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ID0303801200

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    Vokabeln: 6
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    6. Bundeskanzler.: 1
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    Deutscher Bundestag 38. Sitzung Bonn, den 2. Juli 1958 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Scharnberg 2177 A Zur Tagesordnung Rasner (CDU/CSU) . . . . . . 2177 B Dr. Mommer (SPD) . . . . . . 2177 C Entwurf eines Gesetzes zur Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1958 (Haushaltsgesetz 1958) (Drucksachen 300, 354, 357, 362 bis 365, 378, 400 bis 404, 408, 412, 413, 440 bis 444, 447, 460 bis 468); Zusammenstellung der Beschlüsse zweiter Beratung (Drucksache 490) — Fortsetzung der dritten Beratung — in Verbindung mit den Anträgen zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. die deutsche Frage auf künftigen internationalen Konferenzen (Drucksache 238) und der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Gipfelkonferenz und atomwaffenfreie Zone (Drucksache 230); Mündlicher Bericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten (Drucksache 502) . . . . . . . .2177 D, 2201 A Allgemeine Aussprache Dr. Gradl (CDU/CSU) . . . . . 2177 D Dr. Meyer (Frankfurt) (SPD) . . . 2179 D Dr. von Brentano, Bundesminister . 2183 D Dr. Becker (Hersfeld) (FDP) . . . 2187 D Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . 2193 C Kiesinger (CDU/CSU) . . . . . 2194 B Schneider (Bremerhaven) (DP) . 2197 D Schultz (FDP) 2201 A Ritzel (SPD) . . . . . . . . 2204 D Probst (Freiburg) (DP) . . . . 2206 C Strauß, Bundesminister . . 2208 A, 2229 C, 2239 A Merten (SPD) 2222 D Wienand (SPD) . . . . . . . 2236B Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) . . 2241 A Weiterberatung vertagt . . . . . . 2246 C Nächste Sitzung 2246 C Anlagen 2247 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1958 2177 38. Sitzung Bonn, den 2. Juli 1958 Stenographischer Bericht Beginn: 9.02 Uhr
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Graf Adelmann 7. 7. Frau Albertz 5. 7. Altmaier * 5. 7. Dr. Barzel 5. 7. Bauer (Würzburg) * 5. 7. Bauknecht 5. 7. Frau Beyer (Frankfurt) 5. 7. Birkelbach * 5. 7. Fürst von Bismarck * 5. 7. Blachstein * 5. 7. Burgemeister 4. 7. Frau Döhring (Stuttgart) 31. 7. Döring (Düsseldorf) 5. 7. Dr. Eckhardt 2. 7. Euler 4. 7. Franke 12. 7. Gaßmann 5. 7. Gerns * 5. 7. D. Dr. Gerstenmaier 2. 8. Gockeln 3. 7. Heye * 5. 7. Höfler * 5. 7. Frau Dr. Hubert * 5. 7. Jacobs * 5. 7. Kiesinger * 5. 7. Dr. Königswarter 5. 7. Dr. Kopf * 5. 7. Kriedemann 5. 7. Kühlthau 2. 7. Kühn (Köln) * 5. 7. Leber 4. 7. Lohmar 2. 7. Lücker (München) * 5. 7. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 5. 7. Frau Dr. Maxsein* 5. 7. Metzger * 5. 7. Dr. Meyer (Frankfurt) * 5. 7. Müller-Hermann 5. 7. Frau Niggemeyer 12. 7. Paul * 5. 7. Dr. Preiß 5. 7. Pusch 5. 7. Frau Dr. Rehling 2. 7. Richarts 2. 7. Ruf 5. 7. Scheel 5. 7. Dr. Schneider (Saarbrücken) 5. 7. Schoettle 19. 7. Schütz (Berlin) 5. 7. Schütz (München) * 5. 7. Seidl (Dorfen) * 5. 7. Spies (Brücken) 4. 7. Struve 5. 7. Dr. Wahl* 5. 7. Frau Dr. h. c. Weber (Essen) * 5. 7. Dr. Will 5. 7. Dr. Zimmer * 5. 7. *) für die Teilnahme an der Tagung der Versammlung der Westeuropäischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Umdruck 150 Änderungsantrag der Fraktion der SPD zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1958, hier: Einzelplan 14 Geschäftsbereich des Bundesministers für Verteidigung (Drucksachen 300 Anlage, 464, 490). Der Bundestag wolle beschließen: In Einzelplan 14 - Geschäftsbereich des Bundesministers für Verteidigung sind die Gesamtausgaben um 3 000 000 000 DM zu kürzen. Bonn, den 1. Juli 1958 Ollenhauer und Fraktion Anlage 3 Schriftliche Antwort des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Wienand (Fragestunde der 35. Sitzung vom 26. Juni 1958, Drucksache 473, Frage 16): Ist der Bundesregierung bekannt, daß bei der als Musterzusammenlegung bezeichneten Zusammenlegung in Ägidienberg (Siegkreis) eine Freifläche von ca. 9 bis 10 Morgen nicht an einen Landwirt, der sich zur Abrundung seines Besitzes darum beworben hatte, verkauft worden ist, sondern an einen Nichtlandwirt? Ist die Bundesregierung bereit, in Zukunft alles ihr Mögliche zu tun und darauf hinzuwirken, daß Landwirte zur Abrundung ihres Besitzes und zur Herstellung ihrer Existenzfähigkeit in den Besitz solcher Freiflächen bei Zusammenlegungsverfahren kommen? Ihre Frage erlaube ich mir, wie folgt, zu beantworten: Die praktische Durchführung der Flurbereinigungen und beschleunigten Zusammenlegungen ist Angelegenheit der Länder. Nach den bei der zuständigen Landesbehörde getroffenen Feststellungen liegt der Fall folgendermaßen: Bei der in Frage stehenden Fläche handelt es sich um mehrere, seit Jahrzehnten nicht mehr in Kultur befindliche, versumpfte und von Quellen durchsetzte Grundstücke mit einer Gesamtgröße von 2,58 ha, die im Rahmen der Flurbereinigung zusammengefaßt worden sind, aber wegen ihres 'schlechten Kulturzustandes nicht an einen Beteiligten der Flurbereinigung ausgewiesen werden konnten. Die Fläche wurde daher nach öffentlicher Bekanntmachung im Februar 1957 zum Verkauf ausgeschrieben. Als Kaufinteressenten bewarben sich der Eigentümer eines größeren Hofeis mit 50 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche und 125 ha Wald, der die Fläche zur Abrundung seines Waldbesitzes aufforsten wollte, und außerdem ein Viehhändler und Metzgermeister, der sie zu kultivieren und als Viehweide zu nutzen beabsichtigte. Im Herbst 1957 und Frühjahr 1958 bewarben sich aus anderen Gemeinden zwei weitere Landwirte. Der Vorstand der Teilnehmergemeinschaft der Flurbereinigung beschloß jedoch am 16. April 1958 einstimmig, die Fläche an den Viehhändler zu verkaufen, da dieser am ehesten in der Lage sei, die für eine Kultivie- 2248 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1958 rung notwendigen erheblichen Mittel aufzubringen und so das Land einer landwirtschaftlichen Nutzung zuzuführen. Eine Eigentumsübertragung hat noch nicht stattgefunden. Der Vorstand der Teilnehmergemeinschaft soll nochmals mit der Angelegenheit befaßt werden. Die Bundesregierung ist zwar in Verfolgung Ihres Programms zur Verbesserung der Agrarstruktur immer bemüht gewesen, auf die Länder dahingehend einzuwirken, daß alle innerhalb und außerhalb von behördlich gelenkten Flurbereinigungs- und beschleunigten Zusammenlegungsverfahren frei werdenden Flächen, die sich für eine landwirtschaftliche Nutzung eignen, zur Aufstockung landwirtschaftlicher Betriebe bis auf die Größe von Familienbetrieben verwendet werden. Es ist aber in der praktischen Durchführung nicht möglich, diesen Grundsatz in jedem einzelnen Fall zu verwirklichen. Bonn, den 27. Juni 1958 Lübke
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    Rede von Dr. Max Becker


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich der Beruhigung wegen — dabei denke ich an die vergangene Woche — mit einer Banalität beginnen. Wenn im Ausland unsere Sportler einmal nicht den gewohnten Sieg davongetragen haben, dann geht davon die Welt noch nicht unter.

    (Beifall.)

    Wenn deutsche Technik und deutsches Kunstschaffen im Ausland Anerkennung finden und wenn deutsche Sportler gewinnen, dann verdienen sie unseren Beifall, dann verdienen sie unser Lob, und dann sind wir stolz auf sie, — aber die außenpolitische Lage Deutschlands hat sich dadurch nicht geändert.

    (Beifall bei der FDP und SPD. — Abg. Wehner: Leider wahr!)

    Vergessen wir doch nie, wenn wir hier Außenpolitik treiben, wie die Welt wirklich aussieht! Da haben wir die beiden großen Staaten, die Atomgiganten, mit 180 Millionen Menschen in den USA und 220 Millionen in der Sowjetunion, dann die 350 Millionen in Hindustan, 80 Millionen in Pakistan, 80 Millionen in Indonesien, 88 Millionen in Japan und die 600 Millionen Einwohner von China mit 15 Millionen Menschen jährlichem Geburtenüberschuß, mit jenem China, das vor wenigen Tagen der großen amerikanischen Nation eine ultimativ befristete Aufforderung zugesandt hat, mit jenem China, in dem vor neun Jahren, 1949, das



    Dr. Becker (Hersfeld)

    letzte englische Kanonenboot den Jangtsekiang verließ, verfolgt von Artillerieschüssen der MaoTse-tung-Armee.
    Das müssen wir uns vor Augen halten, wenn wir Außenpolitik treiben wollen. Dann kommt uns das, was uns hier angeht, so bescheiden vor, daß ich einmal etwas in folgender Form ganz kurz formulieren möchte. Was sollte unser gemeinsames deutsches Anliegen sein? Frieden, Freiheit und Sicherheit für uns! Wiedervereinigung Deutschlands mit Berlin als Mittelpunkt und endlich ein freies und geeintes Gesamteuropa!

    (Beifall auf allen Seiten des Hauses.)

    Ich kann Ihnen nur sagen: wir, die Freien Demokraten, stehen gerade zur Erfüllung dieser Voraussetzungen zu den von uns mitabgeschlossenen Verträgen. Wir sind bereit, die Freiheit und die Sicherheit zu verteidigen. Wir bejahen auch eine Wehrpolitik, die der Lage Deutschlands und den rüstungstechnischen Gegebenheiten, aber auch der finanziellen Leistungsfähigkeit der Bundesrepublik entspricht. Bei alledem haben wir unsere Mittellage zwischen Ost und West zu beachten.
    Wie wollen wir das verwirklichen? Wenn wir hier eine außenpolitische Debatte führen, habe ich immer den Eindruck, daß sie, nachdem sie zuvor in der Presse mit großem Tamtam angekündigt worden ist, wie ein großer Strom beginnt. Dann entwickelt es sich in umgekehrter Richtung — etwa entsprechend der Symphonie von Smetana über die Moldau — von einem Strom rückwärts in einen Fluß und in ein Bächlein, und zum Schluß ist alles aus. Überschrift: Hornberger Schießen.

    (Heiterkeit.)

    Könnte man es nicht anders machen? Fangen wir einmal beim Außenpolitischen Ausschuß an! Ich bin seit 1949 Mitglied dieses Ausschusses. Ich will von vornherein zugeben — ich wende mich dabei an die Adresse unseres verehrten Kollegen Kiesinger und unseres Außenministers —, daß sich in den letzten Wochen Ansätze einer fruchtbaren, ergiebigen Diskussion gezeigt haben.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Aber was haben wir vorher erlebt! Da hat man unter dem Siegel der Vertraulichkeit mitgeteilt, was wir aus der ausländischen Presse längst wußten. Auf der anderen Seite hat man, um in die Dinge einzudringen, Fragen gestellt, die nicht Aufklärungsfragen, sondern Fangfragen waren; jetzt spreche ich einmal von der Opposition. Das genügt nicht, um Außenpolitik zu treiben.
    Wir haben in der Regierungserklärung vom vergangenen Herbst gehört, daß von der Regierung eine gemeinsame Außenpolitik gewünscht wird. Gut, wir sind auch der Meinung, sie sollte kommen. Warum sollte sie kommen? Überlegen wir doch einmal: Gibt es eine sozialistische, gibt es eine christlich-demokratische, gibt es eine liberale, gibt es eine klerikale Außenpolitik? Ich kenne nur eine deutsche Außenpolitik, und zwar eine Außenpolitik mit festen Zielen, während sich die Methoden von Fall zu Fall je nach den Umständen ändern müssen.

    (Beifall bei der FDP.)

    Deshalb bin ich der Meinung, es gäbe die Grundlage für eine gemeinsame Außenpolitik.
    Ferner: Die Durchschlagskraft der deutschen Argumente nach außen würde verstärkt werden, wenn gesagt werden könnte, hinter dieser Politik stehen alle Parteien.

    (Beifall auf allen Seiten des Hauses.)

    Auch deshalb sollten wir uns bemühen, zu einer gemeinsamen Außenpolitik zu kommen. Gerade jetzt, wo wir vor der Gipfelkonferenz stehen— ich darf in diesem Zusammenhang Herrn Kollegen Gradl für seine Ausführungen und für die prompte Vorlage des im Auswärtigen Ausschuß erarbeiteten Schlußantrags danken —, würde unser Anliegen besonders unterstützt sein, wenn wir mit einer gemeinsamen Außenpolitik aufwarten könnten. Der heute vorliegende Antrag ist dazu zwar nur ein kleiner, aber immerhin doch ein Anfang.
    Aus welchen Gründen noch eine gemeinsame Außenpolitik? Ich will es Ihnen ganz offen sagen: Ich habe in meiner Jugend — ich war damals etwa 20 bis 25 Jahre — in den Jahren vor dem ersten Weltkrieg mit Bangen erlebt, wie sich da die Wolken ,zusammenzogen, wie aus der Angst vor der Einkreisung, wie aus einem Rüstungswettbewerb zwischen Deutschland und England, wie aus den Balkanwirren, wie aus dem österreichisch-russischen Gegensatz sich ein Gewölk formte, bis dann mit dem Mord von Sarajewo der Blitz aus dem Gewölk her-niederfuhr und der Weltkrieg da war. Mich erinnert die heutige Situation furchtbar an jene Zeit. Ich habe die Sorge, daß es gehen könnte wie damals. Auch damals hat keiner der beteiligten Staaten einen Krieg gewollt. Ich bin überzeugt, daß angesichts des Gleichgewichts der Atomwaffen auch heute kein Staat dazu verführt werden könnte, vorsätzlich einen Krieg zu wollen. Aber so wie damals nach den Worten von Lloyd George die Menschheit, die europäische Menschheit zunächst und dann die weitere, in den Krieg hineingeschlittert ist, so könnten wir — das ist meine Sorge — durch. Mißtrauen, durch Unvorsichtigkeiten irgendwelcher Art in einen solchen Krieg hineinstolpern.

    (Beifall bei der FDP und SPD.)

    Deshalb bin ich der Meinung, wir könnten in der deutschen Politik durch alle Parteien hindurch auch darin übereinstimmen, wie ein solches Stolpern zu vermeiden wäre, d. h. daß wir uns überlegen, wie wir irgendwie aus den Dingen herauskommen und wie wir die internationale Atmosphäre dahin bessern können, daß derartige Gefahren beseitigt sind.
    Ich bitte, meine Damen und Herren, zu verstehen, wenn ich jetzt manche Ausführungen mache, daß sie keineswegs nur an unsere Adresse und keineswegs an die Adresse der Bundesregierung allein gerichtet sind, sondern weiter hinauszielend an alle diejenigen, die es angeht, auch an unsere Verbündeten. Ich darf noch einmal eine Erinnerung an den ersten Weltkrieg bringen. Damals die Parole: Durchhalten!



    Dr. Becker (Hersfeld)

    Durchhalten kann richtig sein, wenn eine Festung belagert ist und diese Festung durchhält, weil ihr Entsatz in Aussicht steht. Durchhalten kann richtig sein für einen vorgeschobenen Truppenteil, der standhalten muß, bis sich im Hintergrund neue Formationen gebildet haben für die Endentscheidung. Aber Durchhalten schlechthin für einen Staat allein ist gar nichts, ist falsch. Eine Zeitung — ich glaube, es war die „Welt" — hat am vergangenen Sonnabend an eine Szene aus dem ersten Weltkrieg erinnert. Damals, im Juni 1918, hat der Staatssekretär des Auswärtigen, Herr von Kühlmann, im Reichstag erstmalig davon gesprochen, daß das Durchhalten falsch sei und daß man verhandeln müsse. Er hat durchblicken lassen, daß er Verhandlungen eingeleitet habe.

    (Abg. Dr. Gülich: Er ist gestürzt worden!)

    — Er wurde gestürzt. Das war im Juni. Im August verlangte die Oberste Heeresleitung die Einleitung von Waffenstillstandsverhandlungen. Und im November 1918 war alles vorbei!
    Meine Damen und Herren! Alle Vergleiche hinken, aber die Vergangenheit ist dazu da, daß wir aus ihr lernen. Ich bin der Meinung, daß wir beizeiten durch unseren deutschen Beitrag im Zusammenwirken mit den anderen Nationen versuchen sollten, in Ausgleichsverhandlungen und in diplomatischen Verkehr mit den Staaten, mit denen wir noch nicht im Verkehr stehen, zu kommen. Man sage nicht, das widerspreche dieser oder jener Weltanschauung, es ginge nicht, weil wir damit dieses oder jenes anerkennen würden, was uns nicht liegt. Ich bin nun mal für Beispiele aus der Vergangenheit; deshalb bekommen Sie gleich noch zwei vorgesetzt.

    (Abg. Kiesinger: Herrn Bethmann-Hollweg haben Sie vergessen!)

    — Ich gehe noch viel weiter zurück zu einem, der viel mehr gekonnt hat als Bethmann-Hollweg, nämlich zu Bismarck. Als der Krim-Krieg nahte, waren die preußischen Fortschrittler der Meinung, es wäre nun die beste Gelegenheit, dem totalitären Staat des zaristischen Rußlands mit seinen Unterdrückungen,

    (Abg. Kiesinger: Totalitär?)

    mit seiner Unterdrückung der Meinungsfreiheit

    (Abg. Kiesinger: Es war nicht totalitär, sondern diktatorisch!)

    — das ist ungefähr dasselbe —, mit seinen Einkerkerungen, mit seinen Verbannungen nach Sibirien, einen richtigen Denkzettel zu versetzen; man solle sich am Krim-Krieg beteiligen. Bismarck tat es nicht, weil er davon ausging, daß er nicht nach Neigungen und nach Gefühlen zu handeln habe, sondern nach den Tatsachen. Und er hat recht daran getan, wenn man die weitere Zukunft bedenkt.

    (Abg. Dr. h. c. Pferdmenges: Beim KrimKrieg war Bismarck noch gar nicht da!)

    — Doch, er ist 1815 geboren, und er war damals Mitglied des Abgeordnetenhauses und hat sich in der von mir eben geschilderten Form geäußert. Wenn Sie es aber bezweifeln, dann empfehle ich
    Ihnen die neueste Biographie über Bismarck von Ludwig Reiners. Da können Sie es genau nachlesen. Wenn ich es nicht vor ein paar Wochen gelesen hätte, wüßte ich es vielleicht auch nicht so genau.

    (Unruhe und Zurufe von der CDU/CSU. — Abg. Dr. Bucerius: Er war nur Abgeordneter!)

    — Wenn Sie soviel Zwischenrufe machen, wird es immer noch länger; Ihr Schade!

    (Abg. Kiesinger: Wir hören Sie aber gern!)

    — Danke sehr, das schmeichelt mir.
    Nun das andere Beispiel! Als er auch noch nicht Minister, aber immerhin Gesandter in Paris war, machten ihm diesmal nicht die Fortschrittler, sondern die Gegenpartei, seine konservativen Freunde und Standesgenossen, zum Vorwurf, daß er sich mit einem Mann wie Napoleon III., der auf Grund des demokratischen Plebiszits gewählt sei, mit diesem Kronenräuber und Prätendenten unterhalte. Er sagte wieder: Ich richte mich nach den Interessen, die ich zu vertreten habe, und nach den Tatsachen, die ich vorfinde.
    Meine Damen und Herren, das war damals richtig, und es hat sich als richtig erwiesen. Vielleicht könnten wir — ich darf nochmals einschalten: unter „wir" verstehe ich nicht nur Deutschland — uns alle ein bißchen danach richten. Mein Wunsch ist also auch hierzu, daß wir uns in einem Gremium zusammensetzen und eine gemeinsame Außenpolitik finden.
    Ich hatte im vergangenen November an alle Fraktionen dieses Hauses einen entsprechenden Vorschlag brieflich herangetragen und dem Herrn Bundeskanzler sowie dem Herrn Minister des Auswärtigen davon Kenntnis gegeben. Ich konnte die Dinge nicht weiter verfolgen, weil ich dann, wie Sie wissen, längere Zeit krank war. Der Versuch ist im Sande verlaufen.
    Ich hatte darauf hingewiesen, daß die Bundesregierung einmal erklärt hatte, daß sie im Auswärtigen Ausschuß eigentlich nicht so frei sprechen könne, wie es nötig wäre. Meine Damen und Herren, daß dort die Vertreter der Länder sitzen, ist nicht unsere Schuld. Ich sage das, obwohl ich Mitglied des Parlamentarischen Rates war. Es ist nicht unsere Schuld; denn diese Sorte Föderalismus wollten wir ja nicht. Wir Bundestagsabgeordnete sitzen ja auch nicht in den Ausschüssen des Bundesrates, um zuzuhören und hineinzureden. Wenn es der Regierung zu viele Vertreter der Ministerien bei den Beratungen des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten sind, kann sie das ja kraft ihrer exekutiven Vollmachten abstellen. Jedenfalls ist der Hinweis, der Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten sei nicht sicher genug und deshalb könne die Regierung nicht alles das, was sie sonst vorgetragen hätte, vortragen, eine Unmöglichkeit. So etwas ist in keinem Parlament der Welt möglich.

    (Beifall bei der FDP und der SPD.)

    Um diesen Einwänden Rechnung zu tragen, hatte ich damals vorgeschlagen, eventuell ein anderes



    Dr. Becker (Hersfeld)

    Gremium, wenn auch nicht gerade institutioneller, aber konsultativer und unterrichtender Art zu schaffen. Auch das ist nicht geglückt. Der Herr Minister für auswärtige Angelegenheiten, der mir dankenswerterweise geantwortet hat, wies darauf hin, daß es zunächst Sache der Fraktionen sei, sich dazu zu äußern, und ließ durchblicken, daß ihm der Auswärtige Ausschuß lieber wäre. Mir auch, wenn wir im Auswärtigen Ausschuß jede Aufklärung bekommen!
    Ich will Ihnen ganz offen sagen, welche Aufklärungen wir wünschen. Ich möchte im Auswärtigen Ausschuß eine Aussprache haben über die militärstrategische Lage der Welt und die Stellung Deutschlands in ihr und zu ihr. Ich möchte eine Aussprache über den Verteidigungsplan haben, wie ihn sich die Regierung nunmehr organisatorisch denkt, eine Aussprache über die Konzeption, nach der sie Deutschland zu verteidigen gedenkt. Ich möchte, um nur eines zu sagen, das Wesentliche aus allen Berichten der Botschafter und Gesandten wissen. Ich möchte wissen, wie für den Fall eines Zusammenstoßes die Luftschutzsicherung der deutschen Bevölkerung gedacht ist, und weiter möchte ich wissen, was das alles zusammen kostet, damit wir aus diesem Gesamtplan heraus das, was mir und meinen Freunden am Herzen liegt, schaffen können, nämlich die gemeinsame deutsche Außenpolitik.
    Der Bundeskanzler hat mir damals im November 1957 geantwortet, er habe meinen Brief mit Interesse gelesen; er würde demnächst auf die Sache zurückkommen. Ich hoffe, daß dies wohl „demnächst" geschieht.

    (Abg. Schröter [Berlin] : Hoffen und harren, Herr Kollege!)

    Nun einige Einzelfragen! Ich trage sie nicht deshalb vor, damit wir hier darüber disputieren, sondern tue es in dem Bestreben, eine gemeinsame Lösung bei der Erörterung in dem von mir in Aussicht genommenen Ausschuß zu finden.
    Zunächst folgende Frage: Wer ist in Fragen der Außenpolitik nun eigentlich der Sprecher der Bundesregierung, der sich mit uns zusammenzusetzen hätte?

    (Beifall bei der FDP und der SPD.)

    Ist es der Herr Bundeskanzler? Er gibt die Richtlinien der Politik an, und er ist der Vorgänger des Herrn von Brentano auf dem Posten des Ministers des Auswärtigen. Oder ist es der Herr Minister des Auswärtigen, der aber den Richtlinien des Herrn Bundeskanzler zu folgen hat? Ich will ganz offen, in allem Ernst und in aller Freundschaft eine Stellungnahme zu diesem Punkt versuchen. Es ist menschlich absolut verständlich, daß jemand, der einen Posten gehabt hat und ihn dann abgibt, gleichzeitig aber das Recht hat, die Richtlinien für die Ausführung der Geschäfte dieses Postens noch zu bestimmen, und der in der gleichen Bundesregierung, in dem gleichen Kollegium sitzt, in die Versuchung kommt, in die Angelegenheiten seines bisherigen Ressorts einzugreifen, wenn er der Meinung ist, daß er es besser kann. Es ist aber ebenso klar, daß der, der diesen Posten nunmehr eingenommen hat, das Bestreben hat, selbständig zu werden, selbständig zu handeln, selbständig zu denken.

    (Abg. Wehner: Nicht immer!)

    Es können daraus gewisse Widersprüche entstehen; es kann sich daraus ein gewisser, vielleicht nach außen nicht immer sichtbarer, aber doch vorhandener Zickzackkurs ergeben. Ich möchte das mal mit aller Deutlichkeit ansprechen; denn wir werden, wenn wir uns zusammensetzen wollen, um eine gemeinsame Außenpolitik zu betreiben, uns auch darüber klarsein müssen, wer tatsächlich das entscheidende Wort zu sprechen hat.
    Wir haben einen Kollegen in unserer Fraktion, der oft sehr treffsichere Bemerkungen von sich gibt. Er meinte, Herr von Brentano fände wohl nicht unseren Beifall, aber vielleicht doch ein beinahe an Mitleid grenzendes Bedauern.

    (Zurufe von der Mitte: Na, Na! — Oh! — Abg. Niederalt: Da würde ich aber an Ihrer Stelle mehr Geschmack zeigen! Weitere Zurufe von der Mitte.)

    Nun eine weitere Frage. Es reden noch mehr über Außenpolitik. Ich meine nicht die dei minores, wie wir Bundestagsabgeordnete; die finden im Ausland nicht die Aufmerksamkeit! Wohl aber finden die Minister kraft ihres Amtes und kraft ihres Ranges dort Widerhall. Man kann als Prätendenten für auswärtige Angelegenheiten den Herrn Minister des Innern nennen, man kann den Herrn Bundeswehrminister nennen.
    Da fällt mir wieder eine Geschichte von früher ein. Es gab da mal einen gewissen Moltke; er wurde der große Schweiger genannt. Moltke ist „Moltke" wegen seiner Tugenden und Leistungen geworden, aber auch deswegen, weil er zur rechten Zeit zu schweigen wußte.

    (Beifall bei der FDP und der SPD.)

    Dann wäre noch ein scharmanter Herr zu nennen, der Herr von Eckardt,

    (Heiterkeit — Abg. Dr. Menzel: Die Gegenüberstellung ist gut!)

    der liebenswürdige Souffleur der Bundesregierung

    (erneute Heiterkeit)

    und der liebenswürdige und scharmante Retoucheur der Bundesregierung,

    (fortgesetzte Heiterkeit und Beifall bei der FDP)

    wenn es gilt, übereilte Bemerkungen ins richtige Gleis zu bringen. Wir möchten nun wissen, wer mit Autorität und mit Verantwortung spricht. Ich glaube, das Parlament hat ein Recht darauf, diese Dinge geklärt zu sehen.
    Noch einige weitere Einzelpunkte. Ich bin der Meinung, man sollte in der Politik keine Doktrinen aufstellen. Der Satz, daß man in der Politik — erst recht in der Außenpolitik — niemals „niemals" sagen sollte, ist wohl bekannt. Wir haben, als wir im Jahre 1955 die diplomatischen Beziehungen mit



    Dr. Becker (Hersfeld)

    Rußland aufnahmen, am Tage darauf im Gegensatz dazu die These aufgestellt, daß wir mit keinem anderen Land diplomatische Beziehungen aufnehmen würden, welches mit der sogenannten DDR seinerseits Beziehungen unterhalte. Ob diese Doktrin richtig ist oder nicht, darüber können wir uns in dem engeren Gremium, von dem ich immer spreche, unterhalten. Aber bestimmt war es falsch, diesen Grundsatz öffentlich zu plakatieren;

    (Abg. Dr. Menzel: Sehr richtig!)

    denn in dem Augenblick gaben wir ja irgendeinem anderen Land die Chance in die Hand, uns in irgendeine Situation hineinzumanövrieren, in der wir nun entweder diesen Grundsatz zu unserem Schaden anwenden oder ihn zurücknehmen mußten. Wir stehen vor ähnlichen Problemen, wenn wir die im Bundestag schon wiederholt angeschnittene Frage der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu den Staaten des Ostblocks, auch zu China, zu erörtern haben. Wir sind im Begriff, sie im Ausschuß zu erörtern. Ich möchte wünschen, daß wir das bald tun.
    Dazu ein weiteres. Es gibt einen Satz, der lautet: bis dat, qui cito dat. In zweifacher Richtung übersetzt heißt das einmal: Wer schnell etwas tut, bekommt es für die Hälfte, und zum andern: Wer zu spät etwas tut, zahlt das Doppelte. Das gilt nicht nur für uns, es gilt vielleicht für die ganze weite Welt, auch in Ostasien. Ich glaube, wir sollten auch diesen Satz bei unseren gemeinsamen Erörterungen auf bestimmte Angelegenheiten anwenden.
    Dann zu Frankreich. Ich kann dem Herrn Kollegen Meyer nicht zustimmen, wenn er hier die Möglichkeiten, die sich aus dem Regierungswechsel in Frankreich ergeben haben, erörtert. Ich stimme hier dem Herrn Außenminister zu; denn ich halte es nicht für richtig, solche Fragen hier zu erörtern. Das können wir in unserem Ausschuß zur Genüge tun, aber nicht hier in der Öffentlichkeit. Warten wir ab, was sich in Frankreich entwickelt, warten wir die Tatsachen ab, und üben wir bis dahin Zurückhaltung!

    (Beifall.)

    Wir haben manchmal — jetzt muß ich gegen mein Fach sprechen; ich bin nämlich Rechtsanwalt — zuviel Juristerei in der Außenpolitik.

    (Zurufe von der Mitte: Das stimmt! — Nicht nur in der Außenpolitik!)

    Ein guter außenpolitischer Vertrag sollte nicht mehr als höchstens 25 Paragraphen haben. Dann kann man etwas damit anfangen; wenn er mehr hat, ist die Sache schon faul. Ich entsinne mich, daß damals, als der Abschluß des Vertrages mit Jugoslawien zur Debatte stand, der inzwischen nach Europa abgereiste Staatssekretär Hallstein von dieser Tribüne aus — ich glaube, auf eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen von Manteuffel-Szoege — den Standpunkt vertreten hat: Wir geben ja das Geld nur auf Grund einer gewissen Geschäftsgrundlage, damit die Beziehungen so und so bleiben. Er ließ dabei mit einem gewissen Seitenblick auf die berühmten §§ 812 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches
    durchblicken, daß man gegebenenfalls die weiteren Zahlungen sperren oder vielleicht sogar zurückfordern könne. Ich habe damals nichts gesagt. Ich durfte nämlich nichts sagen, weil ich eben am Präsidentenpult saß. Aber man kann — damit will ich es kurz zusammenfassen — die Außenpolitik nicht so behandeln wie einen Zivilprozeß am Landgericht in Bonn. Das eine schließt das andere aus.

    (Beifall bei der FDP und der SPD.)

    Nicht richtig war es, bei der Bestallung des Herrn Außenministers von Brentano den Herren Hallstein und Blankenhorn zuzubilligen, daß sie über seinen Kopf hinweg dem Herrn Bundeskanzler unmittelbar Vortrag halten konnten; denn das mußte die Autorität des Bundesaußenministers mehr oder weniger untergraben.

    (Erneuter Beifall bei der SPD.)

    Aber damit will ich meine Ausführungen zu den einzelnen Punkten abschließen. Ich denke, daß wir noch im Ausschuß, den ich wiederholt anempfehle, darüber sprechen wollen.
    Noch ein Gedanke zum Schluß. Man wirft uns Deutschen oft vor, daß wir das militaristischste Volk der Welt seien, und dagegen möchte ich einmal Stellung nehmen. Wenn man uns, nachdem wir zwei Kriege verloren haben, nachdem das deutsche Volk und die deutsche Jugend sich nicht zu den Waffen gedrängt haben und nachdem man uns als Militaristen verschrien hat und uns hat entwaffnen wollen, jetzt vom Westen und vom Osten bittet, doch ja wieder zu den Waffen zu greifen — die einen im Westen, die anderen im Osten — dann liegt darin immerhin eine gewisse Anerkennung, daß wir militärtüchtig seien. Aber es entspricht nicht so sehr dem, was wir wollen, und es ist geradezu eine Tragik der jetzigen deutschen Geschichte, daß wir wegen unserer Militärtüchtigkeit nun praktisch zerrissen sind, denn wenn wir nicht in West und Ost als militärtüchtig gälten, wären wir vielleicht gar nicht gespalten.
    Sind wir wirklich das militaristische Volk, als das wir verschrien werden? Wenn wir den zweiten Weltkrieg nehmen: ich glaube, jeder unbefangene und objektive Beurteiler auch im Ausland wird ihn ausnehmen; denn er ist von einer totalitären Regierung angezettelt worden, die nicht auf das Volk und seinen Willen zu hören brauchte. Wenn Sie an den ersten Weltkrieg denken, dann gilt von ihm das, was ich vorhin ausführte, das Wort von Lloyd George, daß damals alle Länder in den Weltkrieg hineingeschlittert sind. Aber wie war es denn vorher, vor 1914? Gewiß haben wir mit Frankreich oft die Klinge gekreuzt; aber das ist ja nun Gott sei Dank vorbei, und ich möchte der Hoffnung Ausdruck geben, daß die guten und freundnachbarlichen Beziehungen, die sich mit Frankreich angebahnt haben, auch in dieser Beziehung ihren Fortgang nehmen möchten. Mit England haben wir bis 1914 nie Krieg geführt. Mit den Vereinigten Staaten haben wir vor 1914 nie Krieg gehabt. Ich darf bei dieser Gelegenheit — es ist jetzt zehn Jahre her, daß der Marshall-Plan in



    Dr. Becker (Hersfeld)

    Kraft trat — vielleicht in Ihrer aller Namen dem Dank an die amerikanische Nation dafür Ausdruck geben, daß sie uns damals durch die großzügige Hilfe des Marshall-Plans — eine Hilfe, die der Sieger dem Besiegten gewährt hat — wieder hat auf die Beine helfen können. Dafür sei dieser großen Nation unser Dank ausgesprochen.

    (Beifall bei allen Parteien.)


    (Vorsitz: Vizepräsident Dr. Preusker)

    Und nun Rußland! Haben wir eigentlich vor 1914 mit Rußland Krieg gehabt? Ich glaube, man muß schon um 150 Jahre bis zu dem Siebenjährigen Krieg zurückgehen, um einen solchen kriegerischen Zusammenstoß festzustellen, einen Zusammenstoß, der in letzter Linie dadurch hervorgerufen war, daß Friedrich der Große und die Zarin Elisabeth sich gegenseitig spitzige Epigramme zugeschickt hatten und es dadurch der Madame Pompadour leicht geworden war, sie mit Maria Theresia, dieser dritten Dame im Bunde gegen Friedrich den Großen, zusammenzuführen. Ich darf darauf verweisen, daß im Krim-Krieg Preußen gegenüber Rußland neutral blieb. Ich darf weiter darauf verweisen, daß es sogar zwischen den beiden Weltkriegen einmal eine Situation gegeben hat, die vielleicht in der Grundlage vorbildlich sein könnte. Wir, Deutschland, waren damals durch die Verträge von Locarno und durch den Eintritt in den Völkerbund mit dem Westen verbunden und lagen endlich richtig — richtig im Gegensatz zu dem Versuch, immer in der Mitte für sich zu stehen —; gleichzeitig aber hatte ein gewisser Stresemann einen Vertrag — —

    (Zuruf von der CDU/CSU: „Gewisser"?)

    — Ja, ein gewisser Stresemann. Ich denke da an den Stresemann-Film; so, wie der Film ihn zeigt, war er nicht.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Er war zwar auch der Europäer, war zwar auch der Mann, der mit Frankreich Ausgleich und Frieden wollte, und wir haben ihm als junge Menschen zugejubelt, als er diese Politik verkündete; aber er war auch der Mann realistischer Entschlüsse, der wußte, daß entscheidend sein kann, unter Umständen auch einmal eine Drehung vorzunehmen, und er war der Mann, von dem ich jetzt sprechen wollte, der daran gedacht hat, daß wir in Deutschland zwischen West und Ost liegen. Denn als wir uns mit dem Westen so verankert hatten, da schloß er mit dem Osten, mit Rußland den berühmten Vertrag vom April 1926, in dem stand, daß sich beide Staaten gegenseitig Neutralität zuerkennen, das heißt, daß, wenn der eine unprovoziert angegriffen wird, der andere neutral bleibt, und vice versa, und daß beide ferner einen Nichtangriffspakt abgeschlossen hatten. Es war ein kluges Beispiel. Denn dieser Vertrag schuf dem Osten die Garantie, daß er unter den damaligen Verhältnissen vom Westen wenigstens über Deutschland hinweg nicht angegriffen werden konnte, und er schuf dem Westen die Garantie, daß 'er ohne deutsche Zustimmung vom Osten über deutsches Land hinweg nicht angegriffen werden konnte.
    Es war ein merkwürdiges Zusammentreffen —vielleicht auch nicht ein merkwürdiges Zusammentreffen, vielleicht sogar ein gewolltes Zusammentreffen —, daß bei dem Besuch des Herrn Mikojan die Veröffentlichungen der sowjetrussischen Botschaft in Bonn an diesen Vertrag erinnert haben. Ich möchte in Erinnerung an diesen damals erschienenen Aufsatz unsere Auffassung dazu, so wie ich sie soeben geschildert habe, in Erinnerung rufen. So war's! Nicht irgendwelche Abschattierungen anderer Art. Aber wenn über diese Richtung verhandelt werden sollte — warum nicht?
    Als Herr Mikojan hier war, ist wiederholt jene russische These bestätigt worden, die da sagt, wir sollten uns zunächst mit Pankow an einen Tisch setzen, und dann werde man ja sehen; eine deutsche Einigung sei eine Sache der Deutschen unter sich. Darauf ist folgende Frage zu stellen. Wenn diese Behauptung echt ist: wird Rußland unbesehen zu allem, was die beiden, Bonn und Pankow, etwa ausmachen würden, Ja und Amen sagen? Kann der Kreml uns heute schon die Zustimmung von Washington, London und Paris dazu geben, daß alles, was die beiden miteinander ausmachen, gebilligt werden würde? Ich glaube, wenn Sie die Frage so stellen, dann stellen Sie nur einer dialektisch gewollten Ausrede eine dialektisch gewollte replicatio entgegen. Die Dinge sollten realistischer betrachtet werden; und die realistische Betrachtung ist die, daß der Osten heute noch im Besitz dessen ist, was unserer Auffassung nach unser ist, daß es aber immerhin eine Atlantik-Charta gibt und ein Potsdamer Abkommen, das uns Rechtsansprüche gibt.
    Es kommt noch eines hinzu. Der Osten ist im Besitz von Ländern, die nicht im russischen Besitz bleiben wollen. Er ist im Besitz von Ländern, die praktisch als russische Kolonien behandelt werden. Wenn Rußland dem Westen Kolonialismus vorwirft — uns trifft dieser Vorwurf des Kolonialismus schon lange nicht mehr —, dann kann mit gleichem Recht entgegengehalten werden, daß auch der Osten Kolonialismus betreibt in einer Form, die — und hier mache 'ich dem freien Westen den Vorwurf der mangelnden politischen und psychologischen Initiative —, wenn sie bei den Ländern, um deren Gunst der Osten heute buhlt, richtig bekannt würde, doch auch ein gewisses Erwachen zur Folge haben müßte.
    Ich glaube, auf die Dauer wird Rußland sich darüber klar sein müssen, daß der alte Satz immer seine Richtigkeit hat: „Pfeiler, Säulen kann man brechen, aber nicht ein freies Herz." Das gilt für unsere Deutschen in der Sowjetzone, das gilt auch für die armen osteuropäischen Völker, die doch von europäischem Geiste sind und vom europäischen Freiheitsgefühl noch Funken in sich spüren und das tapfer gezeigt haben. Ich glaube, daß, wenn ich vorhin von dem Satz sprach: „Bis dat qui cito dat", das vielleicht auch im Verhältnis der Sowjetunion zu den Staaten des Ostblocks dereinst von Bedeutung sein kann. Denn ich kann mir nicht vorstellen, daß diese Art Kolonialismus, aufrechterhalten mit unendlichem Zwang, ewig dauern könnte. Hier wird irgendwann auch aus der inneren



    Dr. Becker (Hersfeld)

    russischen Überlegung heraus die Konsequenz kommen müssen.
    Noch ein Letztes! Erinnern wir uns wieder daran, daß das Ziel des Marxismus, des Leninismus folgendes ist! Wie St. Marx und St. Lenin gepredigt haben, geht der kapitalistische Westen angeblich an seinen eigenen inneren Schwierigkeiten, an seinem eigenen kapitalistischen System zugrunde. Diese Theorie wird heute noch aufrechterhalten. Wenn der Stalinismus, auch der wieder neu erweckte Stalinismus einen Sinn hat, dann doch den, auch diese Theorie aufrechtzuerhalten.
    Ich bin überzeugt, daß die russische Expansion auch auf dem Gebiet vorangeht, das ich eben angedeutet habe. Die Sowjetunion will ihre industrielle Produktion und ihren Export derart steigern, daß sie Amerika übertrifft, und zwar nur deshalb, um dieser Theorie von Marx und Lenin Folge zu leisten, den Export der westlichen Länder zu drosseln und verkümmern zu lassen. Wozu kämpft Rußland um die Seele der Völker im Südosten Asiens, im mittleren Orient, in Afrika, vielleicht demnächst in Südamerika? Um sie für sich zu gewinnen, um sie auf der Grundlage ihrer Zuneigung als Absatzmärkte zu gewinnen und im freien Westen, im sogenannten kapitalistischen Westen, Exportschwierigkeiten, soziale Spannungen und Währungsverfall hervorzurufen, so daß es dann mit einem letzten militärischen Stoß diese Länder leichthin an sich bringen kann.
    Bitte, meine Damen und Herren, unterschätzen Sie diese Gedankengänge nicht! Ich kann mir vorstellen, daß dem Osten an der Gewinnung atomverseuchter, kriegszerstörter Volkswirtschaften und Länder weniger gelegen sein kann als an der Gewinnung nicht derart verseuchter und zerstörter Volkswirtschaften und deren Rohstoffe. Auf deutsch: Wir müssen beide Möglichkeiten beachten. Wir dürfen nicht nur unverwandt auf diese Art Maginotlinie starren, die von Jütland bis Triest gezogen ist, sondern wir müssen darauf achten, daß der Kriegsschauplatz des Kalten Krieges heute im wesentlichen ganz woanders, nämlich in Südostasien, im mittleren Orient, in Nordafrika, vielleicht demnächst in Südamerika, liegt. Dann sehen wir die Dinge richtig.
    Ich habe eine Menge Probleme angesprochen, nicht um sie in dieser Versammlung zu lösen, sondern um sie gewissermaßen als Aufgabenbereich für die Kommission — meinethalben den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten, den ich vorschlagen möchte — abzugrenzen, in der wir zusammen mit der Regierung, einträchtig in dem Ziel, eine gemeinsame Außenpolitik zu erarbeiten und zu finden, diese Probleme zu lösen versuchen sollten.
    Deshalb möchte ich mit der Frage an den Herrn Bundeskanzler und an den Herrn Außenminister schließen: Ist die Bundesregierung bereit, die Frage der militärstrategischen Lage in der Welt, die Frage der militärischen Konzeption für unsere Bundesrepublik, alle Erkenntnisse, die sich aus den Berichten unserer Botschafter und Gesandten ergeben, und die damit in Verbindung stehenden finanziellen
    Fragen einträchtig in einem vertraulichen Ausschuß zu behandeln? Ich bitte darum, ja zu sagen.

    (Beifall bei der FDP, der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)



Rede von Dr. Victor-Emanuel Preusker
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Konrad Adenauer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Herr Kollege Becker hat einige Ausführungen persönlicher und verfassungsrechtlicher Natur gemacht, die mich nötigen, dazu eine kurze Erklärung abzugeben. Zunächst hat er von Gegensätzlichkeit zwischen dem Außenminister und mir gesprochen. Diese Behauptungen sind nicht richtig. Zwischen Herrn von Brentano und mir besteht volle Übereinstimmung in der Behandlung der auswärtigen Politik. Ich habe dem noch unlängst auch in der Presse Ausdruck gegeben.
    Er hat weiter gesagt, daß Staatssekretär Hallstein und Ministerialdirektor Blankenhorn als Besonderheit das Recht zum unmittelbaren Vortrag bei mir gehabt hätten. Ich nehme an, daß Herr Kollege Becker nicht gemeint hat, daß ein Staatssekretär, wenn der Minister nicht anwesend ist, selbstverständlich ihn vertritt. Aber abgesehen davon hat — und das war schon immer so, nicht nur seitdem die Bundesrepublik besteht — jeder Staatssekretär und jeder Ministerialdirektor das Recht, sich unmittelbar zum Vortrag beim Bundeskanzler, früher Reichskanzler, zu melden. Nur muß dem Bundesminister dann davon Mitteilung gemacht werden. Herr Hallstein und Herr Blankenhorn haben also kein besonderes Recht zugestanden bekommen.
    Herr Kollege Becker hat ferner die Frage aufgeworfen, wer denn nun dem Parlament verantwortlich ist. Diese Frage gibt mir einen nicht unwillkommenen Anlaß, meine Damen und Herren, doch auf Bestimmungen des Grundgesetzes hinzuweisen, die nicht immer gegenwärtig sind. Sie wissen, daß der Bundeskanzler die Richtlinien der Politik bestimmt, und er trägt dafür die Verantwortung. Innerhalb dieser Richtlinien leitet jeder Bundesminister seinen Geschäftsbereich selbständig. Das ist eine Bestimmung, die aus der früheren Reichsverfassung wörtlich übernommen ist. Aber das Grundgesetz enthält eine entscheidende Änderung gegenüber der Reichsverfassung dadurch, daß allein der Bundeskanzler dem Parlament verantwortlich ist. Während nach der Reichsverfassung jeder Reichsminister auch verantwortlich war und ihm das Mißtrauen ausgesprochen werden konnte, kann nach unserem Grundgesetz nur dem Bundeskanzler das Mißtrauen des Parlaments ausgesprochen werden. Infolgedessen trägt auch der Bundeskanzler die Verantwortung gegenüber dem Parlament für alle Handlungen der einzelnen Minister, und daraus ergeben sich natürlich gewisse Konsequenzen, die in der Natur der Sache liegen.
    Die Ausführungen des Herrn Dr. Becker zum Eingang zeigen ganz klar, wie die Sache gehandhabt
    21g

    Bundeskanzler Dr. Adenauer
    werden muß. Er hat, um eine gute Außenpolitik treiben zu können, Auskunft über Angelegenheiten des Bundesverteidigungsministers verlangt. Wenn der Bundeskanzler die Verantwortung gegenüber dem Parlament sowohl für die — selbstverständlich wichtigeren — Sachen des Bundesverteidigungsministers wie des Bundesaußenministers übernehmen muß — und ich leugne nicht, daß diese Fragen in engem innerem Zusammenhang stehen —, dann muß er natürlich auch das Recht haben, darauf einzuwirken.
    Ein Bundeskanzler, meine Damen und Herren, trägt — ich sage das jetzt nicht für mich — nach unserem Grundgesetz eine ungeheure Verantwortung. Er kann die Verantwortung nur dann tragen, wenn er in Übereinstimmung mit den Mitgliedern des Kabinetts in den wichtigsten Fragen ist. Daß der Bundeskanzler sowohl seine Kraft und seine Zeit vergeuden würde wie auch die Zeit und die Kraft der Bundesminister, wenn er sich um Einzelheiten und Kleinigkeiten bekümmerte, versteht sich von selbst.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Aber in den entscheidenden Fragen muß der Bundeskanzler in der Lage sein, vor dem Parlament die Verantwortung zu übernehmen, auch für die Handlungen eines Bundesministers.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)