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ID0303801000

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    Deutscher Bundestag 38. Sitzung Bonn, den 2. Juli 1958 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Scharnberg 2177 A Zur Tagesordnung Rasner (CDU/CSU) . . . . . . 2177 B Dr. Mommer (SPD) . . . . . . 2177 C Entwurf eines Gesetzes zur Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1958 (Haushaltsgesetz 1958) (Drucksachen 300, 354, 357, 362 bis 365, 378, 400 bis 404, 408, 412, 413, 440 bis 444, 447, 460 bis 468); Zusammenstellung der Beschlüsse zweiter Beratung (Drucksache 490) — Fortsetzung der dritten Beratung — in Verbindung mit den Anträgen zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. die deutsche Frage auf künftigen internationalen Konferenzen (Drucksache 238) und der Großen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Gipfelkonferenz und atomwaffenfreie Zone (Drucksache 230); Mündlicher Bericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten (Drucksache 502) . . . . . . . .2177 D, 2201 A Allgemeine Aussprache Dr. Gradl (CDU/CSU) . . . . . 2177 D Dr. Meyer (Frankfurt) (SPD) . . . 2179 D Dr. von Brentano, Bundesminister . 2183 D Dr. Becker (Hersfeld) (FDP) . . . 2187 D Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . 2193 C Kiesinger (CDU/CSU) . . . . . 2194 B Schneider (Bremerhaven) (DP) . 2197 D Schultz (FDP) 2201 A Ritzel (SPD) . . . . . . . . 2204 D Probst (Freiburg) (DP) . . . . 2206 C Strauß, Bundesminister . . 2208 A, 2229 C, 2239 A Merten (SPD) 2222 D Wienand (SPD) . . . . . . . 2236B Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) . . 2241 A Weiterberatung vertagt . . . . . . 2246 C Nächste Sitzung 2246 C Anlagen 2247 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1958 2177 38. Sitzung Bonn, den 2. Juli 1958 Stenographischer Bericht Beginn: 9.02 Uhr
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Graf Adelmann 7. 7. Frau Albertz 5. 7. Altmaier * 5. 7. Dr. Barzel 5. 7. Bauer (Würzburg) * 5. 7. Bauknecht 5. 7. Frau Beyer (Frankfurt) 5. 7. Birkelbach * 5. 7. Fürst von Bismarck * 5. 7. Blachstein * 5. 7. Burgemeister 4. 7. Frau Döhring (Stuttgart) 31. 7. Döring (Düsseldorf) 5. 7. Dr. Eckhardt 2. 7. Euler 4. 7. Franke 12. 7. Gaßmann 5. 7. Gerns * 5. 7. D. Dr. Gerstenmaier 2. 8. Gockeln 3. 7. Heye * 5. 7. Höfler * 5. 7. Frau Dr. Hubert * 5. 7. Jacobs * 5. 7. Kiesinger * 5. 7. Dr. Königswarter 5. 7. Dr. Kopf * 5. 7. Kriedemann 5. 7. Kühlthau 2. 7. Kühn (Köln) * 5. 7. Leber 4. 7. Lohmar 2. 7. Lücker (München) * 5. 7. Frau Dr. Dr. h. c. Lüders 5. 7. Frau Dr. Maxsein* 5. 7. Metzger * 5. 7. Dr. Meyer (Frankfurt) * 5. 7. Müller-Hermann 5. 7. Frau Niggemeyer 12. 7. Paul * 5. 7. Dr. Preiß 5. 7. Pusch 5. 7. Frau Dr. Rehling 2. 7. Richarts 2. 7. Ruf 5. 7. Scheel 5. 7. Dr. Schneider (Saarbrücken) 5. 7. Schoettle 19. 7. Schütz (Berlin) 5. 7. Schütz (München) * 5. 7. Seidl (Dorfen) * 5. 7. Spies (Brücken) 4. 7. Struve 5. 7. Dr. Wahl* 5. 7. Frau Dr. h. c. Weber (Essen) * 5. 7. Dr. Will 5. 7. Dr. Zimmer * 5. 7. *) für die Teilnahme an der Tagung der Versammlung der Westeuropäischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Umdruck 150 Änderungsantrag der Fraktion der SPD zur dritten Beratung des Entwurfs des Haushaltsgesetzes 1958, hier: Einzelplan 14 Geschäftsbereich des Bundesministers für Verteidigung (Drucksachen 300 Anlage, 464, 490). Der Bundestag wolle beschließen: In Einzelplan 14 - Geschäftsbereich des Bundesministers für Verteidigung sind die Gesamtausgaben um 3 000 000 000 DM zu kürzen. Bonn, den 1. Juli 1958 Ollenhauer und Fraktion Anlage 3 Schriftliche Antwort des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Wienand (Fragestunde der 35. Sitzung vom 26. Juni 1958, Drucksache 473, Frage 16): Ist der Bundesregierung bekannt, daß bei der als Musterzusammenlegung bezeichneten Zusammenlegung in Ägidienberg (Siegkreis) eine Freifläche von ca. 9 bis 10 Morgen nicht an einen Landwirt, der sich zur Abrundung seines Besitzes darum beworben hatte, verkauft worden ist, sondern an einen Nichtlandwirt? Ist die Bundesregierung bereit, in Zukunft alles ihr Mögliche zu tun und darauf hinzuwirken, daß Landwirte zur Abrundung ihres Besitzes und zur Herstellung ihrer Existenzfähigkeit in den Besitz solcher Freiflächen bei Zusammenlegungsverfahren kommen? Ihre Frage erlaube ich mir, wie folgt, zu beantworten: Die praktische Durchführung der Flurbereinigungen und beschleunigten Zusammenlegungen ist Angelegenheit der Länder. Nach den bei der zuständigen Landesbehörde getroffenen Feststellungen liegt der Fall folgendermaßen: Bei der in Frage stehenden Fläche handelt es sich um mehrere, seit Jahrzehnten nicht mehr in Kultur befindliche, versumpfte und von Quellen durchsetzte Grundstücke mit einer Gesamtgröße von 2,58 ha, die im Rahmen der Flurbereinigung zusammengefaßt worden sind, aber wegen ihres 'schlechten Kulturzustandes nicht an einen Beteiligten der Flurbereinigung ausgewiesen werden konnten. Die Fläche wurde daher nach öffentlicher Bekanntmachung im Februar 1957 zum Verkauf ausgeschrieben. Als Kaufinteressenten bewarben sich der Eigentümer eines größeren Hofeis mit 50 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche und 125 ha Wald, der die Fläche zur Abrundung seines Waldbesitzes aufforsten wollte, und außerdem ein Viehhändler und Metzgermeister, der sie zu kultivieren und als Viehweide zu nutzen beabsichtigte. Im Herbst 1957 und Frühjahr 1958 bewarben sich aus anderen Gemeinden zwei weitere Landwirte. Der Vorstand der Teilnehmergemeinschaft der Flurbereinigung beschloß jedoch am 16. April 1958 einstimmig, die Fläche an den Viehhändler zu verkaufen, da dieser am ehesten in der Lage sei, die für eine Kultivie- 2248 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2. Juli 1958 rung notwendigen erheblichen Mittel aufzubringen und so das Land einer landwirtschaftlichen Nutzung zuzuführen. Eine Eigentumsübertragung hat noch nicht stattgefunden. Der Vorstand der Teilnehmergemeinschaft soll nochmals mit der Angelegenheit befaßt werden. Die Bundesregierung ist zwar in Verfolgung Ihres Programms zur Verbesserung der Agrarstruktur immer bemüht gewesen, auf die Länder dahingehend einzuwirken, daß alle innerhalb und außerhalb von behördlich gelenkten Flurbereinigungs- und beschleunigten Zusammenlegungsverfahren frei werdenden Flächen, die sich für eine landwirtschaftliche Nutzung eignen, zur Aufstockung landwirtschaftlicher Betriebe bis auf die Größe von Familienbetrieben verwendet werden. Es ist aber in der praktischen Durchführung nicht möglich, diesen Grundsatz in jedem einzelnen Fall zu verwirklichen. Bonn, den 27. Juni 1958 Lübke
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    Rede von Dr. Heinrich von Brentano


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Professor Meyer Stellung nehmen und möchte damit beginnen, daß auch ich meine Befriedigung darüber ausdrücke und betone, wie glücklich ich es empfunden habe, daß wir heute morgen im Auswärtigen Ausschuß in einer so wesentlichen Frage zu einer gemeinsamen Entschließung gekommen sind. Es ist in der Tat die wesentlichste Frage der Außenpolitik, die uns in den letzten Sitzungen des Ausschusses beschäftigt hat, und die Diskussion hat doch wieder bewiesen, daß es in dieser Frage Meinungsverschiedenheiten geben mag, die sich vielleicht auf die Art der Verwirklichung, auf die Prozedur beziehen — Dinge, die ich in diesem Zusammenhang als Nuancen bezeichnen möchte —, während in der Zielsetzung, so glaube ich, im Ausschuß die volle Übereinstimmung sichtbar wurde, wie es auch Herr Kollege Gradl heute morgen hier vorgetragen hat. Ich glaube, Ihnen kaum sagen zu müssen, daß die Bundesregierung diesen, wie ich wohl annehmen kann, einmütigen Auftrag des Parlaments auch mit dem gebührenden Ernst behandeln wird.
    Lassen Sie mich nun zu den einzelnen Punkten, die Herr Professor Meyer behandelt hat, einiges



    Bundesaußenminister Dr. von Brentano
    sagen. Erlauben Sie mir aber zunächst eine Vorbemerkung.
    Die Fragen, die Herr Kollege Meyer stellte, die Punkte, an denen er Kritik übte, — irgendwo gipfelte das alles in der kritischen Frage, ob es nicht der Bundesregierung und insbesondere der auswärtigen Politik der Bundesregierung an der nötigen Initiative fehle, ob nicht von einer Ideenarmut gesprochen werden müsse. Ja, es war herauszuhören, daß Herr Kollege Dr. Meyer doch meinte, die Bundesregierung habe sich in den vergangenen Jahren mehr oder weniger darauf beschränkt, rezeptiv die Dinge zu verfolgen, ohne aktiv in die Entwicklung der Dinge einzugreifen.
    Meine Damen und Herren, ich verstehe, daß eine solche Kritik Lautwerden kann, ja daß sie lautwerden muß. Denn wir alle empfinden es doch, daß sich die Welt in dem Zustand einer chaotischen Unordnung befindet, die uns alle — ich sage: alle, denn ich möchte die Länder, in denen sich eine öffentliche Meinung nicht bilden kann, nicht ausnehmen — in gleichem Maße bedrückt. Die Frage, die wir alle stellen, ist doch die, ob diese harte Auseinandersetzung, die in dem Rüstungswettlauf ihren Ausdruck findet, zu einem Ziel, zu einer Lösung führen kann, die uns befriedigt; und die Sorge, die wir alle empfinden, ist doch die, ob es uns möglich ist, diese Zeit durchzustehen. Es machen sich gewisse Ermüdungserscheinungen bemerkbar — und das scheint mir verständlich zu sein —, eine gewisse Unruhe und Ungeduld, daß nichts Wesentliches erreicht worden ist, um aus dieser Spannung in der Welt herauszukommen, ja, daß wir, wenn irgendwo ein Ansatz für eine Entspannung sich zu zeigen scheint, immer wieder feststellen müssen, daß eine neue Entwicklung diese Möglichkeit schon wieder zu überschatten scheint.
    Ich sagte: es ist begreiflich, daß diese Kritik lautwird. Sie wird ja wohl in allen Ländern laut, in denen es eine öffentliche Meinung gibt, in denen eine Diskussion möglich und notwendig ist. Aber ich bitte Sie doch, meine Damen und Herren, bei der Kritik nicht von der, wie mir scheint, falschen Logik auszugehen, daß, wenn ein Ziel der Politik in den letzten Jahren nicht erreicht werden konnte, das ein Beweis dafür sei, daß diese Politik falsch war. Ich glaube, so können wir nicht argumentieren. Ich gehe gerade auf diese Frage ein, die uns ja alle beschäftigt, die Frage der Wiederherstellung der deutschen Einheit. Was ist erreicht worden? Sind wir diesem Ziel nähergekommen? Ich höre die Kritik: „Wir sind diesem Ziel nicht nähergekommen" — und das ist richtig —; und daran schließt sich dann die kritische Feststellung: „Also war die Außenpolitik der Bundesregierung falsch."
    Meine Damen und Herren, ist das ein Schluß, der gezogen werden kann? Ist es angängig, aus einem objektiv unbestreitbaren Mißerfolg in einem Bereich der Politik die Schlußfolgerung zu ziehen, daß es nun diese Politik gewesen sei, die den Mißerfolg verschuldet habe? Meine Damen und Herren, dagegen wehre ich mich,

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    das scheint mir in der Tat eine eigenartige logische Fehlleistung zu sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ebenso — und damit komme ich auf das, was Herr Kollege Meyer auführte, als er die Frage der deutschen Beziehungen zum Satellitenbereich besprach — scheint es mir falsch zu sein, aus der Untätigkeit der Bundesregierung auf einem gewissen Gebiet nun den Schluß zu ziehen, daß die Bundesregierung keine Initiative ergreife. Denn es gibt ja auch die Alternative zwischen einer richtigen und einer falschen Initiative; und wenn die Bundesregierung bisher — vielleicht im Gegensatz zu Ihnen, meine Damen und Herren, aber nach pflichtgemäßer Prüfung der Lage, die sie zu sehen glaubt — von einer solchen Initiative Abstand genommen hat,

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    dann scheint mir das kein Beweis dafür zu sein, daß wir arm an Ideen waren, sondern ein Beweis dafür, daß wir entschlossen waren, falsche Ideen nicht zu verwirklichen.
    Ich möchte nun, Herr Kollege Meyer, nicht in die Diskussion über das Für und Wider der Beziehungen zu den Oststaaten im einzelnen eintreten. Ich darf hier als bekannt unterstellen — Sie haben ja auch darauf hingewiesen, Herr Kollege —, daß wir uns mit dieser Frage im Auswärtigen Ausschuß schon sehr sorgfältig beschäftigt und uns dahin verständigt haben, diese Frage demnächst im Auswärtigen Ausschuß noch einmal zu Ende zu diskutieren.
    Ich bitte Sie um Verständnis dafür, daß ich mich hier zurückhalte; denn ich glaube, wir erweisen der Sadie keinen guten Dienst, wenn ich hier als Sprecher der Bundesregierung etwa das Für und Wider einer solchen Entscheidung in einer unbeschränkten Öffentlichkeit vortrage. Wir müssen uns hier außerordentlich zurückhalten; denn — darin sind wir sicherlich einig — was wir auch tun, es darf nicht dahin ausschlagen oder auch nur dahin ausgelegt werden, als wollten wir in diesem Bereich irgendeinen Einfluß ausüben — Sie haben es mit Recht hervorgehoben — oder als würden wir irgendwelche spekulativen Erwägungen mit einer solchen Entscheidung verbinden, als könnten wir durch unsere Anwesenheit dort einen Prozeß, der sich in diesem Bereich vollzieht, fördern oder hemmen. Das verbietet mir auch — ich glaube, Sie haben Verständnis dafür —, nun im einzelnen die Gründe darzulegen, warum wir bis zur Stunde eine solche Entscheidung noch nicht getroffen haben.
    Ich möchte aber eines hinzufügen: daß wir sie nicht getroffen haben, hat nicht den Grund — ich habe es früher schon einmal gesagt —, daß wir etwa die Existenz und die Existenzberechtigung dieser Staaten bestreiten. Wir erkennen diese Staaten als souveräne Staaten voll an und wir haben auch den Wunsch, zum rechten Zeitpunkt unsere Beziehungen auch zu diesen Staaten so zu gestalten, daß sie — ich wage das zu hoffen — zu einem späteren Zeitpunkt, nach Ausräumung von Schwierigkeiten, die eine traurige Vergangenheit noch auf uns legt, zu einer echten Freundschaft werden und auf der



    Bundesaußenminister Dr. von Brentano
    Grundlage gegenseitiger Achtung und einer echten Partnerschaft ausgebaut werden können.
    Die Nichtaufnahme diplomatischer Beziehungen zu diesen Staaten — handelspolitische Beziehungen unterhalten wir zu allen diesen Staaten — hat nicht etwa den Grund — ich brauche es hier kaum zu wiederholen —, daß wir damit diesen Staaten und ihren Regierungen eine Zensur erteilen, daß wir ihre Politik kritisieren wollen, daß wir sie durch die Nichtaufnahme der amtlichen Beziehungen zu einer anderen Politik zwingen wollen. Die Gründe, die die Bundesregierung bisher veranlaßt haben, diplomatische Beziehungen zu Polen und zu anderen Staaten noch nicht aufzunehmen, liegen vielmehr auf einem anderen Gebiet, sie liegen tiefer. Ich hoffe und wünsche, daß wir uns darüber demnächst im Auswärtigen Ausschuß noch einmal sehr eingehend aussprechen und unterhalten werden.
    In diesen Bereich gehört auch das, was Herr Kollege Meyer über die mögliche Untätigkeit der Bundesregierung bei der Vorbereitung einer Gipfelkonferenz und bei dem internationalen Gespräch über Abrüstung und Entspannung geäußert hat. Meine Damen und Herren, ich möchte hier mit großem Nachdruck sagen: die Bundesregierung kann mit gutem Gewissen erklären, daß dieser Vorwurf unbegründet ist. Es wäre leicht — ich möchte es nicht tun, um die Diskussion nicht auszuweiten —, heute und hier einen kurzen Rechenschaftsbericht zu geben, um diesen Vorwurf zu entkräften; denn unsere Politik in allen Gebieten der Welt hat gezeigt, daß wir es an Initiative weiß Gott nicht haben fehlen lassen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ist es denn von ungefähr gekommen — ich glaube, niemand wagt das zu behaupten —, daß wir, zunächst in dem Raum, in dem wir Partner hatten, mit denen wir sprechen konnten, die Beziehungen der Bundesrepublik zu allen ihren Nachbarstaaten völligneugestaltet haben, so daß wir heute sagen können, daß es im europäischen Raum keine Rivalitäten und keine Spannungen mehr gibt, sondern nur noch eine gemeinsame Politik, die auf gegenseitiger Achtung, auf dem Bewußtsein der Solidarität beruht.
    Deswegen glaube ich auch, wenn ich das in einem Zwischensatz sagen darf, daß wir heute keinen Anlaß haben, etwa eine Alternative für die bisherige deutsch-französische Politik zu suchen, weil wir es für möglich halten müßten, daß die neue französische Regierung eine andere Politik führen könnte. Meine Damen und Herren, wenn wir uns heute schon mit einer Alternative unserer bisherigen Politik gegenüber Frankreich beschäftigen wollten, dann wäre das allerdings ein Ausdruck des Mißtrauens, der in Paris die logische Konsequenz hervorrufen müßte, die Politik zu ändern.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich möchte auch hinzufügen, daß sich nach allem, was wir bisher wissen, die Erwartung der Bundesregierung bestätigt hat. Die Erklärungen, die der französische Ministerpräsident selbst, die Erklärungen, die sein Außenminister Couve de Murville, die Erklärungen, die sein Finanz- und Wirtschaftsminister Pinay abgegeben haben, bestätigen in
    völlig eindeutiger Weise, daß die französische Regierung entschlossen ist, die bisherige Politik in ihren großen Linien fortzuführen. Was nun die französische Regierung im Interesse des eigenen französischen Volkes für nötig hält, zusätzlich zu tun, meine Damen und Herren, darauf Einfluß zu nehmen ist nicht unser Recht, geschweige denn unsere Pflicht. Deswegen kann ich nur sagen: Wir sind überzeugt, daß die Politik, die in der Westeuropäischen Union und in der Atlantischen Gemeinschaft ebenso wie im Gemeinsamen Markt und in der Montanunion ihren Niederschlag gefunden hat, ihren Fortgang nehmen wird. Die Bundesregierung ist auf jeden Fall entschlossen und bereit, gerade auch im Verhältnis zu Frankreich alles zu tun, um die Fortsetzung dieser Politik sicherzustellen. Denn ich bin mit Ihnen der Meinung, Herr Kollege Meyer, daß das deutsch-französische Verhältnis wirklich die entscheidende Vorfrage für eine Friedensregelung in Europa und darüber hinaus in der Welt ist.

    (Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

    Aber ich sagte, wir haben es auch sonst nicht an der Initiative fehlen lassen, und die dunkle Vermutung von Herrn Kollegen Dr. Meyer, daß der Geist des Geheimrats von Holstein im Auswärtigen Amt hier noch irgendwo zu spüren sei — ich glaube, ich darf Sie angenehm enttäuschen und Ihnen sagen: dem ist nicht so. Ich habe schon angedeutet, es ist doch wirklich nicht durch Zufall dahin gekommen, daß wir heute zu allen Staaten der Welt, zu den Staaten, mit denen wir in einem engen Bündnissystem stehen. ebenso wie zu den Staaten, die diesen Bündnissystemen nicht angehören, ja sogar, die diese Bündnissysteme kritisch ablehnen, gute, ja ausgezeichnete Beziehungen unterhalten auf dem Gebiet der Politik, auf dem Gebiet der Wirtschaft, auf dem Gebiet des kulturellen Austausches. Ausgenommen sind bisher leider nur die Staaten des Sowjetblocks mit Ausnahme der Sowjetunion selbst.
    Hatten Sie wirklich nicht den Eindruck, daß es doch eine ganz erfolgreiche Initiative war, die wir entfaltet haben, Herr Kollege Meyer, als wir unsere Beziehungen zu Frankreich, zu Belgien, zu Österreich, zu Italien, zu Spanien, zu Portugal und zu anderen Staaten regelten, als wir Verträge abschlossen, die mit den traurigen Restbeständen einer miserablen Vergangenheit aufräumten und die Voraussetzungen dafür geschaffen haben, daß wir nun mit diesen Staaten einen neuen Start gemeinsam beginnen, der auf der Partnerschaft und auf der Freundschaft beruht? Meine Damen und Herren, das war nicht das Ergebnis mangelnder Initiative, sondern ich wage zu behaupten: das war das Ergebnis einer sehr fruchtbaren Initiative.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Ausgezeichnet! — Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Lassen Sie mich aber auch sagen: wir haben diese Initiative auch nicht nach dem Osten vermissen lassen. Vor zweieinhalb Jahren hat der Herr Bundeskanzler die Einladung nach Moskau angenommen. Sie wissen selbst, daß dieser Entschluß nicht leicht war. Er hat sie angenommen in der Hoffnung, daß wir die Beziehungen zur Sowjetunion tatsächlich auf eine andere Grundlage stellen könn-



    Bundesaußenminister Dr. von Brentano
    ten. Wir sind auch nicht mit allzu großen Erwartungen dorthin gefahren. Nun, wir haben dort am Abschluß dieser Gespräche die Grundlage für einen ersten Abschnitt in diesen neuen Beziehungen gefunden. Wir haben das Problem der Kriegsgefangenen regeln können, das doch wie eine psychologische Hypothek auf dem deutsch-russischen Verhältnis lastete. Wir haben diplomatische Beziehungen aufgenommen. Gewiß, nicht alle Erwartungen, die wir hatten, sind in Erfüllung gegangen. Aber, meine Damen und Herren, ist das ein Mangel an deutscher Initiative?
    Wir haben sehr oft aus dem Munde der leitenden Politiker der Sowjetunion gehört, der Sowjetunion liege an einer Normalisierung des Verhältnisses zum deutschen Volk. Wir sind bereit, diesen Weg mitzugehen. Aber bisher sind wir doch wohl verpflichtet, diese Erklärungen mit einem gewissen Mißtrauen zu betrachten. Denn die Voraussetzungen dafür, daß das deutsche Volk seine Beziehungen zur Sowjetunion neu gestalten kann, sind auf Grund des „Nein" der Sowjetunion bisher noch nicht geschaffen worden. Die Wiedervereinigung Deutschlands ist bisher an dem Nein der Sowjetunion gescheitert, und — ich wiederhole es auch hier — von normalen Beziehungen zwischen der Sowjetunion und dem deutschen Volke kann erst dann die Rede sein, wenn e i n sowjetrussisches Volk mit einem deutschen Volk verhandelt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Aber auch diese Enttäuschung — um ein sehr zurückhaltendes Wort zu wählen — hat uns nicht gehindert, auch in diesem Bereich weitere Initiative zu entfalten. Sie werden sich erinnern, daß im letzten Jahr eine deutsche Delegation nach Moskau fuhr, um dort Verhandlungen über einen Konsularvertrag, über einen Handelsvertrag und über die Repatriierung Deutscher aus der Sowjetunion aufzunehmen. Nun, diese Verhandlungen waren nicht leicht; Sie wissen es selbst. Die Delegation hat entsprechend der Weisung der Bundesregierung auch alle Rückschläge hingenommen. Sie hat weiter verhandelt, zäh und unermüdlich, und vor wenigen Wochen — es war wohl am 24. April — konnte ich die Vereinbarungen, die in Moskau entstanden sind, mit dem stellvertretenden Ministerpräsidenten der Sowjetunion, Herrn Mikojan, hier in Bonn unterzeichnen. Ich glaube, ich kann feststellen, daß es auch hier nicht an der deutschen Initiative fehlte. Denn daß wir auch diesen neuen Schritt in den deutsch-russischen Beziehungen taten, ist ebenfalls auf die Initiative der Bundesregierung zurückzuführen.
    Nun komme ich zu der Frage, die Sie gestellt haben, Herr Kollege Meyer: In welcher Weise beschäftigt sich die Bundesregierung mit den großen politischen Problemen, die heute in aller Leute Munde sind, der Vorbereitung der Gipfelkonferenz, der Abrüstung oder was sonst? Sie haben dabei auch ,die Frage gestellt: Hat die Bundesregierung schon irgendeine Vorstellung über ihre unmittelbare Beteiligung an einer solchen Konferenz?
    Zum ersten möchte ich sagen: Die Bundesregierung war an den Abrüstungsverhandlungen, die in
    London geführt worden sind und die mit der Ausarbeitung der Vorschläge vom 29. August vorigen Jahres ihren vorläufigen Abschluß gefunden haben, unmittelbar beteiligt. Sie saß nicht am Verhandlungstisch, wie auch viele andere Staaten nicht am Verhandlungstisch saßen. Aber sie hat auf dem Wege der laufenden Konsultation mit ihren Bündnispartnern nicht nur die Information über das erhalten, was geschehen ist, sondern sie hat sich in diese Verhandlungen auch durch eigene Vorschläge aktiv eingeschaltet. Daß das nicht in der Weise geschah, daß wir Noten veröffentlichten, hat dem Erfolg vielleicht mehr gedient als die Veröffentlichung zahlreicher Noten, Memoranden und Briefe, die in den letzten Wochen und Monaten erfolgte und von der ich nur sagen kann, daß sie dem Erfolg hinderlich ist. Die Abrüstungsvorschläge, die dann am 29. August gemacht worden sind, sind in Zusammenarbeit mit der Bundesregierung entstanden, und sie sind von der Bundesregierung vollinhaltlich gebilligt. Daß sie nicht wertlos waren, meine Damen und Herren, zeigte ja auch die Abstimmung im November in den Vereinten Nationen, als eine überwältigende Mehrheit in der Vollversammlung der Vereinten Nationen, alle Saaten außer denen des Ostblocks, diese Abrüstungsvorschläge als eine gesunde Grundlage für weitere Verhandlungen bezeichnet hat.
    Das gleiche gilt auch — und auch 'darüber möchte ich Herrn Kollegen Meyer beruhigen — für die Vorbereitung der Gipfelkonferenz. Sie dürfen überzeugt sein, daß die Bundesregierung, die sehr wohl weiß, daß auf dieser Gipfelkonferenz, sei es heute, sei es morgen, sei es mittelbar oder unmittelbar, auch über das deutsche Volk entschieden werden wird, nicht daran denkt, diese Gipfelkonferenz untätig an sich herankommen zu lassen, sondern daß sie mit allen Mitteln bemüht ist, sich in diese Vorbereitungen einzuschalten. Die freundschaftlichen Beziehungen einer Partnerschaft, wie wir sie mit den anderen Staaten unterhalten, ermöglichen es uns, daß wir nicht mir über jeden Schritt, der hier geschieht, unterrichtet werden, sondern daß wir uns — und das möchte ich mit großem Nachdruck hier sagen — auch mit eigenen Vorstellungen und Ideen an dieser Gipfelkonferenz beteiligen.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Wehner: Alles ist bestens!)

    — Ich weiß nicht, Herr Kollege Wehner, warum Sie nun sagen: „Alles ist bestens". Ich kann mir nicht denken, daß das eine Zustimmung sein sollte. Aber warum Sie in diesem Zusammenhang eine Kritik äußern, weiß ich nicht recht. Ist es eine Kritik, weil Sie enttäuscht sind, daß ich mich nicht zur Ideenarmut bekenne?
    Ich wiederhole: Wir sind in diese Vorbesprechungen nicht nur eingeschaltet, sondern wir nehmen an den Vorbereitungen unmittelbar teil, weil wir wissen, daß wir hier auch eine Mitverantwortung tragen, der wir uns gar nicht entziehen können, eine Mitverantwortung, die wir einmal vor unserem deutschen Volk haben— und diese Verantwortung



    Bundesaußenminister Dr. v. Brentano
    kann uns niemand abnehmen —, aber auch eine Mitverantwortung, die wir für die Ordnung der Dinge in Europa und in der Welt tragen, an der wir uns .beteiligen wollen, weil sie nicht ohne oder gar gegen uns, sondern mit uns entstehen soll.
    Auf die Frage der unmittelbaren Beteiligung der Bundesregierung an solchen Verhandlungen möchte ich heute und hier nicht eingehen. Ich glaube, daß diese Frage zumindest verfrüht ist; verfrüht ist, solange wir noch nicht einmal den Teilnehmerkreis der Konferenz als solchen kennen; verfrüht ist auch, solange wir uns nicht doch darüber Gedanken gemacht haben, welche Konsequenzen diese Beteiligung in anderen Bereichen auslösen wird. Daß wir kein Interesse daran haben, durch eine falsche Art der Beteiligung einen indirekten Beitrag zur Anerkennung der DDR zu leisten, ist ebenso selbstverständlich wie die Feststellung, daß wir nicht, um jeden Anschein einer Anerkennung der DDR zu vermeiden, uns selbst aus solchen Beratungen in irgendeiner Weise ausschließen werden. Ich glaube, es geht hier darum, den richtigen Mittelweg zu finden, und Sie dürfen überzeugt sein, daß wir zum rechten Zeitpunkt und in der rechten Form unsere Vorstellungen auch darüber unterbreiten werden. — Meine Damen und Herren! Soweit zu dem Allgemeinen, was gesagt worden ist.
    Ich möchte noch ein paar Worte zu dem sagen, was Herr Kollege Meyer über die Kulturpolitik ausgeführt hat. Ich bin hier für jede Unterstützung aus dem Hohen Hause dankbar, und ich kann nur mit Befriedigung feststellen, daß auch der Herr Finanzminister bei der Beratung des neuen Haushalts diesen Bedürfnissen des Auswärtigen Amtes sehr weit entgegengekommen ist. Unserem guten Wollen sind natürlich finanzielle Grenzen gesetzt. Wir müssen uns auch darüber klar sein, daß die Aufgaben, die uns gestellt sind, außerordentlich groß sind. Die Aufgaben kommen ja zusammen, denn wir haben — wenn ich das Wort gebrauchen darf — einen echten Nachholbedarf.

    (Abg. Dr. Gülich: Sehr richtig!)

    All das, was wir im Ausland hatten, ist zerstört worden. Wir haben die Kontakte verloren. Wir müssen die Schülen wiedererrichten, die Kulturinstitute,

    (Abg. Dr. Gülich: Krankenhäuser!)

    wir müssen die Krankenhäuser wiedererrichten. Wir brauchen dafür außerordentlich hohe Mittel. Aber ich glaube doch sagen zu können, daß der neue Haushalt das Auswärtige Amt in die Lage versetzen wird, diese Aufgaben besser noch als seither zu erfüllen, was nicht besagen soll, daß ich nicht die Absicht habe, im nächsten Haushalt erneut auf diese Frage zurückzukommen.

    (Abg. Dr. Gülich: Im nächsten Haushalt muß mehr geschehen!)

    — Ja, deswegen sage ich es. Und ich möchte eine Anregung, die ich vor einiger Zeit schon einmal im Auswärtigen Ausschuß ausgesprochen habe, wiederholen, nämlich zu überlegen, ob es nicht gut wäre, wenn wir einen kleinen Unterausschuß des Parlaments schafften, der sich gerade mit der Aufstellung eines Plans für solche kulturellen Aufgaben beschäftigen soll. Wir müssen natürlich auch hier den Versuch machen, Wertkategorien zu bestimmen und zu prüfen, was vordringlich ist und was zurückgestellt werden kann. Ich wäre dankbar, wenn wir das in einem gemeinsamen Gespräch einmal machten, wie es mir überhaupt notwendig zu sein scheint, daß wir jetzt, nachdem wir, sagen wir einmal, die notwendige Zeit des Improvisierens überstanden haben, zu einer gewissen Planung auch in der Frage der Kulturpolitik kommen, zu Plänen, die über ein Jahr hinausschauen müssen, .damit wir nicht so wie seither — ich wiederhole es: es war eine Notwendigkeit — die augenblicksbedingten Forderungen erfüllen und anderes daneben liegenlassen. Hier bin ich - ich wiederhole es — für jede Unterstützung dankbar, und es gibt auch keinerlei Meinungsverschiedenheiten zwischen Regierung und Opposition, wenn wir diese Aufgaben gemeinsam lösen.
    Meine Damen und Herren, ich wollte mich darauf beschränken, zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Meyer Stellung zu nehmen und ihm zunächst einige Antworten und Aufklärungen zu geben. Andere Fragen, die in diesem Zusammenhang auch gestellt worden sind, werde ich vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt beantworten.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Becker.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Max Becker


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich der Beruhigung wegen — dabei denke ich an die vergangene Woche — mit einer Banalität beginnen. Wenn im Ausland unsere Sportler einmal nicht den gewohnten Sieg davongetragen haben, dann geht davon die Welt noch nicht unter.

    (Beifall.)

    Wenn deutsche Technik und deutsches Kunstschaffen im Ausland Anerkennung finden und wenn deutsche Sportler gewinnen, dann verdienen sie unseren Beifall, dann verdienen sie unser Lob, und dann sind wir stolz auf sie, — aber die außenpolitische Lage Deutschlands hat sich dadurch nicht geändert.

    (Beifall bei der FDP und SPD. — Abg. Wehner: Leider wahr!)

    Vergessen wir doch nie, wenn wir hier Außenpolitik treiben, wie die Welt wirklich aussieht! Da haben wir die beiden großen Staaten, die Atomgiganten, mit 180 Millionen Menschen in den USA und 220 Millionen in der Sowjetunion, dann die 350 Millionen in Hindustan, 80 Millionen in Pakistan, 80 Millionen in Indonesien, 88 Millionen in Japan und die 600 Millionen Einwohner von China mit 15 Millionen Menschen jährlichem Geburtenüberschuß, mit jenem China, das vor wenigen Tagen der großen amerikanischen Nation eine ultimativ befristete Aufforderung zugesandt hat, mit jenem China, in dem vor neun Jahren, 1949, das



    Dr. Becker (Hersfeld)

    letzte englische Kanonenboot den Jangtsekiang verließ, verfolgt von Artillerieschüssen der MaoTse-tung-Armee.
    Das müssen wir uns vor Augen halten, wenn wir Außenpolitik treiben wollen. Dann kommt uns das, was uns hier angeht, so bescheiden vor, daß ich einmal etwas in folgender Form ganz kurz formulieren möchte. Was sollte unser gemeinsames deutsches Anliegen sein? Frieden, Freiheit und Sicherheit für uns! Wiedervereinigung Deutschlands mit Berlin als Mittelpunkt und endlich ein freies und geeintes Gesamteuropa!

    (Beifall auf allen Seiten des Hauses.)

    Ich kann Ihnen nur sagen: wir, die Freien Demokraten, stehen gerade zur Erfüllung dieser Voraussetzungen zu den von uns mitabgeschlossenen Verträgen. Wir sind bereit, die Freiheit und die Sicherheit zu verteidigen. Wir bejahen auch eine Wehrpolitik, die der Lage Deutschlands und den rüstungstechnischen Gegebenheiten, aber auch der finanziellen Leistungsfähigkeit der Bundesrepublik entspricht. Bei alledem haben wir unsere Mittellage zwischen Ost und West zu beachten.
    Wie wollen wir das verwirklichen? Wenn wir hier eine außenpolitische Debatte führen, habe ich immer den Eindruck, daß sie, nachdem sie zuvor in der Presse mit großem Tamtam angekündigt worden ist, wie ein großer Strom beginnt. Dann entwickelt es sich in umgekehrter Richtung — etwa entsprechend der Symphonie von Smetana über die Moldau — von einem Strom rückwärts in einen Fluß und in ein Bächlein, und zum Schluß ist alles aus. Überschrift: Hornberger Schießen.

    (Heiterkeit.)

    Könnte man es nicht anders machen? Fangen wir einmal beim Außenpolitischen Ausschuß an! Ich bin seit 1949 Mitglied dieses Ausschusses. Ich will von vornherein zugeben — ich wende mich dabei an die Adresse unseres verehrten Kollegen Kiesinger und unseres Außenministers —, daß sich in den letzten Wochen Ansätze einer fruchtbaren, ergiebigen Diskussion gezeigt haben.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Aber was haben wir vorher erlebt! Da hat man unter dem Siegel der Vertraulichkeit mitgeteilt, was wir aus der ausländischen Presse längst wußten. Auf der anderen Seite hat man, um in die Dinge einzudringen, Fragen gestellt, die nicht Aufklärungsfragen, sondern Fangfragen waren; jetzt spreche ich einmal von der Opposition. Das genügt nicht, um Außenpolitik zu treiben.
    Wir haben in der Regierungserklärung vom vergangenen Herbst gehört, daß von der Regierung eine gemeinsame Außenpolitik gewünscht wird. Gut, wir sind auch der Meinung, sie sollte kommen. Warum sollte sie kommen? Überlegen wir doch einmal: Gibt es eine sozialistische, gibt es eine christlich-demokratische, gibt es eine liberale, gibt es eine klerikale Außenpolitik? Ich kenne nur eine deutsche Außenpolitik, und zwar eine Außenpolitik mit festen Zielen, während sich die Methoden von Fall zu Fall je nach den Umständen ändern müssen.

    (Beifall bei der FDP.)

    Deshalb bin ich der Meinung, es gäbe die Grundlage für eine gemeinsame Außenpolitik.
    Ferner: Die Durchschlagskraft der deutschen Argumente nach außen würde verstärkt werden, wenn gesagt werden könnte, hinter dieser Politik stehen alle Parteien.

    (Beifall auf allen Seiten des Hauses.)

    Auch deshalb sollten wir uns bemühen, zu einer gemeinsamen Außenpolitik zu kommen. Gerade jetzt, wo wir vor der Gipfelkonferenz stehen— ich darf in diesem Zusammenhang Herrn Kollegen Gradl für seine Ausführungen und für die prompte Vorlage des im Auswärtigen Ausschuß erarbeiteten Schlußantrags danken —, würde unser Anliegen besonders unterstützt sein, wenn wir mit einer gemeinsamen Außenpolitik aufwarten könnten. Der heute vorliegende Antrag ist dazu zwar nur ein kleiner, aber immerhin doch ein Anfang.
    Aus welchen Gründen noch eine gemeinsame Außenpolitik? Ich will es Ihnen ganz offen sagen: Ich habe in meiner Jugend — ich war damals etwa 20 bis 25 Jahre — in den Jahren vor dem ersten Weltkrieg mit Bangen erlebt, wie sich da die Wolken ,zusammenzogen, wie aus der Angst vor der Einkreisung, wie aus einem Rüstungswettbewerb zwischen Deutschland und England, wie aus den Balkanwirren, wie aus dem österreichisch-russischen Gegensatz sich ein Gewölk formte, bis dann mit dem Mord von Sarajewo der Blitz aus dem Gewölk her-niederfuhr und der Weltkrieg da war. Mich erinnert die heutige Situation furchtbar an jene Zeit. Ich habe die Sorge, daß es gehen könnte wie damals. Auch damals hat keiner der beteiligten Staaten einen Krieg gewollt. Ich bin überzeugt, daß angesichts des Gleichgewichts der Atomwaffen auch heute kein Staat dazu verführt werden könnte, vorsätzlich einen Krieg zu wollen. Aber so wie damals nach den Worten von Lloyd George die Menschheit, die europäische Menschheit zunächst und dann die weitere, in den Krieg hineingeschlittert ist, so könnten wir — das ist meine Sorge — durch. Mißtrauen, durch Unvorsichtigkeiten irgendwelcher Art in einen solchen Krieg hineinstolpern.

    (Beifall bei der FDP und SPD.)

    Deshalb bin ich der Meinung, wir könnten in der deutschen Politik durch alle Parteien hindurch auch darin übereinstimmen, wie ein solches Stolpern zu vermeiden wäre, d. h. daß wir uns überlegen, wie wir irgendwie aus den Dingen herauskommen und wie wir die internationale Atmosphäre dahin bessern können, daß derartige Gefahren beseitigt sind.
    Ich bitte, meine Damen und Herren, zu verstehen, wenn ich jetzt manche Ausführungen mache, daß sie keineswegs nur an unsere Adresse und keineswegs an die Adresse der Bundesregierung allein gerichtet sind, sondern weiter hinauszielend an alle diejenigen, die es angeht, auch an unsere Verbündeten. Ich darf noch einmal eine Erinnerung an den ersten Weltkrieg bringen. Damals die Parole: Durchhalten!



    Dr. Becker (Hersfeld)

    Durchhalten kann richtig sein, wenn eine Festung belagert ist und diese Festung durchhält, weil ihr Entsatz in Aussicht steht. Durchhalten kann richtig sein für einen vorgeschobenen Truppenteil, der standhalten muß, bis sich im Hintergrund neue Formationen gebildet haben für die Endentscheidung. Aber Durchhalten schlechthin für einen Staat allein ist gar nichts, ist falsch. Eine Zeitung — ich glaube, es war die „Welt" — hat am vergangenen Sonnabend an eine Szene aus dem ersten Weltkrieg erinnert. Damals, im Juni 1918, hat der Staatssekretär des Auswärtigen, Herr von Kühlmann, im Reichstag erstmalig davon gesprochen, daß das Durchhalten falsch sei und daß man verhandeln müsse. Er hat durchblicken lassen, daß er Verhandlungen eingeleitet habe.

    (Abg. Dr. Gülich: Er ist gestürzt worden!)

    — Er wurde gestürzt. Das war im Juni. Im August verlangte die Oberste Heeresleitung die Einleitung von Waffenstillstandsverhandlungen. Und im November 1918 war alles vorbei!
    Meine Damen und Herren! Alle Vergleiche hinken, aber die Vergangenheit ist dazu da, daß wir aus ihr lernen. Ich bin der Meinung, daß wir beizeiten durch unseren deutschen Beitrag im Zusammenwirken mit den anderen Nationen versuchen sollten, in Ausgleichsverhandlungen und in diplomatischen Verkehr mit den Staaten, mit denen wir noch nicht im Verkehr stehen, zu kommen. Man sage nicht, das widerspreche dieser oder jener Weltanschauung, es ginge nicht, weil wir damit dieses oder jenes anerkennen würden, was uns nicht liegt. Ich bin nun mal für Beispiele aus der Vergangenheit; deshalb bekommen Sie gleich noch zwei vorgesetzt.

    (Abg. Kiesinger: Herrn Bethmann-Hollweg haben Sie vergessen!)

    — Ich gehe noch viel weiter zurück zu einem, der viel mehr gekonnt hat als Bethmann-Hollweg, nämlich zu Bismarck. Als der Krim-Krieg nahte, waren die preußischen Fortschrittler der Meinung, es wäre nun die beste Gelegenheit, dem totalitären Staat des zaristischen Rußlands mit seinen Unterdrückungen,

    (Abg. Kiesinger: Totalitär?)

    mit seiner Unterdrückung der Meinungsfreiheit

    (Abg. Kiesinger: Es war nicht totalitär, sondern diktatorisch!)

    — das ist ungefähr dasselbe —, mit seinen Einkerkerungen, mit seinen Verbannungen nach Sibirien, einen richtigen Denkzettel zu versetzen; man solle sich am Krim-Krieg beteiligen. Bismarck tat es nicht, weil er davon ausging, daß er nicht nach Neigungen und nach Gefühlen zu handeln habe, sondern nach den Tatsachen. Und er hat recht daran getan, wenn man die weitere Zukunft bedenkt.

    (Abg. Dr. h. c. Pferdmenges: Beim KrimKrieg war Bismarck noch gar nicht da!)

    — Doch, er ist 1815 geboren, und er war damals Mitglied des Abgeordnetenhauses und hat sich in der von mir eben geschilderten Form geäußert. Wenn Sie es aber bezweifeln, dann empfehle ich
    Ihnen die neueste Biographie über Bismarck von Ludwig Reiners. Da können Sie es genau nachlesen. Wenn ich es nicht vor ein paar Wochen gelesen hätte, wüßte ich es vielleicht auch nicht so genau.

    (Unruhe und Zurufe von der CDU/CSU. — Abg. Dr. Bucerius: Er war nur Abgeordneter!)

    — Wenn Sie soviel Zwischenrufe machen, wird es immer noch länger; Ihr Schade!

    (Abg. Kiesinger: Wir hören Sie aber gern!)

    — Danke sehr, das schmeichelt mir.
    Nun das andere Beispiel! Als er auch noch nicht Minister, aber immerhin Gesandter in Paris war, machten ihm diesmal nicht die Fortschrittler, sondern die Gegenpartei, seine konservativen Freunde und Standesgenossen, zum Vorwurf, daß er sich mit einem Mann wie Napoleon III., der auf Grund des demokratischen Plebiszits gewählt sei, mit diesem Kronenräuber und Prätendenten unterhalte. Er sagte wieder: Ich richte mich nach den Interessen, die ich zu vertreten habe, und nach den Tatsachen, die ich vorfinde.
    Meine Damen und Herren, das war damals richtig, und es hat sich als richtig erwiesen. Vielleicht könnten wir — ich darf nochmals einschalten: unter „wir" verstehe ich nicht nur Deutschland — uns alle ein bißchen danach richten. Mein Wunsch ist also auch hierzu, daß wir uns in einem Gremium zusammensetzen und eine gemeinsame Außenpolitik finden.
    Ich hatte im vergangenen November an alle Fraktionen dieses Hauses einen entsprechenden Vorschlag brieflich herangetragen und dem Herrn Bundeskanzler sowie dem Herrn Minister des Auswärtigen davon Kenntnis gegeben. Ich konnte die Dinge nicht weiter verfolgen, weil ich dann, wie Sie wissen, längere Zeit krank war. Der Versuch ist im Sande verlaufen.
    Ich hatte darauf hingewiesen, daß die Bundesregierung einmal erklärt hatte, daß sie im Auswärtigen Ausschuß eigentlich nicht so frei sprechen könne, wie es nötig wäre. Meine Damen und Herren, daß dort die Vertreter der Länder sitzen, ist nicht unsere Schuld. Ich sage das, obwohl ich Mitglied des Parlamentarischen Rates war. Es ist nicht unsere Schuld; denn diese Sorte Föderalismus wollten wir ja nicht. Wir Bundestagsabgeordnete sitzen ja auch nicht in den Ausschüssen des Bundesrates, um zuzuhören und hineinzureden. Wenn es der Regierung zu viele Vertreter der Ministerien bei den Beratungen des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten sind, kann sie das ja kraft ihrer exekutiven Vollmachten abstellen. Jedenfalls ist der Hinweis, der Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten sei nicht sicher genug und deshalb könne die Regierung nicht alles das, was sie sonst vorgetragen hätte, vortragen, eine Unmöglichkeit. So etwas ist in keinem Parlament der Welt möglich.

    (Beifall bei der FDP und der SPD.)

    Um diesen Einwänden Rechnung zu tragen, hatte ich damals vorgeschlagen, eventuell ein anderes



    Dr. Becker (Hersfeld)

    Gremium, wenn auch nicht gerade institutioneller, aber konsultativer und unterrichtender Art zu schaffen. Auch das ist nicht geglückt. Der Herr Minister für auswärtige Angelegenheiten, der mir dankenswerterweise geantwortet hat, wies darauf hin, daß es zunächst Sache der Fraktionen sei, sich dazu zu äußern, und ließ durchblicken, daß ihm der Auswärtige Ausschuß lieber wäre. Mir auch, wenn wir im Auswärtigen Ausschuß jede Aufklärung bekommen!
    Ich will Ihnen ganz offen sagen, welche Aufklärungen wir wünschen. Ich möchte im Auswärtigen Ausschuß eine Aussprache haben über die militärstrategische Lage der Welt und die Stellung Deutschlands in ihr und zu ihr. Ich möchte eine Aussprache über den Verteidigungsplan haben, wie ihn sich die Regierung nunmehr organisatorisch denkt, eine Aussprache über die Konzeption, nach der sie Deutschland zu verteidigen gedenkt. Ich möchte, um nur eines zu sagen, das Wesentliche aus allen Berichten der Botschafter und Gesandten wissen. Ich möchte wissen, wie für den Fall eines Zusammenstoßes die Luftschutzsicherung der deutschen Bevölkerung gedacht ist, und weiter möchte ich wissen, was das alles zusammen kostet, damit wir aus diesem Gesamtplan heraus das, was mir und meinen Freunden am Herzen liegt, schaffen können, nämlich die gemeinsame deutsche Außenpolitik.
    Der Bundeskanzler hat mir damals im November 1957 geantwortet, er habe meinen Brief mit Interesse gelesen; er würde demnächst auf die Sache zurückkommen. Ich hoffe, daß dies wohl „demnächst" geschieht.

    (Abg. Schröter [Berlin] : Hoffen und harren, Herr Kollege!)

    Nun einige Einzelfragen! Ich trage sie nicht deshalb vor, damit wir hier darüber disputieren, sondern tue es in dem Bestreben, eine gemeinsame Lösung bei der Erörterung in dem von mir in Aussicht genommenen Ausschuß zu finden.
    Zunächst folgende Frage: Wer ist in Fragen der Außenpolitik nun eigentlich der Sprecher der Bundesregierung, der sich mit uns zusammenzusetzen hätte?

    (Beifall bei der FDP und der SPD.)

    Ist es der Herr Bundeskanzler? Er gibt die Richtlinien der Politik an, und er ist der Vorgänger des Herrn von Brentano auf dem Posten des Ministers des Auswärtigen. Oder ist es der Herr Minister des Auswärtigen, der aber den Richtlinien des Herrn Bundeskanzler zu folgen hat? Ich will ganz offen, in allem Ernst und in aller Freundschaft eine Stellungnahme zu diesem Punkt versuchen. Es ist menschlich absolut verständlich, daß jemand, der einen Posten gehabt hat und ihn dann abgibt, gleichzeitig aber das Recht hat, die Richtlinien für die Ausführung der Geschäfte dieses Postens noch zu bestimmen, und der in der gleichen Bundesregierung, in dem gleichen Kollegium sitzt, in die Versuchung kommt, in die Angelegenheiten seines bisherigen Ressorts einzugreifen, wenn er der Meinung ist, daß er es besser kann. Es ist aber ebenso klar, daß der, der diesen Posten nunmehr eingenommen hat, das Bestreben hat, selbständig zu werden, selbständig zu handeln, selbständig zu denken.

    (Abg. Wehner: Nicht immer!)

    Es können daraus gewisse Widersprüche entstehen; es kann sich daraus ein gewisser, vielleicht nach außen nicht immer sichtbarer, aber doch vorhandener Zickzackkurs ergeben. Ich möchte das mal mit aller Deutlichkeit ansprechen; denn wir werden, wenn wir uns zusammensetzen wollen, um eine gemeinsame Außenpolitik zu betreiben, uns auch darüber klarsein müssen, wer tatsächlich das entscheidende Wort zu sprechen hat.
    Wir haben einen Kollegen in unserer Fraktion, der oft sehr treffsichere Bemerkungen von sich gibt. Er meinte, Herr von Brentano fände wohl nicht unseren Beifall, aber vielleicht doch ein beinahe an Mitleid grenzendes Bedauern.

    (Zurufe von der Mitte: Na, Na! — Oh! — Abg. Niederalt: Da würde ich aber an Ihrer Stelle mehr Geschmack zeigen! Weitere Zurufe von der Mitte.)

    Nun eine weitere Frage. Es reden noch mehr über Außenpolitik. Ich meine nicht die dei minores, wie wir Bundestagsabgeordnete; die finden im Ausland nicht die Aufmerksamkeit! Wohl aber finden die Minister kraft ihres Amtes und kraft ihres Ranges dort Widerhall. Man kann als Prätendenten für auswärtige Angelegenheiten den Herrn Minister des Innern nennen, man kann den Herrn Bundeswehrminister nennen.
    Da fällt mir wieder eine Geschichte von früher ein. Es gab da mal einen gewissen Moltke; er wurde der große Schweiger genannt. Moltke ist „Moltke" wegen seiner Tugenden und Leistungen geworden, aber auch deswegen, weil er zur rechten Zeit zu schweigen wußte.

    (Beifall bei der FDP und der SPD.)

    Dann wäre noch ein scharmanter Herr zu nennen, der Herr von Eckardt,

    (Heiterkeit — Abg. Dr. Menzel: Die Gegenüberstellung ist gut!)

    der liebenswürdige Souffleur der Bundesregierung

    (erneute Heiterkeit)

    und der liebenswürdige und scharmante Retoucheur der Bundesregierung,

    (fortgesetzte Heiterkeit und Beifall bei der FDP)

    wenn es gilt, übereilte Bemerkungen ins richtige Gleis zu bringen. Wir möchten nun wissen, wer mit Autorität und mit Verantwortung spricht. Ich glaube, das Parlament hat ein Recht darauf, diese Dinge geklärt zu sehen.
    Noch einige weitere Einzelpunkte. Ich bin der Meinung, man sollte in der Politik keine Doktrinen aufstellen. Der Satz, daß man in der Politik — erst recht in der Außenpolitik — niemals „niemals" sagen sollte, ist wohl bekannt. Wir haben, als wir im Jahre 1955 die diplomatischen Beziehungen mit



    Dr. Becker (Hersfeld)

    Rußland aufnahmen, am Tage darauf im Gegensatz dazu die These aufgestellt, daß wir mit keinem anderen Land diplomatische Beziehungen aufnehmen würden, welches mit der sogenannten DDR seinerseits Beziehungen unterhalte. Ob diese Doktrin richtig ist oder nicht, darüber können wir uns in dem engeren Gremium, von dem ich immer spreche, unterhalten. Aber bestimmt war es falsch, diesen Grundsatz öffentlich zu plakatieren;

    (Abg. Dr. Menzel: Sehr richtig!)

    denn in dem Augenblick gaben wir ja irgendeinem anderen Land die Chance in die Hand, uns in irgendeine Situation hineinzumanövrieren, in der wir nun entweder diesen Grundsatz zu unserem Schaden anwenden oder ihn zurücknehmen mußten. Wir stehen vor ähnlichen Problemen, wenn wir die im Bundestag schon wiederholt angeschnittene Frage der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu den Staaten des Ostblocks, auch zu China, zu erörtern haben. Wir sind im Begriff, sie im Ausschuß zu erörtern. Ich möchte wünschen, daß wir das bald tun.
    Dazu ein weiteres. Es gibt einen Satz, der lautet: bis dat, qui cito dat. In zweifacher Richtung übersetzt heißt das einmal: Wer schnell etwas tut, bekommt es für die Hälfte, und zum andern: Wer zu spät etwas tut, zahlt das Doppelte. Das gilt nicht nur für uns, es gilt vielleicht für die ganze weite Welt, auch in Ostasien. Ich glaube, wir sollten auch diesen Satz bei unseren gemeinsamen Erörterungen auf bestimmte Angelegenheiten anwenden.
    Dann zu Frankreich. Ich kann dem Herrn Kollegen Meyer nicht zustimmen, wenn er hier die Möglichkeiten, die sich aus dem Regierungswechsel in Frankreich ergeben haben, erörtert. Ich stimme hier dem Herrn Außenminister zu; denn ich halte es nicht für richtig, solche Fragen hier zu erörtern. Das können wir in unserem Ausschuß zur Genüge tun, aber nicht hier in der Öffentlichkeit. Warten wir ab, was sich in Frankreich entwickelt, warten wir die Tatsachen ab, und üben wir bis dahin Zurückhaltung!

    (Beifall.)

    Wir haben manchmal — jetzt muß ich gegen mein Fach sprechen; ich bin nämlich Rechtsanwalt — zuviel Juristerei in der Außenpolitik.

    (Zurufe von der Mitte: Das stimmt! — Nicht nur in der Außenpolitik!)

    Ein guter außenpolitischer Vertrag sollte nicht mehr als höchstens 25 Paragraphen haben. Dann kann man etwas damit anfangen; wenn er mehr hat, ist die Sache schon faul. Ich entsinne mich, daß damals, als der Abschluß des Vertrages mit Jugoslawien zur Debatte stand, der inzwischen nach Europa abgereiste Staatssekretär Hallstein von dieser Tribüne aus — ich glaube, auf eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen von Manteuffel-Szoege — den Standpunkt vertreten hat: Wir geben ja das Geld nur auf Grund einer gewissen Geschäftsgrundlage, damit die Beziehungen so und so bleiben. Er ließ dabei mit einem gewissen Seitenblick auf die berühmten §§ 812 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches
    durchblicken, daß man gegebenenfalls die weiteren Zahlungen sperren oder vielleicht sogar zurückfordern könne. Ich habe damals nichts gesagt. Ich durfte nämlich nichts sagen, weil ich eben am Präsidentenpult saß. Aber man kann — damit will ich es kurz zusammenfassen — die Außenpolitik nicht so behandeln wie einen Zivilprozeß am Landgericht in Bonn. Das eine schließt das andere aus.

    (Beifall bei der FDP und der SPD.)

    Nicht richtig war es, bei der Bestallung des Herrn Außenministers von Brentano den Herren Hallstein und Blankenhorn zuzubilligen, daß sie über seinen Kopf hinweg dem Herrn Bundeskanzler unmittelbar Vortrag halten konnten; denn das mußte die Autorität des Bundesaußenministers mehr oder weniger untergraben.

    (Erneuter Beifall bei der SPD.)

    Aber damit will ich meine Ausführungen zu den einzelnen Punkten abschließen. Ich denke, daß wir noch im Ausschuß, den ich wiederholt anempfehle, darüber sprechen wollen.
    Noch ein Gedanke zum Schluß. Man wirft uns Deutschen oft vor, daß wir das militaristischste Volk der Welt seien, und dagegen möchte ich einmal Stellung nehmen. Wenn man uns, nachdem wir zwei Kriege verloren haben, nachdem das deutsche Volk und die deutsche Jugend sich nicht zu den Waffen gedrängt haben und nachdem man uns als Militaristen verschrien hat und uns hat entwaffnen wollen, jetzt vom Westen und vom Osten bittet, doch ja wieder zu den Waffen zu greifen — die einen im Westen, die anderen im Osten — dann liegt darin immerhin eine gewisse Anerkennung, daß wir militärtüchtig seien. Aber es entspricht nicht so sehr dem, was wir wollen, und es ist geradezu eine Tragik der jetzigen deutschen Geschichte, daß wir wegen unserer Militärtüchtigkeit nun praktisch zerrissen sind, denn wenn wir nicht in West und Ost als militärtüchtig gälten, wären wir vielleicht gar nicht gespalten.
    Sind wir wirklich das militaristische Volk, als das wir verschrien werden? Wenn wir den zweiten Weltkrieg nehmen: ich glaube, jeder unbefangene und objektive Beurteiler auch im Ausland wird ihn ausnehmen; denn er ist von einer totalitären Regierung angezettelt worden, die nicht auf das Volk und seinen Willen zu hören brauchte. Wenn Sie an den ersten Weltkrieg denken, dann gilt von ihm das, was ich vorhin ausführte, das Wort von Lloyd George, daß damals alle Länder in den Weltkrieg hineingeschlittert sind. Aber wie war es denn vorher, vor 1914? Gewiß haben wir mit Frankreich oft die Klinge gekreuzt; aber das ist ja nun Gott sei Dank vorbei, und ich möchte der Hoffnung Ausdruck geben, daß die guten und freundnachbarlichen Beziehungen, die sich mit Frankreich angebahnt haben, auch in dieser Beziehung ihren Fortgang nehmen möchten. Mit England haben wir bis 1914 nie Krieg geführt. Mit den Vereinigten Staaten haben wir vor 1914 nie Krieg gehabt. Ich darf bei dieser Gelegenheit — es ist jetzt zehn Jahre her, daß der Marshall-Plan in



    Dr. Becker (Hersfeld)

    Kraft trat — vielleicht in Ihrer aller Namen dem Dank an die amerikanische Nation dafür Ausdruck geben, daß sie uns damals durch die großzügige Hilfe des Marshall-Plans — eine Hilfe, die der Sieger dem Besiegten gewährt hat — wieder hat auf die Beine helfen können. Dafür sei dieser großen Nation unser Dank ausgesprochen.

    (Beifall bei allen Parteien.)


    (Vorsitz: Vizepräsident Dr. Preusker)

    Und nun Rußland! Haben wir eigentlich vor 1914 mit Rußland Krieg gehabt? Ich glaube, man muß schon um 150 Jahre bis zu dem Siebenjährigen Krieg zurückgehen, um einen solchen kriegerischen Zusammenstoß festzustellen, einen Zusammenstoß, der in letzter Linie dadurch hervorgerufen war, daß Friedrich der Große und die Zarin Elisabeth sich gegenseitig spitzige Epigramme zugeschickt hatten und es dadurch der Madame Pompadour leicht geworden war, sie mit Maria Theresia, dieser dritten Dame im Bunde gegen Friedrich den Großen, zusammenzuführen. Ich darf darauf verweisen, daß im Krim-Krieg Preußen gegenüber Rußland neutral blieb. Ich darf weiter darauf verweisen, daß es sogar zwischen den beiden Weltkriegen einmal eine Situation gegeben hat, die vielleicht in der Grundlage vorbildlich sein könnte. Wir, Deutschland, waren damals durch die Verträge von Locarno und durch den Eintritt in den Völkerbund mit dem Westen verbunden und lagen endlich richtig — richtig im Gegensatz zu dem Versuch, immer in der Mitte für sich zu stehen —; gleichzeitig aber hatte ein gewisser Stresemann einen Vertrag — —

    (Zuruf von der CDU/CSU: „Gewisser"?)

    — Ja, ein gewisser Stresemann. Ich denke da an den Stresemann-Film; so, wie der Film ihn zeigt, war er nicht.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Er war zwar auch der Europäer, war zwar auch der Mann, der mit Frankreich Ausgleich und Frieden wollte, und wir haben ihm als junge Menschen zugejubelt, als er diese Politik verkündete; aber er war auch der Mann realistischer Entschlüsse, der wußte, daß entscheidend sein kann, unter Umständen auch einmal eine Drehung vorzunehmen, und er war der Mann, von dem ich jetzt sprechen wollte, der daran gedacht hat, daß wir in Deutschland zwischen West und Ost liegen. Denn als wir uns mit dem Westen so verankert hatten, da schloß er mit dem Osten, mit Rußland den berühmten Vertrag vom April 1926, in dem stand, daß sich beide Staaten gegenseitig Neutralität zuerkennen, das heißt, daß, wenn der eine unprovoziert angegriffen wird, der andere neutral bleibt, und vice versa, und daß beide ferner einen Nichtangriffspakt abgeschlossen hatten. Es war ein kluges Beispiel. Denn dieser Vertrag schuf dem Osten die Garantie, daß er unter den damaligen Verhältnissen vom Westen wenigstens über Deutschland hinweg nicht angegriffen werden konnte, und er schuf dem Westen die Garantie, daß 'er ohne deutsche Zustimmung vom Osten über deutsches Land hinweg nicht angegriffen werden konnte.
    Es war ein merkwürdiges Zusammentreffen —vielleicht auch nicht ein merkwürdiges Zusammentreffen, vielleicht sogar ein gewolltes Zusammentreffen —, daß bei dem Besuch des Herrn Mikojan die Veröffentlichungen der sowjetrussischen Botschaft in Bonn an diesen Vertrag erinnert haben. Ich möchte in Erinnerung an diesen damals erschienenen Aufsatz unsere Auffassung dazu, so wie ich sie soeben geschildert habe, in Erinnerung rufen. So war's! Nicht irgendwelche Abschattierungen anderer Art. Aber wenn über diese Richtung verhandelt werden sollte — warum nicht?
    Als Herr Mikojan hier war, ist wiederholt jene russische These bestätigt worden, die da sagt, wir sollten uns zunächst mit Pankow an einen Tisch setzen, und dann werde man ja sehen; eine deutsche Einigung sei eine Sache der Deutschen unter sich. Darauf ist folgende Frage zu stellen. Wenn diese Behauptung echt ist: wird Rußland unbesehen zu allem, was die beiden, Bonn und Pankow, etwa ausmachen würden, Ja und Amen sagen? Kann der Kreml uns heute schon die Zustimmung von Washington, London und Paris dazu geben, daß alles, was die beiden miteinander ausmachen, gebilligt werden würde? Ich glaube, wenn Sie die Frage so stellen, dann stellen Sie nur einer dialektisch gewollten Ausrede eine dialektisch gewollte replicatio entgegen. Die Dinge sollten realistischer betrachtet werden; und die realistische Betrachtung ist die, daß der Osten heute noch im Besitz dessen ist, was unserer Auffassung nach unser ist, daß es aber immerhin eine Atlantik-Charta gibt und ein Potsdamer Abkommen, das uns Rechtsansprüche gibt.
    Es kommt noch eines hinzu. Der Osten ist im Besitz von Ländern, die nicht im russischen Besitz bleiben wollen. Er ist im Besitz von Ländern, die praktisch als russische Kolonien behandelt werden. Wenn Rußland dem Westen Kolonialismus vorwirft — uns trifft dieser Vorwurf des Kolonialismus schon lange nicht mehr —, dann kann mit gleichem Recht entgegengehalten werden, daß auch der Osten Kolonialismus betreibt in einer Form, die — und hier mache 'ich dem freien Westen den Vorwurf der mangelnden politischen und psychologischen Initiative —, wenn sie bei den Ländern, um deren Gunst der Osten heute buhlt, richtig bekannt würde, doch auch ein gewisses Erwachen zur Folge haben müßte.
    Ich glaube, auf die Dauer wird Rußland sich darüber klar sein müssen, daß der alte Satz immer seine Richtigkeit hat: „Pfeiler, Säulen kann man brechen, aber nicht ein freies Herz." Das gilt für unsere Deutschen in der Sowjetzone, das gilt auch für die armen osteuropäischen Völker, die doch von europäischem Geiste sind und vom europäischen Freiheitsgefühl noch Funken in sich spüren und das tapfer gezeigt haben. Ich glaube, daß, wenn ich vorhin von dem Satz sprach: „Bis dat qui cito dat", das vielleicht auch im Verhältnis der Sowjetunion zu den Staaten des Ostblocks dereinst von Bedeutung sein kann. Denn ich kann mir nicht vorstellen, daß diese Art Kolonialismus, aufrechterhalten mit unendlichem Zwang, ewig dauern könnte. Hier wird irgendwann auch aus der inneren



    Dr. Becker (Hersfeld)

    russischen Überlegung heraus die Konsequenz kommen müssen.
    Noch ein Letztes! Erinnern wir uns wieder daran, daß das Ziel des Marxismus, des Leninismus folgendes ist! Wie St. Marx und St. Lenin gepredigt haben, geht der kapitalistische Westen angeblich an seinen eigenen inneren Schwierigkeiten, an seinem eigenen kapitalistischen System zugrunde. Diese Theorie wird heute noch aufrechterhalten. Wenn der Stalinismus, auch der wieder neu erweckte Stalinismus einen Sinn hat, dann doch den, auch diese Theorie aufrechtzuerhalten.
    Ich bin überzeugt, daß die russische Expansion auch auf dem Gebiet vorangeht, das ich eben angedeutet habe. Die Sowjetunion will ihre industrielle Produktion und ihren Export derart steigern, daß sie Amerika übertrifft, und zwar nur deshalb, um dieser Theorie von Marx und Lenin Folge zu leisten, den Export der westlichen Länder zu drosseln und verkümmern zu lassen. Wozu kämpft Rußland um die Seele der Völker im Südosten Asiens, im mittleren Orient, in Afrika, vielleicht demnächst in Südamerika? Um sie für sich zu gewinnen, um sie auf der Grundlage ihrer Zuneigung als Absatzmärkte zu gewinnen und im freien Westen, im sogenannten kapitalistischen Westen, Exportschwierigkeiten, soziale Spannungen und Währungsverfall hervorzurufen, so daß es dann mit einem letzten militärischen Stoß diese Länder leichthin an sich bringen kann.
    Bitte, meine Damen und Herren, unterschätzen Sie diese Gedankengänge nicht! Ich kann mir vorstellen, daß dem Osten an der Gewinnung atomverseuchter, kriegszerstörter Volkswirtschaften und Länder weniger gelegen sein kann als an der Gewinnung nicht derart verseuchter und zerstörter Volkswirtschaften und deren Rohstoffe. Auf deutsch: Wir müssen beide Möglichkeiten beachten. Wir dürfen nicht nur unverwandt auf diese Art Maginotlinie starren, die von Jütland bis Triest gezogen ist, sondern wir müssen darauf achten, daß der Kriegsschauplatz des Kalten Krieges heute im wesentlichen ganz woanders, nämlich in Südostasien, im mittleren Orient, in Nordafrika, vielleicht demnächst in Südamerika, liegt. Dann sehen wir die Dinge richtig.
    Ich habe eine Menge Probleme angesprochen, nicht um sie in dieser Versammlung zu lösen, sondern um sie gewissermaßen als Aufgabenbereich für die Kommission — meinethalben den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten, den ich vorschlagen möchte — abzugrenzen, in der wir zusammen mit der Regierung, einträchtig in dem Ziel, eine gemeinsame Außenpolitik zu erarbeiten und zu finden, diese Probleme zu lösen versuchen sollten.
    Deshalb möchte ich mit der Frage an den Herrn Bundeskanzler und an den Herrn Außenminister schließen: Ist die Bundesregierung bereit, die Frage der militärstrategischen Lage in der Welt, die Frage der militärischen Konzeption für unsere Bundesrepublik, alle Erkenntnisse, die sich aus den Berichten unserer Botschafter und Gesandten ergeben, und die damit in Verbindung stehenden finanziellen
    Fragen einträchtig in einem vertraulichen Ausschuß zu behandeln? Ich bitte darum, ja zu sagen.

    (Beifall bei der FDP, der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)