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ID0303801600

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    Deutscher Bundestag 38. Sitzung Bonn, den 2. Juli 1958 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Scharnberg 2177 A Zur Tagesordnung Rasner (CDU/CSU) . . . . . . 2177 B Dr. Mommer (SPD) . . . . . . 2177 C Entwurf eines Gesetzes zur Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1958 (Haushaltsgesetz 1958) (Drucksachen 300, 354, 357, 362 bis 365, 378, 400 bis 404, 408, 412, 413, 440 bis 444, 447, 460 bis 468); Zusammenstellung der Beschlüsse zweiter Beratung (Drucksache 490) — Fortsetzung der dritten Beratung — in Verbindung mit den Anträgen zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. die deutsche Frage auf künftigen internationalen Konferenzen (Drucksache 238) und der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Gipfelkonferenz und atomwaffenfreie Zone (Drucksache 230); Mündlicher Bericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten (Drucksache 502) . . . . . . . .2177 D, 2201 A Allgemeine Aussprache Dr. Gradl (CDU/CSU) . . . . . 2177 D Dr. Meyer (Frankfurt) (SPD) . . . 2179 D Dr. von Brentano, Bundesminister . 2183 D Dr. Becker (Hersfeld) (FDP) . . . 2187 D Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . 2193 C Kiesinger (CDU/CSU) . . . . . 2194 B Schneider (Bremerhaven) (DP) . 2197 D Schultz (FDP) 2201 A Ritzel (SPD) . . . . . . . . 2204 D Probst (Freiburg) (DP) . . . . 2206 C Strauß, Bundesminister . . 2208 A, 2229 C, 2239 A Merten (SPD) 2222 D Wienand (SPD) . . . . . . . 2236B Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) . . 2241 A Weiterberatung vertagt . . . . . . 2246 C Nächste Sitzung 2246 C Anlagen 2247 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1958 2177 38. Sitzung Bonn, den 2. Juli 1958 Stenographischer Bericht Beginn: 9.02 Uhr
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Graf Adelmann 7. 7. Frau Albertz 5. 7. Altmaier * 5. 7. Dr. Barzel 5. 7. Bauer (Würzburg) * 5. 7. Bauknecht 5. 7. Frau Beyer (Frankfurt) 5. 7. Birkelbach * 5. 7. Fürst von Bismarck * 5. 7. Blachstein * 5. 7. Burgemeister 4. 7. Frau Döhring (Stuttgart) 31. 7. Döring (Düsseldorf) 5. 7. Dr. Eckhardt 2. 7. Euler 4. 7. Franke 12. 7. Gaßmann 5. 7. Gerns * 5. 7. D. Dr. Gerstenmaier 2. 8. Gockeln 3. 7. Heye * 5. 7. Höfler * 5. 7. Frau Dr. Hubert * 5. 7. Jacobs * 5. 7. Kiesinger * 5. 7. Dr. Königswarter 5. 7. Dr. Kopf * 5. 7. Kriedemann 5. 7. Kühlthau 2. 7. Kühn (Köln) * 5. 7. Leber 4. 7. Lohmar 2. 7. Lücker (München) * 5. 7. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 5. 7. Frau Dr. Maxsein* 5. 7. Metzger * 5. 7. Dr. Meyer (Frankfurt) * 5. 7. Müller-Hermann 5. 7. Frau Niggemeyer 12. 7. Paul * 5. 7. Dr. Preiß 5. 7. Pusch 5. 7. Frau Dr. Rehling 2. 7. Richarts 2. 7. Ruf 5. 7. Scheel 5. 7. Dr. Schneider (Saarbrücken) 5. 7. Schoettle 19. 7. Schütz (Berlin) 5. 7. Schütz (München) * 5. 7. Seidl (Dorfen) * 5. 7. Spies (Brücken) 4. 7. Struve 5. 7. Dr. Wahl* 5. 7. Frau Dr. h. c. Weber (Essen) * 5. 7. Dr. Will 5. 7. Dr. Zimmer * 5. 7. *) für die Teilnahme an der Tagung der Versammlung der Westeuropäischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Umdruck 150 Änderungsantrag der Fraktion der SPD zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1958, hier: Einzelplan 14 Geschäftsbereich des Bundesministers für Verteidigung (Drucksachen 300 Anlage, 464, 490). Der Bundestag wolle beschließen: In Einzelplan 14 - Geschäftsbereich des Bundesministers für Verteidigung sind die Gesamtausgaben um 3 000 000 000 DM zu kürzen. Bonn, den 1. Juli 1958 Ollenhauer und Fraktion Anlage 3 Schriftliche Antwort des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Wienand (Fragestunde der 35. Sitzung vom 26. Juni 1958, Drucksache 473, Frage 16): Ist der Bundesregierung bekannt, daß bei der als Musterzusammenlegung bezeichneten Zusammenlegung in Ägidienberg (Siegkreis) eine Freifläche von ca. 9 bis 10 Morgen nicht an einen Landwirt, der sich zur Abrundung seines Besitzes darum beworben hatte, verkauft worden ist, sondern an einen Nichtlandwirt? Ist die Bundesregierung bereit, in Zukunft alles ihr Mögliche zu tun und darauf hinzuwirken, daß Landwirte zur Abrundung ihres Besitzes und zur Herstellung ihrer Existenzfähigkeit in den Besitz solcher Freiflächen bei Zusammenlegungsverfahren kommen? Ihre Frage erlaube ich mir, wie folgt, zu beantworten: Die praktische Durchführung der Flurbereinigungen und beschleunigten Zusammenlegungen ist Angelegenheit der Länder. Nach den bei der zuständigen Landesbehörde getroffenen Feststellungen liegt der Fall folgendermaßen: Bei der in Frage stehenden Fläche handelt es sich um mehrere, seit Jahrzehnten nicht mehr in Kultur befindliche, versumpfte und von Quellen durchsetzte Grundstücke mit einer Gesamtgröße von 2,58 ha, die im Rahmen der Flurbereinigung zusammengefaßt worden sind, aber wegen ihres 'schlechten Kulturzustandes nicht an einen Beteiligten der Flurbereinigung ausgewiesen werden konnten. Die Fläche wurde daher nach öffentlicher Bekanntmachung im Februar 1957 zum Verkauf ausgeschrieben. Als Kaufinteressenten bewarben sich der Eigentümer eines größeren Hofeis mit 50 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche und 125 ha Wald, der die Fläche zur Abrundung seines Waldbesitzes aufforsten wollte, und außerdem ein Viehhändler und Metzgermeister, der sie zu kultivieren und als Viehweide zu nutzen beabsichtigte. Im Herbst 1957 und Frühjahr 1958 bewarben sich aus anderen Gemeinden zwei weitere Landwirte. Der Vorstand der Teilnehmergemeinschaft der Flurbereinigung beschloß jedoch am 16. April 1958 einstimmig, die Fläche an den Viehhändler zu verkaufen, da dieser am ehesten in der Lage sei, die für eine Kultivie- 2248 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1958 rung notwendigen erheblichen Mittel aufzubringen und so das Land einer landwirtschaftlichen Nutzung zuzuführen. Eine Eigentumsübertragung hat noch nicht stattgefunden. Der Vorstand der Teilnehmergemeinschaft soll nochmals mit der Angelegenheit befaßt werden. Die Bundesregierung ist zwar in Verfolgung Ihres Programms zur Verbesserung der Agrarstruktur immer bemüht gewesen, auf die Länder dahingehend einzuwirken, daß alle innerhalb und außerhalb von behördlich gelenkten Flurbereinigungs- und beschleunigten Zusammenlegungsverfahren frei werdenden Flächen, die sich für eine landwirtschaftliche Nutzung eignen, zur Aufstockung landwirtschaftlicher Betriebe bis auf die Größe von Familienbetrieben verwendet werden. Es ist aber in der praktischen Durchführung nicht möglich, diesen Grundsatz in jedem einzelnen Fall zu verwirklichen. Bonn, den 27. Juni 1958 Lübke
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    Rede von Dr. Kurt Georg Kiesinger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es kann nicht geleugnet werden, daß das nüchterne Klima einer Haushaltsdebatte offenbar auch außenpolitischen Erwägungen, die wir in diesem Hause anstellen, zugute kommt. Wir haben heute eine Debatte gehabt, bei der am bemerkenswertesten der von allen Seiten ausgesprochene Wunsch nach der Anbahnung einer gemeinsamen Außenpolitik war. Ich will meinen Beitrag dazu zu leisten versuchen, ohne mich auf rhetorische Deklamationen einzulassen. Ich will vielmehr eine kleine Untersuchung darüber anstellen, wie wir auf dem Wege zu diesem gemeinsamen Ziel ein Stückchen vorwärts kommen könnten.
    Herr Kollege Dr. Meyer hat davon gesprochen, daß heute am dürren Stamm ein Reis der Hoffnung entsprossen sei. Ich würde eher ein anderes Bild wählen. Ich würde sagen, daß ein Reis in einem Garten entsprossen ist. Das Klima aber, in dem es gedeihen soll, ist im allgemeinen durch einen sehr ungünstig wirkenden jähen Wechsel zwischen Hitze und Kälte und ewigem Regen und Hagel ausgezeichnet. Daß für das Gedeihen eines solchen Pflänzchens eben ein günstiges Klima Voraussetzung ist, das ist wohl das Entscheidende.
    Nun, auch wir wollen natürlich eine gemeinsame Außenpolitik. Wer könnte sie nicht wünschen angesichts der schwierigen Lage, in der sich unser
    Volk in dieser gefährlichen Welt befindet; auf drei weltpolitischen Aktionsfeldern hat sich unsere Außenpolitik zu bewähren. Das erste ist das Feld, das wir gemeinhin den Westen zu nennen pflegen, ein in sich sehr kompliziertes Gebilde; das zweite ist der kommunistische Block, obwohl es auch da eine Differenzierung gibt; und es sind schließlich die weiten Gebiete Asiens und Afrikas, die wir unter dem Sammelbegriff der Entwicklungsländer zusammenzufassen pflegen.
    Es hat mich nicht sehr gewundert, daß die Ausführungen von Herrn Kollegen Meyer und auch von Herrn Kollegen Becker zu dem Aktionsfeld Westen etwas mager ausgefallen sind. Im großen und ganzen haben sich die beiden Redner darauf beschränkt, zu sagen, wir müßten unsere Verbündeten, unsere Freunde im Westen ermahnen, etwas mehr für unsere Sache zu tun und nicht so starr auf gewissen Prinzipien und Doktrinen zu bestehen.
    Nun, ich sage ganz offen: Für uns ist nach wie vor das Prinzip der Solidarität mit dieser Welt des Westens das Entscheidende. Das ist keineswegs eine Selbstverständlichkeit. Diese Solidarität ist —die Entwicklung während des letzten Jahres hat es gezeigt — durchaus nicht ungefährdet. Dazu gehört das weite Feld unserer europäischen Bemühungen. Dazu gehört aber auch das nordatlantische Bündnis, idessen Wichtigkeit ifür die Sache der Freiheit unseres ganzen Volkes, unserer heute und derer drüben morgen, nicht bezweifelt werden kann.
    Ich will die alten Argumente, die wir in diesem Hause oft miteinander ausgetauscht haben, heute nicht wieder hervorholen. Aber es ist sicher so, daß hier ein tiefer Unterschied in der Analyse der Situation besteht. Wir sind uns eben leider nicht einig über das Ausmaß der unserer Freiheit, der Freiheit des Westens, immer noch vom Osten drohenden Gefahr.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Man hat uns vorgeworfen, wir malten den Teufel an die Wand, wir suchten damit, daß wir das bolschewistische Gespenst immer wieder heraufbeschwörten, billige Erfolge bei den Wählermassen zu erzielen. Wir wären froh, wenn es anders wäre. Aber wir können nun einfach nicht, nach bestem Wissen und Gewissen die Weltlage beurteilend, zu demselben Schluß kommen wie manche Leute in unserem Land, zu dem Schluß nämlich, daß das alles nicht so schlimm sei. Wir betrachten die Lage nach wie vor als sehr schlimm, und wir würden unsere Pflicht versäumen, wenn wir nicht alles täten, um gegen diese Gefahr, die wir nicht primitiv nur als einen bewaffneten Angriff vom Osten denken, sondern die wir in ihrem ganzen Umfange und in ihrer ganzen Kompliziertheit sehen, unser Volk, den freien Reist unseres Volkes zu sichern.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Herr Kollege Dr. Meyer hat einen kleinen Vorwurf, so habe ich ihn verstanden, an die Adresse unserer Verbündeten gerichtet, als er von den 18 Millionen drüben sprach. Gewiß, meine Damen und



    Kiesinger
    Herren, ist es in erster Linie unsere Sache, uns um das Los dieser 18 Millionen zu kümmern, und wir dürfen natürlich nicht voraussetzen, daß man anderswo dasselbe Interesse hat, diesen Menschen die Freiheit wiederzuschenken, wie bei uns. Das ist nun einmal so. Auch in unserem Volke ist für die Last, das Anliegen und die Not anderer Völker nicht dasselbe Interesse vorhanden wie dort. Aber ich weiß nicht recht, ob man, wenn man eine solche Mahnung ausspricht, doch nicht zu allererst nach dem Osten blicken sollte.
    Wenn ich Sie recht verstanden habe, so ging im übrigen der Appell an unsere Verbündeten in dem Sinne, sie sollten sich zu einer elastischeren, beweglicheren Politik entschließen. Sehen Sie, da habe ich nun meinerseits Bedenken. Es ist Mode geworden, über Disengagement zu sprechen. Ich weiß, daß man auch in Deutschland vielfach meint, diese Disengagement-Pläne zielten in erster Linie auf die Herbeiführung der staatlichen Einheit Deutschlands und auf die allmähliche Befreiung der Menschen in den sogenannten Satellitenländern ab. Ich habe da oft ein bängliches Gefühl, daß diejenigen, die diese militärischen Disengagement-Pläne verkünden, zwar mit den Lippen ein Bekenntnis zur deutschen Wiedervereinigung und auch zur künftigen Freiheit der Völker in den Satellitenländern ablegen, daß aber viele von ihnen sich innerlich mit einem europäischen Modus vivendi auf der Basis des Status quo abgefunden haben.

    (Lebhafte Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Daher, meine Damen und Herren, bitte Ermahnungen an die richtige Adresse!
    Was den kommunistischen Block anbelangt, so hat es viele Illusionen im Laufe der beiden letzten Jahre gegeben. Viele Leute glaubten schon im Osten das Morgenrot kommender Freiheit aufglühen zu sehen. Ich glaube, sie sind inzwischen enttäuscht worden. Ich erinnere nur an die Worte, die Herr Kiritschenko jüngst auf dem kommunistischen Kongreß in Prag gesagt hat, mit denen er die berühmte, auf dem XX. Parteikongreß feierlich verkündete Formel des eigenen Weges zum Sozialismus als ein lächerliches und gefährliches revisionistisches Geschwätz abgetan hat. Das zeigt uns doch, daß das unheimliche Phänomen drüben für uns alle noch immer unfaßbar ist und daß wir gut daran tun, ihm mit äußerster Wachsamkeit gegenüberzustehen.
    Es ist wahr, daß das große Anliegen der deutschen Wiedervereinigung deswegen so kompliziert ist, weil unser Land zu einem Teil im kommunistischen Block — natürlich wider seinen Willen und wider den Willen der 18 Millionen steckt und daß wir versuchen müssen, die 18 Millionen dort herauszuholen. Herr Kollege Dr. Meyer, ich würde eine Formel wie die, daß wir wenigstens versuchen sollten, den Menschen drüben ein größeres Maß an Freiheit zu verschaffen, nicht ohne weiteres vom Tisch wischen. Ich wäre von Herzen froh, wenn es uns auf irgendeine Weise gelingen könnte, als Vorstufe der Herstellung der staatlichen Einheit ein solches wachsendes Maß an Freiheit für sie zu gewinnen. Natürlich soll es kein Ersatz für die Herstellung der staatlichen Einheit, für die Wiedervereinigung sein. Aber es ist doch eine der Möglichkeiten, über die man auch einmal in Ruhe nachdenken und in Ruhe sprechen sollte.
    Die Opposition hat es natürlich in der Frage der Wiedervereinigung leicht, viel leichter als wir; das erleben wir seit Jahr und Tag. Es wäre eine schlechte Opposition, wenn sie uns nicht vorwerfen würde, daß wir nicht genügend aktiv seien, daß uns nicht genügend einfalle. Es ist die Aufgabe der Opposition in allen Parlamenten, es ist ihr gutes Recht, ja, es ist sogar ihre Pflicht, eine Art Stachel in unserem Fleische zu sein.
    Aber wir können ja nicht nur Pläne ausarbeiten, sondern wir müssen diese sofort in die harte Wirklichkeit der Politik umsetzen. Und da hat sich eben bisher gezeigt, daß wir in der deutschen Frage nicht deshalb nicht weitergekommen sind, weil uns nichts eingefallen wäre, sondern deswegen, weil die Bedingungen, unter denen die Sowjetunion heute eine deutsche Wiedervereinigung zu akzeptieren bereit wäre, für uns niemals akzeptabel sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Hier, Herr Kollege Becker, sagen wir doch beide gemeinsam „niemals". Man soll eben doch mitunter in der Politik „niemals" sagen, und in diesem Falle sagen wir es ja alle. Wir wollen alle nicht eine Lösung der deutschen Frage, die praktisch ganz Deutschland in den kommunistischen Einflußbereich einbezöge. Nein, es ist nicht alles bestens, Herr Kollege Wehner; sicher nicht. Es ist sogar schlimm, es ist tragisch schlimm. Aber nicht wir sind schuld daran, daß es so schlimm ist, sondern es ist das Erbe des zweiten Weltkriegs, mit dem wir uns herumplagen müssen.
    Ich will auf den von Herrn Kollegen Dr. Meyer behandelten Komplex der Pflege der Beziehungen zu den ost- und zentraleuropäischen Ländern, die man gewöhnlich mit dem Namen „Satellitenstaaten" zusammenfaßt, auch nicht eingehen. Diese Frage ist anhängig. Wir werden nach der Sommerpause im Ausschuß darauf zurückkommen. Und wie so oft in außenpolitischen Angelegenheiten ist es in der Tat besser, diese Frage erst einmal im Schoße des Ausschusses gründlich zu Ende zu beraten und dann im Plenum auf sie zurückzukommen. Wir haben natürlich mit Aufmerksamkeit Ihren Argumenten hier gelauscht.
    Was die Beziehungen zur Sowjetunion anbelangt, so können wir nur wiederholen, was wir immer schon gesagt haben: Es liegt uns daran, mit der Sowjetunion in ein Verhältnis zu kommen, das es erlaubt, die deutsche Frage zu lösen, gutnachbarliche Beziehungen herzustellen und den Frieden und die Freiheit unseres Landes und Westeuropas zu sichern. Die Sowjetunion kann gewiß sein, daß sie uns, wenn sie einen ernsthaften Versuch in dieser Richtung unternimmt, zu jedem Gespräch und jedem Versuch einer Besserung bereitfinden wird.



    Kiesinger
    Was das Gebiet der Entwicklungsländer anlangt — ein Gebiet, das man nicht nur unter dem Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Hilfe sehen darf, sondern das der westlichen Außenpolitik überhaupt eine der wichtigsten politischen Aufgaben stellt —, so kann ich im großen und ganzen den Ausführungen, die bisher gemacht worden sind, für meine Freunde zustimmen. Jedermann weiß, daß das künftige Schicksal unseres Planeten davon abhängen kann, wie sich die politische Entwicklung in jenen riesigen Gebieten Asiens und Afrikas fortsetzt, wo weniger die Sowjetunion als das kommunistische China als Vorbild und Herausforderung wirkt.
    Es ist richtig, Herr Kollege Dr. Meyer, wir müssen unser Verhalten gegenüber diesen Gebieten in erster Linie als Ausfluß einer sittlichen Pflicht betrachten; ich stimme Ihnen zu. Aber Sie werden mir zugeben, daß für uns alle, daß für den Frieden und die Freiheit in dieser Welt unendlich viel davon abhängt, wie sich die Völker jener Gebiete politisch entscheiden werden. Vielleicht werden sie sich einmal weder kommunistisch entscheiden noch in einem Sinne, der unserer westlichen Demokratie entspricht. Das Entscheidende wird aber sein, ob sie sich in ihrer Art für die Sache der 'Freiheit, der Menschenwürde und der Menschenrechte entscheiden, und hier liegt unser aller dringlichste Aufgabe.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich bedauere, daß es bis jetzt nicht möglich gewesen ist — die Gründe dafür sind vielfältig —, daß die deutsche Politik auf diesem wichtigen Aktionsfeld mehr Kraft und Energie entfaltete. Man sollte dafür nicht allein die Regierung oder den Außenminister, von dem ich weiß, daß er diese Frage für sehr wichtig hält, verantwortlich machen. Wir sollten auch von uns aus, in diesem Hause, mehr Initiative entwickeln.
    Mich schmerzt es immer sehr, wenn ich sehe, wie viele ausländische Studenten den vergeblichen Wunsch haben, in unserem Lande zu studieren, welche Möglichkeiten gegeben wären, diesen Menschen nicht nur eine gute technische und wissenschaftliche Ausbildung zu vermitteln, sondern sie auch in Kontakt mit unserem Volk zu bringen, so daß lebenslange Freundschaften begründet werden könnten, und wenn mir auf der anderen Seite erklärt wird, daß diese Möglichkeiten an technischen und finanziellen Fragen scheitern müßten. Ich richte an uns alle, die Regierung eingeschlossen, den dringenden Appell, alle Möglichkeiten zu untersuchen, um in dieser wichtigen Frage Besserung zu schaffen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Wir lassen uns sonst eine kostbare Gelegenheit entgehen, die im Interesse unseres Volkes wie für den Frieden und die Freiheit in der Welt genutzt werden sollte.
    Eine kleine Einschränkung, Herr Dr. Meyer: Sicher, auch wir begrüßen jede Geburt einer neuen freien Nation in der Welt der ehemaligen Kolonialherrschaft. Nur, glaube ich, neigt man gelegentlich dazu, die Schwierigkeiten und Gefahren des Übergangsstadiums zu unterschätzen. Eine neue kraftvolle Nation wird ja nicht von heute auf morgen wie ein Phönix aus der Asche geboren; sie kann sich oft nicht sofort ihrer Haut wehren, weder militärisch noch mit Ideen. Vielmehr entsteht häufig ein machtpolitischer Hohlraum, in den dann der allzeit bereite, aktive und aggressive Weltkommunismus vorstößt. Wir werden uns daran gewöhnen müssen, für Bewältigung solcher Übergangsperioden ernsthafte Überlegungen anzustellen, soweit wir mitwirken können. Wir haben ja genug Beispiele vor Augen, die uns den ganzen Ernst dieser Übergangsperiode vom Kolonialstatus zum Status einer freien, unabhängigen Nation klarmachen.
    Ich will aber, wie gesagt, heute nicht die Gesamtproblematik unserer Außenpolitik aufrollen, sondern nur versuchen, uns gemeinsam zu fragen, wie wir auf dem heute begonnenen Wege weiterkommen wollen.
    Sie wissen, daß ich mich als Vorsitzender des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten seit längerer Zeit sehr bemüht habe, den von Herrn Kollegen Becker mit Recht kritisierten, seit Beginn der Arbeit dieses Ausschusses bestehenden unbefriedigenden Zustand zu überwinden. Eine gewisse Sterilität dieses Ausschusses — von den Fällen abgesehen, wo wir gemeinsame Gesetzesvorlagen zu beraten hatten — bestand ja nicht etwa deswegen, weil die Mitglieder des Ausschusses nicht willens gewesen wären, ihre wichtige Arbeit zu tun, sondern weil wir uns zu weit auseinandergelebt hatten. Ich will das jetzt nicht im einzelnen darlegen; alle diese Dinge sind ja jedermann bekannt. Es kommt sicher auch hinzu — da gebe ich dem Herrn Kollegen Becker recht —, daß der Ausschuß ein etwas großes Gremium ist und daß die Wahrung der Vertraulichkeit von Anfang an ein Problem gewesen ist. Aber diese Hindernisse sollten nicht unüberwindlich sein, d. h. bei gemeinsamer Disziplin sollte sich die Vertraulichkeit wirklich garantieren lassen.
    Was nun die Mitarbeit der Regierung im Ausschuß anlangt, so würde ich meinen, wir sollten auch nicht einseitig die Anklage gegen sie richten. Erinnern Sie sich bitte an das oft unwürdige Bild einer peinlichen Befragung der Regierung, einer Befragung, bei der es nicht zu einer fruchtbaren Aussprache mit dem Ziel einer gemeinsamen Willensbildung kam. Ich meine, dieser Zustand sollte und könnte überwunden werden.
    Ich habe eine Reihe von Besprechungen mit Vertrauensleuten der Fraktionen aus dem Ausschuß gehabt. Aus irgendeinem Mißverständnis, Herr Kollege Becker, war Ihre Fraktion bei der letzten, vor ein paar Tagen, nicht vertreten. Mein Vorschlag war, wir sollten von dem Recht des Ausschusses, von sich aus Gebiete seiner Wahl zu beackern, in Zukunft kräftig Gebrauch machen. Wir sollten auch an die Materien herangehen, die Sie erwähnt haben. Ich habe sie für den Arbeitsplan des Ausschusses nach der Sommerpause vorgeschlagen. Wir sollten die Beratung einleiten durch Referat und Korreferat, wie in den vergangenen Wochen, und versuchen,



    Kiesinger
    die Problematik zu bewältigen, mit einem Mindestmaß an gegenseitigem Vertrauen. Wir sollten uns dabei weiter bemühen, unsere wechselseitigen Argumente so sorgfältig, so nüchtern und so sachlich wie möglich im Ausschuß vorzutragen. Ich erhoffe davon sogar eine Besserung des Klimas zwischen den Fraktionen außerhalb des Ausschusses.
    In unserer unheimlich komplizierten Welt wird die Möglichkeit einer weitplanenden Außenpolitik von manchen klugen Geistern angezweifelt. Ich erinnere mich an ein Wort Paul Valérys, der sagte, daß in der gegenwärtigen komplizierten Welt eine langplanende Außenpolitik, eine verläßliche Prognose, wie sie ehedem möglich gewesen sei, nicht mehr denkbar sei. Er meinte, solche Bemühungen hätten heute allenfalls den Wert eines tuyau de bourse, eines Börsentips. Nun, das halte ich für überspitzt; hätte Paul Valéry recht, müßten wir unser Geschäft aufgeben und den Lauf der Dinge eben dem Zufall überlassen. Aber wahr ist, daß die Analyse der weltpolitischen Situation heute so ungeheuer schwer geworden ist, daß wir uns mit dem größten Ernst dieser Aufgabe widmen müssen. Dabei — jetzt nehme ich den kleinen Tadel auf, der gegen die Juristen oder gegen die Jurisprudenz ausgesprochen worden ist — erinnere ich an eines der kostbarsten Geschenke des juristischen Studiums und der juristischen Arbeit. Herr Kollege Becker! Sie wissen, daß das, was den juristischen habitus auszeichnet, das Vermögen ist, einen komplizierten Sachverhalt genau zu erfassen. Wir wissen aus den juristischen Examina, daß die Lösung der Prüfungsaufgaben nur zu 20 % an der falschen Anwendung des Rechts, zu 80 % aber an der ungenügenden Auffassung des Sachverhalts scheitert. Es hat mich sehr gefreut, in den Lebenserinnerungen Mahatma Gandhis — wenn Sie mir diese kleine Abschweifung gestatten — zu lesen, daß er dieselbe Erfahrung gemacht hat. Er schreibt, daß er als junger Inderanwalt in Südafrika oft in einer Rechtssache feststak und dann zum alten, erfahrenen Partner ging und ihm seine Not klagte. Dieser sagte ihm dann: Der Sachverhalt, Herr Kollege! Und Ghandi bekennt, daß ihm sehr bald bei einer erneuten gründlicheren Untersuchung des Sachverhalts auch die rechtlichen Zusammenhänge klarer wurden.
    Wenden wir diese Erfahrung auf das Gebiet der Außenpolitik an! Das würde bedeuten: Wenn wir alle in diesem Hause — zunächst einmal im Auswärtigen Ausschuß, wo sich die Dinge leichter behandeln lassen — uns dieser Aufgabe der Analyse sorgfältiger und mit mehr Ernst und Nachdruck unterzögen, dann meine ich, daß sich beinahe wie eine reife Frucht vom Baum auch mehr an gemeinsamer Prognose und damit mehr an gemeinsamer Außenpolitik ergäbe. Dies, meine Damen und Herren, wäre ein praktischer Weg zum gemeinsamen Ziel.
    Keiner von uns wind leugnen, daß er Tag um Tag mit diesen Riesenschwierigkeiten kämpft. Ich habe manchmal den Eindruck, daß Nichtparlamentarier, außenstehende Kritiker, die uns tadeln, unsere Arbeit im Parlament gehörig unterschätzen.
    Ich denke an das Beispiel — nun, ich spreche es offen aus —, das uns Herr Professor Weizsäcker gegeben hat: Erst eine Aktion, und hinterher eine sehr nützliche, sehr zu respektierende Betrachtung, wie er sie in seiner Artikelserie in der „Zeit" gegeben hat, und zwar mit der Bemerkung — wenn ich mich recht erinnere —, daß diese Betrachtung das Ergebnis ihm erst nachträglich bekanntgewordener Tatsachen und Zusammenhänge sei.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Nun, Herr Professor Weizsäcker darf sicher sein, daß alle seine Gedankengänge in diesem Hause und in unseren Fraktionen in wochenlangen Bemühungen durchgedacht worden sind.

    (Erneute Zustimmung in der Mitte.)

    Ich darf bei dieser Gelegenheit der deutschen Offentlichkeit doch einmal sagen, daß in diesem Hause nicht nur dickfellige Pragmatiker sitzen, die über den Daumen gepeilte 'Entscheidungen treffen. Es sind hier doch Menschen beisammen, die die Weltdiskussion über die großen Probleme unserer Zeit einigermaßen beherrschen unid bei ihren Überlegungen und Entscheidungen berücksichtigen.

    (Lebhafte Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren, ohne Illusionen: Wir sind sicher in unseren Konzeptionen noch weit voneinander entfernt. Machen wir diesen ernsthaften und mühevollen Versuch einer gemeinsamen gründlicheren Analyse! Ich bin überzeugt, die Prognose und das gemeinsame Anliegen einer gemeinsamen Außenpolitik werden daraus Nutzen ziehen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Dr. Victor-Emanuel Preusker
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Abgeordnete Schneider (Bremerhaven).

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Herbert Schneider


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch heute ist wieder das Wort gefallen, daß die Lage sehr ernst geworden sei. Ich glaube, wir haben das schon wiederholt in außenpolitischen Debatten gehört. Ich gehe aber wohl nicht fehl, wenn ich feststelle, daß die Lage an sich schon immer sehr ernst gewesen ist, nämlich seit dem Tage, da Deutschland infolge der Kriegsereignisse durch die Beschlüsse von Jalta und Potsdam gespalten wurde. Wir waren uns auch seit eh und je darüber klar, daß, wenn dieser — ich will ruhig einmal sagen — Unruheherd in der Mitte Europas nicht beseitigt werden kann, es nicht zu einem wirklichen Frieden in der Welt und in Europa kommen kann.
    Herr Kollege Becker hat heute morgen in ausgezeichneter Weise die Maßstäbe aufgezeigt, innerhalb deren sich unsere Politik zu bewegen hat. Er ist dabei von der weltpolitischen Lage und nicht zuletzt auch von der Größe der Nationen, der Völker ausgegangen. Ich glaube, wir alle sollten diese Worte beherzigen und sollten auch selber zum Maßstab unserer Wünsche und Forderungen, zum



    Schneider (Bremerhaven)

    Maßstab der Wünsche und Forderungen der Bundesrepublik, die Gesamtweltlage machen und sollten erkennen, daß unser Anliegen nur eingebettet in das Anliegen all der übrigen Nationen verwirklicht werden kann.
    Die Art und Weise, in der in den letzten Monaten oftmals im Hause und auch draußen über Lebensfragen unserer Nation, nämlich über die Fragen der Wiedervereinigung, der Wehrpolitik und der Außenpolitik, gesprochen worden ist, hat meine Freunde von der Deutschen Partei sehr besorgt gemacht. Sie werden mit mir darin übereinstimmen, daß wir vielleicht alle nach einem neuen Beginn suchen sollten und daß wir den Parteihader aus der Erörterung dieser Lebensfragen herauslassen sollten.

    (Beifall bei der DP.)

    Keine Nation der Welt würde es sich erlauben, diese Fragen zu einem Hauptstreitpunkt der Parteipolitik zu machen. Ich habe deswegen nach der ersten diesjährigen außenpolitischen Debatte dieses Hauses bereits im Frühjahr im sogenannten Rundfunkkrieg für die DP die Stimme erhoben und gesagt, daß wir hier zu einem neuen Stil kommen müßten, wenn das Anliegen der freiheitlichen Bundesrepublik nicht einfach untergehen soll. Ich habe mit meinen politischen Freunden die Hoffnung, daß die heutige Annahme des Antrags des Auswärtigen Ausschusses — ein kleiner Lichtstrahl! — ein solcher Neubeginn sein möge.
    Wir sprechen von der Wiedervereinigung unseres Vaterlandes. Ich will hier nicht zu all dem etwas sagen, was wiederholt erwähnt worden ist. Es kann sich heute auch nicht um eine außenpolitische Debatte handeln, sondern praktisch nur um Streiflichter.
    Meine Freunde macht es besorgt, daß sich in letzter Zeit wiederholt Stimmen im Ausland gezeigt haben, die die Frage stellten, ob es überhaupt zweckmäßig und richtig sei, Deutschland seine nationale Einheit wiederzugeben. Gewiß, man könnte sagen, es sind Randerscheinungen. Man muß sich aber darüber im klaren sein, daß hinter Äußerungen vereinzelter Wissenschaftler, Politiker usw. auch Strömungen in den betreffenden Nationen stehen, die wir nicht zu gering einschätzen dürfen. Ich glaube, daß wir gerade deshalb alle Veranlassung haben, unsere Freundschaft und Bündnispartnerschaft nicht aufs Spiel zu setzen, sondern diejenigen, die sich mit uns befreundet und verbündet haben, bei dem gegebenen Wort zu nehmen.
    Besonders hat es meine Freunde besorgt gemacht, daß in diesen Tagen in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" — ich muß annehmen, daß die Meldung stimmt — eine Notiz stand, die — Herr Präsident, erlauben Sie mir bitte, sie kurz zu zitieren — folgendes enthält:
    Wie die französische Illustrierte „Paris Match" in einem Aufsatz von Jean Farran berichtet, hat Pflimlin vor einigen Tagen in einer Kabinettssitzung eine außenpolitische Darlegung mit der Aufforderung geschlossen: „Zeigen wir keinen Eifer für die Wiedervereinigung
    Deutschlands!" Darauf habe de Gaulle hinzugefügt: „Ja, mein lieber Staatsminister, zeigen wir keinen Eifer für die Wiedervereinigung Deutschlands — seit tausend Jahren sage ich das."

    (Bundesminister Dr. von Brentano: Diese Meldung ist falsch!)

    — Der Herr Außenminister sagt, die Meldung sei falsch. Es würde mich sehr freuen, wenn diese Bemerkung des Herrn Außenministers zuträfe. Aber es sind leider von verschiedenen anderen Seiten ähnliche Äußerungen gemacht worden, und wir sollten wachsam sein. Wir können glücklich sein,. daß speziell die Berliner Erklärung nach wie vor im Raume steht, in der vor aller Weltöffentlichkeit dokumentiert worden ist, daß jedenfalls der Westen sich für die Wiedervereinigung Deutschlands einsetzen werde. Damit ist für uns die Erkenntnis gegeben, daß der Schlüssel dafür, ob sie überhaupt einmal praktiziert werden kann oder nicht, in Moskau liegt.
    Es ist von sowjetischer Seite, aber auch selbst von Politikern in unserem Lande gesagt worden, daß die eventuelle Bewaffnung der Bundeswehr mit taktischen Atomwaffen ein Hindernis auf dem Wege zur nationalen Einheit Deutschlands sein könne. Nachdem wir uns dieses Faustpfand für kommende Verhandlungen geschaffen haben, wobei wir jetzt im Begriff sind, die Ausbildung an solchen Waffen zu praktizieren und bekanntlich die Waffen selbst erst in anderthalb bis zwei Jahren erhalten werden, erhebt sich die Frage, ob wir vielleicht dieses Faustpfand jetzt schon, nämlich bis zur Effektuierung der Bewaffnung, als einen Verhandlungsgegenstand - taktische Atomwaffen gegen nationale Einheit Deutschlands — benutzen sollten, Ich erlaube mir persönlich diese Frage, wenn Sie wollen: diesen Vorschlag. In diesem Falle ist es gut, daß es noch zwei Jahre dauert, bis die Bewaffnung selbst effektiv wird. Wir haben also Zeit, über die Sache nachzudenken und gegebenenfalls bei denen, die allein uns die nationale Einheit bis zur Stunde vorenthalten, einmal nachzuforschen, ob sie bereit sind, einen solchen Handel mit uns einzugehen, wie überhaupt die Regierung, aber auch der Auswärtige Ausschuß diese Zeit benutzen mögen, sich aktiv in allen Fragen, die speziell unser Land betreffen, zu betätigen, um nach etwa zwei Jahren das allerletzte Wort in der Frage einer eventuellen atomaren Bewaffnung zu sprechen. Ich sagte: „das allerletzte Wort", weil meine Freunde und ich immer noch die Hoffnung haben, daß das allerletzte Wort in dieser Frage noch nicht gesprochen ist. Wir erwarten vor allen Dingen, daß unter` Umständen auf einer Gipfelkonferenz jedenfalls ein so weit- gehendes Arrangement möglich ist, daß nicht nur wir, sondern gegebenenfalls auch andere davon entbunden sein werden, sich diese Waffen anschaffen zu müssen.
    Erlauben Sie mir bitte noch ein politisches Wort. Wir sollten uns — und hiermit mache ich mir keineswegs die Diktion der Opposition in diesem Hause zu eigen, aber ich muß es doch aussprechen — auch nicht unbedingt in diesen Dingen vordrän-



    Schneider (Bremerhaven)

    gen; denn die teilweise unfreundliche Reaktion auf unseren Beschluß, den wir damals nicht nur in unserem Interesse, sondern praktisch im Interesse des gesamten Bündnisses gefaßt haben, sollte uns veranlassen, nüchtern, zwar konsequent, aber nicht überstürzt, vorzugehen.
    Uns mangelt es im übrigen nicht wie den Initiatoren der Volksbefragung gegen den Atomtod an dem Mut, das Notwendige zu tun und unserer Bevölkerung auch das Notwendige zu sagen, nämlich ihr zu sagen, was wir tun müssen und welche Opfer wir bringen müssen, um unsere Freiheit und den Bestand von Volk und Vaterland zu sichern.
    In diesem Zusammenhang möchte ich mit einer kurzen Bemerkung auf die Volksbefragung gegen den Atomtod eingehen. Diese Fragestellung erweckt in der Öffentlichkeit den Eindruck, als gäbe es Menschen, die für den Atomtod, und solche, die gegen den Atomtod wären. Ich darf hier wohl feststellen, daß es auf der ganzen Welt keinen Menschen gibt, der nicht gegen den Atomtod wäre. Somit sind wir alle von vornherein die zwar nicht eingeschriebenen, aber unsichtbaren Mitglieder dieser Bewegung, und es bedurfte nicht einer parteipolitischen und gewerkschaftlichen Initiative, um diese Bewegung ins Leben zu rufen. Ich meine vielmehr, daß ihre Initiatoren den Mut haben sollten, der Bevölkerung die ganz e Wahrheit zu sagen, ihre Fragen so zu stellen und ihre Aktionen so zu steuern, daß jeder sieht, worauf es ankommt, nämlich darauf, wie wir den Atomtod verhindern können.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Das aber vermisse ich bei denen, die diese Aktionen in der Öffentlichkeit in Gang gebracht haben.
    In diesem Zusammenhang auch ein Wort zum deutschen Soldaten. Diejenigen, die sich gegen eine eventuelle Ausrüstung der Bundeswehr mit taktischen Atomwaffen wenden, haben es bisher vermieden, uns klipp und klar zu sagen, wie sie sich eine wirksame Verteidigung, noch dazu im Rahmen des Bündnisses der NATO, denken, wenn unsere demokratischen Verteidiger nicht mit denselben Waffen ausgerüstet werden wie ein eventueller totalitärer Angreifer. Wir lehnen es jedenfalls ab, den deutschen Soldaten zum Volkssturm zu degradieren für den Fall, daß — was Gott verhüten möge — einmal ein Ernstfall eintritt. Man sollte dann auch den Mut zur letzten Konsequenz haben und erklären, daß man überhaupt keine Soldaten haben will.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Ich spreche doch kein Geheimnis aus, wenn ich sage, daß die Unberechenbarkeit unseres großen östlichen Nachbarn es einfach notwendig macht, daß wir gewisse Maßnahmen treffen, die uns davor bewahren sollen,- daß etwa eines Morgens ein SED- Polizist oder ein Sowjet vor unserer Haustür steht. Daß das Opfer kostet, ist allenthalben bekannt, und diejenigen, die nicht sehen wollen, daß ein souveränes Volk auch etwas tun muß zur Erhaltung seiner Souveränität, seiner Substanz als Volk, als Nation, zur Sicherung seiner Freiheit, sind uns bis heute die schlüssige Antwort darauf schuldig geblieben, wie sie sich eine wirksame Verteidigung dieser Dinge vorstellen. Es ist eine Platitude, wenn man sagt, daß es genüge, daß wir Schulen, Krankenhäuser usw. bauten, daß wir eine soziale Sicherheit für alle hätten. Diejenigen, die das behaupten, übersehen bewußt oder unbewußt, daß es damit allein in dieser Welt, in der leider Gottes — wir alle bedauern das ja von links bis rechts — immer noch die Macht ein entscheidendes Wort redet, nicht getan ist.
    Meine Damen und Herren! Mein Kollege von Merkatz ist, glaube ich, einer der ersten Angehörigen der Regierungskoalition gewesen, der — schon vor Jahren — Gespräche mit denen jenseits der Weichsel gefordert hat. Damals ist das innerhalb der Koalition nicht ohne weiteres gutgeheißen worden. Inzwischen ist die Zeit weitergegangen, und in der Außenpolitik gibt es kein starres Dogma. Wir alle können es nur begrüßen, daß heute allenthalben die Einsicht verbreitet ist, daß wir zwar unbequeme Nachbarn im Osten haben, daß wir aber auch mit unbequemen Nachbarn sprechen müssen. Denn das ist auch klar: wir werden unsere Probleme, gerade soweit sie die Teilung unseres Landes und unsere Grenzen im Osten betreffen, nicht gegen diejenigen lösen können, die uns unbequem sind, sondern wir werden sie nur mit ihnen lösen können. Deswegen sage ich mit aller gebotenen Zurückhaltung auf Grund der Ereignisse in der letzten Zeit — ich denke dabei besonders an den Mord von Budapest — und auch mit aller gebotenen Zurückhaltung in Rücksicht auf das, was Herr Chruschtschow z. B. in den letzten Monaten gesagt und widerrufen hat, was er an Geschriebenem und Gesprochenem einfach zerrissen und weggeworfen hat, daß wir trotzdem nicht so tun dürfen, als sei östlich unseres Vaterlandes ein weißer Fleck auf der Landkarte.
    Eine gespannte Lage, wie wir sie heute in der gesamten Welt vorfinden, erfordert eine gespannte Aufmerksamkeit, und ich glaube, daß gerade die derzeit besonders gespannte Lage die Aufmerksamkeit aller Parteien hier im westlichen Vaterlande erfordert und daß es gerade in diesem Augenblick vielleicht ein guter Ansatz ist, daß wir beginnen, da und dort, wenn auch zaghaft, nach Gemeinsamkeiten in der Außenpolitik zu suchen. Außenpolitik ist mehr als ein „seid nett zueinander", nur damit die Opposition nichts sagt und die Regierung ihre Ruhe hat. Nein, wir müssen die Probleme, die uns alle betreffen, gemeinsam zu lösen suchen. Sie werden wohl mit mir darin übereinstimmen, daß diejenigen unserer Außenpolitik und unserem Lande einen schlechten Dienst erwiesen haben, die die Fensterscheiben eingeworfen haben, was ja prompt eine gleiche Reaktion zur Folge hatte, daß auch diejenigen, die in etwas überdrehter und hektischer Form Vorschußlorbeeren für einen Fußballweltmeister ernten wollten, uns einen schlechten Dienst erwiesen haben; daß uns diejenigen einen schlechten Dienst erwiesen haben, die dann in Verfolg der Haltung des schwedischen Gastlandes schwedische Fahnen herabgerissen haben. Aber ich muß auch mit aller Offenheit hier sagen, daß die



    Schneider (Bremerhaven)

    häufigen Belehrungen und Zensuren, die wir als Deutsche vom Ausland entgegenzunehmen haben, auch einmal ein Ende haben sollten. Es gibt heute in der Welt keine Sieger und Besiegten mehr; denn wir sitzen alle gemeinsam in einem Boot, und das ewige Gegeneinanderaufrechnen führt zu nichts als zu neuen Feindschaften und Unzuträglichkeiten.
    Insoweit haben es meine Freunde auch als eine Unfreundlichkeit betrachtet, daß man Herrn Krupp
    — über den man denken mag wie man will — norwegischerseits eine Aufforderung sandte, lieber nicht an einer Segelregatta teilzunehmen. Ich frage den Herrn Außenminister, ob vielleicht wenigstens ein Wort über diese Frage anläßlich des Besuchs des Herrn norwegischen Außenministers gefallen ist. Ich richte aber diese Frage gleichzeitig auch an die Sozialdemokraten, die dem Herrn norwegischen Außenminister in Berlin ein Essen gegeben haben.

    (Abg. Wehner: Das ist eine sehr ungewöhnliche Methode — — !)

    — Herr Wehner, Sie belieben manchmal auch ungewöhnliche Methoden anzuwenden.

    (Abg. Wehner: Eine sehr ungewöhnliche Methode, daß man eine Partei nach einem Regierungschef eines anderen Landes fragt! Hören Sie mal!)

    — Herr Wehner, das müssen Sie bitte mir überlassen!

    (Abg. Wehner: Das überlasse ich auch Ihnen; aber mir müssen Sie es überlassen, daß ich es ungewöhnlich finde!)

    — Herr Wehner, ich sage Ihnen noch einmal: die Methode, die ich anzuwenden beliebe, müssen Sie mir überlassen. —
    Meine Damen und Herren! Die richtige Außenpolitik — wenn es überhaupt eine richtige Außenpolitik gibt — kann sicherlich nicht mit dem Rechenschieber gemacht werden. Es wind erst später einmal von anderen darüber entschieden wenden, und die Verhältnisse, wie sie sich einmal darstellen, werden zeigen, wer recht gehabt hat.
    Aber ich glaube doch eines sagen zu können: Daß wir hier heute sitzen und uns freimütig über alle diese Probleme aussprechen können, ist wohl der schlagendste Beweis dafür, daß die Außenpolitik der Bundesregierung in den letzten Jahren grundsätzlich richtig gewesen ist.
    Es ist in den Darlegungen der Herren Vorredner auch von der aus dem Osten drohenden Gefahr wiederum die Rede gewesen. Ich brauche dazu nichts zu sagen; es weiß jeder, was damit gemeint ist. Allerdings sollten wir nicht übersehen, daß 'diese Gefahr uns nicht nur militärisch droht, sondern daß sie insbesondere auf dem Felde der Wissenschaft und Technik droht. Ich möchte das, was der Kollege Kiesinger hier vorhin gesagt hat, nachdrücklich unterstreichen. Auch meine Freunde von der Deutschen Partei und ich wünschen uns sehnlichst, daß Wissenschaft, Technik und Forschung als einem Instrument, das auch der Außenpolitik dient, in der Zukunft nachdrücklichere Förderung zuteil werden möge, als es in der Vergangenheit der Fall gewesen ist. Wir haben einen guten Ansatz dazu bereits in diesem Haushaltsplan; aber wir werden in Zukunft noch mehr tun müssen, wenn wir nicht eines Tages auf diesem Felde überrollt wenden wollen.
    Ich gebe ohne weiteres zu, daß uns eine Gefahr, wenn auch auf andere Weise, allerdings auch auf anderen Gebieten, droht; beispielsweise, wenn Frankreich gezwungen ist, sich mit Algerien in einer Form auseinanderzusetzen, die wir alle bedauern müßten; bedauern nicht nur wegen der menschlichen Seite, sondern auch vom Bündnis her gesehen, da wir nicht übersehen können, daß wir auch mit den arabischen Nationen speziell seit eh und je eine traditionelle Freundschaft gepflogen haben, die wir unter keinen Umständen aufs Spiel setzen dürfen. Es ist schmerzlich für uns — ich mache damit den Franzosen keinen Vorwurf —, so drastisch demonstriert zu bekommen, wie stark die Tatsachen die Welt und die Politik regieren und wie wenig Raum für Gefühle und Sentiments dabei übrigbleibt. Das soll uns aber Ansporn sein, allen, sowohl unseren Bündnispartnern wie auch eventuell zukünftigen Freunden, mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Dazu ist eine der Hauptvoraussetzungen, daß dais Auswärtige Amt sich bemüht, auch diejenigen vakanten Auslandsposten zu besetzen, die heute immer noch nicht besetzt sind. Meine politischen Freunde und ich haben manchmal den Eindruck, daß es mit diesen Dingen etwas zu langsam geht und daß man, wenn man lange und noch länger gesucht hat, letzten Endes doch nicht immer den richtigen Griff getan hat. Eine Aktivierung der 'Besetzung der Auslandsämter wäre ebenfalls ein ausgezeichneter Beitrag zu einer Aktivierung unserer Außenpolitik schlechthin.
    Die Vorgänge auch im entferntesten Winkel der Welt, die heute seismographisch genau in den entgegengesetzten, entferntesten Winkeln gemessen wenden, machen es notwendig, daß man das Ohr dauernd an den Vorgängen dieser Welt hat, um in diesem Welttheater 'bestehen zu können.
    Deswegen unterstreiche ich, was der Herr Kollege Becker heute morgen ausgeführt hat, der noch einmal auf seinen seinerzeitigen Vorschlag einer gemeinsamen Aussprachebasis für außenpolitische Fragen zurückgekommen war. Wir unterstützen diesen Vorschlag wärmstens und müssen uns darüber im klaren ,sein, wenn wir zu einer solchen Diskussion kommen, daß wir nur dann verlangen können, daß unsere eigenen Anliegen von anderen vertreten wenden, wenn wir uns selbst darüber einig sind, wie wir unsere Anliegen vertreten wollen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien und der FDP.)