Rede von
Dr.
Carlo
Schmid
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Vielleicht gilt das für die Auffüllung von Verbänden; aber zur Schaffung von Reservedivisionen und Kampfeinheiten geht es schlechthin nicht. Wenn wirklich ein ernsthafter Krieg geführt wird, dann fallen Atombomben und Atomgranaten; und dann möchte ich sehen, wie Ihre Generale dann noch Reservistenzüge befördern; ich möchte sie auch sehen, wie sie dann größere Verbände auf diesem Gebiet bewegen wollen! Sie erinnern sich vielleicht an ein kleines Gespräch, das wir in Ihrem Ministerium hatten, als einer Ihrer Generale uns einige strategische Daten erklärte und ich die Frage stellte: „Wie wollen Sie denn Truppenmassen bewegen, wenn es beiden Teilen einfallen sollte, zwischen Alpen und Nordsee atomares Sperrfeuer zu schießen?", und ich die Antwort bekam: „Aber das wäre doch das reine Chaos!" — Ja sicher wäre es das!
Ich glaube, daß eine Bundeswehr nur einen Sinn haben kann: Für die Fälle wirksam zu werden, die die Amerikaner in ihrer neuesten strategischen Konzeption den „Buschfeuerkrieg" nennen! An der Grenze passiert etwas, dem man zunächst nicht recht ansieht, wie weit es gehen soll — ob in die Tiefe oder ob es nur als Grenzzwischenfall gemeint ist. Für einen solchen Fall sollte man genügend eigene Truppen haben, um das kleine Feuer so gründlich auszutreten, daß daraus kein Großfeuer wird. Das könnte gleichzeitig dazu dienen, klar zu markieren, ob das allein an der Grenze ein ernsthafter Angriffsversuch ist oder nur ein Zwischenfall stärkeren Gewichts; das ist die Stolperdraht-Theorie oder die Feuerlösch-Theorie. Wenn Sie aber einer solchen Armee taktische Atomwaffen zur Verwendung geben, dann wird doch der Abschuß der ersten Atomgranate dazu führen, daß aus diesem Zwischenfall ein „totaler" strategischer Atomkrieg wird! Es wird dann genau das Gegenteil von dem geschaffen, was Sie beabsichtigen.
Wir sind also für eine Bundeswehr, die mit konventionellen, modernsten Waffen bewaffnet ist.
Und nun, Herr Bundesverteidigungsminister, zum Begriff der „modernsten Waffen". Man muß auch diesen Begriff relativ sehen: nämlich „modernst" im Hinblick auf die Möglichkeit, eine bestimmte Truppe unter bestimmten gegebenen militärischen und politischen Verhältnissen sinnvoll einzusetzen. Wenn man eine deutsche Truppe sinnvoll verwenden will — und ich glaube, diese „Buschfeuerkriegs"-
Geschichte wäre ein sinnvoller Einsatz —, dann reichen die modernsten konventionellen Waffen aus; denn die modernsten atomaren Waffen bringen über den Buschfeuerkrieg weg den atomaren Weltkrieg, den dritten Weltkrieg! Insoweit wäre eine solche Bewaffnung nur ein Stück Selbstmord, keine „Bewaffnung", sondern nur ein Beitrag zur Möglichkeit der Selbstzerstörung ohne strategischen Effekt.
— Der Buschfeuerkrieg wird nicht durch einige Atomgeschütze bei uns verhindert; er wird durch das verhindert, was von jenseits des Meeres droht. Ein kleiner Buschfeuerkrieg, wie wir ihn austreten könnten, kann schon durch deutsche Streitkräfte von der Art, die ich beschrieben habe, verhindert werden. Sobald eine Operation darüber hinausginge, wäre sie doch einfach der Anfang eines Weltkrieges mit allen Konsequenzen. Der Gegenschlag käme aber dann nicht von hier, sondern von Thule oder irgendwo in Arizona — ich weiß es nicht so genau —, jedenfalls von sehr weit her.