Rede von
Dr.
Carlo
Schmid
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte nicht vor, in dieser Debatte das Wort zu ergreifen. Nach dem bisherigen Verlauf der Debatte glaube ich aber, daß es gut sein könnte, einige Dinge zu klären und einiges Gesagte richtigzustellen. Ich bin in einer ganzen Reihe von Dingen mit dem Herrn Bundesverteidigungsminister einig. Ich will aber auch dort, wo ich nicht mit ihm einig bin, nicht auf alles eingehen, was er gesagt hat; ich müßte dann so lange reden, daß Sie es mir vielleicht übelnehmen möchten, daß ich ums Wort gebeten habe. In der ganzen Breite eines Herdersehen Enzyklopädisten möchte ich hier nicht auftreten.
In einem, Herr Bundesverteidigungsminister, haben Sie vollkommen recht: man kann in den Gemeinden nicht Weltpolitik treiben. Es ist aber immerhin etwas anderes, als Weltpolitik treiben zu wollen, wenn Bürger einer Gemeinde ihrer Unruhe Ausdruck geben, wenn sie zum Ausdruck bringen, wie sehr bestimmte Dinge sie mit Sorge erfüllen, und wenn sie das Bedürfnis empfinden, laut zu sagen: wir möchten bei uns nicht haben, was uns in Unruhe versetzt. Damit treiben sie keine Weltpolitik, damit tun sie etwas sehr Elementares. Gerade Sie, meine Damen und Herren drüben auf der anderen Seite des Ganges, die Sie so gern das Subsidiaritätsprinzip in Anspruch nehmen, sollten doch den Gemeinden, diesen mitmenschlichsten unserer politischen Verbände, das Recht nicht bestreiten, so elementare menschliche Ängste durch ihre Organe zum Ausdruck zu bringen.
Und seien Sie dann doch wenigstens gerecht! Europapolitik z. B. ist auch Weltpolitik. Sie haben sich seinerzeit nicht dagegen gewehrt, daß Gemeinderäte Resolutionen beschlossen haben, die Bundesrepublik möge doch der EVG, der Montanunion, dem Europarat beitreten. Ich habe nichts dagegen, daß solche Befragungen durchgeführt und Beschlüsse gefaßt worden sind; ich fordere aber gleiches Maß, meine Damen und Herren! Diese Befragungen waren doch dann auch ein unziemlicher Einbruch in die weltpolitischen Kompetenzen der Regierung, des Parlaments! Wenn das eine erlaubt sein soll, dann das andere auch!
Weiter: Ich gebe dem Herrn Verteidigungsminister vollkommen recht, wenn er sagt: In der Politik sei leider nicht entscheidend, was wir wollten, auch nicht unser guter Wille. Ja, entscheidend ist nicht, was wir wollen, sondern welche Ursachenreihen wir durch das, was wir tun, setzen.
Sie haben die Freundlichkeit gehabt, darauf hinzuweisen, daß ich einmal eine Kleinigkeit über Machiavelli veröffentlicht habe. Es gibt bei ihm einen Satz, der mir sehr zu denken gegeben hat: Alles Unglück in der Politik komme daher, daß die Menschen nicht „secondo la realtà effettuale delle cose, ma secondo le imaginazione di esse", nach der wirkenden Möglichkeit handelten, die in den Dingen steckt, sondern nach den Vorstellungen und Wünschen, die sie sich davon machten.
— Durchaus, durchaus! Nur muß man dann auch gestatten, daß, wer so denkt, in dem was er tut, selbst durch das Filter dieser Maxime angeschaut wird. Sie sagen: Ihr seid keine Kommunisten — ich danke Ihnen für diese Feststellung. Nicht alle Sprecher Ihrer Seite drücken sich so deutlich aus .
— Ich könnte Ihnen mehrere Ihrer Freunde nennen!
Manche davon lassen in ihren Reden durchblicken, wir seien zwar nicht nachgewiesenermaßen Kommunisten, aber immerhin doch die WehnerPartei, — und das ist doch mit einem ganz bestimmten Akzent gesagt!
Wir könnten nach dieser Methode z. B. sagen: Sie wollen natürlich nicht Deutschland in den Atomkrieg hetzen. Natürlich wollen Sie das nicht; das ist ganz klar. Sie wollen den Atomtod sowenig wie wir.
Ganz bestimmt wollen Sie ihn nicht. Aber könnten wir denn dann nicht sagen: gut, aber die Politik, die Sie betreiben, führt uns in die 'Gefahr, daß der Atomtod über uns kommt?
Oder ein anderes, ich bringe es nur als Exempel, um, wie man in Bayern sagt, einen „Diskursch" zu halten. Natürlich wollen Sie die Wiedervereinigung, ganz sicher. Ich bestreite das nicht.