Herr Kollege Naters, — —
— Verzeihen Sie, Herr Kollege Lütkens! Es ist eine wirkliche, eine echte Verwechslung; das hat gar nichts miteinander zu tun. — Ich antworte auf diese Frage sehr gern. Ich kann nur sagen, daß die Verhandlungen, die Herr van der Goes von Naters mit Regierungen geführt hat, außerhalb dessen waren, was ihm vom Allgemeinen Ausschuß der Beratenden Versammlung des Europarates zugewiesen war. Was er zunächst bei der Herstellung seines Berichtes getan hat, möchte ich davon ausnehmen. Ich bin nicht erfahren genug, um beurteilen zu können, welche Fühlungnahmen mit fremden Regierungen für den Berichterstatter des Allgemeinen Ausschusses erforderlich wurden, damit er seinen Bericht zustande bringen konnte. Das vermag ich nicht zu sagen. Aber daß alles, was er danach tat, ausschließlich auf sein eigenes und persönliches Risiko ging, das, Herr Kollege Lütkens, glaube ich doch feststellen zu können, ohne daß wir dabei in irgendeiner Weise der Wahrheit etwas abbrechen.
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir, noch ein Wort zu den Vorbehalten zu sagen. Ich fühle mich in dem, was ich in diesen Monaten, übrigens zum großen Teil mit der dankenswerten Unterstützung auch meines Kollegen Mommer, vertreten habe und zu vertreten mich bemühte, heute insoweit von dem Herrn Bundeskanzler bestätigt, als ich sagen kann, daß die Vorbehalte, die der Herr Bundeskanzler heute in seiner Erklärung dem Deutschen Bundestag vorgetragen hat, in teilweise wörtlicher Übereinstimmung mit den Vorbehalten stehen, die ich vor der Abstimmung des Allgemeinen Ausschusses in Paris vor einigen Tagen vorgebracht habe.
Ich habe gesagt, mein erster Vorbehalt richte sich dagegen, daß die Präambel von einer „endgültigen europäischen Lösung" spreche und daß damit die Präambel im Widerspruch zu dem Art. 1 des Vorschlags stehe, in dem die Verwandlung des Saargebietes in ein europäisches Territorium unter den Vorbehalt der Bestimmungen des Friedensvertrages oder einer an dessen Stelle tretenden Regelung gestellt wird. Ich habe gesagt, daß dies auch geschehen müsse, denn die Lösung der Saarfrage betreffe die deutschen Grenzen, da die Saar ein Teil Deutschlands ist. Es wird das Haus interessieren, zu hören, daß dieser Feststellung gar nicht widersprochen worden ist. Damit das Bild vollständig wird, muß ich aber auch hinzufügen, daß sie auch leider nicht bestätigt worden ist.
Es ist unbestritten, so habe ich weiter gesagt, daß die endgültige Festlegung der Grenzen Deutschlands bis zu einer zwischen Deutschland und seinen ehemaligen Gegnern frei vereinbarten friedensvertraglichen Regelung für ganz Deutschland aufgeschoben werden muß. Dieser Grundsatz
ist in Art. 7 des Vertrages über die Regelung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten ausdrücklich festgelegt. Eine Zustimmung der Bundesregierung stände in Widerspruch zu Art. 7 des Deutschlandvertrages. Ich muß deshalb insoweit einen ausdrücklichen Vorbehalt gegen den Art. 19 des van Naters-Planes anmelden.
Meine Damen und Herren! Diese Vorbehalte sind zur Kenntnis genommen worden, und Sie können sich darauf verlassen, daß wir sie auch dort zu vertreten wissen, wo das Thema erneut zur Debatte stehen wird, nämlich in der Beratenden Versammlung des Europarats.
Meine Kritiker von heute, Herrn Kollegen Ollenhauer wie Herrn Kollegen Pfleiderer, möchte ich noch auf eines hinweisen. Abgesehen von dem, was Herr Kollege von Merkatz hier so eindrucksvoll herausgestellt hat, nämlich daß es das natürliche Recht eines gewachsenen Volkes sei, jederzeit für seine Ganzheit einzutreten, — neben diesem natürlichen Grundrecht haben meine Kritiker sich unablässig auf den Deutschland-Vertrag berufen, auf denselben Vertrag also, den Herr Kollege Pfleiderer so sehr lange und so intensiv kritisiert hat
und den Sie, Herr Kollege Ollenhauer, abgelehnt haben.
Herr Kollege Pfleiderer wünscht das vorbehaltlose Engagement der Westalliierten für Gesamtdeutschland. Wir wünschen das auch, meine Damen und Herren. Wo in aller Welt steht denn aber etwas, was auch nur in diese Richtung anklingt, wenn nicht in der Präambel und in den Artikeln 2 und 7 dieses von ihm so lange kritisierten Deutschland-Vertrages? Man darf aber nicht nur solche Wünsche äußern, sondern wenn man schon solche Wünsche hat, dann muß man auch eine entsprechende Politik machen und den Mut haben, eine solche Politik zu verfechten, eine Politik, die davon lebt, daß sie die Kraft zu einem konstruktiven Ausgleich aufbringt, der doch nun einmal so, wie die Welt gebaut ist, Voraussetzung eines solchen Hand-in-Hand-Arbeitens, eines solchen Engagements ehemaliger Kriegsgegner ist.
Meine Damen und Herren! Die Kritik am Naters-nicht nur bei Sozialdemokraten von einiger Prominenz, die bedauerlicherweise in diesem Hause nicht vertreten sind, sondern auch bei Sozialdemokraten, die diesem Hause angehören, Anklänge an den ehemals von uns gemeinsam gepriesenen und bekannten Gedanken der europäischen Einigung gibt, wenn wir auch allmählich daran gewöhnt sind, daß man sagt: „Ja, aber nicht Klein-Europa!" Aber, meine Damen und Herren, so wie die Dinge stehen, sind nun einmal die Vertragsentwürfe und sind nun einmal die Verfassungsentwürfe der Adhoc-Versammlung über die Europäische Politische Gemeinschaft das einzige, was konkret diesem Gedanken in Deutschland, in Europa heute Gestalt, Form und überhaupt praktische Diskussionsmöglichkeit verschafft. Deshalb würde ich doch empfehlen, daß man damit etwas vorsichtiger umgeht als so, wie es mein lieber Freund Pfleiderer mit „Des Knaben Wunderhorn" getan hat unter Berufung auf einen anderen Brentano als den, der zu unserer Freude hier vor uns sitzt.
Plan hat sich weiter auf den Punkt bezogen, von dem ich allerdings auch n a c h der langen Kritik von heute nachmittag der Meinung bin, daß er der weitaus konstruktivste ist, nämlich auf das Junktim von Saar-Lösung und Europäischer Politischer Gemeinschaft. Eigentlich sind zu meinem Bedauern Herr Ollenhauer und Herr Pfleiderer auch hier einig in der Ablehnung der bis jetzt einzigen konkreten Gestalt der Europäisierung, d. h. der Vereinigung Europas. Ich stelle immer wieder zu meinem eigenen Trost fest, daß es hin und wieder
Meine Damen und Herren, vom Zustandekommen der Europäischen Politischen Gemeinschaft, von ihrem Sein oder Nichtsein wird es schließlich und endlich abhängen, ob die weitaus größte und mächtigste Idee in diesem von Kriegen und Elend heimgesuchten Kontinent nach zwei Weltkriegen Gestalt gewinnt
oder ob wir wieder zurückfallen in die politischen Albernheiten des letzten, des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Der ganze Charme meines Kollegen Pfleiderer kann mich nicht davon überzeugen, daß diese Weisheit der intergouvernementalen Koalition eben doch der beste Weg für Europa sei. Wenn ich mir einen Witz erlauben dürfte, würde ich sagen: er wird doch nicht denken, daß die Diplomaten arbeitslos werden könnten, wenn es zu einer europäischen Föderation kommt.
Selbstverständlich werden die Methoden der internationalen, insbesondere der europäischen Zusammenarbeit etwas anders werden als die der klassischen Auswärtigen Ämter, die im 19. Jahrhundert so schön herangewachsen sind und dann zwei Weltkriege in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit ihrer brillanten Arbeit nicht zu verhindern wußten. Diese Dinge werden ein wenig anders werden.
Im übrigen: was nützen uns eigentlich heute überhaupt Ausflüge in diese Integrationsdebatte? Meine Damen und Herren, sie nützen folgendes. Wenn ich recht verstanden habe, ist sowohl der Herr Kollege Ollenhauer wie der Herr Kollege Pfleiderer der Meinung, daß es doch besser sei, den Status quo an der Saar, so schlecht er ist — ganz gewiß, sie sind beide nicht der Meinung, daß er gut ist, im Gegenteil, sie sind mit uns der Meinung: „So schnell wie möglich weg von ihm!" —, bestehen, ja ihn zementieren zu lassen bis zu einem Friedensschluß,
als unter dem Aspekt der europäischen Einigung zu einem Kompromiß zu kommen.
Ganz gewiß zu einem Kompromiß; denn, meine Damen und Herren, wenn wir tun könnten, was wir wollten,
dann, glaube ich, würden wir uns über die Saar wenigstens nicht mehr sehr lange streiten.
Außerdem, meine Damen und Herren, möchte ich doch einmal auf diese Binsenwahrheit hinweisen dürfen: Es sieht gelegentlich so aus, als ob eigentlich w i r dieses Saarelend sozusagen in dieser Gestalt hingedreht hätten.
Wo kommt es denn her? Neulich hat irgendeiner, den ich sonst als einen klugen Mann schätze, gesagt, es sei ein Musterstück, eine Paradeleistung der französischen Diplomatie. Meine Damen und Herren, es ist weder ein schuldhaftes Unterlassen von uns — gar keine Rede davon! —, noch ist es ein Glanzstück der französischen Diplomatie, was heute an der Saar ist, sondern es ist zunächst und in erster Linie eine ganz erbärmliche Folge des von Adolf Hitler zu verantwortenden zweiten Weltkrieges.
Wenn man sich das vor Augen hält, — —
— Also schreien Sie doch ruhig noch ein bißchen; dann kann ich mich inzwischen erholen!