Meine Damen und Herren, ich darf zunächst eine kleine Korrektur an der Darstellung des Herrn Kollegen Menzel über die Beratungen des Ältestenrates anbringen.
Es hat im Ältestenrat Einmütigkeit darüber bestanden, daß diese Punkte in getrennten Ziffern der Tagesordnung untergebracht werden sollen.
— Gern! — Über die Frage, ob gemeinsam diskutiert werden sollte, bestand im Ältestenrat keine Einmütigkeit.
— Herr Abgeordneter Menzel, es steht mir nicht zu, den Sinn von Entscheidungen des Ältestenrates, die gar nicht gefällt worden sind, zu erläutern.
Es wird der Antrag gestellt, der nach § 28 möglich ist,
getrennte Punkte der Tagesordnung gleichartigen oder verwandten Charakters zu verbinden.
Die Meinungsverschiedenheit im Hause besteht
darüber, ob es sich um verwandte Gegenstände
handelt oder nicht. Da ich nicht imstande bin,
diese Frage von mir aus zu entscheiden, und da
der Ältestenrat zu keiner Einmütigkeit darüber gekommen ist, bleibt offenbar nichts anderes übrig, als das Parlament selbst darüber entscheiden zu lassen. Im übrigen, meine Damen und Herren. besteht der Unterschied nach meiner Überzeugung nur darin, ob die Begründung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD, Punkt 3 a der Tagesordnung, vor oder nach der Antwort des Herrn Bundeskanzlers erfolgt.
Das ist faktisch der einzige Unterschied.
Ich kann also nicht anders, als den Antrag, den der Abgeordnete Dr. von Brentano gestellt hat, gemäß § 28 der Geschäftsordnung die Punkte 2 und 3 der Tagesordnung zu verbinden, zur Abstimmung zu stellen. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrage zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; die Verbindung dieser Punkte ist beschlossen.
Ich habe dann zu fragen: Wünscht die Fraktion der SPD ihre Große Anfrage — Punkt 3 a - und ihren Antrag — Punkt 3 b — jetzt zu begründen? Wer wünscht, sie zu begründen? - Bitte schön, Herr Abgeordneter Dr. Deist.
Dr. Deist , Anfragender: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben in der Großen Anfrage ganz bestimmte wirtschaftspolitische Fragen gestellt. Da wir den Wunsch haben, wie das eben zum Ausdruck gekommen ist, daß darauf auch klare, wirtschaftspolitisch betonte Antworten gegeben werden, darf ich mich darauf beschränken, die Fragen unter rein wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten zu erläutern und gewisse allgemeine Gedanken dazu zu äußern, die unseres Erachtens für die Beantwortung der Anfrage von Bedeutung sind.
Die Meinungsbildung über die wirtschaftlichen Auswirkungen und über die wirtschaftspolitische Bedeutung der Montan-Union hat sich im Laufe der letzten Monate und Jahre in Deutschland wesentlich gewandelt. Es hat sich nämlich herausgestellt, daß das Problem der Montan-Union Fragen wirtschaftlicher Art und wirtschaftspolitischer Bedeutung aufwirft, die bei der Beschlußfassung über die Montan-Union als einem politischen Bekenntnis zweifellos nicht mit der genügenden Ernsthaftigkeit beurteilt worden sind.
Zum Beweise dessen darf ich auf einige wichtige Äußerungen der letzten Zeit hinweisen. Einer der maßgeblichen Männer der deutschen Eisen- und Stahlindustrie, Herr M o m m s e n von den Klöckner-Werken, hat am 7. Januar 1954 in Essen in einer Rede, in der er den Herrn Bundeswirtschaftsminister persönlich ansprach, folgendes gesagt:
Es muß hier auch einmal ausgesprochen werden, daß wir inzwischen genügend Opfer gebracht haben.
Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Herr Berg, hat verhältnismäßig hörbar die Tür des Beratenden Ausschusses der Montan-Union hinter sich zugeworfen, so daß der Vizepräsident der Montan-Union, Herr Etzel, nach Deutschland zitiert werden mußte, um die Wogen etwas zu glätten. Ich darf schließlich auf eine dritte Äußerung, die Äußerung eines nicht unmaßgeblichen Herrn der deutschen Wirtschaft, hin-
weisen. Es war Herr Präsident Abs , der als Aufsichtsratsvorsitzender des Dortmund-Hörder Hüttenvereins folgendes sagte, nachdem er die Entwicklung in der deutschen Eisen- und Stahlindustrie und im deutschen Kohlenbergbau untersucht hatte:
Man könnte auf den Gedanken kommen, daß die Idee der Montan-Union nicht von den Montan-Unions-Ländern, sondern von ihren Konkurrenten gekommen ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, warum bringe ich diese Zitate? Ich bringe sie nicht, weil wir das Bedürfnis hätten, nachzuweisen, daß die Sozialdemokratie mit ihren Argumenten recht behalten hätte; denn die wirtschaftlichen Tatsachen an Rhein und Ruhr und diese prominenten Zeugen reden eine so deutliche Sprache, daß wir eine Erörterung darüber nicht mehr notwendig haben. Aber wenn wir das Problem der wirtschaftspolitischen Integration über die Montan-Union hier behandeln, so tun wir das aus einer echten Sorge heraus. Wir tun es aus der Sorge heraus, daß der Gedanke der europäischen Verständigung und der Gedanke der europäischen wirtschaftlichen Zusammenarbeit, die ja nicht nur auf dem Wege über die Montan-Union vor sich geht, Not leiden müssen. ,Denn wenn es nur dazu kommt, daß aus dieser Montan-Union letzten Endes lediglich ein Montankartell der Art wird, wie wir es vor dem zweiten Weltkrieg in der Internationalen Rohstahlgemeinschaft gehabt haben, wenn sie sich darauf beschränkte, die Verkaufsgebiete abzugrenzen, die Preise je nach der Konjunkturlage herauf- oder herunterzusetzen, Quoten festzusetzen, dann wäre das ein Rückschritt, der der Idee der europäischen Verständigung und der europäischen wirtschaftlichen Zusammenarbeit nicht nützlich wäre.
Zur Begründung der Anfrage darf ich auf einige wichtige Tatsachen hinweisen, ohne zunächst Konsequenzen aus ihnen zu ziehen. Meine Damen und Herren, die Rohstahlproduktion hat sich vom Jahre 1952 zum Jahre 1953 wie folgt verändert. In Großbritannien ist sie von 16,7 Millionen auf 19,7 Millionen t gestiegen.
Im Ostblock ist sie von 47,2 Millionen auf 53,8 Millionen t gestiegen.
In der Montan-Union ist sie von 41,8 Millionen auf 39,7 Millionen t gesunken,
und in Deutschland ist sie entsprechend von 15,8 Millionen auf 15,4 Millionen t gesunken.
Meine Damen und Herren, ich bin noch gar nicht bei den Konsequenzen, sondern nur bei der Feststellung realer, unbestreitbarer Tatsachen. Diese Diskrepanz der Entwicklung zwischen England und Deutschland hat sich in den Monaten Januar bis März 1954 fortgesetzt. In Großbritannien ist die Rohstahlerzeugung in den ersten drei Monaten 1954 gegenüber den ersten drei Monaten
1953 um 400 000 t gestiegen, während sie in Deutschland in der gleichen Zeit um 150 000 t gesunken ist.
Das rührt an eines der wichtigsten Probleme der Montan-Union. Es hängt nämlich mit folgendem merkwürdigen Tatbestand zusammen. Genau so wie in England stellen wir auch in Deutschland eine steigende Produktion der Eisenverarbeitung fest. Infolgedessen müßte Deutschland auch einen steigenden Eisenverbrauch und eine steigende Eisen- und Stahlerzeugung haben. Frankreich hat demgegenüber eine rückläufige Konjunktur und daher eine rückläufige Eisen- und Stahlverarbeitung, darum hat es auch einen rückläufigen Eisenverbrauch.
Es liegt nun im Wesen der Montan-Union, daß sich solche konjunkturellen Schwächen in der Wirtschaft eines Landes über die Eisen- und Stahlerzeugung und über den Kohlenbergbau in allen beteiligten Ländern auswirken und dort depressive Erscheinungen hervorrufen. Das ist ein Problem, mit dem wir uns zu befassen haben, wenn wir nicht an ihm vorbeigehen wollen, ein Problem, das die Montan-Union aufwirft.
In der Steinkohle wirkt sich die schwankende Konjunktur im Hinblick darauf, daß sich die Förderung der steigenden oder sinkenden Nachfrage nur schwer anpassen kann, in stärkerem Umfang in der Beständeentwicklung aus. Gerade im Hinblick auf Anwürfe, die in der Presse erschienen sind und die besagten, ich hätte mir die Zahlen wohl nicht genau angesehen, möchte ich diese Zahlen, weil ich sie sehr genau kenne und auch kannte, hier wiedergeben. Wir haben an der Ruhr 3,8 Millionen t Koks und 1,2 Millionen t Kohle auf Halde liegen. Wenn ich den Koks auf Kohle umrechne, sind das etwa 6 Millionen t Kohle. Das ist eine Förderung von 2 bis 2 1/2 Wochen und bedeutet schon ein erhebliches Anwachsen der Bestände an der Ruhr, die letzten Endes, jedenfalls zu einem Teil, auf die Schwäche der Eisen-und Stahlkonjunktur in Deutschland zurückzuführen sind.
Aber damit hängt noch ein anderes wirtschaftspolitisches Problem zusammen. Bei den Koksbeständen handelt es sich nicht nur um solche, die für die Eisen- und Stahlerzeugung in Frage kommen, sondern auch um für andere Zwecke vorgesehene Koksbestände. Damit erhebt sich das Problem konkurrierender Energiequellen, sei es Öl, seien es Gas oder Elektrizität. Auch dieses Problem müssen wir im Gesamtrahmen der Montan-Union sehen.
Die Folgen für den Eisenerzbergbau haben wir aus Anlaß der Etatberatung besprochen; ich brauche hier darauf nicht zurückzukommen. Ich möchte nur ergänzend bemerken: die Eisenerzerzeugung ist in der gesamten Montan-Union in den Jahren 1952/53 um 5 bis 6 % zurückgegangen. Dieser Rückgang trifft ausschließlich den deutschen und den luxemburgischen Eisenerzbergbau, während die Förderung des französischen Eisenerzbergbaus weiterhin gestiegen ist.
Ich erwähne dies zunächst nur als Tatbestand, den jeder, der die Probleme der Montan-Union zu behandeln wünscht, zunächst zur Kenntnis zu nehmen hat.
Ich komme dann zu einem zweiten Fragenkreis, der die Frage der Startgleichheit umfaßt. Sie werden sich entsinnen, daß die sozialdemokratische Fraktion bei der Beratung des Montan-Vertrags im Jahre 1952 beantragt hatte, die Annahme dieses Vertrags mit bestimmten Vorbehalten zu versehen und diese den Vertragspartnern mitzuteilen. Die wesentlichen Punkte dieser Vorbehalte waren, die Bundesregierung sollte ein Investitionsprogramm aufstellen, um den Investitionsrückstand in der Eisen- und Stahlindustrie und im Kohlenbergbau zu beseitigen. Ferner sollte die Bundesregierung eine Neuordnung zur Beseitigung der Nachteile aus Gesetz Nr. 27 auf gesetzlichem Wege vornehmen. Die Mehrheit des Hauses hat damals geglaubt, diesen Antrag ablehnen zu müssen. Es wurde nur eine Resolution angenommen, in der das Verlangen nach einer Revision der Neuordnung fehlt. Aber immerhin waren zwei Gesichtspunkte in dieser Entschließung, die vom Bundestag angenommen wurde, von Bedeutung. Das erste Ersuchen verlangte, dafür Sorge zu tragen, daß im Rahmen des Vertrags eine brauchbare Kohlenverkaufsorganisation aufrechterhalten würde; und das zweite Ersuchen ging dahin, die Bundesregierung möge dafür sorgen, daß die notwendigen Investitionen gesichert würden. Die Mehrheit des Hauses hat damals geglaubt, mit einer solchen Resolution und solchen Wünschen könne man, wie es in der Einleitung der Entschließung hieß, „volle Gleichberechtigung und beste Wettbewerbsmethoden" herbeiführen.
Die Frage der Startgleichheit ist dann sofort bei Eröffnung des Gemeinsamen Marktes für Eisen und Stahl — ich glaube, es war im Mai des vergangenen Jahres — an dem sogenannten Steuerstreit entstanden. Es tut mir leid, dieses Problem hier anrühren zu müssen, weil ich den Eindruck habe, daß sich in gewissem Umfang eine Verschwörung des Schweigens um dieses Problem gebildet hat.
— Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie werden mir ja gestatten, daß ich meine eigene Auffassung über bestimmte Probleme habe; erst das erleichtert ja die Diskussion und macht sie fruchtbar.
Worum ging es denn bei dieser Frage des Steuerstreits? Es ging doch darum, daß der Montan-
Union-Vertrag davon ausgeht: alle Beschränkungen beim Übergang von Eisen, Stahl und Kohle von einem Land in ein anderes Land der Montan-Union werden beseitigt. Infolgedessen fallen Zölle und Kontingente weg, und infolgedessen dürfen keine gebrochenen Frachtentarife mehr angewandt werden. Alles muß frei über die Grenze gehen; es darf keine Beschränkungen mehr geben.
Aber eine Beschränkung blieb: wenn französischer Stahl z. B. nach Deutschland kommt, tritt durch die Rückerstattung der Produktionssteuer eine Ermäßigung um 16,5 % ein; in Deutschland wird dieser Stahl mit — ich glaube 4% — Umsatzsteuer belastet. Umgekehrt erhalten deutsche Erzeugnisse, wenn sie nach Frankreich gehen, in Deutschland zwar eine Umsatzsteuerrückerstattung von 4 bis 6%, werden aber drüben sofort mit 16 bis 17% Produktionssteuer belastet. Wir waren uns in diesem Hause alle darüber einig, daß eine solche Praxis dem Gedanken des Gemeinsamen
Marktes nicht entspricht und eine Diskriminierung der deutschen Industrie darstellt. Deshalb wurde auch seinerzeit ein Gesetz angenommen, durch das die Bundesregierung ermächtigt wurde, die Umsatzausgleichsteuer auf Einfuhren von Halbfabrikaten und Fertigstoffen — also auch auf französischen Stahl — mit 12 % zu erheben, um einen gewissen Ausgleich herbeizuführen. Damals ist es nicht zur Anwendung dieser Bestimmung gekommen, weil die Bundesregierung darauf vertraute, daß man in Verhandlungen mit den übrigen Ländern zu einer Lösung dieses Problems kommen würde. Die Lösung sollte zunächst bis Ende 1953 erfolgen. Wenn ich nicht irre, hat man sich inzwischen geeinigt, daß sie zum Juni 1954 erfolgt sein sollte.
Unsere Frage an die Bundesregierung geht dahin: Was ist im Hinblick auf den Steuerstreit in der Zwischenzeit geschehen? Ist die Bundesregierung bereit, diese gesetzliche Maßnahme anzuwenden, oder hat sie weiterhin die Hoffnung, daß es zur Beseitigung dieser Diskriminierung kommt? Irgendeine Maßnahme müßte doch wohl von der Bundesregierung ergriffen werden.
Ich komme zu dem zweiten Problem, das ich angeschnitten habe, zu dem Problem der Investitionen. Die Entschließung der Sozialdemokratie wie auch die Entschließung der Koalitionsparteien hat auf dieses Problem ganz besondes hingewiesen. Ich glaube, nicht falsch unterrichtet zu sein, wenn ich erkläre, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister auf das Problem ungenügender Investitionen in der deutschen Grundstoffindustrie später noch von den verschiedensten Seiten, wenn ich mich nicht sehr irre, auch aus den Kreisen des Wirtschaftspolitischen Ausschusses des Bundestages angesprochen worden ist. Ich beschränke mich jetzt wieder auf Feststellungen. In den beiden Jahren 1952 und 1953 haben die Investitionen folgende Entwicklung genommen. Ich beziehe mich hierbei auf die Aufstellung der Hohen Behörde, die diese auf Grund der Meldungen der einzelnen Länder offiziell herausgegeben hat. Die Angaben stimmen mit den Aufstellungen und Meldungen, die man in Deutschland findet, im wesentlichen überein. In Deutschland sind im Laufe der letzten zwei Jahre je Tonne Jahres-Stahlerzeugung etwa 41 DM investiert worden; in Frankreich beträgt die Investition 57 DM. Dabei muß man berücksichtigen, daß die größte Investitionswelle in Frankreich bereits vor dem Jahre 1952 gelegen hat, im Rahmen der Monnet-Pläne und der Modernisierung der französischen Grundstoffindustrie. Es kommt ein zweites hinzu: die öffentliche Stützung der Investitionen durch zentral gesteuerte Mittel oder durch öffentliche Mittel betrug in Deutschland einschließlich der Investitionshilfe etwa 25 %, während in Frankreich öffentliche Kredite in Höhe von nahezu 50 % des Investitionsaufwandes zur Verfügung gestellt wurden.
— Es kommt hier zunächst auf die Feststellung einer Tatsache an. Es ist keineswegs gesagt, daß in Deutschland bei entsprechender Wirtschaftspolitik entsprechende Investitionen in der Eisen- und Stahlindustrie und im Kohlenbergbau zu inflationistischen Folgen hätten führen müssen. Es kommt entscheidend darauf an, die übrige Wirtschaftspolitik so zu führen, daß daraus keine inflationistischen Folgen entstehen.
Im übrigen darf ich darauf hinweisen, Herr Dr. Hellwig, daß ich mich bei meinen Auffassungen durchaus in Übereinstimmung mit einem großen Teil Ihrer Kollegen aus der Eisen- und Stahlindustrie und insbesondere aus dem Kohlenbergbau — vergleiche die „Carbona"-Nachrichten — befinde.
— Ich hatte die Gesellschaft aus Ihren Reihen gewählt.
Die Investitionen in der Steinkohle betrugen im Durchschnitt der letzten zwei Jahre in Deutschland 6 DM je Tonne; in Frankreich betrugen sie 17 DM je Tonne Jahresförderung.
Ich darf wiederum darauf hinweisen, daß in Deutschland an öffentlich gesteuerten Mitteln 20 %, dagegen in Frankreich öffentliche Mittel in Höhe von 50 % zur Verfügung gestellt wurden. Meine Frage geht dahin, ob damit einerseits dem Willen des Bundestages, ausreichend Investitionen sicherzustellen, Rechnung getragen ist und ob damit alles Erforderliche getan worden ist, um die Startnachteile gegenüber den Industrien der anderen beteiligten Länder zu beseitigen.
Hinsichtlich der Startnachteile komme ich nunmehr zu einem dritten Punkt. Wir sind uns, glaube ich, alle darüber einig, daß die Neuordnung der Eisen- und Stahlindustrie auf Grund des Gesetzes Nr. 27 zu Organisationsformen geführt hat, die uns gegenüber der Eisen- und Stahlindustrie der anderen Länder Europas wettbewerbsmäßig benachteiligen. Es ist im Augenblick nicht meine Aufgabe, die Schuldfrage zu untersuchen. Ganz abgesehen davon, daß das unfruchtbar wäre, scheint es mir auch in den Rahmen dieser Diskussion nicht hineinzugehören. Nur weil ich hier einige zweifelnde und einige ermunternde Blicke vor mir sehe, möchte ich zumindest auf folgendes hinweisen. Die Entscheidung der Bundesregierung zugunsten der C-Gesellschaften in der Kohle und die Intervention der Bundesregierung im Interesse des Schutzes des Eigentums großer Konzernbesitzer hat jedenfalls eine große Mitverantwortung der Bundesregierung für die tatsächliche Gestaltung der Neuordnung zur Folge.
Das Wesen der modernen Konzentrationsbewegung in Europa, die insoweit in Übereinstimmung mit der Entwicklung in den anderen großen Industrieländern steht, liegt darin, daß die horizontale Konzentration vorherrscht. Das heißt, es herrscht die Tendenz vor, nach Möglichkeit Produktionen der gleichen Produktionsstufe in größerem Umfange zusammenzufassen, weil man dann die Möglichkeit hat, auf breiter Basis zu spezialisieren und gewisse spezialisierte Produktionen mit dem Effekt erhöhter Wirtschaftlichkeit und geringen Kosten zu konzentrieren. Das ist eines der entscheidendsten Merkmale aller Konzentrationsbewegungen in den modernen Industriestaaten.
Die Entwicklung hat zu folgendem geführt. Wenn ich einmal vergleiche, welche Stahlproduktion auf die drei größten Unternehmungen der wichtigsten Industrieländer entfällt, so haben in den USA die drei größten Unternehmungen eine Erzeugung an Rohstahl von 54 Millionen t auf sich vereinigt — das sind 60% der amerikanischen Erzeugung —, in Großbritannien 6 Millionen t — das sind etwa 35 % —, in Deutschland 5 Millionen t — das sind etwa 34% — und in Frankreich 4,4 Millionen t — das sind 40 %. Dabei muß man berücksichtigen, daß wir in Frankreich einen Konzentrationsprozeß ganz anderer Art als in Deutschland haben, daß er sich dort nicht nur in den festen Zusammenschlüssen großer Unternehmungen auswirkt, sondern daß darüber hinaus sonstige Verschachtelung, personelle Verflechtung, vertragliche Bindungen und dergleichen mehr eine viel größere Rolle spielen, als es bei uns in Deutschland der Fall ist. Die letzten Konzentrationen in Frankreich haben dazu geführt, daß der Gesamtbereich de Wendel, Longwy und Lorraine-Escaut eine Gesamtstahlerzeugung von 4 Millionen t in sich vereinigt — das sind 40 % der französischen Stahlerzeugung —, während das größte deutsche Hüttenwerk nur 2,3 Millionen t und damit 20 % auf sich vereinigt. Ich glaube, das ist Beweis genug, daß wir gerade im Hinblick auf die notwendige horizontale Konzentration im Hintertreffen sind.
Sie können fragen, meine Damen und Herren: wozu diese Tatsachen? Was soll denn eigentlich auf diesem Gebiet geschehen? Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß der Montan-Union-Vertrag sowohl in Art. 65 Vereinbarungen wie auch in Art. 66 Zusammenschlüsse erlaubt. Ich darf Sie darauf hinweisen, daß die letzten Zusammenschlüsse in Frankreich unter der Herrschaft des Montan-Vertrages erfolgt sind, der Hohen Behörde zur Genehmigung vorgelegt worden sind und ganz zweifellos diese Genehmigung erhalten werden.
Aber eines ist entscheidend: die Entwicklung in Frankreich ist ein Ergebnis der großen Modernisierungskampagne, die unter öffentlicher Initiative von seiten der französischen Regierung entfacht worden ist. Die Konzentrationstendenz in England ist erheblich auf die Intervention von seiten der englischen Regierung zurückzuführen. Bei der Zersplitterung in Deutschland kommt es entscheidend darauf an, ob die Bundesregierung Möglichkeiten findet und freimacht, eine ähnliche fortschrittliche Organisationsbewegung in Deutschland auszulösen oder nicht. Hier sind reale Möglichkeiten gegeben, diese Startnachteile in organisatorischer Hinsicht zu beseitigen.
Ich darf dann auf ein weiteres Problem kommen: auf das Problem der Teilintegration. Bereits aus den Darlegungen über die Entwicklung der Eisen-und Stahlindustrie in den verschiedenen Staaten der Montan-Union ergab sich, daß sich allgemeine wirtschaftliche Schwächeerscheinungen auf die gesamten Länder der Montan-Union ausbreiten. Man kann umgekehrt sagen, daß konjunkturelle Aufstiegstendenzen in der Eisen- und Stahlindustrie einzelner Länder sich über den Gemeinsamen Markt in die Gesamtheit der Länder verlaufen.
Hinzu kommt eine weitere Komplikation. Es ist nämlich durchaus möglich, daß eines der Länder die weiterverarbeiteten Erzeugnisse der Eisen-und Stahlindustrie, die nicht unter die Zuständigkeit der Montan-Union fallen, durch Ausfuhrförderungsmaßnahmen stützt und damit in die Lage versetzt, die weiterverarbeitende Industrie und damit indirekt die Eisen- und Stahlindustrie benachbarter Länder der Montan-Union zu unterwandern. Auch das ist keine nur theoretische Möglichkeit, sondern im Hinblick auf die Einfuhr französischen Stahls nach Deutschland durchaus eine Realität.
— Herr Kollege Hellwig, Sie sind ein anerkannter Saarsachverständiger; ich stelle anheim, sich dazu nachher noch zu äußern. Ich stelle im Augenblick nur folgendes fest: daß im Rahmen der Montan-Union diese Erscheinungen sich auf alle Staaten auswirken und daß — darüber ist die Meinung in Deutschland, glaube ich, einheitlich — diese Auswirkungen jedenfalls zunächst einmal zu Lasten der deutschen Eisen- und Stahlindustrie und des deutschen Kohlenbergbaues ausgefallen sind.
Dasselbe Problem der Teilintegration stellt sich bei den Transportfragen. Ich brauche das hier nicht näher zu erläutern.
Aber ich möchte noch auf den großen Fragenkomplex der Investitionen eingehen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, bis zum Jahre 1957 rechnet die Hohe Behörde der Montan-Union mit einer Steigerung der Kapazität der Stahlerzeugung von 48 auf 54 Millionen t. Es handelt sich dabei nicht um das Ergebnis einer planmäßigen Investitionspolitik der Hohen Behörde, sondern um die einfache Zusammenstellung der Investitionsvorhaben der beteiligten Unternehmen innerhalb der Montan-Union. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß es sich hier um eine reichlich hohe Kapazität handelt.
Ich darf ergänzend die Investitionsprobleme und die Kapazität der Eisen- und Stahlindustrie in Deutschland kurz erörtern. Die Wirtschaftsvereinigung der Eisen- und Stahlindustrie hat vor kurzem eine Untersuchung darüber angestellt, wie hoch wohl der nachhaltige Eisen- und Stahlbedarf in Deutschland ist. Sie ist zu dem Ergebnis gekommen, daß wir einen nachhaltigen Walzstahlbedarf von etwa 800 000 bis 850 000 t monatlich haben. Wenn man unter Berücksichtigung von Ein- und Ausfuhr diese Zahl auf Rohstahl umrechnet, ergibt sich ein Verbrauch von 15 bis 16 Millionen t Rohstahl in den nächsten Jahren. Die Kapazität an Eisen- und Stahlerzeugung beträgt jedoch im Augenblick zumindest 18 Millionen t und wird zur Zeit auf 20 bis 21 Millionen t ausgebaut.
Ich möchte ein weiteres Wort zu der Investitionspolitik in Deutschland sagen — und ich glaube, daß ich nicht zuviel sage —: daß sich unter den derzeit im Gange befindlichen Investitionen nicht unwesentliche Fehlinvestitionen befinden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, aus einer Feststellung dieser Tatsache, die wohl nicht bestritten werden kann, sind zwei Konsequenzen zu ziehen. Die erste Konsequenz ist, daß wir uns in Deutschland zu einer Investitionssteuerung aufraffen müssen. Wenn die Bundesregierung sich einmal mit den Sachverständigen der Eisen- und Stahlindustrie, des Kohlenbergbaues, vielleicht auch mit den Sachverständigen der Kreditanstalt für Wiederaufbau ins Benehmen setzen würde, dann würde sie erfahren müssen, daß die Notwendigkeit einer Investitionssteuerung in den Grundstoffindustrien ganz allgemein anerkannt wird, und ich hoffe, daß ich mich jedenfalls bei diesen Herren nach Ihrer Auffassung nicht in schlechter Gesellschaft befinde.
Aber ich darf Ihnen noch ein anderes ins Gedächtnis rufen. Auf der letzten Tagung der Interparlamentarischen Union in Paris hat der frühere italienische Finanzminister Pella ausgeführt:
Ich bin ein Liberaler; aber gerade weil ich ein Liberaler bin, halte ich eine Investitionsplanung und eine Investitionssteuerung in Europa für erforderlich.
Ich glaube, das sollte man sich auch in der deutschen Wirtschaftspolitik merken.
Eine zweite Konsequenz muß, glaube ich, aus diesen Tatbeständen gezogen werden. Das ist die Konsequenz, daß ernsthafte Ansätze zu einer gemeinsamen Konjunkturpolitik innerhalb der Staaten der Montan-Union gemacht werden müssen. Wir kennen selbstverständlich die Oktober-Resolution des Ministerrats, die gleichfalls dieses Bekenntnis ablegt. Aber die Frage, die wir zu stellen haben, ist folgende: Handelt es sich auch hier nur um ein theoretisches Bekenntnis, oder was ist faktisch an realen Ansätzen zu einer gemeinsamen Konjunkturpolitik der Länder der Montan-Union geschehen? Wir haben von der Hohen Behörde der Montan-Union einige Unterlagen bekommen; aber ihnen ist bisher an konkreten Dingen nur das Schema für einen regelmäßigen Konjunkturlagebericht zu entnehmen, jedoch nichts über effektive Maßnahmen zu einer Koordinierung der Wirtschaftspolitik.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es handelt sich dabei um ein sehr ernstes Problem. Die Hohe Behörde hat in einem Bericht vom 14. April 1954 zur augenblicklichen Wirtschaftslage, der sich auf die gesamte Union bezieht, ausgeführt, daß erstens einmal die interne Nachfrage in der Union zunehmend schwächer wird, die Verbraucher sich zurückhalten, die Staatsausgaben nicht mehr steigen. Sie hat weiter festgestellt, daß die Investitionspolitik insgesamt stagniert und der Anteil der Investitionen am Sozialprodukt im Rahmen der gesamten Union langsam abnimmt. Die dritte Feststellung war, daß sich die Nachfrage nach Exportgütern im ganzen abgeschwächt hat.
Die Hohe Behörde kommt zu folgender meines Erachtens schwerwiegenden Schlußfolgerung — ich darf den Herrn Präsidenten bitten, diese Zeilen verlesen zu dürfen —:
Zusammenfassend ergibt sich, daß, obwohl die Wirtschaftstätigkeit in den Ländern der Gemeinschaft sich zur Zeit noch durchweg auf hohem Stande hält und Anzeichen für eine unmittelbar bevorstehende Verschärfung der Wirtschaftslage nicht zu erkennen sind, es doch an Impulsen fehlt, die kräftig und umfassend genug wären, um eine nachhaltige Aufwärtsbewegung der Produktion, der Beschäftigung und des Verbrauchs zu gewährleisten.
Meine Damen und Herren, das sind sehr ernsthafte Bemerkungen, und wenn wir uns darüber einig sind, daß man eine Gesundung der europäischen Wirtschaft nur durch eine ständige Steigerung der Produktivität und der Expansion der Wirtschaft herbeiführen kann, dann zeigen uns diese Darlegungen, wie dringend das Problem einer gemeinsamen Konjunkturpolitik innerhalb der Montan-Union ist.
Gestatten Sie mir noch eine letzte Bemerkung zu dem Problem der Konvertibilität und der europäischen Integration. Der Wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums hat bereits in seinem Gutachten vom 1. Mai 1953 auf die Diskrepanzen hingewiesen, die sich aus einer weltweiten Konvertibilitätspolitik und einer euro-
päischen Produktionspolitik ergeben können. Ich glaube aber, allen denen, die an der Konferenz in Paris teilgenommen haben, ist doch bewußt geworden, ein wie aktuelles Problem diese Frage der Währungskonvertibilität im Zusammenhang mit der europäischen Integration ist. Ich möchte dazu nur wenige Sätze sagen. Wenn man der Auffassung ist, daß das wirtschaftliche Ziel aller freien Völker die Hebung des Lebensstandards, die Steigerung der Produktivität und eine weitgehende Vollbeschäftigung sein soll, dann sind dazu konjunkturpolitische Maßnahmen notwendig, die mit einer Aufrechterhaltung der freien Konvertibilität unter allen Umständen nicht immer vereinbar sind. Andererseits müßte eine weltweite Konvertibilitätspolitik, die ja von dem Leitmotiv der Stabilität der Kurse bestimmt ist, bis zum letzten durchgeführt, in Kauf nehmen, daß Beschäftigungsschwankungen in den einzelnen Ländern auftreten, ganz gleich welches Ausmaß diese annehmen. Infolgedessen scheint doch die Frage berechtigt zu sein, ob das Problem der Konvertibilität der Währung nicht so zu sehen ist, daß die entscheidenden Stellen für die Geld- und Kredit-Politik sich auf denselben Raum erstrecken müssen wie die entscheidenden Stellen für die Konjunkturpolitik, um Konjunkturpolitik und Geld- und Kreditpolitik aufeinander abstimmen zu können. Es war sehr bemerkenswert für alle Teilnehmer der Pariser Tagung, daß Herr Marjolin und viele andere Diskussionsredner darauf hinwiesen, daß eine Durchführung der Währungskonvertibiltät unter den augenblicklich in Europa herrschenden Umständen zu einer Zerstörung der EZU und der OEEC und damit zu einer europäischen Desintegration führen würde.
In kleineren Kreisen ist die Frage aufgeworfen worden — die man auf solchen internationalen Tagungen aus politischer Höflichkeit nicht offen auszusprechen wagt —, wie sich eigentlich die europäische Integrationspolitik der Bundesregierung mit der Erhardschen Politik weltweiter Konvertibilität verträgt. Ich glaube, auch das ist ein außerordentlich entscheidendes und ernstes Problem, das im Zusammenhang mit dem Fragenkreis der Montan-Union steht, und wir wären dankbar, wenn wir auch dazu eine entsprechende Antwort auf unsere Große Anfrage bekommen würden.