haben, deren Empfehlungen wir hier im Prinzip vorgetragen haben und deren Empfehlungen zu diesem Beschluß geführt haben. Ich komme hart an die Grenze dessen heran, was ich sagen darf. Aber, ich glaube, die Grenze ist noch nicht überschritten, wenn ich sage, daß der erste Teil dieser Studie eine genaue politische, militärische und technische Analyse des Sowjetblocks und der Verhältnisse in der Roten Armee ist, eine Analyse, die sehr genaue Angaben enthält und die uns in dieser Deutlichkeit erst in den ersten Monaten dieses Jahres bekanntgeworden ist. Anhaltspunkte dafür gab es schon seit längerer Zeit. Aber daß eine Studiengruppe von Experten aus 15 Nationen das zu Papier bringt und daraus die Schlußfolgerungen zieht, ist hier erstmals geschehen. Diese Analyse und die Schlußfolgerungen daraus gehen davon aus, daß die Politik der Kriegsverhinderung durch Abschreckung dem technischen Wandel unterliegt und deshalb den technischen Entwicklungen angepaßt und entsprechend weiterentwickelt werden muß.Die erste Phase dieser Politik war die Atomwaffe allein in den Händen der Amerikaner. Lassen wir das Beispiel Nagasaki mit seinen damaligen Voraussetzungen hier ruhig einmal beiseite. Nach dem zweiten Weltkrieg keine Ausnutzung dieses Faktums — Atombombe nur auf einer Seite — durch die Amerikaner. Die Amerikaner hatten ja so stark abgerüstet, daß sie ohne den Besitz dieser Waffe sämtliche Risiken eingegangen wären. Die Amerikaner hatten erstens diese Sprengkörper, zweitens die Mittel, diese Sprengkörper an jeden Punkt der Erde zu befördern.Zweite Phase: Die Sowjets haben die Sprengkörper — sowohl A wie H —, aber nicht die Mittel, sie in den amerikanischen Kontinent oder jedenfalls nicht in einem nennenswerten Ausmaß dorthin zu bringen. Antwort der Westseite: Qualitativ und quantitativ die Atomrüstung zu verstärken, um den Vorsprung zu halten und die Abschreckung glaubhaft zu machen.Dritte Phase: Die Entwicklung der sowjetischen strategischen Bomberwaffe und die Entwicklung der sowjetischen Raketenwaffe führen dazu, daß der amerikanische Kontinent und damit das Rückgrat des gesamten NATO-Systems wie vorher schon alle europäischen Staaten unter der Wirkung dieser Waffen liegt. Deshalb die Drohung, mit der Abschreckung durch die strategische Atomwaffe — ich zitiere Kollegen Erler — massive Vergeltung im sowjetischen Hinterland zu üben. Diese Konzeption führt zu der schauerlichen Alternative: entweder gar nichts zu tun oder den großen Krieg auszulösen. Diese Alternative ist aus technischen, politischen, psychologischen und aus Gründen des nackten Erhaltungstriebs nicht mehr aufrechtzuerhalten, sie muß adaptiert werden.Die zweite Tatsache in dem Zusammenhang ist, Herr Kollege Wehner, daß die Schildstreitkräfte
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2240 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1958
Bundesverteidigungsminister Straußder NATO — bestehend aus Norwegern und Dänen, anschließend Deutschen, dann Engländern, anschließend Deutschen und Belgiern gemischt, anschließend Deutschen, dann Amerikanern und dann wieder nur Deutschen; ich darf das Bild einmal so grob wiedergeben — in einer numerischen Unterlegenheit von 1 : 2 sofort und 1 : 3 bis 1 : 4 in wenigen Tagen gegenüber Divisionen modernster konventioneller und zusätzlicher nuklearer Bewaffnung stehen würden, so daß eine harte Angriffsspitze einem weichen Schild gegenüberstünde. Das birgt in sich die Gefahr — zunächst an der Peripherie der NATO, eines Tages auch im Zentrum der NATO —, daß die Spekulation auftaucht, man könnte im Wege des Fait accompli die Welt vor die Alternative stellen: nimm's hin oderatomarer Krieg! Man weiß ganz genau, daß die Waffe stumpf ist, und darum ist die Verteidigungskonzeption so abgestuft worden, daß sie mit der technischen und militärischen Wirklichkeit Schritt hält.Ich war sehr überrascht, daß Sie eine weitere Würde haben, Herr Kollege Wienand, nämlich die eines Mitglieds des Gemeinderats von Dattenfeld. Ich habe nur die Pressemeldung über den Beschluß des Gemeinderates von Dattenfeld gelesen. Daß man auf dieser Ebene die Frage des Atomkriegs lösen will, erschien mir sehr bezeichnend für die Paradoxie der Situation. Aber nachdem Sie die Verhältnisse im Gemeinderat von Dattenfeld dargestellt haben, muß ich doch folgendes dazu sagen. Ich habe heute ausdrücklich erklärt, ,daß es mir nicht darum geht, für oder gegen eine Partei zu sprechen, daß es mir nicht darum geht, Parteifreunde I zu schonen und Anhänger anderer Parteien zu attackieren. Ich behaupte auch, daß das Verhalten der CDU-Mehrheit in Dattenfeld nichts mit kommunistischer Gesinnung zu tun hat. Habe ich diese Unterstellung nicht als in jeder Hinsicht objektiv falsch und unanständig hingestellt und mich von ihr distanziert?!
Meine Herren, Sie müssen diese Dinge schärfer durchdenken. So einfach läßt sich 'darüber nicht debattieren.Die Frage, ob man im praktischen Effekt einer Richtung, mit der man nichts gemeinsam hat und nichts gemeinsam haben will, hilft, obwohl man aus ganz anderen Motiven und mit anderen Zielsetzungen handelt, ist hier doch nicht zum erstenmal in der Weltgeschichte gestellt worden. Wenn ich den Gemeinderat von Dattenfeld heute in seiner Ehre gekränkt habe, dann ist das ein Beweis dafür, Herr Kollege Wienand, daß so komplexe Probleme, die so viele Seiten haben, zu deren Lösung eine Kenntnis so vieler Tatsachen, ein nüchterner Verstand und der Mut zur Wahrheit sich selbst und der Offentlichkeit gegenüber gehören, nicht auf der Ebene eines Gemeinderats ratenweise gelöst werden können.
— Ich rede hier ja nicht für oder wider eine Partei, ich rede für eine Auffassung, die ich um derSache, um der Rettung der Freiheit willen für richtig halte, auch wenn ich dabei meine eigenen Parteifreunde treffe.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr!
Herr Bundesminister, warum sind Sie eigentlich nicht bereit, den Gemeinden das Recht zu geben, sich zu diesen Fragen der atomaren Aufrüstung und der Schaffung von Atomraketenabschußbasen zu äußern, obwohl die Gemeinden nach den Bundesgesetzen das Recht haben, gehört zu werden, und verpflichtet sind, Grund und Boden für diese Zwecke zur Verfügung zu stellen, ja sogar verpflichtet sind, einen Teil der Kosten für den zivilen Schutz zu tragen, dessen Umfang doch davon abhängig ist, wie die Bundeswehr ausgerüstet ist? Warum legen Sie den Gemeinden auf der einen Seite Verpflichtungen auf und schreiben in den Gesetzen vor, daß die Gemeinden zu beteiligen sind, geben ihnen aber auf der anderen Seite nicht das Recht, die Gemeindebürger nach ihrer Auffassung in dieser Angelegenheit zu fragen?
Herr Kollege, meine Antwort muß Sie tief enttäuschen: Wo das Gesetz oder die politische Notwendigkeit es vorschreiben, in beiden Fällen nehmen wir doch alle Planungen und alle Ausführungsarbeiten in Verbindung mit den Stellen vor, mit denen die Arbeit gemacht werden muß. Aber was hier geschieht, sind doch bewußt gesteuerte, auf ganz bestimmte Zwecke abgestellte Aktionen, auf Verdacht hin einen Gemeinderat protestieren zu lassen, ganz gleichgültig, ob auf diesem Gebiet irgend etwas los ist oder nicht.Wenn ich mir vorhin erlaubte, Herr Kollege Menzel, hier zu sagen, daß allein die Tatsachenkenntnis auf einer lokalen Ebene oft nicht ausreiche, um solche Fragen in ihrem Für und Wider ausreichend zu beurteilen, dann möchte ich jetzt schließen mit einem Zitat aus dem Beitrag, den ein Mitglied der hessischen SPD-Landtagsfraktion in einer anderen Frage geliefert hat, und zwar handelt es sich um die Frage der Wahl der Bürgermeister in Hessen, Volkswahl oder Gemeindewahl. Da sagte der hessische Sprecher an die Adresse des Dr. Kanka von uns:Alle Jahre wieder kommt nicht nur das Christkind zu uns, sondern auch irgendein Antrag, der sich mit der Urwahl oder Nicht-Urwahl der Bürgermeister beschäftigt.Ich habe gestern dem Kollegen gesagt, daß er mit Engelszungen reden kann, er wird doch keinen Erfolg bei Ihnen erzielen. Wer gibt uns denn die Gewähr dafür, daß bei der Interessenlosigkeit, die die Masse nach wie vor in politischen Dingen zeigt, nicht heute oder morgen ein Rattenfänger genauso in der Lage ist, mit
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Bundesverteidigungsminister Straußseinen Ausführungen und mit seiner großen Schnauze — entschuldigen Sie den Ausdruck — die Menschen für sich zu gewinnen und die politisch verantwortlichen Kräfte letztlich auszuschalten? Meine Damen und Herren! Wir können uns über die Urwahl dann unterhalten, wenn aus den Nureinwohnern, die wir in den Gemeinden und Städten haben, wirkliche Bürger geworden sind, die ihre Gemeinde mit tragen und ihre Gemeinde mit gestalten.Originalzitat aus einer Debatte! Wenn schon die Frage der Urwahl der Bürgermeister den Horizont der Gemeindebürger überschreitet, dann ist unser Bedenken, ob man auf der Ortsebene Weltprobleme lösen kann, nur zu berechtigt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Dr. Schmid.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte nicht vor, in dieser Debatte das Wort zu ergreifen. Nach dem bisherigen Verlauf der Debatte glaube ich aber, daß es gut sein könnte, einige Dinge zu klären und einiges Gesagte richtigzustellen. Ich bin in einer ganzen Reihe von Dingen mit dem Herrn Bundesverteidigungsminister einig. Ich will aber auch dort, wo ich nicht mit ihm einig bin, nicht auf alles eingehen, was er gesagt hat; ich müßte dann so lange reden, daß Sie es mir vielleicht übelnehmen möchten, daß ich ums Wort gebeten habe. In der ganzen Breite eines Herdersehen Enzyklopädisten möchte ich hier nicht auftreten.
In einem, Herr Bundesverteidigungsminister, haben Sie vollkommen recht: man kann in den Gemeinden nicht Weltpolitik treiben. Es ist aber immerhin etwas anderes, als Weltpolitik treiben zu wollen, wenn Bürger einer Gemeinde ihrer Unruhe Ausdruck geben, wenn sie zum Ausdruck bringen, wie sehr bestimmte Dinge sie mit Sorge erfüllen, und wenn sie das Bedürfnis empfinden, laut zu sagen: wir möchten bei uns nicht haben, was uns in Unruhe versetzt. Damit treiben sie keine Weltpolitik, damit tun sie etwas sehr Elementares. Gerade Sie, meine Damen und Herren drüben auf der anderen Seite des Ganges, die Sie so gern das Subsidiaritätsprinzip in Anspruch nehmen, sollten doch den Gemeinden, diesen mitmenschlichsten unserer politischen Verbände, das Recht nicht bestreiten, so elementare menschliche Ängste durch ihre Organe zum Ausdruck zu bringen.
Und seien Sie dann doch wenigstens gerecht! Europapolitik z. B. ist auch Weltpolitik. Sie haben sich seinerzeit nicht dagegen gewehrt, daß Gemeinderäte Resolutionen beschlossen haben, die Bundesrepublik möge doch der EVG, der Montanunion, dem Europarat beitreten. Ich habe nichts dagegen, daß solche Befragungen durchgeführt und Beschlüsse gefaßt worden sind; ich fordere aber gleiches Maß, meine Damen und Herren! Diese Befragungen waren doch dann auch ein unziemlicher Einbruch in die weltpolitischen Kompetenzen der Regierung, des Parlaments! Wenn das eine erlaubt sein soll, dann das andere auch!
Weiter: Ich gebe dem Herrn Verteidigungsminister vollkommen recht, wenn er sagt: In der Politik sei leider nicht entscheidend, was wir wollten, auch nicht unser guter Wille. Ja, entscheidend ist nicht, was wir wollen, sondern welche Ursachenreihen wir durch das, was wir tun, setzen.
Sie haben die Freundlichkeit gehabt, darauf hinzuweisen, daß ich einmal eine Kleinigkeit über Machiavelli veröffentlicht habe. Es gibt bei ihm einen Satz, der mir sehr zu denken gegeben hat: Alles Unglück in der Politik komme daher, daß die Menschen nicht „secondo la realtà effettuale delle cose, ma secondo le imaginazione di esse", nach der wirkenden Möglichkeit handelten, die in den Dingen steckt, sondern nach den Vorstellungen und Wünschen, die sie sich davon machten.
— Durchaus, durchaus! Nur muß man dann auch gestatten, daß, wer so denkt, in dem was er tut, selbst durch das Filter dieser Maxime angeschaut wird. Sie sagen: Ihr seid keine Kommunisten — ich danke Ihnen für diese Feststellung. Nicht alle Sprecher Ihrer Seite drücken sich so deutlich aus .
— Ich könnte Ihnen mehrere Ihrer Freunde nennen!
Manche davon lassen in ihren Reden durchblicken, wir seien zwar nicht nachgewiesenermaßen Kommunisten, aber immerhin doch die WehnerPartei, — und das ist doch mit einem ganz bestimmten Akzent gesagt!
Wir könnten nach dieser Methode z. B. sagen: Sie wollen natürlich nicht Deutschland in den Atomkrieg hetzen. Natürlich wollen Sie das nicht; das ist ganz klar. Sie wollen den Atomtod sowenig wie wir.
Ganz bestimmt wollen Sie ihn nicht. Aber könnten wir denn dann nicht sagen: gut, aber die Politik, die Sie betreiben, führt uns in die 'Gefahr, daß der Atomtod über uns kommt?
Oder ein anderes, ich bringe es nur als Exempel, um, wie man in Bayern sagt, einen „Diskursch" zu halten. Natürlich wollen Sie die Wiedervereinigung, ganz sicher. Ich bestreite das nicht.
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Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte!
Darf ich eine Frage stellen! Wenn Sie sagen: die Politik, die Sie —die Regierungsparteien — treiben, führt
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2242 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1958
Bundesverteidigungsminister Straußin die Gefahr des Atomkriegs hinein, dann ist das doch eine rein auf sehr menschlich falliblen Überlegungen und Erwägungen aufgebaute subjektive Meinung, der man genauso gut und mit sehr gewichtigen Argumenten die andere Meinung gegenüber stellen kann, auch Ihre Politik, die Politik der SPD, führe zum Atomtod?
Aber sicher! Ich sage nur: Wenn Sie sagen, wir wollten dem Kommunismus nicht die Tore öffnen, wir täten es aber effektiv, dann müssen Sie uns auch die Argumentation mit diesem logischen Kunstgriff — verzeihen Sie, es ist einer — gestatten. Dann müssen Sie gestatten, daß auch wir argumentieren: Sie wollen die Wiedervereinigung, gewiß; aber die Politik, die Sie betreiben, verhindert Sie - gegen Ihren Willen zwar, aber aus der immanenten Logik der Fakten eben doch tatsächlich.
— Darum sollten wir mit solchen „Meinungen" nicht operieren. Sie sind ein klassischer Humanist, Herr Verteidigungsminister. Sie wissen, wie sehr ich diese Eigenschaft schätze. Sie haben Plato zitiert.
Sie wissen, was er über die „Doxa" sagt, das, was Sie „Meinung" nennen. Aber das führt vielleicht zu weit ...
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Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte!
Herr Professor Schmid, wenn Herr Schmidt sagt: wenn Sie — die Regierungsparteien — die Atomwaffen wollen, dann meinen Sie die Macht, die persönliche Macht, — bekommt dann nicht das Wort vom Kampf gegen den Atomtod auch einen subjektiven Akzent, den Sie vielleicht nicht gewollt haben, den Herr Schmidt (Hamburg) aber gewollt hat und der draußen auch so aufgefaßt wird?
Verzeihen Sie, ich habe einfach die Frage nicht verstanden.
Der Herr Kollege Schmidt hat hier ausgeführt, —
Sie wollen die Atomwaffen, also wollen Sie die Macht. Ja.
Also wollen Sie die Macht. Dadurch bekommt unser Streben nach den Atomwaffen nach der Meinung des Kollegen Schmidt einen subjektiven Anstrich. Es wird nämlich der Wunsch ausgedrückt, Macht zu bekommen. Das ist also etwas anderes als das, was Sie gesagt haben. Wenn aber Herr Schmidt (Hamburg) — und das tun Ihre Freunde draußen — uns dieses Machtstreben unterstellt, dann sieht das anders aus als das, was Sie gesagt haben, Herr Professor Schmid.
Herr Kollege Dr. Bucerius, wenn wir uns in diesem Hause schon auf das Feld der Rabulistik begeben, könnte ich nun weiterfahren und Sie fragen: ist es denn immer böse, Macht zu wollen?
Ich hätte gemeint, daß Sie die Macht wollen, urndavon einen guten Gebrauch zu machen. Aber lassen wir das; es hat doch keinen Sinn, so zu fragen.Überhaupt möchte ich uns allen — auch mir gelegentlich — den Rat geben, daß wir doch nicht so sehr mit Zitaten von Kollegen und anderen Leuten arbeiten möchten. Das führt nicht sehr weit.Ich bin ganz einverstanden: wir sollten uns darüber klar sein, daß nicht so sehr unser guter Wille wichtig ist, sondern, was wir tun, welche Ursachenreihen wir anlegen; das ist das Entscheidende. Da unterscheiden wir uns allerdings in der Bewertung bestimmter Tatsachen. Wir werden das ausdiskutieren müssen. Wir müssen das mit den Mitteln demokratischer Politik unter uns zu erledigen versuchen.Ein Drittes. Auch dafür möchte ich Ihnen danken, Herr Bundesverteidigungsminister, daß Sie gesagt haben: unter den Gegnern der atomaren Bewaffnung gebe es eine ganze Farbenskala, ein ganzes Spektrum. Ja, es gibt dort die ethischen Pazifsiten tolstojscher Prägung, es gibt da Leute, die urchristliche Vorstellungen — oder das, was sie dafür halten — in unserer Welt verwirklichen wollen. Es gibt aber auch darunter Leute, die von „drüben" gesteuert sind. Das weiß ich auch, das wissen wir alle. Glauben Sie mir, so weit .es in unserer Macht liegt, geben wir uns alle Mühe, diese Leute herauszufinden und auszumerzen. Das ist uns schon das eine oder andere Mal gelungen.Aber eine Konsequenz ihrer Worte, die ganz und gar nicht subjektive Konsequenz, müßte doch sein, zu sagen: ihr Sozialdemokraten, die ihr gegen die atomare Aufrüstung angeht, gehört weder zu diesen noch zu jenen; was ihr tut, ist politisch, und es ist in guten Treuen unternommen. Dann sollten aber Worte, wie sie von Ihrer Seite so oft gefallen sind — auch jetzt im Wahlkampf, hier im Hause und außerhalb des Hauses — nicht mehr gebraucht werden, durch die Sie uns anprangern, so etwas wie tumbe oder fahrlässige oder böswillige Schrittmacher des Kommunismus zu sein!
Ihre Feststellung, für die ich Ihnen, wie gesagt, danke, schließt es als kleiner freundlicher Zwischenakt in unserer Debatte aus, daß uns gegenüber weiter solche Anzüglichkeiten ausgesprochen werden.
Ich möchte in unser aller Interesse darum bitten, daß wir uns Mühe geben, diese Art von Polemik zu lassen!
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1958 2243
Dr. Schmid
Ein Viertes. Die Sozialdemokratische Partei ist keine pazifistische Partei; sie ist das nie gewesen.
— Nein! Sie ist aber eine Partei — ist es noch und wird es bleiben —, die ehrlichen Pazifisten — Pazifisten im absoluten Sinne — immer Heimatrecht geben wird.
Wir sind nämlich der Meinung, daß auch in dem Wollen und Tun dieser Menschen ein wertvoller Faktor politischer Meinungsbildung und Willensbildung liegt.
Der Wille eines Volkes und einer Nation ist nur dann ein großer, weiträumiger Wille, wenn in ihn vielerlei Ströme einmünden. Auch Ströme dieser Art sollten darin münden. Es ist dann Sache der Parlamente und anderer Gremien, diese Komplexität zu integrieren und zu filtrieren. Auch wenn man diesen Vertretern des Absoluten nicht folgt, wird es seinen Wert gehabt haben, daß man auf sie gehört hat, wird es nicht gleichgültig gewesen sein, daß sie gewirkt und versucht haben, sich zu Gehör zu bringen.„Verteidigung ist Sünde" — ich würde das niemals sagen. Aber ich würde eine große Achtung vor dem haben, der das Wort ernst nimmt: „Widerstehet nicht dem Übel", wenn er bereit ist, für seine Person die Konsequenzen zu ziehen. Von Schwindlern — das versteht sich von selbst — habe ich nie etwas gehalten. Ich habe aber manchmal den Eindruck, daß man nicht überall diese Ehrfurcht hat, sondern daß man solchen Menschen gegenüber fast mit der Vermutung operiert, sie seien im Grunde so etwas wie Gefühlsschwindler, eine Art von Hochstaplern, Leute, die es sich zu billig machen. Bei manchen mag dies stimmen — bei vielen, die ich kenne, ist es aber anders; diese Menschen machen es sich nicht billig!Ich will nun ganz kurz noch einmal darlegen, warum die Sozialdemokratische Partei zur atomaren Bewaffnung der Bundeswehr nein sagt. Ich will versuchen, das so klar unid so einfach wie möglich zu tun und auch zu sagen, wozu die SPD „ja" sagt. Sie 'vermissen dieses „Ja" gelegentlich; ich möchte deshalb so klar reden, daß dieser Vorwurf nicht mehr erhoben werden kann.Wir sagen, wie erwähnt, nicht „nein" mit der Begründung „Verteidigung ist Sünde". Das ist nicht unser Standpunkt. Wir sagen auch nicht nein aus der Profitlichkeit heraus: die anderen sollen es auf ihre Kappe nehmen; dafür sind wir uns zu gut und zu schade. Das ist unsere Haltung auch nicht.Unsere Gründe sind politischer Art. Der erste Grund ist folgender: Wir sind davon überzeugt, daß internationale Abmachungen rüber die kontrollierte Beschränkung konventioneller und atomarer Rüstungen um so leichter erreicht werden können, je weniger Staaten atomar bewaffnet sind. Je größer der Atomklub wird, desto schwieriger wird es werden, sich zu einigen.Nun bin ich davon überzeugt, daß, wenn wir uns Atomwaffen geben lassen, die Sowjets auch der Volksarmee, den Polen und den Tschechen nicht nur Atomwaffen anbieten, sondern aufdrängen werden. Dann hat man eine Reihe von Staaten mehr im Atomklub. Wer hindert dann die Türken, zu sagen: „Wir haben auch solche Waffen nötig". Dann werden ,die Ägypter oder andere kommen und sagen: „Wir auch!" Kurz und gut: wir werden dann mit absoluter Sicherheit sehr bald nicht einen Atomklub von drei Mitgliedern, sondern einen von zehn oder zwölf oder fünfzehn Mtgliedern haben, und dann sehe ich ,allerdings nicht die 'geringste Wahrscheinlichkeit mehr, daß es zu einer Vereinbarung über eine wirksam kontrollierte Beschränkung atomarer Rüstungen kommen könnte!
— Ich meine die Atomwaffen überhaupt, die Tatsache, daß man welche hat 'und eigene Streitkräfte damit ausrüstet.Zum zweiten. Sie glauben, daß das Verteidigungspotential des Westens, en bloc gesehen — NATO —, stärker werden wird, wenn auch die Bundeswehr atomar bewaffnet wird. Ich für meinen Teil bin der Meinung, daß, wenn der Westen atomare Waffen auf die eine Waagschale legt, der Osten auf die andere Waagschale das Doppelte legen wird. Mit anderen Worten: das Gleichgewicht, das heute bestehen mag, wird verändert sein, aber wahrscheinlich nicht zugunsten, sondern zu Lasten des Westens! Das ist der zweite Grund.
— Warten Sie einen Moment ab. Ich werde Ihnen, Herr von Haniel-Niethammer, noch etwas dazu sagen. Ich will versuchen, den Gedankengang zu Ende zu führen. Doch ich bin erst bei Ziffer 2 meiner Argumentation, und sie wird noch etwa 6 oder 7 Ziffern nötig haben. Vielleicht kann ich Ihre Neugier noch befriedigen.Zum dritten sind wir der Überzeugung, daß wir durch die Bewaffnung der Bundeswehr mit atomaren Waffen — und ich muß weiter sagen: durch die Einrichtung atomarer Kampfanlagen auf deutschem Gebiet — eine Gefährdung auf uns nehmen, die nicht kompensiert wird durch eine Erhöhung der Chancen, daß nicht nur wir, sondern der Westen im ganzen damit wirksam verteidigt werden könnte. Moderne Kriege fangen nicht mehr damit an, daß man Husaren über die Grenze galoppieren läßt oder einige Panzer hinüberschickt; sie fangen, wie der zweite Weltkrieg gezeigt hat, damit an, daß man als allererstes versucht, beim Feind die Waffen zu vernichten, die einem selber am gefährlichsten werden können. Das waren 1939 die Flugplätze in Polen; heute wären es mit absoluter Sicherheit die atomaren Kampfanlagen und Vorratsräume bei uns.
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2244 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1958
Dr. Schmid
— Da hat man es anders gemacht, das ist partiell richtig. — Aber ich erinnere mich sehr genau an die massierten Angriffe der Luftwaffe auf die französischen und englischen Flugplätze!
— Im Mai 1940!
— Man wollte ja damals den Krieg nicht, man wollte die drôle de guerre, man wollte den Feind durch Fraternisieren am Westwall demoralisieren.Wir nehmen so eine enorme Steigerung unserer Gefährdung auf uns, ohne daß dadurch eine Steigerung des Verteidigungseffektes erzielt würde. Ich könnte mich vielleicht sogar bereitfinden, zu sagen: wenn es sein muß, daß wir uns opfern, damit die Freiheit überhaupt noch irgendwo in der Welt bestehen kann, nun, dann muß das eben geschehen. Aber mit der Bewaffnung der Bundeswehr mit atomaren Waffen wird eben dieser Erfolg nicht erzielt werden; denn dieses schmale Handtuch, Bundesrepublik genannt, eignet sich nicht dafür, als Manövrierplatz und als Waffenplatz für Waffen dieser Art verwendet zu werden.
— Natürlich muß man dann weitergehen, Herr Kollege Bucerius; dann muß man nicht nur davon Abstand nehmen, die Bundeswehr atomar auszurüsten, dann muß man auch eine Politik anstreben, die dazu führen soll, in Mitteleuropa einen atomwaffenfreien Raum zu schaffen.
Das ist eine natürliche Konsequenz, und Sie wissen, daß 'dies Gegenstand unserer politischen Konzeption ist.Eine Verteidigung im Falle eines wirklich massiven Angriffs kann —das ist unsere Meinung — wirksam nur geführt werden durch einen massiven Gegenschlag des Schreckens, der aber wirksam nicht von hier aus geführt werden kann, sondern nur von sehr viel weiter her als der Bundesrepublik. Ich gehöre nicht zu denen, die der Meinung sind, deutsche Atombomben seien unmoralisch, aber amerikanische seien moralisch. Keineswegs! Beide sind gleich moralisch oder, wenn man will, gleich unmoralisch. Aber wirksam im Sinne einer effektiven Verteidigung des Westens können nur solche atomare Kampfanlagen sein, die sehr viel weiter weg von der kritischen Zone liegen als wir, als die Bundesrepublik. Und da meine ich: wenn man drüben diese stolzen Adler hat, auf deren Zupacken wir uns verlassen können, dann könnte man auf die paar Wespen verzichten, die wir !bestenfalls diesen Adlern beigeben könnten ...Nun komme ich zum Positiven. Ich für meinen Teil bin 'der Meinung, daß ,die Bundesrepublik eine Bundeswehr haben sollte, eine Bundeswehr, die die Aufgaben, die eine bundesrepublikanische Wehrmacht innerhalb einer sinnvollen Verteidigungsstrategie überhaupt leisten kann, zu erfüllen vermag. Wir glauben, daß — was die Effektivstärken anbetrifft — die erforderliche Truppenzahl durch Freiwillige gedeckt werden kann.Sie sagten, Herr Bundesverteidigungsminister, die SPD gehe damit von liebgewordenen alten Vorstellungen ab: der Bürger in Waffen usw. Sie haben damit vollkommen recht. In den alten Programmen der SPD waren die Forderungen der 48er Demokraten aufgenommen: Volksbewaffnung — gegen die Fürstensoldaten — der Bürger in Waffen, die Miliz und ähnliche Dinge. Das ist vollkommen richtig, und das war beim damaligen Stand der Bewaffnung und der Möglichkeit der Kriegführung auch sehr sinnvoll. Aber wie ist es denn heute? Eine Ausbildung an den komplizierten konventionellen Waffen braucht, wenn sie wirksam sein soll, mehr als zwölf Monate. Bei zwölfmonatiger Wehrpflicht hätte man dann eine Armee, die nicht schlagkräftig wäre. Denn schlagkräftig wäre sie doch nur, wenn sie in der ersten Minute schießen kann und nicht erst nach langen Vorbereitungen! Die eine Hälfte würde dauernd die andere ausbilden — und das gibt keine schlagfertige Präsenzarmee. Ohne Präsenzarmee — ohne den miles perpetuus, wie man früher sagte — geht es heute aber nicht mehr. Denn im Zeitalter des Atomkrieges kann man keine Reservisten mehr mobilisieren, wie man das früher tat. Oder glauben Sie es, Herr Bundesverteidigungsminister? Ich frage nur aus Interesse. Sagen Ihnen Ihre Fachleute, daß das möglich sei?
Darf ich Ihnen eine Frage stellen; ich kann es nach der Geschäftsordnung nur in der Weise tun.
Von mir aus können Sie ruhig eine Stellungnahme abgeben; Sie brauchen sie nicht in die Form einer Frage zu kleiden.
Ist Ihnen bewußt, daß bei unseren — entschuldigen Sie das Wort — militärgeographischen Verhältnissen im Gegensatz zu den englischen Verhältnissen, die mit Expeditionsarmeen rechnen und mehr deutsche Bedienstete haben als Soldaten, der Aufbau einer Landesverteidigung im Zusammenwirken von beweglichen NATO-Verbänden und nur teilmotorisierten Territorialverbänden nur möglich ist bei der Verpflichtung des Staatsbürgers zur Verteidigung, nicht aber auf dem Wege der Freiwilligkeit?Zweitens. Sind Sie sich darüber im klaren, Herr Kollege Schmid, daß Sie völlig subjektiv nur eine Möglichkeit hier herausgreifen, nämlich die Möglichkeit eines totalen Überraschungskrieges,
und daß Sie die Periode einer Spannung von verschieden langer Dauer völlig aus Ihrem Kalkül ausscheiden?Und drittens, daß man Reserven so aufstellen kann, daß sie für die Auffüllung von Verbänden
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1958 2245
Bundesverteidigungsminister Strauß— eine Auffüllung, die leider unumgänglich ist — rechtzeitig bereitstehen?
Vielleicht gilt das für die Auffüllung von Verbänden; aber zur Schaffung von Reservedivisionen und Kampfeinheiten geht es schlechthin nicht. Wenn wirklich ein ernsthafter Krieg geführt wird, dann fallen Atombomben und Atomgranaten; und dann möchte ich sehen, wie Ihre Generale dann noch Reservistenzüge befördern; ich möchte sie auch sehen, wie sie dann größere Verbände auf diesem Gebiet bewegen wollen! Sie erinnern sich vielleicht an ein kleines Gespräch, das wir in Ihrem Ministerium hatten, als einer Ihrer Generale uns einige strategische Daten erklärte und ich die Frage stellte: „Wie wollen Sie denn Truppenmassen bewegen, wenn es beiden Teilen einfallen sollte, zwischen Alpen und Nordsee atomares Sperrfeuer zu schießen?", und ich die Antwort bekam: „Aber das wäre doch das reine Chaos!" — Ja sicher wäre es das!
Ich glaube, daß eine Bundeswehr nur einen Sinn haben kann: Für die Fälle wirksam zu werden, die die Amerikaner in ihrer neuesten strategischen Konzeption den „Buschfeuerkrieg" nennen! An der Grenze passiert etwas, dem man zunächst nicht recht ansieht, wie weit es gehen soll — ob in die Tiefe oder ob es nur als Grenzzwischenfall gemeint ist. Für einen solchen Fall sollte man genügend eigene Truppen haben, um das kleine Feuer so gründlich auszutreten, daß daraus kein Großfeuer wird. Das könnte gleichzeitig dazu dienen, klar zu markieren, ob das allein an der Grenze ein ernsthafter Angriffsversuch ist oder nur ein Zwischenfall stärkeren Gewichts; das ist die Stolperdraht-Theorie oder die Feuerlösch-Theorie. Wenn Sie aber einer solchen Armee taktische Atomwaffen zur Verwendung geben, dann wird doch der Abschuß der ersten Atomgranate dazu führen, daß aus diesem Zwischenfall ein „totaler" strategischer Atomkrieg wird! Es wird dann genau das Gegenteil von dem geschaffen, was Sie beabsichtigen.
Wir sind also für eine Bundeswehr, die mit konventionellen, modernsten Waffen bewaffnet ist.
Und nun, Herr Bundesverteidigungsminister, zum Begriff der „modernsten Waffen". Man muß auch diesen Begriff relativ sehen: nämlich „modernst" im Hinblick auf die Möglichkeit, eine bestimmte Truppe unter bestimmten gegebenen militärischen und politischen Verhältnissen sinnvoll einzusetzen. Wenn man eine deutsche Truppe sinnvoll verwenden will — und ich glaube, diese „Buschfeuerkriegs"-
Geschichte wäre ein sinnvoller Einsatz —, dann reichen die modernsten konventionellen Waffen aus; denn die modernsten atomaren Waffen bringen über den Buschfeuerkrieg weg den atomaren Weltkrieg, den dritten Weltkrieg! Insoweit wäre eine solche Bewaffnung nur ein Stück Selbstmord, keine „Bewaffnung", sondern nur ein Beitrag zur Möglichkeit der Selbstzerstörung ohne strategischen Effekt.
— Der Buschfeuerkrieg wird nicht durch einige Atomgeschütze bei uns verhindert; er wird durch das verhindert, was von jenseits des Meeres droht. Ein kleiner Buschfeuerkrieg, wie wir ihn austreten könnten, kann schon durch deutsche Streitkräfte von der Art, die ich beschrieben habe, verhindert werden. Sobald eine Operation darüber hinausginge, wäre sie doch einfach der Anfang eines Weltkrieges mit allen Konsequenzen. Der Gegenschlag käme aber dann nicht von hier, sondern von Thule oder irgendwo in Arizona — ich weiß es nicht so genau —, jedenfalls von sehr weit her.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Schmid, ist Ihnen bewußt — ich möchte jetzt nicht von der Tatsache sprechen, daß Sie und Ihre Freunde lange Zeit Anhänger des britischen Weißbuches und seiner Theorie „alles oder nichts" gewesen sind —, daß die Buschfeuerstreitkräfte nicht über Atomwaffen verfügen, daß der Befehl zur Anwendung von Atomwaffen von den Buschfeuerstreitkräften und ihren militärischen Kommandeuren nicht gegeben werden kann? Das habe ich heute sehr deutlich erklärt.
Zweitens. Ist Ihnen bewußt, daß Buschfeuerstreitkräfte nach Ihrer Vorstellung ständig Gefahr laufen, rein in der Auseinandersetzung mit konventionellen Waffen, in dem Zwang, sich atomar zu gliedern, während der Angreifer konzentriert gliedern kann, also ohne daß auf beiden Seiten Atomwaffen verwendet werden, innerhalb von Stunden vernichtend geschlagen zu sein?
Herr Bundesverteidigungsminister, wenn der Angreifer — Sie meinen damit natürlich den Angreifer aus dem Osten; ich brauche doch nicht eine andere Hypothese anzunehmen — seine Truppen so konzentrierte, wie Sie sagen, dann ist doch ganz klar, daß er aus der Tiefe in die Tiefe hinein anzugreifen plant. Dann wartet doch der damit als arglos angegriffene Westen nicht — das wären nicht nur wir, sondern auch die Amerikaner und alle anderen —, sondern dann wird er doch dagegenschlagen, strategisch gegenschlagen. Auch mit Ihren atomar ausgerüsteten Bundeswehrkräften könnten Sie dann gegen einen so antretenden Gegner — eine Macht, die dann doch mehr wollte als nur ein kleines Feuerchen anzuzünden — nichts ausrichten.
Das sind die Gründe, weswegen wir eine atomare Bewaffnung ablehnen. Nicht „Verteidigung ist Sünde", nicht Tolstoj, nicht „Widerstehe nicht dem Bösen", nicht „Ohne mich", nicht diese sind unsere Gründe. Die sind politischer Art — die Wiedervereinigung, Sie kennen unsere These dazu —, und sie sind ganz einfach militärpolitischer Art. Bitte bleiben wir doch bei der Diskussion auf diesem Boden. Wenn Sie gegen uns argumentieren, so unterstellen Sie uns doch nicht noch Motive, die uns fremd sind!
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2246 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1958
Dr. Schmid
Nun ein Letztes, Herr Bundesverteidigungsminister. Sie haben recht; man muß immer im politischen Gespräch bleiben; man sollte sich nicht einmal durch Verärgerung davon abhalten lassen, im politischen Gespräch zu bleiben. Wir sind dieser Meinung auf dem Gebiet der Außenpolitik, wir sind es auch auf dem Gebiet der Innenpolitik. Wir sind z. B. außenpolitisch der Meinung, daß, gerade weil unser Gegner ein harter, ein unangenehmer Gegner ist, man immer wieder versuchen sollte, mit ihm ins Gespräch zu kommen.Auch im Innern sind wir dieser Meinung. Herr Bundesverteidigungsminister, auch mit Ihnen wollen wir immer wieder ins Gespräch kommen. Sie sind ein sehr viel weniger unangenehmer Gegner
als die Herren im Kreml. Immerhin leisten Sie sich manchmal Dinge, die es schwer machen, mit Ihnen ins Gespräch zu kommen und mit Ihnen im Gespräch zu bleiben. Schauen Sie, die Art und Weise, wie Sie über meinen Freund Waldemar von Knoeringen gesprochen haben —
die war nicht sehr schön! Sie haben von ihm gesprochen, als wäre er eine Art freundlicher Parzival, — ein bißchen tumb, ein bißchen Jules Verne, in die Weltraumschiffahrt verliebt usw. und darum die Dinge dieser Erde nicht mehr sehend. Das ist keine gute Art. Das war nicht sehr fein. Das kann man nicht einmal mit dem Hinweis auf bajuwarische Folklore rechtfertigen. Was Sie von sich gegeben haben — lassen Sie sich das von mir sagen, ich sage es nicht als Schulmeister, ich sage es im Guten —, war nicht Ironie, war nicht einmal Sarkasmus; das war der pure Hohn.
Verhöhnen sollten wir einander nicht. Wir können uns gelegentlich übereinander lustig machen, das schadet nichts, wir tun das vielleicht nicht oft genug. Aber wir sollten es so tun, daß keiner von uns das Gefühl zurückbehält: Hier hat mich einer verhöhnen wollen. Bei mir ist dieses Gefühl zurückgeblieben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Debatte zur Verteidigungspolitik ist geschlossen.
Ich mache nochmals darauf aufmerksam: Die nächste Plenarsitzung findet morgen 14 Uhr statt. Ich bitte, sich darauf einzurichten, daß der Freitag nach Lage der Dinge unter allen Umständen noch in Anspruch genommen werden muß und daß dieser Tag dann auch Präsenztag sein wird. Ich bitte, das möglichst noch den nicht anwesenden Kollegen mitzuteilen.
Ich berufe also die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf den 3. Juli, 14 Uhr. Die Sitzung ist geschlossen.