Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf mir in meiner Eigenschaft als Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages eine Bemerkung vorweg erlauben, die sich auf die Kritik bezieht, die der Herr Fraktionsvorsitzende der SPD heute vormittag daran geübt hat, daß die Sitzung des Auswärtigen Ausschusses gestern abgesagt werden mußte. Meine Damen und Herren, ich bedauere mit Herrn Ollenhauer, daß die Sitzung des Auswärtigen Ausschusses gestern abgesagt werden mußte. Es ist aber eine gute Übung in diesem Hause, daß, wenn große Fraktionen darum bitten,
dem Wunsch nach Möglichkeit entsprochen wird. Ich darf daran erinnern, daß der Herr Fraktionsvorsitzende der SPD in einer der vorletzten Sitzungen ebenfalls um Vertagung gebeten hat und daß ich diesem Wunsche entsprochen habe. Ich bedauere, daß es mir infolge der Anwesenheit in Paris in der Sitzung des Allgemeinen Ausschusses des Europarats nicht möglich war, die Mitteilung selber zu lesen und sie selber hier abzuverfügen. Sie hätten sonst auch die Gründe gehört.
— Es gab keine Vereinbarung, sondern eine Entscheidung auf Grund einer Bitte, die von der CDU/ CSU-Fraktion genau so wie seinerzeit die Bitte der SPD-Fraktion an mich herangetragen worden war.
— Dafür gab es eine Begründung, eine zwingende Aussprache in der Fraktion für die heutige Sitzung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich damit zum Thema des Tages kommen. Nach einer neunstündigen Debatte wird es unmöglich, die Vielfalt der Gesichtspunkte noch einmal zu berühren. Ich habe auch nicht den Ehrgeiz, das hier zu tun. Aber es gibt in dieser Debatte eine solche Serie von Mißverständnissen, ja, von Mißdeutungen in einer Art, daß man sich fragt, ob sie noch unter dem Begriff der Gutwilligkeit verstanden werden können.
Dazu gehört, daß uns hier nicht nur von einer, sondern von mehreren Seiten geradezu unterstellt worden ist, wir hätten ein Junktim, eine Koppelung, eine Verbindung zwischen der EVG-Ratifizierung und der Saar von unserer Seite gesucht oder angestrebt.
Abgesehen von dem Blödsinn, der darin liegt, möchte ich mir doch erlauben zu sagen, daß wir eine solche Verbindung von Anfang an bekämpft haben.
Wir haben es für ein Unglück gehalten, daß die damalige französische Regierung beim Abschluß ihres Staatsbesuches in Washington solche Verlautbarungen wie die in die Welt gesetzt hat, sie beabsichtige, die Saarlösung vor der Ratifizierung des EVG-Vertrages in ihrem Parlament zu klären. Wir haben das nicht nur bedauert, sondern wir haben das für ein Unglück gehalten. Ich scheue mich gar nicht, das hier zur Steuer der Wahrheit heute einmal mit Nachdruck auszusprechen.
Es ist eine unzumutbare Unterstellung; denn was an uns ist — und zufällig weiß ich auch, was in dieser Sache an der Bundesregierung war —, so haben wir dieses Junktim immer mit größtem Nachdruck abgelehnt. An der witzigen Rede meines Freundes Pfleiderer ist mir das eine unverständlich, wie er auch nur von der fernsten Ferne auf die Idee kommen konnte, daß in diesem Junktim unter dem einen oder andern unerfindlichen Gesichtspunkt für uns irgend etwas zu gewinnen wäre. Ich wiederhole: Wir haben das für ein Unglück gehalten. Wir haben es auch aus anderen Gründen, von denen ich glaube, daß sie zwingende Rechtsgründe sind, von Anbeginn an abgelehnt, und wir lehnen es auch heute ab. Wir sind nämlich der Meinung, daß das Junktim zwischen der EVG und der Saarlösung für dieses Haus deshalb unzumutbar ist, weil man uns, wenn man so etwas auf der andern Seite im Auge gehabt hat, bei der Unterzeichnung spätestens nach der Unterzeichnung der Verträge darüber hätte unterrichten müssen, daß ein anderer Partner nur unter der Bedingung zu ratifizieren gedenke, daß auch die Saar in irgendeiner Weise in die Lösung mit hineingenommen werde. Davon kann aber gar keine Rede sein. Niemand hat uns das gesagt, und wenn man es uns gesagt hätte, dann hätte ich widerraten, darauf einzugehen. Wir stehen also insoweit heute in einer völlig freien Situation und mit reinstem Gewissen vor dem deutschen Volk und vor dem Bundestag. Das Junktim zwischen EVG und Saar haben wir nicht erfunden. Wir haben es von Anfang an bekämpft und bekämpfen es auch heute noch.
Es ist auch gar kein Junktim. Passen Sie auf, Herr Kollege Mommer, was ich jetzt sage: Es ist gar kein Junktim, es ist nur der einseitige Versuch, uns eine Bedingung zu stellen für einen ungewissen Debattenausgang. Meine Damen und Herren, wenn Sie uns für etwas nicht halten sollten, dann sollten Sie uns nicht für Träumer halten. Wir sind keine Träumer und keine Illusionisten, und deshalb sind wir auch nicht der Meinung, daß, selbst wenn wir darauf eingehen würden, dabei irgend etwas gewonnen werden könnte. Damit kann nichts gewonnen werden. Es sind innerfranzösische Schwierigkeiten, mit denen sich die französische Regierung und das französische Parlament auseinandersetzen müssen, nicht aber wir. Nicht wir haben uns damit auseinanderzusetzen, unter welchen Bedingungen und wann endlich sie die Frage zur Entscheidung bringen, ob und wann sie den unterzeichneten EVG-Vertrag ratifizieren. Daß wir uns auf eine Art Junktim einlassen, auf eine Bedingung eingehen für eine Sache, von der wir noch nicht einmal wissen, wie denn die Debatte schließlich ausgeht, — meine Damen und Herren, unterschätzen Sie uns doch wenigstens nicht in dieser Weise!
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich muß aber zu meinem großen Bedauern den von mir persönlich sehr verehrten Herrn Kollegen Ollenhauer doch noch einmal angreifen, und zwar wegen einer Feststellung, die er heute morgen getroffen hat und die wir einfach so nicht auf uns sitzen zu lassen bereit sind, weil sie der Wahrheit widerspricht. Herr Kollege Ollenhauer hat wörtlich gesagt, die Bundesregierung habe sich nicht nur von dem andern Partner die Frage stellen lassen, sondern sie sei auch bereit, sie so zu beantworten, wie der andere Partner sie stellt. Es fehlte nur noch, daß er gesagt hätte: sie so zu beantworten, wie der andere Partner sie beantwortet haben will!
— Ich habe zugehört, Herr Kollege Dr. Arndt. Ich habe mir das Protokoll geben lassen, Herr Kollege Arndt.
— Aber gewiß: ich habe mir das Protokoll geben lassen!
Er hat gesagt, daß sie — nämlich die Bundesregierung — auch bereit sei, die Frage so zu beantworten, wie der andere Partner sie stellt. Meine Damen und Herren, das ist genau nicht der Fall. Übrigens kann jedes Mitglied des Europarats, das die Debatten in Straßburg oder in Paris verfolgt hat, das bestätigen. Wir wären mit dem heute so viel zitierten Naters-Plan in einer völlig anderen Situation, wenn nur etwas von dem wahr wäre, was Herr Kollege Ollenhauer hier gesagt hat. Wenn wir lediglich eingegangen wären auf die Fragestellung der französischen Regierung und wenn der Herr Bundeskanzler auch nur im entferntesten bereit gewesen wäre oder sich bereit gezeigt hätte, die Antwort zu geben, die die Herren am Quai d'Orsay zu hören wünschten, dann, meine Damen und Herren, würde es um den Naters-Plan etwas anders bestellt sein. Dann würde die Situation auch in mancher Hinsicht anders sein. Ich sage nicht, daß die Situation befriedigend wäre; ich sage nur, daß sie anders wäre. Das ist aber nicht der Fall.
Es muß auch einmal frei ausgesprochen werden
— warum eigentlich nicht? —, daß mit der Vereinbarung vom 9. März in Paris, mit diesem Kommuniqué es jedenfalls in den Wochen danach nicht ganz so exakt bestellt war, wie wir es im Anfang vielleicht annehmen durften. Es hat sich nämlich herausgestellt, daß sich der Quai d'Orsay mitnichten, jedenfalls bis jetzt nicht, bereit gefunden hat, den in diesem Hause so sehr kritisierten Naters-
— Plan im Ernst als Grundlage für eine beabsichtigte europäische Saarlösung entgegenzunehmen. Das hat der Quai d'Orsay — ich kann nur sagen: zu meinem Bedauern — bis jetzt nicht getan, sondern der Herr Staatssekretär im Quai d'Orsay hat einen anderen Vorschlag gemacht. Dieser andere Vorschlag ist noch etwas anderes als eine bloße Interpretationsverschiedenheit zum Naters-Plan. Das ist etwas qualitativ anderes, und heute geht der Streit darum. Die sogenannten bilateralen Verhandlungen scheinen mir deshalb so schwierig zu sein, weil man in Tat und Wahrheit von ganz verschiedenen Standpunkten und Grundlagen ausgeht und weil offenbar diese Situation noch nicht bewältigt ist. Wenn es so ist, dann darf man doch auch hinzufügen, was neulich ein scharfsinniger französischer Journalist bei einer Pressekonferenz, die M. Guy Mollet abgehalten hat, im Chateau de la Muette gesagt hat: es stelle sich also offensichtlich heraus, daß der jetzt vom Allgemeinen Ausschuß des Europarats verabschiedete Naters-Plan, vielleicht zum Unterschied zur ursprünglichen Gestalt des NatersPlans, doch viel mehr und weit stärker den deutschen Gesichtspunkten, die auch vom Bundeskanzler und der Bundesrepublik Deutschland verfochten worden seien, Rechnung trage als den Erfordernissen, von denen der Quai d'Orsay bis jetzt ausgegangen sei. Die Frage, die an M. Guy Mollet anschließend noch gestellt wurde, war die, ob er meine, daß das französische Parlament auf Grund dieses Naters-Plan-Vorschlags bzw. dieses Europarats-Vorschlags seine dritte Bedingung für die Ratifizierung der EVG als erfüllt ansehe oder
nicht. Was hat M. Guy Mollet darauf geantwortet? Der Mann soll gelobt werden! Er hat gesagt: „Ich gehöre nicht zu denen, die diese Vorbedingungen gestellt, gefordert und vertreten haben. Richten Sie diese Frage an diejenigen, die diese Bedingung gestellt haben, nicht an mich; ich gehöre nicht zu ihnen!" Auch solche Männer gibt es im französischen Parlament.
Ich kann also nur darauf aufmerksam machen, daß jedenfalls die Annahme, von der dieser Teil der Ausführungen des Herrn Kollegen Ollenhauer ausgegangen ist, grundlegend irrig ist. Es ist kein Geheimnis, daß die politische Substanz des Naters-
Plans die Anwendung des europäischen Integrationsgedankens auf eine der bestehenden aktuellen Hauptschwierigkeiten zwischen Deutschland und Frankreich ist.
In der heutigen neunstündigen Debatte
ist unendlich viel gesagt worden, um uns gegenseitig stark zu machen in der Überzeugung, daß wir wirklich einen Rechtsanspruch auf die Saar haben. Ich möchte eigentlich wissen, für wen in diesem Hause das zu sagen unerläßlich ist. Diese Frage ist völlig unbestritten. Wir reden den ganzen Tag in diesem Sinne, denn wir haben niemals die Entschließung vom 2. Juli an irgendeinem Punkt verlassen. Wir sind bei allem davon ausgegangen, daß die Saar ein Bestandteil Deutschlands, um es genau zu sagen, ein Bestandteil des Deutschen Reiches ist. Ich möchte mir zu dem, was die beiden Herren hier von der Saar gesagt haben, in diesem Zusammenhang zu bemerken erlauben — in der Hoffnung, daß der saarländische Rundfunk nicht abgeschaltet ist oder jedenfalls die deutschen Rundfunksendungen an die Saar kommen —, daß wir großen Respekt und alle Achtung vor der Reichstreue der Saarländer haben, denen die uneingeschränkte politische Bewegungsfreiheit bis zum heutigen Tage, Gott sei es geklagt, versagt ist.
Aber was haben wir denn eigentlich von Anfang an getan, als dafür gekämpft, daß diese Bewegungsfreiheit eingeräumt wird? Im Europarat ging es damit los. Es gibt das Dokument Nr. 60, das nicht nur die Sozialisten unterschrieben haben — das ist wahr —, sondern das wir Deutschen alle miteinander unterschrieben haben und in dem wir gesagt haben, daß sich die Beratende Versammlung des Europarates damit befassen möge, daß endlich an der Saar die uneingeschränkte Gewährung der politischen Grundrechte hergestellt wird, d. h. daß der verdammte Lizenzzwang endlich einmal falle. Das ist wahr; aber das ist nicht alles.
Es gibt auch das Dokument Nr. 54, Herr Kollege Ollenhauer, und damit fing die Geschichte des sogenannten Naters-Plans an. Der Herr Bundeskanzler hat mit seinen heutigen Feststellungen ganz recht gehabt. Darauf kam nämlich im Europarat der Antrag, über das zukünftige Statut der Saar zu verhandeln, sich im Europarat Gedanken zu machen nicht nur darüber, wie der Lizenzzwang für politische Parteien schleunigst beseitigt werden könnte, sondern sich auch Gedanken darüber zu machen, wie das zukünftige Statut, die zukünftige Position — la position future de la Sarre — aussehen solle oder könne. Das, meine Damen und Herren, steht in dem Antrag an die Beratende Versammlung, Dokument Nr. 54, vom 17. September 1952. Ich kann Ihnen nicht helfen, es ist unterzeichnet nur von Sozialisten. Es finden sich darunter die Namen unserer Kollegen Altmaier, Nölting, Krahnstöver. Kalbitzer, Paul, Erler, Schmid usw. Die anderen sind
Franzosen. Damit begann die Geschichte mit dem Naters-Plan zu Straßburg im Europarat und nicht mit einer Initiative von uns.
Man muß das einfach einmal zur Steuer der Wahrheit feststellen.
Nachdem uns das beschieden war, war es ganz natürlich, daß auch dieser Antrag, der an die Beratende Versammlung des Europarates eingereicht wurde, ordnungsmäßig an den Allgemeinen Ausschuß weiterging. Der Allgemeine Ausschuß hat beide Dinge miteinander verknüpft. Meine beiden Kollegen Mommer und Pfleiderer werden mir bestätigen, daß wir unsererseits, soweit wir an diesem Tisch dort überhaupt etwas zu erreichen vermochten, immer wieder versucht haben, die Frage der Freiheitsrechte an der Saar in den Vordergrund zu bringen. Wir haben einen gemeinsamen Antrag eingebracht, dem Entwurf von van der Goes van Naters ein neues Kapitel 1 voranzustellen, in dem nichts anderes stehen sollte, als daß unbefristet und ohne alle weitere Kautelen der Lizenzzwang für politische Parteien an der Saar aufgehoben werden soll. Es ist wahr — der Kollege Pfleiderer hat darauf hingewiesen, ich stehe auch dazu —, ich habe nicht nur in Paris mit Unterstützung der Kollegen Mommer und Pfleiderer, sondern auch in London im Unterausschuß alles getan, was überhaupt möglich war, um die Beseitigung des Lizenzzwanges zu erreichen. Ich kann bestätigen, daß ich dabei immer wieder auf die Unterstützung der Bundesregierung gestoßen bin, daß ich sie überall im diplomatischen Bereich gefunden habe. Man kann uns deshalb keinen Augenblick nachsagen, daß von deutscher Seite nicht alles, was überhaupt denkbar und möglich war, geschehen ist, um diesen Skandal an der Saar zu beenden. Es ist ein Skandal, daß an der Saar einerseits die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte unterzeichnet und ratifiziert wurde und daß es auf der andern Seite ein Gesetz wie dieses Gesetz über die Zulassung der Parteien mit dem Art. 2 gibt, wo mit einem Gaunertrick die Grundrechte wieder eingeschränkt werden. Aber es kann nicht der mindeste Zweifel darüber sein, daß hier nicht nur eine einhellige deutsche Auffassung bestand, sondern auch einhellig, gemeinsam operiert wurde und daß wir dabei jederzeit in allen Punkten und auf allen Ebenen, die überhaupt in Betracht kamen, die volle Unterstützung der Bundesregierung hatten.
Trotzdem müssen wir uns, solange wir uns im Bereich der Demokratie befinden, mit Mehrheitsentscheidungen, in diesem Falle — Gott sei es geklagt — mit sehr traurigen Mehrheitsentscheidungen abfinden. Die letzte Mehrheitsentscheidung in Paris, als wir den Antrag von London erneut vorbrachten, war die, daß wir Deutschen gegen alle anderen allein geblieben sind, allerdings zugunsten eines sehr gut gemeinten, eines wirklich redlich gemeinten Vermittlungsvorschlages des dänischen Sozialisten Jacobsen, der aber unseren grundsätzlichen und praktischen Forderungen bei weitem nicht zu genügen vermochte. Auch das muß hier einmal ausgesprochen und klar herausgestellt werden. Es kann keine Rede davon sein, daß wir deshalb, weil wir in diesem Punkte von einer großen Mehrheit geschlagen worden sind, die gegen uns stand, nicht unsererseits alles getan hätten, was überhaupt in unserer Kraft ist.