Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 26. Sitzung des Bundestages und bitte um Bekanntgabe der Namen der entschuldigten Abgeordneten.
Es suchen für längere Zeit um Urlaub nach Abgeordneter von Hassel für sieben Wochen wegen dienstlicher Inanspruchnahme, Abgeordneter Euler für fünf Wochen wegen Krankheit, Abgeordneter Ritzel für vier Wochen ab 10. April wegen Krankheit, Abgeordneter Lenz für vier Wochen wegen Krankheit, Abgeordneter Schoettle für drei Wochen, Abgeordneter Dr. Vogel für zwei Wochen, Abgeordneter Wiedeck für zwei Wochen — alle wegen Krankheit —, Abgeordneter Platner für weitere zwei Wochen wegen Krankheit, Abgeordneter Dr. Höck für zwei Wochen wegen dienstlicher Inanspruchnahme, Abgeordneter Dr. Dr. h. c. Müller (Bonn) für zwei Wochen wegen dienstlicher Inanspruchnahme, Abgeordnete Frau Dr. Schwarzhaupt für zwei Wochen wegen Krankheit.
Ich unterstelle, daß das Haus mit der Erteilung dieses Urlaubs einverstanden ist. — Das ist der Fall.
Der Präsident hat Urlaub erteilt für zwei Tage den Abgeordneten Bauereisen, Meyer , Lermer, Kiesinger, Regling, Koops, Dr. Blank (Oberhausen), Dr. Kleindinst, Lemmer, Frühwald, Dr. Wellhausen, Geiger (München), Dr. Mocker, Dr. Elbrächter.
Der Präsident hat für die heutige Sitzung Urlaub erteilt den Abgeordneten Gockeln, Fuchs, Barlage, Schill , Bauer (Würzburg), Pelster, Kühltau, Scharnberg, Dr. Miessner, Mauk, Dr. Dollinger, Stücklen.
Meine Damen und Herren, vor Eintritt in die Tagesordnung gedenke ich der Tatsache,
daß in den vergangenen Wochen eine große Zahl von deutschen Schülern und ihre Lehrer aus Heilbronn einem furchtbaren Bergunglück zum Opfer gefallen sind. Es ist hier nicht der Ort, darüber zu sprechen, wie es zu einem solchen Unglück kommen konnte. Aber ich halte es für die Pflicht des Deutschen Bundestags, sich mit den Eltern, den Angehörigen und allen, die um dieses Unglück trauern, zu vereinen und zum Ausdruck zu bringen, daß wir uns in der Solidarität der Trauer und des Mitgefühls befinden.
Ich möchte diese Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, ohne insbesondere den Männern der österreichischen Gendarmerie und des Bergrettungsdienstes aus ganz Österreich und den Bergen, die sich freiwillig an dem Rettungswerk beteiligt haben, den aufrichtigen und herzlichen Dank des Deutschen Bundestages auszusprechen. Diese Männer haben unter Einsatz ihres Lebens und unter Opfern, auch in materieller Hinsicht, eine Pflicht der Kameradschaft der Berge erfüllt, um zu versuchen, das Leben dieser jungen Deutschen zu retten. Wir wissen das zu würdigen. Wir sind sicher, daß die Bundesregierung und die Landesregierung des Landes Baden-Württemberg dazu helfen werden, daß die materiellen Opfer, die gebracht worden sind, nicht von den Männern getragen werden, die sich eingesetzt haben. Für das andere, was sie an Einsatz ihres Lebens, ihrer Körperkraft und ihrer Gesundheit geleistet haben, können wir nur den Dank des deutschen Volkes aussprechen.
Sie haben sich zu Ehren der Dahingeschiedenen von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen. —
Meine Damen und Herren! Ich habe folgende Geburtstagsglückwünsche auszusprechen. Am 12. April hat der Abgeordnete Schuler seinen 69. Geburtstag gefeiert,
am 15. April der Abgeordnete Höcker seinen 68. und der Abgeordnete Horn seinen 63. Geburtstag,
am 17. April der Abgeordnete Ladebeck den 63. Geburtstag,
am 22. April der Abgeordnete Gerns den 62. Geburtstag,
am 10. April der Abgeordnete Ritzel den 61. Geburtstag,
am 21. April der Abgeordnete Dr. Bartram den 61. Geburtstag,
am 23. April — in Amerika — der Abgeordnete Cillien den 61. Geburtstag
und am 12. April der Abgeordnete Arnholz den 60. Geburtstag.
Ich spreche allen diesen Kollegen die herzlichen Glückwünsche des Bundestages aus in der Gewißheit, daß wir alle älter werden und die Lehre daraus ziehen, daß wir „klug werden".
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung ins Stenographische Protokoll aufgenommen:
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 9. April 1954 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 nicht gestellt:
Gesetz zur Änderung des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes;
Gesetz betreffend die Vereinbarungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vertretern der Gläubiger und der Garantiemächte über die Haftung der Bundesrepublik Deutschland für gewisse österreichische Auslandsanleihen;
Gesetz betreffend die Vereinbarungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik und dem Fürstentum Liechtenstein über die Regelung der Forderungen des Fürstentums Liechtenstein an die Bundesrepublik Deutschland;
Gesetz über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Allgemeinen Abkommen vom 2. September 1949 über die Vorrechte und Befreiungen des Europarates und zu dem Zusatzprotokoll vom 6. November 1952 zu diesem Abkommen;
Gesetz über den Freundschafts- und Handelsvertrag vom 21. April 1953 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich des Jemen:
Gesetz zur Änderung des Einkommensteuergesetzes;
Gesetz über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zur Konvention vom 5. April 1946 der Internationalen Überfischungs, konferenz.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 5. April 1954 die Kleine Anfrage 15 der Fraktion der FDP betreffend Entschädigungen für durch die Besatzungsmacht verursachte Körperschäden — Drucksache 144 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 460 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister für Wirtschaft hat unter dem 26. April 1954 die Kleine Anfrage 39 der Abgeordneten Dr. Höck und Genossen betreffend Stützung des deutschen Erzbergbaus — Drucksache 342 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 485 vervielfälitgt.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 7. April 1954 die Kleine Anfrage 42 der Abgeordneten Naegel, Dr. Dr. h. c. Müller und Genossen betreffend Haushaltsrecht und Verkauf von Beteiligungen des Bundesvermögens — Drucksache 383 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 463 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister für Wirtschaft hat unter dem 6. April 1954 die Kleine Anfrage 43 der Abgeordneten Kahn, Donhauser, Frau Ilk und Genossen betreffend Förderungsmaßnahmen für Notstandsgebiete — Drucksache 384 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 461 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 15. April 1954 die Kleine Anfrage 47 der Abgeordneten Bauknecht, Struve und Genossen betreffend Herabsetzung der Besteuerung von Speiseeis — Drucksache 408 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 471 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister für Verkehr hat unter dem 23. April 1954 die Kleine Anfrage 50 der Fraktion der FDP betreffend Haftpflicht ausländischer Kraftfahrer — Drucksache 426 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 491 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister des Innern hat unter dem 23. April 1954 die Kleine Anfrage 52 der Fraktion der SPD betreffend Vorlage eines Fürsorgegesetzes für Körperbehinderte — Drucksache 438 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 479 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 26. April 1954 die Kleine Anfrage 54 der Abgeordneten Dr. Atzenroth, Dr. Drechsel und Genossen betreffend Verwaltungs- und Finanzlerungs-
GmbH. Köln — Drucksache 457 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 490 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat unter dem 6. April 1954 über die Maßnahmen zur Ausführung des Beschlusses des Deutschen Bundestages in seiner 19. Sitzung betreffend Verlängerung der Verordnung über die Beimischung inländischen Rüböls und Feintalges berichtet. Sein Schreiben wird als Drucksache 465 vervielfältigt.
Der Herr Präsident der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein hat unter dem 7. April 1954 gemäß §§ 6 bis 9 des Branntweinmonopolgesetzes den Geschäftsbericht der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein sowie die Bilanz nebst Gewinn- und Verlustrechnung der Verwertungsstelle für das Geschäftsjahr 1952/53 vorgelegt. Der Bericht wird unter Drucksache 464 vervielfältigt.
Meine Damen und Herren! Wir treten dann in die Tagesordnung ein. Punkt 1 ist die
Fragestunde .
Ich darf darauf hinweisen, daß wir uns, da die Lautsprecheranlage des Hauses überholt wird, heute mit einer provisorischen Einrichtung behelfen müssen. Wenn es also irgendwo nicht vorgesehene Geräusche oder Pannen gibt, dann bitte ich, das zu entschuldigen. Wir hoffen, daß wir in aller Kürze wieder eine voll aktionsfähige Einrichtung zur Verfügung haben.
Bevor die Fragestunde beginnt, darf ich darauf hinweisen, daß vor einiger Zeit im Ältestenrat die Frage erörtert worden ist, wie verfahren werden soll, wenn eine Frage deswegen nicht beantwortet werden kann, weil der zuständige Bundesminister oder sein Vertreter nicht anwesend ist und die Beantwortung durch ein anderes Mitglied der Bundesregierung nicht zweckmäßig erscheint. Es ist vereinbart worden, daß in einem solchen Falle die Beantwortung der Frage nachgeholt werden soll, sobald der zuständige Bundesminister wieder anwesend ist, d. h. nicht in der nächsten Fragestunde, sondern in der nächsten dafür zur Verfügung stehenden Sitzung des Bundestages, ohne daß sich nun daraus jeweils eine neue Fragestunde zu ergeben hat; sondern diese Punkte würden dann, ohne daß sie besonders in der Tagesordnung vermerkt werden, in dieser vorgeschlagenen Form erledigt werden. Ich denke, daß das Haus mit dieser Regelung einverstanden ist.
Die erste Frage, die heute gestellt wird, gehört zu dieser Art von Fragen. Sie ist heute' im Interesse der Vereinfachung und der Übersicht auf der Drucksache 477 als erste Frage untergebracht worden.
Zu dieser Frage hat das Wort Herr Abgeordneter Dr. Lütkens.
Welche Dienststelle der Bundesregierung oder wer etwa sonst hat dem Herrn Bundeskanzler das Material zur Bewertung der Rede des Herrn Chruschtschew und zur Beurteilung der wirtschaftlichen Lage in der Sowjetunion vorbereitet, das er zum Gegenstand eines der UP am 22. November 1953 gegebenen Interviews, über das deutsche Zeitungen eingehend berichtet haben, gemacht hat?
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amts.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Herr Bundeskanzler hat das Material zur Bewertung aus der Gesamtheit der ihm zugänglichen Erkenntnisquellen geschöpft.
Haben Sie eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lütkens?
Hat das Auswärtige Amt wenigstens inzwischen festgestellt, daß in dem Interview des Herrn Bundeskanzlers dem Herrn Chruschtschew Aussagen in den Mund gelegt werden, die er niemals gemacht hat?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein.
Ist es nicht richtig, daß Herr Chruschtschew nicht, wie in dem Interview behauptete wird — ich beziehe mich auf die Übersetzung der Rede, wie sie in den „Ostproblemen" in der Nr. 42/1953 erschienen ist —, ausgesagt hat, die landwirtschaftliche Produktion stehe auf dem Stand von 1928, sondern daß er gesagt hat, die
Kuhhaltung sei wohl gegenüber 1928 zurückgegangen, aber zwischen 1926 und 1952 sei die Getreideproduktion von 10 auf 40 Millionen t und die von Milch von ungefähr 4 auf 13 Millionen t gestiegen.
Bitte, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Mir liegt weder der Text der Bemerkung des Herrn Chruschtschew über die Kuhhaltung in der Sowjetunion noch der Text des Interviews des Herrn Bundeskanzlers vor. Ich vermag deshalb die Frage nicht zu beantworten.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Lütkens!
Welchen Interessen glaubt man eigentlich damit zu dienen, daß dem Herrn Bundeskanzler für seine öffentlichen Äußerungen nachweislich falsches Material unterbreitet wird?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Keine Antwort.
Der Herr Staatssekretär hat keine Antwort darauf zu geben.
Dann kommen wir zur Frage 2. Herr Abgeordneter Dr. Lütkens zur Frage 2!
Ist dem Auswärtigen Amt ein in der Zeitschrift „Außenpolitik" erschienener und in der „Diplomatischen Korrespondenz" vorabgedruckter Artikel bekannt, den das „Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung" vom 27. Januar d. J. als „hochaktuellen Artikel, der besondere Beachtung verdient", gleichfalls wiedergegeben hat. Teilt die Bundesregierung die in diesem Artikel ausgedrückten Auffassungen, wonach
1. es im Gegensatz zu früher von ihr im Auswärtigen Ausschuß des Bundestages vertretenen Auffassungen „nicht erlaubt sei, Frankreich ganz allgemein und ohne nähere Qualifizierung als Partner des Potsdamer Abkommens anzusprechen";
2. mit den „Vereinbarungen von 1945", von denen die amtliche Begründung zum Bonner Vertrag vom 26. Mai 1952 sagt, sie sollten „nick ,t zerstört" werden, nur die „Berliner Deklarationen vom 5. Juni 1945" gemeint sein sollten?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der von dem Herrn Abgeordneten erwähnte Aufsatz im Februarheft der Zeitschrift „Außenpolitik" ist dem Auswärtigen Amt ebensowenig entgangen wie der Antwortartikel des Herrn Abgeordneten Dr. Lütkens selbst im Aprilheft der gleichen Zeitschrift. Die Bundesregierung hält es nicht für angebracht, sich im Rahmen der parlamentarischen Fragestunde in die damit eröffnete literarische Kontroverse einzumischen. Das bezieht sich insbesondere auf die erste Frage.
Die Bundesregierung hält es nicht für opportun, einen Zeitschriftenaufsatz zum Anlaß einer grundsätzlichen Stellungnahme zu einer allgemeinen theoretischen Rechtsfrage zu nehmen, für deren Beantwortung im gegenwärtigen Zeitpunkt kein weiterer konkreter Grund besteht.
Die zweite Frage ist zu bejahen. Der fragliche Satz in der amtlichen Begründung zum Bonner Vertrag meint die Vereinbarungen, die im Verhältnis der Vier Mächte zueinander die Rechtsgrundlage für die Stationierung ihrer Truppen in Deutschland, für den besonderen Status von Berlin und für die Befugnisse der Vier Mächte in bezug auf Deutschland als Ganzes bilden. Diese Vereinbarungen sind in der Tat in den Berliner Deklarationen vom 5. Juni 1945 enthalten.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Lütkens!
Ist es richtig, daß die Juni-Erklärungen von 1945 einen zukünftigen einheitlichen deutschen Staat nicht vorsahen und nicht vorsehen konnten, da sie in der damaligen Europäischen Beratungskommission auf Grundlage der Beschlüsse der Jalta-Konferenz ausgearbeitet waren und da das Jalta-Protokoll im Abschnitt 3 festgelegt hatte, daß die Besatzungsmächte solche Maßnahmen einschließlich der Zerstückelung Deutschlands treffen würden, die sie für notwendig hielten?
Herr Staatssekretär, bitte!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das ist eine neue Frage, Herr Präsident. Darf ich dem Herrn Abgeordneten den Vorschlag machen, daß diese Frage vielleicht im Auswärtigen Ausschuß gestellt wird? Ich bin bereit, dann dort darauf zu antworten.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lütkens!
Während ich der weiteren Auseinandersetzung über diese Zusatzfrage im Auswärtigen Ausschuß gern meine Zustimmung gebe, frage ich, ob es nicht richtig ist, daß die deutschen Völkerrechtslehrer im allgemeinen die Ansicht vertreten, daß erst das Potsdamer Abkommen — dessen Prinzipien ich hier im einzelnen in keiner Weise etwa verteidigen will — an Stelle der Zerstückelungsthese die These des einheitlichen deutschen Staates gesetzt hat?
Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich glaube, daß diese Bemerkung durch die Tatsache widerlegt wird, daß den Anlaß zu der
gestellten Frage jener Artikel in der Zeitschrift „Außenpolitik" bildet.
Damit ist die Frage 2 erledigt.
Zur Frage 3 Herr Abgeordneter Dr. Leiske.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich erlaube mir, folgende Frage zu stellen:
Ist die Bundesregierung bereit, das Schlachten von Hunden und Katzen zum Zwecke des Verzehrs, das nach den Vorschriften des Tierschutzgesetzes vom 24. November 1933, des Fleischbeschaugesetzes vom 29. Oktober 1940 und des Gesetzes über das Schlachten von Tieren vom 21. April 1933 zulässig ist, durch gesetzgeberische Maßnahmen zu unterbinden?
Der Herr Staatssekretär des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die in jüngster Zeit in der Presse erschienenen Berichte über das Schlachten von Hunden haben mit Recht in weiten Kreisen der Bevölkerung Empörung hervorgerufen. Der Wunsch, den Hund als treuen Begleiter des Menschen möglichst weitgehend zu schützen, ist unseres Erachtens verständlich und begrüßenswert. Das gilt in gleicher Weise und aus den gleichen Gründen auch für Katzen. Es ist jedoch unter Abwägung aller Gesichtspunkte zu prüfen, ob diesen Bestrebungen durch ein Schlachtverbot, wie es in der Anfrage erwähnt wird, am wirksamsten gedient werden kann.
Die geltenden gesetzlichen Bestimmungen sind im wesentlichen folgende. Das Tierschutzgesetz vom 24. November 1933 in der Fassung der Verordnung zur Ergänzung des Tierschutzgesetzes vom 23. Mai 1938 bezweckt den Schutz aller Tiere vor Tierquälerei und rohen Mißhandlungen. Das Gesetz über das Schlachten von Tieren vom 21. April 1933 schreibt die Betäubung aller warmblütigen Tiere beim Schlachten vor der Blutentziehung vor. Nach der ergänzenden Verordnung über das Schlachten von Tieren darf für die Betäubung vor der Schlachtung für die meisten Tierarten, so auch für Hunde, nur der Bolzenschußapparat oder elektrischer Strom unter der Voraussetzung benutzt werden, daß dazu in der Praxis erprobte und bewährte Apparate verwendet werden.
Seit dem Inkrafttreten des Fleischbeschaugesetzes im Jahre 1900 unterliegen Hunde, deren Fleisch zum Genuß für Menschen verwendet werden soll, einer amtlichen Fleischuntersuchung.
In Deutschland besteht für keine Tierart ein allgemeines Schlachtverbot. Wenn auch die Schlachtung von Hunden und Katzen weitgehend abgelehnt wird, so dürfte doch ein Schlachtverbot schwer zu begründen sein. Aus ähnlichen Gründen könnten auch Schlachtverbote für andere Tierarten, z. B. Pferde, Kaninchen, Tauben, gefordert werden.
Es muß als sicher angesehen werden, daß, wenn die Schlachtung von Hunden verboten würde, diejenigen Teile der Bevölkerung, die Hundefleisch zu verzehren wünschen oder Hundefett zu Heilzwecken verwenden wollen, sich nicht davon abhalten lassen würden, Hunde verbotswidrig zu
schlachten, ohne daß dies wirksam verhindert werden könnte. Damit würde aber die Anwendung der in den gesetzlichen Bestimmungen über das Schlachten von Tieren vorgesehenen Schutzbestimmungen unmöglich gemacht werden. Hinzu kommt, daß durch das Fehlen der Fleischuntersuchung der Verbreitung bestimmter Krankheiten, wie z. B. Trichinose und Tollwut, Vorschub geleistet würde.
Aus den dargelegten Gründen sind wir der Auffassung, daß der Erlaß eines Schlachtverbotes für Hunde und Katzen nicht zweckmäßig ist, sosehr es dem Empfinden aller Tierfreunde entsprechen würde.
Herr Präsident, darf ich eine Zusatzfrage stellen?
Eine Zusatzfrage!
Meine Damen und Herren, Sie dienen der Verständlichkeit, wenn Sie vermeidbare Unterhaltungen nicht führen.
Bitte schön, Herr Abgeordneter!
Ist die Bundesregierung bereit, einem allgemeinverbindlichen Verkaufsverbot für Hunde- und Katzenfleisch näherzutreten, wie es kürzlich der Schweizer Bundesrat für alle Kantone erneut angeordnet hat?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die Einführung eines Verbots des Verkaufs von Hunde- und Katzenfleisch wäre ein Gesetz erforderlich. Da die sogenannten wilden Hundeschlachtungen dadurch nicht erfaßt werden und darüber hinaus Hunde- und Katzenfleisch nach unserer Meinung nicht in den Verkehr gebracht wird, dürfte diesem Verbot eine praktische Bedeutung nicht zukommen. Die Bundesregierung ist daher der Ansicht, daß die Gründe für den Erlaß eines solchen Gesetzes nicht ausreichen.
Herr Präsident, darf ich noch eine letzte Zusatzfrage stellen?
Noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Leiske!
Deckt sich in diesen Fragen die Auffassung des Herrn Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, die, so fürchte ich, zahlreiche Tierfreunde sehr enttäuschen wird, mit der Auffassung des Herrn Bundesministers des Innern?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ohne dem Herrn Bundesminister des Innern persönlich vorgreifen zu wollen, darf ich bemerken, daß die von mir erteilte Antwort in sorgfältiger Abstimmung mit dem Bundesinnenministerium erfolgt ist.
Der Herr Bundesminister des Innern wünscht dazu das Wort.
Bitte schön, Herr Bundesminister!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedauere, daß ich der Antwort, die der Herr Staatssekretär Sonnemann im Namen des Herrn Bundesministers für Ernährung gegeben hat, nicht beistimmen kann. Ich halte das Schlachten von Hunden zum Verzehr für eine Barbarei, bleibe bei dieser Auffassung und werde von mir aus alles tun, um diese Dinge zu unterbinden.
Ich danke Ihnen, Herr Minister, und Ihnen, Herr Staatssekretär.
Meine Damen und Herren, damit können wir zur Frage 4 übergehen. Frau Abgeordnete Nadig!
Hält die Bundesregierung die im Bereich der Milchwirtschaft geltenden Vorschriften zum Schutze der Volksgesundheit, besonders im Hinblick auf die Verseuchung mit Rinder-Tbc-Bazillen, für ausreichend?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum Schutz der menschlichen Gesundheit ist es verboten, Milch von Kühen in den Verkehr zu bringen, die geeignet ist, die menschliche Gesundheit zu schädigen.
Die Hauptmenge der Milch, die als Trinkmilch oder in verarbeitetem Zustand in den Verkehr gelangt, wird in den Molkereien einem Reinigungs-und Pasteurisierungsverfahren unterworfen. Die Pasteurisierung ist ein Erhitzungsverfahren, bei dem die Milch für bestimmte Zeit bestimmter Temperatur ausgesetzt ist. Bei ordnungsgemäßer Durchführung der Pasteurisierung ist die erhitzte Milch praktisch frei von Krankheitskeimen. Überdies werden zur Erhöhung der Sicherheit laufend technische Verbesserungen an den Erhitzungseinrichtungen entwickelt und eingebaut.
In rohem Zustand wird — außer im Ab-Hof-
Verkauf, der nicht hinreichend zu kontrollieren und auch aus hygienischen Gründen unerwünscht ist — nur Vorzugsmilch in den Verkehr gegeben, für die so strenge Vorschriften bestehen, daß bei ihrem Genuß keine Gefahr für die Menschen entstehen kann.
Die Bekämpfung der Rindertuberkulose wird von der Bundesregierung durch folgende Maßnahmen unterstützt. Im Haushaltsplan 1954 des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sind etwa 10 Millionen DM für die Bekämpfung der Rindertuberkulose vorgesehen, die in erster Linie für die Ausmerzung tuberkulöser Rinder und zur Schaffung tuberkulosefreier Gebiete eingesetzt werden sollen. Außerdem werden Maßnahmen der Molkereien zur Bekämpfung der Rindertuberkulose als ein nicht steuerschädliches Zweck- und Hilfsgeschäft anerkannt. Einzelheiten der Regelung werden zur Zeit zwischen den zuständigen Ministerien geklärt. Zur Fortführung von Forschungsvorhaben werden ebenso wie zur Beratung auf dem Gebiet der Rindertuberkulose laufend Bundeszuschüsse zur Verfügung gestellt.
Ferner ist den Ländern empfohlen worden, die Tuberkulosefreiheit der Anlieferungsmilch als Gütemerkmal bei der differenzierten Bezahlung zu berücksichtigen. Schließlich befindet sich ein Gesetz zur Änderung des Viehseuchengesetzes in Vorbereitung, das Bestimmungen über die Schaffung und Erhaltung anerkannt tuberkulosefreier Rinderbestände enthalten wird.
Glauben Sie, daß damit die Sicherheit gegeben ist, daß in jeder Molkerei die Erhitzung der Milch auf die notwendigen Grade durchgeführt wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die technischen Einrichtungen bieten an sich die Gewähr. Es handelt sich darum, daß die Vorschriften auf ihre Einhaltung kontrolliert werden, und das ist Sache der Länder. Es besteht aber kein Anlaß zu der Annahme, daß es nicht geschieht.
Die Frage ist damit erledigt.
Zur Frage 5 Herr Abgeordneter Schneider !
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die beiden von ihr eingesetzten Fischereischutzboote für die ausgedehnten Fanggebiete der deutschen Hochseefischerei völlig unzureichend sind?
Warum wurden entgegen den ursprünglichen Planungen des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auch diesmal nicht die erforderlichen Mittel für den Bau des dritten größeren Fischereischutzbootes eingesetzt?
Wann glaubt die Bundesregierung nunmehr mit dem Bau des dritten Fischereischutzbootes beginnen zu können?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein verstärkter Fischereischutz wird aus allen möglichen Gründen von unserem Hause für dringend notwendig gehalten, u. a. deswegen, weil eine wesentliche Verlagerung der Fischgründe durch die zunehmende Erwärmung des Nordmeeres und damit eine wesentliche Ausdehnung der Fanggebiete stattgefunden hat.
Bei den Beratungen über den Einzelplan 10 des Haushaltsvoranschlags 1954 — es ist der Einzelplan, der das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten betrifft — wurde auch die Bereitstellung von Mitteln für den Bau eines dritten Fischereischutzbootes ausführlich erörtert. Angesichts der Finanzlage des Bundes konnte jedoch zu unserem Bedauern dem Vorschlag im Entwurf des Haushaltsplans 1954 nicht entsprochen werden.
Danke sehr! Präsident D. Dr. Ehlers: Die Frage ist erledigt. Zur Frage 6 Herr Abgeordneter Ruhnke.
Ist die Bundesregierung bereit, die anläßlich der Verbandstagung des Deutschen Schaustellerbundes am 21. Januar 1954 in Hannover durch den offiziellen Vertreter des Bundeswirtschaftsministeriums, Oberregierungsrat Dr. Rother, in einer Begrüßungsansprache gemachten und stürmisch begrüßten Versprechen, dem Schaustellerstand Steuererleichterung zu verschaffen, in die Tat umzusetzen?
Der Herr Bundesminister der Finanzen!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Oberregierungsrat Rother hat mir mit Schreiben vom 23. Februar 1954 den Inhalt seiner Ausführungen auf der Verbandstagung mitgeteilt, und er schließt mit dem Satz:
Meine Ausführungen können deshalb nicht als ein Versprechen gedeutet werden, dem Schaustellerstand Steuererleichterungen zu verschaffen.
Ich möchte hierzu bemerken, daß es sich für das Schaustellergewerbe sachlich in erster Linie um die Vergnügungssteuer handelt und daß die Vergnügungssteuer nach Art. 105 des Grundgesetzes der Gesetzgebung des Bundes überhaupt entzogen ist.
Die Frage ist erledigt. Zur Frage 7 Herr Abgeordneter Finckh.
Wann ist mit der Bereitstellung der ersten Rate für den Ausbau des Albaufstiegs auf der Autobahnstrecke von Aichelberg bis Hohenstadt zu rechnen, nachdem sich die bisher befahrene Strecke in einem derartigen Zustand befindet, daß außer mit einer erhöhten Unfallziffer in absehbarer Zeit mit einer Sperre gerechnet werden muß, sofern nicht raschestens Mittel für die Ausbesserung und den Ausbau bereitgestellt werden?
Hinzugefügt sei noch, daß die Bundesstraße 10 nicht als Umleitungsstraße benützt werden kann.
Der Herr Bundesminister für Verkehr, bitte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um die östliche Fahrbahn des Albaufstiegs grundlegend ausbauen zu können, muß der Verkehr umgeleitet werden. Dazu ist es aber notwendig, die unvollendete zweite Fahrbahn fertigzustellen. Die Mittel zur Durchführung dieser Arbeiten werden erst bereitgestellt werden können, wenn das Verkehrsfinanzgesetz verabschiedet und die Gesellschaft für Autobahnfinanzierung ins Leben getreten ist.
Die Verdrückungen der östlichen Fahrbahn, die mit Granit-Kleinpflaster über einem Unterbau von Jura-Kalkstein ausgeführt ist, rühren davon her, daß weder der Unterbau noch der Untergrund dem heutigen Verkehr mit schweren und schnellen Lastkraftwagen gewachsen ist. Sie sind zwar für den Verkehr unangenehm und erfordern laufend Unterhaltungskosten, halten sich aber in einem Rahmen, daß keineswegs in absehbarer Zeit mit einer Sperre gerechnet werden muß.
Die Kosten der noch erforderlichen Arbeiten betragen für den westlichen Ast 15 Millionen DM in der Herstellung und mindestens 6 Millionen DM für die dann folgende durchgreifende Instandsetzung des östlichen Astes.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Finckh.
Soweit ich von amtlicher Stelle unterrichtet worden bin, ist tatsächlich die Gefahr gegeben, daß mit einer Sperre dieser Strecke gerechnet werden muß, sofern nicht sofort entsprechende Maßnahmen getroffen werden.
Als zweite Frage: Herr Minister, bis wann, glauben Sie, werden die von Ihnen angeschnittenen Fragen geregelt werden können, d. h. bis wann wird die Finanzierungsgesellschaft gegründet sein, und bis wann werden die sonstigen Angelegenheiten geregelt werden? Für uns ist es natürlich entscheidend, zu wissen, bis wann — —
Wollen Sie bitte etwas dichter ans Mikrophon gehen. Es ist hier sehr schwer zu verstehen.
Für uns ist es natürlich entscheidend, zu wissen, bis zu welchem Zeitpunkt definitiv mit dem Ausbau der Straße gerechnet werden kann. Wir stellen hier eine konkrete Frage und wünschen nicht lediglich eine ungefähre Mitteilung, daß vielleicht bis zu dem oder jenem Zeitpunkt angefangen werden dürfte.
Es ist eindeutig klar, daß erst das Verkehrsfinanzgesetz verabschiedet werden muß. Vorher läßt sich die Autobahnfinanzierungsgesellschaft nicht mit Geld ausstatten, und vorher kann sie natürlich auch indirekt keine Aufträge erteilen, indem sie dem Land die entsprechenden Mittel zur Verfügung stellt. In diesem Jahr ist auch im Haushalt nichts enthalten, so daß wir vor dem nächsten Jahr keinesfalls mit einem Beginn der Arbeiten am zweiten Albaufstieg rechnen können.
Ich danke.
Zur Frage 8 Herr Abgeordneter Jahn !
Ist der Herr Bundesminister der Finanzen in der Lage, einen ungefähren Zeitpunkt zu nennen, wann mit der Vorlage des Entwurfs eines neuen Bundesbesoldungsgesetzes zu rechnen ist, und zu welchem Zeitpunkt gedenkt der Herr Bundesminister die zuständigen Gewerkschaften an der Vorbereitung dieses Gesetzes nach den Bestimmungen des § 94 des Bundesbeamtengesetzes zu beteiligen?
Der Herr Bundesminister der Finanzen, bitte!
Der Zeitpunkt, zu dem das Kabinett dem Bundestag den Entwurf eines neuen Bundesbesoldungsge-
setzes wird vorlegen können, läßt sich heute noch nicht mit Sicherheit voraussagen.
Die Fertigstellung eines derartigen Entwurfs, der gleichzeitig die Grundlage für die Besoldung der Länder- und Gemeindebeamten bilden muß, bedarf noch weiterer zeitraubender Vorarbeiten und eingehender Verhandlungen mit den Vertretern der Bundesressorts, der Landesregierungen und der Beamtenschaft. Die Spitzenorganisationen der zuständigen Gewerkschaften werden in einem möglichst frühen Zeitpunkt, jedenfalls vor Zuleitung eines Gesetzentwurfs an das Bundeskabinett, an der Vorbereitung des Gesetzes beteiligt werden.
Danke!
Die Frage ist erledigt. Zur Frage 9 Herr Abgeordneter Dr. Bucher.
Wann gedenkt die Bundesregierung das in Art. 108 Abs. 5 des Grundgesetzes vorgesehene Gesetz über die Finanzgerichtsbarkeit vorzulegen?
Der Herr Bundesminister der Finanzen!
Es liegt bereits ein Referentenentwurf vor, der mit den Finanzministerien der Länder, den Wirtschaftsverbänden und im wesentlichen auch mit den Bundesressorts bereits besprochen worden ist und über 1 den Anfang Mai eine abschließende Beratung mit den Bundesressorts stattfinden soll. Nach Klärung der dort etwa noch auftauchenden Fragen soll der Entwurf Ende Mai oder Anfang Juni dem Bundeskabinett vorgelegt werden.
Danke!
Die Frage ist erledigt. Meine Damen und Herren, ich bitte erneut darum, möglichst dicht an das Mikrophon zu treten. Sie merken ja, welche Schwierigkeiten heute bei der Übertragungsanlage bestehen.
Zur Frage 10 Herr Abgeordneter Dr. Lütkens.
Herr Präsident, ich kann auf die Beantwortung der Frage 10 heute verzichten. Sie werden mir erlauben, zwei Sätze geschäftsordnungsmäßiger Art dazu zu sagen. Am 30. März hat mich ein Beamter des Auswärtigen Amtes aufgesucht und gebeten, ich möchte diese Frage zurückstellen. Ich habe mich unter gewissen Voraussetzungen bereit erklärt, von Zusatzfragen abzusehen. Eine der Bedingungen war, daß mir über eine damals von mir aufgeworfene Frage eine briefliche Mitteilung gemacht würde. Diese briefliche Mitteilung habe ich am 27. April endlich — also nach vier Wochen und nachdem die Fragen für die heutige Fragestunde gedruckt vorlagen — erhalten.
Meine Damen und Herren, Sie haben von dieser geschäftsordnungsmäßigen Mitteilung des Herrn Abgeordneten Dr. Lütkens Kenntnis genommen.
Zur Frage 11 Herr Abgeordneter Dr. Lütkens!
Ist es richtig, daß sich die Deutsche Botschaft in Paris
— ich sage besser: die deutsche Vertretung in Paris —
durch den Kulturattaché der Vertretung auf einer Pfingsten 1953 in Paris abgehaltenen Französisch-Deutschen Pädagogentagung, die von der Gruppe Cent Cinquante veranstaltet wurde, hat offiziell vertreten lassen, oder mit welcher sonstigen Begründung hat der Herr Kulturattaché von Tiechowitz etwa an dieser Tagung teilgenommen?
Der Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amts.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es ist richtig, daß der Kulturreferent der Diplomatischen Vertretung in Paris an der Eröffnungssitzung dieser Tagung teilgenommen hat. Er hat dies in Erfüllung seiner allgemeinen Dienstobliegenheiten getan, Vorgänge im Bereich seiner Verantwortung als Kulturattaché zu beobachten.
Eine Zusatzfrage Herr Abgeordneter Lütkens, bitte!
War der deutschen Vertretung in Paris nicht bekannt, daß dieses pädagogische Treffen von der kommunistischen Fraktion der französischen Lehrerorganisation organisiert war und daß die Gruppe Cent Cinquante eine bekannte kommunistische Gruppe ist?
Herr Staatssekretär, bitte!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bin nicht sicher, ob das der Diplomatischen Vertretung bekannt war. Auch wenn es ihr bekannt war, ist denkbar, daß sie Gründe gehabt hat, diese Veranstaltung zu beobachten.
— Darf ich auf diesen Zwischenruf antworten?
Herr Staatssekretär, Ihre Aufgabe ist hier die Beantwortung von Fragen.
Eine Zusatzfrage Herr Abgeordneter Lütkens.
Ist der Bericht der Hamburger Zeitschrift „Der Pflüger" Jahrgang 2, Nr. 4/5 vom Oktober 1953 also richtig, wonach der deutsche Kulturattaché erschienen war und den Rednern lebhaft applaudierte? Was ist geschehen, nachdem die Bundesregierung zu Händen des Herrn Bundesbevollmächtigten in Berlin mit seinem Schreiben vom 15. Januar 1954 von diesem Bericht und diesen Vorgängen in Kenntnis gesetzt war?
Der Herr Staatssekretär, bitte!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Mir ist weder der Bericht in jener Zeitung, deren Name ich im Augenblick aus akustischen Gründen nicht verstanden habe, noch die Mittei-
lung bekannt, die nach der Bekundung des Herrn Abgeordneten an den Herrn Bundesbevollmächtigten in Berlin gegangen ist. Ich werde gern beide Vorgänge prüfen.
Darf ich noch eine Zusatzfrage stellen?
Bitte, eine Zusatzfrage.
Wie hat sich der deutsche Kulturattaché verhalten, als z. B. in dem Vortrag des Herrn Professors Grappin aus Nancy folgender Satz vorkam:
Der Widerstand gegen den ersten Schritt zur Wiedervereinigung Deutschlands, die freien Wahlen, kommt von seiten der westdeutschen Regierung, nicht von der SED oder der Regierung der DDR.
Hat er etwa bei dieser Stelle auch applaudiert?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich weiß nicht, ob der Kulturattaché der deutschen Diplomatischen Vertretung in Paris in der Veranstaltung zugegen war, als diese Bemerkung fiel. Infolgedessen bin ich nicht in der Lage, zu sagen, wie er darauf reagiert hat.
Keine weitere Zusatzfrage!
Zur Frage 12 Herr Abgeordneter Kahn-Ackermann.
Was gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um den Richtlinien des Bundesministeriums der Finanzen vorn 20. April 1953 hinsichtlich der Neuregelung von Nutzungsentschädigungen für von der Besatzungsmacht beschlagnahmte landwirtschaftliche Nutzflächen Gültigkeit zu verschaffen?
Der Bundesminister der Finanzen, bitte!
Im Bundesministerium der Finanzen ist ein entsprechender Entwurf für solche Richtlinien seit langer Zeit aufgestellt. Da die Besatzungsmächte sich auf Grund des Art. 2 e des Besatzungsstatuts den Erlaß von Vorschriften zur Regelung der Vergütung von Besatzungsleistungen und Entschädigungen für Besatzungsschäden vorbehalten haben, ist der Entwurf mit Schreiben vom 20. April 1953 den Mitgliedern des Unterausschusses für Besatzungsbedarf und Besatzungslasten des Alliierten Finanzausschusses mit der Bitte übersandt worden, der Anwendung der Richtlinien zuzustimmen. Die Mitglieder des Ausschusses haben mich davon unterrichtet, daß Sachverständige mit der Prüfung der Richtlinien beauftragt seien. Eine Mitteilung über den Abschluß der Prüfung und ihr Ergebnis ist mir bisher aber noch nicht zugegangen.
Im Hinblick auf die Schwierigkeit der Sache war damit zu rechnen, daß die Prüfung des Entwurfs durch die alliierten Sachverständigen eine geraume
Zeit in Anspruch nehmen werde. Ich habe mich deshalb mit den Rundschreiben vom 4. August und 15. Oktober 1953 an die Herren Finanzminister und Finanzsenatoren der Länder damit einverstanden erklärt, daß die Nutzungsvergütung für landwirtschaftlich genutzte Grundstücke auf der Grundlage des Entwurfs der Richtlinien der Bundesregierung berechnet wird und daß, falls die zuständigen alliierten Dienststellen eine Zahlungsermächtigung für die so berechnete Nutzungsvergütung nicht erteilen sollten, die Zahlung des sich ergebenden Unterschiedsbetrags zunächst zu Lasten des Verteidigungsfolgekostenhaushalts Kap. 3511 erfolgen könne.
Eine Zusatzfrage, Herr Präsident.
Bitte, Herr Abgeordneter.
Ist dem Herrn Bundesminister der Finanzen bekannt, daß sich z. B. in den Ländern der ehemaligen amerikanischen Besatzungszone die Länderfinanzbehörden weigern, derartige Zahlungen vorzunehmen, und sich darauf berufen, daß die Entscheidung darüber allein bei der amerikanischen Armee liege?
Die Bundesregierung kann den Ländern lediglich die Ermächtigung erteilen, die Zahlungen zugunsten der Grundstückseigentümer auf Kosten des Bundes vorzunehmen. Eine Weisung kann sie den Ländern nicht erteilen. Wenn hier Wünsche bestehen, würde ich deshalb empfehlen, sich damit unmittelbar an die Länderregierungen zu wenden.
Noch eine Zusatzfrage. Präsident D. Dr. Ehlers: Eine Zusatzfrage.
Herr Bundesfinanzminister, Sie haben am 3. September 1953, drei Tage vor der Bundestagswahl, einer großen Gruppe von Landwirten im Kreis Fürstenfeldbruck die persönliche Zusage gemacht, daß Sie die Fälle, die meine Anfrage betrifft, in Kürze zu ihrer Zufriedenheit regeln wollten. Zwei an Sie gerichtete Briefe in dieser Angelegenheit sind vom Finanzministerium nicht beantwortet worden. Was gedenken Sie zu unternehmen, um Ihr Versprechen einzulösen?
Ich gedenke, Ihnen die Aktenstücke zuzusenden. Sie werden sehen, daß ich diese Frage beantwortet, und zwar schriftlich beantwortet habe.
Damit ist die Frage 12 erledigt.
Unter Hinweis auf die Wichtigkeit auch der wirtschaftlichen Beziehungen, insbesondere der Ausfuhrförderung nach den Ländern des Fernen Ostens, frage ich die Bundesregierung, ob ihr bekannt ist, daß das Forschungsgut des früheren Reichsinstituts für Inner-Asien-
Forschung in München der wissenschaftlichen Auswertung, wie dies auch aus wirtschaftlichen Gründen durchaus wünschenswert wäre, nicht zugängig ist und daß die Gefahr von Beschädigung und Zerfall besteht, wenn nicht
für eine zweckmäßige Verwendung und Aufbewahrung Sorge getragen wird. Wer ist verfügungsberechtigt und verantwortlich?
Kann das Institut durch entsprechende Förderung unter sachkundiger Leitung wieder errichtet und durch Heranziehung namentlich früherer Expeditionsteilnehmer fortgeführt werden?
Die Antwort lautet wie folgt: Das im Jahre 1943 gegründete Reichsinstitut Sven Hedin für Inner-
Asien-Forschung in München hat bei Kriegsschluß seine Arbeiten eingestellt. Das wissenschaftliche Material des Instituts wurde zunächst beschlagnahmt und in den Collecting Point in München verbracht. Es wird heute von der „Treuhandverwaltung von Kulturgut beim Auswärtigen Amt" betreut.
Ein bedeutsamer Fall des Materials, das hundertbändige religionsgeschichtlich wichtige Werk Kandschur ist als Leihgabe der Bayerischen Staatsbibliothek überlassen worden und steht dort der wissenschaftlichen Forschung zur Verfügung. Das übrige Material, bestehend aus der Expeditionsausbeute ethnologischer Art, befindet sich im Depot der bereits erwähnten Treuhandverwaltung des Auswärtigen Amts. Seitens der Treuhandverwaltung wird erstrebt, dieses Material durch leihweise Überlassung an völkerkundliche Museen der Forschung zugänglich zu machen. Der Umfang des Materials rechtfertigt es nicht, das frühere Reichsinstitut wieder ins Leben zu rufen.
Da bei der augenblicklichen Unterbringung — Verpackung in Kisten — auf die Dauer, wenigstens bei einem Teil des Materials, die Gefahr des Zerfalls besteht, beabsichtigt die Treuhandverwaltung, die Verhandlungen über eine anderweitige zweckmäßige Verwendung beschleunigt durchzuführen.
Eine Zusatzfrage?
Danke schön, keine Zusatzfrage.
Keine Zusatzfrage. Zur Frage 14 Abgeordneter Dr. von Buchka. Dr. von Buchka :
Ist die Bundesregierung bereit, die Fährverbindung Cuxhaven — Brunsbüttelkoog angesichts deren übergebietlicher Bedeutung finanziell zu unterstützen?
Der Herr Bundesminister für Verkehr, bitte.
Ich hoffe, das Hohe Haus und Sie, Herr Kollege, werden, falls der Herr Präsident keine Einwendungen erheben sollte, damit einverstanden sein, daß ich die Fragen 14 und 21 zusammen beantworte. Beide behandeln die Wünsche nach finanzieller Unterstützung von zwei Fährverbindungen über die Unterelbe.
Ich darf unterstellen, Herr Abgeordneter von Buchka, daß Sie ohne Verlesen der Frage 21, die sich auf die Fähre Glückstadt-Wischhafen bezieht, mit der gemeinsamen Beantwortung einverstanden sind.
Ich bin gerne einverstanden, Herr Präsident.
Sieht sich die Bundesregierung in der Lage, einen im Verkehrsinteresse dringlichen Ausbau der Elb-Fährverbindung Glückstadt — Wischhafen mit finanzieren zu helfen?
Danke sehr! Der 1. Deutsche Bundestag hat sich in seiner Sitzung am 1. Oktober 1952 mit der Frage beschäftigt, ob der Bund verpflichtet oder rechtlich in der Lage ist, eine Fährverbindung über eine natürliche Wasserstraße finanziell zu unterstützen. Diese Frage wurde verneint und die Leistung von Bundeszuschüssen durch den Herrn Bundesminister der Finanzen abgelehnt. Ich darf insoweit auf die Bundestagsdrucksache Nr. 4647 der ersten Legislaturperiode verweisen.
Bei dem staatsvertraglichen Übergang der Wasserstraßen von den Ländern auf das Reich im Jahre 1921 wurden die Fähren und das Fährregal an den natürlichen Wasserstraßen ausdrücklich von dem Übergang ausgenommen. Diese Bestimmung hat auch im Wasserstraßen-Vermögensgesetz von 1951 Aufnahme gefunden. Der Bund, der weder das Eigentum noch die Verwaltung der Fähren an den natürlichen Wasserstraßen hat, ist daher auch leider nicht in der Lage, Zuschüsse für die Fähren zu leisten.
Ich darf bemerken, daß die beiden genannten Fähren Cuxhaven—Brunsbüttelkoog und Glückstadt—Wischhafen auch nicht im Zuge von Bundesstraßen liegen, so daß auch die Bundesstraßenverwaltung rechtlich nicht in der Lage ist, für einen Ausbau der Zubringerstraßen finanzielle Lasten zu übernehmen. Beide Fähren dienen überwiegend dem Orts- und Bezirksverkehr. Da aber die Fährverbindung Glückstadt—Wischhafen in unmittelbarer Verbindung mit dem niedersächsischen Sanierungsgebiet liegt, hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft aus Sanierungsmitteln des Bundes einen Kredit von 80 000 DM zur Verfügung gestellt und ist bereit, einen weiteren Kredit von 55 000 DM für die Zwecke dieser Fähre aus Sanierungsmitteln zur Verfügung zu stellen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter?
Darf ich fragen, ob hinsichtlich der Fähre Cuxhaven—Brunsbüttelkoog tatsächlich keinerlei Möglichkeiten bestehen, dorthin Bundesmittel als Beihilfen zu geben.
Leider bestehen diese Möglichkeiten nicht, Herr von Buchka.
Die Frage ist damit erledigt.
Warum hat die Bundesregierung keinen der vom Bayerischen Verkehrsbeamtenverein e. V. in München, der ältesten Beamtenorganisation des ganzen Bundesgebiets, für den Postverwaltungsrat vorgeschlagenen Vertreter ernannt?
Der Herr Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen, bitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Vorschläge bzw. Ernennungen der Mitglieder des Postverwaltungsrats sind durch das Postverwaltungsgesetz festgelegt. Das Postverwaltungsgesetz enthält aber keine Bestimmungen darüber, wie alle Organisationen, die in Frage kommen, insbesondere solche mit kleiner Mitgliederzahl, zu behandeln sind. Bei den Vorschlägen bzw. bei den Ernennungen mußte daher nach Grundsätzen verfahren werden, wie sie sich auch bei der Behandlung von Splitterparteien im politischen Leben bzw. bei anderen Organisationen als zweckmäßig erwiesen haben.
Die Bundesregierung hat dem Bayerischen Verkehrsbeamtenverein auf seinen Einspruch ausführlich geantwortet. Ich darf aus dieser Begründung kurz zusammenfassen: Nach § 5 des Postverwaltungsgesetzes gehören dem Verwaltungsrat sieben Vertreter des Personals der Deutschen Bundespost an. Diese müssen aber Mitglieder der bei der Deutschen Bundespost vertretenen Gewerkschaften sein. Die für das Personal vorgesehenen Sitze waren daher auf die rund 257 500 gewerkschaftlich organisierten Postangehörigen zu verteilen. Das ergab einen Sitz auf rund 36 800 Angehörige der Deutschen Bundespost. Der Bayerische Verkehrsbeamtenverein hat aber nur etwa 2500 Mitglieder,
also noch nicht einmal 10 vom Hundert der bei einer gleichmäßigen Verteilung für einen Sitz erforderlichen Anzahl. Bei dieser Sachlage war es leider nicht möglich, ein Mitglied des Bayerischen Verkehrsbeamtenvereins als Vertreter des Personals im Verwaltungsrat der Deutschen Bundespost zu ernennen.
Eine Zusatzfrage bitte! Präsident D. Dr. Ehlers: Bitte, eine Zusatzfrage.
Wäre es nicht zweckmäßiger und dem Arbeitsfrieden dienlicher gewesen, ohne Rücksicht auf die Stärke der Organisationen zunächst jeder wenigstens einen Sitz zu geben und die übrigen Sitze nach der Stärkezahl zu verteilen?
Herr Bundesminister, bitte!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das wäre wohl eine Sache des Postverwaltungsgesetzes, das diese Bestimmung nicht vorgesehen hat.
Danke schön!
Die Frage ist erledigt. Zur Frage 16 Herr Abgeordneter Kortmann!
Ist dem Herrn Bundesminister für Wirtschaft bekannt, daß in den ostfriesischen Inselbädern alle ortsansässigen Einzelhandelsbetriebe dadurch in ihrer Existenz auf das schwerste bedroht werden, daß Filialbetriebe von Großunternehmungen des Festlandes während der Saison in großer Zahl auftreten und das Angebot in unverhältnismäßig starkem Maße erhöhen, wobei noch den Inselgemeinden die Gewerbesteuer solcher Filialen verlorengeht? Ist der Herr Bundesminister bereit, zum Schutze der einheimischen Betriebe, die zum großen Teil ihren Gesamtjahresverdienst aus den wenigen Saisontagen ziehen müssen, geeignete Maßnahmen zu ergreifen?
Der Herr Bundesminister für Wirtschaft zur Beantwortung!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach meinen Feststellungen ist es seit Jahren üblich, daß während der Badesaison Modehäuser, Juweliere, Frisiersalons usw. des Festlandes ihre in ostfriesischen Badeorten errichteten Filialen öffnen und mit den ortsansässigen Einzelhandelsgeschäften in Wettbewerb treten. Für diese Tätigkeit wird die anfallende Gewerbesteuer an die Inselgemeinden abgeführt. Gegen das Auftreten solcher Firmen irgendwelche Maßnahmen zu ergreifen, besteht weder Veranlassung noch eine Möglichkeit. Dagegen ist mir nichts darüber bekanntgeworden, daß Filialbetriebe von Großunternehmen des Festlandes während der Saison in großer Anzahl auftreten und das Angebot in unverhältnismäßig starkem Maße erhöhen.
Darf ich eine. Zusatzfrage stellen?
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kortmann!
Ist es möglich, für die einheimischen Betriebe dieser Art die Zahlung der Gewerbesteuer auf die Saisonmonate zu beschränken?
Das ist eine Frage, die der Herr Bundesfinanzminister zu beantworten hat.
Damit scheint diese Frage erledigt zu sein.
Wird die Frage 17 an Stelle des Herrn Abgeordneten Ritzel von einem anderen Kollegen gestellt? Bitte schön!
Sind dem Herrn Bundesminister für Post-und Fernmeldewesen die unhaltbaren Zustände an den Postämtern Reinheim und Reichelsheim im Odenwald bekannt, und was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um in beiden Fällen für rasche Abhilfe zu sorgen?
Der Herr Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen bitte!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nach der Anfrage sollen die Zustände auf den Postämtern Reinheim und Reichelsheim unhaltbar sein. Da in der Anfrage nicht gesagt ist, ob diese „unhaltbaren" Zustände postbetrieblicher, fernmeldetechnischer, baulicher oder personeller Art sind, war es notwendig, die Verhältnisse bei beiden Ämtern nach jeder Richtung hin zu überprüfen. Ich selbst habe Gelegenheit genommen, das Zweigpostamt Reichelsheim zu besichtigen.
Das Postamt Reinheim habe ich mir aus zeitlichen Gründen noch nicht ansehen können, ich werde das aber nachholen.
Die Verhältnisse bei den beiden Ämtern sind folgende. Zweigpostamt Reichelsheim: Das Postamt ist zwar etwas beengt untergebracht, jedoch läßt sich der Postdienst in den Räumen glatt abwickeln. In postbetrieblicher Hinsicht verfügt Reichelsheim über voll ausreichende Postverbindungen nach Reinheim und Lindenfels. Der Verkehrs- und Verschönerungsverein des Ortes wünschte die Wiedereinführung der früher vorhandenen Bahnpost von Reinheim nach Reichelsheim. Diesem Wunsch konnte jedoch aus wirtschaftlichen Gründen nicht entsprochen werden; im anderen Falle hätte nämlich die Landkraftpost aufgehoben werden müssen. Durch die Landkraftpost ist es möglich, im Laufe des Vormittags in Reinheim für den Ort Reichelsheim eingehende Post noch Reichelsheim am gleichen Tage zuzuführen. Dies war früher bei der Bahnpostbeförderung nicht der Fall.
Der weitere Wunsch des Verkehrsvereins, in Reichelsheim eine zweite Briefzustellung einzuführen, ließ sich aus wirtschaftlichen Gründen nicht erfüllen. Der Ort zählt rund 2600 Einwohner. Nach den Ermittlungen liegen für eine zweite Briefzustellung im Durchschnitt täglich nur 120 Sendungen vor, die die Einrichtung einer zweiten Briefzustellung nicht rechtfertigen. Ob während der Sommermonate in dem Luftkurort Reichelsheim noch ein zweiter Annahmeschalter offenzuhalten ist, wird geprüft werden.
Die Fernsprechvermittlungsstelle mit Wählbetrieb ist voll belegt. Ihre Erweiterung ist aus technischen Gründen zur Zeit nicht möglich. Es sind augenblicklich 38 Anträge auf Herstellung eines Fersprechanschlusses noch nicht erledigt. Es ist beabsichtigt, eine neue Einrichtung zu schaffen. Diese erfordert jedoch einen erheblichen Mittelaufwand, insgesamt etwa 270 000 DM. Sofern die angespannte Finanzlage der Deutschen Bundespost es zuläßt, soll das neue Wählamt im Rechnungsjahr 1955 errichtet werden.
In personeller Hinsicht liegen Klagen über das Zweigpostamt Reichelsheim nicht vor. Auch ich selber bin sehr ordentlich bedient worden, weil niemand gewußt hat, wer ich war.
Postamt Reinheim. Dieses Postamt ist in einem Mietpostgebäude untergebracht, das sich im Laufe der Zeit als zu klein erwiesen hat. Erweiterungsmöglichkeiten bestehen nicht. 1937 wurde bereits ein Bauplatz in Größe von 609 qm gekauft, dieser reicht aber für die in den letzten Jahren größer gewordenen Raumbedürfnisse nicht mehr aus. Es war beabsichtigt, das anliegende alte Finanzamtsgebäude anzukaufen; diese Verhandlungen sind aber kürzlich daran gescheitert, daß die in diesem Gebäude untergebrachten zehn Mietparteien auch nicht zum Teil in anderen Wohnungen untergebracht werden könnten. Das angebotene Wohnhaus der Finanzverwaltung erwies sich als für die Zwecke der Bundespost ungeeignet. Die Bemühungen für die Beschaffung anderer Postdiensträume werden fortgesetzt.
In postbetrieblicher Hinsicht sind Beschwerden von Postbenutzern über unhaltbare Zustände nicht erhoben worden. Seit dem 1. April 1954 ist in Reinheim eine zweite Briefzustellung eingeführt worden. Dem Postamt wurde auch ein Landkraftwagen für die Strecke Reinheim—Reichelsheim zugeteilt. Es bestehen täglich zwei Postverbindungen mit
Darmstadt und zwei — samstags sogar drei — Postverbindungen mit Offenbach.
In Reinheim befindet sich eine Fernsprechvermittlungsstelle mit Handbetrieb. Bisher konnten 49 Anträge auf Einrichtung eines Fernsprechanschlusses noch nicht erfüllt werden. Es ist beabsichtigt, die Ortsvermittlung auf Wählbetrieb umzustellen. Die erforderlichen Mittel für Lieferung und Aufbau der technischen Einrichtungen in Höhe von 99 000 DM sind bereitgestellt. Die Unterbringung der neuen Fernsprecheinrichtungen stößt jedoch infolge der oben genannten noch ungeklärten Raumfragen des Postamtes auf Schwierigkeiten. Es darf erwartet werden, daß diese Schwierigkeiten alsbald behoben werden, wenn auch die Stadt Reinheim die Bundespost bei der Lösung der Grundstücksfrage unterstützt.
Klagen über unzulängliche Personalverhältnisse bei diesem Postamt sind ebenfalls nicht bekanntgeworden. Zweifellos bestehen berechtigte Wünsche der Bevölkerung auf eine Verbesserung der postalischen Einrichtungen. Von „unhaltbaren Zuständen" kann aber bestimmt nicht gesprochen werden.
Danke!
Damit ist die Frage erledigt.
Zu Frage 18 Herr Abgeordneter Becker .
Ist die Bundesregierung bereit, bei der vorgesehenen Neufestsetzung der Portosätze von einer Erhöhung der Beförderungsgebühren für Päckchen in die sowjetisch besetzte Zone abzusehen?
Bitte, Herr Bundesminister!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bei der vorgesehenen Neuregelung der Gebühren können die Päckchen nach der sowjetischen Besatzungszone nicht besonders behandelt werden. Die Bundesregierung hat volles Verständnis für die Beweggründe, die eine Sonderbehandlung als wünschenswert erscheinen lassen. Gewichtige Gegenargumente machen es jedoch notwendig, die Päckchen nach der sowjetischen Besatzungszone denselben Gebühren wie die Päckchen innerhalb der Bundesrepublik zu unterwerfen. Erstens sprechen rein betriebliche Gründe dagegen, im Inlandsverkehr für dieselbe Versendungsart zwei verschiedene Tarife anzuwenden. Ferner könnte der Sondertarif nicht auf die nach der sowjetischen Besatzungszone gerichteten Päckchen beschränkt bleiben. Zur sowjetischen Besatzungszone gehört postbetrieblich auch Ostberlin; wenn aber im Verkehr nach Ostberlin eine Vergünstigung gewährt wird, so ist es kaum möglich, Westberlin anders zu behandeln. Diese Unterscheidung wäre im Postbetrieb außerordentlich schwierig durchzuführen, sie würde aber auch wohl in Berlin nicht verstanden werden. Endlich würde sich die Gebührenvergünstigung nicht auf Päckchen beschränken lassen. Bei der bevorstehenden Neuregelung der Paketgebühren, die in den zur Zeit schwebenden Verhandlungen mit der Bahn einheitlich für Pakete und Expreßgut festgesetzt werden sollen, würden dieselben Vergünstigungen auch für den Paketverkehr in Anspruch genommen und nicht verweigert werden können. Hier-
bei würden sich voraussichtlich Gebührenausfälle für die Deutsche Bundespost in Höhe von etwa 5,4 Millionen DM ergeben. Der Ausfall an Paketgebühren läßt sich vor Abschluß der Verhandlungen mit der Deutschen Bundesbahn, in denen die neuen Sätze festgesetzt werden sollen, überhaupt noch nicht abschätzen.
Die Frage ist damit erledigt.
Zur Frage 19 Herr Abgeordneter Faller!
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um dem Betriebsverfassungsgesetz auch in den deutsch-schweizerischen Grenzkraftwerken des Oberrheins volle Geltung zu verschaffen?
Der Herr Bundesminister für Arbeit, bitte!
Der Bundesregierung ist bekannt, daß die Anwendung der §§ 76 ff. des Betriebsverfassungsgesetzes auf die sogenannten Grenzkraftwerke am Oberrhein auf gewisse Schwierigkeiten stößt. In einer Reihe von Besprechungen mit den beteiligten Ressorts und den Sozialpartnern sind im Bundesministerium für Arbeit die Schwierigkeiten und die Möglichkeiten einer Lösung eingehend erörtert worden. Die Prüfungen sind jedoch noch nicht abgeschlossen. In einem Schreiben vom 15. April — also vor ganz kurzer Zeit — hat der Deutsche Gewerkschaftsbund zu diesem Fragenkreis Stellung genommen. Die Bundesregierung wird sich in der Frage der Anwendung des Betriebsverfassungsgesetzes auf die Grenzkraftwerke weiter bemühen, zu einer allseits befriedigenden Lösung zu kommen.
Danke!
Die Frage ist erledigt. Zu Frage 22 Herr Abgeordneter Dr. Hesberg.
Ist der Herr Bundesminister für Wohnungsbau bereit, im Rahmen der angekündigten Maßnahmen zur Förderung des Wiederaufbaus eine Änderung des § 15 Abs. 3 der Berechnungsverordnung vom 20. November 1950 in der Weise herbeizuführen, daß der Wert der wiederverwendeten Gebäudereste mit dem dadurch ersparten Baukostenbetrage angesetzt werden darf entsprechend der Regelung, die in Abschnitt 35 der vom Bayerischen Staatsministerium des Innern erlassenen Bauförderungsbestimmungen getroffen worden ist, damit ein stärkerer Anreiz zum Wiederaufbau der Räumungsgrundstücke gegeben wird?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für Wohnungsbau, bitte!
Meine Antwort ist sehr kurz, Herr Abgeordneter Hesberg. Sie lautet: ja.
Danke schön.
Meine Damen und Herren, ich habe versehentlich die Frage 20 überschlagen. Soll die Frage 20 noch gestellt werden? — Herr Abgeordneter Banse, bitte!
Was beabsichtigt die Bundesregierung bzw. die Deutsche Bundesbahn zu tun, um im Hinblick auf den zum 30. Juni 1954 bevorstehenden Ablauf der Konzession der Privatbahn Hetzbach—Beerfelden die Personen- und Güterbeförderung auf dieser Strecke in befriedigender Weise zu sichern?
Der Herr Bundesminister für Verkehr, bitte!
Die Bahn Hetzbach—Beerfelden ist eine nichtbundeseigene Eisenbahn; sie gehört der Süddeutschen Eisenbahn-Gesellschaft in Essen. Ihre Betriebslänge beträgt 5 km. Sie ist seit Jahren Zuschußbetrieb.
Die Konzession läuft am 31. Mai 1954 ab. Die Gesellschaft will die Konzession nicht erneuern und hat dem Personal, 5 Angestellte und 9 Arbeiter, rechtzeitig gekündigt. Für die Bundesregierung und für die Deutsche Bundesbahn besteht keine Rechtspflicht zur Übernahme dieser Bahn, die — wie alle nichtbundeseigenen Eisenbahnen — gemäß dem Grundgesetz und dem allgemeinen Eisenbahngesetz ausschließlich der Landesaufsicht untersteht.
Auch für das Land Hessen besteht keine Rechtspflicht, diese Strecke selbst zu übernehmen. Das Land Hessen hat sich in dieser Beziehung schon festgelegt. Es hat inzwischen aber zur Sicherstellung der Personen- und Güterbeförderung zwischen Hetzbach und Beerfelden die erforderlichen Maßnahmen eingeleitet. Der Personenverkehr soll entweder durch Kraftomnibusse der Bundespost oder der Bundesbahn oder eines geeigneten Privatunternehmers abgewickelt werden. Um die anfallenden Güter, vor allem Holz, zu befördern, ist beabsichtigt, die Strecke als Privatgleisanschluß zu betreiben. Als Anschließer kommen die Gemeinde Beerfelden oder der Landkreis Erbach-Michelstadt in Betracht. Die Verhandlungen hierüber sind noch nicht abgeschlossen; aber eine befriedigende Lösung darf erwartet werden.
Damit ist die Frage erledigt.
Meine Damen und Herren! Wir befinden uns nunmehr am Ende der Fragestunde. Entsprechend der üblichen Handhabung werden die nicht mündlich beantworteten Fragen schriftlich beantwortet werden.
— Ich hatte darauf hingewiesen, daß die nicht mündlich beantworteten Fragen entsprechend unserer Übung schriftlich beantwortet werden.
Ich rufe den Punkt 2 der Tagesordnung auf:
a) Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betr. Saarfrage ;
b) Beratung der Großen Anfrage der Fraktionen der CDU/CSU, FDP, GB/BHE, DP betreffend Entwicklung der außenpolitischen Lage .
Meine Damen und Herren! Ich appelliere noch einmal — —
— Es geht nicht um die Lautsprecher. Ich habe mir bereits zu Anfang gestattet, darauf hinzuweisen — einige Damen und Herren waren offenbar noch nicht anwesend —, daß wir heute eine behelfsmäßige Verstärkeranlage in Betrieb haben, weil der Umbau der Lautsprecheranlage noch nicht abgeschlossen ist. Ich bitte also herzlich, darauf Rücksicht zu nehmen, indem Sie einmal möglichst dicht an das Mikrophon herantreten und zweitens die Unterhaltungen im Saal nach Möglichkeit einschränken, damit auch auf den hinteren Bänken, bei denen es besonders schwierig ist, die Ausführungen verstanden werden können.
Zunächst hat zur Begründung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD der Abgeordnete Dr. Mommer das Wort.
Dr. Mommer , Anfragender: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf mir zu Beginn der Begründung der Großen Anfrage meiner Fraktion zur Saarpolitik der Regierung zwei Sätze aus der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers vom 7. April zu eigen machen. Der Herr Bundeskanzler hat da gesagt:
Eine Besatzungsmacht hat nicht das Recht, ihre Besatzungsgewalt zur politischen Zerreißung Deutschlands zu mißbrauchen. Deutschland als Ganzes ist im Jahre 1945 der alliierten Besatzung unterstellt worden, und nur durch einen frei verhandelten Friedensvertrag der Besatzungsmächte mit Deutschland kann über seine Grenzen entschieden werden.
Ich glaube, daß der Herr Bundeskanzler bewußt allgemein formuliert hat. Er hat gesagt: Eine Besatzungsmacht kann ihre Macht nicht mißbrauchen, und er hat gemeint: Keine Besatzungsmacht darf sie mißbrauchen. Er hat gesagt: nicht nur die Frage der Ostgrenze Deutschlands, sondern die Grenzfragen Deutschlands können nur in einem Friedensvertrag ihre Lösung finden.
Der ganze Bundestag hat in diesen Dingen, von den Kommunisten im ersten Bundestag abgesehen, immer nur eine Meinung gehabt. Wir sind uns immer in den Grundsätzen einig gewesen, und das ist sicher eine große Hilfe für die Behandlung dieser Fragen durch die Bundesregierung gewesen.
Wir waren uns auch immer bewußt, daß die Kraft unserer Argumente gegenüber dem Osten davon abhängt, daß wir von den gleichen Grundsätzen bei der Behandlung der Grenzfragen im Westen ausgehen. Nur wenn wir im Osten und im Westen mit gleichem Maß messen, nur dann haben wir die moralische und politische Autorität, die wir brauchen, wenn wir Hoffnung auf günstige Regelung der Grenzfragen auch im Osten bewahren sollen.
Erst in jüngster Zeit hat man den Versuch gemacht, aus den großen Unterschieden, die es in den Methoden der Besatzungsmächte in Ost und West und in dem Grad der Unterdrückung in den betreffenden Teilen Deutschlands im Osten und im Westen gibt, grundsätzliche Unterschiede in der Beurteilung und in der Behandlung der Grenzprobleme in Ost und West zu machen.
Wir müssen aber feststellen, daß mit der Schaffung der Saargrenze nach 1946 und ihrer dreimaligen willkürlichen Änderung durch Besatzungsdekrete im Westen Besatzungsgewalt ebenso zur politischen Zerreißung Deutschlands mißbraucht worden ist, wie sie von der Sowjetunion mißbraucht worden ist mit der Souveränitätserklärung
vom 25. März zugunsten der Deutschen Demokratischen Republik.
Wir müssen auch feststellen, daß hier im Westen wie dort im Osten die Besatzungsgewalt zur Verhinderung freier allgemeiner Wahlen mißbraucht worden ist.
Es ist auch bemerkenswert, daß sich nicht nur Herr Grotewohl, sondern auch sein westliches Gegenstück in Saarbrücken in der Sonne der Souveränität von Gnaden der Besatzungsmacht sonnt.
Als Mustereuropäer, der Herr Hoffmann nun einmal ist, legt er natürlich keinen Wert auf die Bewahrung seiner Souveränität, und man las Anfang dieses Monats in der offiziösen „Saar-Korrespondenz", Herr Hoffmann sei bereit, die nationalstaatlichen Rechte des Saargebiets vorübergehend an den Europarat oder an die Montan-Union abzutreten, bis die Europäische Politische Gemeinschaft gebildet sei.
Meine Damen und Herren! Im vollen Bewußtsein der inneren Verbundenheit und der inneren Einheit der Grenzprobleme Deutschlands im Westen und im Osten hat der Bundestag am 2. Juli 1953 in einer Entschließung Grundsätze für die deutsche Saarpolitik festgelegt. Der Text liegt Ihnen jetzt wieder vor. Da Zweifel aufgekommen sind, ob die Grundsätze von damals noch gelten, haben wir uns erlaubt, Ihnen wortwörtlich dieselbe Entschließung heute wieder vorzulegen. Damals sprachen sich nur die Kommunisten gegen diese Grundsätze aus, und ich glaube, daß dabei mitspielte, daß die Kommunisten sich der Gefahr wohl bewußt waren, die darin liegt, wenn die Bundesrepublik dem Westen gegenüber Grenzfragen mit derselben Elle mißt, wie sie dies im Osten tut.
Die Bundesregierung wird sich durch die Beantwortung unserer ersten Frage dazu äußern müssen, ob sie heute noch zu jenen Grundsätzen steht, und der ganze Bundestag wird es tun müssen durch Zustimmung oder Ablehnung unserer heute wieder eingebrachten Entschließung, die mit der vom 2. Juli 1953 identisch ist. Wir werden dann wissen, ob es weiterhin gilt, daß das Saargebiet nach deutschem und internationalem Recht ein Teil Deutschlands innerhalb der Grenzen vom 31. Dezember 1937 ist. Wir werden dann wissen, ob es weiterhin gilt, daß die Bundesregierung bei Vertragsverhandlungen und Vertragsabschlüssen dahin zu streben hat, daß an der Saar freie demokratische Zustände geschaffen werden, und wir werden erfahren, ob es weiterhin das Ziel bei Verhandlungen und Vertragsabschlüssen ist, der De-facto-Abtrennung ein Ende zu machen und zu erstreben, daß die Zugehörigkeit dieses Gebietsteils zu Deutschland beachtet wird.
Leider müssen wir feststellen, daß die Verhandlungen der Bundesregierung und das, was wir darüber erfahren haben, sowie das Verhalten und die Reden prominenter CDU-Vertreter Anlaß zu der Befürchtung gegeben haben, daß die Grundsätze vom 2. Juli 1953 nicht mehr gelten könnten und die Bundesregierung in bezug auf die Saar den Weg des Verzichts beschritten hätte. Das Faktum, das uns alle — und zu allen gehört auch die CDU selbst - so beunruhigt hat, war vor allem das Kommuniqué, das nach den Besprechungen des Herrn Bundeskanzlers mit dem französischen Außenminister Bidault am 9. März dieses Jahres
in Paris herausgegeben wurde. Dieses Kommuniqué sagt:
In dieser Unterredung kamen beide Parteien
überein, ihre Verhandlungen fortzusetzen und
sich dabei von den Grundlinien des Vorschlages
leiten zu lassen, der den europäischen Status
der Saar definiert und am 6. Februar vom Allgemeinen Ausschuß der Beratenden Versammlung des Europarates angenommen wurde. Dieses Kommuniqué hat in die deutsche Offentlichkeit eine Unruhe getragen, wie wir sie seit langem in außenpolitischen Fragen nicht mehr gekannt haben. Ich sagte schon: zu allen, die beunruhigt sind, gehört auch die CDU. Wie groß die Beunruhigung ist, weiß der Herr Bundeskanzler besser, als wir Sozialdemokraten es wissen. Der französischen Zeitung „Le Monde" konnte man entnehmen, daß der Herr Bundeskanzler selbst es war, der vorgeschlagen hat, diesen Plan zur Grundlage der weiteren Saarverhandlungen zu machen.
Um zu verstehen, weshalb wir alle darüber so beunruhigt sind, muß man die Grundlinien dieses Planes kennen, und ich muß mir die Zeit nehmen, Ihnen hier das vorzutragen, was wir Sozialdemokraten als die Grundlinien jenes Planes betrachten. Wenn der Herr Bundeskanzler anderer Meinung sein sollte und anderes aus diesem Plan herausliest, dann wird er es hier sagen müssen. Schon in der Präambel jenes Entwurfs wird von der internationalen Garantie für die endgültige Lösung des Saarproblems gesprochen. In § 1 dieses Planes in Verbindung mit § 19 wird die endgültige Loslösung des Saargebiets von Deutschland angestrebt. Übrigens wird — und das ist im Zusammenhang mit der Diskussion, die sich entwickelt hat, wichtig — die endgültige Abtrennung, so wie ich den Wortlaut dieser Paragraphen verstehe, unabhängig vom Zustandekommen der EVG und unabhängig vom Zustandekommen der Politischen Gemeinschaft angestrebt. Es ist richtig, daß der Vorbehalt .,Friedensvertrag" gemacht wird. Die Lösung soll im Friedensvertrag theoretisch erneut zur Diskussion stehen. Inzwischen ist es allgemeine Überzeugung geworden, daß keine der deutschen Teilregierungen eine kommende gesamtdeutsche Regierung verpflichten kann. Aber in diesem listenreichen Plan hat man das Mittel gefunden, wie man über diese juristische Schwierigkeit politisch hinwegkommt, und in Art. 19 wird deshalb eine internationale Verpflichtung der Westmächte für die Beibehaltung der Lostrennung der Saar unter dem Namen „Europäisierung" bei den Friedensverhandlungen und im Friedensvertrag vorgesehen. Die Westmächte sollen sich in einem Vertrag, der jetzt, vor dem Friedensvertrag, geschlossen werden soll, verpflichten, sich bei Friedensverhandlungen für die Weiterführung der Lostrennung von Deutschland einzusetzen.
und die Bundesregierung soll dieser Garantieverpflichtung und dieser Verpflichtung zum Eintreten für die dauernde Lostrennung der Saar von Deutschland beistimmen.
Sie soll politisch so gebunden werden, wie es nur irgend möglich ist. Wenn man das durchdenkt, dann muß jeder zugeben, daß die Konsequenz eines Vertrages mit solchem Inhalt die wäre, daß der Vorbehalt des Friedensvertrages zur inhaltlosen Floskel würde. Tatsächlich würde hier der Friedensvertrag vorweggenommen,
und nur eine leere juristische Hülle bliebe für den Friedensvertrag übrig.
Es kommt hinzu, daß nach einer weiteren Bestimmung dieses Projektes die Saarbevölkerung durch einen Volksentscheid mit der Suggestivfrage, ob sie die Europäisierung wolle, ja oder nein, diesem Plan zustimmen soll. Durch diesen Volksentscheid würde natürlich, wenn er stattfände, die Abtrennung so definitiv wie nur möglich gemacht. Ein Volksentscheid übrigens tritt nicht nur in diesem Plan, sondern, wie wir doch aus der Geschichte wissen, in allen Polizeistaaten und in allen Diktaturcri sehr gern an die Stelle von freien Wahlen.
Freie Wahlen sind nicht vorgesehen in diesem Plan, wohl aber ein Plebiszit mit einer suggestiven Ja-Nein-Frage. Dieses Plebiszit würde außerdem die Funktion haben, der Saarbevölkerung eine Verantwortung für die Separierung aufzubürden, die vorher die Bundesregierung durch Unterzeichnung eines solchen Vertrages zu tragen hätte. Auch muß man darüber nachdenken, ob man das tun kann, durch Zustimmung zu einem solchen Plebiszit das Recht auf Separation auf Betreiben einer Besatzungsmacht zu begründen. Das kann in der Zukunft böse Konsequenzen haben.
Gegen diese Versuche des Planes, jetzt schon die westliche Grenzfrage an der Saar definitiv zu lösen, stehen die Bestimmungen des Art. 7 des Generalvertrags. Dagegen steht auch der zweite Satz der Regierungserklärung vom 7. April, den ich zu Beginn meiner Ausführungen verlesen habe. Wir waren uns bisher alle darin einig und einig mit den westlichen Besatzungsmächten, daß Grenzfragen eben nur im Friedensvertrag, nicht aber separat gelöst werden können.
Im Zusammenhang mit dem vorgesehenen Plebiszit muß man die Frage der Freiheit sehen, und da scheint mir eine andere Grundlinie dieses Projekts zu liegen. Mit juristischen Spitzfindigkeiten wird es abgelehnt, unbedingte und sofortige Freiheit an der Saar einzuführen.
Die Freiheit unbedingt und ohne Bezug auf einen endgültigen Abtrennungsvertrag erscheint den Inspiratoren dieses Planes viel zu gefährlich: wenn schon Freiheit, dann erst, nachdem eine deutsche Bundesregierung ihre Unterschrift unter einen Vertrag gesetzt hat, der den Verzicht auf das Saargebiet beinhaltet. Dann glauben die Inspiratoren des Planes, daß man sich für eine kurze Zeit, eine möglichst kurze Zeit bis zur Abhaltung des Suggestivplebiszits demokratische Freiheiten erlauben könnte, und aus den Beratungen wissen wir, daß man sich jetzt schon Gedanken darüber macht, wie man die Freiheiten dann nach dem Plebiszit schnell wieder beseitigen könnte.
Es scheint uns auch von Bedeutung zu sein, daß durch diesen Plan Herr Johannes Hoffmann zum Verhandlungspartner des Herrn Bundeskanzlers und Außenministers wird. Bisher hat die Bundesregierung immer in Übereinstimmung mit dem ganzen Bundestag erklärt, daß sie die Saarregierung nicht anerkenne, nicht als einen möglichen Verhandlungspartner ansehe, weil sie nicht auf der Grundlage freier Wahlen gebildet worden sei. Auch zu dieser Frage, unserer Frage Nr. 5, ob es dabei bleiben soll, daß der Herr Johannes Hoffmann demokratisch ebensowenig hoffähig ist wie der
Herr Grotewohl, auch zu dieser Frage wird sich der Herr Bundeskanzler heute äußern müssen.
Nur auf einem Gebiet enthält jener Plan Konzessionen an Deutschland: auf wirtschaftlichem Gebiet. Allerdings hat man viele Wenn und Aber eingebaut und sich eine Reihe von Hintertüren offengelassen. Wir wissen ja auch, daß das Protokoll, das Herr Bidault am 8. März dem Herrn Bundeskanzler überreichen ließ, gerade gegen diese Konzessionen Sturm läuft und daß der Versuch gemacht wird, es auch auf wirtschaftlichem Gebiet beim alten, d. h. bei der französischen Alleinherrschaft, zu belassen.
In der Gesamtwertung über diesen Plan muß man sagen, er versucht, die Grundforderung, die wir immer gehabt haben, die Grundforderung nach demokratischer Freiheit an der Saar, einfach zu überspielen, und dieser Plan bedeutet die definitive Abtrennung des Saargebietes von Deutschland. Er bedeutet für das Saargebiet das, was die Souveränitätserklärung der Sowjetunion vom 25. März für die sogenannte DDR bedeutet, von der der Herr Bundeskanzler sagte, daß sie nicht nur die schon bestehende Spaltung Deutschlands vertiefe, sondern offenkundig auch darauf abziele, aus einem nur tatsächlichen und vorläufigen einen völkerrechtlich und politisch endgültigen Zustand zu machen. Das kann wortwörtlich auf jenen Plan übertragen werden, den der Herr Bundeskanzler selbst als Grundlage von Saarverhandlungen vorgeschlagen hat. Die „Freie Demokratische Korrespondenz" kommentierte diese Politik vor wenigen Tagen mit folgenden Sätzen:
Das schwergeprüfte Nachkriegsdeutschland wird von Ost und West bestürmt, sich den Frieden und Platz unter den Völkern mit Ewigkeitsverzichten auf unverzichtbare nationale Rechte zu erkaufen. An der Oder und Neiße nennt man es Friedensgrenze, an der Saar heißt es Europäiserung.
Meine Damen und Herren, das ist eine klare Sprache von seiten unserer freien demokratischen Kollegen, die um so verdienstvoller ist, als sie in Anwesenheit des Herrn Bundeskanzlers geschrieben wurde. Es wird aber jetzt darauf ankommen, meine Damen und Herren Kollegen von der freien demokratischen Fraktion, daß sie auf dem nationalen und auf dem internationalen Parkett auch entsprechend stimmen und entsprechend handeln.
Es ist im Rahmen dieser Begründung nicht meine Aufgabe, die Politik zu analysieren, die die Bundesregierung in diese Versuchung geführt hat, mit dem Verzicht auf die deutsche Saar einen untauglichen Rettungsversuch für die todkranke EVG zu unternehmen.
Ich darf aber, bevor ich schließe, die Erinnerung an eine große und im echtesten Sinne pathetische Stunde des 1. Deutschen Bundestags wachrufen. Am 13. Juni 1950 protestierte Alterspräsident Löbe im Namen aller demokratischen Fraktionen und mit Zustimmung der Bundesregierung und des Bundesrates gegen die Vereinbarung der Pankower Regierung von Warschau über die sogenannte Friedensgrenze an der Oder und Neiße.
Im Laufe der Erklärung, die oft von minutenlangem und pathetischem Beifall unterbrochen wurde, sagte Präsident Löbe:
Niemand hat das Recht, aus eigener Machtvollkommenheit Land und Leute preiszugeben oder eine Politik des Verzichts zu treiben.
Wir haben nur den einen Wunsch, daß die heutige Aussprache dazu führen möge, daß wir auch dem westlichen Drängen dieses juristische und politische „Non possumus" entgegensetzen: „Niemand hat das Recht, aus eigener Machtvollkommenheit Land und Leute preiszugeben oder eine Politik des Verzichts zu betreiben."
Zur Begründung der Großen Anfrage der Fraktionen der CDU/CSU, FDP, GB/BHE, DP betreffend Entwicklung der außenpolitischen Lage hat das Wort Herr Abgeordneter Dr. Kopf.
Dr. Kopf , Anfragender: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den letzten Monaten und Wochen haben sich auf dem Gebiete der Außenpolitik Entwicklungen angebahnt, die unsere ernste Aufmerksamkeit erfordern. Die Wiedervereinigung Deutschlands, die Eingliederung der Bundesrepublik in den Kreis der freien Nationen des Westens, die Herstellung und die Pflege eines guten Einvernehmens mit Frankreich waren und sind Ziele der deutschen Außenpolitik. Die Berliner Konferenz hat das deutsche Volk seinem von diesem Hohen Hause immer bekannten Ziele der Wiedervereinigung nicht näher gebracht. Die Erklärung Rußlands, daß die Deutsche Demokratische Republik in Zukunft wie ein souveräner Staat behandelt werden solle — eine Erklärung zu der die Regierung der Bundesrepublik als die einzig demokratisch konstituierte Regierung Stellung genommen hat —, kann nicht dazu dienen, uns dem Ziel der Wiedervereinigung näher zu bringen.
Den Gegenstand der Genfer Konferenz bilden fernöstliche Fragen; aber diese Konferenz wirft ihre Schatten voraus auch auf Europa. In einem fernen Lande kämpft inzwischen Frankreich einen schweren und opfervollen Kampf, der zugleich eine Auseinandersetzung darstellt zwischen Mächten, deren verschiedene politische Grundhaltung die Welt in zwei Lager spaltet.
Durch die Ratifizierung des Vertrags über die Euronäische Verteidigungsgemeinschaft hat sich die Bundesrepublik freiwillig in den Kreis der freien Nationen eingeordnet und sich bereit erklärt, ihren Beitrag zur Sicherheit des Westens zu leisten. Außer der Bundesrepublik haben drei weitere Länder die parlamentarische Behandlung des EVG-Vertrags abgeschlossen. Noch steht die Behandlung dieses Vertrags in Italien und in Frankreich bevor. Von den drei Vorbedingungen der französischen Regierung für die Ratifikation des Vertrages sind zwei, die Garantieerklärungen der USA und Großbritanniens, erfüllt. Die Verhandlungen über die dritte Vorbedingung, die Saarfrage, sind aufgenommen worden. Sie sollen in Bälde weitergeführt werden. So sehr dieses Hohe Haus mit dem Schicksal des Volkes und des Landes an der Saar sich auf das engste verbunden weiß, so kann doch auch die Saarfrage nicht nur als isoliertes Problem, sondern sie muß zu-
gleich auch im europäischen Rahmen gesehen und gelöst werden. Der Naters-Plan knüpft den künftigen vorläufigen Status der Saar an das Zustandekommen der europäischen politischen Gemeinschaft an. Seit der Übergabe des Verfassungsentwurfs der Ad-hoc-Versammlung an die sechs Außenminister ist über ein Jahr verstrichen. Wir wissen nicht — und wir bedauern, es nicht zu wissen —, ob und inwieweit es in dieser Zeit den Bemühungen der Regierungsexperten, deren Arbeit sich den Augen der Öffentlichkeit entzog, gelungen ist, das mit so großer Zuversicht und mit so viel Elan begonnene Werk der Parlamentarier zu fördern und seiner Verwirklichung näherzubringen.
Zutiefst überzeugt von der Notwendigkeit der europäischen Einigung würden wir es schmerzlich bedauern, wenn außerhalb der Einflußsphäre der Bundesrepublik Umstände eintreten sollten, die eine Verzögerung auf dem von uns als richtig erkannten Wege zur Folge haben sollten. Die Zusammenschau all dieser Momente, welche die Außenpolitik der letzten Zeit als bewegende, als fördernde und als retardierende Kräfte bestimmt haben, die Beurteilung der sich anbahnenden Entwicklungen in der ganzen Welt und ihrer Rückwirkungen auf Europa und auf Deutschland ist ein Gebot der Stunde.
In diesem Sinne haben die Fraktionen der Koalitionsparteien die Anfrage an die Bundesregierung gerichtet, ob sie angesichts der wichtigen außenpolitischen Ereignisse der letzten Zeit bereit ist, dem Bundestag ihre Auffassung zur außenpolitischen Gesamtlage darzulegen.
Meine Damen und Herren: Sie haben die Begründung der beiden Großen Anfragen gehört.
Zur Geschäftsordnung wünscht das Wort Herr Abgeordneter Dr. von Brentano.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte und schlage vor, die Punkte 2 und 3 der Tagesordnung, zumindest soweit sie die Antwort der Regierung angehen, zu verbinden. Ich glaube, diese Dinge stehen in unmittelbarem Zusammenhang. Ich würde es begrüßen, wenn die Regierung Gelegenheit hätte, die Punkte 2 und 3 zusammenhängend zu beantworten.
Das schließt nicht aus, meine Damen und Herren, daß wir in der Aussprache, wenn wir das für richtig halten, die Dinge wieder getrennt diskutieren.
Herr Abgeordneter Dr. Menzel zur Geschäftsordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion widerspricht diesem Antrag. Der Altestenrat hat sich gestern sehr eingehend mit der Frage der Behandlung der vier großen Anfragen befaßt und ist dann einhellig zu der Auffassung gekommen, daß schon von der Sache her eine säuberliche Trennung der außen- und der wirtschaftspolitischen Probleme in der Diskussion erforderlich ist.
Die Verbindung ist im übrigen auch nach § 28 der Geschäftsordnung unzulässig. § 28 der Geschäftsordnung sagt:
Die gemeinsame Beratung gleichartiger oder verwandter Gegenstände kann jederzeit beschlossen werden.
Ich bitte Sie, sich einmal der Mühe zu unterziehen, die drei Anträge, die heute zu den Punkten 2 und 3 der Tagesordnung vorliegen, etwas sorgfältiger zu lesen. Sie werden bei der Großen Anfrage der SPD zur Montan-Union kein Wort finden, das mit der Außenpolitik der Bundesregierung zu tun hat. So wird in der Großen Anfrage der SPD über die Politik der Montan-Union z. B. um eine Stellungnahme zur Lage auf dem Gebiete des deutschen Kohlenbergbaus gebeten. Weiter wird nach den Auswirkungen der Montan-Union für die Eisen-und Stahlindustrie gefragt. Was hat das, meine Damen und Herren, mit den Saarproblemen, was hat das — auch nach der Begründung des Herrn Kollegen Kopf — mit der außenpolitischen Aussprache der CDU zu tun?
Es wird in unserer Großen Anfrage weiter gefragt, ob die Entwicklung der wirtschaftlichen Situation in Deutschland den Erwartungen der Bundesregierung entspricht. Es wird nach den Möglichkeiten der Beseitigung der Startnachteile gefragt. Wenn Sie das als Außenpolitik ansehen, können Sie künftig z. B. auch Verordnungen über Ein- und Ausfuhr oder über Zollsätze als ein Stück der Außenpolitik betrachten und die Aussprache darüber im Rahmen einer 'außenpolitischen Debatte unterbringen.
Ich bitte Sie, Ihre eigene Anfrage zu studieren. Sie wollen heute lediglich — und mit Recht auf diesen Stoff begrenzt — die Auffassung der Regierung zur außenpolitischen Gesamtlage hören. Bei der Anfrage hinsichtlich der Montan-Union handelt es sich doch um innerpolitische und um wirtschaftspolitische Fragen, die in das Ressort des
Herrn Wirtschaftsministers gehören. Deshalb wünschen wir auch, daß sie der Herr Wirtschaftsminister beantwortet.
Und bei unserer Großen Anfrage zur Saar geht es um internationale Rechtsfragen, nicht um Kohle, Eisen und Stahl; da wird mit Recht nach der Wahrung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Saargebiet gefragt. Was hat das mit den Startnachteilen der deutschen Montan-Industrie zu tun, denen wir gegenüberstehen? Da wird nach dem Inhalt der Gespräche gefragt, die der Bundeskanzler in Paris über die Saar geführt hat. Hier wird mit keinem Wort nach irgendwelchen wirtschaftspolitischen Auswirkungen gefragt. Wir möchten weiter wissen, ob die Bundesregierung der Meinung ist, daß eine Volksabstimmung an der Saar zulässig wäre und ob Sie sie wünschen. Was hat das mit der Situation von Eisen, Stahl und Kohle im Ruhrgebiet zu tun?
Nach der Geschäftsordnung ist die beantragte Verbindung unzulässig, wenn Sie nicht aus bestimmten Gründen der Geschäftsordnung des Bundestages Gewalt antun wollen. Es entsteht daher in der Tat die Frage, warum diese Verbindung beantragt wird. Will man denn durch solche Methoden einer gründlichen Erörterung der so brennenden Probleme vielleicht aus dem Wege gehen?
Herr Abgeordneter Dr. von Brentano zur Geschäftsordnung.
Meine Damen und Herren, ich glaube, es kommt hier wirklich nicht auf diese Interpretation der Geschäftsordnung an. Es ist eine reine Frage der Zweckmäßigkeit.
Wie Sie, meine Herren , später diskutieren wollen, bleibt Ihnen überlassen. Sie können ja ohnehin die Regierung nicht daran hindern, da sie jederzeit die Möglichkeit und das Recht hat, das Wort zu ergreifen und zu jedem Thema zu sprechen, nun auch schon zu diesen Fragen Stellung zu nehmen. Tun Sie doch der Sache keine Gewalt an!
Herr Abgeordneter Schröter, jedenfalls nicht im Hause! Das unterstellen wir doch alle.
Wenn ich mich recht erinnere, haben wir den Herrn Kollegen Menzel wirklich aussprechen lassen. Wollen wir die gute Übung nicht fortsetzen? Meine Damen und Herren, es handelt sich doch — das ist nicht zu bestreiten — um einen inneren Zusammenhang. Alle diese Fragen hängen mit der europäischen Politik, mit der Integrationspolitik der deutschen Bundesregierung zusammen.
Ich halte es einfach für eine Frage der Zweckmäßigkeit, daß die Bundesregierung geschlossen auf diese
Fragen antwortet. Ich wiederhole: Wenn Sie dann
im einzelnen diskutieren wollen, wir wollen es auch.
Meine Damen und Herren, ich darf zunächst eine kleine Korrektur an der Darstellung des Herrn Kollegen Menzel über die Beratungen des Ältestenrates anbringen.
Es hat im Ältestenrat Einmütigkeit darüber bestanden, daß diese Punkte in getrennten Ziffern der Tagesordnung untergebracht werden sollen.
— Gern! — Über die Frage, ob gemeinsam diskutiert werden sollte, bestand im Ältestenrat keine Einmütigkeit.
— Herr Abgeordneter Menzel, es steht mir nicht zu, den Sinn von Entscheidungen des Ältestenrates, die gar nicht gefällt worden sind, zu erläutern.
Es wird der Antrag gestellt, der nach § 28 möglich ist,
getrennte Punkte der Tagesordnung gleichartigen oder verwandten Charakters zu verbinden.
Die Meinungsverschiedenheit im Hause besteht
darüber, ob es sich um verwandte Gegenstände
handelt oder nicht. Da ich nicht imstande bin,
diese Frage von mir aus zu entscheiden, und da
der Ältestenrat zu keiner Einmütigkeit darüber gekommen ist, bleibt offenbar nichts anderes übrig, als das Parlament selbst darüber entscheiden zu lassen. Im übrigen, meine Damen und Herren. besteht der Unterschied nach meiner Überzeugung nur darin, ob die Begründung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD, Punkt 3 a der Tagesordnung, vor oder nach der Antwort des Herrn Bundeskanzlers erfolgt.
Das ist faktisch der einzige Unterschied.
Ich kann also nicht anders, als den Antrag, den der Abgeordnete Dr. von Brentano gestellt hat, gemäß § 28 der Geschäftsordnung die Punkte 2 und 3 der Tagesordnung zu verbinden, zur Abstimmung zu stellen. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrage zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; die Verbindung dieser Punkte ist beschlossen.
Ich habe dann zu fragen: Wünscht die Fraktion der SPD ihre Große Anfrage — Punkt 3 a - und ihren Antrag — Punkt 3 b — jetzt zu begründen? Wer wünscht, sie zu begründen? - Bitte schön, Herr Abgeordneter Dr. Deist.
Dr. Deist , Anfragender: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben in der Großen Anfrage ganz bestimmte wirtschaftspolitische Fragen gestellt. Da wir den Wunsch haben, wie das eben zum Ausdruck gekommen ist, daß darauf auch klare, wirtschaftspolitisch betonte Antworten gegeben werden, darf ich mich darauf beschränken, die Fragen unter rein wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten zu erläutern und gewisse allgemeine Gedanken dazu zu äußern, die unseres Erachtens für die Beantwortung der Anfrage von Bedeutung sind.
Die Meinungsbildung über die wirtschaftlichen Auswirkungen und über die wirtschaftspolitische Bedeutung der Montan-Union hat sich im Laufe der letzten Monate und Jahre in Deutschland wesentlich gewandelt. Es hat sich nämlich herausgestellt, daß das Problem der Montan-Union Fragen wirtschaftlicher Art und wirtschaftspolitischer Bedeutung aufwirft, die bei der Beschlußfassung über die Montan-Union als einem politischen Bekenntnis zweifellos nicht mit der genügenden Ernsthaftigkeit beurteilt worden sind.
Zum Beweise dessen darf ich auf einige wichtige Äußerungen der letzten Zeit hinweisen. Einer der maßgeblichen Männer der deutschen Eisen- und Stahlindustrie, Herr M o m m s e n von den Klöckner-Werken, hat am 7. Januar 1954 in Essen in einer Rede, in der er den Herrn Bundeswirtschaftsminister persönlich ansprach, folgendes gesagt:
Es muß hier auch einmal ausgesprochen werden, daß wir inzwischen genügend Opfer gebracht haben.
Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Herr Berg, hat verhältnismäßig hörbar die Tür des Beratenden Ausschusses der Montan-Union hinter sich zugeworfen, so daß der Vizepräsident der Montan-Union, Herr Etzel, nach Deutschland zitiert werden mußte, um die Wogen etwas zu glätten. Ich darf schließlich auf eine dritte Äußerung, die Äußerung eines nicht unmaßgeblichen Herrn der deutschen Wirtschaft, hin-
weisen. Es war Herr Präsident Abs , der als Aufsichtsratsvorsitzender des Dortmund-Hörder Hüttenvereins folgendes sagte, nachdem er die Entwicklung in der deutschen Eisen- und Stahlindustrie und im deutschen Kohlenbergbau untersucht hatte:
Man könnte auf den Gedanken kommen, daß die Idee der Montan-Union nicht von den Montan-Unions-Ländern, sondern von ihren Konkurrenten gekommen ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, warum bringe ich diese Zitate? Ich bringe sie nicht, weil wir das Bedürfnis hätten, nachzuweisen, daß die Sozialdemokratie mit ihren Argumenten recht behalten hätte; denn die wirtschaftlichen Tatsachen an Rhein und Ruhr und diese prominenten Zeugen reden eine so deutliche Sprache, daß wir eine Erörterung darüber nicht mehr notwendig haben. Aber wenn wir das Problem der wirtschaftspolitischen Integration über die Montan-Union hier behandeln, so tun wir das aus einer echten Sorge heraus. Wir tun es aus der Sorge heraus, daß der Gedanke der europäischen Verständigung und der Gedanke der europäischen wirtschaftlichen Zusammenarbeit, die ja nicht nur auf dem Wege über die Montan-Union vor sich geht, Not leiden müssen. ,Denn wenn es nur dazu kommt, daß aus dieser Montan-Union letzten Endes lediglich ein Montankartell der Art wird, wie wir es vor dem zweiten Weltkrieg in der Internationalen Rohstahlgemeinschaft gehabt haben, wenn sie sich darauf beschränkte, die Verkaufsgebiete abzugrenzen, die Preise je nach der Konjunkturlage herauf- oder herunterzusetzen, Quoten festzusetzen, dann wäre das ein Rückschritt, der der Idee der europäischen Verständigung und der europäischen wirtschaftlichen Zusammenarbeit nicht nützlich wäre.
Zur Begründung der Anfrage darf ich auf einige wichtige Tatsachen hinweisen, ohne zunächst Konsequenzen aus ihnen zu ziehen. Meine Damen und Herren, die Rohstahlproduktion hat sich vom Jahre 1952 zum Jahre 1953 wie folgt verändert. In Großbritannien ist sie von 16,7 Millionen auf 19,7 Millionen t gestiegen.
Im Ostblock ist sie von 47,2 Millionen auf 53,8 Millionen t gestiegen.
In der Montan-Union ist sie von 41,8 Millionen auf 39,7 Millionen t gesunken,
und in Deutschland ist sie entsprechend von 15,8 Millionen auf 15,4 Millionen t gesunken.
Meine Damen und Herren, ich bin noch gar nicht bei den Konsequenzen, sondern nur bei der Feststellung realer, unbestreitbarer Tatsachen. Diese Diskrepanz der Entwicklung zwischen England und Deutschland hat sich in den Monaten Januar bis März 1954 fortgesetzt. In Großbritannien ist die Rohstahlerzeugung in den ersten drei Monaten 1954 gegenüber den ersten drei Monaten
1953 um 400 000 t gestiegen, während sie in Deutschland in der gleichen Zeit um 150 000 t gesunken ist.
Das rührt an eines der wichtigsten Probleme der Montan-Union. Es hängt nämlich mit folgendem merkwürdigen Tatbestand zusammen. Genau so wie in England stellen wir auch in Deutschland eine steigende Produktion der Eisenverarbeitung fest. Infolgedessen müßte Deutschland auch einen steigenden Eisenverbrauch und eine steigende Eisen- und Stahlerzeugung haben. Frankreich hat demgegenüber eine rückläufige Konjunktur und daher eine rückläufige Eisen- und Stahlverarbeitung, darum hat es auch einen rückläufigen Eisenverbrauch.
Es liegt nun im Wesen der Montan-Union, daß sich solche konjunkturellen Schwächen in der Wirtschaft eines Landes über die Eisen- und Stahlerzeugung und über den Kohlenbergbau in allen beteiligten Ländern auswirken und dort depressive Erscheinungen hervorrufen. Das ist ein Problem, mit dem wir uns zu befassen haben, wenn wir nicht an ihm vorbeigehen wollen, ein Problem, das die Montan-Union aufwirft.
In der Steinkohle wirkt sich die schwankende Konjunktur im Hinblick darauf, daß sich die Förderung der steigenden oder sinkenden Nachfrage nur schwer anpassen kann, in stärkerem Umfang in der Beständeentwicklung aus. Gerade im Hinblick auf Anwürfe, die in der Presse erschienen sind und die besagten, ich hätte mir die Zahlen wohl nicht genau angesehen, möchte ich diese Zahlen, weil ich sie sehr genau kenne und auch kannte, hier wiedergeben. Wir haben an der Ruhr 3,8 Millionen t Koks und 1,2 Millionen t Kohle auf Halde liegen. Wenn ich den Koks auf Kohle umrechne, sind das etwa 6 Millionen t Kohle. Das ist eine Förderung von 2 bis 2 1/2 Wochen und bedeutet schon ein erhebliches Anwachsen der Bestände an der Ruhr, die letzten Endes, jedenfalls zu einem Teil, auf die Schwäche der Eisen-und Stahlkonjunktur in Deutschland zurückzuführen sind.
Aber damit hängt noch ein anderes wirtschaftspolitisches Problem zusammen. Bei den Koksbeständen handelt es sich nicht nur um solche, die für die Eisen- und Stahlerzeugung in Frage kommen, sondern auch um für andere Zwecke vorgesehene Koksbestände. Damit erhebt sich das Problem konkurrierender Energiequellen, sei es Öl, seien es Gas oder Elektrizität. Auch dieses Problem müssen wir im Gesamtrahmen der Montan-Union sehen.
Die Folgen für den Eisenerzbergbau haben wir aus Anlaß der Etatberatung besprochen; ich brauche hier darauf nicht zurückzukommen. Ich möchte nur ergänzend bemerken: die Eisenerzerzeugung ist in der gesamten Montan-Union in den Jahren 1952/53 um 5 bis 6 % zurückgegangen. Dieser Rückgang trifft ausschließlich den deutschen und den luxemburgischen Eisenerzbergbau, während die Förderung des französischen Eisenerzbergbaus weiterhin gestiegen ist.
Ich erwähne dies zunächst nur als Tatbestand, den jeder, der die Probleme der Montan-Union zu behandeln wünscht, zunächst zur Kenntnis zu nehmen hat.
Ich komme dann zu einem zweiten Fragenkreis, der die Frage der Startgleichheit umfaßt. Sie werden sich entsinnen, daß die sozialdemokratische Fraktion bei der Beratung des Montan-Vertrags im Jahre 1952 beantragt hatte, die Annahme dieses Vertrags mit bestimmten Vorbehalten zu versehen und diese den Vertragspartnern mitzuteilen. Die wesentlichen Punkte dieser Vorbehalte waren, die Bundesregierung sollte ein Investitionsprogramm aufstellen, um den Investitionsrückstand in der Eisen- und Stahlindustrie und im Kohlenbergbau zu beseitigen. Ferner sollte die Bundesregierung eine Neuordnung zur Beseitigung der Nachteile aus Gesetz Nr. 27 auf gesetzlichem Wege vornehmen. Die Mehrheit des Hauses hat damals geglaubt, diesen Antrag ablehnen zu müssen. Es wurde nur eine Resolution angenommen, in der das Verlangen nach einer Revision der Neuordnung fehlt. Aber immerhin waren zwei Gesichtspunkte in dieser Entschließung, die vom Bundestag angenommen wurde, von Bedeutung. Das erste Ersuchen verlangte, dafür Sorge zu tragen, daß im Rahmen des Vertrags eine brauchbare Kohlenverkaufsorganisation aufrechterhalten würde; und das zweite Ersuchen ging dahin, die Bundesregierung möge dafür sorgen, daß die notwendigen Investitionen gesichert würden. Die Mehrheit des Hauses hat damals geglaubt, mit einer solchen Resolution und solchen Wünschen könne man, wie es in der Einleitung der Entschließung hieß, „volle Gleichberechtigung und beste Wettbewerbsmethoden" herbeiführen.
Die Frage der Startgleichheit ist dann sofort bei Eröffnung des Gemeinsamen Marktes für Eisen und Stahl — ich glaube, es war im Mai des vergangenen Jahres — an dem sogenannten Steuerstreit entstanden. Es tut mir leid, dieses Problem hier anrühren zu müssen, weil ich den Eindruck habe, daß sich in gewissem Umfang eine Verschwörung des Schweigens um dieses Problem gebildet hat.
— Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie werden mir ja gestatten, daß ich meine eigene Auffassung über bestimmte Probleme habe; erst das erleichtert ja die Diskussion und macht sie fruchtbar.
Worum ging es denn bei dieser Frage des Steuerstreits? Es ging doch darum, daß der Montan-
Union-Vertrag davon ausgeht: alle Beschränkungen beim Übergang von Eisen, Stahl und Kohle von einem Land in ein anderes Land der Montan-Union werden beseitigt. Infolgedessen fallen Zölle und Kontingente weg, und infolgedessen dürfen keine gebrochenen Frachtentarife mehr angewandt werden. Alles muß frei über die Grenze gehen; es darf keine Beschränkungen mehr geben.
Aber eine Beschränkung blieb: wenn französischer Stahl z. B. nach Deutschland kommt, tritt durch die Rückerstattung der Produktionssteuer eine Ermäßigung um 16,5 % ein; in Deutschland wird dieser Stahl mit — ich glaube 4% — Umsatzsteuer belastet. Umgekehrt erhalten deutsche Erzeugnisse, wenn sie nach Frankreich gehen, in Deutschland zwar eine Umsatzsteuerrückerstattung von 4 bis 6%, werden aber drüben sofort mit 16 bis 17% Produktionssteuer belastet. Wir waren uns in diesem Hause alle darüber einig, daß eine solche Praxis dem Gedanken des Gemeinsamen
Marktes nicht entspricht und eine Diskriminierung der deutschen Industrie darstellt. Deshalb wurde auch seinerzeit ein Gesetz angenommen, durch das die Bundesregierung ermächtigt wurde, die Umsatzausgleichsteuer auf Einfuhren von Halbfabrikaten und Fertigstoffen — also auch auf französischen Stahl — mit 12 % zu erheben, um einen gewissen Ausgleich herbeizuführen. Damals ist es nicht zur Anwendung dieser Bestimmung gekommen, weil die Bundesregierung darauf vertraute, daß man in Verhandlungen mit den übrigen Ländern zu einer Lösung dieses Problems kommen würde. Die Lösung sollte zunächst bis Ende 1953 erfolgen. Wenn ich nicht irre, hat man sich inzwischen geeinigt, daß sie zum Juni 1954 erfolgt sein sollte.
Unsere Frage an die Bundesregierung geht dahin: Was ist im Hinblick auf den Steuerstreit in der Zwischenzeit geschehen? Ist die Bundesregierung bereit, diese gesetzliche Maßnahme anzuwenden, oder hat sie weiterhin die Hoffnung, daß es zur Beseitigung dieser Diskriminierung kommt? Irgendeine Maßnahme müßte doch wohl von der Bundesregierung ergriffen werden.
Ich komme zu dem zweiten Problem, das ich angeschnitten habe, zu dem Problem der Investitionen. Die Entschließung der Sozialdemokratie wie auch die Entschließung der Koalitionsparteien hat auf dieses Problem ganz besondes hingewiesen. Ich glaube, nicht falsch unterrichtet zu sein, wenn ich erkläre, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister auf das Problem ungenügender Investitionen in der deutschen Grundstoffindustrie später noch von den verschiedensten Seiten, wenn ich mich nicht sehr irre, auch aus den Kreisen des Wirtschaftspolitischen Ausschusses des Bundestages angesprochen worden ist. Ich beschränke mich jetzt wieder auf Feststellungen. In den beiden Jahren 1952 und 1953 haben die Investitionen folgende Entwicklung genommen. Ich beziehe mich hierbei auf die Aufstellung der Hohen Behörde, die diese auf Grund der Meldungen der einzelnen Länder offiziell herausgegeben hat. Die Angaben stimmen mit den Aufstellungen und Meldungen, die man in Deutschland findet, im wesentlichen überein. In Deutschland sind im Laufe der letzten zwei Jahre je Tonne Jahres-Stahlerzeugung etwa 41 DM investiert worden; in Frankreich beträgt die Investition 57 DM. Dabei muß man berücksichtigen, daß die größte Investitionswelle in Frankreich bereits vor dem Jahre 1952 gelegen hat, im Rahmen der Monnet-Pläne und der Modernisierung der französischen Grundstoffindustrie. Es kommt ein zweites hinzu: die öffentliche Stützung der Investitionen durch zentral gesteuerte Mittel oder durch öffentliche Mittel betrug in Deutschland einschließlich der Investitionshilfe etwa 25 %, während in Frankreich öffentliche Kredite in Höhe von nahezu 50 % des Investitionsaufwandes zur Verfügung gestellt wurden.
— Es kommt hier zunächst auf die Feststellung einer Tatsache an. Es ist keineswegs gesagt, daß in Deutschland bei entsprechender Wirtschaftspolitik entsprechende Investitionen in der Eisen- und Stahlindustrie und im Kohlenbergbau zu inflationistischen Folgen hätten führen müssen. Es kommt entscheidend darauf an, die übrige Wirtschaftspolitik so zu führen, daß daraus keine inflationistischen Folgen entstehen.
Im übrigen darf ich darauf hinweisen, Herr Dr. Hellwig, daß ich mich bei meinen Auffassungen durchaus in Übereinstimmung mit einem großen Teil Ihrer Kollegen aus der Eisen- und Stahlindustrie und insbesondere aus dem Kohlenbergbau — vergleiche die „Carbona"-Nachrichten — befinde.
— Ich hatte die Gesellschaft aus Ihren Reihen gewählt.
Die Investitionen in der Steinkohle betrugen im Durchschnitt der letzten zwei Jahre in Deutschland 6 DM je Tonne; in Frankreich betrugen sie 17 DM je Tonne Jahresförderung.
Ich darf wiederum darauf hinweisen, daß in Deutschland an öffentlich gesteuerten Mitteln 20 %, dagegen in Frankreich öffentliche Mittel in Höhe von 50 % zur Verfügung gestellt wurden. Meine Frage geht dahin, ob damit einerseits dem Willen des Bundestages, ausreichend Investitionen sicherzustellen, Rechnung getragen ist und ob damit alles Erforderliche getan worden ist, um die Startnachteile gegenüber den Industrien der anderen beteiligten Länder zu beseitigen.
Hinsichtlich der Startnachteile komme ich nunmehr zu einem dritten Punkt. Wir sind uns, glaube ich, alle darüber einig, daß die Neuordnung der Eisen- und Stahlindustrie auf Grund des Gesetzes Nr. 27 zu Organisationsformen geführt hat, die uns gegenüber der Eisen- und Stahlindustrie der anderen Länder Europas wettbewerbsmäßig benachteiligen. Es ist im Augenblick nicht meine Aufgabe, die Schuldfrage zu untersuchen. Ganz abgesehen davon, daß das unfruchtbar wäre, scheint es mir auch in den Rahmen dieser Diskussion nicht hineinzugehören. Nur weil ich hier einige zweifelnde und einige ermunternde Blicke vor mir sehe, möchte ich zumindest auf folgendes hinweisen. Die Entscheidung der Bundesregierung zugunsten der C-Gesellschaften in der Kohle und die Intervention der Bundesregierung im Interesse des Schutzes des Eigentums großer Konzernbesitzer hat jedenfalls eine große Mitverantwortung der Bundesregierung für die tatsächliche Gestaltung der Neuordnung zur Folge.
Das Wesen der modernen Konzentrationsbewegung in Europa, die insoweit in Übereinstimmung mit der Entwicklung in den anderen großen Industrieländern steht, liegt darin, daß die horizontale Konzentration vorherrscht. Das heißt, es herrscht die Tendenz vor, nach Möglichkeit Produktionen der gleichen Produktionsstufe in größerem Umfange zusammenzufassen, weil man dann die Möglichkeit hat, auf breiter Basis zu spezialisieren und gewisse spezialisierte Produktionen mit dem Effekt erhöhter Wirtschaftlichkeit und geringen Kosten zu konzentrieren. Das ist eines der entscheidendsten Merkmale aller Konzentrationsbewegungen in den modernen Industriestaaten.
Die Entwicklung hat zu folgendem geführt. Wenn ich einmal vergleiche, welche Stahlproduktion auf die drei größten Unternehmungen der wichtigsten Industrieländer entfällt, so haben in den USA die drei größten Unternehmungen eine Erzeugung an Rohstahl von 54 Millionen t auf sich vereinigt — das sind 60% der amerikanischen Erzeugung —, in Großbritannien 6 Millionen t — das sind etwa 35 % —, in Deutschland 5 Millionen t — das sind etwa 34% — und in Frankreich 4,4 Millionen t — das sind 40 %. Dabei muß man berücksichtigen, daß wir in Frankreich einen Konzentrationsprozeß ganz anderer Art als in Deutschland haben, daß er sich dort nicht nur in den festen Zusammenschlüssen großer Unternehmungen auswirkt, sondern daß darüber hinaus sonstige Verschachtelung, personelle Verflechtung, vertragliche Bindungen und dergleichen mehr eine viel größere Rolle spielen, als es bei uns in Deutschland der Fall ist. Die letzten Konzentrationen in Frankreich haben dazu geführt, daß der Gesamtbereich de Wendel, Longwy und Lorraine-Escaut eine Gesamtstahlerzeugung von 4 Millionen t in sich vereinigt — das sind 40 % der französischen Stahlerzeugung —, während das größte deutsche Hüttenwerk nur 2,3 Millionen t und damit 20 % auf sich vereinigt. Ich glaube, das ist Beweis genug, daß wir gerade im Hinblick auf die notwendige horizontale Konzentration im Hintertreffen sind.
Sie können fragen, meine Damen und Herren: wozu diese Tatsachen? Was soll denn eigentlich auf diesem Gebiet geschehen? Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß der Montan-Union-Vertrag sowohl in Art. 65 Vereinbarungen wie auch in Art. 66 Zusammenschlüsse erlaubt. Ich darf Sie darauf hinweisen, daß die letzten Zusammenschlüsse in Frankreich unter der Herrschaft des Montan-Vertrages erfolgt sind, der Hohen Behörde zur Genehmigung vorgelegt worden sind und ganz zweifellos diese Genehmigung erhalten werden.
Aber eines ist entscheidend: die Entwicklung in Frankreich ist ein Ergebnis der großen Modernisierungskampagne, die unter öffentlicher Initiative von seiten der französischen Regierung entfacht worden ist. Die Konzentrationstendenz in England ist erheblich auf die Intervention von seiten der englischen Regierung zurückzuführen. Bei der Zersplitterung in Deutschland kommt es entscheidend darauf an, ob die Bundesregierung Möglichkeiten findet und freimacht, eine ähnliche fortschrittliche Organisationsbewegung in Deutschland auszulösen oder nicht. Hier sind reale Möglichkeiten gegeben, diese Startnachteile in organisatorischer Hinsicht zu beseitigen.
Ich darf dann auf ein weiteres Problem kommen: auf das Problem der Teilintegration. Bereits aus den Darlegungen über die Entwicklung der Eisen-und Stahlindustrie in den verschiedenen Staaten der Montan-Union ergab sich, daß sich allgemeine wirtschaftliche Schwächeerscheinungen auf die gesamten Länder der Montan-Union ausbreiten. Man kann umgekehrt sagen, daß konjunkturelle Aufstiegstendenzen in der Eisen- und Stahlindustrie einzelner Länder sich über den Gemeinsamen Markt in die Gesamtheit der Länder verlaufen.
Hinzu kommt eine weitere Komplikation. Es ist nämlich durchaus möglich, daß eines der Länder die weiterverarbeiteten Erzeugnisse der Eisen-und Stahlindustrie, die nicht unter die Zuständigkeit der Montan-Union fallen, durch Ausfuhrförderungsmaßnahmen stützt und damit in die Lage versetzt, die weiterverarbeitende Industrie und damit indirekt die Eisen- und Stahlindustrie benachbarter Länder der Montan-Union zu unterwandern. Auch das ist keine nur theoretische Möglichkeit, sondern im Hinblick auf die Einfuhr französischen Stahls nach Deutschland durchaus eine Realität.
— Herr Kollege Hellwig, Sie sind ein anerkannter Saarsachverständiger; ich stelle anheim, sich dazu nachher noch zu äußern. Ich stelle im Augenblick nur folgendes fest: daß im Rahmen der Montan-Union diese Erscheinungen sich auf alle Staaten auswirken und daß — darüber ist die Meinung in Deutschland, glaube ich, einheitlich — diese Auswirkungen jedenfalls zunächst einmal zu Lasten der deutschen Eisen- und Stahlindustrie und des deutschen Kohlenbergbaues ausgefallen sind.
Dasselbe Problem der Teilintegration stellt sich bei den Transportfragen. Ich brauche das hier nicht näher zu erläutern.
Aber ich möchte noch auf den großen Fragenkomplex der Investitionen eingehen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, bis zum Jahre 1957 rechnet die Hohe Behörde der Montan-Union mit einer Steigerung der Kapazität der Stahlerzeugung von 48 auf 54 Millionen t. Es handelt sich dabei nicht um das Ergebnis einer planmäßigen Investitionspolitik der Hohen Behörde, sondern um die einfache Zusammenstellung der Investitionsvorhaben der beteiligten Unternehmen innerhalb der Montan-Union. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß es sich hier um eine reichlich hohe Kapazität handelt.
Ich darf ergänzend die Investitionsprobleme und die Kapazität der Eisen- und Stahlindustrie in Deutschland kurz erörtern. Die Wirtschaftsvereinigung der Eisen- und Stahlindustrie hat vor kurzem eine Untersuchung darüber angestellt, wie hoch wohl der nachhaltige Eisen- und Stahlbedarf in Deutschland ist. Sie ist zu dem Ergebnis gekommen, daß wir einen nachhaltigen Walzstahlbedarf von etwa 800 000 bis 850 000 t monatlich haben. Wenn man unter Berücksichtigung von Ein- und Ausfuhr diese Zahl auf Rohstahl umrechnet, ergibt sich ein Verbrauch von 15 bis 16 Millionen t Rohstahl in den nächsten Jahren. Die Kapazität an Eisen- und Stahlerzeugung beträgt jedoch im Augenblick zumindest 18 Millionen t und wird zur Zeit auf 20 bis 21 Millionen t ausgebaut.
Ich möchte ein weiteres Wort zu der Investitionspolitik in Deutschland sagen — und ich glaube, daß ich nicht zuviel sage —: daß sich unter den derzeit im Gange befindlichen Investitionen nicht unwesentliche Fehlinvestitionen befinden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, aus einer Feststellung dieser Tatsache, die wohl nicht bestritten werden kann, sind zwei Konsequenzen zu ziehen. Die erste Konsequenz ist, daß wir uns in Deutschland zu einer Investitionssteuerung aufraffen müssen. Wenn die Bundesregierung sich einmal mit den Sachverständigen der Eisen- und Stahlindustrie, des Kohlenbergbaues, vielleicht auch mit den Sachverständigen der Kreditanstalt für Wiederaufbau ins Benehmen setzen würde, dann würde sie erfahren müssen, daß die Notwendigkeit einer Investitionssteuerung in den Grundstoffindustrien ganz allgemein anerkannt wird, und ich hoffe, daß ich mich jedenfalls bei diesen Herren nach Ihrer Auffassung nicht in schlechter Gesellschaft befinde.
Aber ich darf Ihnen noch ein anderes ins Gedächtnis rufen. Auf der letzten Tagung der Interparlamentarischen Union in Paris hat der frühere italienische Finanzminister Pella ausgeführt:
Ich bin ein Liberaler; aber gerade weil ich ein Liberaler bin, halte ich eine Investitionsplanung und eine Investitionssteuerung in Europa für erforderlich.
Ich glaube, das sollte man sich auch in der deutschen Wirtschaftspolitik merken.
Eine zweite Konsequenz muß, glaube ich, aus diesen Tatbeständen gezogen werden. Das ist die Konsequenz, daß ernsthafte Ansätze zu einer gemeinsamen Konjunkturpolitik innerhalb der Staaten der Montan-Union gemacht werden müssen. Wir kennen selbstverständlich die Oktober-Resolution des Ministerrats, die gleichfalls dieses Bekenntnis ablegt. Aber die Frage, die wir zu stellen haben, ist folgende: Handelt es sich auch hier nur um ein theoretisches Bekenntnis, oder was ist faktisch an realen Ansätzen zu einer gemeinsamen Konjunkturpolitik der Länder der Montan-Union geschehen? Wir haben von der Hohen Behörde der Montan-Union einige Unterlagen bekommen; aber ihnen ist bisher an konkreten Dingen nur das Schema für einen regelmäßigen Konjunkturlagebericht zu entnehmen, jedoch nichts über effektive Maßnahmen zu einer Koordinierung der Wirtschaftspolitik.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es handelt sich dabei um ein sehr ernstes Problem. Die Hohe Behörde hat in einem Bericht vom 14. April 1954 zur augenblicklichen Wirtschaftslage, der sich auf die gesamte Union bezieht, ausgeführt, daß erstens einmal die interne Nachfrage in der Union zunehmend schwächer wird, die Verbraucher sich zurückhalten, die Staatsausgaben nicht mehr steigen. Sie hat weiter festgestellt, daß die Investitionspolitik insgesamt stagniert und der Anteil der Investitionen am Sozialprodukt im Rahmen der gesamten Union langsam abnimmt. Die dritte Feststellung war, daß sich die Nachfrage nach Exportgütern im ganzen abgeschwächt hat.
Die Hohe Behörde kommt zu folgender meines Erachtens schwerwiegenden Schlußfolgerung — ich darf den Herrn Präsidenten bitten, diese Zeilen verlesen zu dürfen —:
Zusammenfassend ergibt sich, daß, obwohl die Wirtschaftstätigkeit in den Ländern der Gemeinschaft sich zur Zeit noch durchweg auf hohem Stande hält und Anzeichen für eine unmittelbar bevorstehende Verschärfung der Wirtschaftslage nicht zu erkennen sind, es doch an Impulsen fehlt, die kräftig und umfassend genug wären, um eine nachhaltige Aufwärtsbewegung der Produktion, der Beschäftigung und des Verbrauchs zu gewährleisten.
Meine Damen und Herren, das sind sehr ernsthafte Bemerkungen, und wenn wir uns darüber einig sind, daß man eine Gesundung der europäischen Wirtschaft nur durch eine ständige Steigerung der Produktivität und der Expansion der Wirtschaft herbeiführen kann, dann zeigen uns diese Darlegungen, wie dringend das Problem einer gemeinsamen Konjunkturpolitik innerhalb der Montan-Union ist.
Gestatten Sie mir noch eine letzte Bemerkung zu dem Problem der Konvertibilität und der europäischen Integration. Der Wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums hat bereits in seinem Gutachten vom 1. Mai 1953 auf die Diskrepanzen hingewiesen, die sich aus einer weltweiten Konvertibilitätspolitik und einer euro-
päischen Produktionspolitik ergeben können. Ich glaube aber, allen denen, die an der Konferenz in Paris teilgenommen haben, ist doch bewußt geworden, ein wie aktuelles Problem diese Frage der Währungskonvertibilität im Zusammenhang mit der europäischen Integration ist. Ich möchte dazu nur wenige Sätze sagen. Wenn man der Auffassung ist, daß das wirtschaftliche Ziel aller freien Völker die Hebung des Lebensstandards, die Steigerung der Produktivität und eine weitgehende Vollbeschäftigung sein soll, dann sind dazu konjunkturpolitische Maßnahmen notwendig, die mit einer Aufrechterhaltung der freien Konvertibilität unter allen Umständen nicht immer vereinbar sind. Andererseits müßte eine weltweite Konvertibilitätspolitik, die ja von dem Leitmotiv der Stabilität der Kurse bestimmt ist, bis zum letzten durchgeführt, in Kauf nehmen, daß Beschäftigungsschwankungen in den einzelnen Ländern auftreten, ganz gleich welches Ausmaß diese annehmen. Infolgedessen scheint doch die Frage berechtigt zu sein, ob das Problem der Konvertibilität der Währung nicht so zu sehen ist, daß die entscheidenden Stellen für die Geld- und Kredit-Politik sich auf denselben Raum erstrecken müssen wie die entscheidenden Stellen für die Konjunkturpolitik, um Konjunkturpolitik und Geld- und Kreditpolitik aufeinander abstimmen zu können. Es war sehr bemerkenswert für alle Teilnehmer der Pariser Tagung, daß Herr Marjolin und viele andere Diskussionsredner darauf hinwiesen, daß eine Durchführung der Währungskonvertibiltät unter den augenblicklich in Europa herrschenden Umständen zu einer Zerstörung der EZU und der OEEC und damit zu einer europäischen Desintegration führen würde.
In kleineren Kreisen ist die Frage aufgeworfen worden — die man auf solchen internationalen Tagungen aus politischer Höflichkeit nicht offen auszusprechen wagt —, wie sich eigentlich die europäische Integrationspolitik der Bundesregierung mit der Erhardschen Politik weltweiter Konvertibilität verträgt. Ich glaube, auch das ist ein außerordentlich entscheidendes und ernstes Problem, das im Zusammenhang mit dem Fragenkreis der Montan-Union steht, und wir wären dankbar, wenn wir auch dazu eine entsprechende Antwort auf unsere Große Anfrage bekommen würden.
Soll der Antrag unter Punkt 3 b der Tagesordnung besonders begründet werden?
— Dann sind die Großen Anfragen begründet. Ich brauche wohl nicht besonders die Frage zu stellen, ob die Besprechung gewünscht ist. Das ganze Haus will diese Besprechung haben.
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Die Anfragen der Regierungsparteien und der Opposition bezüglich der Stellung der Bundesregierung zur allgemeinen außenpolitischen Lage, zur Saarfrage und auch zur Montan-Union geben eine willkommene Gelegenheit, in einem bedeutsamen Augenblick der weltpolitischen Entwicklung die Auffassung der Bundesregierung zu den uns beschäftigenden außenpolitischen Fragen darzulegen.
Bei den außenpolitischen Erörterungen hat sich trotz mancher Meinungsverschiedenheiten im einzelnen eine völlige Einmütigkeit in einigen Fragen von zentraler Bedeutung ergeben. Der Platz Deutschlands ist auf der Seite der Völker der freien Welt. Hierüber gibt es keine Diskussion, hierüber kann es auch keine Diskussion geben. Wir wissen, daß das deutsche Volk auch da, wo es nicht frei seine Ansicht äußern kann, jede Gemeinschaft mit der Welt der totalitären Staatsgewalt, der kollektiven Vermassung, der Unfreiheit des Einzelmenschen und der wirtschaftlichen Reglementierung verabscheut. Das deutsche Volk will Sicherheit nach außen und innen. Wir wissen, daß wir dem deutschen Volk diese Sicherheit mit unseren eigenen Mitteln allein nicht schaffen können.
Aus diesen wohlerwogenen Gründen haben wir den Anschluß an den Westen vollzogen.
Über die Art der Durchführung der Politik der Zusammenarbeit mit der freien Welt gab es und gibt es noch Meinungsverschiedenheiten. Sie betreffen aber nur die Methode, niemals das Ziel selbst. Diese Einmütigkeit in der Grundhaltung ist das große Positivum in der deutschen Außenpolitik.
Der Entschluß, den wir gefaßt haben, wurde in der freien Welt verstanden. Das Vertrauen, das uns in so erfreulicher Weise heute entgegengebracht wird, ist etwas Neues in der deutschen Geschichte und eine Frucht dieses Entschlusses. Das Vertrauen wird so lange bestehen, solange wir keinen Zweifel an der Klarheit und an der Festigkeit unserer Entscheidung aufkommen lassen.
Das Vertrauen wird so lange bestehen, wie wir alle Fragen der Beziehungen zu unseren Nachbarn so entscheiden, daß die Bande, die uns mit dem Westen verknüpfen, nicht gelockert, sondern gefestigt werden.
Diese Einmütigkeit und Klarheit unserer außenpolitischen Ziele sind heute notwendiger denn je. Die Beziehungen zwischen den beiden großen Mächtegruppen sind von schweren Problemen überschattet, die auf unserer Seite, auf der Seite des Westens, Selbstdisziplin, Unterordnung eigener Wünsche unter das große gemeinsame Ziel der Sicherung der Freiheit, gegenseitiges Verstehen und bereitwillige Zusammenarbeit in allen Dingen erfordern. Nur dann, wenn die Einheit und geschlossene Kraft des Westens eine wirkliche Realität darstellen, sind diese Probleme, die wie unheilvolle Wolken über der Welt und damit auch über uns hängen, zu lösen.
Wie schwer das ist, meine Damen und Herren, hat die Berliner Konferenz gezeigt. Wer gehofft hatte, es werde möglich sein, mit der Sowjetregierung unter Darlegung guter Gründe, die logisch und unwiderlegbar sind, zu einem Einvernehmen zu kommen, ist bitter enttäuscht worden. Deutschland, Europa und die Welt bleiben infolge der intransigenten sowjetischen Haltung weiter geteilt. Das sowjetische Bestreben, seine Machtposition in Europa ohne jede Rücksicht auf Recht und Vernunft und auf den Willen der Völker selbst festzuhalten, ist im Falle Österreichs in seiner ganzen Nacktheit vor aller Welt demonstriert worden.
In der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands ist das nicht anders. Moskau beharrt auf der Teilung Deutschlands und Europas, solange es hoffen darf, mit der Zeit ganz Deutschland und ganz Europa beherrschen zu können.
In jenem bekannten Angebot eines sowjetischen Sicherheitspaktes für Europa enthüllt sich in aller Deutlichkeit die Absicht Moskaus, an der europäischen Grenze seines heutigen Einflußbereichs nicht haltzumachen. Zielt nicht der andere sowjetische Vorschlag, die Sowjetunion in die NATO aufzunehmen, auch in dieser Richtung? Zeigen nicht diese Vorschläge deutlich die Absicht der Sowjets, das Verteidigungssystem der freien Welt, dessen Wirksamkeit auf der Einstimmigkeit seiner Partner beruht, durch ihr Veto zu lähmen, so wie sie es mit so viel Erfolg so oft in den Vereinten Nationen getan haben? Die alliierten Regierungen haben diese Vorschläge mit Klarheit und Entschlossenheit abgelehnt. Die Wünsche Sowjetruß-lands zielen — und daran kann heute niemand mehr zweifeln — darauf hin, zunächst die Vereinigten Staaten aus Europa zu verdrängen, sodann das freie Europa zu unterminieren und schließlich zu absorbieren. Überall in den Ländern des Westens sehen wir die von den Sowjets mit großem Aufwand organisierten Versuche, die Staaten zu unterwühlen, durch Drohungen, Furcht und Gewalt zu lähmen und durch Versprechungen und Propagandamanöver aller Art zu gewinnen.
Leider gibt es kaum Anzeichen dafür, daß die Konferenz, die in diesen Tagen in Genf begonnen hat, wesentlich bessere Ergebnisse haben kann als die Viererkonferenz in Berlin. Trotzdem möchte ich keine Prognosen stellen. Wenn es möglich wäre, in den ostasiatischen Fragen zu einer Entspannung zu kommen, so müßte sich das auch auf die Behandlung der europäischen Fragen auswirken. Es wäre völlig verkehrt, wenn wir uns auf den Standpunkt stellen wollten, daß der Streit auf der anderen Seite des Erdballs uns nichts anginge. Die gleichen Kräfte, die heute an der politischen, militärischen und wirtschaftlichen Grenze des Eisernen Vorhangs festhalten und durch die Mittel des Kalten Krieges ihre Macht darüber hinaus auszudehnen versuchen, befinden sich in Ostasien auf dem Wege der unverhüllten Expansion mit kriegerischen Mitteln. Der Waffenstillstand in Korea hat bis heute nur zur Aufrechterhaltung der Teilung dieses unglücklichen Landes geführt. Der Krieg in Indochina ist nicht allein eine französische Angelegenheit. Die Soldaten, die in Indochina Blut und Leben opfern, tun dies nicht für Frankreich allein, sondern im Dienste der Freiheit für die ganze Welt.
Es ist eine nicht zu bestreitende Tatsache, daß die kommunistischen Kräfte Ho-chi-minhs heute ihre Waffen und ihre Ausrüstung genau so wie die kommunistischen Nordkoreaner zu Beginn des Bürgerkriegs aus Rot-China beziehen. Angesichts der furchtbaren Gefahren, die sich aus einer solchen Situation für den Frieden der ganzen Welt ergeben können, gewinnt die Genfer Konferenz auch für uns eine außerordentliche Bedeutung.
Die Schilderung der Gefahren unserer Zeit würde nicht vollständig sein, wenn man nicht des Wettrüstens in atomischen Waffen gedächte, mit denen die Wissenschaft Mittel der Massenvernichtung geschaffen hat, so furchtbar in ihren Wirkungen, daß man nur hoffen kann, sie werden niemals zur Anwendung kommen. Die Tatsache, daß die Welt zu einem Zeitpunkt in zwei große gegnerische Lager gespalten ist, in dem gleichzeitig neue, furchtbare Mittel der Vernichtung entwickelt werden, muß jeden verantwortungsvollen Menschen mit ernstester Sorge erfüllen. Über den Geschäften des Alltags dürfen wir nie aus dem Auge verlieren, welche Gefahren uns drohen und daß die Schicksale der Völker aufs engste miteinander verknüpft sind, gleichgültig, ob ihre Heimat Ostasien oder Europa heißt. Es gibt keine Krisen und keine Konflikte, die nicht auch auf uns ihre Wirkungen ausüben.
Die Überzeugung, daß die Entwicklung des neuen deutschen Staates entscheidend von dem Verhältnis dieses Staates zur übrigen Welt beeinflußt werden würde, hat die außenpolitische Arbeit der Bundesregierung von Anfang an geleitet. Der Zusammenbruch Deutschlands im Jahre 1945 hatte die außenpolitischen Ziele einer deutschen Regierung vorgezeichnet. Diese Ziele lauteten für die Bundesregierung: Wiederherstellung der inneren und äußeren Selbstbestimmung, Gewährleistung von innerer und äußerer Sicherheit, Wiedervereinigung Deutschlands. Alle diese Ziele sind ohne Ausnahme in der Isolierung Deutschlands nicht zu erreichen.
Das Mittel, um zu diesen Zielen zu gelangen, war und ist die Integration, die Eingliederung Deutschlands in die Gemeinschaft der freien Völker. Der von der Regierungskoalition und von der Bundesregierung eingeschlagene Weg führt zu diesem Ziel. Die Bundesrepublik besitzt heute innere und äußere Selbstbestimmung, die ihr ermöglicht, die außenpolitischen Interessen Deutschlands in wirksamer Weise wahrzunehmen.
Es gibt heute keine Frage von außenpolitischer Bedeutung, an der die Bundesrepublik mittelbar oder unmittelbar interessiert ist, die von den alliierten Mächten über den Kopf der Bundesregierung hinweg entschieden würde. Ich kann mit Befriedigung feststellen, daß die Bundesregierung nicht nur gehört wird, sondern auch an der Meinungsbildung und Beschlußfassung der großen Mächte mitwirkt. Formal haben wir die volle Souveränität heute noch nicht erreicht, da die Ratifikation des Deutschland-Vertrages, die mit der Ratifikation des Vertrages über die Verteidigungsgemeinschaft eng verknüpft ist, noch aussteht. Wenn es nach unseren Wünschen gegangen wäre, so wäre der europäische Zusammenschluß in den letzten Monaten mit verstärktem Eifer vorwärtsgetrieben und zum Ziele geführt worden.
Wenn die Europäische Verteidigungsgemeinschaft heute noch nicht von allen Unterzeichnerstaaten ratifiziert ist, so liegt die Ursache dafür sicherlich nicht bei Deutschland. Unsere Entscheidung ist gefallen. Wir haben alles getan, was wir zu tun haben.
Leider haben wir feststellen müssen, daß nationale Egoismen mit den Tendenzen der europäischen Einigung im Kampf liegen. Wir werden aber diesen schwerwiegenden Vorwurf nur dann an die Adresse anderer richten können, wenn wir uns selbst in dieser Sache völlig einwandfrei verhalten.
Ich hoffe sehr, meine Damen und Herren, daß unter diesem Gesichtspunkt die Aussprache, die wir heute führen, nicht zu einer Schwächung, sondern zu einer Stärkung unseres Ansehens und unserer Glaubwürdigkeit in der Welt beitragen wird. Wir wollen hier in Deutschland nie vergessen, in welcher Gefahr dieser Kontinent und vor allem Deutschland schweben und wie kurzsichtig es ist, um dieser oder jener Mängel eines Vertrages willen das ganze Werk des Zusammenschlusses und damit die eigene Sicherung gegen Gefahren von außen und innen aufzuhalten.
Ich glaube, wir können aber trotzdem mit Befriedigung feststellen, daß seit Beginn dieses Jahres auf dem Gebiet der Sicherung Westeuropas Fortschritte erzielt worden sind. Das niederländische, das belgische und das luxemburgische Parlament haben den EVG-Vertrag gebilligt. Damit erhöht sich, wie Herr Abgeordneter Kopf schon gesagt hat, die Zahl der Staaten, in denen die parlamentarische Behandlung abgeschlossen ist, auf vier. Die italienische Regierung hat die Verträge dem Parlament inzwischen vorgelegt.
Das in Paris am 13. April 1954 unterzeichnete Abkommen über die Zusammenarbeit zwischen dem Vereinigten Königreich und der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft stellt einen weiteren bedeutsamen Schritt auf dem Wege zur Sicherung Westeuropas dar. Mit diesem Abkommen hat Großbritannien in konsequenter Verfolgung seiner bisherigen Politik gegenüber der EVG die organisatorische Zusammenarbeit mit den Behörden der EVG auf politischem, militärischem und verwaltungsmäßigem Gebiet ausgestaltet und damit seine Verbundenheit mit Westeuropa auf eine neue feste Grundlage gestellt. Das Abkommen sieht nicht nur eine Mitarbeit der britischen Regierung innerhalb des Ministerrates der EVG vor; britische Armee-und Luftwaffenverbände können nunmehr auf Verlangen des Obersten Befehlshabers in Europa in europäische Kontingente eingegliedert werden. Damit werden britische Streitkräfte, die der EVG zugeteilt werden, zwar nicht in deren supranationaler Struktur aufgehen; sie werden aber einem Befehlshaber der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft unterstehen und praktisch ebenso ein Teil der europäischen Armee sein wie die EVG-Einheiten selbst.
Das Abkommen sieht weiterhin eine möglichst enge Angleichung der militärischen Ausbildung und Ausrüstung der Streitkräfte Großbritanniens und der EVG vor. Großbritannien wird Veränderungen im Bestand seiner auf dem Kontinent stationierten Streitkräfte nur nach vorheriger Konsultation mit den zuständigen Stellen der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft vornehmen. Von besonderer Bedeutung ist ferner die Versicherung der britischen Regierung, daß britische Streitkräfte so lange auf dem Kontinent stationiert werden, als eine Bedrohung Westeuropas und der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft besteht.
Die britische Regierung erklärt weiter, daß nach ihrer Auffassung das Atlantikpaktbündnis von unbegrenzter Dauer sei. Sie zerstreut damit die Bedenken all derer, die in Westeuropa auf die unterschiedliche Geltungsdauer des atlantischen Bündnisses, das ein Ausscheiden der Mitglieder 20 Jahre nach der Unterzeichnung zuläßt, und des EVG-Vertrages, der auf eine Dauer von 50 Jahren abgeschlossen ist, hinweisen. Sie begegnet damit zu-
gleich wirksam der Auffassung, daß die britischen Beistandsverpflichtungen gegenüber der EVG, die nur für die Dauer des Atlantikpakts festgesetzt sind, nach einigen Jahren an Wert verlieren und schließlich hinfällig werden könnten.
Der Erklärung der britischen Regierung kommt jedoch nicht nur militärische Bedeutung zu. Es wird oft übersehen, daß der Atlantikpakt für die Teilnehmerstaaten nicht nur militärische Verpflichtungen, sondern auch Verpflichtungen auf anderen Gebieten, insbesondere auf dem Gebiet der wirtschaftlichen und kulturellen Zusammenarbeit, mit sich bringt. Die britische Regierung bekennt sich in ihrer Erklärung zu einer intensiven Zusammenarbeit aller Mitgliedstaaten der atlantischen Gemeinschaft auf allen Gebieten und auf unbegrenzte Zeit.
Dieser Schritt der britischen Regierung ist in der englischen Geschichte eine revolutionäre Tat. Indem Großbritannien die Sache der EVG zu seiner eigenen macht, wird ein Doppeltes offenbar. Großbritannien hat sich mit dem Schicksal des Kontinents solidarisch erklärt. Es hat damit bekundet, daß heute die Selbstbehauptung irgendeiner Nation in der Isolierung unmöglich ist. Es hat weiter seiner Überzeugung Ausdruck gegeben, daß die Verteidigungsgemeinschaft ein notwendiges Instrument der Verteidigung der westlichen Welt darstellt.
Im gleichen Sinne begrüßt die Bundesregierung die Botschaft des Präsidenten der Vereinigten Staaten vom 16. April 1954. Diese Botschaft bringt in unmißverständlicher Weise das große Interesse der amerikanischen Regierung für das Schicksal der europäischen Integrationsbestrebungen zum Ausdruck und betont die Bedeutung, die der EVG nicht nur vom amerikanischen Standpunkt aus, sondern auch im Rahmen der atlantischen Gemeinschaft zukommt. Über ihre bei Unterzeichnung des EVG-Vertrags am 27. Mai 1952 gegenüber der EVG und deren Mitgliedstaaten eingegangenen Verpflichtungen hinaus präzisiert die amerikanische Regierung weitere Verpflichtungen, die sie bei Inkrafttreten des Vertrages zu übernehmen gedenkt. Die amerikanische Regierung wird hiernach in Europa - natürlich einschließlich Deutschlands — weiterhin die erforderlichen Streitkräfte in angemessener Stärke unterhalten, solange eine Bedrohung dieses Raumes anhält. Sie wird sich darüber hinaus mit den Mitgliedstaaten der NATO und der EVG über die Fragen gemeinsamen Interesses konsultieren, insbesondere auch über die Stärke der dem Alliierten Oberbefehlshaber in Europa zur Verfügung gestellten Kräfte; sie wird auch bestrebt sein, eine möglichst enge Integration der Streitkräfte der EVG, der Vereinigten Staaten sowie der anderen NATO-Länder im Hinblick auf Führung, Ausbildung und Organisation herzustellen und in verstärktem Maße über die Anwendung neuer Waffen und neuer Methoden für die Verbesserung der gemeinsamen Verteidigung Nachrichten auszutauschen. Auch die amerikanische Regierung spricht die Auffassung aus, daß das atlantische Bündnis auf unbegrenzte Zeit Geltung besitzt und damit eine ständige enge Zusammenarbeit der freien Völker gewährleistet, die es allen Mitgliedern ermöglicht, ihre Bemühungen zur Wahrung des Friedens und der Freiheit und zur Hebung des Wohlstandes ihrer Völker gemeinsam zu verfolgen. Meine Damen und Herren, es erscheint mir nötig, bei einem Überblick über die außenpolitische Lage gerade von unserem Standpunkt aus dieser Stellungnahmen der Regierung Großbritanniens und
der Regierung der Vereinigten Staaten besonders dankbar zu gedenken.
Ein dauerhafter Zusammenschluß der Völker ist
aber nur möglich, wenn wir vernünftige Lösungen
für alle die Probleme finden, die uns als Folgeerscheinungen der Interessengegensätze vergangener Zeiten belasten und die denen immer neue
Begründungen liefern, die einen europäischen Zusammenschluß nicht wollen. Zu diesen Problemen
gehört die Saarfrage. Sie werden verstehen, meine
Damen und Herren, daß ich mich zu gewissen Teilen des Saarproblems mitten in den Verhandlungen, in denen wir zur Zeit mit der französischen
Regierung stehen, nur zurückhaltend äußern kann.
Aber aus dem, was ich sagen werde, werden Sie die Grundelemente einer Lösung, wie wir sie uns denken, erkennen können.
Frankreich und wir dürfen diese Frage nicht allein im Lichte des alten deutsch-französischen Gegensatzes sehen. Das Saarproblem ist einfach unlösbar, wenn die beiden Teile es allein unter dem Gesichtspunkt ihrer nationalen Interessen lösen wollen. Auf diesem Wege ist, wie die Dinge nun einmal liegen, eine Lösung nicht zu finden.
Wir Deutsche haben kein Mittel, Frankreich gegen seinen Willen zu einem Verzicht auf seine Position an der Saar zu zwingen.
— Na, wenn Sie ein Mittel wissen, werden Sie es ja sagen.
Dabei ist leider nicht entscheidend, ob Frankreich sich diese Stellung zu Recht oder zu Unrecht geschaffen hat.
Die Bundesregierung hat mit großer Anstrengung jahrelang bei jeder sich bietenden Gelegenheit versucht, den Standpunkt, den unser eigenes nationales Interesse nahelegt, zur Anerkennung bei den anderen Regierungen zu bringen.
Lassen Sie mich Ihnen heute offen sagen, daß diese Versuche mit der Erfahrung geendet haben, daß für eine Politik, die allein unserem nationalen Interesse in der Saarfrage Genüge tut, auch wenn das Recht auf unserer Seite ist, eine Unterstützung außerhalb Deutschlands nicht zu erwarten ist.
Darum führt es uns leider nicht weiter, wenn wir in weitläufige und tiefgründige Untersuchungen über die aktuelle Rechtslage eintreten. Wenn wir keine Chance haben, für die Realisierung unseres noch so begründeten Rechtsstandpunkts die Unterstützung der Welt zu gewinnen, so bleibt uns, wenn wir eine realistische Politik machen wollen, nichts anderes übrig, als Ausschau nach einer neuen Lösung zu halten.
Andererseits, meine Damen und Herren, kann auch Frankreich uns gegen unseren Willen ebensowenig dazu bringen, daß wir die Stellung anerkennen, die es sich im Saargebiet geschaffen hat.
Bleiben wir also beide bei den nationalen Vorstellungen, die uns aus der Vergangenheit überkommen sind, so ist die Folge einfach die, daß der gegenwärtige Zustand an der Saar aufrechterhalten bleibt. Ich brauche nicht zu schildern, was das bedeutet. Dem einseitigen Einfluß Frankreichs an der Saar würde weiter auf ungemessene Zeit Tür und Tor offenstehen. Die Saarbevölkerung selbst und das innerpolitische Leben an der Saar würden nicht zur Ruhe kommen. Der heftige Streit der Meinungen würde weitergehen. Der feste Boden würde weiterhin fehlen, der für jedes Gemeinwesen auf die Dauer unerläßlich ist.
Viel wichtiger indessen, ja entscheidend sind zwei andere Faktoren. Zunächst ist es eine absolute Notwendigkeit, damit Europa und, meine Damen und Herren, damit das deutsche Volk einschließlich der Saarbevölkerung am Leben bleiben, die Differenzen unter den europäischen Völkern zu beseitigen.
Mehr noch: ohne Einigkeit unter den europäischen Völkern können auch die großen globalen Spannungen nicht beseitigt oder wenigstens gemildert werden. Was sich in solcher Lage anbietet, um dem unfruchtbaren und ausweglosen Gegensatz der nationalen Interessen zu entgehen, ist eine Lösung auf höherer Ebene, ist eine europäische Lösung.
Die Bundesregierung hat deshalb auf der Konferenz der sechs Außenminister in Paris im Juli 1952 dem Gedanken zugestimmt, die Saar zum Sitz der europäischen Institutionen zu machen. Eine notwendige Konsequenz ist, daß dem Gebiet, das Sitz der europäischen Institutionen wird, ein besonderer Status gegeben wird. Was diesen Status im einzelnen anlangt, so waren bei den zahlreichen Gesprächen und Verhandlungen, die ich selbst oder Vertreter der Bundesregierung mit Mitgliedern der französischen Regierung über die Lösung des Saarproblems geführt haben, immer die folgenden Hauptgesichtspunkte bestimmend. Eine endgültige Lösung, die eine Entscheidung über die Grenzen des deutschen Staatsgebiets zum Inhalt hat, kann nur in einem Friedensvertrag erfolgen, der mit einer gesamtdeutschen Regierung frei auszuhandeln ist.
Eine Frage, Herr Präsident! Darf ich eine Zwischenfrage stellen?
Ferner, meine Damen und Herren, ist jede Lösung an die Zustimmung der Saarbevölkerung gebunden.
Und schließlich muß die Lösung wahrhaft europäisch sein.
Herr Bundeskanzler, ich bitte einen Moment unterbrechen zu dürfen. Es wird eine Zwischenfrage gestellt.
Meine Damen und Herren, soviel ich weiß, ist es geschäftsordnungsmäßig nicht zulässig, daß ein Redner, während er spricht, unterbrochen wird.
Herr Bundeskanzler, das ist geschäftsordnungsmäßig zulässig und wurde des öftern schon geübt. — Der Herr Abgeordnete Mommer hat das Wort zu einer Zwischenfrage.
Herr Bundeskanzler, — —
Ich habe diese Frage nicht verstanden.
Aus technischen und akustischen Gründen habe ich diese Frage nicht verstanden.
Ich wiederhole die Frage.
Sie kennen den Art. 19 des Plans. Ich frage Sie, ob Sie die Garantie , die die Mächte dort für die Änderung der deutschen Grenze im Westen im Friedensvertrag übernehmen sollen, für gleichwertig mit der Festlegung einer Grenze im Friedensvertrag halten.
Meine Damen und Herren, ich halte eine solche Frage schon deshalb für ganz unmöglich, weil ich im Laufe meiner Besprechungen auf den Naters-Plan noch eingehen werde und es mir unmöglich erscheint, daß der Fluß einer Rede durch eine solche Frage einfach unterbrochen wird.
Ich bitte doch, den Herrn Bundeskanzler weitersprechen zu lassen!
Meine Damen und Herren, nach meinen parlamentarischen Erfahrungen kommen wir viel weiter, wenn diese Zwischenrufe wegbleiben. Sie können ja noch antworten, solange Sie wollen.
Ich wiederhole, was ich eingangs gesagt habe: man wird es in diesem Hause und in der ganzen Öffentlichkeit verstehen, wenn ich erkläre, daß es, wenn man mitten in Verhandlungen mit einer anderen Regierung ist, ganz unmöglich erscheint, im Parlament in allen Fragen seinen Standpunkt mitzuteilen,
ehe diese Verhandlungen, sei es so, sei es so, zum
Abschluß gekommen sind. Aber ich habe weiter gesagt — und ich bleibe dabei, ich wiederhole es —, eine endgültige Lösung, die eine Entscheidung über die Grenzen des deutschen Staatsgebietes zum Inhalt hat, kann nur in einem Friedensvertrag erfolgen, der mit einer gesamtdeutschen Regierung frei auzuhandeln ist.
Ich glaube, darin liegt doch die Antwort auf die Frage, die mir soeben gestellt worden ist.
Ferner ist jede Lösung an die Zustimmung der Saarbevölkerung gebunden. Schließlich muß die Lösung wahrhaft europäisch sein. Es darf sich also nicht darum handeln, den Status quo zum Schein mit einem europäischen Mantel zu verkleiden.
Auch müssen die Menschenrechte und Grundfreiheiten, so wie sie in der europäischen Menschenrechte-Konvention definiert sind, unzweideutige und uneingeschränkte Anerkennung finden.
Es darf endlich kein neuer Staat zu den vorhandenen europäischen Staaten geschaffen werden.
Die Lösung ist auch an die Verwirklichung einer
Europäischen Politischen Gemeinschaft gebunden.
Endlich muß zwischen der deutschen Wirtschaft, die bisher in diskriminierender Weise von der saarländischen getrennt ist, und der saarländischen in Etappen ein gemeinsamer Markt hergestellt werden.
Nun hat, auf den Arbeiten des holländischen Europaratsdelegierten van der Goes van Naters fußend, die allgemeine Kommission der Beratenden Versammlung des Europarates vor drei Tagen einen Vorschlag zur Lösung der Saarfrage im europäischen Sinne beschlossen. Interessant ist, daß diese Untersuchung durch die sozialistischen Vertreter des Europarates beantragt worden ist. Sowohl in Deutschland wie in Frankreich ist dieser Vorschlag teils akzeptiert, teils lebhaft kritisiert worden. In Deutschland wirft man ihm vor allem vor, er berücksichtige nicht die unabdingbare Zugehörigkeit des Saargebietes zu Deutschland. Auf französischer Seite wird der Vorwurf laut, er wolle Frankreich die Position entziehen, die es sich mit Zustimmung seiner westlichen Alliierten an der Saar geschaffen habe. Aber man kann denen, die an dem Vorschlag des Europarates mitgewirkt haben, die Anerkennung nicht versagen, daß sie einen ernsthaften Versuch unternommen haben, eben jene dritte Lösung zu finden, die Lösung auf der höheren Ebene, von der ich vorhin gesprochen habe.
Es ist ein Versuch, nicht nur den deutsch-französischen Interessengegensatz in der Saarfrage zu schlichten und einen brauchbaren mittleren Weg zu finden, sondern vor allem ist hier zum ersten Male in einer bis in die Einzelheit gehenden Weise die Lösung mit der europäischen Entwicklung verknüpft worden. Aus diesem Grunde habe ich dem französischen Außenminister gegenüber am 9. März meine Bereitschaft erklärt, bei den
Verhandlungen von den Grundlinien des Vorschlags des Europaratsausschusses auszugehen, und Herr Bidault hat mir darin zugestimmt.
Diese grundsätzliche Bereitschaft bedeutet nicht das Einverständnis mit allen Einzelheiten. Vor allem muß ich mich hier mit einem Punkt auseinandersetzen, in dem der Entwurf der Bundesregierung eine Entscheidung zumutet, die diese zu treffen gar nicht in der Lage ist. Der Vorschlag der Kommission zielt nämlich darauf, daß die zu findende Lösung endgültigen Charakter erhalten soll. Diesem Gedanken steht ein unübersteigbares Hindernis entgegen: es ist ein unbestrittener Grundsatz, daß die endgültige Festlegung der Grenzen Deutschlands bis zu einer zwischen Deutschland und seinen ehemaligen Gegnern frei vereinbarten friedensvertraglichen Regelung für ganz Deutschland aufgeschoben werden muß. Ich verweise hierzu auf Art. 7 des Deutschlandvertrages.
Zu dieser Erwägung tritt eine weitere, politische hinzu. Eine über den Friedensvertrag hinaus bindende Festlegung in einer Gebietsfrage im Westen würde äußerst nachteilige Wirkungen auf das Problem der deutschen Ostgrenzen haben. Es ist aber eine unabweisbare politische Notwendigkeit, auch den leisesten Anschein zu vermeiden, der unseren Gegnern in der Frage der Ostgrenze Vorschub leisten könnte.
Andererseits möchte ich zugunsten des Vorschlags der Europaratskommission auf einen darin enthaltenen wesentlichen Gesichtspunkt hinweisen, mit dem wir durchaus übereinstimmen: Die Saar kann nur europäisiert werden, wenn eine europäische Gemeinschaft eine Realität ist.
Wir müssen deshalb entscheidenden Wert darauf legen, daß die Lösung auf das engste mit der Schaffung einer europäischen Gemeinschaft verknüpft wird.
Meine Damen und Herren, aus der langen Dauer der sehr schwierigen Verhandlungen über das Saarproblem bitte ich Sie zu entnehmen, daß die Bundesregierung die äußersten Anstrengungen macht, den echten europäischen Charakter der Gesamtlösung zu sichern. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß die französische Regierung und die französische Öffentlichkeit begreifen, daß wir mit der Annahme der Grundsätze des Naters-Plans als Verhandlungsgrundlage eine Kompromißbereitschaft in der gesamten Frage bekundet haben, die uns zu der Erwartung berechtigt, daß die französische Regierung ihrerseits ebenfalls Zugeständnisse von Bedeutung macht.
Es wäre tragisch, wenn am Mangel einer Einigung in dieser Frage die europäische Gemeinschaft scheiterte.
Nun, meine Damen und Herren, lassen Sie mich einige Ausführungen allgemeinerer und politischer Natur zu der Frage der Montan-Union machen. Ich glaube, daß diese Ausführungen in eine Darstellung der gesamten außenpolitischen Lage mit hereingehören. Ich darf denjenigen Herren, die der Zusammenfassung der Punkte der Tagesordnung widersprochen haben, sagen, daß sie unter
d) ihrer Anfrage ja geradezu auf den Zusammenhang hingewiesen haben.
Unter d) sagen sie nämlich:
Entspricht die wirtschaftliche Entwicklung in den deutschen Grundstoffindustrien den Erwartungen, die die Bundesregierung bei der Ratifizierung des Schumanplanes in das Funktionieren dieser europäischen Teilintegration gesetzt hat?
Damit ist doch der Zusammenhang ganz klar in der Frage gestellt.
Überdies, meine verehrten Herren, hat Herr Kollege Deist — wofür wir ihm übrigens sehr dankbar sind, nicht nur in dem Zusammenhang, sondern wegen der grundsätzlichen Bedeutung, die daraus spricht — ausdrücklich folgendes gesagt: Unsere Anfrage ist getragen von der Sorge, daß der Gedanke der europäischen Einigung Schaden leidet durch die Entwicklung der Montan-Union.
Daraus glaube ich doch die Berechtigung herleiten zu können, in einer Darstellung unserer Politik, die die europäische Integration zum Gegenstand hat, auch auf diese Frage, soweit nötig, einzugehen.
Es ist ein Grundgedanke der europäischen Integration, daß die Gemeinschaft der europäischen Völker sich in Frieden und Freiheit nur entwikkeln kann, wenn zwischen ihnen auch wirtschaftlich eine enge Zusammenarbeit stattfindet und dadurch die Existenzbedingungen und die soziale Lage der europäischen Menschen entscheidend und dauerhaft verbessert werden. Von diesem Grundgedanken ausgehend sind wir zum Partner der Montan-Gemeinschaft geworden. Lassen Sie mich Ihnen deshalb etwas über die Erwartungen und über die Erfolge sagen.
Das Ziel bei der Gründung der Montan-Gemeinschaft war die Schaffung eines einheitlichen europäischen Wirtschaftsraums, eines gemeinsamen Marktes von 160 Millionen Menschen, der sich zwischen den anderen Wirtschaftsmächten behaupten kann.
Daß der Gemeinsame Markt für Kohle und Stahl nur ein erster Schritt hierzu sein kann, war von vornherein klar. Aber jenes größere Werk kann nicht mit einem Schlage geschaffen werden. Uns war es zunächst aufgegeben, einen Anfang zu machen.
Für Deutschland bestand hieran noch ein besonderes Interesse. Man vergißt zu schnell, wie es um Deutschland und sein Ansehen in der Welt gestellt war,
als am 9. Mai 1950 der damalige Außenminister, Herr Robert Schuman, jene Erklärung der französischen Regierung verkündete.
Seitdem die Montan-Gemeinschaft ins Leben getreten ist, sind das Londoner Abkommen und mit ihm die Ruhrbehörde gefallen, sind Stahlerzeugung und Produktionskapazität von den besatzungsrechtlichen Beschränkungen befreit und hat die Alliierte Hohe Kommission für sich und die ihr angegliederten Kohle- und Stahlkontrollgrup-
pen auf alle Eingriffsrechte verzichtet, für welche die Hohe Behörde die Zuständigkeit ausübt.
Glaubt, meine Damen und Herren, einer von Ihnen, daß, wenn wir uns damals gegenüber der Montan-Union einfach ablehnend erklärt hätten, diese Befreiungen von den uns durch den Zusammenbruch auferlegten Fesseln eingetreten wären?
Der wirtschaftliche Aufstieg der Bundesrepublik in den letzten Jahren wäre nicht möglich gewesen ohne die Befreiung von jenen Fesseln. Es war selbstverständlich, daß eine derartige, mit einem Ausschnitt aus der Volkswirtschaft beginnende Teilintegration und der Aufbau einer so revolutionär neuartigen Organisation, wie sie eine supranationale Gemeinschaft darstellt, gewisse Anlaufschwierigkeiten mit sich bringt. Demgemäß hat der Vertrag selbst eine Übergangs- und Anpassungszeit von fünf Jahren für notwendig angesehen. Er hat darüber hinaus die Möglichkeit vorgesehen, daß mit der Anwendung der Vertragsbestimmungen zeitweise überhaupt innegehalten werden könne, falls es durch die Anwendung in einem der Mitgliedstaaten zu schweren, länger dauernden Störungen kommen würde.
Von dieser Übergangszeit, meine Damen und Herren, ist für den Stahlmarkt ein Jahr vergangen; für den Kohlenmarkt sind es einige Monate mehr. Es ist natürlich schwer, auf Grund einer so kurzen Zeit ein Urteil auszusprechen. Immerhin läßt sich das sagen, daß die Schwierigkeiten bisher nicht größer, sondern eher geringer gewesen sind, als man bei Vertragsabschluß voraussah. Ein Zeichen dafür ist, daß die oben genannten Vorschriften über die tiefgreifenden Störungen, die man bei Abfassung des Vertrages für außerordentlich wichtig ansah, bis jetzt von keinem einzigen Staat in Anspruch genommen, geschweige denn für anwendbar erklärt worden sind. Ebenso ist unbestritten, daß bereits in der kurzen Zeit des gemeinsamen Marktes die innere Verflechtung, der innere Austausch innerhalb der Gemeinschaft um rund ein Viertel gewachsen ist. An dieser Steigerung des inneren Austauschs hat auch die Bundesrepublik einen vollgemessenen, positiven Anteil gehabt.
Damit will ich die bestehenden Schwierigkeiten nicht verkleinern. Ich will nur ihr wirkliches Wesen klarstellen. Es sind Schwierigkeiten, welche nicht die langfristigen Ziele der Montan-Gemeinschaft betreffen. Wenn insbesondere gegenwärtig von Überkapazität im Gemeinschaftsgebiet hinsichtlich des Stahls die Rede ist, so braucht man sich nur daran zu erinnern, daß in der Gemeinschaft der Stahlverbrauch pro Kopf der Bevölkerung noch immer nicht einmal ein Drittel so viel beträgt wie in den Vereinigten Staaten, und selbst in der Bundesrepublik weniger als die Hälfte; es ist also deutlich, daß, auf lange Frist gesehen, wir unsere Kapazität verstärken müssen, falls wir nicht die Hoffnung aufgeben wollen, einen einigermaßen gleichwertigen Lebensstandard zu erreichen. Es handelt sich nur um kurzfristige Schwierigkeiten.
Aber auch diese ergeben sich nicht allein aus der Montangemeinschaft als solcher und den durch sie gegebenen Anpassungsnotwendigkeiten. Vielmehr beruhen diese Schwierigkeiten zum Teil darauf, daß in der Weltkonjunktur auf dem Gebiete
von Kohle und Stahl eine gewisse Abschwächung eingetreten ist.
Unter diesen Gesichtspunkten müssen die ersten Auswirkungen der Bildung des Gemeinsamen Marktes auf die deutsche Wirtschaft betrachtet werden. Im einzelnen kann nach Ablauf der kurzen Zeit seit dem Inkrafttreten folgendes festgestellt werden:
1. Der deutsche Ausfuhrüberschuß an Kohle und Stahl konnte sich seit Errichtung des Gemeinsamen Marktes auf der früheren Höhe halten und zeigt bei Stahl in neuester Zeit eine steigende Tendenz.
2. Die deutschen Kohlenlieferungen in die übrigen Länder der Gemeinschaft haben zugenommen im Gegensatz zur Absatzentwicklung im Inland und zur Gestaltung der Kohlenausfuhr nach Ländern außerhalb der Montangemeinschaft.
3. Die Erlöslage des deutschen Steinkohlenbergbaues hat sich durch die neuerlichen Preismaßnahmen der Hohen Behörde im ganzen gesehen, wenn auch nur in geringem Umfange, verbessert.
4. Die Stahlpreise sind infolge des Wettbewerbs zwischen den Industrien der Gemeinschaft gesunken, was in Anbetracht der Schlüsselstellung der Eisenpreise für das gesamte wirtschaftliche Niveau von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist. Dabei wurde die Wettbewerbslage der deutschen Stahlerzeuger durch das Sinken der Rohstoffpreise erleichtert.
Das ist die wirtschaftliche Bilanz. Die politische weist darüber hinaus noch weitere Aktiva auf. Sie bestehen im wesentlichen in den Wirkungen, die sich aus der Gewöhnung an die Gemeinschaftsarbeit ergeben haben. Diese Gewöhnung kann und soll nicht dazu führen, daß die Besonderheiten der Volkswirtschaften der einzelnen Länder in der Gemeinschaft verschwinden. Wohl aber müssen die nationalen Interessen und Eigentümlichkeiten sich in dem gemeinschaftlichen Rahmen zusammenfügen und in der Verfolgung gemeinsamer Ziele einen Ausgleich finden. Daß in dieser Art des Arbeitens in allen Organen der Gemeinschaft große Fortschritte erzielt worden sind, kann niemand leugnen, der von den Dingen unmittelbar Kenntnis hat. Ich denke insbesondere an das Montanparlament, die Gemeinsame Versammlung. Diese hat keineswegs die parlamentarischen Rechte, welche die Bundesregierung für eine europäische Versammlung als notwendig ansieht. Trotzdem ist es schon ein echtes europäisches Parlament geworden, mit europäischen Zielen, europäischen Gesichtspunkten und europäischen Parteien.
Diese im wesentlichen positive Bilanz hat die Bundesregierung nicht verführt die Hände in den Schoß zu legen. Zwei Punkte waren und sind es, denen vorzugsweise ihr Interesse gilt. Das eine ist die Verbesserung der Startbedingungen der deutschen Montanindustrie. Man hat auf diese schlechten Startbedingungen bei Beginn des Schumanplans vielfach hingewiesen. Für sie ist die Montangemeinschaft nicht verantwortlich zu machen. Im Gegenteil, die schlechten Startbedingungen lagen darin, daß die deutsche Montanindustrie bis zum Schumanplan durch Kriegszerstörung, Demontagen, Produktionsbeschränkungen, Entflechtungsmaßnahmen und erzwungene niedrige Kohlenexportpreise in ihren Entwicklungsmöglichkeiten beengt war. Erst der Schumanplan gab, indem er die Diskriminierung Deutschlands und die Beschränkungen seiner Montanindustrie grundsätzlich beseitigte, die
Möglichkeit, einen Ausgleich in die Wege zu leiten. Das hat die Bundesregierung im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten weitgehend getan. Von insgesamt 6,2 Milliarden DM, die an zentral gesteuerten und vom Bund verbürgten Mitteln der deutschen Gesamtwirtschaft zur Verfügung gestellt wurden, sind rund 2 Milliarden DM in die Kohle- und Stahlindustrie geflossen. Selbstverständlich ist sich die Bundesregierung bewußt, daß mit diesen Mitteln nicht bereits alle Startschwierigkeiten behoben werden konnten; aber im Hinblick auf die beschränkten Möglichkeiten des Kapitalmarktes muß diese Leistung doch als sehr beachtlich anerkannt werden.
Meine Damen und Herren, auf Grund der bestehenden gesetzlichen Vorschriften und der gegebenen Preissituation ist es zudem der Kohle- und Stahlindustrie selbst gelungen, erhebliche eigene Mittel für Investitionen verfügbar zu machen. Die Bundesregierung wird auch weiterhin von sich aus alles Erdenkliche tun, um den Investitionsbedürfnissen der deutschen Grundstoffindustrie Rechnung zu tragen. In diesem Zusammenhang begrüßt die Bundesregierung den erfolgreichen Abschluß der Anleiheverhandlungen zwischen der Hohen Behörde der Kohle- und Stahlgemeinschaft und der Regierung der Vereinigten Staaten.
Herr Dr. Deist hat ausgeführt, daß in Deutschland auf eine Tonne Kohleförderung 6 DM — wenn ich es recht behalten habe — Investitionsgelder gegeben worden seien, in Frankreich 17 DM. Nun, ich bitte Herrn Deist, bei seiner nächsten Anwesenheit in Paris ein längeres Gespräch mit dem dortigen Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes zu führen. Ich habe dieses Gespräch mit dem Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Paris geführt und habe von ihm einen Vergleich geschildert bekommen zwischen dem deutschen und dem französischen Bergbau. Nach diesem Vergleich können wir mit Ehren bestehen.
Der zweite Punkt, dem nun die Bundesregierung besondere Aufmerksamkeit schenkt, ist mit dem bereits von mir gebrauchten Wort „Teilintegration" bezeichnet. Die Montanunion ist in doppeltem Sinne eine Teilintegration. Einerseits ist sie nur ein Teil der wirtschaftlichen Gesamtintegration, und andererseits ist diese selbst nur ein Teil der Integration überhaupt, die ihrem Kern nach politisch ist.
Gelegentlich wird es so dargestellt, als habe man bei Vertragsabschluß der Montan-Union die Teilintegration als ein sich selbst genügendes Ziel angesehen und als habe man erst in der Zwischenzeit die Schwierigkeiten entdeckt, die sich aus der Beschränkung auf eine bloße Teilintegration ergeben. Das ist völlig unrichtig. Niemals ist die Teilintegration zweier Grundstoffe für uns Selbstzweck gewesen, und niemals sind die notwendigen Unvollkommenheiten einer Teilintegration verkannt worden; das ist auch in diesen Verhandlungen eindeutig zum Ausdruck gekommen.
Aber vor fünf Jahren war eine wirtschaftliche Gesamtintegration mit der politischen Wirklichkeit nicht vereinbar. Man mußte mit einem Teilgebiet beginnen, um weiter fortzuschreiten. Man mußte sich dabei auf die Hoffnung stützen, daß gerade die Unvollständigkeit der Teilintegration den inneren Zwang zum Fortschreiten auf dem Wege zu engerer Zusammenarbeit mit sich bringen würde. Diese Hoffnung hat sich erfüllt. Wenn heute die weitere
Integration ganz überwiegend als Notwendigkeit anerkannt und gefordert wird, so hat hieran die Tätigkeit der Montangemeinschaft, die dies stärker als abstrakte Argumente anschaulich gemacht hat, einen wesentlichen Anteil.
Es entspricht also der von Anfang an verfolgten Grundkonzeption des Montanvertrags, wenn wir dafür Sorge tragen, daß die Unzulänglichkeiten der Teilintegration nicht zu einer Hemmung für die weitere wirtschaftliche Integration Europas werden, sondern eine dynamische Entwicklung zur engeren Zusammenarbeit der gesamten europäischen Wirtschaft einleiten. Dazu gibt gerade die gegenwärtige Konjunkturlage Anlaß; denn nur durch allgemeine Maßnahmen können jene Schwierigkeiten auf dem Gebiet von Kohle und Stahl überwunden werden, die in der allgemeinen Konjunkturlage ihre Ursache haben.
In der Erkenntnis dieser Sachlage ist der Ministerrat dazu übergegangen, in seinem Rahmen auch die mit den Montanfragen in Zusammenhang stehenden Transport- und Sozialfragen zu behandeln, die der Vertrag an sich dem gemeinsamen Vorgehen der Regierungen außerhalb des Vertrages überlassen hat. Vor allem aber hat der Ministerrat am 13. Oktober 1953 auf Initiative der Bundesregierung den Beschluß gefaßt, zusammen mit der Hohen Behörde die Möglichkeit einer gemeinsamen Politik der Ausweitung der Wirtschaft und der Investitionen zu prüfen. Mit diesem Beschluß, dessen Verwirklichung die Bundesregierung mit allen Mitteln fördert, haben Rat und Hohe Behörde einen Weg beschritten, der über die engen Grenzen der Teilintegration hinaus zu neuen Formen wirtschaftlicher Zusammenarbeit führen kann.
Darüber hinaus ist es ein wesentliches Anliegen, auch die von der Montangemeinschaft ausgehenden Antriebe zur politischen Ausweitung mit allen Kräften zu fördern. Schon die Gründung der Montangemeinschaft selbst war außerhalb alles Wirtschaftlichen ein politisches Faktum ersten Ranges. Kohle und Stahl waren von jeher die Grundlagen jeder militärischen Rüstung. Indem die Staaten ihre Hoheitsrechte über diese beiden Grundstoffe auf eine supranationale Gemeinschaft übertrugen, wurde insbesondere zwischen Frankreich und Deutschland die Verständigung und Aussöhnung bekräftigt und anschaulich gemacht, in welcher die Bundesregierung einen wesentlichen Bestandteil ihrer- Politik sieht.
Diese politischen Impulse einigender Art, die von der Montangemeinschaft ausgegangen sind, haben nicht aufgehört zu wirken.
Aus dem politischen Leben ist die Montangemeinschaft als ein antreibendes Moment der europäischen Einigung nicht mehr wegzudenken. Ihr verdanken wir zum großen Teil, daß diese Einigung eine werdende Wirklichkeit ist — eine kämpfende und bedrohte Wirklichkeit, aber trotz allem eine Wirklichkeit.
Im Einklang hiermit hat die Bundesregierung auch der Europäischen Politischen Gemeinschaft besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Sie begrüßt die Fortschritte, die auf diesem Gebiet gemacht worden sind, und widmet sich mit größter Energie den laufenden Arbeiten. Aus den Beratungen der Ad-hoc-Versammlung und ihres unter dem Vorsitz
des Abgeordneten von Brentano stehenden Verfassungsausschusses sind hier Entwürfe hervorgegangen, die die Grundlage aller weiteren Arbeiten bilden müssen. Auf dieser Grundlage sind denn auch inzwischen die Regierungen in gemeinsamer Arbeit bemüht, zu vereinbarten Texten zu kommen. Diese Arbeit ist noch nicht abgeschlossen. Auf das Tempo ihres Fortgangs hat natürlich auch die Tatsache eingewirkt, daß die Europäische Verteidigungsgemeinschaft noch nicht Wirklichkeit geworden ist. Doch sind bereits die Umrisse der künftigen Lösung deutlich erkennbar, in deren Mittelpunkt ein unmittelbar gewähltes europäisches Parlament steht, als stärkster Ausdruck des Einigungswillens der europäischen Völker und als der sicherlich entscheidende dynamische Faktor der weiteren Entwicklung.
Die allgemeine Erkenntnis, meine Damen und Herren, daß Deutschland seine Probleme nur im Zusammenwirken mit ihm befreundeten Mächten lösen kann, gilt auch und nicht zuletzt für das zentrale Problem der deutschen Politik: die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit. Die Spaltung Deutschlands beruht auf dem Konflikt der Großmächte. Sie ist auch nur durch ein Übereinkommen der Großmächte zu beseitigen. Die Wiedervereinigung kann also nur zu einem Teil aus eigener deutscher Kraft zustande kommen. Wäre es anders, so wäre sie — daran lassen die klaren Willenskundgebungen in allen Teilen Deutschlands keinen Zweifel — längst erfolgt.
Wir sind auch in dieser Frage immer darauf angewiesen, Bundesgenossen zu finden, die von der Rechtmäßigkeit unseres Verlangens nach Wiedervereinigung überzeugt sind, und sie zu bewegen, sich immer wieder aktiv für die Erfüllung dieses Verlangens einzusetzen. Der Bundestag und die Bundesregierung haben deshalb von Anbeginn ihrer Tätigkeit an in voller Einmütigkeit jede Gelegenheit benützt, um die Westalliierten und darüber hinaus die ganze Weltöffentlichkeit anzurufen, dem deutschen Volk sein Recht auf Einheit nicht länger vorzuenthalten. Wenn heute die ganze freie Welt davon überzeugt ist, daß die beiden Teile Deutschlands wieder zusammengeführt werden müssen, so ist das das Ergebnis der konsequenten deutschen Haltung.
Heute wird in der freien Welt nicht nur allgemein anerkannt, daß die Beseitigung der Spaltung Deutschlands eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Erhaltung und Festigung des Friedens in Europa ist, sondern es besteht auch weitgehend Übereinstimmung über den Weg, der allein zu einer Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit führen kann. Dieser Weg ist von der Bundesregierung und dem Bundestag am 10. Juni 1953 klar vorgezeichnet worden. Seine Etappen sind — lassen Sie es mich noch einmal wiederholen —: die Abhaltung freier Wahlen in ganz Deutschland, die Bildung einer freien Regierung in ganz Deutschland, der Abschluß eines mit dieser Regierung frei vereinbarten Friedenvertrags, die Regelung aller noch offenen territorialen Fragen in diesem Friedensvertrag, die Sicherung der Handlungsfreiheit für ein gesamtdeutsches Parlament und eine gesamtdeutsche Regierung im Rahmen der Grundsätze und der Ziele der Vereinten Nationen.
Die Bemühungen der Bundesregierung — lassen Sie mich damit zu Ausführungen zurückkommen,
die ich einleitend gemacht habe — haben mit dazu geführt, daß auf der Berliner Viererkonferenz der Versuch unternommen wurde, die deutsche Frage zu lösen. Dieser Versuch ist zunächst gescheitert. Die Verantwortung dafür trifft die Sowjetunion. Die alliierten Regierungen hatten in der Form des Eden-Plans, der in allen seinen wichtigen Grundzügen auf den Bundestagsbeschlüssen vom 10. Juni 1953 basiert, einen praktischen Vorschlag unterbreitet. Die Sowjetunion hat klar zu erkennen gegeben, daß sie an einer Veränderung des Status quo in Europa nur dann interessiert ist, wenn diese Veränderung zu einer Ausdehnung ihres Einflusses auf ganz Deutschland führt. Alle die, die geglaubt hatten, die Wiedervereinigung in Freiheit zu einem konkreten Preise erkaufen zu können, sehen sich enttäuscht.
Die Sowjets haben für die Wiedervereinigung in Freiheit überhaupt keinen Preis genannt, auch nicht den der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft.
Die Westmächte haben in Übereinstimmung mit den Absichten und Gedanken der Bundesregierung weiter den Versuch gemacht, die Frage der Sicherheit, die seit geraumer Zeit in der sowjetischen Propaganda eine bedeutende Rolle spielt, anzuschneiden, um damit eine entgegenkommendere Haltung der Sowjetunion in der deutschen und in der österreichischen Frage herbeizuführen. Auch auf diesem Gebiete hat sich erwiesen, daß die Sowjetunion an praktischen Abkommen über Sicherheit und Rüstungskontrolle bis jetzt nicht interessiert ist. Sie hat einfach alle Bündnisse und Gruppierungen, denen sie selbst nicht vorsteht, als aggressiv und diejenigen, die sie beherrscht, als friedliebend erklärt. Auf dieser Basis war natürlich eine Übereinkunft nicht zu erreichen. Die Sowjetunion wird der Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit erst dann zustimmen, wenn sie einsehen muß, daß ihr Programm einer weiteren Durchdringung des freien Europa nicht mehr zu verwirklichen ist und daß die Politik des Kalten Krieges am Freiheitswillen des deutschen Volkes gescheitert ist.
Der Kampf, der um die deutsche Freiheit in Berlin und in der sowjetisch besetzten Zone geführt wird, wird stärker als alles andere in der Welt das Bewußtsein erhalten, daß es sich hier um ein brennendes Problem handelt, das nicht ungelöst bleiben darf. Welchen Widerhall dieser Kampf in der Welt gefunden hat, hat erst in jüngster Zeit wieder die gemeinsame Erklärung der NATO-Staaten gezeigt, in der sie eine Anerkennung des pseudosouveränen Pankow-Regimes ablehnen.
Meine Damen und Herren! Ich fasse zusammen: Die Außenpolitik, die wir geführt haben, hat Deutschland aus der Isolierung gelöst und zu einem angesehenen vertrauenswürdigen Partner der freien Welt gemacht.
Der politische Kredit der Bundesrepublik ist unbestritten. Überwiegend wird heute in der freien Welt die Auffassung vertreten, daß man auf die Zusammenarbeit mit Deutschland nicht mehr verzichten kann. Der Weg, der sich über fünf Jahre harter und mühsamer Arbeit erstreckt, hat uns die
Befreiung unserer Produktion von den Beschränkungen und Kontrollen der ersten Besatzungszeit gebracht. Die Ruhrkontrolle ist gefallen. Unser Außenhandel entwickelt sich frei in der ganzen Welt. Unsere Sicherheit wird durch ein mächtiges weltweites Bündnissystem garantiert, das uns mit den großen Mächten der freien Welt in Freundschaft verbindet. Diese Garantie schließt auch ausdrücklich Berlin ein.
Den Ungeduldigen, den Zweiflern, den Zaudernden muß ich immer wieder die Fragen stellen: Welchen anderen Weg können Sie uns zeigen?
Hätten wir das Petersberger Abkommen etwa nicht schließen und damit Hunderte unserer wichtigsten Werke vor der Demontage bewahren und vielen Tausenden von Arbeitern die Arbeitsplätze erhalten sollen?
Hätten wir nicht dem Europarat beitreten und uns an der freien Erörterung der wichtigsten Probleme unseres europäischen Lebens beteiligen sollen?
Hätten wir der Montan-Union eine internationale Ruhrkontrolle vorziehen und zugleich die Beschränkung unserer Produktion weiter hinnehmen sollen?
Sollten wir uns als Niemandsland zwischen Ost und West bald dem Zugriff dieser, bald dem Zugriff jener Macht ausliefern?
Meine Damen und Herren, wir dürfen und wir
werden den eingeschlagenen Weg nicht verlassen.
Die Quelle des Vertrauens der Welt liegt doch darin, daß die freien Völker aus der Bereitschaft der Bundesrepublik zu einer engen Partnerschaft auf wirtschaftlichem, militärischem und politischem Gebiet die Überzeugung gewonnen haben, daß das Deutschland der Gegenwart nicht nationalistischem Egoismus verfallen und damit erneut zu einer Bedrohung seiner Nachbarn werden kann.
Deutschland ist auf seine Nachbarn angewiesen. Es kann sich gegen die drohenden Gefahren nicht allein verteidigen und behaupten, es kann aber auch seine wirtschaftlichen Kräfte nicht entfalten ohne enge Zusammenarbeit mit den freien Völkern der Welt.
Meine Damen und Herren! Alle Anstrengungen der großen Mehrheit dieses Hohen Hauses und der Bundesregierung waren in den letzten fünf Jahren darauf gerichtet, nach Kräften dazu beizutragen, daß das Werk des europäischen Zusammenschlusses gelingt. In enger Zusammenarbeit mit den Staatsmännern in Europa und in Amerika, die von der gleichen Überzeugung geleitet sind, haben wir immer wieder versucht, Schwierigkeiten, wo sie auftauchten, zu überwinden, Probleme, wo sie sich stellten, durch neue Vorschläge zu lösen. Für uns Deutsche gibt es nur diesen Weg,
um die tragische Vergangenheit Europas abzuschließen und die Menschen in Europa von der Geißel des Krieges, von der Furcht um ihre Existenz, von der Sorge um das Schicksal ihrer Kinder zu befreien.
Es gibt keine Interessengegensätze und Streitobjekte zwischen den freien europäischen Völkern,
die, gemessen an der Größe der uns aus dem Osten drohenden Gefahr, so bedeutend wären, daß wir sie nicht schnell überwinden sollten,
um den Weg frei zu machen für diesen Zusammenschluß.
Viele Generationen vor uns, auch sozialistische Generationen,
haben sich ihn schon erträumt, und er darf unter keinen Umständen an Nationalismus und Egoismus scheitern.
Die Verwirklichung der Pläne für einen europäischen Zusammenschluß immer wieder hinauszuschieben, enthält eine große Gefahr. Bestimmte, günstige Konstellationen dauern in der Geschichte nicht unbegrenzt fort
und kehren selten wieder.
Seien wir uns, meine Damen und meine Herren — und ich richte diese Worte weit über diesen Saal hinaus an alle Menschen im freien Europa, die guten Willens sind —, des Ernstes dieser Zeit bewußt und zeigen wir uns ihren Erfordernissen gewachsen, auf daß spätere Generationen uns nicht als schwächlich und leichtfertig verurteilen. Wir müssen uns darüber klar sein, daß, wenn der Zusammenschluß der europäischen Völker scheitert, die Existenz dieses Kontinents ins Wanken gerät.
Meine Damen und Herren, wir treten in die Beratung der Großen Anfrage ein. Es ist wohl kein Zweifel, daß die erforderliche Anzahl von Mitgliedern des Hauses die Besprechung verlangen.
Das Wort hat der Abgeordnete Ollenhauer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ist dankbar dafür, daß die heutige Aussprache über die Große Anfrage unserer Fraktion zur Saarfrage ausgeweitet worden ist zu einer Aussprache über die Außenpolitik der Bundesrepublik und der Bundesregierung. Wir sind mit dem Herrn Bundeskanzler darin einig, daß diese Aussprache in einem kritischen Augenblick der internationalen Situation, aber nach unserer Meinung auch in einem kritischen Stadium der Außenpolitik der Bundesregierung stattfindet.
Bevor ich auf diesen Teil der Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers eingehe, möchte ich doch darauf hinweisen, daß die Unruhe und Besorgnis, die heute das deutsche Volk erfüllen, nicht nur in dem Gefühl begründet sind, daß die Außenpolitik der Bundesregierung sich in einem sehr kritischen Stadium befindet, sondern auch darin, daß noch einige andere Ereignisse in der internationalen Politik seit dem Ende der Berliner Konferenz eingetreten sind, die wohl alle Menschen in der Welt mit Besorgnis und Unruhe erfüllen und die auch für uns von entscheidender Bedeutung sind, wenn sie auch nicht unmittelbar in die Aufgabenbereiche der Außenpolitik der Bundesregierung und der Bundesrepublik fallen.
Ich meine zunächst, daß die neueste Entwicklung der Atom- und Wasserstoffbomben alle Menschen, auch die Menschen in der Bundesrepublik, mit größter Sorge erfüllt. Werden diese modernen Waffen, über die heute die beiden entscheidenden Großmächte der Welt verfügen, in einem kommenden Konflikt eingesetzt, dann ist die physische Existenz großer Teile der Menschheit in Frage gestellt, von der Vernichtung unserer Zivilisation überhaupt nicht zu reden.
Die Entwicklung ist damit an einem Punkt angelangt, an dem die Kontrolle dieser Energien zu einer Lebensfrage der Menschheit geworden ist.
Das deutsche Volk ist in den Verhandlungen der Mächte über die Möglichkeiten zur Begegnung dieser Gefahren als Partner unmittelbar nicht beteiligt, obwohl die Instrumente dieser neuen Erfindungen auch auf deutschem Boden stehen.
Aber da es hier ja auch um unser Schicksal und um die Zukunft unserer Kinder geht, haben nach unserer Meinung die verantwortlichen Menschen in der Bundesrepublik das Recht und die Pflicht, auch in dieser Sache für das deutsche Volk zu sprechen. Wir begrüßen die durch den amerikanischen Präsidenten Eisenhower eingeleiteten Gespräche über eine Kontrolle der Atomenergie mit dem Ziel, ihre ausschließliche Verwendung zu friedlichen Zwecken sicherzustellen, und wir hoffen, daß diese Verhandlungen bald zu einem Erfolg führen. Eine solche Vereinbarung würde eine große Last von den Herzen der Menschen nehmen.
Allerdings muß hinzugefügt werden: die internationale Atomkontrolle kann und darf nur ein Teil einer Politik sein, die die allgemeine, international kontrollierte Abrüstung zum Ziel hat.
Die gegenwärtigen Debatten über die Gefahren eines neuen Krieges unter Anwendung der neuen Waffen erwecken oft den Eindruck, als ob allein eine internationale Kontrolle der Atomenergien genügte, alle Schrecken und Gefahren eines modernen Krieges zu bannen. In Wirklichkeit ist aber eine dauernde Befriedung der Welt nur möglich, wenn es zu einer allgemeinen, international kontrollierten Abrüstung kommt. Selbstverständlich kann dieses Ziel nicht durch einen einseitigen Schritt der einen oder anderen Seite erreicht werden, sondern es muß sich um eine umfassende und vereinbarte Politik aller Mächte handeln. Das ist in der gegenwärtigen Zeit zweifellos eine schwierige Aufgabe. Aber gerade angesichts der Gefahren, die sich aus dem Wettrüsten in der Welt ergeben, dürfen vor allem die demokratischen Völker in ihren Anstrengungen nicht müde werden, diese Periode durch unablässiges Drängen auf eine internationale Abrüstung abzulösen.
In dem Spiel mit Zahlen über Divisionen, Kampfgeschwader und Atombomben darf das Ziel der Abrüstung und des dauernden Friedens nicht untergehen.
Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten lehnen den Krieg als Mittel der Politik ab.
Es mag auch heute in der Welt noch Menschen geben, die Kriege als unausweichlich ansehen und die sie deshalb in die Kalkulation ihrer Politik einbeziehen.
Aber wir sind der Meinung, daß das Interesse des deutschen Volkes an der Erhaltung seiner Substanz und seiner nationalen Zukunft eine solche Möglichkeit eindeutig ausschließen sollte.
Unser nationales Interesse ist die Erhaltung des Friedens, und es gibt keine nationalpolitische Forderung des deutschen Volkes, wie schwerwiegend sie auch sein mag, deren Durchsetzung eine kriegerische Auseinandersetzung rechtfertigen könnte.
— Ich habe gesagt, was ich meine.
Wir wissen, daß der gegenwärtige Zustand der Aufrüstung von den Demokratien nicht mit aggressiven Absichten herbeigeführt wurde, sondern daß diese Aufrüstung die notwendige Konsequenz einer Politik der Verteidigung und der Erhaltung der Freiheit und der Unabhängigkeit ihrer Völker ist.
Wir haben deshalb auch wiederholt unsere Bereitschaft erklärt, an einer solchen Sicherung und Verteidigung der Demokratien mitzuwirken.
Nach unserer Auffassung behält aber eine solche Verteidigungspolitik nur dann ihre innere Berechtigung, und sie kann nur dann vor unseren Völkern mit guten Gründen vertreten werden, wenn der Charakter der Verteidigung eindeutig und unverwischt auch in der internationalen Politik der Demokratien aufrechterhalten bleibt.
Lassen Sie mich dazu ein Wort sagen. In dieser Beziehung haben uns, und ich glaube, nicht nur uns, sondern breiteste Kreise des deutschen Volkes, einige Ereignisse in der jüngsten Vergangenheit mit Besorgnis erfüllt. Ich will nur einen Fall erwähnen. Es ist hier nicht unsere Aufgabe, die amerikanische Außenpolitik anzugreifen. Ein solcher Angriff würde auch weder den Lebensinteressen des deutschen Volkes entsprechen noch in Übereinstimmung mit den freundschaftlichen Empfindungen stehen, die wir alle für das amerikanische Volk haben. Außerdem wissen wir als Deutsche und Europäer am besten, was Deutschland und Europa den großen Leistungen des amerikanischen Volkes bei ihrem Wiederaufbau nach
dem letzten Kriege verdanken. Aber mit der Besorgnis eines Freundes werfen wir die Frage auf, ob es im Sinne einer Politik der Verständigung und der Verhandlungsbereitschaft ist, so schwierige internationale Verhandlungen wie die von Genf mit so schwerwiegenden Schritten zu belasten wie jener geplanten Warnung der amerikanischen Regierung an die Pekinger Regierung, für die Mr. Dulles die Unterstützung der französischen und britischen Regierung zu erreichen versucht hat.
Wir meinen — ich möchte das in aller Offenheit sagen —, wir stehen unter Umständen vor der Gefahr, daß ein Schritt eine Kette von Ereignissen auslöst, die alle Völker in den Strudel nicht absehbarer Konflikte einbezieht.
Eine solche Politik geht auch uns an. Dieser Umstand berechtigt uns deshalb, unseren Besorgnissen Ausdruck zu geben.
Die Sowjetunion hat durch ihre Politik in Europa und in Asien nach 1945 die entscheidende Verantwortung für den gegenwärtigen Zustand zwischen Krieg und Frieden zu tragen. Niemand kann diese Verantwortung verdunkeln, leugnen oder verwischen. W i r wollen es jedenfalls nicht. Aber diese Tatsache enthebt die demokratische Welt nicht der Verpflichtung, sich immer ihrer eigenen großen Verantwortung für die Erhaltung des Friedens und die Vermeidung eines neuen Weltkrieges bewußt zu bleiben, um so mehr, als alle verantwortlichen Staatsmänner mindestens nach den Erfahrungen des zweiten Weltkriegs wissen sollten, daß ein neuer Krieg keines der Probleme lösen wird, die der zweite Weltkrieg hinterlassen hat.
Wir meinen, unter diesen Perspektiven haben wir auch die Außenpolitik der Bundesrepublik zu untersuchen.
Die Lage der Bundesrepublik ist einzigartig. Wir sind nur ein Teil Deutschlands. Deutschland ist als Folge der Differenzen zwischen den Besatzungsmächten gespalten. Wir sind in der Außenpolitik durch die Begrenzungen beschränkt, die uns heute durch das Besatzungsstatut auferlegt sind und die uns ja auch auferlegt sein werden, wenn morgen der Generalvertrag in Kraft treten sollte.
Wir fühlen uns auf der andern Seite mit der Welt des Westens verbunden. Wir stehen in einem unüberbrückbaren Gegensatz zu dem totalitären System des Bolschewismus; aber gleichzeitig wissen wir, daß wir unsere nationale Einheit nur erreichen können, wenn die westlichen Besatzungsmächte und die Sowjetunion sich in dieser Frage verständigen. Die Politik der Bundesregierung, einseitig die Integration der Bundesrepublik mit dem westeuropäischen Kontinent — bitte, nicht mit Europa! — zu betreiben,
wird dieser Aufgabe nicht gerecht. Sie hat — wenn nicht in ihrer Absicht, so doch in ihrer praktischen politischen Wirkung — die ursprünglich durch das Verhalten der Sowjetunion herbeigeführte Spaltung Deutschlands vertieft.
Es ist notwendig, diesen Tatbestand festzuhalten.
Auf der andern Seite sind die von der Bundesregierung erhofften Resultate ihrer Integrationspolitik nicht erreicht worden. Es hilft uns doch nichts, wenn man in einem Rechenschaftsbericht des Herrn Bundeskanzlers die Bilanz über die Integrationspolitik der Bundesregierung im wesentlichen damit ausfüllt, daß man von der allgemeinen Notwendigkeit europäischer Zusammenarbeit spricht.
Für eine solche Erklärung könnten Sie die Zustimmung, und zwar die volle Zustimmung, auch der sozialdemokratischen Fraktion haben, wenn Sie nicht immer wieder, in dieser Rede und in Ihrer Praxis den Begriff — den richtigen und wertvollen Begriff — der europäischen Zusammenarbeit gleichsetzten mit d e r Integrationspolitik, die Sie mit dem Westen Europas betreiben.
Das sind zwei völlig verschiedene Dinge.
Außerdem: wäre es nicht andererseits an der Zeit, mit weniger Optimismus und mit weniger allgemeinen Betrachtungen vor diesem Hause auch einmal festzustellen: was sind denn die konkreten Resultate für die Bundesrepublik und das deutsche Volk, die die Integrationspolitik der Bundesregierung und ihrer Mehrheit in diesem Hause in den letzten fünf Jahren erzielen konnte?
Ich werde einiges dazu sagen.
Ich möchte hier über das Kapitel Montan-Union nicht sprechen, weil wir in unseren Dispositionen von der Annahme ausgegangen sind, daß die gestrige Verabredung für eine getrennte Behandlung dieser Dinge auch heute morgen noch aufrechterhalten wird. Ich möchte jedoch einiges zu dem Kapitel Europäische Verteidigungsgemeinschaft sagen. Herr Bundeskanzler, Sie haben heute — von Ihrem Standpunkt aus mit Recht — in vollem Wortlaut die britische Garantieerklärung gegenüber den EVG-Partnern, insbesondere gegenüber der französischen Regierung, vorgetragen; Sie haben mit Recht auch auf die Bedeutung der amerikanischen Garantieerklärung hingewiesen. Aber ist das denn das Problem? Das wirkliche Problem in der Linie der Effektuierung der EVG war doch die Frage: Wird es möglich sein, Großbritannien für die Mitgliedschaft in der EVG zu gewinnen? Ist Großbritannien bereit, sich als ein Teil dieses integrierten Europas auf dem Gebiet der Verteidigung zu betätigen oder nicht? Alles, was an Zusagen und Garantien in der jetzigen neuen britischen Erklärung enthalten ist, mag in gewissem Sinne französischen Wünschen entgegenkommen; aber das wesentliche Ziel dieser Verhandlungen ist nicht erreicht worden. Was ist das Resultat? Es ist nicht unsere Aufgabe, hier darüber im einzelnen zu diskutieren.
— Um Ihnen die Gelegenheit zu geben, Herr
Becker, nachher als Europäer mich zu widerlegen.
Das wirkliche Problem ist doch, ob unter den heutigen Bedingungen, auch unter den Garantieerklärungen von London und Paris im französischen Parlament eine Mehrheit für die EVG-Politik erreicht werden kann.
Wie ist die Lage denn da? Sind Sie nicht beunruhigt über den Tenor der Auseinandersetzungen über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft in Frankreich,
wo die Diskussion von Anhängern und Gegnern dieser Gemeinschaft heute im wesentlichen unter dem Gesichtspunkt betrieben wird: Ist die Europäische Verteidigungsgemeinschaft eine ausreichende Kontrollinstanz für die Deutschen, oder ist sie es nicht?
Wo bleibt denn da das, was Sie europäische Partnerschaft in der Verteidigung der Freiheit in Europa nennen?
Nun ein zweites. Wir alle haben hier leidenschaftliche Diskussionen über die Frage gehabt, in welchem Ausmaß es möglich ist, dem deutschen Volk die gleiche Sicherheit zu geben wie irgendeinem anderen Volk. Wenn Sie sich daran erinnern, werden Sie wissen, daß einer unserer Einwände gegen die EVG die Auffassung war, daß die europäische Verteidigungsgemeinschaft dem deutschen Volke nicht dasselbe Maß von Sicherheit gewähren wird oder, wenn Sie wollen, gewähren kann wie den anderen Partnern von EVG und NATO. Bitte, ich möchte diese Frage heute gar nicht noch einmal theoretisch behandeln. Ich möchte Sie nur fragen, wie Sie jetzt zu diesem Problem stehen, wenn Sie sich z. B. in Erinnerung rufen eine Äußerung des höchsten militärischen Mannes der NATO, des Generals Gruenther, der in London vor ungefähr 14 Tagen in einer Diskussion oder in einer Konferenz ganz offen erklärt hat: Wir brauchen die 12 deutschen Divisionen als Schirm, hinter dem wir unsere eigenen Streitkräfte aufbauen können!—
Vielleicht ist diese strategische Überlegung des Generals Gruenther militärisch absolut richtig. Aber wo bleibt denn die Sicherheit des deutschen Volkes in der Bundesrepublik, wenn das die Politik der EVG-Anhänger ist.
— Meine Damen und Herren, gestatten Sie, daß ich im weiteren Verlauf meiner Auseinandersetzung darauf zurückkomme.
Ein Teil der Bilanz, die wir heute hier zu ziehen hätten, ist die Feststellung der Tatsache, daß einer der Partner der SechserGemeinschaft, nämlich der EVG, immer neue Bedingungen an Deutschland stellt, bevor er zur Ratifizierung bereit ist; ich meine Frankreich.
Bitte, wir können eine sehr sachliche, fundierte und ernsthafte und vielleicht nützliche Aussprache haben über den Ausgleich der französischen und deutschen Interessen an der Saar, vor allem auf dem wirtschaftlichen Gebiet. Aber darum geht es doch hier nicht. Hier geht es um die praktische politische Forderung Frankreichs, unter irgendeinem Titel vor der Ratifizierung des EVG-Vertrages sicherzustellen, daß auch in Zukunft die wirtschaftlichen Interessen Frankreichs an der Saar gewahrt bleiben, und daß das Saargebiet nicht wieder ein Bestandteil des deutschen Staatsgebietes wird.
Keine Untersuchung des van-Naters-Plans bringt Sie über diese beiden Kardinalpunkte hinweg.
Meine Damen und Herren, wieso sind wir Partner? Wenn wir Partner wären, dann prüfen wir doch die Politik des Gleichgewichts, die Sie, meine Damen und Herren, mit der Unterzeichnung des Vertrages über die Montan-Union in verhängnisvoller Weise eingeleitet haben, als Sie die Saar als einen Bestandteil Frankreichs auf ökonomischem Gebiet anerkannten, mit der Wirkung, daß heute in der Gemeinsamen Versammlung die Saarvertreter in den Reihen der französischen Delegation sitzen. Da liegen doch die Anfänge,
und da liegen die Gefahren.
Meine Damen und Herren! Es geht doch hier nicht darum — das werden Sie mir hoffentlich glauben —, daß wir einen Vorwand suchen, eine mögliche europäische Zusammenarbeit unter irgendeinem nationalistischen Gesichtspunkt zu erschweren. Was uns bewegt, ist etwas ganz anderes. Sie können ein effektives und auf Vertrauen aufgebautes Europa, eine effektive europäische Gemeinschaft, nur dann haben, wenn diese Gemeinschaft die Lebensinteressen und die Selbstbestimmung a 11 e r ihrer Partner von Anfang an respektiert.
Hier liegt das wirkliche Problem. Aber vor dieser Frage stehen Sie ja. Sie werden j a wohl vor dem 18. Mai sich entscheiden müssen, welchen Preis Sie in der Saarfrage zahlen wollen,
um möglicherweise die Ratifizierung dieses EVG-Vertrages zu erhalten.
Aber das ist nicht das einzige. Wie wird es denn sein, Herr Bundeskanzler, wenn die französische Regierung auf ihrer Forderung besteht, die Ihnen in so diskreter Weise bei der Hinterlegung der Ratifizierungsurkunden der Verträge in Paris übermittelt wurde — zum Unterschied von der anderen Behandlung der holländischen Hinterlegungsfeierlichkeit —? Herr Bundeskanzler und Sie, meine Damen und Herren von der Mehrheit dieses Hauses: was werden Sie denn tun, wenn die französische Regierung darauf besteht, daß die fünf Zusatzprotokolle auch noch durch den Bundestag ratifiziert werden? Der Vorteil wäre, daß wir alle in diesem Hause wohl endlich einmal zuverlässig wüßten, was in diesen fünf Zusatzprotokollen steht.
Aber diejenigen, die es wissen — einiges kann man auch aus den Veröffentlichungen entnehmen —, haben doch keinen Zweifel darüber, daß die verniedlichende Auffassung offizieller Regierungsstellen, es handle sich bei diesen Zusatzprotokollen nur um eine Interpretation des Vertrages, mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt. Wesentliche Bestimmungen dieser Zusatzprotokolle sind geschaffen worden, um den Rest von Integration zugunsten der Aufrechterhaltung nationaler Vorrechte Frankreichs zu beseitigen.
Und wenn Sie den Vertrag schließlich zustande bekommen werden — ich glaube, außer den zwölf deutschen Divisionen wird es wohl kaum andere wirklich europäische und integrierte Divisionen in dieser Europaarmee geben. Aber darüber brauchen wir vielleicht nicht zu reden, weil die Aussichten für die Realisierung eines solchen Verteidigungsbeitrags auf dieser Ebene mehr als gering sind.
Was wichtig ist: Wenn Sie eine objektive, nüchterne Bilanz dieser EVG-Politik ziehen, müssen Sie zugeben, daß von der Idee der Partnerschaft, die ja etwas Positives hätte sein können, in diesen Verhandlungen und im Vertrag so gut wie nichts übrig geblieben ist.
Noch ein drittes Gebiet gehört in die Integrationspolitik der Bundesregierung, nämlich die Europäische Politische Gemeinschaft. Ich habe mich gewundert, daß der Herr Bundeskanzler heute wieder solchen Optimismus — war es vielleicht nur ein offizieller Optimismus? — in bezug auf die Entwicklung der Politischen Europäischen Gemeinschaft an den Tag gelegt hat. Er hat ja gerade in dieser Beziehung einige schlechte Erfahrungen hinter sich.
Denn im Frühjahr vorigen Jahres haben Sie, Herr Bundeskanzler, hier im Bundestag uns angekündigt, daß die ersten Wahlen zu dem ersten europäischen Parlament noch vor Ablauf des Jahres 1953 stattfinden würden. Nun, inzwischen ist nur der Entwurf einer europäischen Verfassung der Ad-hoc-Versammlung im wesentlichen von den stellvertretenden Außenministern sozusagen verarztet worden, und darüber gibt es ja zwischen den Parlamentariern und den Ministern erhebliche Meinungsverschiedenheiten und Unzufriedenheiten.
Es ist kein Zweifel, daß die Aussichten für die Realisierung einer Europäischen Politischen Gemeinschaft heute auf den Nullpunkt gesunken sind.
Es mag sein, daß man wiederum zur Gewinnung einer Mehrheit im französischen Parlament für die Verträge ein Kompromiß findet, etwa in der Form einer politischen Kontrollkörperschaft. Aber Sie werden genau so gut wissen wie wir, daß eine solche Behelfskörperschaft, wenn sie zustande käme, nichts mehr oder kaum noch etwas mit der ursprünglichen Idee der Politischen Gemeinschaft zu tun haben würde.
Ich will mich gar nicht über Einzelheiten verbreiten, aber nehmen Sie alle drei Gebiete des Versuchs, Europa auf dem Wege der kleineuropäischen Integration zu gemeinsamem Handeln zu bringen! Es ist unmöglich, hier von einem Erfolg zu sprechen. Richtiger ist es, festzustellen, daß diese Politik von Tag zu Tag mehr in eine Sackgasse gerät.
Ich habe das Gefühl, daß in dieser Lage angesichts des starren Festhaltens der Regierung an dieser Politik die Gefahr besteht, daß sich die Bundesregierung durch die Starrheit ihrer Haltung selbst die Chancen verbaut, an einer Diskussion über Alternativlösungen von vornherein maßgebend mitzuwirken.
Die Einseitigkeit, mit der der Herr Bundeskanzler seine Außenpolitik führt und zu der er sich
heute wieder mit so großem Nachdruck bekannt hat, führt auch dazu, daß in der Außenpolitik der Bundesregierung die Möglichkeiten ignoriert oder jedenfalls nicht untersucht werden, die seit der Berliner Konferenz in der Frage der europäischen Sicherheit durch die russischen Vorschläge aufgetaucht sind. Bitte, der Berliner Vorschlag Molotows über ein europäisches Sicherheitssystem war unannehmbar; aber er steht heute nicht mehr in der Diskussion. Es gibt eine Note mit Änderungsvorschlägen zu diesem Sicherheitsvorschlag, und zwar mit Änderungsvorschlägen in der Richtung der von den Westmächten in Berlin geäußerten Kritik, z. B. die Anerkennung, daß die Vereinigten Staaten in ein solches europäisches Sicherheitssystem einbezogen werden sollen. Sicher bedarf auch dieser revidierte Plan eingehender Verhandlungen, und es ist keineswegs von vornherein klar, daß er unbesehen akzeptierbar wäre. Aber wo gibt es heute überhaupt in der internationalen Politik eine solche Situation? Was mich bedrückt, ist z. B. die Tatsache, daß der Herr Bundeskanzler und Außenminister heute im Zusamenhang mit dieser neuen Note des russischen Außenministers feststellt, daß diese Note von den Westmächten einhellig abgelehnt worden sei. Das ist objektiv nicht richtig. Es gibt darüber eine sehr interessante Diskussion zwischen den dreien und der Sowjetunion, um z. B. die Sowjetregierung zu veranlassen, Auskunft zu geben, was sie sich unter dem Vorschlag vorgestellt hat, daß die Sowjetunion Mitglied der NATO werden solle. Bitte, ich sage nicht, daß dieses Gespräch ein Resultat haben wird. Aber man muß doch wissen, gerade in der Situation der Bundesrepublik, daß es solche Gespräche gibt, und in der negativen, rein propagandistischen Ablehnung jedes russischen Vorschlages ohne Prüfung brauchen wir doch nun wirklich nicht die Spitzenleistungen in Europa zu vollbringen.
Meine Damen und Herren, warum mache ich diese Bemerkung? Sie werden verstehen: es geht uns hier gar nicht darum, aus irgendeinem andern als einem deutschen Grunde die Sowjetunion irgendwie in dieses Gespräch zu bringen. Aber die Sowjetunion ist Nachbar des deutschen Volkes und bleibt es; die Sowjetunion ist eine der entscheidenden Großmächte der Welt von heute; und die Sowjetunion ist eine der Besatzungsmächte Deutschlands. Eine Politik, die jeden russischen Vorschlag einfach nur als kommunistische Agitation oder als bolschewistisches Manöver abtut, ist eine gefährliche Selbsttäuschung der deutschen Politik.
Sie widerspricht den elementarsten Lebensinteressen des deutschen Volkes.
Unsere Existenz und unsere Lebensmöglichkeiten, ob uns das gefällt oder nicht, werden immer davon abhängen, daß wir auch ein Verhältnis des erträglichen Nebeneinanderlebens dieser beiden Völker finden, einfach weil wir mit dieser Frage unserer Beziehungen fertig werden müssen.
Die Regelung derartiger Beziehungen ist völlig unabhängig von der moralischen oder politischen Bewertung des inneren Systems oder der politischen Weltanschauung, die in der Sowjetunion herrschen.
Wir Sozialdemokraten haben z. B. den Kampf
gegen den Kommunismus in Deutschland und
gegen die bolschewistischen Herrschaftsvorstellungen auch in der Zeit in kompromißloser Schärfe
geführt, als die Weimarer Republik freundschaftliche Beziehungen zu der Sowjetunion unterhielt.
Das sind zwei völlig verschiedene Dinge.
Auf außenpolitischem Gebiet müssen wir aber dazu kommen, zu erkennen, daß das Problem der Beziehungen der Sowjetunion zu Deutschland und Europa nicht einfach beiseite geschoben werden kann. Wenn heute die Sowjetunion — sicher aus sehr realistischen und von ihren Interessen diktierten Überlegungen — die Frage eines umfassenden Sicherheitssystems in Europa aufwirft, haben wir nach unserer Meinung ein Interesse daran, bei allen Beteiligten darauf zu drängen, daß diese Vorschläge ernsthaft untersucht werden. Denn welche Möglichkeiten der Sicherheit auf lange Sicht für Deutschland haben wir, wenn wir nicht auch die Möglichkeit des Einbaus eines vereinigten Deutschlands in ein umfassendes Sicherheitssystem einbeziehen? Wenn es gelänge, eine solche Sicherheitsorganisation im Rahmen der Vereinten Nationen zu finden, die Deutschland einschließt und die weder von der Sowjetunion noch von den Westmächten als eine gegen sie gerichtete Bedrohung empfunden wird, dann wären wir in der Politik der Entspannung ein großes Stück weiter,
und die Aussichten für eine befriedigende Lösung der Frage der Wiedervereinigung und des zukünftigen Status Deutschlands in einem umfassenden Sicherheitssystem wären unendlich viel größer als heute.
Wir sind zu einer solchen Politik des Drängens der Bundesregierung auf neue Verhandlungen über das Deutschlandproblem und über den Sicherheitskomplex um so mehr verpflichtet, als wir von der nüchternen Tatsache ausgehen müssen, daß in bezug auf die Lösung beider Probleme alle an Deutschland interessierten Mächte auch die Frage der Wiedervereinigung zunächst unter dem Gesichtspunkt der Befriedigung ihrer eigenen Interessen in der Auseinandersetzung um die Abgrenzung der Einflußsphären in der Welt sehen.
Das heißt, wenn wir nicht dauernd aktiv eine Wiedervereinigungs- und Sicherheitspolitik betreiben, werden wir nie erreichen können, daß wir die anderen, die über diese Frage entscheidend mitzureden haben, zu der größten Aktivität und Anstrengung veranlassen.
Wir sind die letzten, die bestreiten, daß eine solche Politik Zeit und Geduld erfordert und daß es bei allen diesen Fragen keine hundertprozentige Garantie des Erfolges gibt. Aber, eines kann man heute angesichts der gegenwärtigen Lage sagen: die Diskussion einer solchen Konzeption ist in der gegebenen Lage ebensowenig — oder ebensoviel — unrealistisch wie die Integrationspolitik der Bundesregierung und ihrer Mehrheit.
In jedem Falle spricht für eine ernste Behandlung dieses Sicherheitsproblems für uns die Tatsache, daß wir bei diesen Verhandlungen den unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem internationalen Status Deutschlands und der Wiedervereinigung wiederherstellen und wahrscheinlich neue Möglichkeiten für eine Realisierung der Wiedervereinigung erschließen. Wir haben die Frage dieses inneren Zusammenhangs der beiden Probleme nach dem Ausgang der Berliner Konferenz und nach der sogenannten Souveränitätserklärung der Sowjetregierung für die sogenannte Pankower Regierung in einem neuen Licht zu sehen. Es kommt sehr darauf an, daß die Bundesrepublik in der richtigen Weise auf die Konsequenzen reagiert, die sich aus diesem Akt der Sowjetregierung gegenüber Pankow ergeben.
Ich werde über die innerdeutsche Seite, nämlich über das zukünftige Verhältnis zwischen Bundesrepublik und der Bevölkerung der Sowjetzone später noch etwas sagen. Aber es gibt in der öffentlichen Diskussion U berlegungen, die einzig mögliche und richtige Antwort auf den Schritt der Sowjetregierung gegenüber Pankow sei, daß man nunmehr der Bundesrepublik die volle Souveränität gebe. Nun, meine Damen und Herren, wir sind uns sicher alle darin einig, daß es notwendig ist, das Besatzungsregime abzulösen, und wir sind darüber hinaus der Auffassung, daß auch die Bestimmungen des Generalvertrags nicht ausreichen, um dem deutschen Volk in der Bundesrepublik die volle Freiheit in der Regelung seiner inneren Angelegenheiten zu geben. Was wir wünschen — und wir haben es früher schon gesagt —, ist ein friedensvertragsähnlicher Zustand für die Bundesrepublik, aber nicht die Etablierung dieses Teiles Deutschlands als ein selbständiges Staatsgebiet.
Denn damit würden wir die uns durch die Differenzen unter den Besatzungsmächten aufgezwungene Spaltung Deutschlands aus eigenem deutschen Entschluß oder durch einen einseitigen Akt der drei westlichen Besatzungsmächte zu einem definitiven Zustand machen.
Eine solche Entscheidung wäre mit der immer wieder von uns gemeinsam deklarierten Politik der Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit als vordringlichstem Ziel unvereinbar.
Meine Damen und Herren, Sie können mit Recht die Frage aufwerfen: Was geschieht, wenn auf der einen Seite die Integrationspolitik zu keinem Erfolg führt und wenn auf der anderen Seite die Verhandlungen über ein europäisches umfassendes Sicherheitssystem und über die Wiedervereinigung Deutschlands nicht vorankommen, wenn dann im Westen eine Art von Vakuum entsteht, das zu neuen aggressiven Absichten ermutigen könnte? Lassen Sie mich noch einmal eines hier feststellen: Selbstverständlich gibt es für die Verteidigung des Westens noch andere Möglichkeiten als die EVG,
und man sollte endlich Schluß machen mit einer Politik, die die EVG gewissermaßen zur Weltanschauung des guten Europäers erhebt.
Überall in der Welt werden öffentlich Alternativlösungen diskutiert. Es gibt genügend Stimmen in anderen beteiligten Ländern, die die sofortige Untersuchung anderer Möglichkeiten fordern.
— Bitte, lesen Sie die Presse!
Lesen Sie eine ganze Reihe von konkreten Vorschlägen, an Stelle der integrierten EVG auf einer
breiteren Basis eine Art von vertraglichem System für eine Koalitionsarmee Europas zu schaffen.
Ich komme jetzt zurück auf die Bemerkung, die ich vorhin machte: Wenn Sie in dieser Weise sozusagen bis zum letzten Strohhalm von Hoffnung um diese Konzeption kämpfen, bedeutet das — auch wenn sie nicht zum Erfolg führt —, daß die Beteiligung Deutschlands an anderen notwendigen Verhandlungen unter schlechteren Voraussetzungen erfolgt.
Ich möchte, daß wir das auch hier in diesem Stadium aussprechen; denn wir als sozialdemokratische Fraktion haben bei der letzten außenpolitischen Debatte am Schluß der Berliner Konferenz nicht nur grundsätzlich unsere Bereitschaft erklärt, an der europäischen Gemeinschaft, sondern und eingeschlossen auch an einer eventuellen europäischen Verteidigungsgemeinschaft mitzuwirken. Wir haben die konkreten Voraussetzungen genannt, die nach unserer Meinung zur Diskussion stehen sollten, und ich wünschte, es wäre endlich einmal in diesem Hause möglich, auch über solche konkreten Fragen miteinander wirklich zu diskutieren.
Das Wesentliche ist, daß in jedem Fall bei allen unseren Überlegungen über die außenpolitische Aktivität der Bundesrepublik die Frage der Wiedervereinigung Deutschlands den ersten Platz einnimmt,
und besonders dann — ich denke an Genf —, wenn diese Frage auf der internationalen Bühne in den Hintergrund zu treten scheint. Dann muß durch die Aktivität der Bundesrepublik der Ruf nach der Einheit in der internationalen Öffentlichkeit hörbar bleiben,
und nicht nur, wenn das Thema von den anderen auf die Tagesordnung gesetzt wird.
Meine Damen und Herren, sehen Sie, die entscheidende Bedeutung einer Politik der Wiedervereinigung Deutschlands auch für die Saarfrage ist das, was uns auch nach den heutigen Erklärungen des Herrn Bundeskanzlers in bezug auf seine Absichten in der Saarfrage auf das allertiefste beunruhigt.
Der Herr Bundeskanzler hat eine ganze Reihe von Voraussetzungen genannt, die nach seiner Meinung erfüllt werden müssen, ehe er und seine Regierung sich bereit sehen könnten, einer solchen sogenannten Europäisierung zuzustimmen. Aber ist das wirklich unsere Position? Können wir tatsächlich — und das ist der entscheidende Punkt — die Idee des Herrn Bundeskanzlers akzeptieren: „Da wir an den realen Machtverhältnissen an der Saar nichts ändern können, müssen wir eine Kompromißlösung finden", und zwar vor einem Friedensvertrag!
— Dieses „bis" ist ja sehr mit Fragezeichen versehen, Herr Kollege von Brentano. Aber das ist vielleicht einer Spezialbehandlung wert.
Was ich hier sagen möchte, ist folgendes: Können wir diese Grundidee, den Ausgangspunkt der Überlegung des Herrn Bundeskanzlers für ein mögliches Kompromiß annehmen, wenn wir uns nicht der Gefahr aussetzen wollen, daß diese Frage der Realität das Argument der anderen Seite wird, wenn wir über die Gebiete jenseits der Oder und Neiße reden?
Es gibt doch keine Machtpolitik von zweierlei Charakter oder moralischem Wert.
Kalte Annexion bleibt kalte Annexion.
Nur: eine Annexionspolitik eines Volkes, das unter demokratischen Aspekten lebt, trifft uns sehr viel schmerzlicher,
und zwar deshalb, weil wir fürchten, daß solche Methoden der Demokratien nicht nur in Europa, sondern in der ganzen Welt bei den Menschen und Völkern, die wir für die Demokratie gewinnen wollen, Zweifel an der Glaubwürdigkeit unserer demokratischen Ideale aufkommen lassen.
Meine Damen und Herren! Die Sozialdemokratische Partei kann in ihrer Geschichte auf glanzvolle Kapitel einer Politik der Verständigung zwischen dem französischen und dem deutschen Volk zurückblicken.
Ich denke an die Zeit von August Beb e 1 und Jean Jaurès, als diese beiden Männer — im Falle von Jean Jaurès bis zur Aufopferung des Lebens — für die deutsch-französische Verständigung eingetreten sind. Das bleibt heute unverändert bestehen. Es bleibt unsere feste Überzeugung bestehen, daß ein wirklich freundschaftliches Verhältnis zwischen dem französischen und dem deutschen Volke eine entscheidende Voraussetzung für eine europäische Gemeinschaft darstellt,
und es bleibt bestehen, meine Damen und Herren, daß die sozialdemokratische Fraktion in dem 1. Bundestag bei der ersten Saardebatte im Februar 1950 durch Dr. Schumacher einen konkreten Vorschlag gemacht hat, die wirtschaftlichen Interessen Frankreichs an der Saar durch ein weitgefaßtes Abkommen zwischen Bonn und Paris zu befriedigen und diesen Zankapfel Saar aus der Welt zu schaffen. Es ist wahrlich nicht die Schuld der Sozialdemokratie, wenn in diesen Verhandlungen nichts unternommen und nichts erreicht werden konnte.
Aber ich will die Schuldfrage gar nicht untersuchen. Sie können und dürfen jedoch in der Lage, in der wir uns befinden, ohne Friedensvertrag, mit lebenswichtigen Problemen unserer späteren endgültigen Grenzen, bei dem Zwang für das deutsche Volk — wenn es das nicht aus Überzeugung täte —, zu einer europäischen Zusammenarbeit zu kommen, keinen Schritt dieser Zusammenarbeit Europas mit Zugeständnissen erkaufen, die an die
Grundsätze nationaler Selbstbestimmung und nationaler Lebensrechte eines jeden freien Volkes gehen.
Der Herr Bundeskanzler hat geglaubt, darauf hinweisen zu müssen, daß der jetzige sogenannte van-der-Goes-van-Naters-Plan von den sozialistischen Vertretern der Beratenden Versammlung des Europarates angeregt wurde. Der einfache Sachverhalt ist der, daß auch die Sozialisten dafür waren, daß über die Zustände an der Saar, und zwar im Zusammenhang mit den Landtagswahlen an der Saar, eine Untersuchung angestellt wird. Das hätte eine nützliche Aufgabe sein können. Ich sehe nicht ein, warum wir uns da mit unserer Zustimmung verstecken sollten. Aber in dem Auftrag der Beratenden Versammlung lag nicht die Aufgabe, ein neues System für die Zukunft zu entwickeln.
Als dieser Auftrag eigenmächtig erweitert worden ist, haben jedenfalls wir deutschen Sozialdemokraten eindeutig dagegen Stellung genommen. Da ich diese Bemerkung auch schon an anderer Stelle gehört und gelesen habe, wollte ich hier diese Sache aus der Welt schaffen; vielleicht gelingt das doch.
Wie gesagt, es geht nicht um den mehr oder weniger guten Willen zum Entgegenkommen, auch nicht um den mehr oder weniger guten europäischen Geist, sondern es geht um diese elementaren Grundrechte, und es handelt sich darum, daß keine deutsche Teilregierung und auch keine Besatzungsmacht das Recht haben, vor Abschluß eines Friedensvertrags über deutsche Gebiete und deutsche Bevölkerungsteile zu verfügen. Das gilt nach jeder Seite hin. Jeder Schritt abseits von diesem Wege, auch wenn er unter der falschen Flagge der Europäisierung erfolgt, ist ein unstatthafter Vorgriff auf die friedensvertragliche Regelung mit unabsehbaren Konsequenzen.
Die Frage, ob man den Preis zahlen soll, der da für die Ratifizierung gestellt ist, ist nicht von uns aufgeworfen worden. Was ich bedauere, ist, daß sich die Bundesregierung vor diese Frage hat stellen lassen und bereit ist, sie so zu beantworten, wie der andere Partner sie stellt.
Das ist das wirkliche Problem.
— Herr Gerstenmaier, ich habe gesagt, daß die Bundesregierung vor diese Frage gestellt ist — —
— „und bereit ist", das habe ich gesagt. Der Bundeskanzler ist unter bestimmten Voraussetzungen bereit, einer solchen Lösung zuzustimmen.
— Ich habe mich bezogen auf die Äußerung des Herrn Bundeskanzlers heute. Sie können doch nicht bestreiten, daß jetzt die Saarfrage in dieser
dramatischen Zuspitzung vor uns steht, weil für die Franzosen die Erledigung dieser Frage eine Voraussetzung für die Ratifizierung des EVG-Vertrags im Parlament ist.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum letzten Teil meiner Ausführungen kommen.
— Herr Gerstenmaier, vielleicht können Sie sich nachher zum Wort melden; das macht die Sache für uns beide und wohl für das ganze Haus interessanter.
Ich möchte zum letzten Teil meiner Ausführungen kommen. Wir stehen in dieser Debatte vor der Aufgabe, uns mit den Konsequenzen auseinanderzusetzen, die sich für die Bundesrepublik aus dem neuen Status ergeben und die durch die sogenannte Souveränitätserklärung für die Pankower Regierung entstanden sind oder noch entstehen. Ich bedauere sehr, daß der Herr Bundeskanzler, obwohl er vor dem 7. April damit einverstanden war, daß wir die Aussprache über dieses Kapitel heute hier führen, so wenig über die Vorstellungen und Absichten der Bundesregierung in bezug auf dieses Problem gesagt hat. Ich möchte darlegen, was jedenfalls wir Sozialdemokraten in diesem Augenblick an Maßnahmen, Schritten und Vorstellungen für notwendig halten.
Der Deutsche Bundestag hat am 7. April erklärt, das deutsche Volk werde sich niemals mit der Spaltung Deutschlands abfinden und die Existenz zweier deutscher Staaten hinnehmen. Daß die Deutschen in der sowjetisch besetzten Zone diese Auffassung voll und ganz teilen, haben sie im Juni vorigen Jahres auf erschütternde Weise kundgetan. Die Arbeiter Mitteldeutschlands, die in den Junitagen 1953 die Arbeit einstellten, um ungeachtet der Gewaltherrschaft mit der Waffe des Streiks für die deutsche Einheit in Freiheit zu demonstrieren, haben den Anspruch der Sowjetzonenregierung zuschanden gemacht, sie verträte die Bevölkerung dieser Zone.
Aber um so ernster müssen wir die Aufgabe nehmen, diese Deutschen davor zu bewahren, unwiderruflich zur Unfreiheit verdammt zu bleiben. Der Deutsche Bundestag kann sich deshalb nicht darauf beschränken, gegen die verwerflichen Manipulationen der sowjetischen Besatzungsmacht und ihrer Schutzbefohlenen Verwahrung einzulegen. Er ist und bleibt verpflichtet, mit allen Kräften dahin zu wirken, das Auseinanderfallen Deutschlands in endgültig voneinander getrennte Staaten zu verhindern, nicht zuletzt auch um der Deutschen in der sowjetisch besetzten Zone willen.
Meine Damen und Herren, für die Deutschen in dieser Zone bedeutet es gewiß viel, zu wissen, daß wir sie weder vergessen noch aufgeben. Aber es ist für sie und für uns alle lebensnotwendig, daß sie in ihrem täglichen Leben spüren, wie sehr wir uns ihnen und der Einheit Deutschlands verpflichtet fühlen.
Also nicht nur Bekenntnisse zur Einheit, sondern Überwindung der Hindernisse, die immer wieder gegen die Verwirklichung der Einheit aufgerichtet werden! Die staatliche Einheit Deutschlands, auf
die wir Deutschen Anspruch haben und die wir uns weder unter dem Deckmantel der sogenannten Europäisierung deutschen Staatsgebiets noch unter dem Deckmantel einer angeblich souveränen sogenannten Arbeiter- und Bauernregierung auf einem Teil deutschen Bodens abkaufen oder abzwingen lassen, herzustellen, ist und bleibt die vordringlichste Forderung des ganzen deutschen Volkes.
Wir wissen, wie sehr die Verwirklichung dieser Forderung von der Herbeiführung und Sicherung friedlicher Verhältnisse abhängt. Wir bleiben uns auch bewußt, daß es wahrscheinlich unausweichlich ist, auch eine Reihe anderer Streitfragen, über die ich schon gesprochen habe und die auch zwischen den Besatzungsmächten bestehen, zu regeln, um für die Lösung der deutschen Frage die erforderliche Atmosphäre zu schaffen. Aber unabhängig davon gibt es gewisse innerdeutsche Voraussetzungen, die entweder erhalten oder geschaffen werden müssen, um die Bedingungen zur Herstellung der deutschen Einheit zu verbessern. Für die Erhaltung oder Schaffung dieser Voraussetzungen müssen sowohl die Deutschen selbst als auch die Besatzungsmächte ihren Beitrag leisten. Wenn sich zur Zeit die Besatzungsmächte, wie wir glauben, ernste Versäumnisse in dieser Beziehung zuschulden kommen lassen, so muß der Deutsche Bundestag seine Stimme erheben.
Die westlichen Besatzungsmächte haben in den letzten Wochen in einem Briefwechsel ihrer Hohen Kommissare mit dem russischen Hohen Kommissar über Erleichterungen im innerdeutschen Verkehr über die Demarkationslinie kein Einvernehmen erzielt, nachdem der sowjetische Hohe Kommissar erklärt hat, solche Verhandlungen seien nicht Angelegenheit der Besatzungsmächte, sondern der Regierungen beider Teile Deutschlands. Die Auseinandersetzung über diesen Punkt wurde durch die Aufkündigung bisheriger Abmachungen für die Militärmissionen anderer Staaten als der Besatzungsmächte beim Alliierten Kontrollrat noch weiter kompliziert. Sie sind durch die sowjetische Hohe Kommission und durch den Anspruch der Sowjetzonenregierung gekündigt worden, künftig Paßformalitäten und Transitabkommen mit anderen Staaten selbst regeln zu wollen. Nun, abgesehen von dem, was der Deutsche Bundestag zur Verleihung dieser sogenannten Souveränitätsrechte am 7. April grundsätzlich erklärt hat, möchten wir folgendes feststellen. Die Besatzungsmächte, die im Jahre 1945 Besatzungszonen errichtet haben und bis heute an der zwischen der sowjetischen Besatzungszone und den drei westlichen Besatzungszonen gezogenen Demarkationslinie festgehalten haben, sind für die aus dieser Politik für das innerdeutsche Leben entstandenen Folgen verantwortlich.
Ungeachtet aller irreführenden Diskussionen über angebliche Souveränitätsrechte für den einen oder für den anderen haben die Besatzungsmächte sich ja auch beiderseits Rechte vorbehalten, die Deutschland als Ganzes betreffen. Auf beiden Seiten, sowohl auf der Seite der Westmächte wie auf der Seite der Sowjetunion, beziehen sich die Besatzungsmächte auf den Kern ihrer Abmachungen vom Jahre 1945. Nachdem die sowjetische Besatzungsmacht in ihrer Erklärung vom 25. März ausdrücklich die Funktionen für sich beansprucht, die mit der Gewährleistung der Sicherheit in Zusammenhang stehen und sich aus den Verpflichtungen ergeben, die der Sowjetunion aus dem Viermächte-Abkommen erwachsen, hätten unseres Erachtens
die drei westlichen Besatzungsmächte die Pflicht gehabt, bei der Sowjetregierung auf eine Klärung und Feststellung des Inhalts und der Konsequenzen dieser Formulierung zu drängen.
Wir bedauern, daß sie auf die Herbeiführung einer solchen Klärung verzichtet haben. Nach wie vor halten wir es für notwendig, daß die Bundesregierung von den Besatzungsmächten eine solche Definition der Verpflichtungen der vier Besatzungsmächte bezüglich Deutschlands als Ganzem fordert. Wir halten das sowohl im Hinblick auf die Verpflichtung der Besatzungsmächte zur Beseitigung der Spaltung Deutschlands für notwendig als auch im Hinblick auf die Gewährleistung eines möglichst reibungslosen und möglichst umfangreichen innerdeutschen Verkehrs über die Demarkationslinie.
Die Bundesregierung darf sich nach unserer Auffassung nicht damit abfinden, daß die drei westlichen Besatzungsmächte kürzlich erklärt haben, sie hielten weitere Bemühungen um Verhandlungen mit der vierten Besatzungsmacht über die Erleichterungen im innerdeutschen Verkehr für zwecklos. Die Besatzungsmächte müssen in dieser für das deutsche Volk außerordentlich schwierigen Situation vor die Forderung gestellt werden, durch Viermächte-Abkommen den Rahmen für die dann zwischen den beiderseitigen deutschen Behörden zu regelnden Modalitäten im Verkehr über die Zonengrenze zu schaffen.
Wenn die drei westlichen Besatzungsmächte auf ihrer Weigerung beharren, diese Diskussion weiterzuführen, dann muß die Bundesregierung verlangen, ausdrücklich verlangen, daß die Besatzungsmächte in aller Form erklären, es sei künftig Sache der Bundesregierung, Wege zu finden, um die Voraussetzungen für den innerdeutschen Verkehr der Menschen untereinander zu sichern.
Aber auch in diesem Fall sind die Besatzungsmächte nicht von ihren Verpflichtungen in bezug auf Deutschland als Ganzes entbunden.
Wenn wir von innerdeutschem Verkehr sprechen, so verstehen wir darunter die Beziehungen zwischen den Deutschen beider Teile in jeder Beziehung; wir sind der Auffassung, daß diese Beziehungen nicht schlechter werden sollten, als sie es zur Zeit sind. Vielmehr liegt es im Interesse der Entspannung der internationalen Gegensätze, auch auf deutschem Boden eine Verbesserung dieser innerdeutschen Beziehungen in der Richtung normaler Beziehungen anzustreben.
Meine Damen und Herren, wir warnen davor, diese Fragen dadurch zu komplizieren, daß man sie mit der sogenannten Anerkennung verquickt. Es kann sich bei der Regelung dieser innerdeutschen Verkehrsbeziehungen weder um eine völkerrechtliche noch um eine politische oder moralische Anerkennung von Pankow handeln.
Wenn auf sowjetzonaler Seite der erpresserische Versuch gemacht wird, die derzeitige Sowjetzonenregierung in eine sozusagen völkerrechtlich anerkannte Verhandlungsposition zu bringen, so darf dieses Spiel auf unserer Seite nicht noch — wenn auch vielleicht zumeist ungewollt — dadurch er-
leichtert werden, daß man Staatssekretäre und andere Sprecher der Bundesregierung deklamieren läßt, man werde sich niemals mit den Vertretern der Sowjetzonenregierung an einen Tisch setzen, um mit ihnen über Fragen zu verhandeln, die den innerdeutschen Verkehr betreffen und die auch in der Vergangenheit behandelt worden sind.
Für die Elemente, die die Politik der Sowjetzonenregierung ausführen, mag es ohne moralische Bedeutung sein, ihren politischen Erpressungsversuchen zuliebe die innerdeutschen Beziehungen zeitweise auf den Nullpunkt herabzudrücken. Sie waren es ja auch, die schon im Jahre 1952 den dreifachen Zonensperrgürtel gezogen haben. Aber für die Organe der Bundesrepublik ist die Verantwortung auch für die Deutschen in der sowjetischen Zone etwas Reales.
Wir haben die unausweichliche Pflicht, alles zu tun, um die Beziehungen der Deutschen über die Demarkationslinie hinweg nicht einfrieren zu lassen, sondern sie so lebendig wie möglich zu gestalten und zu erleichtern.
Wenn es in diesem Zusammenhang überhaupt etwas anzuerkennen gibt, so ist das einzig und allein die Notwendigkeit, nicht zuzulassen, daß die Verbindungen zwischen den Deutschen beider Teile Deutschlands gedrosselt werden.
In diesem Zusammenhang sollten wir nicht vergessen, welche Pflichten wir gegenüber Berlin haben, dessen Verbindungen zu Westdeutschland und zu der übrigen Welt so wichtig sind, daß wir sie auch nicht durch irgendwelche abwegige Diskussionen über sogenannte Anerkennungsformalitäten gefährden sollten. Niemand kann von uns, von den Deutschen in der Bundesrepublik erwarten oder verlangen, irgendein Zeichen der Sympathie oder rechtlichen Anerkennung gegenüber den Gewalthabern der sowjetischen Besatzungszone zu geben. Aber andererseits kann auch niemand von uns erwarten oder verlangen, daß wir den politischen Manipulationen der Sowjetzonenmachthaber ausweichen und unsere Verpflichtungen gegenüber den Menschen in der Zone vernachlässigen.
An dieser Stelle möchte ich auch ein Wort an die russische Regierung richten. Wir erinnern uns noch an die Erklärungen, die Anfang Juni vorigen Jahres gegeben wurden und die darin gipfelten, es solle nunmehr auch von sowjetzonaler Seite dahin gewirkt werden, die Annäherung der beiden Teile Deutschlands zu erleichtern. Diese Worte wurden kürzlich von dem stellvertretenden sowjetischen Ministerpräsidenten Mikojan in Berlin wiederholt und als Aufgabe der Sowjetzonenregierung hingestellt. Wir müssen feststellen und wir müssen darauf hinweisen, daß die derzeitige Praxis der Sowjetzonenregierung in genau entgegengesetzter Richtung läuft.
Wenn sich die Sowjetregierung nicht dem Verdacht aussetzen will, daß es sich für sie nur um ein Spiel mit Worten handelt, dann muß sie aktiv werden, um eine andere Haltung der Sowjetzonenregierung in diesen Fragen des Verkehrs der Menschen zwischen den Zonen herbeizuführen. Die Sowjetregierung kann nicht daran vorübergehen, daß das deutsche Volk sich weder volksdemokratisieren noch sowjetisieren lassen will. Wenn sie das ihrige
zur friedlichen Lösung der deutschen Frage beitragen will, dann ist hier der erste praktische Schritt möglich; und dieser erste praktische Schritt muß auch getan werden, um den guten Willen und den guten Glauben unter Beweis zu stellen.
Ich komme zum Schluß. Wir haben es für notwendig gehalten, bei dieser außenpolitischen Debatte möglichst auf die konkreten Fragen einzugehen, die heute im Vordergrund des Interesses stehen, vor allem auf die Fragen, die sich aus der sogenannten Souveränitätserklärung der Sowjetunion für die Pankower Regierung ergeben können. Sicher bedarf es auch hier noch eingehender Untersuchungen und Beratungen, um die besten Mittel und Wege ausfindig zu machen, die uns die Aufrechterhaltung eines möglichst umfassenden Kontaktes mit der Bevölkerung der Sowjetzone ermöglichen. Ich möchte in diesem Zusammenhang sagen: wir bedauern es sehr, daß die zur Behandlung dieser Probleme im Einvernehmen mit dem Herrn Bundeskanzler für gestern in Aussicht genommene Sitzung des Außenpolitischen Ausschusses ohne Angabe von Gründen abgesagt worden ist.
Es mag Gründe geben. Aber ich stelle hier fest: in der Diskussion im Auswärtigen Ausschuß waren sich alle Mitglieder des Ausschusses und der Bundeskanzler selber darüber einig, daß es einen großen praktischen Sinn hätte, vor der heutigen Debatte im Ausschuß zu diskutieren. Ich kann nur die Hoffnung aussprechen, vor allen Dingen auch nach den sehr allgemein gehaltenen Bemerkungen des Herrn Bundeskanzlers,
daß darin nicht ein Zeichen dafür liegt, daß die Regierung nicht bereit ist, in diesen konkreten Fragen in der nächsten Zeit aktiv zu werden. Ich hätte die Frage nicht aufgeworfen, wenn sie sich nicht durch diese Umstände einfach aufgedrängt hätte.
Im ganzen gesehen ergeben sich für uns aus der Prüfung der gegenwärtigen internationalen Situation für die auswärtige Politik der Bundesrepublik vor allem zwei vordringliche Verpflichtungen: erstens die Durchführung einer Politik, die in jedem Falle und unter allen Umständen dem ständigen aktiven Bemühen für eine Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit vor allen anderen Überlegungen den Vorrang gibt, zweitens eine Politik der Bundesregierung, die aktiv jede ernsthafte Bemühung in der internationalen Politik unterstützt, die auf eine Entspannung und auf die Festigung des Friedens hinausläuft. Nur unter diesen Voraussetzungen können wir die uns gestellte nationalpolitische Aufgabe der Wiedervereinigung Deutschlands und unsere Verpflichtungen gegenüber den anderen Völkern der Welt erfüllen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete von Brentano.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst darf ich zu dem letzten, was Herr Kollege Ollenhauer gesagt hat, ein persönliches Wort sagen. Ich selber war es, der die Absetzung dieser Ausschußsitzung beantragt hat, nicht wissend, daß eine solche Vereinbarung zustande gekommen war, und nur deswegen, weil wir und die
anderen Fraktionen an diesem Mittwoch Sitzungen hatten, die der Vorbereitung der heutigen Sitzung dienen sollten. Ich habe nicht ein einziges Wort des Widerspruchs gehört. Wenn mir der Vorsitzende oder in seiner Abwesenheit der stellvertretende Vorsitzende eine Mitteilung gemacht hätte, daß eine solche Vereinbarung bestand, hätte ich sofort den Antrag zurückgenommen. Wenn also schon eine Verantwortung für die Absetzung dieser Sitzung vorliegt, dann nehme ich sie auf mich; es war kein böser Wille der Bundesregierung.
Aber nun zur Sache, meine Damen und Herren! In seiner Begründung hat mein Freund Kopf schon darauf hingewiesen, daß es auch unser Wunsch war, dem Herrn Bundeskanzler die Möglichkeit zu geben, vor dem Deutschen Bundestag einen Überblick über die gesamte politische Lage zu geben, wie wir sie von hier aus zu sehen vermögen, und ich begrüße es, daß der Herr Bundeskanzler von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht hat.
Die Vierer-Konferenz, über die wir hier in diesem Raum schon einmal gesprochen haben, und die Genfer Konferenz, die in diesen Tagen eröffnet wurde, zeigen uns, wie sehr die ganze weltpolitische Lage unter einem Spannungszustand steht, der zwar in einzelnen Tatbeständen seinen Ausdruck findet, aber Tatbeständen, die doch nur im Zusammenhang gesehen werden können. Hier stimme ich dem zu, was der Herr Bundeskanzler sagte und was auch der Herr Kollege Ollenhauer aufnahm: wir können die einzelnen politischen Probleme, die sich heute stellen, nicht voneinander lösen; sie überlagern sich wie konzentrische Kreise, und wir können höchstens in eine Diskussion über die Wertigkeit des einzelnen Problems eintreten. Da entscheiden subjektive Maßstäbe, und es ist klar, daß für uns, daß für jeden Deutschen die Fragen der Spaltung Deutschlands und der Spaltung Europas eine entscheidende Rolle spielen und im Vordergrund aller politischen Erwägungen stehen. Wir würden aber, glaube ich, der Lage nicht gerecht und würden Gewichte verschieben, wenn wir nicht erkennen, daß diese zentrale Bedeutung eines Teilproblems, wie sie sich für uns äußert, nicht bedeutet, daß dieses Problem nun von der gesamten Welt in dieselbe Kategorie der Wichtigkeit eingesetzt wird. Ich sage das nur, weil ich glaube, daß wir uns dann sachlich über die gesamte Problematik zu äußern vermögen.
Ohne Einschränkung stimme ich dem Herrn Bundeskanzler zu, wenn er auch heute wieder mit großem Nachdruck und mit großem Ernst betont hat, daß wir uns nicht davon abbringen lassen dürfen, den beschrittenen Weg der Politik entschlossen und unbeirrbar weiterzugehen. Ich glaube, daß gerade für unsere heutige Lage wie selten zuvor das Wort gilt, daß Stillstand Rückschritt bedeuten würde. Wir wollen diese Politik der europäischen Zusammenarbeit konsequent fortführen, wobei ich mit Ihnen, Herr Kollege Ollenhauer, durchaus der Meinung bin, daß die Art der Zusammenarbeit diskutiert werden kann und daß die Integration, so wie wir sie sehen, durchaus nicht den einzigen Weg der Zusammenarbeit darstellt, wohl aber bis zum Beweis des Gegenteils den besten. Wir wollen diese Politik der europäischen Zusammenarbeit konsequent fortführen, damit Europa stark wird. Das bedeutet — das möchte ich auch hier einmal gegenüber törichten oder böswilligen Unterstellungen aussprechen —
nicht ein Bekenntnis zur Politik der Stärke im Sinne der brutalen Machtbedrohung oder der Provokation. Wer sich zu einer Politik der Stärke in diesem Sinne bekennt, bekennt sich zu der Politik der Selbstbehauptung und lehnt damit ja gerade eine Politik der Drohung mit Gewalt, eine Politik der Provokation ab.
Ich meine, niemand erkennt das besser als die Sowjetunion, die ja bisher einen recht leidenschaftlichen und leider nicht immer erfolglosen Kampf gegen diese Politik der Zusammenarbeit geführt hat. Aber soll man es ihr denn verargen? Erlauben Sie mir diese Frage. Von ihrem machtpolitischen, auf Expansion und Eroberung gerichteten Denken her hat auch die Sowjetunion recht, wenn sie jeden Versuch unternimmt, diese europäische Zusammenarbeit zu stören, insbesondere solange man ihr in Europa selbst ein Schauspiel bietet, das geeignet zu sein scheint, ihre Absichten nicht nur zu fördern, sondern sogar zu verwirklichen.
Denen, die die Politik der Stärke bekämpfen, möchte ich auch heute wieder die Frage stellen, ob wir uns denn konsequenterweise zu einer Politik der Schwäche, und das bedeutet: zu einer Politik der Selbstaufgabe, bekennen sollten.
Noch vor ein paar Tagen hat der amerikanische Präsident Eisenhower auf einem Festbankett des Kongresses der amerikanischen Zeitungsverleger gesprochen. Erlauben Sie mir ein kurzes Zitat — mit Genehmigung des Herrn Präsidenten — aus dieser Rede:
Die Aggression ist noch immer eine furchtbare Wirklichkeit, obwohl auf allen Kontinenten und Inseln der Welt die Menschheit nach Frieden hungert. Dieser universelle Hunger muß gestillt werden. Entweder bauen die Völker zusammen am Frieden, oder sie werden eines nach dem anderen gezwungen werden, einen aufgenötigten Frieden hinzunehmen, wie er heute von den kommunistischen Mächten nicht anders als einst von Hitler gesucht wird.
Meine Damen und Herren, wer in einer solchen Äußerung ein Bekenntnis zu einer Politik der Stärke sieht, dem muß ich zugeben, daß ich mich in diesem Sinne auch zur Politik der Stärke bekenne.
Aber wie wenig eine solche Politik mit einer aggressiven Absicht zu tun hat, geht ja auch aus der wiederholten Erklärung hervor, die ich auch heute wieder aufnehme, daß wir — gerade auch wir — bereit sind, jeden Pakt, jeden Vertrag, jedes System zu billigen, es selbst anzunehmen, ihm beizutreten oder zuzulassen, daß andere es vereinbaren, das Sowjetrußland das Gefühl der Sicherheit gegen Aggression und Bedrohung vermitteln könnte, wobei ich völlig dahingestellt sein lasse, ob dieses Gefühl der Bedrohung echt oder vorgetäuscht ist. Die letzten Diskussionen bei der Vorlage des sowjetrussischen Budgets, die man lesen konnte, vermitteln mir nicht die Überzeugung, daß dieses Gefühl der Bedrohung tatsächlich echt und begründet ist.
Aber ich meine trotz des Widerspruchs des Herrn Kollegen Ollenhauer, daß wir in der Erkenntnis der Notwendigkeit der Zusammenarbeit der freien Völker und insbesondere der Völker Europas weitere Fortschritte gemacht haben. Ich erinnere an die von dem Herrn Bundeskanzler schon zitierte Erklärung des britischen Außen-
ministers über die Bereitschaft der englischen Regierung zu einer Assoziation mit den Staaten der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft. Ich bin vermessen genug, anzunehmen, daß diese Erklärung wohl nicht abgegeben worden wäre, wenn man auch in London der Überzeugung wäre, wie sie hier vertreten worden ist — mit einem gewissen Gefühl der Befriedigung vertreten worden ist, wie ich mit Bedauern feststelle —, daß die Politik der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft bereits zum Sterben verurteilt sei.
Ich entnehme dieser Erklärung der englischen Regierung zwei Dinge: einmal, daß Großbritannien in seiner Abschätzung der Weltlage sich fortan die Politik des Gleichgewichts — und das ist ja das, was man in anderer Sprache auch „Koexistenz" zu nennen pflegt — nicht mehr auf der innereuropäischen Ebene, sondern nur noch auf der interkontinentalen Ebene vorzustellen vermag, und zum anderen, daß Großbritannien sich wohl keine Situation vorstellen kann, in der nicht eine Beteiligung des in der Atlantischen Gemeinschaft gesammelten Gewichts am europäischen Aufbau erforderlich wäre. Herr Kollege Ollenhauer hat diese Erklärung kritisiert und gesagt, sie sei gar nichts, denn sie bedeute ja nicht den Beitritt Englands zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft. Nun, meine Damen und Herren, das wissen wir schon seit zwei Jahren, daß England der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft nicht beitritt. Seine Unterschrift steht ja auch nicht unter dem Vertrag, und diese Erklärung lediglich dahin auszulegen, daß das damit sichtbar würde, scheint mir doch ein wenig verspätet zu kommen. Es ging darum, ob sich England, so wie es das in Aussicht gestellt hat, dieser Verteidigungsgemeinschaft in einer engen und unauflöslichen Weise assoziieren würde, und diese Voraussetzung ist, wie ich meine, in einer Weise erfüllt worden, wie vielleicht gerade Sie, Herr Kollege Ollenhauer, das noch vor kurzer Zeit nicht für möglich gehalten hätten.
Aber die Aufnahme der Erklärung bei den verschiedenen Kritikern hat wieder einmal gezeigt,
daß es sehr schwer ist, es allen recht zu machen.
Ich las noch vor kurzem eine französische Pressestimme, allerdings in einer Zeitung, die für ihre erklärt antieuropäische Haltung bekannt ist. Da hieß es im ersten Satz, dieses Assoziationsabkommen bedeute gar nichts und werde das innere Leben und den Bestand der Gemeinschaft gar nicht berühren, und im zweiten Satz wurde dann gesagt, daß durch das Abkommen Großbritannien einseitig in die Lage versetzt wäre, insbesondere auf dem Wege über die Rüstungsproduktion, den deutschen Einsatz weitgehend mitzubestimmen. Meine Damen und Herren, wenn der erste Satz richtig war, dann mußte der zweite falsch sein, und umgekehrt.
Das war eine Stimme aus Frankreich, und der Herr Kollege Ollenhauer hat vorhin gefragt, ob wir uns nicht auch Sorgen machten, wenn wir die kritischen Stimmen aus Frankreich hörten, die der Politik der europäischen Integration, so wie sie uns und der Bundesregierung vorschwebt, widersprechen. Ich möchte darauf jetzt antworten. Herr Kollege Ollenhauer, ich versichere Ihnen, daß wir uns sehr große Sorgen machen, wenn wir hören, wie drüben Gaullisten vom Schlage des Herrn Palewski, Kommunisten vom Schlage des Herrn
Duclos und andere wie Herr Herriot oder Herr Daladier, um nur einige zu nennen, dieser europäischen Integration leidenschaftlich Widerstand leisten. Aber, Herr Kollege Ollenhauer, erlauben Sie mir eines zu sagen. Ich bin überzeugt, daß sehr viele, die in Frankreich, in Belgien und in Holland die Integration mit derselben Leidenschaft vertreten wie wir — und das sind auch Ihre sozialistischen Freunde in diesen drei Ländern —, Ihre Äußerungen mit derselben Sorge verfolgen wie wir die französischen.
Ich erinnere auch — und auch das hat der Bundeskanzler bereits gestreift — an die Erklärung des amerikanischen Präsidenten Eisenhower über die Zusammenarbeit der NATO mit der EVG. Meine Damen und Herren, der amerikanische Präsident hat hier eine weittragende Erklärung abgegeben. Ich weiß nicht, ob sie in ihrer Bedeutung allen ganz bewußt geworden ist. Der amerikanische Präsident hat in dieser Erklärung auch gesagt — ich bitte, den letzten Satz aufmerksam nachzulesen; er ist im Bulletin veröffentlicht —, daß nur im Falle einer effektiven und wirksamen europäischen Zusammenarbeit mit einer langfristigen Beteiligung der Vereinigten Staaten an der europäischen Politik zu rechnen sei. Dieser Satz sollte auch allen denen zu denken geben, die sich bisher immer wieder mit der ebenso apodiktischen wie unlogischen Feststellung selbst betrogen haben, daß die Vereinigten Staaten sich ja gar nicht aus der europäischen Politik lösen und Europa weder politisch noch militärisch noch strategisch sich selbst überlassen könnten. Meine Damen und Herren, vielleicht ist die Gefahr, daß das geschieht, größer, als mancher auch in diesem Hause ahnt.
Es kann einer falschen deutschen Politik sehr leicht gelingen, Deutschland zu isolieren, und es kann auch — das sage ich, ohne zu kritisieren — einer falschen französischen Politik ebenso leicht gelingen, die europäische Politik zum Scheitern zu bringen. Gemeinsamen Anstrengungen der Unvernunft in Europa kann es gelingen, die gesamte europäische Politik zu gefährden, damit den europäischen Kontinent zu isolieren und die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß er vielleicht in Kürze zum politischen und später zum militärischen Operationsfeld anderer Mächte wird.
Wir sollten bei diesen Erwägungen auch die innenpolitische Entwicklung Deutschlands nicht aus dem Auge verlieren. Ich glaube, es wäre sehr kurzsichtig und sehr falsch, zu glauben, daß die Stellung, die wir uns wieder errungen haben, politisch und wirtschaftlich, so sicher und beständig sei, daß wir sie nun allein . und aus eigener Kraft auf die Dauer zu halten vermöchten. Ein isoliertes Deutschland würde in kürzester Frist mit wirtschaftlichen Krisen zu kämpfen haben, die es niemals allein überstehen könnte. Aber noch gefährlicher könnten und müßten politische Krisen werden. Wenn die Politik der europäischen Zusammenarbeit nicht erfolgreich fortgeführt wird, dann wird die Enttäuschung in allen beteiligten Ländern, auch in denen, die bereits ratifiziert haben — Holland, Belgien und Luxemburg —, ihren Ausdruck darin finden, daß aus dem Gefühl der Isolierung heraus eine rückläufige Entwicklung zum Nationalismus folgt. Eine solche Entwicklung
wäre ebenso verständlich wie verhängnisvoll; verständlich deswegen, weil die Menschen ja dann erneut in der Angst leben würden, nur von Feinden umgeben zu sein, denen sie ausschließlich mit der äußersten Anspannung aller nationalen Kräfte begegnen zu können glaubten; und verhängnisvoll deswegen, weil diese Entwicklung der endgültige Sieg der russischen Außenpolitik sein müßte, die ja nur dann gedeihen kann, wenn die freie Welt sich untereinander schwächt und ihre wirtschaftlichen und politischen Kräfte zersplittert, anstatt sie zur gemeinsamen Erhaltung und Entfaltung zusammenzuführen.
Meine Damen und Herren, ich wiederhole, daß ich mit dem Herrn Kollegen Ollenhauer der Meinung bin: wenn wir uns zu dieser Zusammenarbeit bekennen, gibt es sicherlich verschiedene Wege. Aber auf die Gefahr hin, daß mir ein Protest entgegenschallt, möchte ich doch feststellen: soweit ich Ihre Ausführungen heute verfolgen konnte, haben Sie uns auch heute diese Alternativlösung vorenthalten,
vielleicht, um sie zu einem späteren Zeitpunkt zu
bringen, obwohl mir die Zeit zu drängen scheint.
— Auf die Frage der Alternativlösung, die aus meiner Fraktion kam, haben Sie geantwortet, Herr Kollege: Lesen Sie die Zeitung! — Ich glaube nicht, daß das reicht; aber es mag sein, daß auch Sie sich zu der Auffassung bekennen, die der Herr Kollege Lütkens vor wenigen Tagen in Königswinter im deutsch-englischen Gespräch vertreten hat, als er zum Abschluß seiner Ausführungen eindeutig erklärte: Es ist nicht die Aufgabe der Opposition, Alternativvorschläge zu machen; das muß die Regierung tun.
— Ich glaube, so kann man das Gespräch nicht führen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Herr Redner hat das Wort!
Meine Damen und Herren, ich habe wohl den einen Vorschlag gehört; aber es schien mir doch nicht sehr konkret zu sein, von einem Sicherheitssystem im Rahmen der UNO zu sprechen, in das Deutschland eingebettet werden solle, ein Sicherheitssystem, das dann allen Beteiligten — auch Rußland und den Weststaaten — die Sicherheit geben sollte, nach der sie verlangen. Das ist doch ein wenig ein Wunschtraum, und ich meine, wir sollten doch auch die Vereinten Nationen heute nicht mehr bemühen, als notwendig ist. So wichtig die Vereinten Nationen sind und so sehr ich hoffe, daß sie fortbestehen werden, — wenn ich glaubte, unsere einzige Sicherheit durch einen Beitritt zu den Vereinten Nationen finden zu
müssen, dann würde ich an der deutschen Zukunft verzweifeln.
Aber die Fragen stehen — und das ist auch hier schon aus verschiedenen Erklärungen sichtbar geworden — in einem unmittelbaren Zusammenhang auch mit der Anfrage der Sozialdemokratischen Partei zum Saarproblem, und dazu möchte ich einiges sagen. Ich habe mich am 28. Oktober vergangenen Jahres zu dieser Frage geäußert, als ich auf die Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers antwortete, und ich halte die Feststellungen, die ich damals getroffen habe, unverändert aufrecht. Ich bin auch der Meinung, meine Damen und Herren, daß der Beschluß des Bundestags vom 3. Juli vorigen Jahres heute noch unverändert gilt, und ich weiß nicht, wer eigentlich die Zweifel ausgelöst hat, die unsere Opposition veranlassen, nun dasselbe noch einmal beschließen zu lassen. Wenn wir uns das angewöhnen, fürchte ich, werden wir demnächst auch die Gesetzesvorlagen wiederholt beschließen. Ich stelle für meine Freunde und mich fest: An diesem Entschluß vom 3. Juli, der hier im Bundestag einstimmig gefaßt worden ist, ändert sich nichts, ob wir ihn heute wiederholen oder bestätigen oder nicht.
Ich habe damals schon gesagt und wiederhole es: Solange das Problem der Saar im Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich nicht in irgendeiner befriedigenden Weise gelöst ist, wird die Spannung zwischen diesen beiden Ländern nicht beseitigt werden, und die Beseitigung dieser Spannung ist eine unabdingbare Voraussetzung für eine aussichtsreiche Politik der freien Völker, zumindest in Europa, also nicht nur für eine Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich. Diese Tatsache können wir nicht außer acht lassen oder leugnen, unabhängig davon, wie wir uns die von uns erstrebte Form der Zusammenarbeit vorstellen.
Auch wer glaubt — und das möchte ich gerade auch der Opposition sagen —, daß man nicht auf dem Wege der Integration fortfahren, sondern die Zusammenarbeit durch multilaterale Verträge, durch völkerrechtliche Koalitionen oder durch militärische Allianzen verwirklichen sollte, auch der muß wissen, daß sich auch diese Vorstellungen nicht realisieren lassen, solange nicht Frankreich und Deutschland die Voraussetzungen dafür schaffen, daß solche Verträge überhaupt zustande kommen können.
Noch ein Zweites. Die Verhältnisse im Saargebiet, die in den letzten neun Jahren entstanden sind und die wir beklagen und verurteilen, können nur befriedigend geändert werden, wenn Deutschland und Frankreich sich verständigen und wenn die Bevölkerung an der Saar eine solche Verständigung gutheißt. Deswegen dürfen wir meiner Meinung nach gar nicht darauf verzichten, eine Verständigung mit allen uns zu Gebote stehenden Mitteln herbeizuführen. Wer sich diesem Bemühen versagt, der hat — und das scheint mir logisch — doch nur die Wahl, den derzeitigen Zustand wenn auch unter Protest zu verewigen oder mit dem Gedanken einer gewaltsamen Lösung zu spielen, und ich glaube, daß es wirklich niemand gibt, der sich für eine dieser beiden, zum wenigsten für die letzte Alternative entscheiden würde.
Seitdem wir hier im Bundestag das letzte Mal über diese Frage diskutieren, wurden die deutschfranzösischen Gespräche wieder aufgenommen. Sie wurden auch durch die Beratungen gefördert, die im Politischen Ausschuß der Beratenden Versammlung des Europarats auf der Grundlage des Berichts des holländischen Abgeordneten Van der Goes van Naters geführt wurden. Meine Damen und Herren, Sie werden aus meinen Darlegungen ersehen, daß auch wir durchaus nicht die in dem Plan des Abgeordneten Van der Goes van Naters entwickelten Gedankengänge zu teilen vermögen und daß wir sehr starke und ernste Vorbehalte haben, Vorbehalte, die zum Teil ihre Erledigung gefunden haben durch die erfolgreiche Mitarbeit der deutschen Abgeordneten in der Kommission, zum Teil zum Ausdruck kamen in den Vorbehalten bei der Abstimmung. Aber ich halte es doch für richtig und für angemessen, auch hier den Ausdruck des persönlichen Dankes an meinen holländischen Freund Van der Goes van Naters auszusprechen für sein Bemühen um eine Lösung, für sein uneigennütziges Bemühen um die Lösung einer Spannung, die uns allen am Herzen liegt.
Ich möchte gar nicht in allen Punkten zu den Einzelheiten des Vorschlages Stellung nehmen. Aber ich möchte vorausschicken, daß ich — mit dem Herrn Bundeskanzler wohl — der Meinung bin, daß der Bericht in der nun vorliegenden Fassung vom 7. März geeignet ist, den französischdeutschen Besprechungen als Arbeitsgrundlage zu dienen und vielleicht auch später in einer Achtmächtekonferenz als Diskussionsgrundlage verwendet zu werden. Allerdings möchte ich, wenn ich das sage, keinen Zweifel daran lassen, daß man uns, wenn wir schon unsere Bedenken gegen den Plan äußern — und ich werde einige dieser Bedenken hier sehr konkret vortragen —, nicht unterstellen sollte — und daß die Zustimmung, diese Gedanken als Arbeitsgrundlage zu nehmen, nicht dahin mißdeutet werden sollte —, daß das nun ein deutscher Vorschlag sei, den man noch verschlechtern könne. Was der Van-der-Goes-van-Naters-Plan vorschlägt, würde an sich, selbst wenn es in einer noch verbesserten Form akzeptiert würde, von Deutschland Konzessionen verlangen, die für uns alle unendlich schwer zu tragen sein werden. Ich betone: selbst wenn noch wesentliche Verbesserungen hinzukommen, die ich hoffe und wünsche. Deswegen kann es nicht der Ausgangspunkt sein — das möchte ich klarstellen —, daß etwa nun dieser Plan im Gegensatz zu weitergehenden Wünschen unseres französischen Gesprächspartners gestellt wird, und zwar in der Hoffnung, sich dann auf einer mittleren Linie zu verständigen.
Es ist die Aufgabe der Bundesregierung, die begonnenen Verhandlungen fortzuführen und zu gegebener Zeit das Ergebnis dieser Verhandlungen vor dem Bundestag darzulegen. Es wäre auch ungewöhnlich, wenn wir jetzt zu solchen laufenden politischen und diplomatischen Verhandlungen in Einzelfragen Stellung nehmen wollten. Es erscheint mir zweckmäßiger — und hier folge ich auch dem, was Herr Kollege Ollenhauer wie auch der Herr Bundeskanzler sagten —, grundsätzliche Erklärungen zu den Lösungsmöglichkeiten, wie sie sich heute abzeichnen, zu geben, also, wie es der Herr Bundeskanzler ausdrückte, die Lösungselemente einmal zu skizzieren und zu diskutieren.
Zunächst eine Bemerkung: Es ist viel von dem Junktim gesprochen worden, das zwischen der Ratifizerung des EVG-Vertrags durch Frankreich und einer Lösung der Saarfrage bestehe. Ich vermag ein solches Junktim in keiner Weise anzuerkennen. Mag sein — wir wissen es ja —, daß die französische Regierung für ihre eigene Entscheidung und für die der französischen Kammer ein solches Junktim hergestellt hat. Das ist eine innerpolitische französische Entscheidung, von der wir Kenntnis nahmen, ohne daß uns daran eine Kritik zusteht. Aber im Verhältnis zu Deutschland als einem Vertragspartner der Verträge von Bonn und Paris kann ein solches Junktim nicht durch eine einseitige Erklärung eines Partners hergestellt werden.
Die Verträge von Bonn und Paris wurden ohne den Vorbehalt eines solchen Junktims unterzeichnet und stehen auch ohne den Vorbehalt eines solchen Junktims nun zur Ratifizierung. Das schließt nicht aus, um auch das klarzustellen, daß wir von dieser innenpolitischen Verzahnung Kenntnis nehmen und daß wir unsere Bereitschaft erklären, an einer Lösung mitzuarbeiten, — das um so weniger, als wir ja selbst schon wiederholt erklärt haben, daß das Verhältnis zwischen dem deutschen Mutterland und dem Saargebiet wieder normalisiert werden müsse. Dieses Verlangen entspricht ebensosehr dem bereits geäußerten Wunsch, das französischdeutsche Verhältnis in einer guten und beständigen Weise neu und dauerhaft zu gestalten, wie auch dem nicht minder dringenden Wunsch, den deutschen Menschen an der Saar die gleichen politischen Daseinsbedingungen zu vermitteln, die sowohl in Frankreich wie in Deutschland selbstverständlich von jedem freien Bürger für sich gefordert und auch vom Staate gewährt werden,
Daseinsbedingungen, wie sie auch in der Konvention für die Menschenrechte eindeutig fixiert worden sind. Diese Konvention hat die einmütige Billigung des Europarats gefunden.
Erlauben Sie, daß ich auch in diesem Zusammenhang ein Zitat bringe, das meines Erachtens in einer
sehr eindringlichen Weise die Situation zeigt, wie
sie heute besteht. Im „Manchester Guardian" ist —
ich glaube, es war in der Nummer vom 17. April —
eine Betrachtung über die Saar erschienen. In dieser Betrachtung heißt es — mit Genehmigung des
Herrn Präsidenten darf ich wörtlich zitieren —: Der zweite Aspekt der Saarfrage ist das Fehlen der politischen Freiheit. Das ist tatsächlich offen zugegeben von der Saarregierung, von Frankreich und von den anderen im Ausschuß des Europarats vertretenen Ländern, der im vergangenen Monat in London tagte. Der Ausschuß stellte eindeutig fest, daß die politischen Freiheiten erst 12 Monate vor der Volksabstimmung eingeführt werden sollten. Das scheint uns doch eine überraschende Haltung des westlichen Europas zu sein, wenn es gleichzeitig die Demokratie gegen die Diktatur verteidigt. Warum sind gewisse politische Parteien im Saargebiet verboten? Weil sie glauben, daß die Saar eines Tages zu Deutschland zurückkehren sollte. Aber die Kommunistische Partei ist, anders als die deutsch-freundlichen Gruppen, nicht verboten, obwohl es sich diese Partei doch nicht zum Ziel gesetzt hat, demokratische Gesetze und demokratische Praxis zu respektieren. Herr Hoffmann ist der Auffassung, daß
eine große Mehrheit im Saargebiet den Gedanken einer Europäisierung unterstützen würde, der übrigens nicht von der Bundesregierung bekämpft wurde. Das mag richtig sein. Um so mehr Grund besteht, die Anomalien abzuschaffen, die im Verbot politischer Parteien, in der Zensur der Post, in der Überwachung des Telefons und in dem Verbot von Zeitungen bestehen. Wenn das Saargebiet das erste europäische Territorium werden soll, dann sollte es doch wenigstens auch ein freies und demokratisches sein. Andernfalls würde die Entwicklung zur europäischen Einigung keinen Vorteil davon haben, wenn Saarbrücken seine Hauptstadt und sein geographisches Zentrum sein würde.
Meine Damen und Herren, das ist ein Zitat aus dem „Manchester Guardian", dem ich nichts hinzuzufügen habe und das ich gebracht habe, um noch einem Einwand zu begegnen, der uns schon entgegengehalten wurde, nämlich dem Einwand, wer uns legitimiere, für die Saar zu sprechen. Man hat manchmal sogar eine solche Intervention als Einmischung bezeichnet.
Ich habe gesagt und wiederhole es, daß das Saargebiet unbestreitbar zum deutschen Gebiet in den Grenzen des Jahres 1937 gehörte.
Ich habe damals auch gesagt und wiederhole, daß Frankreich wiederholt und nachdrücklich erklärt hat, daß es gar nicht daran denke — auch im Jahre 1945 nicht daran gedacht habe —, das Saargebiet zu annektieren. Die Menschen an der Saar sind also Deutsche; sie waren es und sind es geblieben.
Man wollte sie gar nicht zu Franzosen machen. Das ist die erklärte Politik Frankreichs, die ich nur aufnehme. Ein saarländischer Staat konnte gar nicht entstehen; er ist ja auch nicht entstanden. Staatscharakter ist diesem Gebiet nicht zuerkannt worden, das auch nur als assoziiertes Mitglied dem Europarat angehört.
Wir sind auch — und da stehe ich auch in keinem Widerspruch zu meinen französischen Freunden — bei den Beratungen des europäischen Verfassungsentwurfs einmütig davon ausgegangen, als wir den Art. 101 formulierten, der leider dann in Straßburg nicht akzeptiert wurde, daß Bevölkerung und Saar integrierender Bestandteil der politischen Gemeinschaft sein sollten, wobei wir dem besonderen Status der Saar dadurch Rechnung getragen haben, daß wir weder seine Regierung noch sein Parlament in eine Parallele zu den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft gestellt haben.
Aber es ist ja wirklich nicht nur eine Rechtsfrage nach unserer Legitimation. Man sollte sie nicht so stellen, sondern man sollte doch zugeben und anerkennen, daß, wenn ein Deutscher von den 960 000 Menschen an der Saar spricht, er gar nicht nach der rechtlichen Grundlage dieses Anliegens fragt, sondern daß sein Herz mit ihm und für die anderen spricht.
Es ist nun häufig in den vergangenen Monaten das Wort von der Europäisierung der Saar gebraucht worden. Wenn wir uns wirklich um eine echte Lösung bemühen — und ich bin bereit, ein solches Bemühen mit aller Leidenschaft zu unterstützen —, dann müssen wir auch die Formel ein wenig konkretisieren. In der Diskussion ist dieses Wort „Europäisierung" ein wenig schillernd geworden durch die Vielfalt seiner Ausdeutung. Ich möchte konkret sagen, was ich mir darunter vorstelle und was sich auch meine politischen Freunde darunter vorzustellen vermögen: daß wir uns um eine europäische Lösung bemühen sollten, die nur darin bestehen kann, dem Gebiete und dem Volk an der Saar den Status eines europäischen Territoriums zu geben im Rahmen einer europäischen politischen Gemeinschaft und unter der Autorität und der Kontrolle einer solchen Gemeinschaft. Eine solche konkrete Vorstellung dessen, was wir wollen und für möglich halten, schließt zwei Mißverständnisse aus: einmal das Mißverständnis — ja, man könnte sagen, die etwas bösartige Unterstellung —, als könnte die Europäisierung mit einer Anerkennung und Legalisierung der bestehenden Zustände gleichgesetzt werden, zum andern das Mißverständnis, als könnte die Lösung darin bestehen, aus dem Saargebiet einen neuen Staat oder auch nur ein staatsähnliches Gebilde zu schaffen. Das kann und darf nach unserer Absicht nicht geschehen; denn wir würden damit genau den Zielen entgegenhandeln, die wir uns gestellt haben, als wir uns zur europäischen Integration bekannt haben.
Dieser konkreten Formulierung dessen, was ich für möglich halte, möchte ich einige Bemerkungen folgen lassen, wobei ich nicht einen starren Katalog von Bedingungen aufstellen möchte. Meine Damen und Herren, das stünde uns hier heute nicht zu und würde wohl auch wenig dazu beitragen, vertrauensvolle und aussichtsreiche Verhandlungen zu führen. Ich will auch nicht von Bedingungen sprechen, sondern wiederholt das Wort aufnehmen, das auch der Herr Bundeskanzler gebraucht hat, nämlich: die Elemente einer solchen Lösung diskutieren.
Ich meine, daß ein europäisches Territorium nur entstehen kann, wenn die Europäische Gemeinschaft Wirklichkeit wird, wie es ja auch in Art. 1 des revidierten Entwurfs von Goes van Naters heißt, und es kann nur bestehen, solange die Gemeinschaft besteht. Die Lösungsmöglichkeit steht daher nach meiner Überzeugung gleichermaßen unter der aufschiebenden Bedingung, daß die politische Gemeinschaft entsteht, und unter der auflösenden, falls sie wegfallen sollte.
Hier scheint meiner Ansicht nach ein echtes Junktim zu bestehen, zu dem ich mich sehr nachdrücklich bekenne: das Junktim einer echten europäischen Saarlösung im Rahmen einer echten europäischen Gemeinschaft.
Und zweitens — auch hier stimme ich mit dem Herrn Bundeskanzler völlig überein —: die Lösung der Saarfrage kann schon mit Rücksicht auf die politische Lage Deutschlands, wie sie auch Herr Kollege Ollenhauer geschildert hat — wir beurteilen sie kaum verschieden —, nur einen vorläufigen Charakter tragen. Dieser besonderen Lage, in der sich Deutschland befindet, hat man ja auch schon in der Vergangenheit bereitwillig Rechnung getragen. Ich erinnere an den Briefwechsel zwischen dem französischen Außenminister Robert Schuman und dem Bundeskanzler Adenauer anläßlich der Unterzeichnung des Vertrages über die Montan-Union; ich erinnere auch an Art. 73 des Deutschland-Vertrags und nicht zuletzt an die geradezu
brillante Interpretation des Art. 73 durch den französischen Außenminister Bidault in Berlin.
Diese wirklich ausgezeichnete Interpretation, die ich mir voll und ganz zu eigen mache, wird auch unserm französischen Gesprächspartner das Verständnis dafür vermitteln, warum wir eine endgültige Lösung heute nicht zu diskutieren vermögen. Die endgültige Lösung muß in einem frei verhandelten Friedensvertrag zustande kommen. Dabei stimme ich, um den Zwischenruf aufzunehmen, den Sie, glaube ich, Herr Kollege Mommer, am Anfang in der Rede des Herrn Bundeskanzlers machten, mit Ihnen überein, daß die Formulierung des § 19 des Entwurfs, wie er uns heute vorliegt, nicht akzeptabel ist. Mein Freund Gerstenmaier hat ja auch in der Abstimmung in Paris seinen Vorbehalt gegen den Art. 19 gerichtet. Es würde meiner Überzeugung nach gegen die Voraussetzung verstoßen, von der ich sprach, wenn andere Mächte in einem solchen Vertrag eine Garantie dafür übernehmen würden, den vorläufigen Zustand in einen endgültigen überzuführen. Die Voraussetzung, auch diese Frage im Friedensvertrag frei zu verhandeln, wäre damit nicht mehr gegeben, und ich möchte deswegen an dem Vorbehalt meines Freundes Gerstenmaier mit großem Nachdruck festhalten.
Das Verlangen nach Herstellung der demokratischen Freiheitsrechte an der Saar ist wirklich keine Forderung, die man etwa als den Ausdruck eines falschen deutschen Nationalismus abtun könnte. Ich habe schon den Artikel des Manchester Guardian zitiert, der ja wohl ein unverdächtiger Sprecher unseres Anliegens ist. Aber das Gebiet an der Saar kann und darf auch nicht auf Zeit als Exklave weiterbestehen, in der die demokratischen Grundrechte weniger Wert besitzen als jenseits ihres Einflußbereichs. Darum sollte man — da stimme ich auch mit dem Vorbehalt meines Freundes Gerstenmaier überein — die freiheitlichen Zustände auch nicht erst nach Ablauf einer Frist, also zu einem bestimmten Termin, herstellen. Fristen und Termine scheinen mir, wenn man über die Freiheit spricht, nicht angemessen zu sein.
Meine Damen und Herren, wir bestreiten nicht, daß Frankreich wirtschaftliche Interessen im Saargebiet hat. Wir glauben mit diesem Anerkenntnis auch einen wesentlichen Beitrag zu einer französisch-deutschen Verständigung leisten zu können. Wir wollen diesen Interessen Rechnung tragen. Aber ich bin überzeugt, auch Frankreich wird einsehen und erkennen, daß eine echte europäische Lösung schlechthin nur denkbar ist, wenn die zweiseitigen französisch-saarländischen Vereinbarungen in angemessener Frist durch neue Verträge ersetzt werden, an denen Deutschland beteiligt sein wird; denn die wirtschaftlichen Interessen der Saar liegen auch in Deutschland. Man sollte weder die Saar im Verhältnis zur Bundesrepublik noch die Bundesrepublik im Verhältnis zur Saar diskriminieren. Ich spreche von einem Abbau in angemessener Frist. Ich glaube, daß das eine Selbstverständlichkeit ist: denn niemand wünscht, daß durch eine übereilte Änderung der Zustände etwa wirtschaftliche Krisen ausgelöst werden, wirtschaftliche Erschütterungen, die, gleichgültig, wo sie sich ereignen und wen sie treffen, von uns allen nicht gewünscht werden können.
Frankreich selbst — das ist eine weitere Bemerkung zu einer Lösung — hat wiederholt ausgesprochen, daß die Bevölkerung des Saargebiets deutsch ist. Die Europäische Politische Gemeinschaft soll, wie es in Art. 1 des Entwurfs heißt, der in der Sonderversammlung einmütig angenommen wurde, auf dem Zusammenschluß der Völker und Staaten, der Achtung ihrer Eigenart und der Gleichheit der Rechte und Pflichten beruhen. Ich darf noch auf den Bericht meines italienischen Freundes Benvenuti verweisen, der zu Art. 1 des Entwurfs als Vorsitzender der entsprechenden Unterkommission in seinem Bericht ausgeführt hat:
Wir alle sind mit der Tradition der Kultur, der
eigenen Physiognomie unserer einzelnen Länder verbunden. Niemals darf die Gemeinschaft
diese Werte beeinträchtigen, sie absorbieren
oder miteinander vermengen und dadurch
ihre Ursprünglichkeit zerstören.
Meine Damen und Herren, wenn ich mich zu einer möglichen Lösung des Saarproblems im Rahmen der europäischen Gemeinschaft bekenne, dann möchte ich mich ausdrücklich auch auf diesen Art. 1 und auf die Interpretation beziehen und damit zum Ausdruck bringen: Wer die Saar entdeutschen wollte, würde gegen diesen ersten Grundsatz handeln. Die Zugehörigkeit der 960 000 Menschen an der Saar zum deutschen Kulturkreis muß anerkannt werden. Ich glaube, man tut gut daran, das in allem Ernst zu fordern und auch zu bestätigen. Auch ein Saargebiet, das als europäisches Territorium auf eine andere Ebene gehoben wird, soll damit nicht seine Heimat verlieren, sondern soll sie behalten und in den neuen Status mit übernehmen.
Mit einer solchen Lösung, wie ich sie glaube anstreben zu sollen, wird auch die Grenzziehung nicht berührt, und von einer Ausgliederung des Saargebiets kann nicht gesprochen werden. Die Grenzziehung kann erst im Friedensvertrag erfolgen, wie ich es eingangs schon sagte. Allerdings möchte ich doch eine Bemerkung hinzufügen: Vielleicht sollten wir uns ein wenig von den Begriffsvorstellungen und der Ausdrucksweise lösen, die noch so mit unserem nationalstaatlichen Denken verbunden sind, und sollten nicht glauben, es sei ein Verrat am Volkstum, wenn Menschen Europäer werden. Meine Damen und Herren, ich glaube, wenn wir so weiter dächten, würden wir eine Atmosphäre schaffen, in der eine echte europäische Gemeinsamkeit niemals entstehen könnte.
Wir würden uns dann hinter unseren Grenzen festbeißen, und ein Überschreiten dieser Grenzen würde dann schon als Verrat nationaler Interessen betrachtet.
Ich weiß, daß der eine oder andere, auch drüben, vielleicht in solchen Vorschlägen, wie ich sie mache, in solchen Vorbehalten, wie ich sie äußere, in solchen Einschränkungen, wie ich sie wünsche, einen Mangel an Verständigungsbereitschaft erblicken könnte. Aber ich möchte denen, die so denken und die uns sagen, daß die Lösung auch des Saarproblems ein Testfall auf die europäische Gesinnung auch der Deutschen darstelle, antworten: wir wollen, wenn wir zu einer Lösung in diesem Sinne beitragen, als gute Deutsche handeln und uns als überzeugte Europäer bewähren. Aber von unseren französischen Vertragspartnern und Gesprächspartnern dürfen wir doch wohl dieselbe Gesinnung erwarten:
daß auch sie das europäische Bewußtsein und die
europäische Verpflichtung mit dem französischen
Denken zu vereinbaren vermögen. Wenn das nicht
auf beiden Seiten gelingt, wird keine Lösung möglich sein, mit der man in Deutschland, mit der
man in Frankreich und mit der man auch vor der
Bevölkerung an der Saar wird bestehen können.
Meine Bitte an die Bundesregierung ist es, bei den folgenden Verhandlungen diese Auffassung, die wir hier im Bundestag vortragen, zu berücksichtigen und diesen Gedanken zum Durchbruch zu verhelfen, die, wie ich glaube, einer echten, guten und beständigen Lösung nicht im Wege stehen.
Meine Damen und Herren, ich möchte keine Prognosen über die Entwicklung anstellen, ich möchte zum wenigsten prognostizieren, was Deutschland nun aus der Genfer Konferenz zu erwarten hat. Ich möchte allerdings auch nicht, wie es mein verehrter Vorredner, Herr Kollege Ollenhauer, tat, Zensuren an auswärtige Staatsmänner erteilen. Ich glaube, das steht uns nicht zu.
Ich kann nur hoffen, daß die Deutschlandfrage, auch wenn sie nicht auf der Tagesordnung von Genf steht, doch auch dort nicht vergessen wird. Ich bin überzeugt, daß dem so ist. Denn aus der Tagesordnung, wie sie in Berlin aufgestellt und dann auf Genf übertragen wurde, ergibt sich ja der für uns vielleicht beklagenswerte, aber unleugbare enge Zusammenhang zwischen der weltpolitischen Spannung und unserem eigenen deutschen Anliegen. Aber ich bin mit der Bundesregierung und mit dem Herrn Bundeskanzler der Überzeugung, daß wir auch diese Frage, die uns alle so heiß beschäftigt und so tief bewegt, mit Aussicht auf Erfolg überhaupt nur lösen können, wenn wir ohne jede Abweichung an unserer politischen Linie festhalten, von der ich glaube, Herr Kollege Ollenhauer, daß wir uns über ihre letzte Auswirkung unterhalten sollten, wenn sie eingetreten ist.
Ich weiß auch nicht, ob Sie mit der freudigen Genugtuung ganz recht haben, mit der Sie von dem möglichen Scheitern dieser Politik sprechen. Vergessen Sie nicht, meine Damen und Herren, daß am Scheitern oder Zustandekommen solcher Lösungen auch Ihr Schicksal hängt
und daß es Ihnen innenpolitisch nichts nützen wird, recht behalten zu haben, wenn andere einen Fehler machten! Ich bin der festen Überzeugung, daß diese Politik doch zum guten Ende führen wird, nicht weil ich meine, daß die Integration, wie ich sie mir vorstelle, nun zum Glaubensbekenntnis des Europäers erhoben werden sollte, wie Herr Kollege Ollenhauer es uns vorwarf — ach, meine Damen und Herren, wir sind gar nicht so vermessen, Glaubensbekenntnisse aufzustellen —, sondern weil ich meine, und heute noch mehr als gestern und vorgestern, daß die Entwicklung es uns ganz klar zeigt und beweist, daß der Weg, den wir gehen, zumindest im Augenblick der einzig mögliche und damit der einzig richtige ist.
An einem solchen Weg festzuhalten, ist kein Ausdruck der Starrheit. Glauben Sie mir auch, Herr Kollege Ollenhauer, wir werden uns dadurch, daß wir an dieser Politik festhalten, nicht aus notwendigen internationalen Gesprächen freiwillig entfernen, wie Sie zu befürchten scheinen. Die Art der Entwicklung, wie sie auch der Herr Bundeskanzler geschildert hat, gibt mir mehr Garantie dafür, daß
keine Lösungen irgendwelcher Art ohne uns besprochen werden, als die Isolierung, in die wir kämen, wenn wir Ihnen folgten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine sehr verehrten Damen und Herren, bevor ich das Wort weiter erteile, mache ich bekannt: es ist interfraktionell beschlossen worden, daß die Sitzung nicht, wie im Ältestenrat vorgesehen, um 16 Uhr endet, sondern heute programmgemäß zu Ende geführt wird und daß demgemäß heute nachmittag keinerlei Ausschußsitzungen, ganz gleich, wie sie heißen mögen, mehr stattfinden sollen.
Ich erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Dr. Pfleiderer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt in der Diplomatie eine Redensart, die heißt „Qui mange de la Sarre, en meurt" — Wer von der Saar ißt, stirbt daran.
Dies gilt natürlich nicht nur für die gequälten Herren Beamten, die sich in der Saarfrage mühen, sondern es gilt ebenso für die Abgeordneten, die im Bundestag oder im Europarat mit dieser schwierigen Sache zu tun haben. Es gilt insbesondere auch für die Abgeordneten, die Pläne ausarbeiten und für Pläne verantwortlich sind, — denn Sie wissen ja: wer im öffentlichen Leben steht und auf sich hält, sollte heute einen Plan haben. Es gilt vielleicht auch für die Regierungen, die sich solche Pläne zunutze machen wollen. Die Saar ist im höchsten Maße gefährlich, und ich bin mir ihrer Gefahren bewußt. Ich möchte mich heute durchaus im Umkreis der Saar und ihrer Gefahren halten.
Am vergangenen Montag wurde im Ausschuß für allgemeine Angelegenheiten des Europarates in Paris über den sogenannten Naters-Plan zur Regelung der Saarfrage abgestimmt. Die Abstimmung fand, ebenso wie es bei den langwierigen Verhandlungen vorher der Fall gewesen war, unter dem Vorsitz des französischen Abgeordneten M. Guy Mollet statt. Ehe ich von irgend etwas anderem spreche, möchte ich hier hervorheben, daß M. Guy Mollet der gerechteste und umsichtigste Vorsitzende war, den man sich wünschen konnte,
eine jener vorbildlichen, klar denkenden und uneigennützigen Persönlichkeiten, an denen sich die
europäischen Hoffnungen aufrichten können, wenn
sie aufs tiefste gesunken sind. Ich möchte nicht versäumen, die Dankbarkeit der deutschen Abgeordneten im Plenum des Bundestages aufs angelegentlichste und sehr bewegt zum Ausdruck zu bringen.
Die drei deutschen Abgeordneten haben in der Abstimmung den ganzen Reichtum des deutschen politischen Gemüts erstrahlen lassen. Ich verrate kein Geheimnis, sondern gebe nur wieder, was die Presse sagt, wenn ich mitteile, daß jeder von uns anders abgestimmt hatte als der andere.
Herr Kollege Gerstenmaier sagte ja, Herr Kollege Mommer sagte nein, und ich enthielt mich der Stimme.
Die Abstimmung war insofern europäisch, als wir
nicht nach Delegationen, auch nicht nach Parteien
abstimmten, sondern nach unseren eigenen Über-
zeugungen, freilich unter angemessener Berücksichtigung der Überzeugungen unserer politischen Freunde.
Ich selber hatte keinen Ehrgeiz, den Rebellen zu spielen.
Ich darf folgendes hervorheben: alle drei deutschen Abgeordneten im Ausschuß für allgemeine Angelegenheiten kommen aus Württemberg,
jeder grenzt mit seinem Wahlkreis an die Wahlkreise seiner beiden Kollegen, Waiblingen an Ludwigsburg und an Backnang und so reihum. Jeder von uns ist unmittelbar gewählt, und, obwohl die Menschen in allen drei Wahlkreisen ziemlich gleichartig sind, haben sie in jedem Wahlkreis den Abgeordneten einer anderen Partei gewählt. Herr Präsident, ich glaube, ich darf hier schon sagen, es gibt noch Charakterköpfe in Württemberg.
Mein lieber Freund und Bundesbruder Reinhold Maier wird dies bestätigen, falls ihn der Herr Bundeskanzler als Zeugen hierzu hören wollte.
Die französische Regierung hat den Saarstreit oder, besser, die Saarfrage mit der EVG insofern verbunden, als sie die Verträge der Kammer erst vorlegen will, wenn eine für Frankreich befriedigende Grundsatzerklärung über die Saarfrage abgegeben ist. Umgekehrt ist in Art. 1 Abs. 1 des Naters-Plans die Saarfrage mit der Europäischen Politischen Gemeinschaft verbunden. Damit ist die Angelegenheit über sich selbst hinausgewachsen. Die Saarfrage bedingt die Verteidigungsgemeinschaft und den politischen Zusammenschluß des Erdteils. Sie berührt sich mit den Verhandlungen über Indochina und greift in das „do ut des" der ganzen Welt. Auf der anderen Seite wird die Saarfrage vergiftet, weil mancher, der die EVG zu Fall bringen möchte, die Saar zum Vorwand nimmt, um seine Gegnerschaft zur Geltung zu bringen.
Gerade aus diesem Grunde muß, wer das Wort Saar hört, die echten von den falschen Tönen unterscheiden lernen. Ich selber möchte, obwohl ich sehr unmusikalisch bin, nur echte und keine falschen Töne anstimmen.
Die Abstimmung in Paris war deshalb so schwierig, weil in dem Naters-Plan positive und negative Elemente nebeneinanderstehen, die kaum auf einen Nenner zu bringen sind. Herr Kollege Gerstenmaier hat bei seinem Ja-Wort Vorbehalte angemeldet, die sich auf die Frage der Endgültigkeit nach Art. 19, auf die Frage der Vereinbarkeit mit den Art. 2 und 7 des Deutschlandvertrages und auf die Frage der Menschenrechte beziehen. Ich habe mir diese Vorbehalte zu eigen gemacht und glaube, auch Herr Kollege Mommer hat es getan. So sind die drei Deutschen in vielem doch einer Meinung gewesen; nur haben sie in der Abstimmung verschiedene Folgerungen daraus gezogen. Die Vorbehalte des Herrn Kollegen Dr. Gerstenmaier waren jedoch, ich möchte sagen, Mindestvorbehalte. Es gab darüber hinaus noch „Spitzen" individueller Natur.
Ich möchte über die Frage der Menschenrechte hier nicht besonders sprechen; sie sind im Laufe der Debatte schon eingehend behandelt worden. Im übrigen haben Sie ja, Herr Kollege Gerstenmaier, in London darüber verhandelt und wären der Berufenste, darüber zu sprechen.
Der Herr Bundeskanzler hat in seinen Ausführungen zur Saarfrage von der Notwendigkeit eines Kompromisses gesprochen, von der Notwendigkeit, sich auf einer mittleren Linie oder einer höheren europäischen Ebene zu treffen. Meine politischen Freunde haben oft mehr als ich selber die außenpolitische Linie des Herrn Bundeskanzlers bejaht und unterstützt und in den europäischen Fragen — ich darf nur an meinen Freund Herrn Dr. Becker erinnern — tatkräftig mitgearbeitet. Meine Freunde sind auch, und ich bin es erst recht, von Natur aus und von Partei wegen gutartig und freundlich und kompromißbereit.
Die Fragen aber, um die es sich bei der Saar handelt, sind von so grundsätzlicher Bedeutung, daß sie Kompromissen schwer zugänglich sind und uns zwingen, unsere Ansichten, oder besser: die Lage Deutschlands so deutlich zu formulieren, daß es keine Mißverständnisse darüber geben kann.
Wenn der Herr Bundeskanzler gesagt hat, daß wir hier einseitige Rechtsänderungen hinnehmen müßten, so stimmen meine Freunde darin nicht zu. Auf dieser Grundlage kann man schwer zusammen kämpfen, wenn man sich mit anderen dazu zusammenschließen will.
Die Wirklichkeit der französischen Deutschlandpolitik ist von deutscher Seite schwer darzustellen. Es hat immer etwas Mißliches, sich zum Dolmetscher fremder Überlegungen und Absichten zu machen. Ich bin deshalb auch gern bereit, mich berichtigen zu lassen, und was ich vortrage, trage ich vor, ohne es gut oder böse, gerecht oder ungerecht zu heißen. Jeder Staat verfolgt die Politik, die ihm gutdünkt. Gerade wir Deutschen sollten endlich lernen, die Staaten so zu nehmen, wie sie sind, und sollten als die Besiegten zweier Weltkriege den Sieger nicht ändern und umerziehen wollen.
Wir glauben nun, in der französischen Saarpolitik wirtschaftliche und politische Beweggründe zu sehen, Beweggründe, die verschieden stark sind und zuweilen auch wechseln. Zuerst war von den Kohlen die Rede, dann von den Devisen, dann von Reparationen oder gar von dem Konjunkturpuffer für Lothringen. Oft aber, und hierin scheint etwas Dauerndes zu liegen, ist von dem Wunsch die Rede, uns Deutsche als die als gefährlich empfundenen Nachbarn um Gebiet und Wirtschaftskraft der Saar zu schwächen. Das Gleichgewicht zwischen Bundesrepublik und Frankreich sei gestört, so heißt es, wenn die Saar bei Deutschland bleibe.
Mit all dem habe ich mich im Augenblick nicht auseinanderzusetzen. Es würde nur die tausendjährige Reihe von Klage, Widerklage und Verteidigung auslösen. Wohl aber habe ich zu prüfen und haben wir alle zu prüfen, was der Verbund der Saarfrage mit der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft bedeutet. Und nicht nur wir Deutschen haben das zu prüfen, sondern alle Staaten haben es zu prüfen, denen am Zustandekommen der gemeinsamen Verteidigung gelegen ist.
Die Bundesrepublik hat die Verteidigungsgemeinschaft unterschrieben und ratifiziert. Sie will sich auf militärischem Gebiet auf Gedeih und Verderb, auf Leben und Tod mit Frankreich verbinden, und das ist etwas ganz anderes als der Beitritt zum Internationalen Gesundheitsamt oder zur Internationalen Reblaus-Konvention.
Nun, was bedeutet das Junktim von Saar und EVG?
Die Notwendigkeit, Westeuropa zu einer Verteidigungsgemeinschaft zusammenzuschließen, wird damit begründet, daß Europa von Osten her bedroht sei. Diese Bedrohung ist, wenn man sie anerkennt — und die Bundesregierung und viele andere Regierungen erkennen sie an —, für Frankreich nicht geringer als für die Bundesrepublik; sie ist für uns nicht größer, als sie für Frankreich ist. Wenn nun aber der eine Teil seine Bereitwilligkeit zur gemeinsamen Verteidigung von der Lösung eines bestimmten, mit der Verteidigung an sich gar nicht zusammenhängenden Streitfalles abhängig macht, und zwar in dem Sinne abhängig macht, daß er gewillt ist, auf die gemeinsame Verteidigung zu verzichten, wenn der Streitfall nicht in seinem Sinne gelöst wird, dann wird die Auffassung, daß man bedroht sei und sich gemeinsam verteidigen müsse, unglaubwürdig,
dann wird dem Gedanken der gemeinsamen Verteidigung der Boden entzogen, es wird seine Berechtigung zerstört. Wer die Lösung der Saarfrage zur Vorbedingung der westlichen Verteidigung erhebt, stellt innereuropäische Streitfragen über die gemeinsame Verteidigung und leugnet damit die Notwendigkeit dieser Verteidigung selbst.
Denn entweder ist man bedroht, oder man ist nicht bedroht; und wenn man bedroht ist, kann man nicht so tun, als wäre man es nicht.
Dies ist ein sehr ernster Punkt; denn er stellt die Gemeinsamkeit in Frage. Wenn der eine unter allen Umständen will und der andere nur unter bestimmten Umständen will, dann ist der, der unter allen Umständen will, hoffnungslos im Nachteil.
Diese Lage müssen wir unter allen Umständen vermeiden, weil wir sonst von Vorleistung zu Vorleistung gezogen werden,
ohne sicher zu sein, die Gegenleistung zu erhalten.
Wir wissen, daß die Grundsatzerklärung über die Saarfrage die Voraussetzung dafür bildet, daß die EVG vor die französische Kammer kommt. Aber wir haben noch keine Sicherheit dafür, daß die EVG dann sicher ratifiziert wird. Wir befinden uns hier in einer höchst unbefriedigenden Lage, und weite Kreise des deutschen Volkes beginnen ja auch unruhig zu werden, weil wir mit den zentralen Fragen unserer Außenpolitik, mit den Fragen der Sicherheit und Verteidigung von völlig ungewissen Mehrheitsverhältnissen in einem fremden Parlament abhängig sind. Man mag wohl darüber nachdenken, was in Frankreich geschehen wäre, wenn wir schon vor anderthalb Jahren ratifiziert hätten.
Heute jedenfalls ist die Lage die, daß zum zweiten Jahrestag der Unterzeichnung das Schicksal der EVG eher unsicherer ist als vor einem Jahr oder bei der Unterzeichnung selbst. Wir wissen, daß die grundsätzliche Lösung der Saarfrage eine Vorbedingung dafür bildet, daß die EVG in der Kammer behandelt wird. Aber sie ist nicht die einzige Vorbedingung. Da gibt es ja noch die militärischen Zusagen der Vereinigten Staaten und Großbritanniens und die Frage der Zusatzprotokolle. Heute ist lange davon gesprochen worden, diese sei befriedigend geregelt, aber wir wissen, daß sich die französische Regierung und französische Kreise vorbehalten zu sagen, ob nun diese Zusagen wirklich auch genügten. Es gibt noch ganz andere und viel schwierigere Fragen, und wenn man sie nicht oder noch nicht öffentlich vorbringt, dann soll das nicht heißen, daß man sich ihrer in Frankreich nicht sehr bewußt wäre. Es handelt sich um die ganze Problematik der deutschen Ostgrenzen, mit der man sich in Frankreich durch die Verteidigungsgemeinschaft viel enger verbunden glaubt als ohne diese. Ich unterziehe mich der höchst undankbaren Aufgabe, diese Fragen hier vorzubringen, und zwar deshalb, weil wir mit der Möglichkeit rechnen müssen, daß hinter dem Junktim von Saar und Europäischer Verteidigungsgemeinschaft nicht nur der begreifliche und lobenswerte Wunsch unserer französischen Freunde steht, vor Eingehen einer Partnerschaft so enger Art, wie es die Verteidigungsgemeinschaft wäre, alten Streit mit uns zu bereinigen und zu begraben, sondern vielleicht auch der Wunsch, die EVG selbst zu treffen und ganz andere Lösungen anzustreben als die, die wir unterzeichnet und zum Leitstern unserer Politik erhoben haben.
Meine Damen und Herren, ich möchte es vermeiden, die heute schon wiederholt berührte heikle Frage der Alternative aufzuwerfen. Ich habe einmal Alternativen vorgeschlagen und bin dadurch fast berühmt geworden.
Ich fand diesen Zustand aber höchst unbequem und möchte alles vermeiden, ihn erneut herbeizuführen. Wohl aber sei einmal rein dialektisch gesagt, daß, wenn sich eine Politik a nicht verwirklichen läßt, dann der Zustand non-a eintritt, ohne Rücksicht darauf, ob man ihn Alternative heißt oder nicht heißt. In Wirklichkeit trägt jede Politik durch die Möglichkeit ihres Scheiterns die Möglichkeit und Notwendigkeit ihrer Alternative in sich.
Diese Tatsache sollte zumindest dazu zwingen, daß man sich ernstlich mit ihr befaßt. Wir leben, als käme es nie dazu, und darin sehe ich eine große Gefahr.
Meine Freunde und ich finden das Junktim zwischen Saar und EVG über alle Maßen schädlich, schädlich für die Saarfrage, die dadurch überbewertet wird und ihre Größenverhältnisse verliert, und schädlich für die Europäische Verteidigungsgemeinschaft, die durch diese ihr völlig fremde Frage beschwert wird. Das Junktim ist erst nach der Unterzeichnung der Verträge aufgestellt worden. Es wäre besser gewesen, man hätte sich nie darauf eingelassen, und es wäre heute noch besser, sich von ihm zu lösen.
— Ja, offenbar doch!
— Warten Sie nur! — Man würde nach den Folgen, die sich daraus ergeben, zu einer klareren Erkenntnis der französischen Verteidigungspolitik kommen. Ich meine, auch ohne dieses Junktim fließt der Rhein, wo er fließt, und werden Kräfte auf Verständigung drängen, hüben und drüben, vielleicht weniger stürmisch und weniger vollkommen, aber auch mit weniger Konflikten und mit einem weit geringeren Verlust an kostbarer Zeit. Wir wollen nicht vergessen, in welchen Verhandlungen und in welchen Kämpfen Frankreich steht. Da sieht sich manches anders an als von unserem Standpunkt. Vielleicht kann man die französische EVG-Politik nicht verstehen, wenn man dies nicht berücksichtigt.
Nach dem Naters-Plan soll das Saargebiet europäisches Gebiet werden, sobald eine europäische politische Gemeinschaft gegründet ist. Das Saargebiet soll dieser Gemeinschaft unterstellt werden, ohne eine eigene Staatlichkeit zu erlangen. Dies versteht man unter „Europäisierung" des Gebiets. Abgesehen nun von der Frage, welche Beschaffenheit das europäisierte Gebiet und die Gemeinschaft haben sollen und welche besonderen Erleichterungen der Vorgang der Europäisierung für das Saargebiet mit sich bringen soll, die Tatsache bleibt bestehen, daß wir es mit einer echten Loslösung aus dem deutschen Staatsverband zu tun haben,
mit einer echten Grenzfrage.
Hier erhebt sich die weitere Frage, ob die Bundesrepublik überhaupt Rechtsgeschäfte vornehmen kann, die sich auf die Grenzen Deutschlands beziehen.
Durch den Deutschland-Vertrag hat die Bundesrepublik, wie vorläufig sie auch als Staatswesen sein mag, volle Macht über ihre inneren und äußeren Angelegenheiten erhalten. Darin ist an sich auch jede Abmachung über das Saargebiet eingeschlossen. Schranken sind der Bundesrepublik jedoch gezogen, wenn es sich um die Rechte handelt, die sich die drei westlichen Mächte in Art. 2 des Deutschlandvertrages im Hinblick auf die internationale Lage, d. h. vor allem im Hinblick auf die vierte Besatzungsmacht, auf die Sowjetunion, vorbehalten haben. Diese Rechte beziehen sich auf Deutschland als Ganzes einschließlich der Wiedervereinigung und einer friedensvertraglichen Regelung.
Diesen Rechten der Westalliierten gegenüber der Bundesrepublik entsprechen die Verpflichtungen der Westalliierten gegenüber der Sowjetunion. Es handelt sich hier um Tatbestände von höchster politischer Bedeutung, es handelt sich um die Klammer um Deutschland, um die letzten Bestimmungen, auf denen unsere Einheit beruht, aber auch um die letzte Grundlage, auf der wir die Besatzungsmächte für unsere Einheit verantwortlich halten können.
Von Bedeutung ist ferner der Art. 7 des Deutschlandvertrages, in dem es heißt:
Die Bundesrepublik und die Drei Mächte sind darüber einig, daß ein wesentliches Ziel ihrer gemeinsamen Politik eine zwischen Deutschland und seinen ehemaligen Gegnern frei vereinbarte friedensvertragliche Regelung für ganz Deutschland ist, welche die Grundlage für einen dauerhaften Frieden bilden soll. Sie sind weiterhin darüber einig, daß die endgültige Festlegung der Grenzen Deutschlands bis zu dieser Regelung aufgeschoben werden muß.
Nach diesen Bestimmungen soll alles, was sich auf Grenzen bezieht, dem Friedensvertrag vorbehalten bleiben. Dieser Friedensvertrag, das haben wir heute schon gehört, soll zwischen Deutschland, d. h. Gesamtdeutschland, und seinen ehemaligen Gegnern, d. h. auch der Sowjetunion, geschlossen werden. Gelegentlich wird gesagt, daß an die Stelle eines Friedensvertrages auch ein anderer dementsprechender Vertrag treten könnte. Aber was für ein Vertrag müßte das denn sein, der an die Stelle eines solchen Friedensvertrags treten könnte? Ein Vertrag nur zwischen der Bundesrepublik und den drei westlichen Alliierten könnte es ja wohl nicht gut sein; denn er wäre seinem Wesen nach etwas anderes als ein Vertrag zwischen Gesamtdeutschland und den vier ehemaligen Gegnern. Und ein Vertrag, der nur Teilstücke behandelte und den politischen Zusammenhang, der zwischen allen Teilstücken besteht, auseinanderrisse, wäre gleichfalls etwas ganz anderes als ein Friedensvertrag, der die Fragen der deutschen Freiheit, Sicherheit und Einheit in einem löste. Ersatz wäre hier unvollkommener als sonst.
Bitte!
Würde der Herr Abgeordnete im Lichte seiner jetzigen Ausführung zu dem Briefwechsel Stellung nehmen, den der Herr Bundeskanzler anläßlich und in Zusammenhang mit dem Abschluß des Montanvertrages mit dem französischen Außenminister gepflogen hat und in dem davon die Rede ist, daß die Saarfrage entweder durch einen Friedensvertrag oder durch einen gleichartigen Vertrag — im französischen Text: en tenant lieu — abgeschlossen werden könnte?
Ich möchte hier den Herrn Bundeskanzler nicht interpretieren.
Ich glaube, er würde selbst den Wunsch haben, hierauf zu antworten.
Der sogenannte gesamtdeutsche Vorbehalt in dem Bonner Vertrag, d. h. der Vorbehalt, daß nur Gesamtdeutschland Bestimmungen über die Grenzen treffen könne, und der Vorbehalt, daß wir mit allen unseren ehemaligen Gegnern abschließen sollten, bilden eine wesentliche Seite unserer völkerrechtlichen Stellung, und wer als Deutscher davon abgeht oder als Partner uns zum Abgehen veranlassen will, überschreitet die Grenzen der rechtlichen, vertraglich festgelegten Möglichkeiten der Bundesrepublik und erschüttert den von uns ratifizierten Deutschland-Vertrag als das außenpolitische Grundgesetz unseres staatlichen Lebens.
Wenn meine Freunde dem Naters-Plan so kritisch und ablehnend gegenüberstehen und wenn ich selbst in Paris ein Ja nicht aussprechen konnte, dann deshalb, weil wir durch die Zustimmung zu der Europäisierung gezwungen werden sollen, über unseren bundesrepublikanischen Schatten zu springen. Wir würden, statt über den Schatten zu sprin-
gen, nur ins Dunkle geraten. Das wollen wir nicht, und deshalb darf ich im Namen meiner Freunde auch erklären, daß wir nach wie vor auf der Erklärung vom 2. Juli 1953 bestehen bleiben.
Immer und immer wieder ist hervorgehoben worden, daß die Einwilligung in die Europäisierung das Gefüge Deutschlands und den letzten Zusammenhalt des geteilten Landes erschüttern würde. Aber für die Europäisierung als einer Loslösung des Saargebietes von Deutschland liegen nicht nur französische Wünsche vor. Es scheint vielmehr, daß sich die Vereinigten Staaten und Großbritannien an ihre auf der Moskauer Konferenz im Jahre 1947 gegebene Zusage, sich für eine Loslösung des Saargebietes von Deutschland einzusetzen, auch heute noch gebunden fühlen, selbst wenn sie sich äußerlich zurückhaltend zeigen. Dadurch ist die Bundesrepublik in eine schwierige Lage geraten. Sie sieht sich von allen ihren großen Partnern vor die Frage gestellt, zur Vollendung der EVG auf deutsches Gebiet zu verzichten, und zwar unausweichlich, mit der Uhr in der Hand, in kostspieliger Ungeduld.
Diese Lage enthüllt den ganzen Ernst, der in den auswärtigen Geschäften steckt, der im Bewußtsein der Deutschen noch viel zu wenig lebendig geworden ist. Rein juristisch können wir sagen, die Moskauer Abmachungen von 1947 seien Abmachungen unter Dritten und für Deutschland nicht bindend. Ja, wir können sogar fragen, ob diese Abmachungen mit Art. 7 Abs. 1 des Deutschland-Vertrags vereinbar seien.
Aber nicht allein auf das Juristische kommt es hier an, sondern auf eine politische Tatsache und eine politische Erkenntnis. Es kommt auf die Tatsache und die Erkenntnis an, daß wir in den gesamtdeutschen Fragen im Grunde doch völlig allein gelassen sind. Es kommt auf die Tatsache und die Erkenntnis an, daß sich unsere Vertragspartner nicht dazu bereit finden wollen, die gesamtdeutschen Fragen als ihre eigene Frage zu betrachten, obwohl doch unsere Grenze die der westlichen Welt im ganzen ist. Dies ist es, was uns mit Betrübnis und Bitterkeit erfüllt.
Es ist auf der Berliner Konferenz nicht gelungen, die Einheit Deutschlands herzustellen. Auf allen Seiten hat es Schwierigkeiten gegeben. Wir hauen diese Tatsache bis auf weiteres hinzunehmen. Aber daß es damit nicht genug sein soll, sondern daß wir jetzt noch Handlungen vornehmen sollen, durch die auch die juristische Grundlage Gesamtdeutschlands angetastet wird — die einzige Grundlage, die noch besteht —, das ist es, was wir nur schwer begreifen können. Wenn die deutsche Frage keine europäische Frage ist, die den Zusammenhalt aller braucht, welche um Gottes willen ist es denn dann?
Die Sowjetunion hat sich, soviel bis heute bekanntgeworden ist, in der Saarfrage nicht gebunden. Sie hat keine Zusicherungen gegeben, sich für eine Abtrennung des Gebiets von Deutschland einzusetzen. Jüngste Verlautbarungen aus Ämtern, die über die sowjetische Politik unterrichtet zu sein pflegen, können in gleicher Richtung gedeutet werden.
Die Freien Demokraten verurteilen das Junktim zwischen Saar und EVG. Sie stimmen dem Naters-
Plan nicht zu, wo er Grenzfragen aufwirft, die an die letzte Klammer um Gesamtdeutschland rühren. Sie beklagen es aufs tiefste, daß die Deutschen in diesen Fragen auf ihre eigenen nationalen Energien verwiesen werden, statt die wohltätige Unterstützung ihrer Partner zu erhalten und ihre deutschen Sorgen als europäische anerkannt und von allen gemeinsam getragen zu sehen.
Nun kommt noch eine letzte Frage, die uns bei dem Naters-Plan mit Bedenken erfüllt, ehe wir dazu übergehen können, seine freundlicheren Seiten zu betrachten. Ich meine das deutsche Junktim mit der Europäischen Politischen Gemeinschaft. Sehen wir noch einmal von der juristischen Frage ab, ob wir als Bundesrepublik ein Stück Deutschland europäisieren können, und betrachten wir nur die Frage, die sich mit der Politischen Gemeinschaft stellt. Ich glaube, wir alle können bestätigen, daß die Deutschen viel Herzblut an den europäischen Gedanken gegeben haben und daß sich die Hoffnung der Jugend damit verbunden hat. Könnte man nicht die Saar aus Deutschland entlassen, um ihr als Europäer in Europa wieder zu begegnen? Wir haben den Weg Europas von Konferenz zu Konferenz betrachtet und das Fähnlein der sieben Aufrechten unter dem Banner unseres verehrten Herrn Kollegen von Brentano wacker streiten sehen. Nun, Herr Präsident, der Deutsche Bundestag ist in letzter Zeit etwas literarisch geworden;
mit Don Carlos hat es damals angefangen. Ich selbst fühle mich aber mehr zu den Romantikern hingezogen,
besonders, wenn ich an Herrn von Brentano denke.
Aber ich muß doch sagen, was da aus des „Knaben Wunderhorn" an europäischen Gaben hervorkam, reicht für die Europäisierung der Saar nicht aus.
Wir können uns nicht gut eine diskriminierende Europäisierung einzelner Gebietsteile vorstellen, ein Europa mit europäisierten und nichteuropäisierten Staaten nebeneinander. Der Gedanke aber, daß die Saar ein Vorläufer sei und daß die Staatlichkeit der Nationalstaaten nach und nach so ausgehöhlt würde, daß sie selbst zu Saargebieten würden, ist ein Gedanke fast wie von gestern. Die Uhr des übernationalen Europas hat ihren Gang verlangsamt, zeitweise scheint sie stillzustehen oder gar rückwärts zu ticken.
Es verwickelt die Saarfrage, wenn man sie mit der Europäischen Politischen Gemeinschaft in Verbindung bringt. Viele meiner Freunde sind mit dem supranationalen kleineuropäischen Gedanken aber so eng verbunden, wie ich es mit dem intergouvernementalen großeuropäischen bin.
Ich denke nicht daran, hier eine Einheitsfront der freien Demokraten behaupten zu wollen; denn es gibt sie in dieser Beziehung nicht. Ich möchte nur als meine persönliche Ansicht vortragen, daß die Verbindung der Saarfrage mit der Europäischen Politischen Gemeinschaft die Sache verwickelt, sie auf lange Zeit in der Schwebe hält und jene, die gegen eine Europäisierung des Saargebietes sind, zu Gegnern der Europäischen Politischen Gemeinschaft macht. Das aber ist nicht gut.
Ich möchte an den Anfang aller Versuche, die Saarfrage zu lösen, den Satz stellen: Je weniger Junktim, desto besser. Die Saarfrage verdient es um der Saar willen, gelöst zu werden. Die Deutschen dort haben genug gelitten; ihre Heimat muß zur Ruhe kommen, und ihre großen Nachbarn sollten mit ihren Wünschen und Selbstsüchten zurücktreten und nur daran denken, wie man diesem unglücklichen Gebiet helfen kann, das auf einer Grundfläche von der Größe Luxemburgs die dreifache Bevölkerung ernähren soll.
Meine Damen und Herren, der Deutsche Bundestag darf sich glücklich schätzen, in seinen Reihen ein Mitglied zu besitzen, das über die vollkommenste Kenntnis aller wirtschaftlichen Saarfragen verfügt und diese seine Kenntnisse in einem soeben erschienenen Werke niedergelegt hat, durch das wir alle sehr bereichert worden sind: ich meine Herrn Abgeordneten Dr. Fritz Hellwig. Den Ausführungen des Herrn Kollegen Hellwig ist zu entnehmen, daß das Saargebiet zu dem wurde und werden konnte, was es heute ist und noch ist, nur, weil es Teil eines Zollgebietes war, zu dem als Zubringer und Bezieher auch Lothringen und Luxemburg, das Elsaß und ganz West- und Süddeutschland gehörten. Diese Einheit ist zerschnitten worden, und es gilt, sie wiederherzustellen. Die Saar braucht Märkte zu Absatz und Bezug, sie braucht Investitionen von drinnen und draußen. Die Umwelt der Saar heißt in erster Linie Deutschland und Frankreich. Vier Fünftel der saarländischen Ein- und Ausfuhr kommen dort her oder gehen dort hin.
Die wirtschaftlichen Fragen haben eine unmittelbare politische Bedeutung. Nur wenn die wirtschaftlichen Fragen zum höchsten Nutzen der Saarbevölkerung geregelt werden, kann man erwarten, daß die politischen Lösungen, die man darüberstülpt, halten. Es wäre gefährlich, wenn sich die Vernunft der Wirtschaft an politischer Unvernunft stieße.
Die Hauptfrage, die sich bei den wirtschaftlichen Lösungen stellt, ist die, wie das Saargebiet mit seinen beiden Hauptpartnern am besten zu verbinden wäre. Im Zeichen der europäischen Einigung und besonders im Zeichen der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl ist es schwer, hierfür einen andern Grundsatz als den der Gleichberechtigung zu vertreten. Das Saargebiet braucht, wie alle Zahlen zeigen, in steigendem Maße den deutschen Markt. Wer sich hiergegen wendet, schadet der Wirtschaft an der Saar und jedem aus dem Volk. Es wäre deshalb auch nicht zu rechtfertigen, wenn man die Erstreckung der französisch-saarländischen Verflechtung auf die Bundesrepublik verhindern wollte, bis erst ganz Europa zur wirtschaftlichen Einheit zusammengewachsen wäre.
Diese Frage hat in den Beratungen des Europarats eine große Rolle gespielt. Niemand von uns bestreitet, daß die Aufhebung der Ein- und Ausfuhrzölle zwischen Deutschland und dem Saargebiet Übergangsmaßnahmen erfordert, die nach Dauer und Umfang sorgfältig zu berechnen wären. Das Ziel aber darf man nicht aus dem Auge verlieren, den Gemeinsamen Markt auch zwischen Deutschland und dem Saargebiet so rasch wie möglich herzustellen. Aufgabe von Sachverständigen wäre es, zu verhindern, daß die Saar zum französischen Loch im Osten und zum deutschen Loch im Westen würde.
Die Mittelstellung des Saargebiets zwischen Deutschland und Frankreich zwingt dazu, ihm die Möglichkeit einer eigenen Wirtschaftspolitik zu geben. Das spielt bis in die Fragen der Währung hinein. Die französischen Deviseninteressen an der Saar sind heute erheblicher als die Kohleinteressen. Frankreich bliebe jedoch in der Zahlungsbilanz mit der Saar auch dann noch aktiv, wenn das Gebiet aus der Frankenzone gelöst würde. Die deutschen Interessen auf dem Gebiet des industriellen Eigentums, der Banken und Versicherungen verlangen dringend unter Abgeltung der Reparationen neu geregelt zu werden.
Für das Saargebiet bleibt als eine, seine eigenen finanziellen Kräfte fast übersteigende Aufgabe die des Betriebs der umstrittenen Gruben. Man sollte, um die Last der Verluste und der Investitionen zu verteilen und um den Anreiz zum Bezug von Saarkohle zu erhöhen, eine Betriebsform finden, an der die Saar, Deutschland und Frankreich nach bestimmtem Schlüssel beteiligt werden.
Großer Sorgfalt bedürfte die Abstimmung auf die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Weisen der Gemeinsame Markt, die Aufhebung der Frachtvergünstigungen und der Wegfall der Zölle entschlossen in die europäische Zukunft und führen sogar bereits einen Teil der hier empfohlenen Lösung herbei, so müßte die Saar auf anderen Gebieten aber erst in die Lage versetzt werden, ihren größeren Aufgaben gerecht zu werden. Geschieht dies nicht, dann wird die Problematik eines halb durchgeführten Schumanplans auch hier aufgeworfen bis zu Standort- und Marktverschiebungen sozial gefährlicher Art. Die saarländische Wirtschaft braucht für Kapitalbildung und Investitionen, für Devisen und Kredite, für Steuern und Soziales ihre eigene Entwicklung, ihre eigene Lebensluft. Sie sollte aufhören, als Aschenbrödel zu dienen, sich ihr Geld von anderen entlehnen und ihre Kohle von außerhalb abgraben lassen zu müssen. Die Schwierigkeiten der saarländischen Wirtschaftslage zwischen Ost und West, zwischen Deutschland und Frankreich, rechtfertigen es, dem umstrittenen Gebiet eigene Zuständigkeiten zu verleihen, und die Schwierigkeiten, die bestehen, mögen empfehlen, ihm ein eigenes Organ zu geben, das die Beziehungen des Gebiets zu seiner Umwelt betreut und überwacht. Ein solcher Treuhänder müßte unabhängig und gerecht, im besten Sinne europäisch sein.
Meine Damen und Herren, was ich hier an wirtschaftlichen Gedanken vorgetragen habe, entspricht in großen Zügen dem, was im wirtschaftlichen Teil des Naters-Plans enthalten ist. Ich habe daran selbst mitgearbeitet. Es ist der Teil des Berichts, der in Brüssel verhandelt und einstimmig angenommen wurde. Sie werden meine Liebe zu diesem meinem Kinde verstehen, auch wenn ich nur einer von sechs Vätern bin.
Ich wäre mir treulos vorgekommen, wenn ich wie Herr Kollege Mommer, der übrigens nicht in Brüssel war, zum ganzen Naters-Plan nein gesagt hätte. Dies wäre auch dem unermüdlichen Berichterstatter des Ausschusses, Jonkheer van der Goes van Naters, nicht gerecht geworden. Ich gebe allerdings offen zu, daß die wirtschaftlichen Bestimmungen des Naters-Plans noch sehr die Spuren des Kompromisses an sich tragen.
Eine Enttäuschung ist uns allen nicht erspart geblieben: daß nämlich gerade der Teil des Berichts, der für die Bevölkerung und die saarlän-
dische Wirtschaft der bedeutsamste zu sein schien, bei der französischen Regierung am wenigsten Gegenliebe gefunden hat. Soviel wir aus der Presse wissen, haben die Vertreter der Bundesregierung in ihren mühevollen Verhandlungen mit der französischen Regierung noch keine befriedigenden Ergebnisse erzielt.
Und doch ist in den wirtschaftlichen Fragen durch schmerzliche Tatsachen der Praxis und durch sorgfältige theoretische Untersuchungen bereits eine Art gemeinsame Überzeugung entstanden. Die Notwendigkeit, den deutschen Markt geöffnet zu sehen, wird immer stärker anerkannt. Die Untersuchungen der Handelskammer in Saarbrücken weisen in die gleiche Richtung. In einer Rede des saarländischen Herrn Ministerpräsidenten von Anfang April sind einige Sätze enthalten, die, ich will nicht sagen, von Herrn Kollegen Mommer, aber vielleicht von mir gesagt worden sein könnten.
Man fürchtet freilich an der Saar, daß eine zu enge Verflechtung mit uns französische Gegenmaßnahmen auslösen könnte, von deren möglichen Härten man ganz bestimmte Vorstellungen zu haben scheint. Hier hat sich das Wort Europa noch nicht ganz herumgesprochen. Wir alle werden mit Aufmerksamkeit betrachten, welche Rolle die wirtschaftlichen Bestimmungen des Naters-Plans in den deutsch-französischen Verhandlungen spielen werden.
Auf einen Punkt möchte ich hier noch hinweisen. Da Herr Kollege Mommer als einziger nein sagte und ich mich als einziger der Stimme enthielt, darf man annehmen, daß auch die französischen Abgeordneten mit Ja stimmten. Da nun die Verhandlungen über die Grundsatzerklärung so sehr schleppend vor sich gehen, scheint zwischen den französischen Abgeordneten im Europarat und der französischen Regierung keine volle Übereinstimmung zu bestehen oder höchstens ein englisches „agree not to agree". Aber während nun in Frankreich alle Abgeordneten ja sagen und die Regierung Zurückhaltung übt, sagt bei uns die Regierung eher ja und üben viele Abgeordnete Zurückhaltung. Daraus ergeben sich Schlußfolgerungen für die praktische Lage, von denen ich offen bekennen will, daß sie nicht sehr willkommen sind.
Die Frage nun, ob die Schaffung saarländischer Sonderzuständigkeiten auf wirtschaftlichem Gebiet und die Einsetzung eines Treuhänders oder Treuhänderkommissars eine Änderung der Staats- und völkerrechtlichen Verhältnisse des Saargebiets, insbesondere die Loslösung aus dem deutschen Staatsverband, nach sich ziehen müßten, ist zu verneinen. Deutschland als Ganzes wie auch die Bundesrepublik als Teil davon ist an Treuhänder und selbst an Kommissare gewöhnt. Darüber hinaus zeigt schon ein oberflächlicher Blick auf die deutsche Rechtsgeschichte, daß wir in unseren verschiedenen Reichen und Bünden seit über 1000 Jahren jede Art von Gewichtsverteilung zwischen Kaiser und Fürsten, Reich und Ländern, Ober- und Unter-, Mittel- und Ortsgewalt gekannt haben. Es hat für Deutsche weder etwas Ungewöhnliches noch etwas Erschreckendes, wenn ein bestimmtes Gebiet aus besonderen Gründen besondere Zuständigkeiten und Einrichtungen erhält. Wenn dem Saargebiet auf Grund seiner Mittelstellung zwischen Deutschland und Frankreich eine eigene Wirtschaftspolitik ermöglicht werden soll, dann bereitet dies staatsrechtlich keine Schwierigkeiten. Neben den innerstaatlichen kennen wir neuerdings ja auch schon die zwischenstaatlichen Sonderzuständigkeiten. Wir haben zusammen mit fünf anderen Staaten Kohle und Stahl einer überstaatlichen Sonderhoheit unterstellt. Vorgänge dieser Art brauchen weder Grenzen noch Staatsangehörigkeit, weder Sprache noch Kultur zu berühren. Die hier vorgeschlagene wirtschaftliche Lösung bedingt keine Abtrennung des Saargebiets von seinem deutschen Mutterland.
Nun zeichnet sich auf diese Weise eine klare Lösung ab, eine Lösung, die von dem Junktim mit der EVG und vielleicht gar mit der Politischen Gemeinschaft gelöst und rein auf das Wohl und Gedeihen des Saargebiets selbst abgestellt ist, eine Lösung, die die wirtschaftliche Sonderstellung des Gebiets zwischen Ost und West in vollem Umfang anerkennt und berücksichtigt, eine Lösung, bei der alle Grenzfragen bis zum Friedensvertrag aufgeschoben sind, eine Lösung, die dort, wo für den Treuhänder eine europäische Gemeinschaft nötig ist, die Dienste des Europarats in Anspruch nimmt.
Das bietet mir die willkommene Gelegenheit, ein Wort höchsten Lobes und höchster Würdigung für den Europarat in Straßburg zu sagen. Der Europarat besteht und er hat seine Organe. Ich habe den supranationalen Versuchen stets mit Skepsis gegenübergestanden und die Einrichtungen, die nach den alten Regeln des Völkerrechts geschaffen worden sind, als die mit dem längeren Atem betrachtet. Ich hielt es für unbescheiden, zu glauben, die alten Nationalstaaten würden abdanken und sich wirksamen supranationalen Behörden unterstellen. Ich habe dem Europarat die Treue gehalten, als die Supranationalität so verführerisch winkte, die sich heute doch ihren Freunden entzieht.
Ich spreche nur persönlich und nicht für meine Fraktion, wenn ich dem Hause empfehle, diese Entwicklung doch ja genau zu verfolgen. Denn könnte es nicht sein, daß wir Fehler begehen, wenn wir wirklich wie ein Tantalus immer nach Speisen greifen, die sich wieder zurückziehen, wenn wir die Hände ausstrecken, und daß wir kostbare Zeit verlieren, als hätte die drängende Zukunft nicht schon begonnen? Die Welt ist voll von Gefahren. Wir müssen uns mit Frankreich zusammentun. Das steht am Anfang und im Mittelpunkt aller politischen und militärischen Erwägungen. Darum kommt niemand herum. Wir haben so vieles miteinander zu bereden; denn dadurch, daß wir mit den Soldaten begonnen haben statt mit dem Politischen, ist so vieles noch offen geblieben. Wir sollten daß Große groß und das Kleine klein sehen. Klein aber ist die Saar, wenn man sie Saar sein läßt, und groß ist die Welt, die sich über die Erdteile ausdehnt, die berufen sind, der Schauplatz eines überlegten Zusammenwirkens zu werden.
Meine Damen und Herren, auf der Rednerliste stehen zur Zeit 12 Abgeordnete!
Das Wort hat der Abgeordnete Seiboth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist nicht leicht, zu einer Uhrzeit, zu der die Plenarsitzung geschlossen werden sollte, Sie nochmals um Ihre Aufmerksamkeit zu bitten. Wenn ich es trotzdem tue, so deshalb, weil es vielleicht nicht unwichtig ist, daß im Ple-
num des 2. Deutschen Bundestags eine Fraktion ihre Meinung zu den Fragen, die heute zur Behandlung stehen, darlegt, die, weil sie im ersten Bundestag nicht vertreten war, dazu noch keine Gelegenheit hatte und weil es die Fraktion einer Partei ist, die, weil ihre Wähler zu einem sehr hohen Prozentsatz Menschen des deutschen Ostens sind, zu den Fragen der deutschen Saar doch eine Stellungnahme abzugeben hat, die beachtet werden sollte.
Meine Parteifreunde und unsere Parteimitglieder und -wähler sind überzeugte und, ich möchte beinahe sagen, fanatische Anhänger des Gedankens eines echten europäischen Zusammenschlusses. Wenn ich das feststelle, muß ich hinzufügen, daß wir unter einem echten europäischen Zusammenschluß selbstverständlich das verstehen, was auch mein Vorredner als einen echten politischen europäischen Zusammenschluß bezeichnet hat. Wir meinen also, daß eine westeuropäische Integration, die vorläufig der Umstände und der Weltsituation wegen noch am Eisernen Vorhang enden muß, nur ein Vorläufer jener größeren europäischen politischen Einigung sein kann, zu der auch einmal der mitteleuropäische und der ost- und südosteuropäische Raum gehören soll, der die Heimat sehr vieler deutscher Menschen, aber auch die Heimat heute unterjochter anderer Völker birgt.
Wenn wir trotzdem diesen westeuropäischen Zusammenschluß bejahen, von dem wir hoffen, daß er der Vorläufer eines größeren wird, so deshalb, weil wir der Meinung sind, daß ja irgendwann und irgendwo unter den Gegebenheiten, die sich eben bieten, ein Anfang gemacht werden muß und daß ein Versuch besser ist als keiner, als nur immer geübte Kritik. Wir sind nicht hell begeistert, weil der westeuropäische Zusammenschluß im Tempo und auch in Form und Art nicht so vor sich geht, wie wir das wünschen und wie es angesichts der Weltlage erforderlich ist. Wir würden es bei Gott viel lieber sehen, wenn wir heute schon an eine Konzeption im westeuropäischen Rahmen denken könnten, in der Grenzen zwischen Staaten überhaupt keine Daseinsberechtigung mehr haben, wenn es möglich wäre, heute schon eine Konzeption zu entwickeln und zu verwirklichen, bei der nur freie Volkstümer zu einer europäischen politischen Gemeinschaft zusammengeschlossen sind. Wir wissen, daß es so weit noch nicht ist. Das liegt nicht nur an uns Deutschen. Wenn wir uns die Pläne und Vorschläge ansehen, die von dem Ausschuß für Verfassungsfragen unter Vorsitz des Herrn Kollegen Dr. von Brentano erarbeitet wurden, so haben wir das Empfinden, daß wir wohl auf eine politische Gemeinschaft zusteuern, die — wie es darin heißt — ein politisches Gebilde besonderer Art ist, die aber in Wahrheit doch dem sehr nahe kommt, was man gemeinhin Staatenbund nennt. Wir meinen aber: wenn wir versuchen, bei einem solchen staatenbundähnlichen Gebilde durch Übertragung verschiedenster Funktionen auf dem Gebiete der Wirtschaft, des Verkehrs, der Landwirtschaft usw. an eine supranationale Behörde allmählich die Souveränität der einzelnen noch verbleibenden Nationalstaaten abzubauen, kommen wir doch Schritt um Schritt vielleicht einer echten europäischen politischen Gemeinschaft im Westen nahe, wie wir sie uns vorstellen. Diese politische Gemeinschaft könnte dann für die Völker hinter dem Eisernen Vorhang ein Modell darstellen, in das auch sie und ihre Heimat später einmal politisch eingegliedert werden könnten. Wir haben
seinerzeit, obwohl unsere Partei ursprünglich etwas anderer Meinung war und nachdem bestimmte Besorgnisse ausgeräumt waren, der Montan-Union und dem EVG-Vertrag zugestimmt, weil wir in diesen Zusammenschlüssen auf dem Gebiete der Wirtschaft und auf dem Gebiete der Verteidigung eben doch Ansätze für den kommenden politischen Zusammenschluß sehen.
Wenn heute hier von dem Sprecher der Opposition die Frage aufgeworfen wurde, ob es eine Alternative zur EVG gibt, so wollen wir das nicht unbedingt verneinen. Wir wissen, es gibt im Volke darüber sehr verschiedene Meinungen. Die Frage ist doch aber nur, ob eine Alternative zur EVG besser ist als die Lösung der EVG. Es ist vielleicht gut, wenn gerade wir, die wir zum Großteil Menschen aus dem deutschen Osten sind, denen man oft, wenn sie nach dem Recht auf ihre Heimat rufen, nachsagt, sie seien Nationalisten, betonen: wir sehen in der EVG gerade deshalb, weil hier militärische Streitkräfte der verschiedenen Nationen zusammengefaßt sind, die geringste Gefahr, daß in Europa im Laufe der politischen Entwicklung der alte Nationalismus wieder aufflammt.
Jede denkbare andere Lösung, die auch nur annähernd den einzelnen Staaten vielleicht wieder eigene Truppen, eine eigene Wehrmacht geben könnte, so schön das vielleicht diesem oder jenem scheinen mag, schließt aber doch immer wieder die Gefahr in sich, daß wir auf diese Art und Weise zu einem echten politischen Zusammenschluß und zu einer Überbrückung der nationalen Gegensätze der Vergangenheit nicht kommen, sondern daß wir sie eher vertiefen würden.
Wir sehen selbstverständlich gerade die heute hier so ausführlich behandelte Saarfrage und die damit zusammenhängenden Probleme in engem Zusammenhang mit dem europäischen Problem. Wir sind sehr zufrieden darüber, daß der deutsche Standpunkt heute hier unmißverständlich dargetan worden ist. Draußen im Volk waren Befürchtungen vorhanden — und sie sind auch in der Presse geäußert worden —, daß die Bundesregierung auf dem besten Wege sei, deutsches Recht um eines europäischen Traumes willen zu opfern. Nach dieser Debatte im Bundestag und auch nach den Darlegungen des Herrn Bundeskanzlers kann heute, glaube ich, keine Unklarheit mehr darüber herrschen, daß die deutsche Bundesregierung und auch der Deutsche Bundestag durchaus gewillt sind, deutsches Recht zu wahren, ohne dabei die Politik der europäischen Vereinigung aufzugeben.
Wenn wir auch die Saar gegenwärtig nicht besitzen, so ist sie doch nach dem immer noch geltenden Ergebnis der 1935 unter internationaler Kontrolle durchgeführten Volksabstimmung deutsch. Das Saargebiet gehört zu dem de jure immer noch bestehenden Deutschen Reich, zu jenem Gesamtdeutschland also, mit dem entsprechend Art. 7 des Deutschlandvertrages die Grenzfragen, die territorialen Fragen erst in einem frei zu vereinbarenden Friedensvertrag zu regeln sind. Ohne Recht zu verletzen ist deshalb die Bundesrepublik gar nicht in der Lage, die Saar durch irgendwelche Abkommen aus Gesamtdeutschland zu entlassen.
Gerade im Recht aber ist, wie der Herr Abgeord-
nete Dr. Kopf als Berichterstatter in der Saardebatte vom 2. Juli 1953 gesagt hat, die Stärke unserer deutschen Position in der Saarfrage begründet. Wer die Bundesrepublik als zur Zeit einzigen deutschen Rechtsstaat anerkennt, wie es die Westmächte und auch Frankreich tun, der kann auch von dieser Bundesrepublik nichts anderes verlangen, als daß sie sich zum Recht bekennt. Der deutsche Name hat — das wollen wir hier einmal offen aussprechen — in der Vergangenheit nicht zuletzt dadurch gelitten, daß in der Ara vor 1945 zu unserem Schaden das Recht nach innen und nach außen sehr oft mißachtet wurde. Man soll uns heute vom Ausland her deshalb keine Vorwürfe machen, wenn wir versuchen, durch die Beachtung des Rechts, auch unseres deutschen Rechts, den deutschen Namen wieder reinzuwaschen.
Wir identifizieren uns mit der Auffassung des Herrn Bundeskanzlers, die er am 30. Mai 1950 dem Bundestag vorgetragen hat und die er auch heute wiederholte, nämlich daß ein selbständiger, von Deutschland getrennter Saarstaat schon vom europäischen Standpunkt aus unbedingt abzulehnen ist.
Es geht heute nicht darum, neue Kleinstaaten, neue Grenzen zu schaffen, sondern die Kleinstaaterei, das nationalstaatliche Denken und die Grenzen in Europa zu überwinden.
Wir bestreiten der Saarbevölkerung nicht das Recht, selbst frei zu entscheiden, ob sie ihre zu Gesamtdeutschland gehörende Heimat zur Unterbringung europäischer Institutionen, wie der Herr Bundeskanzler gesagt hat, für ein europäisches Territorium oder Exterritorium zur Verfügung stellen will. Die Einrichtung eines solchen europäischen Territoriums setzt aber voraus, das eine Europäische Politische Gemeinschaft bereits vorhanden ist. Ein Volksentscheid in dem vorher erwähnten Sinne ist also frühestens im Zeitpunkt des rechtlichen Inkrafttretens der Europäischen Politischen Gemeinschaft möglich.
Wir freuen uns, daß über diese Auffassung nach den heutigen Darlegungen des Herrn Bundeskanzlers kein Zweifel mehr sein kann, um so mehr, als der Zwischenfall, der heute vormittag durch eine Zwischenfrage von seiten der SPD hervorgerufen wurde, ja bewies, daß solche Zweifel tatsächlich bestanden haben mögen. Es geht also nicht, wie hier von meinem Vorredner, Herrn Abgeordneten Dr. Pfleiderer, betont worden ist, um ein Junktim zwischen Saar und EVG, das wir aus den gleichen Gründen wie die FDP ablehnen, sondern, wenn man schon von einem Junktim sprechen will, um ein Junktim zwischen der Saar-Lösung und der Europäischen Politischen Gemeinschaft, wie es der Herr Kollege von Brentano gesagt hat.
Für eine solche Lösung aber sind zwei grundlegende Bedingungen auch für uns maßgebend und Voraussetzung. Die erste, die wir vor allem vor den Mächten der freien Welt, insbesondere vor Frankreich, vorzutragen hätten, ist die, daß sofort an der Saar die demokratischen Freiheiten hergestellt werden. Es ist unmöglich, daß heute Kolonialmethoden früherer Zeiten, für die man in anderen Breitengraden jetzt einen hohen Blutzoll entrichten muß, auf Europa übertragen werden. Das können wir nicht widerspruchslos zur Kenntnis nehmen, vor allem auch deshalb nicht, weil die freie Welt und nicht zuletzt Frankreich durch seinen Außenminister auf der Berliner Konferenz ja die demokratischen Freiheiten im Namen der ganzen freien Welt, also auch Frankreichs, für die sowjetisch besetzte Zone gefordert hat. Was dort gefordert wurde, muß in einem Teil der freien westlichen Welt eine Selbstverständlichkeit sein.
Die zweite grundlegende Bedingung ist — und diese Bedingung müssen wir vor der Bundesregierung vortragen —, daß niemals eine endgültige Lösung der Saarfrage vorgenommen wird, weil eine gesamtdeutsche Regierung im Interesse der Möglichkeiten für eine Wiedervereinigung Gesamtdeutschlands nicht gebunden werden darf. Es sollte an sich überflüssig sein, dies zu betonen; denn auf der Berliner Konferenz ist von den Außenministern des Westens, besonders von Herrn Dulles, darauf hingewiesen worden, daß die Verträge, die die Bundesregierung schließt, auch der EVG-Vertrag, die künftige gesamtdeutsche Regierung nicht binden. Aber im Hinblick auf den Inhalt des Naters-Planes, der ja auch vorsieht, daß die drei Westmächte sich verpflichten sollen, beim Friedensvertrag sich für die Beibehaltung dieser Lösung einzusetzen, halten wir es doch für notwendig, es hier ausdrücklich auszusprechen.
Wenn aber über diese Frage Klarheit herrscht —und das ist, soweit es sich heute aus der Debatte und der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers ergeben hat, der Fall —, daß nämlich eine Lösung an der Saar, wie sie hier skizziert wurde, auf alle Fälle nur ein Provisorium bis zu einem Friedensvertrage ist und eine gesamtdeutsche Regierung nicht bindet, dann gibt es auch tatsächlich kein Präjudiz für den Osten.
Wenn ich mir hier erlauben darf, zur Frage des Ostens noch einiges zu sagen, dann folgendes. Es ist richtig, wie hier mehrfach erwähnt wurde, daß die Wiedervereinigung Deutschlands — und wir verstehen darunter immer Gesamtdeutschland, auch wenn wir dabei die zeitliche Rangfolge anerkennen und gern beachten — nur durch ein Abkommen der Großmächte zu erzielen ist. Wir möchten aber die nachdrückliche Bitte an die Bundesregierung richten, immer darauf bedacht zu sein, den westlichen Großmächten vor Augen zu halten, wie dringend das Verlangen nach Wiedervereinigung in unserm Volk ist, damit von diesen Großmächten, sei es im Verkehr der Hohen Kommissare untereinander — so wie es heute Herr Kollege Ollenhauer erwähnt und zum Teil bemängelt hat —, sei es bei den großen Konferenzen, die Notwendigkeit nie aus dem Auge gelassen wird, jede Gelegenheit, die sich bietet, zu nützen, auch in Situationen, in denen vielleicht einmal der Osten vom Westen unbedingt eine Zustimmung zu dieser oder jener Frage braucht, um die deutsche Wiedervereinigung immer wieder ins Spiel zu bringen und zur Vorbedingung für Verhandlungen zu machen; denn nur darin sehen wir heute eine Möglichkeit, auf jener höheren Ebene, auf der allein politisch die Wiedervereinigung betrieben werden kann, zu einer Lösung zu kommen.
Ich glaube aber auch, hier einmal deutlich aussprechen zu müssen, was in der Debatte —, ich weiß nicht, aus welchen Gründen — nicht richtig herausgeklungen ist, daß es nämlich nicht nur eine Angelegenheit der Großmächte ist, ob diese Wiedervereinigung vorankommt, sondern daß es auch eine Angelegenheit des deutschen Volkes selbst sein muß. Ich weiß und kann mir denken, warum hier die verschiedenen Möglichkeiten der menschlichen Kontakte, vielleicht auch der fachlichen, die
gesucht werden müssen, nicht erwähnt wurden, warum nicht davon gesprochen wurde, daß wir es ohne weiteres hinnehmen könnten, wenn im Westen auch die Zeitungen, die Bücher und Zeitschriften des Ostens vertrieben würden, wenn es eine Gegenseitigkeit dafür gäbe, wenn ein Wander-und Reisverkehr oder ein Sportverkehr usw. nach beiden Seiten möglich wäre. Man kann zu leicht erwidern: Das hängt ja nicht von unserem guten Willen ab, sondern von dem der derzeitigen Machthaber in der Zone, und die haben diesen guten Willen nicht.
Ich meine, wir sollten beispielsweise über solche Aufsätze, wie sie neulich in der Schweizer Zeitung „Die Tat" von Hans Fleig unter dem Titel „Der deutsche Teig" erschienen sind, einmal etwas mehr nachdenken, als das der Fall zu sein scheint.
Dort wird uns nicht nur vorgeworfen, daß wir träge sind, sondern auch, daß wir nicht einmal versuchen, diese Trägheit durch gewisse Aktionen zumindest zu bemänteln. Ich meine, man kann dem Volke bei uns nicht vorwerfen, daß es an dieser Wiedervereinigung nicht interessiert sei. Ich glaube im Gegenteil, daß es tatsächlich ein brennender Wunsch jedes einzelnen Deutschen hier wie drüben ist, daß diese Wiedervereinigung Wirklichkeit wird. Aber es fehlt wohl bei uns an den nötigen Anregungen für das Volk. Es sind die Beispiele nicht gesetzt, an denen sich das Volk nun in seinem Wunsch, seinem Drang nach Wiedervereinigung Ausdruck zu geben, irgendwie festhalten kann. Wir bedauern außerordentlich, daß wir seinerzeit, als wir — ich betone: wir hatten keineswegs die Absicht, daraus vielleicht eine parteipropagandistische Angelegenheit zu machen — den Vorschlag machten, von allen Parteien gemeinsam eine gesamtdeutsche Spendenaktion nach der Berliner Konferenz auszurufen, auf so wenig Gegenliebe gestoßen sind. Nachher ist dankenswerterweise von Herrn Bundesminister Kaiser der Gedanke ins Volk getragen worden, daß nun eine gesamtdeutsche Bewegung für die Wiedervereinigung ins Leben gerufen werden müsse. So dankenswert diese Initiative ist, — wenn man aber an gewisse Verhältnisse drüben hinter dem Eisernen Vorhang denkt, dann wird einem bewußt, daß gewisse Gefahren darin liegen, wenn nur vom Staate her solche Anregungen gegeben werden. Es könnten Gefahren darin liegen, wenn diese Bewegungen auch vom Staate getragen werden sollten. Hier liegt — das wollen wir offen sagen — eine Aufgabe für die Parteien als Willensträger des Volkes vor. Die Parteien sollten sich dieser Bewegung für die Wiedervereinigung annehmen und ihr Gestalt geben.
Wenn man sagt, man könne sich nicht vorstellen, was man mit diesen Mitteln, die damals bestimmt gern gegeben worden wären oder zum 1. Mai gegeben werden würden, tun könnte, möchte ich dem entgegenhalten: wie wäre es beispielsweise, wenn wir gesagt hätten, das deutsche Volk wolle zum Zeichen dafür, daß es unverbrüchlich an die Wiedervereinigung glaubt, daß es an dem Glauben festhält, daß Berlin wieder einmal die Hauptstadt ganz Deutschlands sein wird, mit dieser gesamtdeutschen Spende unmittelbar an der Sektorengrenze in Berlin das Reichstagsgebäude neu aufbauen?
Wir haben vor kurzem erst drüben vor der Sektorengrenze die hohnvolle rote Fahne der Kommunisten auf dem Brandenburger Tor flattern hören, und daneben steht das zerstörte Gebäude des Reichstags. Das wäre eine Aufgabe; hier könnte unser Volk sich beteiligen, und es würde sich gern beteiligen, wenn wir ihm sagten: Wir wollen über dem Portal des künftigen Reichstagsgebäudes die neue Inschrift anbringen „Das ganze Deutschland soll es sein".
Ich habe mit Absicht, obwohl das mit Außenpolitik nichts zu tun haben mag, diese Fragen hier einmal vor dem Plenum des Bundestages angesprochen, weil wir draußen in Versammlungen und Zusammenkünften mit unseren Menschen immer wieder gefragt werden, warum denn nicht eine Initiative .zu dieser Volksbewegung, von der gesprochen wurde, von politischer Seite her gegeben wird. Ich betone noch einmal: uns liegt nichts daran, diese Dinge für uns verbuchen zu wollen. Wir wissen ganz genau, daß diese Gedanken heute in allen Fraktionen und in allen Parteien vorhanden sind und man sich den Kopf darüber zerbricht, wie man sie politisch aktivieren könnte. Wir würden uns deshalb freuen, wenn wir zu allem, was wir von den Großmächten und von der Bundesregierung für die Wiedervereinigung verlangen müssen, auch selber als die politischen Parteien des deutschen Volkes eine Aktivität entfalteten, die imstande ist, den Gedanken der deutschen Wiedervereinigung in unserem Volk vorwärtszutreiben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich gebe folgendes bekannt. Der Haushaltsausschuß muß um 17 Uhr im früheren CDU-Saal zu einer kurzen Sitzung zusammentreten. Diese kurze Sitzung ist notwendig, weil noch einiges für die morgige Haushaltsdebatte vorbereitet werden muß.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten von Merkatz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ernst des Tages, an dem heute unsere Debatte stattfindet, ist nicht zu verkennen. Seit dem Überfall auf Südkorea ist die Weltlage nicht so ernst gewesen, wie sie es heute ist. Das verpflichtet uns zu einem besonderen Maß an Zurückhaltung und zu einer besonderen Selbstkontrolle bei den Worten, die wir zu sagen haben. Ich bin nicht befugt, Zensuren zu geben, und unterdrücke deshalb ein Urteil über diesen oder jenen Punkt, der hier zum Ausdruck gebracht worden ist, ob alle Ausführungen diesem Maßstab und dieser Verantwortung genügt haben. Wir führen diese außenpolitische Debatte in einer sehr unpräzisen Situation. Infolgedessen ist es außerordentlich schwierig, etwas Präzises zu sagen, es sei denn, daß man sich in der Eitelkeit bewegt, Originalitäten und intellektuelle Gedankenblüten auf den Tisch des Hauses zu legen. Damit dient man aber den deutschen Interessen in gar keiner Weise. Ich möchte mich daher in dieser Situation darauf beschränken, grundsätzliche Auffassungen meiner Partei zum Ausdruck zu bringen. Es hat keinen Sinn, sich in diesem Moment darauf zu beschränken, über die gegebenen Verhältnisse zu lamentieren und die schlimmen Dinge, die in der Welt geschehen, zu kritisieren und sich dem Gefühl der Enttäuschung über den Verlauf der europäischen Politik und die schlechte Entwicklung der Dinge
hinzugeben. Das hat keinen Sinn, wenn ich nicht mit dieser Kritik zugleich eine konstruktive Idee zu verbinden habe.
Ich muß aufrichtig sagen, daß der heutige Tag über den bisherigen Grundgedanken der deutschen Außenpolitik hinaus keine eigentlich neuen konstruktiven Gesichtspunkte hervorgebracht hat.
Wir stehen unter dem Einfluß von drei Faktoren. Der eine ist die objektiv veränderte Weltlage. Die Existenz des alten Staatensystems, so wie es in der Vergangenheit als vielfältiges nationalstaatliches System geworden ist, ist auf die Dauer nicht mehr aufrecht zu erhalten. Die Welt ist in zwei große Machtzentren zerfallen, in das Machtzentrum des Ostens und in das Machtzentrum der Amerikaner. In diesem Gefüge großräumiger Zusammenschlüsse, das im Ostblock bereits vollendet ist, im Westen aber noch nicht vollendet ist, besteht praktisch das europäische Loch. In diesem europäischen Vakuum liegt die Gefahr eines deutschen Niemandslandes zwischen Ost und West, d. h. die Gefahr der Vernichtung des deutschen Volkes. Unter diesen schweren Bedingungen haben wir Politik treiben müssen. Ich bitte dabei zu berücksichtigen, daß 1945 die Niederlage nicht nur eine gewöhnliche Niederlage war, sondern die Zerstörung des gesamtstaatlichen Gefüges und seiner politischen Vertretung nach außen.
Das hat es bisher noch kaum gegeben. Das war mehr als ein verlorener Krieg. Das war eine Vernichtung, und aus diesem Zustand der Vernichtung heraus mußte Außenpolitik getrieben werden. Wer sich einbildet, daß die Gefahr der Vernichtung bereits von unserem Haupte weggenommen worden sei, und deshalb, weil dank der Politik der Regierung die Leute wieder satt zu essen haben — jedenfalls der größte Teil wieder satt zu essen hat — und man wieder Luxus sieht, nun etwa glaubt, man sei in Sicherheit und damit sei nun alles ausgestanden, der lügt sich doch etwas vor!
— Das habe ich schon mehrfach gesagt, Herr Kollege Heiland. Ich glaube, man sollte den Begriff des Rechtes der Menschen auf die Heimat und in der Heimat als den obersten Grundsatz und Maßstab feststellen und daran alle übrigen Dinge bemessen, die geschehen sind. Das sind nicht mehr nationalistische Prestigefragen. Vielmehr handelt es sich um die Frage: Was dient den Menschen, was erhält ihr Menschenrecht in der Heimat, und wie ist es möglich, daß diese Menschen in Ruhe und Frieden und Sicherheit in ihrem Siedlungsraum sitzen und arbeiten können und eine Zukunft haben? Das ist ein Maßstab, und allein nach diesem Maßstab ist meiner Ansicht nach Erfolg oder Mißerfolg einer Außenpolitik zu messen.
Man mag vielleicht sagen: Das ist eine Politik der Illusionen! Ich halte sie für eine sehr praktische Politik, weil sie auf das wirkliche Bedürfnis der Menschen eingeht und weil sie bei richtiger Anwendung des Grundsatzes des Rechtes der Menschen auf die Heimat und in der Heimat manches aufgeblasene Scheinproblem auf das reduziert, was es eigentlich politisch bedeutet.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn man die außenpolitischen Debatten hört, hat man oft den Eindruck, daß Ursache und Wirkung unserer gegenwärtigen Lage vollkommen vergessen zu sein scheinen. Insbesondere scheint vergessen zu sein, daß diese ganz konkrete Form einer europäischen Politik — nämlich die der EVG—ja schließlich durch eine sowjetrussische Aggression hervorgerufen worden ist, nämlich
dadurch, daß die Sowjetunion ihre Rechte als Besatzungsmacht mißbraucht hat, daß sie die Spaltung des deutschen Staatswesens aufrechtzuerhalten oder das Wiedererstehen des deutschen Gesamtstaates zu behindern sucht, daß sie tatsächlich durch eine immer weitere Ausdehnung ihres Einflusses den Versuch macht, die westliche Welt unter Druck zu setzen, um die vorherrschende Macht zu werden. Aus diesem Verhalten ist die gegenwärtige Lage entstanden. Es ist also nicht etwa eine Erfindung der westlichen Politiker, den Zusammenschluß Europas in dieser oder jener Form vorzunehmen, sondern das ist eben die Antwort auf einen unguten Druck, der die Welt beunruhigt. Wir müssen feststellen, daß es eine Verbindung von Staaten gibt, die als potentielle Aggressoren gelten müssen, weil sie darauf abzielen, die Freiheit der Völker im Innern und nach außen zu beseitigen. Wer das bestreitet, den muß ich auf den Angriff in Korea verweisen und dem halte ich insbesondere entgegen, daß vor dem Beginn der Genfer Konferenz, wo alles darauf ankam, daß es wirklich zu einer entspannten Atmosphäre kam, in dieser Situation bei den Vorgängen in Indochina erneute Aggressionen begonnen worden sind mit dem Ziel, auf der Genfer Konferenz militärische Vorteile in Indochina aufweisen zu können. Es sind also lauter Handlungen begangen worden, die die Atmosphäre verschlechtert haben. Ich denke auch an den Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit Australien und noch an andere Fälle, in denen eine so deutliche Verschärfung der Situation durch den Ostblock festgestellt werden muß, daß man sich wirklich fragen kann, ob nicht diejenigen, die der Illusion der Entspannungspolitik von Berlin, ich möchte sagen, überhaupt den Illusionen des Jahres 1953 erlegen sind, eine sehr gefährliche und auf die Dauer die Aggressoren nur ermutigende Politik treiben.
Meine Damen und Herren, ich weiß, daß es vielleicht für einen Deutschen, der sich mit diesen Problemen beschäftigen muß, der aber nicht viel dabei mitzureden hat, etwas gewagt ist, das zu sagen. Ich möchte aber behaupten, daß diejenigen Illusionisten, die der Sowjetunion ein angebliches Sicherheitsbedürfnis und deshalb Entspannungsbedürfnis zugesprochen haben, die ihr also die „Friedenspolitik" abgenommen haben und die deshalb die Politik der europäischen Sicherheit und Verteidigung zwei Jahre lang verzögert haben, so daß man jetzt unter Umständen bald über diese Politik das Wort „zu spät" setzen muß, jetzt allmählich eines Besseren belehrt sind. Ich kann mir nicht vorstellen, daß gegenüber einer Politik, die auf Ausdehnung der Machtsphäre gerichtet ist und die auch kein Mittel — auch nicht das der direkten Gewalt — gescheut hat, wenn es auch nur in örtlich begrenztem Umfang wie in Korea oder in Indochina angewandt wurde, daß gegenüber einem solchen politischen Wollen eine andere Haltung möglich wäre als eine Politik, die klarstellt, daß mit diesen Mitteln der Gewalt und Aggression einfach nicht weiterzukommen ist, ohne die eigene Position entscheidend zu gefährden.
Ich glaube, der Politik der Aggression muß ein deutlicher Wille entgegengesetzt werden, und dieser Notwendigkeit der freien Welt haben wir auch unsere eigenen Überlegungen in Deutschland unterzuordnen. Ich möchte dabei all denen, die jetzt die Krise der europäischen Politik mit einer gewissen hämischen Genugtuung vermerken, folgendes sagen. Ich darf daran erinnern, daß wir auch zwischen dem ersten und dem zweiten Weltkrieg unter Briand und Stresemann — man lese einmal die Dokumente dieser Zeit durch
und vermerke, mit welch innerem Glauben und Schwung sie geschrieben worden sind — eine Chance hatten. Man bekämpfte diese Politik damals genau so hämisch wie heute, weil man den letzten Schritt nicht tun wollte. In der Genugtuung über das Scheitern dieser Politik waren damals allerdings die politischen Fronten bei uns anders als heute. Mit einer hämischen Genugtuung hat man eine Entwicklung, eine Chance zerredet, die dann nicht wiedergekommen ist, für die aber in Europa alles in allem nachher die Katastrophe dann unausweichlich kam.
Warum hat man damals nicht eingesehen, daß das, was mit den Locarno-Verträgen begonnen war, nicht zugleich wieder durch eine Mißtrauenspolitik gegenüber Deutschland zerstört werden durfte? Was ist dabei herausgekommen? Man hat eine Politik getrieben — ich will nicht im einzelnen sagen, wer es war —, die dem inneren Sinn der Locarno-Verträge absolut entgegengesetzt war, indem man eine Politik der Einkreisung trieb und ein Deutschland isolierendes Sicherheitssystem aufbaute, das dann zum Zusammenbruch der konstruktiven Locarnopolitik führen mußte und mit eine der Ursachen war, daß die damalige Chance verpaßt wurde, die 40 Millionen Menschen das Leben gerettet hätte, die uns noch in unserer Heimat hätte verbleiben lassen und Millionen Menschen anderer Völker in ihren Siedlungsgebieten gelassen hätte, die so viel Unheil von der Welt abgewandt hätte, wenn man damals auch den inneren Schwung und den Mut gehabt hätte und sich nicht hämisch an der Zerstörung und dem Zusammenbruch dieser Politik gefreut hätte.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, man spricht davon, daß sich die Amerikaner aus Europa loslösen und eine periphere Verteidigung vorziehen könnten. Ob das militärisch im amerikanischen Interesse vernünftig wäre oder nicht, vermag ich und will ich hier nicht untersuchen. Aber man muß eines doch allen Ernstes feststellen. Die Enttäuschung über einen politischen Weg kann sehr große Änderungen in den öffentlichen Meinungen von Demokratien auslösen. Ob das Ergebnis dabei militärisch und strategisch vernünftig oder unvernünftig ist, spielt bei solchen spontanen Wendungen keine entscheidende Rolle. Man muß damit rechnen, daß, wenn dieser konkrete, durch Jahre nun verfolgte politische Weg in Europa versagt, es dann einen Umschwung in der Meinung des Volkes der Vereinigten Staaten gibt, der sie zu einem isolationistischen oder peripher verteidigten System hindrängen wird. Da sagen dann die Leute, es sei amerikahörig, so etwas zu sagen. Wer hat denn — seien wir doch ehrlich — die Freiheit in der Welt und bei uns verteidigt?
Es war doch Amerika, und es wäre undankbar, das nicht deutlich zu bekennen.
Ein weiterer Punkt. Wir wissen um die Furchtbarkeit der Vernichtungswaffen, der Atombomben. Wir müssen aber auch feststellen, daß durch die Überlegenheit dieser amerikanischen Rüstung an einigen Orten der Welt, wo militärisch schwache Völker leben — und wir gehören leider zu diesen geschwächten Völkern—, die Freiheit bewahrt worden ist. Ich bin sehr für ein Verbot der überschweren Waffen, die ja im Grunde genommen Freund und Feind vernichten und schädigen. Aber ich bin nicht gewillt, zuzustimmen, daß man bei dieser Frage, dem Wettlauf zwischen den Rüstungen Moskaus und Washingtons, gewissermaßen Moskau den Vorteil verschafft. Wir brauchen in der Welt die gesamte Abrüstung, wenn die Zivilisation überleben soll. Jeder, der heute mit dem Gedanken der Gewalt auch nur spielt, der setzt damit die Existenz der gesamten menschlichen Zivilisation aufs Spiel.
Die Lage ist aber auch nüchtern so zu betrachten: Die Sowjetunion macht den Wettlauf um die H-Bomben mit; denn sie besitzt sie ja auch, allerdings wohl nicht in der gleichen Zahl; das wissen wir nicht genau. Sie scheint jedoch eine sehr deutliche Überlegenheit an den sogenannten üblichen Waffen zu haben, die vorläufig durch die Atomrüstung der Vereinigten Staaten ausgeglichen ist.
Meine Damen und Herren, wir haben als Deutsche ein sehr, sehr großes Interesse daran, daß man wirklich zu einem allgemeinen System der Abrüstung kommt und daß die atomare Kraft ausschließlich für friedliche Zwecke verwendet wird. Verkennen wir aber bitte nicht, daß die Frage der Abrüstung und des Verbots der schweren und überschweren Waffen eng mit dem Aufbau eines allgemeinen Sicherheitssystem zusammenhängt und nur Hand in Hand mit den Fragen der allgemeinen Sicherheit einer wahrhaften Lösung entgegengeführt werden kann. Deshalb glaube ich, es ist eine Notwendigkeit für das Überleben unseres Volkes, daß wir bei der Beratung all dieser Fragen mit im Spiele sind, daß wir gefragt, daß wir konsultiert werden. Es ist nicht in die Verantwortung eines deutschen Politikers gestellt, sich unter den gegenwärtigen Umständen sozusagen in einen Schmollwinkel zu setzen oder zu erklären: „Alles muß hier bei uns an staatlichem Handelnkönnen wiederaufgebaut sein, dann erst beteilige ich mich wieder." Das geht nicht. Ich halte es nach wie vor — und das ist hier oft ausgesprochen worden — für unsere absolute Pflicht, jeden Zipfel von Verantwortung, die uns zuwächst, zu übernehmen, um mit am Tisch der Nationen zu sitzen und für das Recht unserer Menschen innerhalb der Grenzen des Geltungsbereichs des Grundgesetzes und darüber hinaus einzutreten.
Ich glaube dabei, daß aus den Stürmen unserer Zeit ein großes Prinzip hervorgeht, das ich das Prinzip der atlantischen Solidarität nennen möchte. Nach meiner Auffassung kann man bei den gereiften Verhältnissen in der Welt nicht Nationen fusionieren. Man sollte den Gedanken einer Fusion der Nationen — Integration als Fusion der Nationen — nicht verfolgen. Die Geschichte hat die Völker, so wie sie sind, in ihrer Eigenart geformt. Eines ist aber zweifellos möglich und notwendig, das ist die Fusion der Interessen der freien Welt.
Dabei frage ich ganz konkret, ob jenes Forum des Europarates genügt, um eine wirkliche Fusion der
Interessen herbeizuführen. Ich frage, ob die bisherigen, traditionellen zwischenstaatlichen Formen ausreichen, um eine wirksame Fusion der Interessen durchzuführen.
Ich bin sehr glücklich darüber, daß der Europarat besteht und hier eine Klammer, ein Kontakt zwischen allen europäischen Völkern gegeben ist. Ich möchte nicht in den Chor jener einstimmen — übrigens haben sich da merkwürdigerweise die Fronten vertauscht —, die den Europarat als Schwatzbude diffamiert haben; diese Kreise fangen jetzt an, ihn zu loben, nachdem die Konstruktion eines Klein-Europa der sechs Staaten zu konkreteren Formen der Zusammenarbeit fortentwikkelt werden konnte. Ich bin sehr glücklich darüber, daß der Europarat besteht, weil er tatsächlich ein Forum ist, bei dem man sich noch treffen kann, bei dem man sich verständigen kann. Jeder muß sich aber auch darüber klar sein: Was man an Gedankenaustausch und Resolutionen in den Kommissionen und im Plenum der Beratenden Versammlung schaffen kann, ist nützlich für die Vorbereitung der öffentlichen Meinung, jedoch reicht das nicht aus für die Fusion der Interessen und der ohne Zeitverlust wirksam zu lösenden europäischen Aufgaben, wo es um Sein oder Nichtsein geht.
Es wird soviel von einer Alternative zum europäischen Verteidigungsvertrag gesprochen. Alternativen kann man sich am grünen Tisch ausdenken, und intellektuell ersonnen gibt es natürlich zahlreiche Alternativen.
Aber zu dem, was wirklich sein kann, habe ich nur folgendes zu bemerken.
Wir haben in diesem Hause die Ratifikation der Verträge von Bonn und Paris beschlossen. Wir sind im Wort. Ich glaube, es hat bisher niemals der Zuverlässigkeit einer Politik gedient, wenn man stets neue Gedanken produziert und damit ein inneres Schwanken, eine innere Unsicherheit erkennbar gemacht hat. Wir sind im Wort und haben vorläufig dem von uns gegebenen Wort hinsichtlich der Vertragsgestaltung nichts hinzuzufügen, sondern haben bei unserer Offerte, wenn man so sagen will, zu bleiben.
Ich weiß, daß manches, was bei der Diskussion dieser Vertragswerke gesagt wird, uns tiefe Sorge machen muß. Zu dem, was der Kollege Ollenhauer heute morgen gesagt hat: Machen Sie sich über das, was in der französischen Kammer und auch in der Presse gesagt wird, keine Sorgen?, kann ich nur sagen: wir, ich glaube, alle Deutschen mit europäischer Gesinnung, machen uns erhebliche Sorgen über diese Form, in der der Grundgedanke durch das Verzögern der Politik über zwei Jahre zersetzt worden ist, so daß man sich tatsächlich manchmal fragen muß, was aus dieser Politik noch werden soll. Aber es gehört auch zu den Tugenden in der Politik, daß man dann, wenn einmal eine kritische Lage auftritt — und alle größeren Dinge müssen ihre Krisen durchschreiten —, mit vollkommener Konsequenz an dem einmal gegebenen Wort festhält, bis man davon befreit wird, bis eben das Scheitern feststeht.
— Ich möchte keine genaue Uhrzeit angeben, Herr
Kollege Kreyssig. Aber eines sei dabei noch gesagt.
Derjenige, der heute schon glaubt, eine klare Diagnose stellen zu können, wird unter Umständen durch die Ereignisse widerlegt. Es ist dann, glaube ich, auch nicht nützlich, wenn man einerseits erklärt: Wir stehen im Wort, und das Wort, das wir gegeben haben, ist in seiner Verpflichtung unumstößlich, daß man dann zugleich mit einer pessimistisch unkenden Prognose aufwartet. Irgendwie ist auch die eigene innere Haltung selbst ein Element der Gestaltung.
Meine Damen und Herren, nun könnte es ja so sein, daß wir den Anschein erweckten, an diesem EVG-Vertrag so übermäßig interessiert zu sein, daß wir es gar nicht erwarten könnten, wieder die Uniform anzuziehen, und daß wir im Verlangen nach militärischer Macht alles daransetzen würden, um diese Verteidigungspolitik zur Vollendung zu bringen. Wer die Dinge so darstellt, verkennt vollkommen die Mentalität des deutschen Volkes und das, was es durchgemacht hat. Daß man bei der effektiven europäischen Einigung mit militärischen Fragen hat anfangen müssen, ist nicht die Schuld der freien Welt, sondern ist, wie ich schon darzulegen bemüht war, eben eine Folge der Situation und der Übermacht des Ostblocks und seines klaren Willens, auch nicht ein Stückchen Kompromißbereitschaft auf europäischem Boden zu zeigen. Darum sind nun diese militärischen Fragen in den Mittelpunkt getreten. Aber ich möchte gerade unseren französischen Nachbarn das eine sagen: Vieles, was sie selbst an Bedenken haben und immer wieder äußern, macht auch uns nicht gerade übermäßig Freude. Aber wir erkennen mit ihnen und mit allen Völkern Europas an, daß es keinen anderen Weg gibt, um der gegenwärtigen Situation im Sinne der Freiheit und der Interessen aller europäischen Nationen wirksam zu begegnen, und daß uns bisher keine Entwicklung in dieser Überzeugung hat schwankend machen können. Leider hat die Welt keine andere Entwicklung nehmen können, die eine Alternative mehr auf politischem und weniger auf militärischem Gebiet erlaubt hätte.
Meine Damen und Herren, Herr Kollege Ollenhauer hat eine Äußerung des Generals Gruenther vorgetragen, wonach 12 deutsche Divisionen gewissermaßen nur als Vorhut für die eigentlichen Streitkräfte der Alliierten aufgestellt werden sollten. Ich glaube, daß diese Äußerung mißverstanden worden ist. Ich möchte empfehlen, den Aufsatz von Foster Dulles über die neue Art der Verteidigung der Vereinigten Staaten von Amerika zu studieren, um zu begreifen, welche echte Funktion diesen 12 Divisionen zukommt.
Aber glauben Sie denn wirklich, auf der einen Seite sagen zu können: Gesamtdeutschland muß wiederhergestellt werden, wenn Sie auf der anderen Seite unsere Sicherheit durch andere garantieren lassen wollen, ohne daß das deutsche Volk selbst bei der unmittelbaren Nähe der Gefahr seinen Teil an dieser Aufgabe übernimmt?
Das ist doch undenkbar. Man kann niemals einem anderen das zulasten, was man selbst tun muß.
Herr Kollege Pfleiderer sagte. vorhin, in gesamtdeutschen Fragen seien wir praktisch allein. Allerdings, in den Fragen des eigensten nationalen Interesses ist man immer irgendwie allein. Man findet nur dann Freunde und Bundesgenossen,
wenn man in sich selber die Kraft zur Initiative und zum Handeln entwickelt hat.
Damit möchte ich die Frage kurz ansprechen, die uns wohl am meisten angeht: die deutsche Einheit. Man kann schlagwortartig sagen, daß die Entwicklung der Frage der deutschen Einheit zwei Phasen durchgemacht hat, den Weg von Potsdam nach London, jener Außenministerkonferenz, die dann 1947 im Dezember auseinanderbrach, und schließlich den Weg von London nach Berlin und jetzt nach Genf. Meine Damen und Herren, ich habe vorhin schon von der verhängnisvollen Fehldiagnose gesprochen, die zur Verzögerung der Europapolitik, zur Verzögerung der Ratifizierung der EVG und zur Verzögerung des Wirksammachens einer europäischen Zusammenarbeit geführt hat. Berlin hat doch für uns Ergebnisse gebracht, die uns zwingen sollten, die Politik der Zusammenarbeit mit der freien Welt so weit zu verstärken wie überhaupt nur möglich. Denn Berlin hat als Ergebnis gezeitigt, daß die Sowjetunion nicht gewillt ist, die Teilung Deutschlands aufzuheben unter Bedingungen, die die Freiheit der deutschen Menschen gewährleisten. Ich glaube, daß man hier im Sinne der gesamtdeutschen Aufgabe festbleiben muß, daß man auch nicht das geringste an deutschen Freiheitsrechten und an der Möglichkeit deutscher Freiheit verraten darf.
Hinsichtlich der Zuerkennung gewisser Souveränitätsrechte an die Administration in der sowjetisch besetzten Zone möchte ich nur eines sagen. Es gibt nur eine deutsche Souveränität, und diese eine deutsche Souveränität kann nicht durch auswärtige Gewalten gespalten werden.
An diesem Grundsatz müssen wir meiner Ansicht nach festhalten. Es ist auch nicht so, daß Souveränitätsrechte von irgendeiner anderen Regierung als der eines gesamtdeutschen Staates ausgeübt werden könnten. Wir müssen aber Souveränitätsrechte auch im Geltungsgebiet des Grundgesetzes ausüben. Diese Ausübung der Souveränitätsrechte geschieht treuhänderisch. Aber auch, wenn sie treuhänderisch geschieht, ist es immer die Ausübung ein und derselben gesamtdeutschen Souveränität, die unzerstörbar ist. Diese eine deutsche Souveränität kann ihre volle Wirksamkeit erst entfalten, wenn sie wieder vom Gesamtstaat ausgeübt werden kann. Sie wird in den freien Teilen Deutschlands treuhänderisch, und zwar immer als eine einheitliche, das gesamte deutsche Volk betreffende Souveränität wahrgenommen. Wir haben mit jedem Souveränitätsakt, der von uns in der Vertretung der auswärtigen Politik oder auch nach innen vorgenommen wird, eine Verantwortung gegenüber dem gesamten deutschen Volk zu erfüllen. Die Notwendigkeit, den Beistand der freien Welt für die Wiederherstellung der deutschen Einheit zu gewinnen, liegt auf der Hand. Man kann sagen, daß auf der Bermuda-Konferenz und auf der Konferenz von Berlin — und wir hoffen das auch von der Konferenz von Genf — die erste Stufe doch erreicht worden ist, nämlich die Stabilisierung und Konsolidierung der westlichen Zusammenarbeit als die erste Voraussetzung. Damit hat aber nun die zweite Phase begonnen — der Vertreter des Gesamtdeutschen Blocks sprach bereits davon —, in der wir die eigene Verantwortung verstärken müssen — in echten eigenen Aktionen —, um die Einheit Deutschlands wiederherzustellen.
Heute ist das Wort gefallen, die einzige Klammer der deutschen Einheit und der Zusammengehörigkeit sei gewissermaßen die Potsdamer Grundlage. Ich möchte diesem Satz mit allem Ernst widersprechen. Deutschlands Einheit beruht nicht auf Abmachungen der Besatzungsmächte, sondern auf unserem heiligen historischen Recht, das in uns selbst begründet ist.
Ob Potsdam über Bord geht oder nicht, ob internationale Abmachungen bestehen oder nicht, Deutschlands Einheit ist in uns selbst gegeben und nicht nur als Anspruch, sondern als Realität unseres einheitlichen Volkes unzerstörbar.
— Ich sehe keine Gespenster! —
— Meine sehr geehrten Damen und Herren, diese Polemik hat sich gar nicht gegen Sie gerichtet. Ich weiß nicht, wer es gesagt hat, aber heute morgen wurde gesagt, daß Potsdam die einzige Klammer sei. Wenn das in der Begründung zum Deutschland-Vertrag gestanden hat, so hat das einen anderen Sinn als den, von dem ich eben sprach. Die Potsdamer Grundlage bezog sich auf die Zusage, die Debellatio nicht zur Zerstörung der deutschen Einheit mißbrauchen zu wollen; ich aber sprach von der natürlichen Einheit Deutschlands, die über allem Besatzungsrecht steht.
Ich möchte nur das eine sagen: Wenn auch die Potsdamer Grundlage aufgegeben wird, die Einheit der Nation kann niemals durch einen fremden Akt aufgehoben werden. Es ist eigentlich eine Zumutung — ich möchte nicht dem Schweizer Blatt zu nahe treten und schon gar nicht dem Schriftsteller —, aber ich meine, es ist wirklich nicht das Amt eines Ausländers, die Deutschen daran zu erinnern, was sie sich selber schuldig sind. Das möchte ich solchen Zensoren gegenüber eindeutig zum Ausdruck bringen. Was wir uns als Politiker in deutscher Verantwortung schuldig sind, darüber bestimmen wir in innerer Souveränität und verbitten uns, daß man uns darüber Vorhaltungen oder Vorschriften macht.
— Das war an alle gesagt, die diesen Versuch unternehmen sollten.
Abschließend komme ich zu dem schwierigen Problem der Saar. Es ist ein Teilproblem, man muß es im Gesamtzusammenhang der Außenpolitik und vor allem im Zusammenhang mit dem Problem der deutschen Einheit sehen. Ich muß wirklich sagen, daß es sich erübrigt, gegen das Junktim einer Saarlösung mit der EVG zu polemisieren. Sollte tatsächlich in dem Verlangen, daß vor der Ratifikation des EVG-Vertrages und als Voraussetzung einer Debatte darüber in der französischen Kammer eine Lösung der Saarfrage erzielt wird, eine Pression ausgeübt werden, so müßten wir das vom deutschen Standpunkt aus entschieden ablehnen, da diese Frage mit der Europäischen
Verteidigungsgemeinschaft überhaupt nichts zu tun hat. Ich muß unterstreichen, was heute gesagt worden ist: sowenig Junktims wie möglich. Aber den Grundgedanken, eine Lösung der Saarfrage in den Zusammenhang mit der europäischen Gemeinschaft zu bringen, halte ich für sehr vernünftig, weil eine europäische Realität erst geschaffen sein wird. wenn wir uns in Europa über eine effektive Zusammenarbeit auf politischer Ebene geeinigt haben. Es ist richtig, wenn der Herr Bundeskanzler heute festgestellt hat, daß der deutsche Standpunkt und der französische Standpunkt in der Frage der Saar unüberbrückbar sind. Wir haben das Recht, die anderen haben den Besitz. Aber ich möchte mich dagegen wenden, daß Vokabeln wie „Vorleistung" und „Verzicht" gebraucht werden. Leider ist es so, daß de facto das Saargebiet vom deutschen Staats- und Volkskörper abgetrennt ist.
- Nein, wir haben auf nichts verzichtet. Man hat es weggenommen und hat es nun in der Hand. Die Pflichten deutscher Politiker gehen dahin, unserem Volk an der Saar zu helfen, Treuhänder des gesamten deutschen Staates, der deutschen Souveränität zu sein. Inhalt einer Souveränität ist immer, den Bewohnern eines Gebietes Schutz, Hilfe und Sicherheit zu gewähren. Hier geht es doch ganz klar darum, einem deutschen Gebiet wieder die notwendige innere Prosperität, Sicherheit und Stabilität zu geben, die ihm zukommen und die durch ständige politische Störungen, durch Grenzziehungen usw. gestört worden sind. Die Aufgabe ist, etwas gesund zu machen, zu schutzen, was durch falsche politische Entscheidungen, durch Gewalt zerstört worden ist.
Man hat oft den Eindruck — ich möchte das offen aussprechen —, daß man diesen Konflikt — und über diese Frage besteht zwischen zwei europäischen Völkern ein echter Konflikt — jeweils dann betont, wenn man glaubt, daß man die Formen der europäischen Zusammenarbeit, so wie sie sich entwickelt haben, damit stören könnte. Ich kann mir nicht denken, wie man Volk und Gebiet an der Saar eine wirkliche Hilfe bringen will, wie man die Pflicht auch diesem Teil Deutschlands gegenüber erfüllen will — das Saargebiet gehört zu unserem Staatsgebiet in den Grenzen von 1937 —, wenn man die Dinge unüberbrückt so liegen läßt und damit den Einfluß Frankreichs, das die Saar praktisch wirtschaftlich annektiert hat, sich immer mehr ausbreiten und schließlich de facto Zustände eintreten läßt, die dann nicht mehr zu reparieren sind. Ich glaube, man kann sich dieser Pflicht einfach nicht entziehen. Man kann nicht bis zu einem Friedensvertrag gewissermaßen trotzend stehenbleiben und die Dinge einfach liegen lassen. Man verschlechtert die Lage zuungunsten Deutschlands, wenn man die Dinge bis zum Friedensvertrag einfach in der Schwebe läßt und wartet.
Es dürfte, glaube ich, keine Meinungsverschiedenheit darüber geben, daß nur ein Friedensvertrag die Frage der Zugehörigkeit von Volk und Gebiet an der Saar lösen kann.
Vom Standpunkt meiner politischen Freunde aus ist der Art. 19 des Naters-Plans, mit dem gewissermaßen ein pactum de contrahendo geschaffen worden ist, eine Vorverpflichtung für den Friedensvertrag beschlossen werden soll, nicht akzeptabel.
Wir sind auch nicht in der Lage, einer Annexion — das will Frankreich auch gar nicht — oder der Entstehung eines neuen Luxemburg, eines siebenten europäischen Staates zuzustimmen. Beide Denkfiguren sind nicht richtig. Worauf kommt es an? Ich komme wieder auf den Grundsatz zurück, den ich einleitend betont habe: das Recht auf die Heimat für die Menschen sicherzustellen. Es kommt darauf an, die Saarwirtschaft aus ihrer Isolierung und politischen Gestörtheit zu befreien. Diese Aufgabe ist erfüllbar, so glaube ich. Wir haben gesehen, daß der Natersplan Teil III, der sich mit den wirtschaftlichen Fragen befaßt, durchaus die Billigung hat finden können, daß aber nicht die politischen Teile dieses Resolutionsentwurfes die Billigung finden konnten.
Es kann, glaube ich, auch keine Diskussion darüber geben, daß die Menschenrechte für die deutschen Menschen an der Saar in vollem Inhalt so hergestellt werden müssen, wie sie nach der Präambel und nach der Satzung des Europarats gelten. Es kann auch kein Zweifel darüber bestehen, daß eine Volksabstimmung auf Separation nicht zugestanden werden kann, weil es dieses Recht nicht gibt. Es gibt aber — das ist anerkanntes Völkerrecht — eine eigentlich selbstverständliche Verpflichtung, daß jede Regelung, die mit dem Statut eines Gebietes zusammenhängt, von der dort wohnenden Bevölkerung bestätigt sein muß und nicht diesem Volke durch eine Verfügung von oben her abgenötigt werden kann.
Da die Zeit nicht für uns arbeitet und die Dinge in Europa drängen, müssen wir uns deshalb darin einig sein, daß irgendwie eine Lösung des Konflikts zwischen uns und Frankreich über dieses Gebiet eingeleitet werden muß, und zwar bald und schnell. Wenn man nicht einfach in zwei unüberbrückbaren Standpunkten erstarren will, in dem französischen und in dem deutschen, gibt es nur die Möglichkeit, eine sogenannte europäische Lösung zu finden.
Ich persönlich liebe das Wort „Europäisierung" nicht, weil sich hinter diesem Wort in seinen Ursprüngen die Verschleierung eines Tatbestandes versteckt hatte, der nichts anderes wollte, als die wirtschaftliche Annexion des Saargebietes für die Franzosen dauernd zu machen. Das ist nicht akzeptabel.
Es kommt darauf an, eine ehrenhafte Lösung zu suchen, die vor allen Dingen den Interessen der Bevölkerung an der Saar als einer deutschen Bevölkerung selber dient, eine Lösung, die schon deshalb vor dem Friedensvertrag kommen muß, weil die Zeit bei einem Bestehenlassen der Umstände, wie sie gegenwärtig sind, gegen uns arbeitet, eine ehrenhafte Lösung also, die gewissermaßen ein Zugeständnis von beiden Seiten ermöglicht und ein Zugeständnis beinhaltet, das vor allem der Saarwirtschaft, dem Volk und Gebiet an der Saar selber dient. Was sollte man vernünftigerweise gegen eine solche Lösung vorzubringen haben, wenn sie überhaupt bei der gegenwärtigen Situation zu realisieren ist?
Das heißt mit anderen Worten: über Grenzfragen kann nur im künftigen Friedensvertrag entschieden werden. Es kann also kein Statut geschaffen werden, das vor Abschluß eines Friedensvertrages eine Herauslösung dieses Gebietes aus dem alten Verband beinhaltet. Aber das, was geschehen muß, wenn man nicht gewissermaßen in dem Engpaß zweier unlösbarer Gegensätze stehen bleiben
soll, ist, daß man an die Stelle des alten Rechts, das bestritten wird, und des alten Besitzes, der auch bestritten ist, etwas Neues setzt, eine neue Rechtsschöpfung als eine europäische Realität und als den ersten Anfang der Erkenntnis, daß es gelingen kann, einen fast unlösbaren Gegensatz zwischen zwei Nationen in entscheidender Stunde zu bereinigen und sich in einem vorläufigen, keinen der Partner präjudizierenden Zugeständnis zu einigen.
Das ist eine Realität, keine Vorausleistung und auch kein Verzicht.
Die Voraussetzung dazu ist, daß eine wirkliche europäische Gemeinschaft mit echter Autorität, die den wirtschaftlichen Treuhänder, von dem Herr Pfleiderer gesprochen hat, stellen könnte, entsteht oder, wie Herr von Brentano es richtig ausgedrückt hat, daß alles dies unter der aufschiebenden und auflösenden Bedingung geschieht, daß die unverwässerten — ich betone: unverwässerten — Statuten der politischen Gemeinschaft nun doch Wirklichkeit werden.
Nicht daß das ein Junktim im eigentlichen Sinne ist — denn wir haben hier keine Koppelgeschäfte zu machen —, sondern das eine versteht sich aus dem anderen. Man kann nicht Volk und Gebiet an der Saar einladen, zuzustimmen, sich einer europäischen Aufgabe zu widmen, wenn diese europäische Aufgabe nicht in sich schon restlos Gestalt gefunden hat.
Ich möchte also ganz klarmachen: Diese Widmung von Volk und Gebiet an der Saar an eine europäische Aufgabe und damit die Schaffung einer europäischen Realität hängt davon ab, daß die unverwässerte politische Gemeinschaft entsteht. Sie bedeutet weder eine Annexion noch eine Separation noch auch sonst eine Entfremdung von Volk und Gebiet an der Saar aus seinen natürlichen Zusammenhängen. Es bedeutet aber die Befreiung eines namhaften Bevölkerungsteils von dem ständigen Druck, das Objekt des Streites zwischen zwei Nationen zu sein, und damit die Einleitung dazu, daß in einem Friedensvertrag — wenn dann überhaupt Grenzfragen noch so wichtig sind, wie sie heute noch genommen werden müssen — Lösungen hinsichtlich der Gebietsfragen getroffen werden, die wirklich tragbar sind und vor allen Dingen den dort wohnenden Menschen dienen.
Wenn man den Vergleich und die Gleichstellung dieser Frage mit der Oder-Neiße-Frage nimmt, dann kann ich nur sagen: das ist sehr formal gesehen. Wir könnten als Vertriebene glücklich sein, wenn man in den Gebieten östlich von Oder und Neiße auch nur annähernd mit Vorschlägen kommen könnte,
sie in einen Status zu bringen, wie er hier vorgesehen ist. Vor diesem Präjudiz, daß auch die Ostgrenze gewissen europäischen neuen Formen gewidmet wird und wahrscheinlich überhaupt nur so die völkischen Schwierigkeiten zu lösen sind — vor diesem Präjudiz allerdings habe ich keine Sorge. Ich hätte nur eine Sorge, wenn man den Friedensvertrag insofern vorwegnimmt, daß man sich anheischig macht, über ein gesamtdeutsches Gut definitiv zu verfügen oder einen neuen, separierten Staat entstehen zu lassen.
Ich möchte Sie im übrigen an eine geschichtliche Tatsache erinnern. Um das heutige Luxemburg gab es einmal einen ganz ähnlichen Streit, und da war es selbst ein Bismarck, der damals einer Neutralisierung und damit dem Herausnehmen dieses Gebietes — das ja bis dahin noch zum Deutschen Bund gehört hatte — aus dem Streit durchaus zustimmte, in der Hoffnung und Erwartung, daß hierdurch ein drohender Konflikt beseitigt werden könnte.
Ich glaube, es gehört wirklich zu den entscheidenden Aufgaben deutscher Politik, Konfliktstoffe aus der Welt zu schaffen, ohne dabei etwa Land und Leute preiszugeben, vielmehr im Dienst an den Interessen dieses Gebietes und dieses Volkes an der Saar zu handeln. Denn dessen höchstes Interesse ist es, aus seiner Isolierung, aus seiner politischen Störung herauszukommen. Einer Widmung zu dem Zweck der echten Gestaltung einer europäischen Aufgabe — und um damit der einseitigen Annexion und dem Verlust von Gebiet und Volk an der Saar ein Ende zu setzen — zuzustimmen, liegt, glaube ich, eindeutig in der klaren Verantwortung deutscher Politik, für die Interessen deutscher Menschen einzustehen.
Die Zeit arbeitet nicht für uns. Alle vertagten Probleme verhärten sich. Irgendwie müssen wir zu unseren Verantwortlichkeiten Stellung nehmen, und zwar mit einer Chance des Gelingens und im Dienst an den Menschen. Meine Damen und Herren, vielleicht haben wir gegenüber den europäischen Möglichkeiten, wie auch der Herr Bundeskanzler bereits gesagt hat, die letzte Chance zu gewinnen oder zu verpassen. Vielleicht hängt alles daran, und es gibt tatsächlich nach einem zweiten Versagen gegenüber der Aufgabe, eine vernünftige Ordnung unter den Menschen und Völkern in Europa zu gewinnen, keine Alternative mehr. Nationales Interesse — das nationale Interesse hat mit nationalistischem Interesse gar nichts zu tun — ist, glaube ich, ausschließlich das, was bisher betätigt wurde, nämlich den Menschen, die die Katastrophe überlebt haben, und damit Volk und Nation den Weg in eine Zukunft der Freiheit und Sicherheit, den Weg zum Frieden zu erschließen, kompromißlos gegenüber Zumutungen, die unerträglich sind; und unerträglich ist die Unterwerfung unter die totalitäre Unfreiheit. Wir gehören nach dem Prinzip innerster Solidarität zum freien Westen; aber wir müssen auch für jene handeln, denen in Freiheit zu handeln gegenwärtig verwehrt ist. Allein das, was an echter Freiheitssubstanz, Zukunfts- und Lebensmöglichkeit für die Deutschen errungen werden kann, legitimiert uns; über alles andere wird die Zeit hinweggehen, und solche Scheinprobleme eines falsch verstandenen Prestiges werden dann nicht mehr sein als bemaltes Papier.
Das Wort hat der Abgeordnete Freiherr Riederer von Paar.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat in seiner heutigen Rede die Grundsätze seiner Außenpolitik entwickelt. Aus seinen Ausführungen lassen sich einige allgemeine Wahrheiten ableiten, die ich kurz zusammenfassen möchte. Es klingt nach Binsenwahrheiten, aber die Erfahrung zeigt, daß sie häufig und mit Schaden
vergessen worden sind. Das eine ist, daß man in der Außenpolitik noch mehr als auf anderen Gebieten die Dinge und die Menschen so nehmen muß, wie sie sind, und nicht so, wie man sie haben möchte. Das andere ist, daß die Politik die Kunst des Möglichen ist und daß es zu nichts Gutem führt, Zielen nachzustreben, die nach vernünftiger Beurteilung unerreichbar sind.
Durch Mißachtung dieser fundamentalen Grundsätze hat die Außenpolitik des Wilhelminischen Reiches und noch mehr des „Dritten Reiches" Mißerfolge gezeitigt, deren Folgen wir jeden Tag vor Augen haben. Wenn die deutsche Außenpolitik seit 1949 Erfolge gezeitigt hat, die kein vernünftiger Mensch bestreiten kann, so geht das. vor allem darauf zurück, daß sie seitdem mit dem Kopf gemacht worden ist und nicht mit dem Gefühl.
Der Herr Bundeskanzler hat mit Recht betont daß eine selbständige Außenpolitik der Bundesrepublik ohne Anlehnung an eine der großen Mächtegruppen heute mehr denn je ein Ding der Unmöglichkeit ist. Der Versuch, eine solche Politik zwischen Ost und West zu treiben, ist sowohl dem Zweiten wie dem Dritten Reich mißlungen. Die Folge war jeweils wachsendes Mißtrauen aller Nachbarn und zum Schluß eine Weltkoalition, die uns zweimal in die Katastrophe gestürzt hat. In diesem Hause besteht keine Meinungsverschiedenheit darüber, daß für uns nur eine Anlehnung an den Westen möglich ist, und der Herr Bundeskanzler hat das soeben mit allem Nachdruck erneut zum Ausdruck gebracht. Seine Politik ging seit 1949 klar und unmißverständlich in diese Richtung, und zwar nicht nur in die Richtung einer allgemeinen, mehr oder weniger losen Koalition mit den westlichen Staaten, sondern, soweit diese auf dem europäischen Kontinent liegen, in die Richtung einer Vereinigung zu einer politisch, wirtschaftlich und militärisch geschlossenen Einheit, die auf weithin absehbare Zeit Westeuropa sichern und seinen Völkern eine immer bessere Lebensgrundlage verschaffen soll. Wir unterstützen diese Politik aus voller Überzeugung.
Wir sind uns dabei klar darüber, daß die Bundesrepublik bei aller Wahrung der berechtigten deutschen Belange sich keinesfalls anmaßen darf, die Führerrolle in dieser westlichen Gemeinschaft zu beanspruchen.
Das können auch die westlichen europäischen Großmächte nicht. Die „Sunday Times" hat vor wenigen Tagen mit Recht festgestellt, daß auf der Genfer Konferenz die USA unbedingt die Führerrolle übernehmen müßten. Es sei nicht an England, zu befehlen. Das größte Unglück, das England befallen könnte, wäre, wenn Amerika wieder zum Isolationismus zurückkehren würde. Das gilt natürlich nicht nur für die in Genf verhandelten Fernost-Probleme, sondern genau so für die europäischen Fragen. Denn die Weltpolitik ist ein Ganzes und läßt sich nicht in voneinander unabhängige Scheiben tranchieren. Das gilt nicht nur für England, sondern in verstärktem Maße für die Bundesrepublik, deren wirtschaftliches und gar militärisches Potential doch wesentlich geringer ist als das des britischen Reiches. Wir können uns eben leider noch nicht leisten, zu vergessen, daß wir den Krieg verloren haben, und zwar so total, wie vielleicht noch nie einer verloren worden ist.
Wir können trotzdem mit großer Befriedigung feststellen, daß es der Bundesregierung gelungen ist, konsultiert zu werden in allen Fragen, in denen deutsche Interessen berührt werden, und nicht nur konsultiert zu werden, sondern sie hat es erreicht, ihren Rat und ihre Vorschläge in allen wichtigen Fragen anbringen zu können. Wir haben feststellen dürfen, daß dieser Rat und diese Vorschläge häufig in wichtigen Fragen befolgt worden sind.
Auf dem Weg zu der von uns erstrebten Europäischen Politischen Gemeinschaft liegt die Europäische Verteidigungsgemeinschaft. Die EVG ist für uns nicht Endziel und nicht Selbstzweck unserer Politik, sondern ein wesentlicher Schritt auf dem Weg zur europäischen Integration und nach unserer Überzeugung die relativ beste Lösung der westeuropäischen Verteidigung unter deutscher militärischer Beteiligung.
Die EPG, die Europäische Politische Gemeinschaft, ist unser Ziel. Aber wir glauben allerdings daß dieses Ziel auf dem Wege über die EVG am schnellsten und am sichersten zu erreichen ist. Wir bestreiten, daß die EVG ein Hindernis für die Wiedervereinigung ist, die in der deutschen Frage immer das zentrale und überragende Ziel unserer Politik sein muß.
Wenn Sowjetrußland es in Berlin nicht zu einer Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit kommen ließ, so war daran nicht die EVG schuld. Im Gegenteil, es spricht manches dafür, daß das Ergebnis der dortigen Konferenz ein besseres gewesen wäre, hätten die Westmächte auf eine bereits in Kraft stehende und wirksame Europäische Verteidigungsgemeinschaft hinweisen können.
Denn die Sowjets werden nach unserer Überzeugung, die auch der Herr Bundeskanzler heute wieder ausgesprochen hat, in der deutschen Frage erst dann bereit sein, politische Opfer zu bringen, wenn sie die Hoffnung auf westeuropäische Uneinigkeit und Zwietracht endgültig aufgegeben haben. Daß aber die EVG vor Berlin nicht zur Entstehung gekommen ist, liegt, wie ich hier nachdrücklich hervorheben möchte, in erster Linie bei der deutschen Opposition, die seit der Unterzeichnung der Verträge mit allen parlamentarischen und außerparlamentarischen Mitteln die Ratifikation so sehr verzögert hat, daß sie erst zwei Jahre nach Abschluß der Verträge endgültig vollzogen werden konnte. Wäre die Ratifikation in der Bundesrepublik im Sommer 1952 zustande gekommen, so hätte — darüber kann wenig Zweifel bestehen — die französische Nationalversammlung die Ratifikation ihrerseits anschließend durchgeführt; denn damals war Robert Schuman noch Außenminister, steckte der Indochina-Konflikt noch in den Kinderschuhen, war die Lage in Marokko noch weniger gespannt als heute, der Wirtschaftsaufschwung der Bundesrepublik noch nicht so augenfällig wie jetzt und, wenn ich auch dies erwähnen darf, das deutsche Drängen auf Inkraftsetzung der Verträge den uns gegenüber bekanntlich immer noch etwas mißtrauischen Franzosen noch nicht so auf die Nerven gefallen.
Im Anschluß an Frankreich hätten zweifellos auch die übrigen Vertragspartner wesentlich schneller ratifiziert, als dies so der Fall war. Das Vertragswerk stünde längst in Kraft. Wie gesagt, es ist durchaus möglich, daß dann die Berliner Konfe-
renz zu greifbareren Ergebnissen geführt hätte, als dies tatsächlich der Fall war.
Doch daran läßt sich heute nichts mehr ändern. Es bleibt uns nur übrig, die französische Entscheidung abzuwarten und durch taktvolles Verhalten der französischen Nationalversammlung den zweifellos schwierigen Absprung aus voller Selbständigkeit in die europäische Gemeinschaft zu erleichtern. Mißlingt allerdings dieser Absprung und scheitert daran die Europäische Verteidigungsgemeinschaft, was wir angesichts der politischen Urteilsfähigkeit der Mehrheit des französischen Volkes immer noch nicht glauben wollen, so werden wir deshalb das Ziel der europäischen Einigung, der europäischen Integration nicht aufgeben.
Wir werden in Ruhe und mit kühlem Kopf nach anderen Wegen suchen müssen, um doch zu der erstrebten Integration zu kommen.
Wäre die EVG 1952 ratifiziert worden, so wäre auch unsere taktische Verhandlungslage in der Saarfrage wesentlich günstiger. Denn dann wäre das erst durch den Nachfolger Robert Schumans erfundene Junktim zwischen Saar und EVG, das dem Fortgang der Verhandlungen und der Stimmung, in der sie geführt werden, so abträglich ist, nicht entstanden.
Der Bundeskanzler hat unseren Standpunkt in der Saarfrage klar und eindeutig herausgestellt. Er hat insbesondere nachdrücklich betont, daß eine endgültige Lösung dieser Frage nur im Rahmen eines mit einer gesamtdeutschen Regierung frei verhandelten Friedensvertrages möglich ist. Alles, was jetzt Gegenstand der schwebenden Verhandlungen bildet, kann also nur eine provisorische Regelung bis zu diesem Friedensvertrag sein. Da wir aber leider mit der Möglichkeit rechnen müssen, daß dieser Friedensvertrag, der eine Einigung der vier Großmächte und ebenso eine vorausgegangene Wiedervereinigung Deutschlands voraussetzt, noch länger auf sich warten lassen wird, als wir das wünschen möchten, so besteht zweifellos, ganz abgesehen von dem Zusammenhang mit der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, ein gemeinsames Interesse aller Beteiligten, besonders der beiden großen Nachbarvölker und der Bevölkerung an der Saar, durch eine vorläufige Regelung eine Besserung der Verhältnisse herbeizuführen, die in vieler Beziehung sowohl den Grundsätzen der Menschenrechte wie dem Gedanken eines politisch und wirtschaftlich in vertrauensvoller Zusammenarbeit vereinigten Westeuropas widerstreben. Aus den Gründen, die der Herr Bundeskanzler überzeugend dargelegt hat, gibt es hierfür nur den Weg des Verhandelns unter beiderseitigem Nachgeben. Wir müssen, glaube ich, der Beratenden Versammlung des Europarats dankbar sein, daß sie sich vermittelnd und anregend eingeschaltet hat und uns damit die Möglichkeit eröffnet hat, Bundesgenossen für eine gerechte und vernünftige Interimslösung zu finden.
Der van-Naters-Plan ist gewiß keine ideale Lösung und entspricht in vieler Beziehung noch nicht dem Bild, das wir uns von einer tragbaren Regelung des Saarproblems machen. Indessen dürfen wir hoffen, daß hier im Verhandlungsweg noch Verbesserungen zu erreichen sein werden, insbesondere hinsichtlich der Einräumung der Menschenrechte, deren sparsame Zumessung erst ein Jahr vor der Abstimmung an der Saar uns ganz besonders unbefriedigend erscheint.
Besonders unterstreichen möchte ich die Forderung, daß auch eine vorläufige Saarlösung auf der Grundlage des Naters-Planes aufs engste mit der Schaffung der Europäischen Politischen Gemeinschaft verknüpft sein muß, weil erste Voraussetzung für die Europäisierung der Saar die Entstehung und Verwirklichung einer wahren europäischen Gemeinschaft sein muß. Ist allerdings diese Voraussetzung erfüllt — nämlich das Zustandekommen einer echten europäischen Gemeinschaft, in der die einzelnen Mitgliedsstaaten in unwiderruflicher Weise nationale Hoheitsrechte an supranationale Zentralinstanzen übertragen haben —, dann spielt nach unserer Auffassung die formelle Zugehörigkeit der Saar zum deutschen Staatsverband nicht mehr dieselbe Rolle wie heute, wo die nationalen Staatsgrenzen immer noch ihre verhängnisvolle Bedeutung haben. Unter dieser Voraussetzung wird also auch aus der Behandlung der Saar kein Präjudiz für die deutschen Gebiete jenseits der Oder-Neiße abgeleitet werden können; denn die Saar wäre ja in eine wahre europäische Gemeinschaft eingebracht, an der wir selber maßgebend beteiligt wären. Wir haben die Zuversicht, daß der Herr Bundeskanzler die auf diesem Gebiet noch bevorstehenden schwierigen Verhandlungen auf der Grundlage der Bundestagsresolution vom 2. Juli 1953 und im Sinne seiner heutigen Ausführungen unter voller Wahrung des deutschen Standpunktes, aber gleichzeitig im europäischen Geiste fortführen und hoffentlich zu einem Ergebnis führen wird, das diese noch schwärende Wunde im Mittelpunkt Europas zur Heilung bringen wird.
Gestatten Sie mir zum Schluß noch einige Worte über unser Verhältnis zu den Behörden der sowietischen Besatzungszone. Der Herr Bundeskanzler hat die gemeinsame Erklärung der NATO-Regierungen erwähnt, in der diese einmütig eine Anerkennung des pseudosouveränen Pankow-Regimes abgelehnt haben. Dieser Standpunkt muß für die Bundesregierung in noch höherem Maße gelten. Eine Anerkennung dieser Regierung käme einer Aufgabe des in diesem Hause wiederholt und noch vor kurzem einmütig gebilligten Grundsatzes gleich, daß wir uns niemals mit dem Bestehen zweier deutscher Staaten abfinden werden.
Es kann uns wohl auch nicht entgegengehalten werden, daß wir auch zu anderen nicht demokratisch legitimierten Regierungen diplomatische Beziehungen unterhalten; denn es ist für uns nicht das gleiche, ob nichtdeutschen Völkern das Recht zu politischer Meinungsäußerung und Willensbildung vorenthalten wird oder ob das bei 18 Millionen Deutschen der Fall ist. Die Nichtanerkennung wird allerdings in der Zukunft nicht ausschließen — wie es auch in der Vergangenheit nicht ausgeschlossen war—, daß über wirtschaftliche und technische Fragen insbesondere auf dem Verkehrsgebiet durch die örtlich und sachlich zuständigen Behörden oder sonstigen Stellen mit Organen der Sowjetzonenverwaltung verhandelt wird. Die Fortsetzung dieses rein praktischen Zwecken dienenden Kontakts auf der hierfür geeigneten Ebene liegt in hohem Maße im Interesse der deutschen Bevölkerung der Sowjetzone, deren Wünsche und Sorgen uns nicht gleichgültig sein können. Es wird geprüft werden können, ob dieser praktische Kontakt im Interesse unserer deutschen Brüder und Schwestern jenseits der Zonengrenze auch auf an-
dere unpolitische Gebiete, etwa den Kulturaustausch oder den Sport, erstreckt werden kann.
Von besonderer Bedeutung bleibt auch für die Zukunft in diesem Zusammenhang die Aufrechterhaltung West-Berlins, das ein entscheidender Faktor in der Wahrung der moralischen Stärke und des Widerstandswillens der deutschen Bevölkerung in der Sowjetzone ist.
Die uns in nächster Zeit bevorstehenden Aufgaben auf dem Gebiete der Außenpolitik sind nicht leicht, aber auch nicht schwieriger als die, deren Lösung bereits gelungen ist. Wir haben unbeschadet mancher Wünsche hinsichtlich der künftigen Organisation des Auswärtigen Dienstes die Zuversicht, daß es dem Bundeskanzler, gestützt auf die große Mehrheit dieses Hauses, gelingen wird, sie in einer unseren deutschen Interessen und gleichzeitig dem europäischen Gedanken Rechnung tragenden Form ihrer Lösung näherzubringen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Becker.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Manchmal hat ein Bundestagsabgeordneter auch Zeit, ein Buch zu lesen; aber nur manchmal. So habe ich denn in den Weihnachtstagen einmal ein ausgezeichnetes Buch einer Französin gelesen, dessen Titel in der deutschen Übersetzung lautet: „Wie ich die Wölfin zähmte". Es handelt sich dabei um die ausgezeichnet nachempfundenen Memoiren des römischen Kaisers Hadrian. Als ich das Buch las, kam mir der Gedanke, wie hat doch eigentlich damals die Welt mehrere Jahrhunderte glücklich in einem Frieden gelebt, weil nur eine einzige Macht gewissermaßen die Welt beherrschte. Daher spricht man auch noch von der Zeit der pax Romana. Ich glaube, sogar das Problem der Konvertibilität hat damals keine Schmerzen gemacht.
Wenn wir dann die Geschichte weiter durchgehen, dann kommen wir bis zum 19. Jahrhundert und stellen fest, das von 1815 an unter Führung des englischen Reiches und gestützt auf die Ausbalancierung des Gleichgewichts der Kräfte auf dem Kontinent auch wieder in summa summarum eine Zeit des Friedens herrschte, wenn auch manche Kriege, wenn auch jeder nur von kurzer Dauer, die Friedenszeit unterbrochen haben. Auch damals hat man sich über die Konvertibilität der Währungen keine Kopfschmerzen bereiten lassen.
Heute stellen wir nun fest, daß die Welt in zwei große Mächte gespalten ist, die miteinander den Erdball umspannen, die also jeden Staat irgendwie mit ihrer Einflußsphäre umspannen und ergreifen und von deren Beziehung zueinander eigentlich das Schicksal der ganzen Welt abhängig ist. Dann haben wir festzustellen, daß ausgerechnet die Brennpunkte der Spannungen dieser beiden Mächte im Osten in dem gespaltenen Korea, im Westen in dem gespaltenen Deutschland liegen. Das ist heute unsere Situation, und das ist das, was die Welt in Unruhe versetzt.
Die zweite Frage dazu, wo die Gefahr liegt, daß es zum Zusamenprall kommt, ist meiner Ansicht nach eindeutig dahin zu beantworten, daß nach allem, was wir bisher erlebt haben, von der russischen Seite die größere Gefahr droht. Der russische Staat wird kontrolliert und geführt von
einem totalitären System, dem kommunistischen System, das in sich — wir haben ja alle mal in einem totalitären System gelebt — den Willen trägt, alle seinen Ideen untertänig zu machen. Wir stellen zum zweiten fest, daß es Rußland war, das 1945 nicht abgerüstet, sondern weiter aufgerüstet hat. Eine Zahl von 175 russischen Divisionen nannte vor einiger Zeit der französische Staatsmann Paul Reynaud in Straßburg. Und zum dritten ist festzustellen, daß dieser selbe Staat in allen Ländern sogenannte Fünfte Kolonnen besitzt, d. h. die kommunistischen Parteien in anderen Ländern; diese sind nicht mit Parteien zu vergleichen, die auf unter sich gleichen Tendenzen fußen. Wenn sie sich auch in ihren Tendenzen unter Umständen gleichen, so unterscheiden sich die kommunistischen Parteien doch darin von ihnen, daß sie von einem einheitlichen Willen regiert werden, nach einheitlichem Befehl handeln und daß nur die Methoden, mit denen sie in den verschiedenen Ländern handeln, den Eigenarten des betreffenden Landes angepaßt sind. Dazu kommen dann als letztes noch die Aggressionen, die dieser Staat von 1944 an vorgenommen hat. Ich brauche Ihnen die Satellitenstaaten, die er sich unterworfen hat, nicht aufzuzählen. Ich erinnere nur an die Blockade von Berlin und daran, was das Kennzeichen der letzten Zeit gewesen ist: daß Rußland den Angriff immer durch Stellvertreter vortragen läßt, so wie es auch jetzt in Indochina geschieht. Und da hinein paßt wieder ein Wort, das Paul Reynaud zitierte, ein Wort von Lenin, das ich schon oft genannt habe und das ich nur immer wiederholen kann und das ausgerechnet in den Tagen der Genfer Konferenz als aktuell zu bezeichnen ist. Dieses Wort lautet: Der Weg des Kommunismus von Moskau nach Paris geht über Peking und Kalkutta. In Peking ist er. Und wie weit Kalkutta von Indochina entfernt liegt, na, das wissen wir alle.
Nun ist die Frage aufgeworfen worden: Hat Rußland nicht inzwischen seine Tendenzen geändert? — O ja, in den Methoden nach außen hin etwas. Man hat auch irgendwie versucht, wieder den Nachdruck auf die Konsumgüterindustrie und die landwirtschaftliche Produktion zu legen. Aber ist das eine Änderung nach außen? Ich beziehe mich auf einen Zeugen, der vielleicht auch von den Kollegen der SPD als guter Zeuge anerkannt wird. In der vergangenen Woche hat sich in Paris auf der Konferenz der europäischen Parlamentarier der führende Sozialist in Dänemark, Herr Jakobsen, klar und deutlich dahin ausgesprochen, daß sich in Rußland in der Tat etwas geändert habe. Man sei nämlich jetzt vorsichtiger geworden, man sei schmiegsamer, man sei nicht mehr so stur, aber man sei darum um so gefährlicher, weil die beherrschenden Tendenzen geblieben seien.
Es fällt mir hier ein Wort ein, das vor zwei Jahren der verstorbene Kollege Schumacher mal gesprochen hat. Er redete in seiner ironisierenden Art von jenen Hirtenknaben, die auszogen, das russische Lämmlein zu hüten. Die gibt's auch heute noch.
Weiter sprach er, wie mir noch einfällt, in der
gleichen Rede davon, daß er eine ganze trojanische
Kavallerie angaloppieren sehe. Nun ja, heute
haben wir den Vorschlag des Herrn Molotow, zunächst in der Berliner Konferenz dahin ausgesprochen, daß man in das Europäische Verteidigungssystem, in die EVG mit eintreten wolle, und
dann später dahin moduliert, daß man der NATO
beitreten möchte. Ich glaube, es ist vorhin der Vorwurf erhoben worden, man hätte diese Vorschläge nicht ernst genommen, nicht genug studiert. Wir haben sie studiert. Aber nach allem, was wir von den dahinter steckenden Tendenzen wissen, nach allem, was wir in der Vergangenheit, auch schon vom August 1953 an erlebt haben, haben wir den Eindruck, daß es sich um trojanische Pferde in Großformat handelt.
Wenn wir feststellen konnten, daß zwei starke Mächte die Welt beherrschen und die anderen Länder in dem Spannungsfeld dieser beiden Mächte liegen, und wenn wir uns daran erinnern, daß auf der Konferenz in Berlin leider Gottes praktisch nichts erreicht worden ist, müssen wir doch ganz realistisch die Konsequenz daraus ziehen. So sehr wir nach wie vor alles tun, um die Wiedervereinigung herbeizuführen, so ist doch in dem Augenblick, in dem sich die Standpunkte der beiden Mächte festgefahren haben, in dem keine Verhandlungen hinüber und herüber mehr möglich sind, leider ein Status quo geschaffen, von dem wir nicht wissen, wie lange er dauert.
Erlauben Sie mir deshalb in diesem Zusammenhang eine Frage. Wie wäre es, wenn man dem Beispiel der Siegermächte hinsichtlich des Friedensvertrages mit Japan folgte und nun doch einmal den Versuch machen wollte, auch mit uns einen Friedensvertrag abzuschließen? Das hätte zur Voraussetzung, daß die vier Mächte zunächst unter sich irgendwie in Verbindung miteinander treten müßten. Damit würden auch automatisch wieder Verhandlungen kommen, zu deren Thema dann in irgendeiner Form die Frage der Wiedervereinigung gehören würde. Ich bitte, sich einmal diese Frage zu überlegen.
Zu dieser Unruhe in der Welt, die aus dem Vorhandensein dieser zwei großen Mächte herrührt, kommt nun noch, daß in diese zweigeteilte Welt, in die Welt der Unruhe und des Kalten Krieges noch die Bilder der Explosionen der Atom- und Wasserstoffbomben dringen. Die Öffentlichkeit der Welt ist durch das unvorstellbare Grauen alarmiert, das die Verwendung solcher Bomben in einem Krieg hervorrufen könnte. Millionenstädte könnten durch einen Bombenabwurf verschwinden. Die Erdoberfläche kann bis zu 70 m tief mit allen Kasematten, Konzentrationslagern, Luftschutzkellern, Bankgewölben und Stahlfächern aufgewühlt werden. Die Luft kann auf weite Entfernungen hin todbringend verseucht sein. Die verzagte Welt schaut sich nun um, ob und wie es Mittel gibt, ein derartiges Weltunglück zu verhindern. Wir wollen prüfen, was da zu tun ist.
Wir begrüßen es, ähnlich wie es schon die Vorredner getan haben, daß Präsident Eisenhower den Versuch macht, in unmitelbarem Benehmen mit Sowjetrußland ein Verbot der kriegerischen Verwendung dieser fürchterlichen Waffen zu vereinbaren und Grundlagen für eine nur friedliche Verwendung dieser gigantischen Kräfte zu finden. Das wäre das erste.
Darüber hinaus müßten sich eigentlich alle Völker, auch die, die nicht Mitglied der Vereinten Nationen sind, verpflichten, alle Streitfragen zunächst einem internationalen Schiedsgericht zu unterbreiten, soweit nicht der Weg unmittelbarer Verhandlungen ohne weiteres zum Ziele, zur Schlichtung führt.
Dann kommt aber noch ein Drittes hinzu, und das liegt auf ideellem Gebiet. Ich glaube, auch davon darf man hier in diesem Zusammenhang einmal sprechen, auch wenn Sie mich vielleicht in Anbetracht dessen, was ich jetzt sagen werde, für ein bißchen veraltet halten würden. Ich bin der Meinung, daß bei allen Völkern, bei allen Staaten und bei allen Staatsmännern der ernste Entschluß obwalten muß, nur eine solche Politik zu führen, die vor dem Schöpfer aller Dinge und vor dem ewigen Sittengesetz bestehen kann,
nur eine solche Politik zu betreiben, die mit den Grundsätzen der Humanität übereinstimmt. Wir Deutschen, die wir aus der Hitlerzeit wissen, was eine vom ewigen Recht abweichende Politik zu bedeuten hat, wir, die wir ihre Folgen an unserem Volk, an unserem Staat, an uns selbst und dazu noch die Folgen eines unseligen Krieges zu spüren bekommen haben, haben gelernt, daß alle Politik nur dann vom Vertrauen eines Volkes getragen sein kann, wenn sie mit den ewigen Gesetzen, die der Schöpfer aller Dinge geoffenbart hat — und er offenbart sie in vielerlei Form und Gestalt —, in Übereinstimmung steht.
Eine solche moralische Haltung in der Politik gibt allen denen, die diese Politik treiben sollen, aber auch ihren Völkern, den inneren Halt und die Charakterstärke, die erforderlich sind, um das Grauen, von dem sich die Menschheit in dieser zweigeteilten Welt im Zeitalter dieser schaurigen Bomben auf Schritt und Tritt bedroht fühlt, zu bestehen. Nur durch Gottvertrauen kommt man zum Selbstvertrauen, und dann gilt auch wieder der Satz für jeden einzelnen von uns: Pfeiler, Säulen kann man brechen, aber nicht ein freies Herz!
Als weiteren Punkt möchte ich nennen: Es muß verhindert werden, daß die angreifende Macht, also Sowjetrußland, noch weiteren Machtzuwachs erhält. Ich deute an, daß sie durch stellvertretende Angriffe versucht, über Peking, über Kalkutta zu dem Ziel Westeuropa bis zum Atlantischen Ozean zu kommen. Ich begrüße den Vorschlag der USA zu einem Verteidigungsabkommen für Südostasien, das in dieser Linie liegt. Ich begrüße zugleich, daß damit der Gedanke verbunden ist, diesen Völkern Asiens die Unabhängigkeit zu geben und sie auf den Boden der Freiheit zu führen. Dazu gehört ferner, daß nach dem Truman-Vorschlag Nr. 4, Hilfe für die zurückgebliebenen Gebiete, und ebenso nach dem Kolombo-Plan der englischen Dominien auch nach der materiellen Richtung hin das getan werden muß, was notwendig ist, um Angriffe des Kommunismus in dieser Richtung zu unterbinden.
Dann noch ein letztes. Es muß versucht werden, aus der Zweiteilung der Welt herauszukommen, d. h. es muß versucht werden, noch weitere Machtgruppen zu schaffen, auch wenn sie an Machtfülle nicht an diese beiden Staaten herankommen können. Ich denke an den indischen Subkontinent mit Pakistan, an die arabischen Staaten und nicht zuletzt an unser Europa.
Wir haben — Herr von Brentano ist leider nicht hier, sonst würde ich ihm sagen, daß auch ich zu den Romantikern gehöre, von denen mein Kollege Pfleiderer gesprochen hat — in einer sehr intensiven und von uns sehr ernst genommenen Arbeit im Winter 1952/53 den Versuch gemacht, eine Verfassung für Europa auszuarbeiten. Ich stehe zu ihrem Inhalt, und ich bin der Meinung, daß sowohl die Montan-Union wie der EVG-Vertrag viel-
leicht nur ein Torso bleiben, wenn nicht der weitere Schritt zur Europäischen Politischen Gemeinschaft gegangen wird. Der Kollege Deist war es, glaube ich, der heute morgen davon spach, daß sich um die Ergebnisse der Montan-Union eine Art Verschwörung des Schweigens gebildet habe. Das ist ein Irrtum. In der vorigen Woche hat mein Fraktionskollege und Freund Blank in Paris ausdrücklich davon gesprochen, daß es in der Montan-Union vielleicht gewisse Kinderkrankheiten gebe, daß aber noch nicht feststehe, ob die Montan-Union als solche, die Konstruktion dieser Verbindung die Ursache dessen sei, was wir zu konstatieren haben. Vor allen Dingen müsse man sich, wenn eine gewisse Übergangszeit vorüber sei, darüber klar sein, daß diesem ersten Schritt zur europäischen Integration weitere folgen müssen, wenn nicht ein Torso bleiben soll, wenn man nicht wünschen müsse, diesen Schritt unter Umständen rückgängig zu machen.
Nun zur Europäischen Politischen Gemeinschaft! Der Herr Bundeskanzler hat heute morgen von Fortschritten gesprochen, die auf diesem Gebiet gemacht worden seien. Er wird es mir nicht übelnehmen, wenn ich sage, daß es nach meiner Auffassung Rückschritte sind. Ich habe den ernsten Wunsch auszusprechen, daß diese Angelegenheit doch kräftig in Angriff genommen wird, und zwar auf folgende Weise. Die sechs Regierungen haben damals, im September 1952, ein Parlament von europäischen Parlamentariern geschaffen, gleichsam „als ob" ein Europa politisch schon existiere. Nun drehen wir den Spieß um und sagen wir: wenn dieses „Als-ob-Parlament" da ist, dann muß ihm gegenüber auch eine „Als-ob-Regierung" da sein, d. h., es muß nun versucht werden, dieses Vertragsinstrument in gemeinsamen Verhandlungen zwischen dieser quasi-Regierung Europas und dem quasi-Parlament Europas weiterzuführen. Ich sehe nur, daß das, was wir in einem halben Jahr gut zustande gebracht haben, jetzt in weit über einem Jahr, seitdem nun die Regierungen, die auswärtigen Ämter der sechs Staaten die Angelegenheit in die Hand genommen haben, keine Fortschritte gemacht hat. Ich weiß, daß die Diplomaten die abgewogenere Art der Verhandlung haben und daß diesem oder jenem Parlamentarier gern vorgeworfen wird, er habe vielleicht zuviel Temperament. Aber ich glaube doch, daß ohne Temperament, ohne Begeisterung und ohne Nachdruck, den auszuüben die Parlamentarier vielleicht mehr gewohnt sind als die Diplomaten, die Dinge nicht so vorangehen werden, wie sie vorangehen sollten. Deshalb meine Bitte an die Bundesregierung, den Vorschlag zu machen, daß die sechs Regierungen zusammen mit der Ad-hoc-Versammlung versuchen, auf der Grundlage des Statuts, das wir ausgearbeitet haben, zum Ziele zu kommen. Ich halte den augenblicklichen Zeitpunkt für außerordentlich günstig, und zwar aus personellen Gründen, weil nämlich der bisherige Präsident der Verfassunggebenden Versammlung, Herr Spaak, nunmehr auf die andere Seite hinübergewechselt und Außenminister Belgiens geworden ist, so daß er in seiner doppelten Eigenschaft, mit seinen doppelten Erfahrungen und mit der Dynamik, die ich ihm zutraue und die ich zu kennen glaube, vielleicht doch die Dinge, wenn an ihn herangegangen würde, voranbringen könnte.
Denn, meine Damen und Herren — und damit komme ich nun zur Saarfrage —: Ein Deutscher von der Saar hat einmal sehr schön das Wort geprägt: „Europäisieren Sie zuerst Europa, und dann
ist die Saarfrage mit den wirtschaftlichen Verflechtungen, die dann zu treffen sind, leicht zu regeln!"
Ich muß leider feststellen, daß das Wort „Europäisierung" im Zusammenhang mit der Saar, wie es jetzt vorgeschlagen wird, nur geeignet ist, den wirklichen europäischen Gedanken zu kompromittieren. Der echte Wille, ein Europa zu schaffen, kann Schaden leiden, wenn eine Lösung, die keine europäische Lösung ist, so genannt wird; und der europäische Gedanke kann Schaden leiden, wenn in dem Naters-Plan der Begriff Europa in allen möglichen Zusammenhängen vorkommt, die kein Mensch verstehen kann. Es wird ein Kommissar vorgeschlagen, der vom Europarat, d. h. von den Staaten, die von Island bis zur Türkei hin in ihm versammelt sind, ernannt werden soll. Auf der andern Seite wird ein Berater vorgeschlagen, der von der luxemburgischen Montanbehörde, also von dem Europa der Sechs, ernannt werden soll. Zum Schluß wird von einem Europastatut der Saar geredet, das überhaupt erst in einer Konferenz geschaffen werden soll, so daß hier die dritte Bedeutung ties Begriffes Europa hineinkommt, — und das Ganze durcheinander. Das, was hier geschaffen wird, ist niemals eine echte Europäisierung.
Ich möchte keinen Zweifel darüber lassen, daß das, was an der Saar geschieht, unserer Auffassung nach eine verhüllte Annexion ist. Frankreich behauptet, es wolle nicht annektieren. Was heißt annektieren? Ein Territorium aus einem Staatsgebilde herauslösen und es einem andern irgendwie einverleiben. Man kann unter den heutigen Verhältnissen — bei den Verflechtungen auf den Gebieten des Geldes, der Wirtschaft, der Organisation usw. — ohne weiteres sehr leicht auch ohne territoriale Regelung, die nach außen auf der Landkarte ersichtlich wird, doch durch derartige wirtschaftliche Verflechtungen, Konventionen, wie sie vorliegen, eine verschleierte Annexion vornehmen.
Nun wird gesagt, das seien aber doch Tatsachen, es sei doch ein De-facto-Zustand an der Saar. Sehr schön! Aber wer verlangt denn nun, daß es jetzt geregelt wird? Wir? — Nein, Frankreich! Frankreich möchte noch die Unterschrift Deutschlands dazu haben. Die Unterschrift, die Frankreich verlangt, die ihm viel wert zu sein scheint, ist uns dasselbe wert.
Wir sind der Meinung, daß der Naters-Plan — Kollege Pfleiderer hat das schon ausgeführt — keine Grundlage ist, auf der man Verhandlungen führen kann. Der Naters-Plan bietet zwei Vorteile. Er gibt uns das Versprechen, daß, wenn auf der einen Seite die wirtschaftliche Verbindung mit Frankreich bleibt, eine Konferenz in der Zukunft versuchen soll, auch nach der deutschen Seite hin wirtschaftliche Verbindungen zu schaffen. Ich bin der Meinung, das kommt auf uns zu, auch wenn der De-facto-Zustand bleibt. Sogar ein selbständiger Saarstaat würde im Interesse seiner Wirtschaft und seiner Bevölkerung auch mit seinem östlichen Nachbarn, also mit uns, wirtschaftliche Verbindungen pflegen müssen.
Als zweites wird uns vorgeschlagen, daß demokratische Freiheiten kommen sollen, aber in einer zeitlichen Dosierung, bei der man nicht weiß, warum die zeitliche Dosierung notwendig sein soll, wenn andererseits das erste und praktisch einzige, was der Europarat fertiggebracht hat, nämlich die
Konvention der Menschenrechte, doch nun sozusagen das Grundgesetz von Europa ist. Man kann sich nicht vorstellen, warum das erst mit zeitlichem Abstand eingeführt werden soll. Ich glaube, daß der Druck der Weltmeinung und der Druck der Saarbevölkerung so stark sein werden, daß wir für dieses Entgegenkommen nicht noch zu zahlen brauchen. Mir kommt manchmal, wenn ich den Naters-Plan lese, das Gedicht von Schiller von dem Mädchen aus der Fremde in Erinnerung. Das kam auch jedes Jahr ins Land und reichte der einen Seite Früchte und der andern Blumen dar. Die Blumen sind uns zugedacht, das sind die Versprechungen, die darin enthalten sind, die erst durch eine Konferenz realisiert werden sollen. Wenn ich mir überlege, wie lange man gebraucht hat, um z. B. den EVG-Vertrag zu unterschreiben, und wie lange es jetzt dauert, bis er ratifiziert wird, dann habe ich Bedenken, wenn ich mir die Zeit vorstelle, die es dauern wird, bis diese Zusagen dann erfüllt sein werden.
Ich bin der Meinung, daß man, wenn man überhaupt verhandelt, nur Zug um Zug Leistungen verabreden kann. Die Zeit der Vorleistungen muß vorüber sein.
In dem Plan ist von einer Volksabstimmung die Rede. Die Volksabstimmung, die dort vorgeschlagen wird, hat ein doppeltes Gesicht. Sie soll der Saarbevölkerung das Recht geben, ihre Verfassung gewissermaßen neu zu schaffen. Das zweite Gesicht, das diese Volksabstimmung hat, hat völkerrechtliche Bedeutung, staatsrechtliche Bedeutung nach außen hin gesehen. Das heißt, sie führt dahin, daß gewissermaßen ein Teil, nämlich das Teilterritorium, das abgetreten werden soll, über sein Schicksal bestimmen soll, ohne daß das Gesamtterritorium, nämlich Deutschland, gefragt wird. Es ist eine alte Regel, die nur einmal, im Versailler Vertrag in den Bestimmungen über die Saar, durchbrochen wurde, daß nur der Staat als Ganzes, das Volk als Ganzes darüber zu bestimmen hat, ob ein Teil von ihm losgelöst werden soll oder nicht.
Ich bitte die Herren Korrespondenten der Auslandspresse, wenn sie über diese Sitzung berichten, ihren Lesern auch einmal mitzuteilen, daß es an der Saar nur Deutsche, keine Ausländer gibt.
Der Gedanke, der manchmal im Ausland auftritt, daß es hier eine Mischbevölkerung gebe, die darüber abstimmen müßte, wo sie hingehört, ist also völlig falsch. Weiter bitte ich die Herren Auslandskorrespondenten, ihre Völker doch auch einmal zu fragen, was irgendeiner der sechs Staaten wohl sagen würde, wenn an ihn von einem anderen Staat die Aufforderung erginge, im Interesse der Europäisierung einen Teil seines Landes abzutreten.
Nun ist die Frage aufzuwerfen, was Frankreich denn eigentlich will; ich meine jetzt nicht nur an der Saar, sondern im Großen und Ganzen seiner Politik. Was will es? Wir haben uns nicht zum EVG-Vertrag gedrängt. Unsere deutsche Bevölkerung stand noch völlig unter dem Eindruck der
Entmilitarisierungsbestimmungen, sie stand auch unter dem Eindruck der Geschehnisse dieses Krieges. Speziell bei unserer Jugend war noch im Jahre 1950 der Gedanke von „Ohne mich!" bis zu einem gewissen Grade populär. Sie entsinnen sich; ich habe einmal im Europarat in Straßburg den dort versammelten ausländischen Kollegen vorzuführen versucht, in welcher Stimmung unsere Jugend damals gewesen ist. Wir haben uns nicht zur Bildung eines Heeres gedrängt. Wir sind an sich auch nicht nervös, wenn Frankreich seine Entscheidung aus diesem oder jenem Grund verzögert. Wir zeigen deswegen keine Ungeduld. Aber wir wollen doch nun einmal wissen, woran wir sind. Wenn Frankreich das nicht will, was seine Regierung schon unterschrieben hat — es wird doch die Bedrohung aus dem Osten so sehen wie wir auch; es war ja der französische Staatsmann Paul Reynaud, der daran erinnert hat, daß im Osten 175 Divisionen stehen, daß der Weg von Moskau nach Paris über Peking und Kalkutta und über Indochina geht —, muß Frankreich schließlich einmal sagen, welche Alternative es eigentlich hat. Denn dann tritt auch an uns die Frage heran, unsererseits Alternativen zu prüfen oder zu überlegen. Frankreich sieht die Dinge, weil es 700 km vom Eisernen Vorhang entfernt liegt, etwas zu leicht. Wenn die „Comédie Française" zur Zeit in Moskau 28 Vorhänge hat — ich gönne es den Künstlern, es sind ausgezeichnete Künstler, aber wir wissen ja von unseren Erfahrungen in Deutschland, wie in einem totalitären Staate derartige Beifallskundgebungen organisiert werden —, so berauscht man sich daran. Aber man sieht nicht, daß da drunten in Indochina bei Dien Bien Phu das Blut von Europäern fließt, auch das Blut von vielen deutschen Menschen. Das darf einmal hier gesagt sein. Und wenn die Weltöffentlichkeit mit Recht dem kommandierenden General de Castries ihre Hochachtung zollt, dann wollen wir in diesem Augenblick auch an die dort eingesetzten Soldaten, auch an unsere deutschen Menschen denken, die dort unten kämpfen und bluten.
Ich darf bitten, mir noch zu gestatten, auf Grund eines persönlichen Erlebnisses etwas anzufügen. Im Jahre 1552 — —
— Das kommt noch; der Satz war noch nicht zu Ende. Warten Sie den Satz ab; ich komme dann zu dieser Gegenwart. —
Der Vertrag von 1552, den damals einzelne Landstände in Deutschland — Hessen, Sachsen, Württemberg und einige andere — mit dem französischen König abgeschlossen haben und mit dem sie Metz, Toul, Verdun in Lothringen an Frankreich ausgeantwortet haben unter dem Vorbehalt aller „dero Kaiserlicher Majestät geschuldeten Rechte" oder unter dem Vorbehalt „aller Gerechtsame des Heiligen Römischen Reiches", mit dem Vorbehalt, daß es wieder zurückrevidiert werden könnte, — dieser Vertrag wurde in einem hessischen Jagdschloß geschlossen, das in meinem Heimatkreis liegt, in dem Schloß Friedewald. Eine Tafel erinnert noch heute an dieses Geschehnis.
Nun kommt das Persönliche: ich möchte es lieber sehen, daß unsere Namen einmal auf einer Tafel stehen, auf der es heißt: „Ihr wart beteiligt an der Schaffung eines einigen Europa und habt damit eine Zwietracht, die jahrhundertelang Europa in
Unruhe gehalten hat, zwischen Deutschland und Frankreich aus der Welt geschafft."
Von den Höhen meiner hessischen Heimat geht mein Blick dann herüber zu den Höhen von Verdun. Ich habe zwischen den beiden Kriegen einmal dort oben gestanden und das große Beinhaus „Ossuâire" gesehen, das dort errichtet ist und in dem die sterblichen Überreste aller derjenigen beigesetzt sind, deren Persönlichkeit nicht hat identifiziert werden können. Es war erschütternd, zu sehen, daß da unten unerkannt und ungekannt vielleicht Freund und Feind miteinander im Frieden vereint liegen, aber tot. Und warum tot? Weil zwischen Deutschland und Frankreich alle 50 bis 60 Jahre Kriege stattgefunden haben, Kriege, an denen wir nicht allein schuld waren — es gab auch einen Ludwig XIV. und einen Napoleon I. —, aber immer mit dem Ergebnis, daß die Grenze zwischen unseren beiden Staaten bald einmal 60 bis 80 km weiter nach Osten und bald einmal 60 bis 80 km weiter nach Westen verlegt wurde. Hören wir doch endlich auf mit diesem Verschieben von Grenzen, und kommen wir dahin, daß die Grenzen wegfallen!
Wenn wir aber zu dem Ergebnis in Gestalt der politischen Gemeinschaft kommen wollen, die diese Grenzen sukzessive abbaut, dann darf dieses Ergebnis nicht dadurch herbeigeführt werden, daß nun zum letztenmal vorher noch einmal Grenzen verschoben werden, nämlich unsere Westgrenze, die jetzt vom Westen der Saar an den Ostrand der Saar gelegt werden soll. Das paßt dann nicht zu den europäischen Methoden. Das paßt nur noch in das 19. Jahrhundert hinein, dessen Verdienst es wohl war, die Nationalstaaten geschaffen zu haben. Aber das Kennzeichen des 20. Jahrhunderts ist die Schaffung von über den Nationen stehenden Gemeinschaften, und diese müssen nach anderen Methoden geschaffen werden als nach denen des 19. Jahrhunderts.
Ich habe vorhin davon gesprochen, daß die Politik immer dem ewigen Sittengesetz entsprechen muß. Es entspricht aber nicht dem ewigen Sittengesetz, wenn ein Volk, ein Staat, ein Land, in dem nur Deutsche wohnen, abgetrennt wird und wenn wir das noch zum Opfer bringen wollen, nur um die Europäische Verteidigungsgemeinschaft zu schaffen. Ich widersetze mich einem Junktim zwischen EVG und einer solchen Abtrennung.
Und noch ein Letztes. Wir wollen eine gemeinsame europäische Armee schaffen. Leben sollen die Söhne der Völker, die bei Verdun sich so oft bekämpft haben, nun nebeneinander in der gleichen europäischen Wehrmacht. Es geht nicht an, es ist psychologisch unmöglich, eine Wehrmacht aufzubauen und darin Soldaten deutscher Nationalität zu haben, die sich sagen müssen: Jetzt treten wir gemeinsam zum Schutz von Europa an, aber nur deshalb, weil vorher erst noch ein Stück Deutschlands geopfert werden mußte.
Das paßt nicht zusammen.
Ich fragte vorhin: Was wird Frankreich tun? Ich glaube, wenn ich wieder hinblicke auf jenes ernste Haus auf den Höhen bei Douaumont, dann ist die Frage zu stellen: Sollen wir nicht ohne diese Zutaten eines verflossenen nationalistischen Jahrhunderts uns so als Europäer finden?
Deshalb glaube ich, daß es nunmehr an Frankreich wäre, zu antworten.
Das Wort hat der Abgeordnete Walz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Deutscher von der Saar darf ich wohl zur Saarfrage heute auch etwas sagen. Vor allen Dingen darf ich es deshalb tun, weil ich glaube, für diejenigen Deutschen an der Saar mit zu sprechen, die bis heute dort keine Gelegenheit gehabt haben, ihren Standpunkt, ihren wahren deutschen Standpunkt zur Saarfrage darzulegen.
Wenn wir an der Saar die unveräußerlichen demokratischen und politischen Rechte gehabt hätten, wie wir sie im deutschen Bundesgebiet besitzen, wie der Verlauf der heutigen Aussprache im Deutschen Bundestag bewiesen hat, dann wäre, glaube ich, die Saarfrage vielleicht schon geregelt, und wir wären in der europäischen Entwicklung weiter vorangekommen, als das bis jetzt der Fall ist.
Ich komme gleich zum van-Naters-Plan. Ich brauche ja in dieser vorgeschrittenen Stunde nicht zu wiederholen, was bereits im Laufe des heutigen Tages in positivem Sinne für uns an der Saar gesprochen worden ist.
Ich für meine Person — ich glaube aber, das auch im Namen und sogar im Auftrag unserer Freunde an der Saar sagen zu dürfen — lehne den van-
Naters-Plan ab. Wir verkennen nicht, daß dieser Plan einige Ansatzpunkte enthält, die nach unserer Auffassung dazu beitragen könnten, in europäischer Beziehung und vor allen Dingen in der Herstellung der demokratischen Freiheiten an der Saar vorwärtszukommen.
Die erste Feststellung, die man im van-Naters-
Plan treffen kann, ist die, daß es an der Saar nur Deutsche gibt und daß die Saar deutsch ist.
Das zweite ist, daß dieser Plan nicht verschweigen kann, daß an der Saar keine Verfassung und keine Rechtsordnung besteht, die es den Menschen an der Saar in vollem Umfange ermöglichen würde, ihre politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Angelegenheiten selbst zu regeln. Richtig: Es ist nicht erlaubt, anderer Auffassung zu sein oder sich in einem anderen Sinne zu äußern, als es das herrschende Regime an der Saar wünscht oder erwartet. Aus den von mir angeführten Lebensbereichen darf ich ein Beispiel anführen. Es ist in der gewerkschaftlichen Geschichte bis jetzt wohl kaum vorgekommen, daß eine große Gewerkschaft, wie der Industrieverband Bergbau an der Saar, aufgelöst worden ist, von der Polizei nur aufgelöst worden ist, weil er in wirtschaftlicher Beziehung anderer Auffassung war als das herrschende Regime und weil er die Auffassung vertrat, daß die Grundfreiheiten an der Saar nicht gewährleistet seien.
Das dritte ist, daß der van-Naters-Plan die einseitige wirtschaftliche Bindung, die in der französischsaarländischen Wirtschafts- und Zollunion zum Ausdruck kommt, nicht hundertprozentig gutheißt und die daraus sich ergebenden politischen Folgen nicht abzustreiten vermag. Das ist durchaus richtig und entspricht auch einem Standpunkt, der
bei einer anderen Gelegenheit von französischer Seite eingenommen worden ist. Bei den Erwägungen, die anläßlich der Schaffung einer deutschösterreichischen Zollunion angestellt worden sind, war es gerade Frankreich — und nachlesen können wir es in dem bekannten Buch des französischen Botschafters François-Poncet „Als Botschafter in Berlin" —, das sich vor dem Haager Gerichtshof mit dem Argument durchzusetzen vermochte, daß, wenn ein kleinerer Partner mit einem größeren Partner eine solche Abmachung treffe, er früher oder später auch in den politischen Einflußbereich dieses größeren Partners geraten und seine Selbständigkeit verlieren müsse. Das hieße in unserem Fall: die Abtrennung von Deutschland, auch in kultureller Beziehung.
Das vierte, was der van-Naters-Plan zum Ausdruck bringt, ist, daß an der Saar keine uneingeschränkte Meinungs-, Presse-, Vereins-, Versammlungs- und Parteienfreiheit besteht. Dieses Anliegen muß nach unserer Auffassung und auch nach meiner persönlichen Auffassung unbedingt vorgebracht werden. Ich muß hier die Bitte hinzufügen, vor allem folgende Bedenken ernsthaft zu beachten. Wir von der Saar-CDU fühlen uns nach wie vor mit Deutschland verbunden. Wir betrachten die Saar als ein Stück der deutschen Heimat. Wir vermögen uns also nicht dazu zu entschließen, uns von Deutschland abzutrennen.
Nun hat Herr Abgeordneter Dr. Pfleiderer, ein Europaexperte und auch van-Naters-Plan-
Experte, zum Ausdruck gebracht, daß der van-
Naters-Plan eine echte Loslösung von Deutschland mit sich brächte. Wir aber wollen uns nicht von Deutschland lösen. Wenn jetzt etwa im Rahmen irgendwelcher Bemühungen eine Grundsatzerklärung oder eine sonstige Abmachung zwischen Deutschland und Frankreich zustande käme, dann, meine sehr verehrten Damen und Herren, frage ich Sie, wie wir an der Saar noch unseren Standpunkt zum Ausdruck bringen könnten. Es wäre unmöglich, ihn in der Annahme und der Hoffnung zum Ausdruck zu bringen, ihm zum Erfolge zu verhelfen. Wir könnten es wohl versuchen. Wir würden bei dieser Tätigkeit aber unzweifelhaft auch sowohl in einen antideutschen als auch in einen antieuropäischen Akzent geraten, und beides wollen ja die Deutschen an der Saar nicht. Wir wollen bei Deutschland bleiben. Wir wollen helfen, Europa zu schaffen. Wir an der Saar sind keine Nationalisten. Wir sind gute Deutsche, genau wie Sie gute Deutsche sind. Das sind wir, aber keine Nationalisten. Eine der deutschen Parteien an der Saar hat bereits im Jahre 1950, um aus den Schwierigkeiten mit dem Saarproblem herauszukommen, eine europäische Lösung an der Saar vorgeschlagen und ist deshalb von dem herrschenden Regime verboten worden.
Diese Partei hat sich jetzt, kurz vor Weihnachten 1953, sogar vom Oberverwaltungsgericht Saarlouis diese Entscheidung ausdrücklich bestätigen lassen müssen.
Die politischen und demokratischen Freiheiten sind für uns ein ganz selbstverständliches Anliegen, das nach unserer Auffassung unbedingt berücksichtigt und auch durchgesetzt werden müßte. Ich glaube bestimmt daran, daß Frankreich, wenn es nicht eine gewisse Anzahl von undemokratischen Helfershelfern an der Saar besäße, mit seinen hohen Idealen der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit schon längst auch uns an der Saar diese Freiheiten hätte einräumen müssen. Dann würde halt die Saarfrage von uns selber zu regeln sein. Ich glaube, die Deutschen an der Saar müßten zuerst diejenigen sein, die über ihr Schicksal zu entscheiden bzw. als Voraussetzung dazu zunächst einmal darüber frei und offen zu sprechen und zu diskutieren haben. Deswegen muß ich meine Stimme dagegen erheben, daß gerade die fehlenden politischen und demokratischen Freiheiten eingetauscht werden sollten gegen Zugeständnisse, die es uns unmöglich machen würden, das zu bleiben, was wir sind und was wir bleiben wollen: nämlich Deutsche.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Prinz zu Löwenstein.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Obgleich die Stunde sehr vorgerückt ist, wird man dennoch als sicher annehmen dürfen, daß das deutsche Volk östlich und westlich des Eisernen Vorhangs an der heutigen Debatte im Deutschen Bundestag mit ungeteiltem Interesse teilnimmt. Ganz besonders gilt das für das deutsche Volk im Saargebiet. Es wird auch allgemein begrüßt werden, daß diese Debatte von der einstimmigen Resolution des Deutschen Bundestages vom 2. Juli 1953 ausgeht. Im Volke ist diese Resolution nämlich keineswegs vergessen. Daß es hier um eine Frage von entscheidender Bedeutung geht, um eine Schicksalsfrage größten Ausmaßes, darüber ist man sich im deutschen Volke ohne Unterschied der Partei seit langem im klaren. Man weiß, daß von der Wiederherstellung von Recht, Freiheit und Demokratie an der Saar die ganze Zukunft eines im Osten und Westen einigen Volkes abhängen wird. Und mehr noch, man weiß in der deutschen Öffentlichkeit, daß an der Saar über Sein oder Nichtsein Europas und darüber hinaus über das Schicksal der freien Welt entschieden werden wird. Man hat im Volke — man braucht nur in die Wahlkreise hinauszugehen, um es festzustellen — ein sehr lebendiges Gefühl dafür, daß die Saar Prüfstein Europas ist, daß sich an der Saar erweisen muß, ob das Bekenntnis zum Recht, zum strengen, zum absoluten Recht ehrlich gemeint ist oder ob auch im Westen die überlebten Methoden der Machtpolitik triumphieren, wenn das Recht ihnen entgegensteht, wenn das Recht anfängt, unbequem zu werden.
Meine Damen und Herren, wenn dies so wäre und wenn dieser Deutsche Bundestag seine Stellung als Wahrer des gesamtdeutschen Interesses verlöre, dann würde dies für unsere Landsleute östlich des Eisernen Vorhangs und für alle unsere Heimatvertriebenen einen vernichtenden Schlag darstellen, und die Welt, die sich frei nennt, würde an der Saar, dieser Oder-Neiße-Linie des Westens, politisch und moralisch eine vernichtende Niederlage erleiden.
Im Laufe der Debatte des heutigen Tages ist von manchen Seiten das Gefühl zum Ausdruck gebracht worden, daß man sich vielleicht in der nächsten Zeit noch einmal über die Grundlagen der deutschen Außenpolitik eingehend unterhalten sollte. In der Tat scheint es mir so zu sein, als ob in der deutschen Öffentlichkeit eine gewisse Beunruhigung über den Gesamtkurs unserer Außenpolitik eingetreten wäre und als ob die Gefahr ent-
stünde, mehr in eine — wie soll ich es ausdrücken? — Außenseiterpolitik hineinzukommen als in eine Außenpolitik.
Es ist ein gewisses Mißtrauen entstanden, und zwar auch in der Weltöffentlichkeit, hervorgerufen durch unsere Betriebsamkeit, durch unsere Hast; vielleicht, daß weniger mehr gewesen wäre, auch im Hinblick auf die Verwirklichung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft. Tatsache dürfte doch wohl sein, daß, je mehr wir angeboten haben, desto höher von der anderen Seite der Preis gestiegen ist.
Hier spielt die Saar eine entscheidende Rolle. Es ist der archimedische Punkt, an dem man versuchen kann, das Gesamtunrecht aus den Angeln zu heben. Was heißt hier überhaupt „Saarfrage", meine Damen und Herren? Auch ich verwende das Wort. Man sollte es eigentlich gar nicht verwenden. Es ist künstlich geschaffen. Es gab keine Saarfrage mehr. Wir wissen, woher sie kommt, wo sie wiedergeboren wurde, auch wenn es der deutschen Öffentlichkeit noch nicht so ganz zum Bewußtsein gekommen ist. Auf der zweiten Konferenz von Quebec im September 1944 wurde die Saarfrage neu geschaffen, und zwar im Morgenthau-Plan,
und es ist bezeichnend, daß die Grenzen im Osten und im Westen für das Nachkriegsdeutschland im selben Absatz des Protokolls von Quebec enthalten sind.
Man weiß heute, wer die Väter dieses Plans der Gesamtdemontage Deutschlands gewesen sind. Man weiß, daß es zum großen Teil Männer waren, die im bezahlten Dienst der, Sowjetunion standen, und man weiß, wozu diese Bestimmungen hineinkamen: um Unruhe zu schaffen in Europa, um ein Problem zu kreieren, das Deutschland und Frankreich auseinanderhalten würde.
Man kann ja wohl in diesem Zusammenhang die nationalen Interessen Frankreichs mit den nationalen Interessen Deutschlands nicht ohne weiteres identifizieren. Denn was Deutschland anlangt, besteht doch wohl ein Recht, ein unbestreitbares Recht auf das Saargebiet, während von seiten Frankreichs ein solches Recht nicht gegeben ist. Es wäre ein Vorwurf, der einen nicht treffen könnte, wenn gesagt würde, daß wir alle, die wir für das deutsche Recht eintreten, deshalb Chauvinisten seien, gar Feinde des Friedens und Europas.
In diesem Hohen Hause sitzen in allen Parteien Männer und Frauen, die sich gegen jede Phase der Hitlersehen Aggressionspolitik mit all ihren Kräften zur Wehr gesetzt haben. Sie taten es aus Liebe zu Deutschland und aus Liebe zum Rechte, und sie taten es deshalb, weil sie erkannten, daß jedes Unrecht zur nationalen und zur europäischen Katastrophe führen muß. Wir wehren uns heute ohne Unterschied der Parteien nicht deshalb gegen neues Unrecht, weil wir gegen Europa wären, und nicht deshalb, weil wir Feinde Frankreichs wären. Weiß Gott, wir sind es nicht! Wir glauben an die Verständigung und an die Freundschaft mit Frankreich. Wir wehren uns gegen das Unrecht aus Liebe zu Europa,
und weil wir meinen, daß nur auf einer Basis der 1 Gleichberechtigung ein wahres Europa errichtet werden kann.
Man kann Europa nicht dadurch schaffen, daß man zuerst einmal Grundsätze preisgibt, auf denen es ruhen soll.
Was heißt hier „Europäisierung" oder gar „echte Europäisierung"?
Wenn ich mir ein Paar Schuhe kaufe, dann sollen es Lederschuhe sein, und wenn mir der Verkäufer sagt, es seien echte Lederschuhe, dann bin ich sehr mißtrauisch.
Europa ist eine Gemeinschaft des Rechtes, der Sitte, und Europa kann nicht geschaffen werden, indem man zuerst ein Stück eines anderen Landes abtrennt und das mit einer europäischen Etikette versieht.
Man sage uns nicht, daß es ein kleines Problem sei im Verhältnis zu viel größeren! Manche von Ihnen werden noch die Sitzung des Völkerbundes in Genf miterlebt haben, in der Reichsaußenminister Stresemann, schon vom Tode gezeichnet, zum letzten Male sprach, in jener Sitzung, in der in einer großen lebendigen Vision der damaligen Zeit von den „Vereinigten Staaten von Europa" gesprochen wurde. Und Stresemann sah die Saar als nicht zu gering an, um sie zu erwähnen und um auszuführen, daß dieses Europa von der Lösung dieser Frage abhängt. Wir meinen also, auch historisch in guter Gesellschaft zu sein, und wir meinen, daß man einem nicht ein Opfer zumuten kann, durch das niemandem geholfen wird, am wenigsten Europa.
Auch nicht wegen der EVG! In der vergangenen Woche hat Paul Bourdin in der „Zeit" vielleicht das Abschließende darüber geschrieben, ein ausgezeichneter Journalist, wenngleich er sich manchmal ein wenig — —; na, ich brauche es nicht auszuführen; gerade deswegen vielleicht ein besonders bemerkenswerter Mann! Er führte aus, daß die Schwierigkeiten mit der Ratifizierung der EVG gar nicht so sehr in der Saarfrage begründet sind als in den internen Verhältnissen Frankreichs. Wir glauben daher, daß von unserer Seite schon alles geschehen ist, was nur vernünftigerweise verlangt werden kann, um unsere Bereitschaft für Europa zum Ausdruck zu bringen.
Ich habe gesagt, daß man ohne Unterschied der Parteien in der deutschen Öffentlichkeit die heutige Debatte mit wachsamster Aufmerksamkeit verfolgt. Das wird jeder bestätigen können, der in das Volk hinausgeht, in dieses Volk, wo es längst über alle Trennungen hinweg in dieser Frage eine Art von Großer Koalition gibt, die wirklich alle Kräfte umspannt, die sich ehrlich für Europa und die Demokratie einsetzen. Die Saarfrage hat auch nichts zu tun mit irgendwelchen Sonderinteressen einzelner sozialer Stände und Schichten. Kollege Walz hat eben ausgeführt, daß an der Saar die Gewerkschaften unterdrückt werden, daß das selbstverständlichste Recht moderner Demokratie, nämlich daß die Arbeiterschaft durch freie Gewerkschaften vertreten sei, an der Saar nicht geachtet wird.
Während Europa, dieses Resteuropa, sich gegen die Massenenteignungen durch den Bolschewismus
wehrt, herrscht an der Saar bereits der kalte Bolschewismus.
Die deutschen Vermögenswerte sind schutzlos jedem politischen Willkürakt preisgegeben. Kohlengruben, Hüttenwerke, Banken, Versicherungen, Unternehmungen aller Art in einem Gesamtwert von schätzungsweise 6- bis 700 Millionen Dollar sind praktisch schon enteignet. Dieselbe Gefahr bedroht jeden kleinen Mann, wenn er sich politisch mißliebig macht. Man sage nicht, daß man die Saar nicht mit dem Osten vergleichen könne; der Terror sei dort viel stärker. Gewiß, das politische Klima in Westeuropa ist milder. Aber das, was dort geschieht, genügt völlig, um die politische Willensfreiheit zu unterdrücken;
und wie man Angst hat vor dieser Freiheit, ergibt sich aus dem Verbot freier Parteienbildung,
es ergibt sich aus der Unterdrückung der Presse.
Wenn von Zeit zur Zeit Beschwerden kommen, weil aufrechte Leute Zeitungen von der Bundesrepublik hinübergebracht haben, so muß man fragen: warum ist das nötig? In ein freies Land braucht man nicht Zeitungen von anderswoher zu bringen. Es muß geschehen, weil die Stimme der Demokratie an der Saar selber nicht gehört werden kann.
Meine Damen und Herren, vielleicht ist das Folgende zu volkstümlich für dieses Hohe Haus; aber wir sind Vertreter des Volkes, und deshalb darf erwähnt werden, wie man draußen im Lande den Goes-van-Naters-Plan nennt: man spricht vom Goes-van-Morgenthau-Plan.
Ich darf vielleicht auf eine merkwürdige Sache hinweisen.
— Überall, wo ich hinkomme, in den Versammlungen verschiedenster Parteien, ganz gleich welcher Gruppen!
Darf ich vielleicht auf folgendes hinweisen, was ich persönlich nicht verstehe. Ich habe am 21. Januar an den Herrn Staatssekretär des Äußeren die Frage gerichtet, ob das kommende Gutachten der Bundesregierung vom van-Naters-Plan unabhängig sein oder ihn zum Ausgangspunkt nehmen wird. Herr Staatssekretär, Sie haben mir geantwortet, dieses Gutachten wird unabhängig sein. Ich verstehe nicht, wie die Entwicklung weiter gelaufen ist; denn nur wenige Wochen später las man in der Presse, daß dieser Plan die offizielle Grundlage der Verhandlungen geworden ist. Ich verstehe das nicht. Vielleicht versteht man es draußen auch nicht ganz. Zwar sprechen die Historiker so gern von der Kontinuitätslosigkeit der deutschen Geschichte. Aber Kontinuitätslosigkeit in so kurzer Zeit?!
Was über das Provisorium zu sagen ist, hat Ihnen Herr Dr. Becker vorhin dargelegt. Ich meine, daß wir nicht die rechtliche Befähigung besitzen, auch nur provisorisch auf Hoheitsrechte zu verzichten,
die nicht uns, sondern dem ganzen deutschen Volk gehören.
Abschließend darf ich von dieser Stelle einen Appell an die Vereinigten Staaten, an Großbritannien und auch an Frankreich richten. Es geht hier um das Prestige der deutschen Demokratie. Wenn diese deutsche Demokratie ihr Gesicht verlöre, wenn sie kompromittiert würde, wäre Deutschland nicht mehr ein bündnisfähiger Faktor. Wenn diese deutsche Demokratie kompromittiert würde, wäre das eine unendliche Gefahr nicht nur für unser Volk, durch den heraufsteigenden Radikalismus, sondern für die gesamte freie Welt.
Meine Damen und Herren, ein Verzicht unsererseits wäre also rechtsunwirksam.
Wir würden uns damit vor dem deutschen Volk schuldig machen.
Unser Freund Reinhold Maier hat vor wenigen Tagen gesagt: Die Machthaber des Ostens werden eines Tages, wenn die Wiedervereinigung kommt, wegen ihrer Vorgriffe und Preisgabe der Oder-Neiße-Linie erröten müssen. Wir, sagte er, wollen nicht erröten müssen.
Es wird gefragt, welche Mittel wir denn haben. Das Recht ist keine Fiktion! Das Recht ist eine Realität, und zwar eine politische. Wenn wir für dieses Recht eintreten, treten wir nicht nur für ein deutsches Recht, sondern für ein allgemeines Menschenrecht ein, das jede Nation betrifft. Wir werden in der ganzen Welt Freunde und Bundesgenossen finden, die auf unsere Seite treten.
Wir sind bereit — ich brauche es nicht zu wiederholen —, jede vernünftige wirtschaftliche Konzession zu machen. Wir wollen Frankreich im Interesse des Friedens bis zum Äußersten entgegenkommen. Diese Konzessionen müssen aber von ganz Deutschland gebracht werden, nicht von einem einzelnen Teil unseres Vaterlandes.
So wage ich zu behaupten, daß in den Händen dieses Deutschen Bundestags, der für alle Deutschen zu sprechen berufen ist — in der Bundesrepublik, im Saargebiet und jenseits des Eisernen Vorhangs —, die Zukunft eines wahren Europas liegt, jenes Europas, das nur gedacht werden kann als eine Gemeinschaft unabdingbaren Rechtes, als eine Gemeinschaft freier, demokratischer und gleichberechtigter Nationen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Gerstenmaier.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf mir in meiner Eigenschaft als Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages eine Bemerkung vorweg erlauben, die sich auf die Kritik bezieht, die der Herr Fraktionsvorsitzende der SPD heute vormittag daran geübt hat, daß die Sitzung des Auswärtigen Ausschusses gestern abgesagt werden mußte. Meine Damen und Herren, ich bedauere mit Herrn Ollenhauer, daß die Sitzung des Auswärtigen Ausschusses gestern abgesagt werden mußte. Es ist aber eine gute Übung in diesem Hause, daß, wenn große Fraktionen darum bitten,
dem Wunsch nach Möglichkeit entsprochen wird. Ich darf daran erinnern, daß der Herr Fraktionsvorsitzende der SPD in einer der vorletzten Sitzungen ebenfalls um Vertagung gebeten hat und daß ich diesem Wunsche entsprochen habe. Ich bedauere, daß es mir infolge der Anwesenheit in Paris in der Sitzung des Allgemeinen Ausschusses des Europarats nicht möglich war, die Mitteilung selber zu lesen und sie selber hier abzuverfügen. Sie hätten sonst auch die Gründe gehört.
— Es gab keine Vereinbarung, sondern eine Entscheidung auf Grund einer Bitte, die von der CDU/ CSU-Fraktion genau so wie seinerzeit die Bitte der SPD-Fraktion an mich herangetragen worden war.
— Dafür gab es eine Begründung, eine zwingende Aussprache in der Fraktion für die heutige Sitzung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich damit zum Thema des Tages kommen. Nach einer neunstündigen Debatte wird es unmöglich, die Vielfalt der Gesichtspunkte noch einmal zu berühren. Ich habe auch nicht den Ehrgeiz, das hier zu tun. Aber es gibt in dieser Debatte eine solche Serie von Mißverständnissen, ja, von Mißdeutungen in einer Art, daß man sich fragt, ob sie noch unter dem Begriff der Gutwilligkeit verstanden werden können.
Dazu gehört, daß uns hier nicht nur von einer, sondern von mehreren Seiten geradezu unterstellt worden ist, wir hätten ein Junktim, eine Koppelung, eine Verbindung zwischen der EVG-Ratifizierung und der Saar von unserer Seite gesucht oder angestrebt.
Abgesehen von dem Blödsinn, der darin liegt, möchte ich mir doch erlauben zu sagen, daß wir eine solche Verbindung von Anfang an bekämpft haben.
Wir haben es für ein Unglück gehalten, daß die damalige französische Regierung beim Abschluß ihres Staatsbesuches in Washington solche Verlautbarungen wie die in die Welt gesetzt hat, sie beabsichtige, die Saarlösung vor der Ratifizierung des EVG-Vertrages in ihrem Parlament zu klären. Wir haben das nicht nur bedauert, sondern wir haben das für ein Unglück gehalten. Ich scheue mich gar nicht, das hier zur Steuer der Wahrheit heute einmal mit Nachdruck auszusprechen.
Es ist eine unzumutbare Unterstellung; denn was an uns ist — und zufällig weiß ich auch, was in dieser Sache an der Bundesregierung war —, so haben wir dieses Junktim immer mit größtem Nachdruck abgelehnt. An der witzigen Rede meines Freundes Pfleiderer ist mir das eine unverständlich, wie er auch nur von der fernsten Ferne auf die Idee kommen konnte, daß in diesem Junktim unter dem einen oder andern unerfindlichen Gesichtspunkt für uns irgend etwas zu gewinnen wäre. Ich wiederhole: Wir haben das für ein Unglück gehalten. Wir haben es auch aus anderen Gründen, von denen ich glaube, daß sie zwingende Rechtsgründe sind, von Anbeginn an abgelehnt, und wir lehnen es auch heute ab. Wir sind nämlich der Meinung, daß das Junktim zwischen der EVG und der Saarlösung für dieses Haus deshalb unzumutbar ist, weil man uns, wenn man so etwas auf der andern Seite im Auge gehabt hat, bei der Unterzeichnung spätestens nach der Unterzeichnung der Verträge darüber hätte unterrichten müssen, daß ein anderer Partner nur unter der Bedingung zu ratifizieren gedenke, daß auch die Saar in irgendeiner Weise in die Lösung mit hineingenommen werde. Davon kann aber gar keine Rede sein. Niemand hat uns das gesagt, und wenn man es uns gesagt hätte, dann hätte ich widerraten, darauf einzugehen. Wir stehen also insoweit heute in einer völlig freien Situation und mit reinstem Gewissen vor dem deutschen Volk und vor dem Bundestag. Das Junktim zwischen EVG und Saar haben wir nicht erfunden. Wir haben es von Anfang an bekämpft und bekämpfen es auch heute noch.
Es ist auch gar kein Junktim. Passen Sie auf, Herr Kollege Mommer, was ich jetzt sage: Es ist gar kein Junktim, es ist nur der einseitige Versuch, uns eine Bedingung zu stellen für einen ungewissen Debattenausgang. Meine Damen und Herren, wenn Sie uns für etwas nicht halten sollten, dann sollten Sie uns nicht für Träumer halten. Wir sind keine Träumer und keine Illusionisten, und deshalb sind wir auch nicht der Meinung, daß, selbst wenn wir darauf eingehen würden, dabei irgend etwas gewonnen werden könnte. Damit kann nichts gewonnen werden. Es sind innerfranzösische Schwierigkeiten, mit denen sich die französische Regierung und das französische Parlament auseinandersetzen müssen, nicht aber wir. Nicht wir haben uns damit auseinanderzusetzen, unter welchen Bedingungen und wann endlich sie die Frage zur Entscheidung bringen, ob und wann sie den unterzeichneten EVG-Vertrag ratifizieren. Daß wir uns auf eine Art Junktim einlassen, auf eine Bedingung eingehen für eine Sache, von der wir noch nicht einmal wissen, wie denn die Debatte schließlich ausgeht, — meine Damen und Herren, unterschätzen Sie uns doch wenigstens nicht in dieser Weise!
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich muß aber zu meinem großen Bedauern den von mir persönlich sehr verehrten Herrn Kollegen Ollenhauer doch noch einmal angreifen, und zwar wegen einer Feststellung, die er heute morgen getroffen hat und die wir einfach so nicht auf uns sitzen zu lassen bereit sind, weil sie der Wahrheit widerspricht. Herr Kollege Ollenhauer hat wörtlich gesagt, die Bundesregierung habe sich nicht nur von dem andern Partner die Frage stellen lassen, sondern sie sei auch bereit, sie so zu beantworten, wie der andere Partner sie stellt. Es fehlte nur noch, daß er gesagt hätte: sie so zu beantworten, wie der andere Partner sie beantwortet haben will!
— Ich habe zugehört, Herr Kollege Dr. Arndt. Ich habe mir das Protokoll geben lassen, Herr Kollege Arndt.
— Aber gewiß: ich habe mir das Protokoll geben lassen!
Er hat gesagt, daß sie — nämlich die Bundesregierung — auch bereit sei, die Frage so zu beantworten, wie der andere Partner sie stellt. Meine Damen und Herren, das ist genau nicht der Fall. Übrigens kann jedes Mitglied des Europarats, das die Debatten in Straßburg oder in Paris verfolgt hat, das bestätigen. Wir wären mit dem heute so viel zitierten Naters-Plan in einer völlig anderen Situation, wenn nur etwas von dem wahr wäre, was Herr Kollege Ollenhauer hier gesagt hat. Wenn wir lediglich eingegangen wären auf die Fragestellung der französischen Regierung und wenn der Herr Bundeskanzler auch nur im entferntesten bereit gewesen wäre oder sich bereit gezeigt hätte, die Antwort zu geben, die die Herren am Quai d'Orsay zu hören wünschten, dann, meine Damen und Herren, würde es um den Naters-Plan etwas anders bestellt sein. Dann würde die Situation auch in mancher Hinsicht anders sein. Ich sage nicht, daß die Situation befriedigend wäre; ich sage nur, daß sie anders wäre. Das ist aber nicht der Fall.
Es muß auch einmal frei ausgesprochen werden
— warum eigentlich nicht? —, daß mit der Vereinbarung vom 9. März in Paris, mit diesem Kommuniqué es jedenfalls in den Wochen danach nicht ganz so exakt bestellt war, wie wir es im Anfang vielleicht annehmen durften. Es hat sich nämlich herausgestellt, daß sich der Quai d'Orsay mitnichten, jedenfalls bis jetzt nicht, bereit gefunden hat, den in diesem Hause so sehr kritisierten Naters-
— Plan im Ernst als Grundlage für eine beabsichtigte europäische Saarlösung entgegenzunehmen. Das hat der Quai d'Orsay — ich kann nur sagen: zu meinem Bedauern — bis jetzt nicht getan, sondern der Herr Staatssekretär im Quai d'Orsay hat einen anderen Vorschlag gemacht. Dieser andere Vorschlag ist noch etwas anderes als eine bloße Interpretationsverschiedenheit zum Naters-Plan. Das ist etwas qualitativ anderes, und heute geht der Streit darum. Die sogenannten bilateralen Verhandlungen scheinen mir deshalb so schwierig zu sein, weil man in Tat und Wahrheit von ganz verschiedenen Standpunkten und Grundlagen ausgeht und weil offenbar diese Situation noch nicht bewältigt ist. Wenn es so ist, dann darf man doch auch hinzufügen, was neulich ein scharfsinniger französischer Journalist bei einer Pressekonferenz, die M. Guy Mollet abgehalten hat, im Chateau de la Muette gesagt hat: es stelle sich also offensichtlich heraus, daß der jetzt vom Allgemeinen Ausschuß des Europarats verabschiedete Naters-Plan, vielleicht zum Unterschied zur ursprünglichen Gestalt des NatersPlans, doch viel mehr und weit stärker den deutschen Gesichtspunkten, die auch vom Bundeskanzler und der Bundesrepublik Deutschland verfochten worden seien, Rechnung trage als den Erfordernissen, von denen der Quai d'Orsay bis jetzt ausgegangen sei. Die Frage, die an M. Guy Mollet anschließend noch gestellt wurde, war die, ob er meine, daß das französische Parlament auf Grund dieses Naters-Plan-Vorschlags bzw. dieses Europarats-Vorschlags seine dritte Bedingung für die Ratifizierung der EVG als erfüllt ansehe oder
nicht. Was hat M. Guy Mollet darauf geantwortet? Der Mann soll gelobt werden! Er hat gesagt: „Ich gehöre nicht zu denen, die diese Vorbedingungen gestellt, gefordert und vertreten haben. Richten Sie diese Frage an diejenigen, die diese Bedingung gestellt haben, nicht an mich; ich gehöre nicht zu ihnen!" Auch solche Männer gibt es im französischen Parlament.
Ich kann also nur darauf aufmerksam machen, daß jedenfalls die Annahme, von der dieser Teil der Ausführungen des Herrn Kollegen Ollenhauer ausgegangen ist, grundlegend irrig ist. Es ist kein Geheimnis, daß die politische Substanz des Naters-
Plans die Anwendung des europäischen Integrationsgedankens auf eine der bestehenden aktuellen Hauptschwierigkeiten zwischen Deutschland und Frankreich ist.
In der heutigen neunstündigen Debatte
ist unendlich viel gesagt worden, um uns gegenseitig stark zu machen in der Überzeugung, daß wir wirklich einen Rechtsanspruch auf die Saar haben. Ich möchte eigentlich wissen, für wen in diesem Hause das zu sagen unerläßlich ist. Diese Frage ist völlig unbestritten. Wir reden den ganzen Tag in diesem Sinne, denn wir haben niemals die Entschließung vom 2. Juli an irgendeinem Punkt verlassen. Wir sind bei allem davon ausgegangen, daß die Saar ein Bestandteil Deutschlands, um es genau zu sagen, ein Bestandteil des Deutschen Reiches ist. Ich möchte mir zu dem, was die beiden Herren hier von der Saar gesagt haben, in diesem Zusammenhang zu bemerken erlauben — in der Hoffnung, daß der saarländische Rundfunk nicht abgeschaltet ist oder jedenfalls die deutschen Rundfunksendungen an die Saar kommen —, daß wir großen Respekt und alle Achtung vor der Reichstreue der Saarländer haben, denen die uneingeschränkte politische Bewegungsfreiheit bis zum heutigen Tage, Gott sei es geklagt, versagt ist.
Aber was haben wir denn eigentlich von Anfang an getan, als dafür gekämpft, daß diese Bewegungsfreiheit eingeräumt wird? Im Europarat ging es damit los. Es gibt das Dokument Nr. 60, das nicht nur die Sozialisten unterschrieben haben — das ist wahr —, sondern das wir Deutschen alle miteinander unterschrieben haben und in dem wir gesagt haben, daß sich die Beratende Versammlung des Europarates damit befassen möge, daß endlich an der Saar die uneingeschränkte Gewährung der politischen Grundrechte hergestellt wird, d. h. daß der verdammte Lizenzzwang endlich einmal falle. Das ist wahr; aber das ist nicht alles.
Es gibt auch das Dokument Nr. 54, Herr Kollege Ollenhauer, und damit fing die Geschichte des sogenannten Naters-Plans an. Der Herr Bundeskanzler hat mit seinen heutigen Feststellungen ganz recht gehabt. Darauf kam nämlich im Europarat der Antrag, über das zukünftige Statut der Saar zu verhandeln, sich im Europarat Gedanken zu machen nicht nur darüber, wie der Lizenzzwang für politische Parteien schleunigst beseitigt werden könnte, sondern sich auch Gedanken darüber zu machen, wie das zukünftige Statut, die zukünftige Position — la position future de la Sarre — aussehen solle oder könne. Das, meine Damen und Herren, steht in dem Antrag an die Beratende Versammlung, Dokument Nr. 54, vom 17. September 1952. Ich kann Ihnen nicht helfen, es ist unterzeichnet nur von Sozialisten. Es finden sich darunter die Namen unserer Kollegen Altmaier, Nölting, Krahnstöver. Kalbitzer, Paul, Erler, Schmid usw. Die anderen sind
Franzosen. Damit begann die Geschichte mit dem Naters-Plan zu Straßburg im Europarat und nicht mit einer Initiative von uns.
Man muß das einfach einmal zur Steuer der Wahrheit feststellen.
Nachdem uns das beschieden war, war es ganz natürlich, daß auch dieser Antrag, der an die Beratende Versammlung des Europarates eingereicht wurde, ordnungsmäßig an den Allgemeinen Ausschuß weiterging. Der Allgemeine Ausschuß hat beide Dinge miteinander verknüpft. Meine beiden Kollegen Mommer und Pfleiderer werden mir bestätigen, daß wir unsererseits, soweit wir an diesem Tisch dort überhaupt etwas zu erreichen vermochten, immer wieder versucht haben, die Frage der Freiheitsrechte an der Saar in den Vordergrund zu bringen. Wir haben einen gemeinsamen Antrag eingebracht, dem Entwurf von van der Goes van Naters ein neues Kapitel 1 voranzustellen, in dem nichts anderes stehen sollte, als daß unbefristet und ohne alle weitere Kautelen der Lizenzzwang für politische Parteien an der Saar aufgehoben werden soll. Es ist wahr — der Kollege Pfleiderer hat darauf hingewiesen, ich stehe auch dazu —, ich habe nicht nur in Paris mit Unterstützung der Kollegen Mommer und Pfleiderer, sondern auch in London im Unterausschuß alles getan, was überhaupt möglich war, um die Beseitigung des Lizenzzwanges zu erreichen. Ich kann bestätigen, daß ich dabei immer wieder auf die Unterstützung der Bundesregierung gestoßen bin, daß ich sie überall im diplomatischen Bereich gefunden habe. Man kann uns deshalb keinen Augenblick nachsagen, daß von deutscher Seite nicht alles, was überhaupt denkbar und möglich war, geschehen ist, um diesen Skandal an der Saar zu beenden. Es ist ein Skandal, daß an der Saar einerseits die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte unterzeichnet und ratifiziert wurde und daß es auf der andern Seite ein Gesetz wie dieses Gesetz über die Zulassung der Parteien mit dem Art. 2 gibt, wo mit einem Gaunertrick die Grundrechte wieder eingeschränkt werden. Aber es kann nicht der mindeste Zweifel darüber sein, daß hier nicht nur eine einhellige deutsche Auffassung bestand, sondern auch einhellig, gemeinsam operiert wurde und daß wir dabei jederzeit in allen Punkten und auf allen Ebenen, die überhaupt in Betracht kamen, die volle Unterstützung der Bundesregierung hatten.
Trotzdem müssen wir uns, solange wir uns im Bereich der Demokratie befinden, mit Mehrheitsentscheidungen, in diesem Falle — Gott sei es geklagt — mit sehr traurigen Mehrheitsentscheidungen abfinden. Die letzte Mehrheitsentscheidung in Paris, als wir den Antrag von London erneut vorbrachten, war die, daß wir Deutschen gegen alle anderen allein geblieben sind, allerdings zugunsten eines sehr gut gemeinten, eines wirklich redlich gemeinten Vermittlungsvorschlages des dänischen Sozialisten Jacobsen, der aber unseren grundsätzlichen und praktischen Forderungen bei weitem nicht zu genügen vermochte. Auch das muß hier einmal ausgesprochen und klar herausgestellt werden. Es kann keine Rede davon sein, daß wir deshalb, weil wir in diesem Punkte von einer großen Mehrheit geschlagen worden sind, die gegen uns stand, nicht unsererseits alles getan hätten, was überhaupt in unserer Kraft ist.
Herr Abgeordneter, es wird eine Zwischenfrage gewünscht.
Ich darf mir die Frage an den Herrn Abgeordneten Dr. Gerstenmaier erlauben, auf Grund welcher satzungsmäßigen Bestimmungen des Europarates es der Versammlung erlaubt ist, diese Art von Verhandlungen mit fremden Regierungen zu führen, wie verschiedene Mitglieder des Ausschusses, insbesondere auch Herr van Naters, es zu tun pflegen.
Herr Kollege Naters, — —
— Verzeihen Sie, Herr Kollege Lütkens! Es ist eine wirkliche, eine echte Verwechslung; das hat gar nichts miteinander zu tun. — Ich antworte auf diese Frage sehr gern. Ich kann nur sagen, daß die Verhandlungen, die Herr van der Goes von Naters mit Regierungen geführt hat, außerhalb dessen waren, was ihm vom Allgemeinen Ausschuß der Beratenden Versammlung des Europarates zugewiesen war. Was er zunächst bei der Herstellung seines Berichtes getan hat, möchte ich davon ausnehmen. Ich bin nicht erfahren genug, um beurteilen zu können, welche Fühlungnahmen mit fremden Regierungen für den Berichterstatter des Allgemeinen Ausschusses erforderlich wurden, damit er seinen Bericht zustande bringen konnte. Das vermag ich nicht zu sagen. Aber daß alles, was er danach tat, ausschließlich auf sein eigenes und persönliches Risiko ging, das, Herr Kollege Lütkens, glaube ich doch feststellen zu können, ohne daß wir dabei in irgendeiner Weise der Wahrheit etwas abbrechen.
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir, noch ein Wort zu den Vorbehalten zu sagen. Ich fühle mich in dem, was ich in diesen Monaten, übrigens zum großen Teil mit der dankenswerten Unterstützung auch meines Kollegen Mommer, vertreten habe und zu vertreten mich bemühte, heute insoweit von dem Herrn Bundeskanzler bestätigt, als ich sagen kann, daß die Vorbehalte, die der Herr Bundeskanzler heute in seiner Erklärung dem Deutschen Bundestag vorgetragen hat, in teilweise wörtlicher Übereinstimmung mit den Vorbehalten stehen, die ich vor der Abstimmung des Allgemeinen Ausschusses in Paris vor einigen Tagen vorgebracht habe.
Ich habe gesagt, mein erster Vorbehalt richte sich dagegen, daß die Präambel von einer „endgültigen europäischen Lösung" spreche und daß damit die Präambel im Widerspruch zu dem Art. 1 des Vorschlags stehe, in dem die Verwandlung des Saargebietes in ein europäisches Territorium unter den Vorbehalt der Bestimmungen des Friedensvertrages oder einer an dessen Stelle tretenden Regelung gestellt wird. Ich habe gesagt, daß dies auch geschehen müsse, denn die Lösung der Saarfrage betreffe die deutschen Grenzen, da die Saar ein Teil Deutschlands ist. Es wird das Haus interessieren, zu hören, daß dieser Feststellung gar nicht widersprochen worden ist. Damit das Bild vollständig wird, muß ich aber auch hinzufügen, daß sie auch leider nicht bestätigt worden ist.
Es ist unbestritten, so habe ich weiter gesagt, daß die endgültige Festlegung der Grenzen Deutschlands bis zu einer zwischen Deutschland und seinen ehemaligen Gegnern frei vereinbarten friedensvertraglichen Regelung für ganz Deutschland aufgeschoben werden muß. Dieser Grundsatz
ist in Art. 7 des Vertrages über die Regelung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten ausdrücklich festgelegt. Eine Zustimmung der Bundesregierung stände in Widerspruch zu Art. 7 des Deutschlandvertrages. Ich muß deshalb insoweit einen ausdrücklichen Vorbehalt gegen den Art. 19 des van Naters-Planes anmelden.
Meine Damen und Herren! Diese Vorbehalte sind zur Kenntnis genommen worden, und Sie können sich darauf verlassen, daß wir sie auch dort zu vertreten wissen, wo das Thema erneut zur Debatte stehen wird, nämlich in der Beratenden Versammlung des Europarats.
Meine Kritiker von heute, Herrn Kollegen Ollenhauer wie Herrn Kollegen Pfleiderer, möchte ich noch auf eines hinweisen. Abgesehen von dem, was Herr Kollege von Merkatz hier so eindrucksvoll herausgestellt hat, nämlich daß es das natürliche Recht eines gewachsenen Volkes sei, jederzeit für seine Ganzheit einzutreten, — neben diesem natürlichen Grundrecht haben meine Kritiker sich unablässig auf den Deutschland-Vertrag berufen, auf denselben Vertrag also, den Herr Kollege Pfleiderer so sehr lange und so intensiv kritisiert hat
und den Sie, Herr Kollege Ollenhauer, abgelehnt haben.
Herr Kollege Pfleiderer wünscht das vorbehaltlose Engagement der Westalliierten für Gesamtdeutschland. Wir wünschen das auch, meine Damen und Herren. Wo in aller Welt steht denn aber etwas, was auch nur in diese Richtung anklingt, wenn nicht in der Präambel und in den Artikeln 2 und 7 dieses von ihm so lange kritisierten Deutschland-Vertrages? Man darf aber nicht nur solche Wünsche äußern, sondern wenn man schon solche Wünsche hat, dann muß man auch eine entsprechende Politik machen und den Mut haben, eine solche Politik zu verfechten, eine Politik, die davon lebt, daß sie die Kraft zu einem konstruktiven Ausgleich aufbringt, der doch nun einmal so, wie die Welt gebaut ist, Voraussetzung eines solchen Hand-in-Hand-Arbeitens, eines solchen Engagements ehemaliger Kriegsgegner ist.
Meine Damen und Herren! Die Kritik am Naters-nicht nur bei Sozialdemokraten von einiger Prominenz, die bedauerlicherweise in diesem Hause nicht vertreten sind, sondern auch bei Sozialdemokraten, die diesem Hause angehören, Anklänge an den ehemals von uns gemeinsam gepriesenen und bekannten Gedanken der europäischen Einigung gibt, wenn wir auch allmählich daran gewöhnt sind, daß man sagt: „Ja, aber nicht Klein-Europa!" Aber, meine Damen und Herren, so wie die Dinge stehen, sind nun einmal die Vertragsentwürfe und sind nun einmal die Verfassungsentwürfe der Adhoc-Versammlung über die Europäische Politische Gemeinschaft das einzige, was konkret diesem Gedanken in Deutschland, in Europa heute Gestalt, Form und überhaupt praktische Diskussionsmöglichkeit verschafft. Deshalb würde ich doch empfehlen, daß man damit etwas vorsichtiger umgeht als so, wie es mein lieber Freund Pfleiderer mit „Des Knaben Wunderhorn" getan hat unter Berufung auf einen anderen Brentano als den, der zu unserer Freude hier vor uns sitzt.
Plan hat sich weiter auf den Punkt bezogen, von dem ich allerdings auch n a c h der langen Kritik von heute nachmittag der Meinung bin, daß er der weitaus konstruktivste ist, nämlich auf das Junktim von Saar-Lösung und Europäischer Politischer Gemeinschaft. Eigentlich sind zu meinem Bedauern Herr Ollenhauer und Herr Pfleiderer auch hier einig in der Ablehnung der bis jetzt einzigen konkreten Gestalt der Europäisierung, d. h. der Vereinigung Europas. Ich stelle immer wieder zu meinem eigenen Trost fest, daß es hin und wieder
Meine Damen und Herren, vom Zustandekommen der Europäischen Politischen Gemeinschaft, von ihrem Sein oder Nichtsein wird es schließlich und endlich abhängen, ob die weitaus größte und mächtigste Idee in diesem von Kriegen und Elend heimgesuchten Kontinent nach zwei Weltkriegen Gestalt gewinnt
oder ob wir wieder zurückfallen in die politischen Albernheiten des letzten, des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Der ganze Charme meines Kollegen Pfleiderer kann mich nicht davon überzeugen, daß diese Weisheit der intergouvernementalen Koalition eben doch der beste Weg für Europa sei. Wenn ich mir einen Witz erlauben dürfte, würde ich sagen: er wird doch nicht denken, daß die Diplomaten arbeitslos werden könnten, wenn es zu einer europäischen Föderation kommt.
Selbstverständlich werden die Methoden der internationalen, insbesondere der europäischen Zusammenarbeit etwas anders werden als die der klassischen Auswärtigen Ämter, die im 19. Jahrhundert so schön herangewachsen sind und dann zwei Weltkriege in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit ihrer brillanten Arbeit nicht zu verhindern wußten. Diese Dinge werden ein wenig anders werden.
Im übrigen: was nützen uns eigentlich heute überhaupt Ausflüge in diese Integrationsdebatte? Meine Damen und Herren, sie nützen folgendes. Wenn ich recht verstanden habe, ist sowohl der Herr Kollege Ollenhauer wie der Herr Kollege Pfleiderer der Meinung, daß es doch besser sei, den Status quo an der Saar, so schlecht er ist — ganz gewiß, sie sind beide nicht der Meinung, daß er gut ist, im Gegenteil, sie sind mit uns der Meinung: „So schnell wie möglich weg von ihm!" —, bestehen, ja ihn zementieren zu lassen bis zu einem Friedensschluß,
als unter dem Aspekt der europäischen Einigung zu einem Kompromiß zu kommen.
Ganz gewiß zu einem Kompromiß; denn, meine Damen und Herren, wenn wir tun könnten, was wir wollten,
dann, glaube ich, würden wir uns über die Saar wenigstens nicht mehr sehr lange streiten.
Außerdem, meine Damen und Herren, möchte ich doch einmal auf diese Binsenwahrheit hinweisen dürfen: Es sieht gelegentlich so aus, als ob eigentlich w i r dieses Saarelend sozusagen in dieser Gestalt hingedreht hätten.
Wo kommt es denn her? Neulich hat irgendeiner, den ich sonst als einen klugen Mann schätze, gesagt, es sei ein Musterstück, eine Paradeleistung der französischen Diplomatie. Meine Damen und Herren, es ist weder ein schuldhaftes Unterlassen von uns — gar keine Rede davon! —, noch ist es ein Glanzstück der französischen Diplomatie, was heute an der Saar ist, sondern es ist zunächst und in erster Linie eine ganz erbärmliche Folge des von Adolf Hitler zu verantwortenden zweiten Weltkrieges.
Wenn man sich das vor Augen hält, — —
— Also schreien Sie doch ruhig noch ein bißchen; dann kann ich mich inzwischen erholen!
Meine Damen und Herren! Die Debatte wird durch diese lauten Gespräche nicht entspannt!
Meine Damen und Herren! Diese Ausgangsposition haben wir alle miteinander vorgefunden. Allerdings sollte die famose Saarverfassung in vieler Hinsicht in die Geschichte eingehen. Man sollte sie in juristischen und anderen Seminaren vorlegen und als ein Beispiel dafür hinstellen, wie man eine Verfassung nie machen darf. Diese Verfassung des Saarlandes ist datiert vom 15. Dezember 1947. Das war einige Zeit, bevor wir uns hier zusammengetan haben. Sie bereitet uns sehr viel Kummer. Wenn man sich diesen Ausgangspunkt vergegenwärtigt, dann kann man doch weiß Gott nicht sagen, daß die Bundesregierung oder sonst jemand in diesem Hause aufgehört habe, die Zugehörigkeit der Saar zu Deutschland zu beachten. Ich möchte es einmal verschärfen und sagen: aktiv zu beachten. Unablässig, wo wir auch immer stehen und wo wir von der Saar reden, denken wir daran, daß diese Saar ein Teil Deutschlands ist, denken wir daran, daß die Saarländer, gleichgültig, was sie auf ihre Pässe schreiben, Deutsche sind. Man soll uns doch nicht unterstellen oder so tun, als ob wir das nicht sehen wollten oder als ob wir das nicht wahrhaben wollten.
Meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist nun einmal so, daß man in dieser Frage nur dann zu einem Urteil mit Augenmaß kommen wird, wenn man die Begründungszusammenhänge und den Aspekt in die Zukunft hinein sieht, unter denen diese Frage verstanden und gesehen werden muß.
Es ist doch Tatsache — und ich sehe gar nicht ein, warum es nicht nachgerade mit allem Nachdruck und mit aller Schärfe ausgesprochen werden soll —, daß zwei Gefahren über uns stehen. Wenn
sie über uns hereinbrechen, erschlagen sie Sie — von der Opposition — ebenso wie uns. Die eine dieser beiden Gefahren ist die der Auskreisung Deutschlands,
d. h. des Hinauswürfelns Deutschlands aus der gesicherten Existenz in der Gemeinschaft der freien Völker. Wir sind doch noch nicht zu Ende. Wir haben doch den EVG-Vertrag noch nicht; wir haben doch den Deutschland-Vertrag noch nicht. Wir sind immer noch in einem unerhörten Maße gefährdet, nicht allein vom Osten her, sondern auch dadurch, daß sich im Westen einige Leute überlegen könnten, die vielleicht binnen kurzem die Macht haben, daß es nicht so wahnsinnig empfehlenswert sei, sich mit diesen Deutschen für die nächsten paar hundert Jahre zu verheiraten, und die es dann vorziehen würden — entschuldigen Sie, wenn man das ausspricht! —, die Deutschen draußen im Niemandsland zwischen Ost und West zu sehen.
Diese Gefahr ist noch nicht ganz gebannt. Deshalb muß sie hier vor das deutsche Volk hingestellt werden. Die Gefahr der Auskreisung Deutschlands muß gesehen werden. Wir kämpfen darum, mit ganz Deutschland in eine gesicherte Existenz, in die Gemeinschaft der freien Welt hineinzukommen. Da wir das wollen, da wir das wollen müssen , meine Damen und Herren, lassen wir uns auch nicht von Argumenten beeindrucken oder beirren, von denen wir nicht behaupten, daß überhaupt nichts an ihnen sei, sondern die wir an sich würdigen, von denen wir aber doch sagen müssen, daß andere Argumente von höherer Rangordnung dagegenstehen. Die Rangordnung muß gesehen werden!
Ein Zweites. Meine Damen und Herren, ich verlasse mich darauf, wenigstens an diesem Punkte bei Ihnen in der Opposition Verständnis zu finden. Wir sind uns doch gelegentlich einig gewesen über die Gefahr des deutschen Nationalismus. Ich habe noch nie davon geredet, daß ich Ihnen diesen Vorwurf mache; ich sage aber, daß die Gefahr der Wiederkehr eines ungeläuterten deutschen Nationalismus in diesem Volke leider offenbar immer noch nicht ganz überwunden ist. Was steht denn dafür? Die ungeheure Verführung, ja die Gefahr, daß die anderen, die jenseits der deutschen Grenze zu befinden haben, uns in eine Situation hineinjagen, in der uns gar nichts anderes mehr übrig bleibt, als die Hinwendung zu einer Politik des bloßen Revisionismus, der Politik des nationalen Revisionismus. Und, meine Damen und Herren, was auf diesem Pflaster zu erwarten ist, das haben wir doch nun exerziert nach dem Tode Stresemanns bis zum glorreichen 30. Januar 1933! Wir haben nur die Möglichkeit: die deutsche Politik, solange es irgend geht, unter das Leitbild der europäischen Vereinigung oder unter das der Rückkehr zu einer erst moderierten und dann immer rasanter werdenden Politik des nationalen Revisionismus zu stellen. Das letztere wollen wir nicht, wir sind gebrannte Kinder, und es hat keinen Zweck, nachher vor den Generälen zu warnen. Man muß eine richtige Politik machen, in der die Generäle kein entscheidendes Wort haben.
Herr Kollege Ollenhauer, ich habe mit großer Aufmerksamkeit heute den Teil Ihrer Darlegungen gehört, in dem Sie zu einem Gedanken zurückgekehrt sind, über den wir uns im Herbst letzten Jahres gegenseitig an diesem Rednerpult unterhalten haben. Ich habe mich etwas gewundert, daß Sie den Gedanken wieder aufgenommen haben. Es ist monatelang darüber still gewesen. Nun gut, Sie haben ihn heute wieder in die Diskussion gestellt, und mein freundschaftlicher Zuruf an meinen Freund von Brentano bezweckte, diesem Gedanken nach Möglichkeit noch in seiner Rede gerecht zu werden. Ich bin der Meinung, daß Ihnen und uns nichts geholfen ist, wenn wir sagen: die Sozialdemokraten bieten ja keinen neuen Vorschlag, sie bieten keine neue Idee. Es ist wahr, Kollege Ollenhauer, und ich habe es zur Kenntnis genommen, daß Sie heute einen Gedanken in neuer Form vorgetragen haben, den Sie schon einmal hier angesprochen haben, und daß Sie offenbar der Meinung sind, es gebe eine reale Möglichkeit für die Bundesregierung und für dieses Haus, diesen Gedanken konstruktiv in die europäische und in die Weltpolitik einzuführen. Herr Kollege Ollenhauer, ich will kein Wort davon sagen, was etwa an dieser Konstruktion, die Sie uns hier vor Augen geführt haben, reizvoll sein könnte. Ich gehöre zu denen, die das Erstehen der Vereinten Nationen nicht nur mit großem Interesse, sondern mit großer innerer Anteilnahme verfolgt haben. Wenn ich mir seinerzeit gelegentlich der Debatte im Herbst eine Warnung davor erlaubt habe, die deutsche Sicherheit im Rahmen des Weltsicherheitsrats der UNO zu suchen oder zu begründen, dann geschah das nicht aus irgendeinem Bedürfnis nach herabsetzender Kritik an der UNO, o nein, meine Damen und Herren; im Gegenteil, es geschah im Bedauern, daß die UNO-Konstruktion mitsamt dem Weltsicherheitsrat nicht imstande gewesen ist, diese Welt in einem globalen Sicherheitssystem zusammenzuhalten, obwohl alle Voraussetzungen dafür gegeben waren.
Nun, Kollege Ollenhauer, es sind inzwischen einige Dinge passiert, die ich mir in diesen Nachmittagsstunden überlegt habe. Aber ich muß doch zusammenfassend sagen, daß ich nicht einsehen kann, warum der Gedanke, den Sie jetzt wieder aufgegriffen haben, heute, im Frühjahr 1954, größere Chancen haben sollte als im Herbst 1953. Im Frühjahr 1954 hat sich die Situation in Asien in einer unerhörten Weise zugespitzt im Verhältnis zum Herbst 1953. Das Problem Korea ist immer noch nicht aus der Welt. Vor allem haben wir inzwischen etwas erlebt, worüber wir vielleicht zunächst verschieden gedacht und geurteilt haben, nämlich wir haben die Viererkonferenz und ihr Scheitern erlebt. Herr Kollege Ollenhauer, mindestens die Zuspitzung der Dinge in Asien und das Scheitern der Viererkonferenz sowie die enormen Schwierigkeiten, deren Zeuge wir als Zuschauer im Blick auf Genf sind, zusammengenommen, können uns doch nun nicht ermutigen, etwa einen Beschluß zu fassen derart, der Bundeskanzler möge seine Politik nicht etwa überprüfen, sondern umkehren und auf diese höchst labilen Tatbestände gründen.
Meine Damen und Herren, das kann man nicht tun. Es ist nicht einfach Banalität der parteipolitischen Auseinandersetzung, wenn wir sagen, wir können diese Auskunft von Herrn Ollenhauer für die große
Sozialdemokratische Partei Deutschlands mindestens noch nicht als letztes Wort ansehen. Vielleicht machen Sie uns im Herbst einen neuen verbesserten Vorschlag, der einige, wenigstens einige bescheidene, aber reale Ansatzpunkte hat. Der jetzige Vorschlag hat noch weniger reale Ansatzpunkte als der Vorschlag, den Sie im Herbst 1953 gemacht haben.
Aber noch eine andere Sache.
— Hören Sie her, ich bemühe mich sowieso schon, einigermaßen interessant für Sie zu sprechen. Sie dürfen auch nachher wieder reden. Aber ich wollte gerade einen Ihrer Freunde loben.
Da wir vor keinen sehr ernsthaften Wahlkämpfen stehen, können wir es uns doch erlauben, nun einmal ganz ruhig zu sprechen. Ich muß noch einmal sagen: Deutschland kommt allmählich in eine Situation, in der es der zusammengefaßten Kraft dieses Hauses bedarf. Jahrelang habe ich von etwas geschwiegen, was ich als Anfänger hier auf dieser Bühne im Herbst 1949 gesagt habe und was ich immer wieder gedacht habe in Erinnerung an gemeinsame Freunde. Ich habe geschwiegen von dem Versuch einer gemeinsamen Außenpolitik. Ich will auch jetzt nicht davon reden. Aber vielleicht könnte der ungeheure Ernst der weltpolitischen Situation uns veranlassen, unsere Position auf der einen wie auf der andern Seite einmal unter dem Gesichtspunkt zu überprüfen, ob sich sachliche Möglichkeiten klarer herausstellen lassen, die wir vielleicht gemeinsam auf die Schultern nehmen könnten.
In Sachen Montan-Union hat Herr Deist schon so etwas wie den Silberstreifen am Horizont in dieser Richtung heraufgeführt.
Ich glaube, daß wir uns jedenfalls im klaren sein
sollten, welche Politik Sie auch vertreten wollen,
daß es keine Politik sein darf, die den Kräften
in der Welt Vorschub leistet, deren letztes Ziel
offenbar doch nicht das Hereinnehmen der freiheitsbedürftigen und freiheitsentschiedenen Deutschen in die freie Welt ist, sondern deren letztes
Ziel doch das Ausbooten, die Auskreisung Deutsch-
lands aus der freien Welt zu sein scheint, sein Hinüberschleudern in das Niemandsland zwischen Ost und West.
Auch der Blick auf die Entwicklung der Atomwaffen, auf die damit zusammenhängenden Diskussionen über die periphere Strategie haben doch eine Veränderung des Bildes geschaffen, das seinerzeit bestand. Sie haben ein anderes weltpolitisches Bild hervorgerufen, als es damals bestand, als die SPD im Frühjahr 1950 ihren außenpolitischen Kurs festlegte. Ich meine, mindestens die Veränderung der Weltsituation sollte nun Anlaß geben, diese Revision zu vollziehen, die überfällig geworden ist.
Daß es sich im Kreml nicht um eine Bremse des Vormarsches gehandelt hat, als Josef Stalin starb, das wissen wir ja nun inzwischen auch. Die Kampfstätten Asiens sind Signale! Und wer von uns hat denn eine Garantie, daß wir mit unseren Kindern und Kindeskindern von ähnlichem verschont bleiben werden? — Es ist höchste Zeit!
Es ist bei weitem nicht an dem, und man komme uns doch nicht immer wieder damit, daß man uns andichtet, daß wir uns sozusagen in einer Hysterie der Termine oder des Nichtzeithabens befinden. Wer setzt dem deutschen Volk eigentlich diesen Floh ins Ohr, meine Damen und Herren? Glauben Sie, Prinz Löwenstein, wir würden gelobt, wenn etwa der Bundeskanzler die Hände in den Schoß sinken ließe und in dem stimmungsvollen Palais Schaumburg die Baumblüte und den strömenden Rhein ansehen würde?
Herr Prinz zu Löwenstein, die Weltgeschichte — das sollten Sie doch wissen! — ist kein botanischer Garten,
sondern hier muß gehandelt, hier muß entschieden werden.
Meine Damen und Herren, es gäbe noch mehr Stoff für eine längere Rede am Abend einer solchen Debatte; aber ich nehme an, daß der Herr Kollege Wehner auch noch sprechen will, und deshalb möchte ich zum Schluß kommen. Es besteht immer das Risiko, daß man am Schluß einer solchen Rede pathetisch wird. Ich möchte das nicht tun; ich möchte auch gar nicht feierlich werden.
— Ich möchte auch gar nicht feierlich werden, Herr Dr. Kreyssig, sondern ich möchte mich erst den Gepflogenheiten Ihrer Branche von Kohle und Stahl — da Sie offenbar noch über die Montan-Union sprechen wollen — anschließen. Aber ich möchte mir doch erlauben, folgendes zu sagen.
Meine Damen und Herren, daß Sie uns sozusagen ermuntern oder Rezepte geben könnten, die in ihrer praktischen Auswirkung darauf hinausliefen, daß wir dem Selbstmord Deutschlands im Rahmen eines ungebändigten europäischen Interessengegensatzes untätig zusehen oder ihm, wie Sie vielleicht meinen, mit großer Gelassenheit abwartend entgegensehen, — nein, meine Damen und Herren, davon kann keine Rede sein! Zu einer solchen Taktik und zu einer solchen Aktion hat uns das deutsche Volk am 6. September nicht ermutigt und auch nicht hierhergeschickt.
Wir werden — darauf können Sie sich verlassen
— alles tun, was überhaupt möglich ist, um denjenigen, die das freie Deutschland und das noch unter der Sklaverei lebende Deutschland aus der freien Welt auskreisen wollen, dieses Geschäft so schwer wie möglich zu machen. Darauf können Sie sich verlassen, daß wir dazu unsere Hände und unsere Köpfe brauchen werden.
Im übrigen brauchen wir jetzt — auch in der Saarfrage — nicht nur den Blick für große Aspekte, sondern was wir brauchen, ist die ganz einfache Zivilcourage. Was wir brauchen, ist der Mut zum vertretbaren Kompromiß.
— Ich weiß, meine Damen und Herren, sonst, bei den Angelsachsen, ist der Kompromiß eine Tugend. In Deutschland ist er kompromittierend. Nun, wer in der Situation, in der sich Deutschland befindet, mit dem unbewältigten Erbe eines zweiten Weltkrieges, nicht den Mut zum Kompromiß mit seinen Nachbarn hat, der kann mir leid tun!
Wir sind darauf gefaßt, jeder Verdächtigung die Stirne zu bieten, und man wird uns verdächtigen, man wird uns Feiglinge heißen, man wird uns „vaterlandslose Gesellen" beschimpfen.
— Na, sehen Sie, auf das ziehen Sie! Das ist bekannt! Die Parole kennen Sie! Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen nachfühlen, daß Sie sich nicht noch einmal nachsagen lassen wollen, vaterlandslose Gesellen zu sein.
Wo es sich aber um Deutschland, um die Freiheit seiner Menschen und um seine Zukunft in der Gemeinschaft der europäischen Völker handelt, da werden wir jedenfalls auch den Mut haben, uns solchen Vorwürfen und Verdächtigungen zu stellen und mit Mannesmut unseren Weg geradeaus zu gehen.
Das Wort hat der Abgeordnete Mommer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein konkreter Angriff des Kollegen Gerstenmaier zwingt mich zu einer kurzen Klarstellung. Er hat gesagt, daß es sozialistische Abgeordnete waren — und darunter Sozialdemokraten —, die den Anlaß zu dem Naters-
Bericht im Europarat gegeben haben. Sie haben richtig dargestellt, daß zuerst unser gemeinsamer Antrag auf Herstellung der demokratischen Freiheiten im Saargebiet vorlag. Dann wurde von van der Goes van Naters der Antrag eingebracht, die Frage der zukünftigen Stellung der Saar — „la position future de la Sarre", wie es ursprünglich hieß — auf die Tagesordnung der Versammlung zu setzen. Das hat Herr van Naters in einer gemeinsamen Sitzung der sozialistischen Gruppe getan. Als dort diese Anregung kam, über die zukünftige Stellung der Saar in der Versammlung zu diskutieren — und keineswegs ein Statut vorzulegen —, da haben einige unserer Kollegen, nicht ich und nicht mein Kollege Lütkens, sondern einige andere, gemeint — jawohl, hier steht es genau so, wie ich gesagt habe; ich kenne das Do-
kurrent sehr gut —, daß wir natürlich nichts gegen eine Diskussion des Saarproblems in allen seinen Aspekten in der Versammlung haben könnten. So hat es auch die Versammlung aufgefaßt; denn es hat sich, als Sie nicht in der Allgemeinen Kornmission waren, folgendes abgespielt. Herr van Naters hat mehr und mehr seinen Auftrag ausgedehnt; aus der „position" ist das „statut", das künftige Statut der Saar geworden.
Ich habe ihm sofort einen Protestbrief geschrieben und habe gesagt, der Auftrag laute ganz anders; es lägen zwei Entschließungen über die Frage der demokratischen Freiheiten an der Saar und eine über die „position future de la Sarre" vor. Daraus ergebe sich, daß, wenn er einen Bericht mache, er schon im Titel ganz anders aussehen müsse, nämlich „das Saarproblem", mit einem ganz neutralen Titel. Die Abschriften meiner Briefe habe ich oben; ich kann sie Ihnen zeigen.
Als dann Herr Naters im Ausschuß seine ersten Vorschlage unterbreitete und anfing, auf ein Statut loszusteuern, da habe ich protestiert und habe mich sogar in diesem Ausschuß durchsetzen können. Das ist zu Protokoll genommen worden. Es steht da zu lesen, daß Herr Naters eine Untersuchung über die demokratischen Zustände an der Saar und über die allgemeinen Ideen, die bei den verschiedenen interessierten Stellen über das Saarproblem vorhanden seien, zu machen habe. Diese Ideen, einschließlich von Lösungsvorschlägen, die hier und dort in der Vergangenheit gemacht worden seien, sollte er in seinem Bericht vorlegen und — wie es wörtlich heißt, ich besinne mich sehr gut auf diesen Beschluß — „mit einer kritischen Analyse unter seiner eigenen Verantwortung versehen". Er hatte nicht den Auftrag, ein Statut auszuarbeiten, und er hat es getan in Überschreitung seines Auftrages.
Allerdings, indem er seinen Auftrag überschritt, kam er den inneren Absichten einer Mehrheit in diesem Ausschuß entgegen, und deshalb war es auch nicht möglich, ihn von diesem Wege abzubringen.
Es kommt aber noch etwas hinzu. Als Herr van Naters zum Berichterstatter für den Ausschuß und die Versammlung benannt werden sollte, da habe ich in dieser internationalen Atmosphäre der Höflichkeit etwas sehr Ungewöhnliches getan: Ich habe den Finger gehoben und gesagt: Es ist unmöglich, daß Herr van Naters Berichterstatter wird, denn er ist mir als einer bekannt, der fertige Meinungen über das Saarproblem hat; er hat im Saarproblem einen kämpferischen Standpunkt, so wie Herr Mommer einen hat. Und so wie ich, Mommer, kein guter Berichterstatter für diese Versammlung sein könnte, so kann es Herr van Naters nicht sein. Ich habe erklärt: Berichterstatter kann hier nur jemand sein, der in dieser Hinsicht nicht voreingenommen ist. Ich habe unsere Ihnen so bekannten Kollegen Jakobsen, Robens oder andere, die in dieser Beziehung unbeschriebene Blätter sind, vorgeschlagen. Gegen meine Stimme und bei Stimmenthaltung von mehrerer anderen Kollegen — Skandinaviern, Engländern — ist Herr van Naters Berichterstatter geworden.
Da das alles hier zur Sprache kommt, muß ich zu meinem großen Bedauern sagen: Es ist in der
politischen Kommission und in der Beratenden Versammlung des Europarates viel Politik gemacht worden. Es ist ja die Schwierigkeit unserer politischen Situation auf diesem Parkett überhaupt, daß dort Männer und Frauen von Ländern sind, die vom nationalsozialistischen Deutschland angegriffen und besetzt wurden. Das haben Sie hier mit Recht ausgeführt. Ich komme aber gleich darauf zurück, was dazu des weiteren zu sagen ist.
Nun, Herr Gerstenmaier, es kommt nicht darauf an, auf Grund welchen Textes so etwas in Bewegung geraten ist. Die Frage ist, wie wir uns zu dem verhalten, was dann daraus geworden ist. Da wissen Sie doch eines, Herr Gerstenmaier. In bezug auf dieses Problem geschieht in Straßburg nichts gegen die geschlossen e Front der deutschen Mitglieder.
Die andern wissen sehr wohl, daß alles, was sie gegen unsere drei Stimmen im Ausschuß und gegen unsere 18 Stimmen in der Versammlung machen, vergebliche Mühe ist; dabei kann niemals etwas herauskommen.
Herr Gerstenmaier, da liegt der Anfang dieses Naters-Projekts: daß von Anfang an der Widerstand auf der deutschen Seite gering war. Der Widerstand wurde nicht in der Versammlung bei den Abgeordneten gebrochen, sondern — ich bedauere das sagen zu müssen — im Ministerausschuß; denn da wurde der Europäisierungsvorschlag zuerst vom Außenminister Schuman gemacht. Und der Herr Bundeskanzler hat sich diesem Vorschlag nicht widersetzt.
Er hat kritische Fragen gestellt. Er ist später darauf eingegangen und hat nur gesagt, es müsse dabei eine echte Europäisierung herauskommen. Und da, Herr Gerstenmaier, liegt der Hund begraben! Da lag der Anfang zu einem Projekt, das uns jetzt mit der Autorität der Zustimmung von Neutralen vorgesetzt wird. Das muß hier auch einmal gesagt werden.
Das Malheur hat noch viel früher angefangen. Wir kennen das Protokoll der Ausschußsitzung des Ministerrats, in der über die Aufnahme der Bundesrepublik und die gleichzeitige Aufnahme des Saargebiets in den Europarat gesprochen wurde. Wir wissen aus diesem Protokoll, daß z. B. die nordischen Minister nicht geneigt waren, dieses deutsche Teilgebiet Saar in den Europarat aufzunehmen, weil sie fürchteten, daß dann die immerhin wichtigere Bundesrepublik nicht kommen werde. Aber dann, Herr Bundeskanzler — das steht in dem Protokoll —, zog Herr Schuman eine Zeitung, eine Schweizer Zeitung, aus der Tasche und las vor, daß der Herr Bundeskanzler erklärt habe, er werde auch kommen, wenn gleichzeitig die Saar eingeladen werde.
Da hatten die anderen natürlich keinen Grund, deutscher zu sein als der deutsche Außenminister. So ist das Stück Siegerpolitik Saar in den Europarat hineingekommen.
Es ist ein untauglicher und, ich glaube, auch ein nicht ganz fairer Versuch, Herr Gerstenmaier, eine
Mitverantwortung der Sozialdemokraten daraus zu etablieren, daß da einige Unterschriften unter einem Antrag zum Studium eines Problems stehen, der auf jeden Fall gekommen wäre. .
Sie sagten, wir wollten das, was da an der Saar ist, doch praktisch nur zementieren.
— Nein, wir wollen das nicht zementieren. Wir sind auch hartnäckig in der Frage der Oder-Neiße-Linie. Wir sind hartnäckig in unserem Widerstand gegen das Regime von Pankow, und diese Hartnäckigkeit machen wir nicht davon abhängig, ob dadurch im Augenblick irgend etwas an den Zuständen dort geändert werden kann. An der Saar sieht es noch ganz anders aus. Herr Gerstenmaier, sprechen Sie mit unseren Freunden an der Saar, und sie werden Ihnen alle sagen, daß nichts sie in den vergangenen Jahren so sehr gehindert und geschwächt hat wie die Saarpolitik der Bundesregierung. Herr Hoffmann, der Chef des Separatismus, hat sich allzu häufig darauf berufen können, daß der Herr Bundeskanzler doch offensichtlich ungefähr dieselbe Politik machen wolle wie er, der Herr Hoffmann. Das hat unsere demokratische Position bei der deutschen Bevölkerung an der Saar kolossal geschwächt, und durch die Schwächung dieser Position ist es auch möglich geworden, uns so etwas zuzumuten wie das, was heute in dem Saarplan steht. Aber das bleibt ein Stück Papier, wenn wir uns entschließen, es nicht anzunehmen.
Ich kann nur hoffen, Herr Kollege Gerstenmaier, daß Sie sich auch diese Addition noch einmal überlegen. Sie haben zu dem Plan, der im Februar zur Abstimmung stand, sich der Stimme enthalten. Sie haben zu dem zweiten Teil, zu der Entschließung über die politischen Parteien, zusammen mit mir - und ich bin wirklich auch dankbar für unsere gute Zusammenarbeit auf diesem Gebiet - nein gesagt. Aber eine Enthaltung plus ein Nein hat dann in der Schlußabstimmung ein Ja minus Vorbehalte ergeben.
Die Vorbehalte haben es in sich.
Es ist auch noch eine Frage, ob das die richtige Taktik ist; denn Ihr Ja minus Vorbehalte setzt Sie jetzt den Zweifeln aus, sowohl in Deutschland als auch in Frankreich. Was Sie jetzt nämlich wirklich wollen, nun, das ist niemandem restlos klar. Sie müssen es sich gefallen lassen, daß Ihnen in Deutschland gesagt wird, Sie sind für den Verzicht auf die Saar, und Sie werden es sich gefallen lassen müssen, daß man von Ihnen in Frankreich sagt: Er macht zwar noch allerlei Vorbehalte, und er denkt dann später doch auf das ganze Problem zurückzukommen und es in einem Sinn zu lösen, wie wir, die Franzosen, es nicht möchten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Gerstenmaier zu einer kurzen Bemerkung.
Meine Damen und Herren! Der Zweck meiner Wortmeldung ist nicht, die Debatte fortzuführen, sondern, dem Kollegen Mommer eine Ehrenerklärung abzugeben. Der Kollege Mommer hat recht, jedenfalls soweit es sich um die strittige These gehandelt hat, wer eigentlich daran schuld ist, daß im Europarat eine Diskussion über das zukünftige Statut der Saar entstand. Ich bin nicht in jeder Sitzung gewesen. Ich zweifle keinen Augenblick daran, daß das, was der Herr Kollege Mommer hier dem Hause darüber mitgeteilt hat, voll und ganz der Wahrheit entspricht.
Der Sinn meiner Anführung ist auch nicht der, das irgendwie in Frage zu stellen oder sogar die Sozialdemokratie daraufhin anzugreifen. Das fällt mir gar nicht ein! Der Sinn ist vielmehr, eine Klarstellung zu einem Debattepunkt des heutigen Tages zu treffen, die durch eine Bemerkung des Herrn Bundeskanzlers in seiner Erklärung und durch eine Gegenerklärung des Herrn Kollegen Ollenhauer notwendig geworden ist. Nun, der Herr Kollege Mommer hat das hier dargelegt. Nehmen wir das zur Kenntnis! Ich beschränke mich auf diesen Punkt, Herr Kollege Mommer. Im übrigen hätte ich es lieber gesehen, wenn Sie die Namen Hoffmann und Adenauer nicht in einem Atemzug genannt hätten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Trittelvitz.
Meine Damen und Herren! Ich möchte nicht in einen edlen Wettstreit mit meinem Freund Walz von der Saar treten, nun hier ebenfalls unbedingt und allein der Sprecher für die Sorgen der saarländischen Bevölkerung zu sein oder Ihnen die Sorgen, Nöte und Ängste dieser Menschen allein vorzutragen, die sich beunruhigt fühlen durch die Ereignisse, die zu dieser Debatte geführt haben und zu der Anfrage der SPD, die mein Freund Dr. Mommer heute begründete. Es ist die Sorge der saarländischen Bevölkerung, meiner deutschen Landsleute, über die Absicht, den Europäisierungsbestrebungen nach jenem heute so oft genannten Plan in irgendeiner Form, auch in der Form eines Kompromisses, zuzustimmen. Denn wir unten an der Saar wissen, was sich zumindest die Saarbehörden unter dem Naters-Plan vorstellen und wie sie gedenken, mit den Mitteln, die sie seit neun Jahren praktiziert 'haben, die Europäisierung an der Saar entsprechend dem Naters-Plan durchzuführen. Darum ist unsere Sorge so groß, und darum müssen vielleicht wir beide versuchen, in diesem Hause das auszusprechen, was bei uns daheim niemand sagen kann.
In jenem Plan des Holländers van Naters ist doch nur die völkerrechtliche Verankerung des gegenwärtigen Zustandes vorgesehen. Er enthält dazu noch Bestimmungen über das Verfahren einer Volksabstimmung an der Saar, einer Volksabstimmung, der, wie wir es lesen konnten, der Herr Bundeskanzler zugestimmt hat. Ja, der Herr Bundeskanzler hat die Volksabstimmung der saarländischen Bevölkerung geradezu verlangt, damit dieses Europäisierungsstatut in Kraft tritt. In jenem Plan wird einem deutschen Volksteil, nämlich den Menschen an der Saar, zugemutet, der Separation durch ein „Ja" zuzustimmen, durch ein Plebiszit, dem die echte Alternative fehlt, in dem es nur darum gehen kann, entweder durch ein Ja zur Preisgabe dieses Gebietes an eine europäische Institution, die politisch für uns dasselbe bedeutet wie das Regime von heute, von Deutschland Abschied zu nehmen oder aber zu einem solchen Statut nein zu sagen und sich damit für den Status
quo zu entscheiden, den wir heute zur Genüge kennen und den Herr Kollege Dr. Gerstenmaier heute so trefflich charakterisiert hat, wofür ich ihm dankbar bin. Er meinte, vielleicht habe Radio Saarbrükken abgeschaltet. Er kann ohne Sorge sein, Radio Saarbrücken vermittelt der Saarbevölkerung keine Saardebatten des Deutschen Bundestages.
Mit dem „Nein" in jenem Plebiszit zur Europäisierung, die Bundestag und Bundesregierung von uns fordern sollen, würden wir uns dann aber auch gegen die Bundesrepublik richten, die doch nach dem Grundgesetz verpflichtet ist, auch für jene Deutsche zu handeln, denen am Wiederaufbau Deutschlands mitzuwirken versagt ist. Und das sind doch die Deutschen an der Saar.
Weil die demokratischen Freiheiten an der Saar nicht gegeben sind, ist jener Auftrag an den Delegierten van Naters erfolgt. Herr van Naters hatte die Mangelhaftigkeit des demokratischen Prinzips in einem Lande, das die Konvention über die Menschenrechte ratifiziert hat, feststellen sollen. Das Ergebnis war aber nicht die Feststellung der Unfreiheit, sondern der Vorschlag der vertraglichen Fixierung d e s Status, den wir heute haben mit den kleinen Resten an bürgerlich demokratischen Rechten, die dem Bürger an der Saar gegeben sind, dazu etwas Freiheit in schwacher Dosierung und auf Zeit. In diesem Plan ist das demokratische Grundrecht in Vollendung gelenkt.
Nur scheinbar sind doch die Möglichkeiten gleich, mit denen die beiden Kräfte in einem solchen Land unter dem Schutz dieses Statuts gegeneinander wirken könnten. Nur scheinbar hätten diese Kräfte einen gleichen Start, um sich gegeneinander zu wenden und einen Einfluß auf den saarländischen Wähler auszuüben. Die Abschirmung nach Osten und Westen ist in jenem Plan vorgesehen, d. h. die Verhinderung des politischen Einflusses Deutschlands auf ein Gebiet, das rechtlich unwidersprochen zu diesem Deutschland gehört. Die politische Einwirkung auf dieses Land von Westen soll natürlich auch verhindert werden. Aber jeder von uns weiß, wie stark die Positionen gerade Frankreichs, wie stark die Positionen der Besatzungmacht in diesem Gebiete schon sind und wie sie sich in neun Jahren haben erproben können, so daß heute keine Lücke für eine politische Betätigung im Sinne der Zugehörigkeit und des Verbleibens deutscher Menschen bei Deutschland bleibt, für die Entwicklung der politischen Kräfte, die sich gegen die Politik der Separation an der Saar wehren könnten. Es ist das Land mit dem „liberalsten Polizeistaat", wie es ein englischer Journalist nannte. Die Gesetze dieses Gebietes sind vielleicht in Seidenpapier eingewickelt; sie sind aber lückenlos, und sie wirken gegen jeden, der es wagen 'sollte, sich zu dem zu bekennen, was wir als das Recht der deutschen Entscheidung an der Saar bezeichnen könnten. Die Beherrschung des Apparates ist eine lückenlose. Die eingeschränkten Grundrechte kennen wir, aber wir kennen auch die völlige Beherrschung der Industrie, das Informations- und das Propagandamonopol, das für den Fall der Inkraftsetzung eines derartigen Statuts und für den Fall der Vorbereitung einer sogenannten Volksabstimmung — der ja eine echte Alternative fehlt — eine Startmöglichkeit den deutschen politischen Kräften nicht geben würde. Diesen Kräften würde im Falle der Schaffung von politischen Freiheiten in Etappen und auf Zeit und auf Frist, zumal sie doch mit ungenügenden Mitteln arbeiten müßten, ein vollendeter Apparat der öffentlichen Meinungsbildung an der Saar gegenüberstehen. Aber wem sollen sie sich denn entgegensetzen? Was sollen sie denn angesichts der Situation diesem Monopol entgegensetzen? Und wogegen oder wofür sollen sie als eine deutsche Opposition kämpfen, selbst wenn die vollendetsten Freiheiten angeboten würden? Sie stehen einem von der Bundesregierung doch in irgendeiner Form vorab zu billigenden Europastatut gegenüber, in dem das Plebiszit eine Alternative nicht kennt. Das, was sich die Saarbevölkerung von diesem Bundestag und von dieser Bundesregierung gewünscht hat, ist die unablässige Bemühung um die Öffnung der Tore zu politischen Freiheiten an der Saar, um das Öffnen der Tore zu freien Wahlen, uneingeschränkt durch Statute und dergleichen. Diese freien Wahlen und dieses freie Recht sollten den Menschen an der Saar gestatten, sich frei und ohne Furcht gegen Bedrohungen zu wenden, die die Zerstückelung Deutschlands auch im Westen zum Ziele haben. So ist das Grundgesetz zu verstehen, und so wollen wir Deutschen an der Saar das Grundgesetz verstehen, wonach das gesamte deutsche Volk einschließlich der Saar aufgefordert ist, frei die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden. Hierin und nicht in der Zerreißung Deutschlands im Westen sehen die Deutschen an der Saar die Aufgabe der Bundesregierung und des Deutschen Bundestags.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Pohle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe für meine Freunde zu den beiden Drucksachen 455 und 459 einige Bemerkungen zu machen.
Was zunächst die Drucksache 459 anlangt, den Antrag der Fraktion der SPD, zur Vorbereitung der sogenannten großen Revision nach Art. 96 des Montan-Union-Vertrages einen Ausschuß einzusetzen, so halten wir diesen Antrag für erwägenswert. Wir glauben, daß eine Reihe von Gründen für die Bildung eines solchen Ausschusses spricht. Aber manche Gründe sprechen auch dagegen. Es muß berücksichtigt werden, daß die Revision erst nach dem 1. Februar 1958 möglich ist. Wir müssen deshalb die Frage aufwerfen, ob es angebracht ist, schon heute einen derartigen Ausschuß ins Leben zu rufen, oder ob es nicht zweckmäßig ist, daß der Wirtschaftspolitische Ausschuß diese Aufgabe mit übernimmt. Wir beantragen deshalb, diesen Antrag zur Prüfung an den Wirtschaftspolitischen Ausschuß zu überweisen.
Aus den in der Großen Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion zum Montan-Union-Vertrag — Drucksache 455 — gestellten Einzelfragen, insbesondere aus den Fragen c) und d) — die Fragen bilden eine Einheit —, geht hervor, daß gewisse Zweifel an der Funktionsfähigkeit des gemeinsamen Marktes geäußert werden. Es wird auch davon gesprochen, daß bereits Nachteile und Schäden für die Wirtschaft der Bundesrepublik eingetreten seien. Weiter werden gegen den Schumanplan als ganzen gewisse Bedenken erhoben.
Diese Art der Fragestellung erfordert eine grundsätzliche Bemerkung. Der Herr Bundeskanzler hat schon heute morgen in seiner Regierungs-
erklärung zum Ausdruck gebracht, welche wirtschaftliche und politische Aspekte der Montan-
Union-Vertrag für uns hat. Es kann kein Zweifel bestehen, daß, wer die europäische Gemeinschaft ernstlich will, auch die Montan-Union bejahen muß und daß umgekehrt, wer die Montan-Union als Institution verneint, auch die Idee der europäischen Integration leugnet. Um so mehr begrüße ich es, daß Herr Kollege Deist heute morgen betont hat, daß er aus seiner Sorge um diese Institution gesprochen hat. Er hat damit das gleiche Positivum wiederholt, das auch in Straßburg Gegenstand der einstimmigen Resolution aller Parteien im Investitionsausschuß und in der Gemeinsamen Versammlung war. Meine Freunde und ich halten es für angebracht und notwendig, an dieser Stelle erneut und mit allem Nachdruck zu betonen, daß wir uns rückhaltlos zur Idee und zur Realisierung der Montan-Union bekennen. Wir halten dieses Vertragswerk für einen bedeutungsvollen Schritt auf dem Wege zur Verwirklichung der europäischen Gemeinschaft und wiederholen die in diesem Hause schon mehrfach abgegebene Erklärung, daß wir den Vertrag als außerordentlich wichtige politische Etappe betrachten.
Dieses Bekenntnis hindert uns nicht, mit der Bundesregierung festzustellen, daß sich naturgemäß Anlauf- und Anfangsschwierigkeiten ergeben. Einmal deshalb, weil es sich bei einer supranationalen Behörde um ein rechtliches, zumindest um ein wirtschaftliches Novum handelt. Zum andern, weil die Wirtschaftssysteme und Wirtschaftsstrukturen der einzelnen Mitgliedstaaten völlig verschieden sind — daher auch die Übergangsbestimmungen der Art. 95 und 96 —, und zum dritten, weil die Montan-Union, wie der Herr Bundeskanzler zum Ausdruck gebracht hat, nur eine Teilintegration ist und sich zwischen den integrierten und nicht integrierten Teilen der Nationalwirtschaften Reibungen ergeben müssen. Die Überwindung und Beseitigung dieser Störungsfaktoren ist unser aller Anliegen, sowohl das der Bundesregierung wie von uns, die wir die Ehre haben, den Bundestag in der Gemeinsamen Versammlung der Montan-Union zu vertreten. Selbst wenn wir dort nicht mit den gleichen parlamentarischen Rechten ausgestattet sind, wie wir sie in diesem Hohen Hause genießen — das liegt am Vertragswerk —, so haben wir doch weitgehende Zusammenwirkungsmöglichkeiten mit der Hohen Behörde.
Es ist selbstverständlich, meine Damen und Herren — und ich stehe nicht an, das ganz offen auszusprechen —, daß nicht alle Maßnahmen der Hohen Behörde unseren ungeteilten Beifall gefunden haben und finden können, und wir haben auch mit unserer Kritik bisweilen nicht zurückgehalten. So und nicht anders, als ein Beitrag zu einer aufbauenden und positiv-kritischen Stellungnahme zu den Maßnahmen der Hohen Behörde, sind — ich habe Anlaß, das besonders zu betonen — auch die Äußerungen der Herren Momsen, Berg und Abs aufzufassen, von denen heute morgen hier die Rede war.
Manche Maßnahmen der Hohen Behörde zeigen das Bestreben, die noch nicht erprobten Bestimmungen des Vertrages mit der Praxis in Einklang zu bringen. Eins aber ist sicher anzuerkennen: die Hohe Behörde hat immer das Bestreben gezeigt, vor allen ihren Entscheidungen und Empfehlungen die zuständigen Instanzen, sei es den Ministerrat, sei es den Beratenden Ausschuß, sei es auch im Rahmen seiner Befugnisse das Montan-Parlament,
zu befragen und zu einem Ausgleich der Meinungen zu gelangen.
Deutschland und die betroffenen Grundindustrien haben durch ihren Beitritt zur Montan-Union eine politische Entscheidung getroffen. Sie haben sie getroffen in voller Erkenntnis der Tatsache, daß sie willens und bereit sind, im Rahmen der europäischen — auch wirtschaftlichen — Integration gewisse Opfer zu bringen, um des großen Ziels der europäischen Gemeinschaft willen. In vollem Bewußtsein dessen hat Deutschland damals die sogenannten Startnachteile in Kauf genommen. Die deutschen Werke waren damals besonders benachteiligt, weil, wie der Herr Bundeskanzler ausgeführt hat, einige Faktoren zusammentrafen, die erhebliche Investitionsrückstände, eine erheblich schlechtere technische Ausrüstung und demgemäß eine schlechtere Wettbewerbslage zur Folge hatten. Der Vollständigkeit halber darf ich nur hinzufügen, daß auch die Unterschiedlichkeit der Steuersysteme, die den Export der deutschen eisenschaffenden Industrie in die Montan-Union-Länder gegenüber anderen Mitgliedstaaten benachteiligt, zu diesen Startnachteilen gehört. Wir hoffen, daß die Bundesregierung nichts unterlassen wird, um diese Differenzierung der steuerlichen Belastungen auf die Dauer zu beseitigen. Vom Kollegen Deist ist ferner auf Art. 66 verwiesen worden. Wir hoffen, daß es gelingt — ich weiß, daß die Bundesregierung nach dieser Richtung eifrig tätig gewesen ist —, eine Zementierung des Startnachteils, der hiermit im Zusammenhang steht, zu beseitigen.
Mit Recht hat der Herr Bundeskanzler heute morgen hervorgehoben, daß bei der Verkündung des Schumanplans diesen Startnachteilen auch erhebliche Vorteile gegenüberstanden, die durch das Inkrafttreten des Plans ausgelöst wurden. Er hat auf die schnellebige Zeit verwiesen. Ich kann von mir aus hinzufügen: wer damals die Eingriffe der Alliierten in den Betrieben erlebt hat und wer heute feststellt, wie unsere Vertreter im Montan-Parlament und in allen anderen Instanzen als gleichberechtigte Partner tätigen Anteil am Geschick der Montan-Industrie nicht nur von Deutschland, sondern von ganz Europa nehmen, für den ist dieser Unterschied eklatant.
Von dieser Gesamtkonzeption aus nehme ich nun noch zu einigen Punkten, die in der Anfrage behandelt sind, Stellung. Ich glaube nicht, daß man sagen kann, daß durch die bisherige Praktizierung des Gemeinsamen Marktes eine erhebliche Benachteiligung der deutschen Montanwirtschaft eingetreten ist. Die Steinkohlenförderung betrug im Jahre 1953 im Monatsdurchschnitt 10,3 Millionen t — 1953 trat der Gemeinsame Markt in Kraft — gegenüber 10,2 Millionen t in 1952. In den Monaten Januar/Februar 1954 zeigte sich keine Verringerung. Im Februar 1954 war die Förderung um rund 5 % höher als im Februar 1953. Die Einfuhr an Steinkohlen im Jahre 1953 bis 1954 zeigte ein gleichbleibendes Niveau von rund 800 000 Monatstonnen. Aber im Jahre 1953 waren die Einfuhren gegenüber 1952 um etwa 2,3 Millionen t zurückgegangen trotz eines nicht unbeträchtlichen Ansteigens der Einfuhr von Saar- und Lothringen-Kohle nach Süddeutschland.
Sie sehen also, daß der Gemeinsame Markt in Fluß gekommen ist. Eine Verschiebung bestand nur darin, daß der prozentuale Anteil der Lieferungen aus Ländern des Gemeinsamen Marktes zunahm, die Einfuhren aus dritten Ländern da-
gegen zurückgingen. Dies ist aber kein Nachteil des Gemeinsamen Marktes, sondern entspricht geradezu seiner Idee.
Die Ausfuhr von Steinkohle blieb mit unwesentlichen Schwankungen im Laufe des Jahres 1953 auf rund 2 Millionen Monatstonnen stehen, war aber gegenüber 1952 um rund 1,5 Millionen Tonnen gestiegen. Auch dies entspricht dem Gedanken des Gemeinsamen Marktes.
Nun hat Herr Kollege Deist auf das Ansteigen der Haldenbestände verwiesen. Meine Damen und Herren, es läßt sich nicht leugnen — und ich glaube, daß die von Herrn Deist genannten Zahlen richtig sind —, daß die Haldenbestände an Kohle und Koks gestiegen sind. Da jedoch weder nach der Einfuhr- noch nach der Ausfuhrseite Änderungen feststellbar sind, kann meines Erachtens das Steigen der Haldenbestände nicht auf das Inkrafttreten des Gemeinsamen Marktes zurückzuführen sein. Es hat vielmehr andere Ursachen. Sie liegen in der konjunkturellen Abschwächung, die die Eisenindustrie zu verzeichnen hatte. Herr Deist hat außerdem darauf verwiesen, daß die Konkurrenz durch andere Energiequellen sich verstärkt hat, eine Konkurrenz, die nicht auf den Gemeinsamen Markt zurückzuführen ist. Die Haldenbestände werden vermutlich in dem Umfange abgebaut werden können, in dem sich eine Wiederbelebung der Eisenindustrie bemerkbar macht.
Nun noch ein kurzes Wort zu den preispolitischen Maßnahmen der Hohen Behörde im Kohlensektor. Es ist dort der Höchstpreis der Kohle um 2 DM pro Tonne herabgesetzt worden. Das bedeutet für den Kohlenbergbau eine Erlöseinbuße, die seine Selbstkostenlage beeinträchtigt. Demgegenüber steht die Aufhebung der Sondervergünstigungen, durch die eine erhebliche Entlastung eintritt. Zieht man hiervon die vom Bergbau zur Verbilligung der Hausbrandbezüge minderbemittelter Kreise zur Verfügung gestellten jährlich 25 Millionen DM ab, so verbleibt eine Entlastung von jährlich 45 Millionen DM. Das ist auf der Erlösseite nicht sehr erheblich für die Selbstkostenlage. Wir werden diesem Problem weiter ernste Aufmerksamkeit widmen müssen. Immerhin ist insgesamt eine Entlastung eingetreten.
Nun einige kurze Bemerkungen zum Eisen. Auch die Eisenwirtschaft kann nur im Gesamtrahmen gesehen werden. Ob die bisherigen Entscheidungen der Hohen Behörde über die Eisenpreisregelung, die anfänglich starre Handhabung des Preislistensystems und seine spätere Abwandlung durch Zuerkennung einer Abweichungsmarge von 2 1/2 % richtig sind, muß der Beobachtung in einem längeren Zeitraum überlassen bleiben. Es mag dabei auch mitspielen, daß der neuartige Begriff der Diskriminierung von der Hohen Behörde erstmals gehandhabt werden mußte. Was die behaupteten nachteiligen Auswirkungen des Gemeinsamen Marktes auf Eisen und Stahl anlangt, so glaube ich, daß die Zahlen, die Herr Dr. Deist heute morgen hinsichtlich der Stahlproduktion genannt hat, nicht völlig zutreffend sind. Wenn man das Jahr 1953 mit dem Jahr 1952 in Bezug setzt, so ergibt sich, daß die Stahlerzeugung innerhalb der Montan-Union zwar um 5% zurückgegangen ist. In Deutschland beträgt dieser Rückgang aber nur 2,5 %; in Frankreich 7 %, an der Saar 3,5 %. Setzt man diese Zahlen vollends in Vergleich zum Jahre 1950 — einem Jahr, in dem allerdings vom Gemeinsamen
Markt noch keine Rede sein konnte —, so ergibt sich ein für Deutschland noch sehr viel günstigeres Bild.
Im übrigen wird immer gesagt, daß auf Grund des Gemeinsamen Marktes die Einfuhren gestiegen seien und zu dem Rückgang der Stahlproduktion in Deutschland — die sich bekanntlich um 3 bis 4 % vermindert hat — wesentlich beigetragen hätten. Auch dies glaube ich nicht. Die Erhöhung der Einfuhren war nicht eine Folge des Gemeinsamen Marktes. Der Rückgang der Stahlproduktion war eine Folge der abgeschwächten Weltkonjunktur, war eine Folge des Übergangs vom Verkäuferzum Käufermarkt, war eine Folge der notwendigen Liberalisierung des deutschen Außenhandels und der damit im Zusammenhang stehenden Zollstundungen auch dritten Ländern gegenüber. Diese Maßnahmen dienten zugleich der notwendigen Entlastung der deutschen Zahlungsbilanz. Das sind alles Dinge, die uns aus anderen Unterhaltungen geläufig sind. Jedenfalls kann man den Rückgang der deutschen Stahlproduktion nicht dem Gemeinsamen Markt zur Last legen.
Meine Damen und Herren, Herr Deist ist auf den Erzbergbau nur am Rande eingegangen. Ich glaube, daß auch ich mir Ausführungen darüber ersparen kann, nachdem in der Haushaltsdebatte hierüber gesprochen worden ist.
Noch ein Wort zu den Investitionen. Es ist nicht zu bestreiten — und ich habe das eingangs schon gesagt —, daß die deutsche Eisenindustrie und auch der Kohlenbergbau mit einem erheblichen Investitionsrückstand in die Montan-Union hineingegangen sind. Auch das hat der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung bereits betont. Auf der andern Seite ist sicherlich richtig, daß inzwischen große Summen in Kohle und Eisen investiert worden sind, teilweise mit Hilfe öffentlicher Mittel, teilweise auf Grund der Eigenfinanzierung der Werke. Es ist ebenso richtig, daß diese Investitionsmittel noch nicht ausreichen, um die Betriebe auf den neuesten technischen Stand zu heben. Mit der Bundesregierung hoffen wir daher, daß die Hohe Behörde an der ersten Tranche von 100 Millionen Dollar, die ihr für die europäische Montanwirtschaft von amerikanischer Seite zur Verfügung gestellt werden, auch die deutsche Montanindustrie unter Anwendung der vom Bundeswirtschaftsminister vorzuschlagenden Finanzmethoden beteiligen wird. Wir dürfen mit besonderer Befriedigung feststellen, daß sich die Bundesregierung der Notwendigkeit nicht verschließt, auch weiterhin alles Erdenkliche zu tun, um den Investitionsbedürfnissen der Grundindustrien Rechnung zu tragen. Es bedarf in erster Linie der Rationalisierung und Modernisierung der Betriebe. Die Betriebe werden ohne besondere Investitionsplanung der Hohen Behörde in der Lage sein, etwaige Fehlinvestitionen, von denen Dr. Deist gesprochen hat und die zweifellos mit der Entflechtung zusammenhängen, auszugleichen, wenn auf der andern Seite die Nationalwirtschaften dafür sorgen, daß überall wieder gesunde Kapitalmarktverhältnisse entstehen.
Meine Damen und Herren, wir sind uns völlig im klaren darüber, daß die europäische Gemeinschaft allein mit Kohle und Eisen und aus Kohle und Eisen nicht gebaut werden kann. Die Montan-Union war ein kühner Schritt, aber sie war, wie der Herr Bundeskanzler heute morgen ausgeführt hat, nur ein erster Schritt, dem weitere zu
folgen haben. Wir sind des Glaubens, daß dies der Fall sein wird und daß infolgedessen die Montan-Union ein wesentlicher und sehr wertvoller Schrittmacher der europäischen Gemeinschaft ist. Wir wollen zu unserem Teil im Sinne der Präambel dieses Vertrages dazu beitragen, durch konkrete Tatsachen eine wirkliche Solidarität zu schaffen und Europa durch Errichtung gemeinsamer Grundlagen für die wirtschaftliche Entwicklung mit aufzubauen.
Ein Schlußwort im Interesse der Stärkung des europäischen Gedankens und eine Hoffnung. Wir haben Verständnis dafür, daß Großbritannien angesichts seiner besonderen Lage Bedenken gegen einen Beitritt zur Montan-Union hegt. Wir haben aber die zuversichtliche Hoffnung, daß das gerade auf montanwirtschaftlichem Gebiet so leistungsfähige Land in absehbarer Zeit durch Sonderabreden in ein näheres Verhältnis zu der kontinentalen Montanwirtschaft gerückt werden kann. Wir haben diese Hoffnung um so mehr, als sich die britische Regierung in ihrer Erklärung zum EVG-Vertrag zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit bekannt hat und sich mit dem Kontinent, wie der Herr Bundeskanzler es ausdrückte, solidarisch erklärte.
Wir begrüßen deshalb auch die Botschaft, die die Westminster-Konferenz am 1. Februar 1954 an die Ministerpräsidenten der Montan-Union-Länder, an den Ministerpräsidenten des Vereinigten Königreichs und an den Präsidenten der Hohen Behörde gerichtet hat, und wünschen mit dieser Botschaft, daß im Interesse aller Beteiligten eine möglichst enge Zusammenarbeit des Vereinigten Königreichs mit der kontinentalen Montanwirtschaft stattfindet.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kreyssig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es scheint mir von einigermaßen symbolischem Charakter zu sein, daß wir heute abend zur Aussprache über unsere Große Anfrage über die Montan-Union kommen, nachdem die Sonne im Westen versunken ist.
Sie ist schon eine ganze Weile versunken.
Das scheint deshalb von etwas symbolischem Charakter zu sein, weil von der großen Begeisterung, die hier einmal geherrscht hat, als es sich um die Ratifizierung des Schumanplans handelte, eine ganze Menge verschwunden ist. Ich habe trotzdem das Gefühl, daß der Herr Bundeskanzler und möglicherweise die ganze Bundesregierung noch nicht ausreichend erkannt haben, daß aus der Begeisterung für Europa und vielleicht auch aus gewissen Illusionen inzwischen sehr harte wirtschaftliche Tatbesiande geworden sind.
Ich finde es sehr merkwürdig, daß wir, nachdem der Herr Bundeskanzler heute morgen die sehr exakt und präzis formulierte Große Anfrage unserer Fraktion nur mit allgemeinen Worten und Sätzen und mit der Erinnerung an lange zurückliegende Dinge beantwortet und nachdem der Herr Bundeswirtschaftsminister sich auch heute zu einer ausgesprochen wirtschaftspolitischen Frage abermals nicht geäußert hat, eine Antwort bekommen
von dem Chefjustitiar eines großen Stahlunternehmens, der sich der Mühe unterzogen hat,
wenigstens den Versuch zu machen, die materielle
Antwort zu den Fragen zu geben, die wir vom
Herrn Bundeskanzler heute nicht bekommen haben.
Gewiß, das ist schon richtig; aber es ist dennoch eine eigentümliche Angelegenheit, wenn sich ein Abgeordneter freundlicherweise der Mühe unterzieht, die Sache der Regierung ist. Vielleicht ist der Herr Bundeswirtschaftsminister darüber sehr froh; denn man weiß, daß er in gewissen Kreisen gesagt hat, er sei immer davon überzeugt gewesen, daß die Teilintegration auf dem Sektor von Stahl und Kohle, also die Montan-Union, nichts Gescheites werden könne, und er schweigt vielleicht deshalb, weil er nun der Meinung ist, das Schweigen sei in so einer Situation der beste Ausweg.
Ich halte es für eine unmögliche Situation, daß wir seitens der Regierung auf eine Große Anfrage über wirtschaftspolitische Fragen, die die ganze Bevölkerung der Bundesrepublik und in der Weiterwirkung nicht nur Kohle und Eisen, sondern die ganze Industrie angehen, unzureichende und unzulängliche Antworten bekommen. Ich muß allerdings sagen, meine Hoffnung, daß vielleicht der Herr Bundeswirtschaftsminister konkreter geantwortet hätte, hat sich zerschlagen, nachdem ich, eigentlich ganz zufällig, heute früh die Antwort in die Hand bekommen habe, die seitens des Bundesministers für Wirtschaft auf eine Kleine Anfrage ergangen ist, die einige Abgeordnete der CSU, also des Landes Bayern, woher auch ich komme, am 11. März mit einiger Besorgnis gestellt haben. In dieser Kleinen Anfrage Nr. 37 haben die Kollegen Strauß, Dr. Jaeger und Genossen bis zu meinem Wahlkreiskollegen Wieninger die Regierung gefragt, ob die Pressemeldungen zutreffend seien, daß der Preis für Hausbrandkohle erhöht werden solle, und was, wenn die Meldung den Tatsachen entspräche, die Bundesregierung eventuell tun würde, um die möglicherweise unvermeidbare Erhöhung des Preises für Hausbrand zu vermeiden. Das sind — wir kennen uns in Bayern da besser aus — die kleinen weißblauen Hechte in dem Karpfenteich der großen CDU. Das sollte vielleicht — und das ist das Interessante —, weil die Kollegen Strauß und Dr. Jaeger Abgeordnete des Montanparlaments sind, die bayrischen Kollegen aus dem Montanparlament entlasten. Die Bundesregierung hat also geantwortet, ich meine, in diesem Fall der Bundesminister für Wirtschaft, allerdings wieder einmal gezeichnet „In Vertretung: m.d.W.d.G.b. Westrick". Das heißt, nach der Terminologie unserer Bürokratie, daß er „mit der Wahrnehmung der Geschäfte beauftragt" ist, während der Herr Bundeswirtschaftsminister, glaube ich, in Südamerika war und sich durch zollfreie Einfuhr von einigen Orden ausgezeichnet hat.
Der Bundeswirtschaftsminister hat daraufhin geantwortet, daß sich nach dem Inkrafttreten des Gemeinsamen Marktes die Hohe Behörde zunächst einmal damit einverstanden erklärt habe, die Kohlenpreisermäßigung für den Hausbrand noch für ein Jahr zu erlauben. Es wird weiter gesagt, daß sie sich das Recht vorbehalten habe, die Frage
zu überprüfen. Im Zuge dieser vorgenommenen Überprüfung sei auch der Ministerrat der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl in seiner Sitzung am 12. und 13. März 1954 konsultiert worden. In diesem Ministerrat sitzt bekanntlich auch die Bundesregierung mit ihren Vertretern. Im Verlauf dieser Sitzung hat sich die deutsche Delegation, nachdem die Angelegenheit zuvor mit den Wirtschaftsministern der Länder behandelt war, mit der Aufhebung der Hausbrandverbilligung einverstanden erklärt.
— Na, es kann nichts schaden, wenn ich es Ihnen noch einmal in Erinnerung bringe. Ich werde Ihnen gleich sagen, warum, Herr Hilbert. Sie müssen nicht immer so nervös werden.
Es steht in dieser Antwort, die in „der Wahrnehmung der Geschäfte" gegeben worden ist, eine bedeutsame Zahl. Es steht nämlich darin, daß der deutsche Bergbau bisher durch diese Hausbrandverbilligung, die jetzt durch die Hohe Behörde beseitigt worden ist, mit 190 bis 200 Millionen DM belastet gewesen sei.
Nun, die Kollegen aus Bayern haben dann gefragt, was die Regierung tun wolle, um Schäden oder Nachteile für die Bevölkerung zu vermeiden. Daraufhin hat die Bundesregierung etwas geantwortet, was ich nun in der glücklichen Lage bin ergänzen zu können, nachdem der Herr Kollege Pohle, mit dem ich ja in dem Ausschuß für den Gemeinsamen Markt der Montan-Union bestens gemeinsam deutsche Belange und deutsche Notwendigkeiten mich wahrzunehmen bemühe — wir haben bis jetzt ausgezeichnet kooperiert — —
— Warten Sie nur ab, lieber Freund, es kommt noch! Da wird nun zur Beschwichtigung gesagt, daß die Aufhebung der Preisspaltung sich für den überwiegenden Teil der Hausbrandverbraucher nicht in vollem Umfange auswirken werde. Denn
— Sie wissen es — inzwischen habe sich die Kohlenbergbauindustrie bereit erklärt, einen Betrag von 25 Millionen DM zur Verfügung zu stellen, der in Form von Verbilligungsscheinen an die Bevölkerung gehe. Das sind zwei Zahlen, die aufschlußreich und interessant sind. Von den 25 Millionen, die gegeben werden, lieber Kollege Wieninger, steht hier in der Antwort nichts drin. Das haben wir inzwischen aus der Presse erfahren. Hier steht aber drin, daß die Hausbrandverbilligung, die in Wegfall kommt, eine Belastung für die Bevölkerung in Höhe von 190 bis 200 Millionen DM bedeutet, während demgegenüber nur für 25 Millionen DM Verbilligungsscheine gegeben werden. Das ist eine exakte Rechnung, die sogar der verehrte Kollege Kunze trotz seines Kopfschüttelns einfach nachrechnen kann.
Sehen Sie, Herr Kanzler, das sind Dinge, die wir an sich hier vielleicht einmal von der Regierung und nicht von der Opposition hätten erfahren sollen, oder die Bevölkerung hätte es erfahren sollen,
wenn wir diese Frage gestellt haben. Dann hat es auch keinen Zweck, wenn Sie sagen — wenn ich Sie recht verstanden habe, haben Sie das heute früh gesagt —, das seien die Herren, die Ihnen das
Material geben. Ich nehme es Ihnen nicht übel, Sie können es nicht beurteilen, und vielleicht einige andere, die nicht in der Materie sind, auch nicht. Sie haben gesagt, die Erlöslage habe sich verbessert. Es steht auch in der Antwort, die schriftlich auf die Kleine Anfrage gegeben worden ist, es habe sich eine Erlösverbesserung ergeben. Nun, wir haben uns, da wir uns nun mal in der Montan-Union und im Parlament diese Dinge angelegen sein lassen müssen, dort in der vorigen Woche
— der Herr Kollege Pohle wird es bestätigen — die Zahlen geben lassen, und wissen Sie, was dabei herausgekommen ist? Daß von einer Erlösverbesserung, die hier behauptet wird, für den deutschen Kohlenbergbau keine Rede sein kann.
— Ja, das ist auch deshalb nicht falsch geworden, weil ich es wiederhole, mein verehrter Herr Dr. Hellwig! Sonst müßten S i e den Beweis antreten, daß die Zahlen, die die Hohe Behörde und der deutsche Vizepräsident, Herr Etzel, uns gegeben haben, falsch sind. Solange Sie diesen Beweis nicht erbringen, bleibt das bare Münze, was gesagt ist.
— Passen Sie auf! Inzwischen liegt das Protokoll vor, und aus diesem Protokoll - das werden Sie nun zugeben müssen, und Herr Pohle weiß es ja; im übrigen hat er es in seinen Akten, und wir haben gemeinsam geprüft, was stimmt — geht hervor, daß durch die von der Hohen Behörde verordnete Preissenkung, im Durchschnitt 2 DM — angepaßt für Kohle und Kr Ks —, der deutschen Volkswirtschaft ein Betrag von 221 Millionen DM verlorengeht.
Denn mit jeder Tonne, die wir exportieren, kriegen wir weniger Erlös.
Schauen Sie, Herr Bundeskanzler, der Sie heute früh so liebenswürdig waren, andeutungsweise unsere Große Anfrage zu beantworten,
das ist ja eines der Dinge, die wir von der Regierung wissen wollten, ob das den Voraussetzungen oder den Hoffnungen entspricht, die man in die Union gesetzt hat, und das hängt auch zusammen mit den Startbedingungen.
— Ich komme darauf, Herr Brentano. Sie kommen in dieses Montanparlament auch nur, wenn über die großen politischen Fragen entschieden wird. Wenn Sie mal vertretungsweise — der Herr Pelster war da für Herrn Jaeger — gekommen wären statt Herrn Pelster, hätten Sie sogar in der vorigen Sitzung des Ausschusses für den Gemeinsamen Markt direkt offiziell von dem „Europäer von Beruf", wie er sich genannt hat, von Herrn Etzel, diese Auskünfte bekommen.
Ich habe gesagt, die Startbedingungen waren schlecht, und wir haben gefragt: Was ist geschehen, um sie zu verbessern? Ich brauche mich gar in der vorigen Sitzung des Ausschusses für den wieder die merkwürdige Theorie entwickelt wird, wir Sozialdemokraten empfänden Genugtuung darüber, wie die Dinge laufen. Genau das Gegenteil ist wahr. Es ist schade, daß Herr Gerstenmaier
jetzt nicht anwesend ist. Aber er ist sehr angestrengt und muß sich wahrscheinlich von seiner Rede erholen und stärken. Ich würde sonst sogar ihm verständlich machen können, daß wir Sozialdemokraten, nachdem dieser Vertrag für 50 Jahre gültig ist, allerdings der Meinung sind, daß wir hier das Beste herausholen müssen, was möglich ist, — und soviel Schäden wie möglich zu vermeiden haben, die sonst auf die Bundesrepublik fallen. Ob Ihnen das behagt oder nicht behagt, ist Ihre Angelegenheit. Wir Sozialdemokraten waren durchaus damit zufrieden, daß die gesamte Gemeinsame Versammlung die Resolution angenommen hat, die durch unsere Initiative im Investitionsausschuß in Straßburg im Januar erarbeitet worden ist.
— Bravo, das freut mich. Ich hoffe, Sie bleiben es.
- Na, freuen wir uns darüber. Aber warten wir ab; es gibt noch mehr Sitzungen.
Damals haben wir die ganze Versammlung des Montanparlaments — das sind immerhin 78 supranationale Abgeordnete, von denen wir Deutsche nur 18 sind, und die Opposition nur 6 von den 18
— dahin gebracht, einstimmig die Hohe Behörde aufzufordern, die Möglichkeiten aus dem Vertrag wahrzunehmen, um eben daraus und aus der Politik der Hohen Behörde etwas Vernünftiges zu machen.
Herr Bundeskanzler, wenn Sie heute früh als Außenminister und Bundeskanzler und gleichzeitig Wirtschaftsressortverwalter — Sie bestimmen ja die Richtlinien der Politik — geantwortet haben, — —
— Um so besser; wenn wir die Antwort auch noch kriegen, dann wäre es ja —
Ich will Ihnen mal eines sagen, Herr Hilbert, mit aller Aufrichtigkeit und auch mit aller Unmißverständlichkeit. Wenn Sie als Regierungskoalition und Sie, Herr Kanzler, der Meinung sind, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister unsere begründete Anfrage beantworten soll, dann wäre es fair gewesen und richtig gewesen, ihn vorher sprechen zu lassen
und nicht erst die Aussprache laufen zu lassen. Ich will Ihnen nur sagen: Glauben Sie ja nicht, daß wir davor Bange haben, daß der Herr Professor Erhard nachher kommt und wir nicht zu antworten wüßten!
Aber ich bin der Meinung, man soll bei Großen Anfragen die parlamentarischen Spielregeln einhalten. Das gehört zum Parlament und gehört zu einer sauberen Demokratie.
Herrn Professor Erhard in allen Ehren, ich freue mich, daß ich mal wieder die Klinge mit Ihnen kreuzen kann,
und mein Kollege Deist wird das auch tun. Ich
hoffe, daß das in einer Form geschieht, daß wir
hier konkrete Antworten bekommen. Ich werde
also nun, Herr Kanzler, alle die Fragen an Sie richten, die Sie heute früh durch Ihre mangelhafte Beantwortung unserer Großen Anfrage ausgelöst haben.
— Bitte, was Sie sich immer aufregen müssen! Solange sogar der Bundeskanzler der Meinung ist, daß das richtig ist, was ich sage — —. Wir werden ja hören, was sein Bundeswirtschaftsminister, der heute offenbar Redeerlaubnis zum Schumanplan hat, zu sagen hat.
— Meine Damen und Herren, bis jetzt hat der Bundeswirtschaftsminister — damit ich Ihr Gedächtnis ein bißchen auffrische und die neuen Kollegen davon informiere — zum Schumanplan noch nicht ein einziges Mal auch nur ein Wort gesagt.
Diejenigen — ich will das gleich einfügen —, die dem Herrn Bundeskanzler das Material für seine Rede gegeben haben, sollten doch nun wirklich endlich auch einmal wenigstens den Schumanplan, den Vertrag über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, so gründlich lesen, daß sie wissen, was drinsteht. Schauen Sie, was nun das anlangt, Herr Bundeskanzler: Es gibt nicht mehrere Fristen, es gibt fünf Jahre Übergangszeit. Die fängt nicht für die Kohle an einem Termin und für den Stahl an einem anderen an, sondern völlig einwandfrei und klar heißt es in dem Übergangsabkommen:
Die Übergangszeit beginnt mit der Errichtung
des gemeinsamen Marktes und endet mit Ablauf einer Frist von fünf Jahren nach der Errichtung des gemeinsamen Marktes für Kohle. Und damit ist es aus. Wenn der Edelstahl erst jetzt am 1. Juni in den gemeinsamen Markt hineinkommt, ändert das auch nichts daran. Es gibt nur eine fünfjährige Übergangsfrist.
— Der Herr Bundeskanzler hat etwas anderes gesagt! Ich habe ihm ausgezeichnet zugehört. Er hat gesagt, die Übergangszeit beginnt bei Kohle im Februar und bei Stahl später.
— Also, wenn ich das nicht genau gehört haben sollte, bin ich sogar damit zufrieden, feststellen zu können, daß die Texte aus dem Abkommen wirklich exakt bekannt sind. Aber bis zur Einsicht des Protokolls habe ich einen kleinen Vorbehalt.
Ich komme nun zu dem Thema zurück, von dem Sie mich auch durch Zwischenrufe nicht abbringen werden. Auf Grund der Zahlen, die wir von der Hohen Behörde unter dem Vorsitz des Vizepräsidenten Etzel— was die Hohe Behörde dann besonders unverdächtig macht — bekommen haben, haben wir jedenfalls den Nachweis bekommen, daß sich die Erlöslage für den Bergbau in keiner Weise gebessert habe. Ganz im Gegenteil, dadurch, daß die Kohle insgesamt und auch der Koks um 2 DM billiger verkauft werden müs-
sen — das weiß Herr Pohle und alle anderen auch—, ist die Situation vieler deutscher Zechen weit schwieriger geworden, als sie vorher gewesen ist. Auf der anderen Seite ist aber die Situation eingetreten, daß der Vorsprung der französischen Stahlindustrie in Lothringen noch größer geworden ist. Warum reden Sie um die Dinge herum? Wir wissen von einem Sprecher von „GEORG" — das ist die berühmte Abkürzung für die Gemeinschaftsorganisation für den Kohlenverkauf an der Ruhr —, daß dort gesagt worden ist, daß die neue Kohlepreisfestsetzung „eindeutig zum Nutzen der französischen Stahlindustrie erfolgt" sei. Da hat man sich beklagt und war überrascht, daß die Kohlepreisfestsetzung mit Zustimmung der Bunderegierung erfolgt ist.
Nun, Herr von Brentano hat, glaube ich, den unvorsichtigen Zwischenruf gemacht, ob ich freie Preise wolle.
— Von höheren Preisen hat kein vernünftiger Mensch geredet. Ich stelle aber die Tatsache fest, daß jeder Bürgen in der Bundesrepublik, obwohl der Schumanplan die Besserung der Lebenshaltung herbeiführen soll, den Hausbrand um 60 bis 65 Pfennig teurer bezahlen muß. Denn wenn die Bevölkerung bisher den Hausbrand um 200 Millionen DM billiger bekommen hat, dieser aber jetzt um 200 Millionen DM verteuert wird — minus 25 Millionen DM für Verbesserungsscheine —, dann wird damit dem kleinsten Mann auf der Straße klar, was es bedeutet, wenn man die Verfügungsgewalt über Kohle und Stahl nicht mehr in der Hand hat, sondern auf die Entscheidung einer supranationalen Behörde angewiesen ist.
— Das ist sehr logisch, Herr von Brentano! Wenn Sie da nicht mitkommen, kann ich Ihnen nicht helfen.
Nun, das ist die eine Situation.
Ich muß nun, da wir von der Kohle sprechen und ich nicht noch einmal darauf zurückkommen will und nachdem ich schon einen Vertreter von „GEORG" zitiert habe, auf eine sehr ernste Frage eingehen, die in unserer Großen Anfrage einbegriffen ist. Wir entsinnen uns — und der Herr Bundeskanzler wird es auch ganz genau wissen, denn er hat ein ausgezeichnetes Gedächtnis —, daß er kurz nach der Annahme des Schumanplans im Bundestag den Hohen Kommissaren einen Brief geschrieben hat, die Bundesregierung sei damit einverstanden, daß der Deutsche Kohleverkauf, DKV, bis Mitte des Jahres 1952 aufgelöst wird. Wir waren überrascht, als wir nach einigen Rückfragen mit einiger Verzögerung von diesem Schreiben Kenntnis bekamen. Die Alliierten bestanden nun darauf, da sie ja erklärt hatten, daß es keine Kartelle und dergleichen mehr geben dürfe; und zweitens ist in dem Schumanplanvertrag festgestellt, daß es keine Kartelle mehr geben soll.
Nun, wir haben eine, wie soll ich sagen, sehr delikate Situation. Unser Herr Bundeswirtschaftsminister, der ja auch landauf, landab für freie Wirtschaft und gegen alle Kartelle ficht, hat es
— ich sage es ausdrücklich — dankenswerterweise erreicht, daß der GEORG, die Kohleverkaufsorganisation des Ruhrgebiets, wenigstens noch bis zum
30. Juni, glaube ich, am Leben bleibt. Dann muß weiter verhandelt werden. Ich halte es für einen großen Fortschritt, daß sogar der Herr Bundeswirtschaftsminister eingesehen und zugegeben hat, man könne auf dem Sektor von Kohle und Stahl mit freien Preisen und freiem Wettbewerb bestenfalls ein Chaos schaffen, aber keine vernünftige Wirtschaftspolitik betreiben. Der Herr Minister Erhard hat durch seinen Vertreter, den Herrn Staatssekretär Westrick, den er immer mal nach Luxemburg schickt, durchgesetzt, daß keine Preisfreigabe bei der Kohle erfolgte, die wir auch für einen unmöglichen Zustand halten. Er hat erreicht, daß die Preisfestsetzung für die Kohle durch die Montanbehörde in Luxemburg zunächst einmal wieder für ein Jahr oder eine entsprechend lange Frist durchgeführt worden ist.
Hier zeigt sich also eine gewisse Einsicht, daß bestimmte Dinge unbedingt notwendig sind. Wenn diese Einsichten wachsen, sind wir sogar davon überzeugt, daß wir Sozialdemokraten bei solcher Kooperation in der Lage sind, aus der Montan-Union ein brauchbares Instrument zu machen, das schlimme Dinge verhüten kann.
— Wenn Sie dafür der Sozialdemokratie Beifall spenden, dann möchte ich Ihnen in Erwiderung des Dankes doch wenigstens empfehlen, einigen Ihrer Kollegen den guten Rat zu geben, keine törichten Zeitungsartikel zu schreiben, wo nachher so alle möglichen Schwätzerchen dabei herauskommen und die Sache verschoben wird. Sie kennen ja wahrscheinlich besser als ich Ihre Leibschmerzen!
— Nein, wir haben in dieser Hinsicht keine.
Sie wissen aber, was ich meine. Wir kommen dann auf eine viel vernünftigere Basis.
Herr Bundeskanzler, Sie haben heute früh auch geantwortet, daß Sie sehr vieles zur Verbesserung der Startbedingungen getan hätten. Man hat Ihnen einige Zahlen über Investitionen genannt. Sie haben sich dann darüber gefreut, daß die Hohe Behörde von Amerika eine Anleihe bekommen hat.
Dazu muß ich ein paar Dinge sagen. Ich möchte dabei zunächst die Frage stellen — vielleicht kann sie nachher Professor Erhard beantworten —, ob Sie unter Verbesserung der Startbedingungen für die deutsche Kohle- und Stahlindustrie etwa verstehen wollen, daß die Franzosen jetzt mit einem Aufwand von 15 Milliarden Franken eine der besten Gruben im Ruhrgebiet gekauft haben, nämlich die Harpener Bergbau AG., die eine ausgezeichnete Kokskohle liefert.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß das Geld für den Kauf dieser Kohlengrube, mit der nun der lothringische Stahl aus eigener Produktion, wenn sie auch auf deutschem Gebiet liegt, wer weiß, wie billig — mit Werksverrechnungen — versorgt werden kann, wodurch er in der Konkurrenz wieder überlegen wird, von der französischen Regierung in Form einer Anleihe zu außerordentlich günstigen, vorteilhaften Bedingungen gegeben worden ist?
Es ist kein Aprilscherz, wenn „Le Monde" am 1. April darüber berichtet hat. In „Le Monde" stand am 1. April als große Schlagzeile zu lesen: „Dank eines von der französischen Regierung gewährten Kredits konnte die lothringische Stahlindustrie eine der schönsten Gruben der Ruhr erwerben." Verkäufer ist ein wahrscheinlich sehr braver nationaler Mann. Er heißt Flick. Mehr brauche ich nicht zu sagen. Der Name Flick hat eine gewisse Vergangenheit und keinen allzu guten Ruf. Aber „Le Monde" hat dazu noch etwas geschrieben, was in das Gebiet fällt. Ich glaube sagen zu dürfen, daß der Herr Bundeskanzler in seiner Eigenschaft als Außenminister oder sein Stellvertreter im Ministerrat der Montan-Union vielleicht einmal ein Wort im Interesse der Bundesrepublik und in unser aller gemeinsamem Interesse reden müßte. Es hat in „Le Monde" außerdem gestanden, und zwar fett gedruckt, damit es ja keiner übersieht, diese Erwerbung stelle eine mutige Operation der lothringischen Stahlindustrie dar. Diese wolle sich „von der traditionellen Vormundschaft Deutschlands befreien, das die Kokslieferungen einschränke, um die Entwicklung der französischen Stahlindustrie zu hindern."
Nachdem wir 4 1/2 Millionen Tonnen Koks auf Halde haben, einmal weil die Franzosen viel weniger Koks abnehmen, als sie ursprünglich benötigten, weil sie nämlich durch ihre Produktionsüberlegenheit gar nicht mehr so auf unseren Koks angewiesen sind, wie das früher einmal der Fall war, und zum anderen infolge dieser Überlegenheit natürlich auch die deutsche Stahlindustrie weniger arbeitet und weniger verbraucht, kann uns ja weiß Gott niemand den Vorwurf machen, wir schütteten aus lauter Böswilligkeit den Koks auf Halde, bloß damit die Franzosen nicht produzieren könnten. Außerdem stimmt es nicht. Ich will Sie jetzt nicht langweilen, nachdem Herr Dr. Pohle schon so viele Zahlen genannt hat. Tatsache ist jedoch, daß die französische Stahlindustrie in einem erheblichen Umfange nach Deutschland exportiert hat, zu Lasten der Stahlindustrie, die bei uns in Deutschland arbeitet und dazu übergegangen ist, Arbeiter zu entlassen. Lesen Sie die Berichte aus den Hauptversammlungen! Herr Abs hat ja nicht nur eine nette Bemerkung über die Montan-Union gemacht, sondern auch mitgeteilt, daß man schon 1000 und 1500 und mehr Arbeiter entlassen mußte, weil der Produktionsgang nachläßt. Wenn Sie Bedenken haben, daß wir die Dinge falsch sehen oder etwa die Absicht hätten, die Dinge schlechter zu sehen, als sie sind, dann darf ich auf eine Erklärung des Unternehmensverbandes Ruhrbergbau in Essen hinweisen:
Aus der Tatsache, daß wir 3,82 Millionen Tonnen Koks und 1,23 Millionen Tonnen Kohle auf Halde haben, geht eindeutig hervor, daß die derzeitigen Absatzschwierigkeiten in erster Linie in den geringen Abrufen der Eisen- und Stahlindustrie begründet sind. Diese Abrufe haben sich keineswegs gebessert, und irgendwelche Anzeichen für eine Änderung der Lage in absehbarer Zukunft sind dem Ruhrbergbau nicht bekannt.
Herr Bundeskanzler, das war einer der Gründe: die Unruhe, die seit Wochen und Monaten vorhanden ist, die Tatsache, daß ungefähr schon 200 000 Bergarbeiter Feierschichten verfahren haben und daß wir auch von Stahlwerken wissen, bei denen langsam die roten Ziffern in Erscheinung treten. Deshalb wollten wir wissen, was die Bundesregierung
getan hat. Es ist dann nicht ausreichend, einfach zu sagen: Wir haben einiges für die Startbedingungen getan und dergleichen mehr.
Zurück zu der Anleihe. M. Monnet, der Präsident der Hohen Behörde, kommt mit ganzen 100 Millionen Dollar nach Hause. Im Juni vergangenen Jahres hat M. Monnet in der Versammlung des Montanparlaments in Straßburg die große Unruhe und Unzufriedenheit mit dem Anlaufen des Experiments durch die Erklärung abgefangen — die Zeugen sitzen unter uns; sie haben es mitgehört —: Hier habe ich die große Zusage aus Amerika. Und da wurde von einer halben Milliarde Dollar, vielleicht sogar von einer Milliarde Dollar gesprochen.
M. Monnet hat es für notwendig oder richtig gehalten, an Herrn Vizepräsidenten Etzel ein Telegramm zu schicken, welches besagt, daß das Verhalten der deutschen Industrie und die Kritik, die sich an den schlechten Ergebnissen des Gemeinsamen Marktes — die man doch nicht wegdiskutieren kann — entzündet hat, die Anleiheverhandlungen in Amerika entscheidend gestört haben. Nun, jeder wußte schon zu dem Zeitpunkt, als wir im Januar die Sitzung hatten und als dann M. Monnet nach Berlin geflogen war, um sich dort mit dem Außenminister Dulles zu unterhalten, daß die Anleiheaussichten erheblich gesunken waren. Schön, es sind 100 Millionen Dollar. In den deutschen Zeitungen steht — natürlich etwas, wie soll ich sagen, ausgerichtet oder dirigiert; in einer Art „gelenkter Meinung" —: Keine große Enttäuschung. Man spricht von der Anerkennung und von allen möglichen Dingen, die man an die Anleihe knüpft. Aber es kommt auch die Frage: Was wird denn Deutschland wohl davon bekommen?
Wir haben den Tätigkeitsbericht der Hohen Behörde, den wir von der übernächsten Woche an während zweier Wochen in Straßburg gründlich diskutieren werden, inzwischen bekommen. Ich darf einmal auf Dinge aufmerksam machen, die die deutsche Bevölkerung interessieren und die auch dieses Parlament wissen soll. Wir haben ja sogar in der Parlamentarischen Gesellschaft beschlossen, solche Debatten hier im Plenum zu führen. Vom 1. Januar 1953 bis 1. Januar 1954 hat die Hohe Behörde insgesamt 43 Millionen Dollar aus Umlagen von der Kohle- und Stahlindustrie der sechs Montanländer bekommen: Sie erhebt augenblicklich 0,9 % von den Nettoumsätzen. In dem Jahr, das ich hier erwähne, war die Abgabe gestaffelt. Von diesen 43 Millionen Dollar hat die Bundesrepublik 47 % bezahlt. Das sind 20,21 Millionen Dollar oder rund 85 Millionen DM. Es wird wahrscheinlich niemanden unter uns geben, der glaubt, daß das, was wir möglicherweise aus der Anleihe von 100 Millionen Dollar, die Herr Monnet nach Hause bringt, für Deutschland bekommen könnten, etwa diesem Umfang entspricht.
Ich komme auf das zurück, was ich zur Kohlenpreissenkung sagte. Wir geben an die Montan-Union durch den um 2 Mark gesenkten Kohlenpreis noch einmal beachtliche Summen in der Größenordnung von 40 oder 60 Millionen pro Jahr, und, meine Damen und Herren, Herr Wirtschaftsminister und auch Herr Bundeskanzler, wir zahlen außerdem noch, beinahe als einziges Land, die Ausgleichsumlage für diejenigen Länder, die betroffen werden, für die belgischen Kohlengruben und ähnliche Dinge. Dort ist dafür gesorgt, daß keine Schäden entstehen. Wenn wir das zusammenrechnen, kostet uns diese Mitgliedschaft in der Montan-Union pro Jahr — Herr Pferdmenges ist am Rechnen; er hat
es schneller raus als ich, scheint's, ich kann aber auch rechnen — 80 oder 85 und noch einmal 75 — diese 75 sind die Ausgleichsumlage, die sich langsam reduziert —, das sind 160 Millionen. Dazu kommt das, was wir an jeder Tonne Kohle und Koks um 2 Mark weniger als Erlös bekommen. Da ist die Frage, ob das nun alles den Erwartungen entspricht, die die Bundesregierung in den Vertrag gesetzt hat, immerhin einigermaßen berechtigt. Aber reden wir nicht mehr länger über dies Dolchstoßprogramm von Herrn Monnet. Das ist ganz offensichtlich, da er ja sonst ganz gute Nerven hat, ein „supranationaler Betriebsunfall"; das nehmen wir nicht so tragisch.
Was uns viel mehr interessiert — und hier kommen wir auf die Frage der Aktivität der Bundesregierung im Ministerrat und im Rahmen der Möglichkeiten der Montan-Union —, ist z. B. die Tatsache, daß gerade jetzt die British Iron and Steel Federation, also der Eisen- und Stahlverband Englands, erklärt hat, daß er mit aller Energie und mit allen Argumenten gegen eine Assoziierung Englands an die Montan-Union angehen wird. Nun, das ist einer der entscheidenden Punkte. Wenn es nicht gelingt, durch eine Politik — zu der eben die Bundesregierung beitragen muß, wenn die anderen sie nicht richtig hinkriegen — die Montan-Union aktionsfähig und wenigstens zu einem Teilinstrument für Europa zu machen, das einen Anreiz für England und andere Länder bietet, dann bleiben wir auf diesem Sektor der Teilintegration stehen. Der Wissenschaftliche Beirat und viele andere kluge Leute, die darüber nachgedacht haben, sogar in Ihren Reihen, wissen, daß es zu nichts führen kann, wenn man nicht über diesen Zustand hinauskommt.
Deshalb haben wir die Frage gestellt, was die Bundesregierung getan hat, um den Beschluß im Ministerrat durchzuführen. Der Herr Bundeskanzler hat uns geantwortet, die Bundesregierung sei eifrig bemüht, diesem Beschluß nach Kräften zur Realisierung zu verhelfen. Aber schauen Sie, Herr Bundeskanzler, bei diesem supranationalen Parlament sind wir nun einmal in der — Gott sei Dank, möchte ich sagen — glücklichen Lage, in ihm und durch seine Ausschüsse einiges zu erfahren und auch einiges über das zu erfahren, was die deutsche Regierung im Ministerrat tut. Wir haben uns erkundigt, was aus der Realisierung des Beschlusses geworden ist. Die Antwort lautete: man wird einige Experten über Konjunkturbeurteilung und dergleichen mehr in den nächsten Monaten oder Wochen mal zusammenrufen. Es ist also seit dem 13. Oktober 1953 bis heute nichts geschehen, um zu einer gemeinsamen Politik in der Montan-Union zu kommen, um die Ausweitung der Investitionen zu überprüfen und um regelmäßig die Konjunkturlage zu prüfen und zu verfolgen.
Das sind aber entscheidend wichtige Dinge, wenn wir nicht Gefahr laufen wollen, daß sich die Situation verschlechtert oder weiter zu unseren Ungunsten entwickelt, Daß sie zu unseren Gunsten verlaufen sei, hat bis jetzt noch niemand behauptet; Herr Pohle hat sehr geschickt und gut und sorgfältig formuliert. Die Tatsachen sind bekannt. Wir wissen nun einmal, daß die Dinge weitaus schlechter gelaufen sind, als vorher angenommen worden ist. Als sich der Herr Kanzler bemühte, diesen Teil unserer Großen Anfrage zu beantworten, hat er gesagt, daß bisher die Befürchtungen bezüglich der Anfangsschäden und -schwierigkeiten, die die Bundesregierung gehegt habe, in geringerem Umfang als erwartet eingetreten seien. Ich möchte
aus dieser Antwort nicht folgern und nicht etwa folgern müssen, daß die Bundesregierung noch geraume Weile zusieht, wie die Dinge weiterlaufen, bis sich, sagen wir, das Maximum an Nachteilen ergeben hat, das sie zum Eingreifen veranlaßt. Ich glaube, es ist höchste Zeit, und zwar deshalb, weil wir aus dem Vorgehen, aus den Anträgen, aus der Diskussion der Abgeordneten der anderen Länder merken, wie energisch und mit wieviel Nachdruck die Regierungen dieser Länder darum besorgt sind, daß möglichst alles Nachteilige hier bei uns bleibt — die wir so schön vorgeleistet haben — und den anderen Ländern kein Schaden entsteht.
Die Bundesregierung, das ist die Auffassung der Opposition, muß also weit mehr tun, und sie sollte gerade auch im Ministerrat im Interesse einer Konjunkturpolitik aktiv werden. Wir haben erreicht — Herr Pohle hat den Antrag, den ich im Ausschuß vorgeschlagen habe und der dann einstimmig angenommen worden ist, sogar noch erweitert —, daß von der Hohen Behörde den Parlamentsausschüssen die Unterlagen über Konjunkturbeurteilung und einiges andere mehr vorgelegt werden müssen. Das muß auch im Ministerrat vorangetrieben werden, sonst kommen wir in Schwierigkeiten.
Herr Bundeskanzler, da dieses supranationale Parlament gottlob ein, wenn auch nur mit geringen Rechten ausgestattetes, so doch einwandfrei demokratisches Parlament ist, hätte ich noch eine Bitte, die ich allerdings vorläufig nur für die Opposition aussprechen kann, die ich aber eigentlich für die 18 deutschen Delegierten im Montan-Parlament gern aussprechen möchte: daß Sie im Ministerrat nicht mehr so viel Mühe darauf verwenden, zu erreichen, daß der Ministerrat in jedem Ausschuß vertreten ist — er hat seine eigenen Funktionen —, sondern daß sich in Zukunft die Tätigkeit und die Aktivität der deutschen Regierung vor allem auf das konzentriert, was wirklich notwendig ist.
Da ich gehört habe, daß sich der Herr Bundeswirtschaftsminister noch zu Wort melden und noch sprechen wird, möchte ich daran erinnern — damit er die Möglichkeit hat, darauf zu antworten —, daß M. Monnet erklärt hat, die Anleihe, die er nach Hause bringe, und wenn es auch nur die 100 Millionen seien, sei zur Durchführung dessen gedacht, was er gewissermaßen den „Monnet-Plan für Westeuropa" nennt. Der Herr Bundeswirtschaftsminister wird wahrscheinlich wissen oder es durch die Referenten mitgeteilt bekommen haben, wie die Hohe Behörde den Investitionsbedarf einschätzt. Wir haben an schwebenden Investitionen allein im Kohlenbergbau 13/4 Milliarden Dollar in der Montan-Union, an die 6 Milliarden Dollar an Gesamtprojekten überhaupt.
Ich darf noch auf eines hinweisen, was vielleicht die deutschen Vertreter im Ministerrat einmal zum Nachdenken bringt: während in anderen Ländern die Entwicklung gut gegangen ist, vor allem in England, hat die Montan-Union 11,5 Millionen t Steinkohle auf Lager, daneben ungefähr 4,5 bis 5 Millionen t Koks. Da wir das Hauptlieferland sind — wir stellen ungefähr 65% der Kohle, Herr Kunze —
— ich dachte, Sie wollten etwas erwidern, weil Sie
den Kopf schütteln —, ist natürlich jeder Rückschlag, der einsetzt, in der Bundesrepublik doppelt
und dreifach fühlbar. Deshalb sind unsere Anfragen
von der Sorge geleitet gewesen, ob die Bundes-
regierung die Dinge richtig sieht, ob sie bereit ist, in dem Umfang und nach den Möglichkeiten, die der Montanvertrag und der Ministerrat geben, aktiv zu werden und dadurch größere Nachteile für die Bundesrepublik zu verhüten.
Als letztes folgendes.
— Herr Kollege, Sie bedauern das wohl? Ich kann Ihnen noch eine Stunde Unterricht geben, damit Sie etwas lernen, und mehr lernen.
Es kann Ihnen bestimmt nichts schaden, das kann ich Ihnen obendrein sagen.
Wir haben auf Drucksache 459 im Hinblick auf die Möglichkeiten der Revision des Vertrages nach Ablauf der fünfjährigen Anlauffrist beantragt, einen Ausschuß einzusetzen, in dem wir diese Probleme gründlich beraten können. Herr Pohle hat gesagt, da sei manches Gute, vielleicht auch manches zu Überlegende drin. Ich möchte Sie auf einiges aufmerksam machen. Da der Kollege Gerstenmaier nicht da ist, kann ich ihm nicht sagen, daß die Montan-Union und was damit zusammenhängt, ein ziemlich schwieriges Aufgabengebiet ist. Um da einigermaßen bewandert zu sein, muß man eine ganze Menge können. Und wenn Herr Gerstenmaier über die Kenntnisse von Herrn Dr. Deist so überaus erstaunt ist, so ist das nicht weiter verwunderlich, weil ja der Kollege Gerstenmaier in der Montan-Union auch nur „Politik" macht, obwohl ich ihm zutraue, daß er den Unterschied zwischen einem Brikett und einem Stück Koks durchaus kennt
und sich befleißigt, auch sonst in der Politik zu unterscheiden. — Werden Sie jetzt nur nicht zu ernst, Herr Kollege. — Wir sind der Meinung, der Bundestag sollte unserem Antrag, diesen Ausschuß einzusetzen, sofort zustimmen. Ich möchte dem Kollegen Pohle und allen unseren Kollegen aus dem Montanparlament sagen: wem tut es denn weh? Es kann doch nur jedem von uns nutzen, und wir kommen obendrein um eine Situation herum, die uns allen unbequem war, als wir nämlich ohne einen funktionierenden Ausschuß, bevor wir nach Straßburg fuhren, vom Auswärtigen Amt oder von irgendeinem Minister eingeladen wurden und Informationen bekamen, die uns zu geben die Regierung gute und gewichtige Gründe hatte. Wenn wir den Ausschuß haben und regelmäßig unterrichtet werden, können wir uns gemeinsam in aller Gründlichkeit und Bedächtigkeit überlegen, was wir an Änderungen vorschlagen können und müssen, nachdem der Vertrag keine ernsthaften Schädigungen eines beteiligten Landes herbeiführen soll, während das heute leider der Fall ist oder die Gefahr bestehen könnte. Außerdem belasten wir den Wirtschaftsausschuß nicht mit einer Arbeit, der er, glaube ich, nicht gewachsen ist, weil die Zusammensetzung des Ausschusses dem nicht entspricht und der Ausschuß zu groß ist. Da wirklich nichts geschieht, was irgendwie jemandem hinderlich sein könnte, möchte ich Sie also bitten, unserem Antrag zuzustimmen.
Zum Abschluß!
— Ja, ich möchte jetzt auf den Sprecher eingehen, der offenbar als nächster Redner kommt, auf den Herrn Bundeswirtschaftsminister Professor Erhard.
— Wenn Sie wenigstens geistreich und zugleich laut sprächen, könnte ich es verstehen. Seinerzeit, als der Vertrag ratifiziert wurde, ist von sehr viel Begeisterung die Rede gewesen. Wir haben davon gehört, daß die große Sinfonie von Stahl und Kohle mit dem neuen europäischen Geist und der neuen europäischen Einstellung jetzt über Europa ertönen wird. Wenn man nun einmal in aller Nüchternheit einen Versuch macht, zu diesen begeisterten Europäern zu sprechen, und wenn man heute nach anderthalb oder beinahe zwei Jahren sich fragt, wie sich denn der Gemeinsame Markt ausgewirkt hat und wie es mit den Startbedingungen, Absatzbedingungen und alledem aussieht, dann kommt man zu dem Ergebnis: jetzt sind wir allerdings auf diesem Gemeinsamen Markt im freien Lauf des Wettbewerbs. Die lothringische Industrie und damit die französische Industrie hat eine ausgezeichnete Aschenbahn, gut und solide mit deutschem Koks fundiert. Wenn ich mir aber ansehe, wie es bei uns aussieht, dann habe ich das Gefühl, daß wir bei diesem Wettlauf in den Gemeinsamen Markt auf einem sehr schlechten Knüppeldamm armselig hinterherhinken. Das zu beseitigen, ist eine der wichtigsten Aufgaben, die die Bundesregierung hat.
Ich danke Ihnen fürs Zuhören.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem mein Herr Vorredner selber der Auffassung war, daß die Große Anfrage, wenn auch nach seiner Meinung unzulänglich, vom Herrn Bundeskanzler heute morgen beantwortet wurde, habe ich nicht die Absicht, zu der Großen Anfrage zu sprechen, sondern Herrn Kollegen Kreyssig zu antworten.
Ich bin von Herrn Kollegen Kreyssig dramatische Wendungen gewohnt.
Wir kennen uns seit dem Jahre 1948. Ich bin auch die düsteren Prophezeiung en aus seinem Munde gewohnt; sie haben nur leider die unangenehme Begleiterscheinung, daß sie niemals zutreffen.
— Die haben ja Sie aufgelegt, Herr Kreyssig, und nicht ich!
Herr Kreyssig behauptet, daß ich mich zur Teilintegration jeweils selbst skeptisch geäußert hätte. Ja, selbstverständlich! Das hat heute früh der Herr Bundeskanzler in dem gleichen Sinne getan, wie ich es unternommen habe, indem er darauf hinwies, daß eine Teilintegration nie zu der vollen bzw. möglichen Fruchtbarkeit gelangen kann. Aus dem Grunde müßte es das Anliegen der Bundesregierung und meiner Ansicht nach auch des Bundestages sein, von der Teilintegration zu neuen und weiteren Formen der Zusammenarbeit vorwärtszuschreiten. Wenn diese Teilintegration noch nicht weiter ausgereift ist, dann liegt die Schuld ganz bestimmt nicht bei der Bundesregierung, sondern mehr in Ihrem Lager!
Professor Erhard! Sie sitzen im Ministerrat der Montan-Union und nicht wir!)
Im übrigen frage ich mich: was steckt denn eigentlich hinter dieser Dramatisierung der Situation bei Kohle, Eisen und Stahl?
Zunächst einmal ist eines ganz deutlich geworden: Wir sind unter ungünstigeren Startbedingungen in den Gemeinsamen Markt gegangen, aber das war selbstverständlich.
Das ist ja die Tragik unseres Schicksals nach dem verlorenen Krieg und allen seinen Folgeerscheinungen gewesen. Heute ist aber auch deutlich geworden, was gerade der Beitritt zum Gemeinsamen Markt uns an Befreiungen und Entlastungen gebracht hat. Ich meine, man sollte nicht immer mit den „ollen Kamellen" kommen. Wir wissen alle, was sich bis zum Jahre 1948 ereignet hat und wir wissen auch, daß man das nicht an einem Tage aufholen kann.
Sie haben mit keinem Wort und mit keiner Zahl beweisen können, daß die Bundesrepublik, seit sie im Gemeinsamen Markt ist, in irgendeiner Beziehung, sei es hinsichtlich der Produktion oder der Ausfuhr, schlechter weggekommen wäre als irgendein anderes beteiligtes Land. Im Gegenteil! Seitdem wir im Schumanplan sind — nehmen Sie die letzte Entwicklung, das jetzige Konjunkturbild —, stellt sich die deutsche Konjunktur besser dar als die in allen anderen europäischen Ländern. Es gibt im Augenblick kein europäisches Land, dessen konjunkturelle Zeichen so günstig stehen wie bei uns.
Selbstverständlich wird von einer solchen allgemeinen Konjunkturbelebung zuletzt auch die Grundstoffindustrie Kohle, Eisen und Stahl nachgezogen, so daß der Zeitpunkt, an dem wir uns über die angeblich schlechte Situation und Nachteile hätten unterhalten können, eigentlich schon längst vorüber ist. Ich darf daran erinnern, daß sich z. B. im März der Auftragseingang nicht nur für die gesamte deutsche Industrie, sondern vor allen Dingen für die Stahlindustrie außerordentlich gebessert hat. Bei einem der wesentlichsten Zweige, den Kaltziehereien, ist der Auftragseingang im März um 100 % höher gewesen, als er im Februar war, und alles spricht dafür, daß die Spannungen praktisch überwunden sind.
Wir wissen auch, woher diese Spannungen kamen. Sie kamen gewiß nicht vom Gemeinsamen Markt; es waren noch die Ausflüsse der Korea-Krise und der. Hysterie, die sich damals in aller Welt austobte. Wir wissen, daß zu jener Zeit Eisen und Stahl gehortet worden ist, diese Läger
dann aber langsam abgeflossen sind. Diese Erscheinungen sind auch nicht nur in den Montan-
Union-Ländern aufgetreten; in England war es ähnlich, und sogar in den Vereinigten Staaten haben sich die gleichen Spannungen und Störungen ausgewirkt. Ich behaupte noch einmal — und ich bitte, den Gegenbeweis antreten oder durch Zahlen widerlegen zu wollen —: seitdem wir im Gemeinsamen Markt sind, hat Deutschland, sowohl was die Produktion als auch den Absatz im Innern und im Ausland anlangt, keine schlechtere, sondern eine bessere Entwicklung genommen als die übrigen Teilnehmerländer.
Sie sprachen ein großes Wort gelassen aus, wenn Sie sagten, wir verschenkten die Kohle. Leider sind wir dazu nicht in der Lage.
Die deutsche Kohle wäre im Preis auch dann rückläufig gewesen, wenn die Hohe Behörde gewisse Preisnachlässe nicht verfügt hätte. Die deutschen Kohlenbehörden haben z. B. bei Kohlesorten, für die Preisermäßigungen nicht von der Hohen Behörde dekretiert worden sind, den Preis freiwillig ermäßigt, weil eben die Marktlage das hat sinnvoll erscheinen lassen. Da kann man doch nicht von Verschenken von Kohle sprechen. Der Kohlenpreis ist von der Konjunktur, von der Absatzsituation abhängig wie jeder andere Preis auch.
Ob die Hohe Behörde den Preis geändert hat oder ob wir ihn freiwillig geändert haben, es war jedenfalls eine aus der Marktsituation heraus sich ergebende Notwendigkeit.
Im übrigen werden bei Kohle jetzt Sommerrabatte gegeben, und des weiteren sind auch die Zuschüsse für den Hausbrand für den nächsten Winter verfügbar. Diese Regelung ist im Einvernehmen und mit voller Zustimmung der Gewerkschaften getroffen worden, so daß ich nicht weiß, warum Sie hier päpstlicher sein wollen als der Papst. Es war alles mit dieser Regelung zufrieden, und es bestand nicht der geringste Anlaß, hier nun noch einmal die Dinge zu dramatisieren.
— Aber ich bitte Sie, es besteht doch gar keine Veranlassung, entgegen der Übung in allen anderen Ländern ausgerechnet in Deutschland die Kohle unter Kostenpreis abzugeben und auch an solche Einkommensbezieher unter Kostenpreis abzugeben, die sich den echten Kostenpreis leisten können und denen man die Bezahlung des echten Kostenpreises auch zumuten kann.
Bei den Schichten, für die der jetzige Übergang zum Kostenpreis wirklich Härten mit sich bringt, ist dafür gesorgt, daß diese Härten vermieden werden.
Auch heute früh sind Gedanken angeklungen, so als ob die Hohe Behörde bzw. die Montan-Union als solche Maßnahmen verfügt hätten, die sich zuungunsten Deutschlands auswirkten. Es ist hier zum Beispiel von dem bekannten Steuerstreit gesprochen worden. Sicher war es ein Streit, und
auch heute noch ist keine völlige Abklärung erfolgt. Aber wenn Sie so gut mit den Problemen der Hohen Behörde und des Gemeinsamen Marktes vertraut sind, dann wissen Sie auch, wie hart die Geister gerungen haben, um zu der letzten und besten Erkenntnis durchzustoßen. Sie wissen von dem Tynbergen-Gutachten,
und Sie wissen sehr wohl, daß wir von deutscher Seite aus selbst noch sehr heftig am Überlegen sind, welches denn der richtige und gerechte Ausgleich wäre,
so daß man von vornherein von einer Benachteiligung durch irgendeine Regelung jedenfalls nicht sprechen kann.
Und wenn Sie von der Konjunkturpolitik sprechen, dann möchte ich Sie daran erinnern dürfen, daß ausgerechnet ich es gewesen bin, der in der Ministerratssitzung vom Oktober vorigen Jahres diese Abstimmung in der Konjunkturpolitik verlangt hat.
Bei den anderen Ländern glaubte man nur auf die Investitionspolitik eingehen zu sollen. Das Anliegen war die Steigerung des Verbrauchs von Kohle, Eisen und Stahl. Da habe ich eingewandt, daß hierzu die Investitionspolitik allein nicht ausreicht; denn zur Erzielung einer Mengenkonjunktur, zur Steigerung des Verbrauchs gibt es auch noch andere konjunkturpolitische Mittel als nur die Investitionen. Im übrigen ist auch an dieser Frage in der Zwischenzeit ernst, ehrlich und eifrig weitergearbeitet worden. Alle Länder haben die Unterlagen erarbeitet, und für die nächste Woche ist schon die Kommission bestimmt, die dann im Konkreten auf der Ebene der Hohen Behörde an die Probleme herangeht.
Dann möchte ich noch etwas gegen das einwenden, was heute morgen Herr Deist gesagt hat. Er stellte die schlechte Konjunktur in Frankreich fest und meinte, durch den Gemeinsamen Markt werde sozusagen diese Ungunst der Konjunktur zu uns herübergeschlagen, was auch ein Nachteil der Hohen Behörde bzw. des Gemeinsamen Marktes sei. Erstens einmal ist, wenn die französische Konjunktur wirklich schwächer ist als die unsere, diese Ungunst nicht zu uns herübergekommen. Ich glaube, Sie haben auch so viel Instinkt und Einfühlungsvermögen in konjunkturelle Situationen, um zu wissen, daß bei uns keine schlechte Konjunktur ist.
Sollte aber allen Ernstes die Forderung aufgestellt werden, daß die einzelnen Länder, um nicht von anderen Volkswirtschaften schlechte Konjunkturen übernehmen zu müssen, sich gegenseitig abriegeln sollten? Wäre das das Ideal, wäre das der Geist des kommenden Europa, wenn man sagen dürfte: Frankreich ist in einer schlechten Konjunktur, also abriegeln, um diese ja nicht übertreten zu lassen!?
Im Gegenteil, ich bin der Meinung, daß es gerade ein Anliegen der europäischen Politik sein muß, über den Gemeinsamen Markt zu Konjunkturausgleichen zu kommen und dafür zu sorgen, daß an
dem Aufschwung möglichst alle beteiligten Länder teilhaben können.
Die Nutzanwendung aus dieser Politik der Isolierung würde dahin lauten müssen: Schließe sich jedes Land ab, kehren wir wieder zur Autarkie, zur Abschirmung, zur Devisenzwangswirtschaft zurück, um es zu erreichen, daß nicht irgendein Unheil, ein Störungsfaktor in der Welt auf einem andern Markt zur Auswirkung kommt. Seien wir uns darüber klar, und das sage ich denen, die glaubten, daß die von mir erhobene Forderung nach Konvertierbarkeit der Währungen nicht mit europäischer Integration zu vereinbaren sei, daß gerade das Gegenteil richtig ist; denn europäische Integration kann niemals eine Isolierung Europas bedeuten; vielmehr wird die Integration erst dann zu voller Fruchtbarkeit gelangen, wenn auch dieses integrierte Europa und diese Zusammenarbeit auf einem Gemeinsamen Markt nicht an den Grenzen Europas endet, sondern in einem multilateralen, weltweiten System mit der ganzen freien Welt frei spielen kann.
Sie nahmen den Mund etwas voll, Herr K r e y s s i g, und sprachen von 4 Milliarden Tonnen Kohle auf den Halden. Es sind aber nur 4 Millionen!
— Ich bin das bei Ihnen gewohnt!
Es war auch nie von einem Kredit von einer Milliarde Dollar die Rede, sondern es waren bescheidene Ziffern in der Diskussion, und es ist selbstverständlich — es ist keine neue Anregung Ihrerseits —, daß man bemüht sein wird, die Abgabe der Montan-Union für eine Kreditgewährung und für Investitionen fruchtbar einzusetzen. Die Gespräche darüber sind mitten im Gange.
Im ganzen möchte ich sagen: von einer „höchsten Zeit zum Eingreifen" kann nun wirklich nicht in einem Augenblick gesprochen werden, in dem die Konjunktur bereits wieder umgebrochen ist. Man bemüht sich hier fast, die Konjunktur in Deutschland, die so günstig gelagert ist, wieder zu zerreden. Aber das wird Ihnen nicht gelingen. Mit dieser deutschen Konjunktur werden auch, wie schon die Zahlen des Auftragseingangs deutlich genug beweisen, die Spannungen in der Eisen- und Stahlindustrie und bei der Kohle überwunden werden.
Ein Letztes! Herr Dr. Kreyssig, Sie meinten, ich war in Südamerika, um zollfrei Orden einzuführen. Sie sind zwar nicht berufen, über meine Tätigkeit zu wachen, — —
— Nicht die Aufgaben zu begutachten, die ich in Latein-Amerika zu besorgen hatte. Ich habe z. B. mitgebracht auch zollfrei das deutsche Vermögen, das mir in Peru übergeben worden ist;
in meiner Anwesenheit ist das Dekret unterzeichnet worden, das in Chile die Kriegsverordnungen
über die Beschlagnahme des deutschen Vermögens aufhebt,
und auch in anderen Ländern wird das schnell heranreifen — alles zollfrei, Herr Dr. Kreyssig!
Herr Dr. Kreyssig, Sie sagten, Sie wollen mit mir die Klingen kreuzen. Herr Dr. Kreyssig, Sie sind noch nie besonders gut dabei weggekommen.
Ich würde auch vorsichtig sein. Denken Sie mal daran, was Sie im Winter 1951 alles über die Kohle gesagt haben, und vergleichen Sie es mit dem, was Sie heute dazu ausgeführt haben!
Mit Ihnen die Klingen zu kreuzen, ist mir ein wahres Vergnügen.
Und damit glaube ich, daß der Restteil der Großen Anfrage erledigt sein wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Scheel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als letzter Redner hier zu erscheinen, ist eine dankbare und undankbare Aufgabe zugleich; dankbar insofern, als ich definitiv die letzte Figur bin, die Sie strapazieren wird, und ich hoffe, daß Sie das etwas freundlicher stimmt.
Als ich die Große Anfrage der SPD gesehen habe, habe ich mich gefragt, ob sie geschickt gestellt ist. Ich habe Verständnis dafür, daß die SPD jetzt eine Anfrage an die Bundesregierung stellt, um die Meinung der Bundesregierung über die Konjunkturlage in Stahl und Kohle zu erfahren, jetzt, wo die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen vor der Tür stehen, in dem Land, wo Kohle gefördert und Eisen produziert wird. Ich habe durchaus Verständnis dafür. Ich habe auch Verständnis für die rhetorische Frage, die sich dann anschließt: „Was gedenkt die Bundesregierung zu tun". Häufig fragt man das ja, wenn man selber nicht genau weiß, was man tun würde.
Ich glaube aber, daß die Verbindung dieser Frage nach der Konjunkturentwicklung mit der Montan-Union irgendwie nicht ganz geschickt gewesen ist. Denn der Grund für die augenblickliche Situation in Kohle und Stahl liegt ja nicht in der Montanbehörde, sondern im Gegenteil gerade außerhalb des Bereichs der Montan-Union. Er liegt nämlich in der unterschiedlichen Konjunkturentwicklung in den Industriebereichen außerhalb des Gemeinsamen Marktes. Das ist ja der wahre Grund für die augenblickliche Lage, vornehmlich für die Lage unserer Stahlindustrie, deren Zulieferant die Kohleindustrie ist. Wir dürfen doch mit einem gewissen Stolz behaupten, daß wir in der Bundesrepublik eine sehr gute Konjunkturlage in der verarbeitenden Industrie haben. Das ist doch, wenn man das bescheidenerweise erwähnen darf, nicht zuletzt ein Verdienst der Bundesregierung gewesen. An dieser günstigen Konjunkturentwicklung in der verarbeitenden Industrie haben unsere Grundstoffindustrien aber deswegen nicht so teilnehmen können, weil alle sich daran beteiligten. Andererseits gab es wegen der mäßigen Konjunkturlage unserer Nachbarländer keinen entsprechenden Ausgleich. Aber nach einem halben Jahre des Funktionierens des Marktes kann man das nicht negativ auslegen, weil man ja nicht weiß, wie Konjunkturschwankungen der nächsten Jahre sich auswirken werden.
Herr Kreyssig hat hier ein sehr düsteres Bild der augenblicklichen Lage entwickelt. Es ist eben schon vom Bundeswirtschaftsminister darauf hingewiesen worden, daß seine Prognosen häufig düster gewesen sind. Aber nicht nur er, sondern auch die Sprecher der SPD während der Schumanplan-Debatte haben ein düsteres Bild entwickelt. Sie gingen nämlich von der Unterstellung aus — als hier im Hause die Schumanplan-Debatte stattfand —, daß wir auf fünf bis zehn Jahre eine permanente Mangellage in Kohle und Stahl haben würden. Noch schlimmer ist es ja Herrn Loritz ergangen. Sie werden sich erinnern; wenn er jetzt hier wäre, müßte er einen Besen fressen, weil er behauptet hat, das würde er tun, wenn Stahl und Kohle im Gemeinsamen Markt billiger würden und wenn man sie leichter erhalten könnte. Und wie ich Herrn Loritz zu kennen glaube, würde er ihn jetzt tatsächlich fressen, diesen Besen.
Meine Damen und Herren, damals hat der Professor Nölting hier für die SPD gesprochen, und er ging eben von der Voraussetzung aus, daß wir eine Mangellage auf absehbare Zeit behalten würden. Nun, es ist nicht so eingetreten, wie vieles nicht eintreten wird, was düster prophezeit wird. Ich hatte bei Herrn Kreyssig manchmal den Eindruck, daß er mit einem wahren Vergnügen wieder mal eine Schwierigkeit entdeckt hatte, die sich uns irgendwie bei der Bildung Europas in den Weg stellte. Der einzige der damals in der Debatte — ich darf das vielleicht noch erwähnen — sehr realistisch gewesen ist, das war der jetzige Vizepräsident der Hohen Behörde — ich habe das einmal nachgelesen —, Herr Etzel, der nämlich bei diesen Mangellagengesprächen den Zwischenruf machte: „Sie können sich darauf verlassen, in zwei Jahren werden wir froh sein, wenn wir unsere Kohle verkaufen könnten!" Und genau das ist nun eingetreten.
Nun haben die Vertreter der Regierungsparteien damals in der Debatte durchaus nicht nur in Optimismus gemacht. Sie waren sich darüber klar, daß der Montanvertrag ein politischer Wechsel ist, ganz ohne Zweifel sogar ein Wechsel, den wir akzeptiert haben, nachdem Herr Schuman ihn zu einem Zeitpunkt ausgestellt hat, als die Lieferung noch nicht erfolgt war. Ich möchte fast sagen: Wir lösen ihn heute schon ein, und die Lieferung ist noch immer nicht erfolgt. Das führt vielleicht zu dem Schluß, zu sagen: Gott noch mal, das Geschäft hätten wir dann vielleicht besser als Kassageschäft machen können. Es ist im allgemeinen billiger. Aber, meine Damen und Herren, für einen Käufer bedarf es einer gewissen Liquidität, wenn er Kassageschäfte machen will. Er braucht etwas Betriebskapital, und gerade dieses Vertrauenskapital,
das wir nötig gehabt hätten, besaßen wir gar nicht.
Wir mußten ein solches Wechselgeschäft machen.
In einem, meine Damen und Herren, hat damals Herr Professor Nölting, mit dem ich lange im Landtag zusammengesessen habe, durchaus recht gehabt, nämlich als er von der gespaltenen Volkswirtschaft gesprochen und gefragt hat: Wer wird nun dafür sorgen, daß eines Tages die nicht integrierten Teile, die um den Montanmarkt herum liegen, integriert werden, welches Organ gibt es dafür, wer wird sich darum bemühen? Diese Fage war berechtigt, und auf diese Frage hat der Staatssekretär im Auswärtigen Amt geantwortet und gesagt, daß eine Lösung immer nur ein Schritt nach vorn sein muß, nämlich zu einer weiteren Integrierung. Die Frage, die damals Herr Nölting gestellt hat: Wer wird sich darum bemühen?, müssen wir beantworten, meine Damen und Herren. Wir müssen uns darum bemühen, und wir müssen unseren Einfluß bei der Regierung und bei der Hohen Behörde geltend machen, daß nun diese Schritte getan werden, die uns notwendig erscheinen, um die Integration weiter vorwärtszutreiben.
Im vorigen Jahr hat Professor Schmölders einen Artikel in der „Frankfurter Allgemeinen" geschrieben, in dem er mit Recht gesagt hat: Der Montanvertrag ist eigentlich gar nicht der erste Schritt auf dem Wege zur Integration Europas, sondern er ist ein vorweggenommenes Ergebnis. Man hätte organisch andere Schritte vorweg tun müssen. Das scheint mir sehr wesentlich auch für die Entschlüsse der Hohen Behörde zu sein. Der Vertrag als solcher unterstellt ja eine Integrationssituation, die eigentlich gar nicht vorhanden ist, und die Hohe Behörde sollte darum vielleicht in ihren Entscheidungen etwas mehr wirtschaftlich denken und weniger juristisch. Sie befindet sich nämlich augenblicklich in einer Übergangssituation, die sie immer wieder berücksichtigen muß. Sie sollte vielleicht die in den Vereinigten Staaten gebräuchliche Rule of reasons bei ihren Entscheidungen anwenden.
Was muß nun getan werden und welche Kritik gibt es noch? Meine Damen und Herren, ich sagte schon, die Integration ist weiterzutreiben. Aber wie und auf welchem Wege? Der Ministerrat hat nun eine ganz besondere Bedeutung. Eigentlich ist er ja nur geschaffen worden, um die Schwierigkeiten der Übergangszeit irgendwie zu meistern, um also ein ständiges Angleichen des Montanmarktes an die nationalen Märkte herbeizuführen. Von daher muß also weiter darauf gedrängt werden, daß eine gemeinsame Konjunkturentwicklung angestrebt wird. Vor allen Dingen müssen — und ich glaube, darauf ist bis jetzt zu wenig Gewicht gelegt worden — unsere Währungssysteme in Europa unter die Lupe genommen und angeglichen werden, damit eine Wettbewerbssituation geschaffen wird, die eine weitere Entwicklung überhaupt erst möglich macht.
Die Erziehung zum Teamwork ist schon heute morgen hier angesprochen worden. Der Herr Bundeskanzler hat sie als wichtige Aufgabe der Hohen Behörde bezeichnet und gefordert, das Teamwork müsse noch verstärkt werden. Der Europatrainer Monnet sollte also seine ganze Sorgfalt darauf verwenden.
Nun noch ein Punkt, dessen Erwähnung mir in diesem Zusammenhang wichtig zu sein scheint,
nämlich die Wettbewerbslage unserer Stahlindustrie im Verhältnis zu der Industrie der übrigen teilnehmenden Nationen. Es ist hier mehrfach gesagt worden, daß unsere Startposition eine weitaus ungünstigere gewesen ist als die der übrigen Teilnehmer am Montanmarkt. Die Hohe Behörde sollte das, so glaube ich, berücksichtigen, vom Art. 66 Gebrauch machen und uns helfen, zu vernünftigen Betriebsgrößen zu kommen, die erst unsere Situation erleichtern werden.
Außerdem scheint es eine dankenswerte Aufgabe zu sein, etwas dafür zu tun, daß der Stahlverbrauch pro Kopf der Bevölkerung im ganzen Montanraum auch durch die Methoden der Werbung angeregt wird, so wie es die Amerikaner seit Jahrzehnten und mit großem Erfolg tun. Das wäre eine echte Aufgabe, die auch die Montanbehörde erfüllen sollte.
Und dann kann man nur noch den Rat geben, daß sich die Montanbehörde aller dirigistischen Maßnahmen weise enthalten möge.
Zu der 100-Millionen-Anleihe wäre zu sagen, daß es vielleicht gefährlich ist, wegen dieses Betrags einen Streit zu entfesseln; denn 100 Millionen sind in Anbetracht der Aufgaben, die in bezug auf die Investitionsvorhaben vor uns stehen, eine sehr bescheidene Summe. Wenn Sie sie einmal mit Vorhaben einzelner Stahlwerke bei uns vergleichen, dann werden Sie ermessen, wie gering diese Summe ist. In dem Zusammenhang ist vielleicht noch einmal der Hinweis darauf gestattet, daß die Schaffung echter Relationen zwischen unseren europäischen Währungssystemen und die Herbeiführung der Konvertibilität im Raume der Montan-Union sicherlich die Voraussetzung dafür schaffen würde, daß wir im europäischen Raum eigene Anstrengungen anstellen könnten, um Grundlagen für Investitionsvorhaben in Kohle und Stahl zu schaffen.
Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zum Abschluß — das ist eine beliebte Redewendung im parlamentarischen Raum;
sie wird ernst genommen und auch erfüllt — nur eine Frage stellen. Es sind hier von der Opposition die Schwierigkeiten aufgezeigt worden, die sich bei der Integration Europas ergeben. Die Schwierigkeiten kennen wir. Das Entdecken dieser Tatsachen entbehrt des Reizes der Originalität. Aber es ist nötig, doch immer wieder einmal die Alternative kurz zu überdenken, die sich gegenüber dem Montan-Union-Vertrag ergibt, und zwar die wirtschaftliche Alternative, aufgesplittert zwischen zwei wirtschaftlichen Großräumen zu stehen. Wenn Sie darüber etwas nachdenken, werden Sie zu dem Schluß kommen, daß es für uns nur eine Entscheidung geben kann, nämlich die, weiter fortzuschreiten, und zwar mutig und auch hoffnungsvoll auf dem Wege, der nun einmal beschritten worden ist. Wenn sich die Opposition auch dazu nun voll und nicht nur, wie erfreulicherweise festzustellen ist, teilweise bekennen würde, dann, glaube ich, würden wir in gemeinsamer Anstrengung das von uns allen gewünschte Ziel erreichen.
Meine Damen und Herren! Ich weise darauf hin, daß eine Vereinbarung unter den Fraktionen zustande gekommen ist, daß die zu den Punkten 2 und 3 der Tagesordnung anfallenden Abstimmungen morgen mittag um 13 Uhr stattfinden sollen.
Ich schlage Ihnen vor, daß wir die letzten Punkte der Tagesordnung, die Punkte 4 bis 10, deren Behandlung nach der Vereinbarung im Ältestenrat ohne Aussprache vor sich gehen soll, jetzt noch erledigen.
Ich rufe den Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes betreffend das Abkommen vom 1. Juli 1953 über die Errichtung einer Europäischen Organisation für kernphysikalische Forschung .
Eine Aussprache soll nicht stattfinden. Ich schlage Ihnen die Überweisung an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten vor. — Das Haus ist damit einverstanden; die Überweisung ist erfolgt.
Meine Damen und Herren, Sie dienen der Sache, wenn Sie Ihre Gespräche noch fünf Minuten etwas einschränken.
Punkt 5:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das deutsch-österreichische Protokoll vom 14. Dezember 1953 über die Verlängerung des deutschen Zollzugeständnisses für Loden .
Eine Aussprache soll hier ebenfalls nicht stattfinden. Ich schlage Ihnen Überweisung an den Ausschuß für Außenhandelsfragen vor. — Sie sind damit einverstanden. Die Überweisung ist erfolgt.
Nächster Punkt:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Internationale Zuckerabkommen vom 1. Oktober 1953 .
Es gilt das gleiche. Ich schlage Ihnen Überweisung an den Ausschuß für Außenhandelsfragen vor. — Das Haus ist damit einverstanden. Die Überweisung ist erfolgt.
Punkt 7:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Zollabkommen vom 30. Dezember 1953 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Norwegen .
Ebenfalls keine Aussprache. Ich schlage Ihnen Überweisung an den Ausschuß für Außenhandelsfragen vor. — Die Überweisung ist erfolgt.
Punkt 8:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Abkommen über die Vorrechte und Befreiungen der Sonderorganisationen der Vereinten Nationen vom 21. November 1947 und über die Gewährung von Vorrechten und Befreiungen an andere zwischenstaatliche Organisationen ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten (Drucksache 337).
Es liegt ein Mündlicher Bericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten vor. Ich frage, ob der Berichterstatter und das Haus damit einverstanden sind, daß dieser Bericht schriftlich zu den Akten gegeben werden kann. — Das Haus ist damit einverstanden.*)
Meine Damen und Herren, ich komme zur zweiten Beratung. Es handelt sich um einen internationalen Vertrag. Ich bitte die Damen und Herren, die Art. 1 bis Art. 5 und Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist einstimmig angenommen.
Ich komme zur
dritten Beratung.
Allgemeine Aussprache entfällt, Einzelaussprache ebenfalls. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Gesetz, das ich eben aufgerufen habe, in der Gesamtheit zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit. Da es sich um einen völkerrechtlichen Vertrag handelt, entfällt eine Schlußabstimmung.
Ich komme zu Punkt 9:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen über den Antrag der Abgeordneten Dr. Dr. h. c. Prinz zu Löwenstein, Walz, Trittelvitz, Seiboth, Schneider (Bremerhaven) und Genossen betreffend Reiseverkehr mit- dem Saargebiet (Drucksachen 334, 170).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Walz. Ich unterstelle, daß das Haus hier ebenfalls den Wunsch hat, daß der Bericht schriftlich zu den Akten gegeben wird.**) — Herr Abgeordneter Walz ist damit einverstanden, das Haus ebenfalls.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag des Ausschusses, Drucksache 334, zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Dieser Antrag ist einstimmig angenommen.
Ich komme zu Punkt 10:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, GB/BHE, DP betreffend Betriebskostenpauschale für freie Berufe .
Im Ältestenrat ist eine Vereinbarung darüber zustande gekommen, daß dieser Antrag ohne Ausschußüberweisung zur Abstimmung gestellt werden soll. Ich bitte die Damen und Herern, die dem Antrag Drucksache 418 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich stelle fest, daß dieser Antrag einstimmig angenommen worden ist.
Damit sind wir am Ende der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung — die 27. — auf Freitag, den 30. April, 9 Uhr, und schließe die 26. Sitzung.