Rede von
Dr.
Karl
Mommer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein konkreter Angriff des Kollegen Gerstenmaier zwingt mich zu einer kurzen Klarstellung. Er hat gesagt, daß es sozialistische Abgeordnete waren — und darunter Sozialdemokraten —, die den Anlaß zu dem Naters-
Bericht im Europarat gegeben haben. Sie haben richtig dargestellt, daß zuerst unser gemeinsamer Antrag auf Herstellung der demokratischen Freiheiten im Saargebiet vorlag. Dann wurde von van der Goes van Naters der Antrag eingebracht, die Frage der zukünftigen Stellung der Saar — „la position future de la Sarre", wie es ursprünglich hieß — auf die Tagesordnung der Versammlung zu setzen. Das hat Herr van Naters in einer gemeinsamen Sitzung der sozialistischen Gruppe getan. Als dort diese Anregung kam, über die zukünftige Stellung der Saar in der Versammlung zu diskutieren — und keineswegs ein Statut vorzulegen —, da haben einige unserer Kollegen, nicht ich und nicht mein Kollege Lütkens, sondern einige andere, gemeint — jawohl, hier steht es genau so, wie ich gesagt habe; ich kenne das Do-
kurrent sehr gut —, daß wir natürlich nichts gegen eine Diskussion des Saarproblems in allen seinen Aspekten in der Versammlung haben könnten. So hat es auch die Versammlung aufgefaßt; denn es hat sich, als Sie nicht in der Allgemeinen Kornmission waren, folgendes abgespielt. Herr van Naters hat mehr und mehr seinen Auftrag ausgedehnt; aus der „position" ist das „statut", das künftige Statut der Saar geworden.
Ich habe ihm sofort einen Protestbrief geschrieben und habe gesagt, der Auftrag laute ganz anders; es lägen zwei Entschließungen über die Frage der demokratischen Freiheiten an der Saar und eine über die „position future de la Sarre" vor. Daraus ergebe sich, daß, wenn er einen Bericht mache, er schon im Titel ganz anders aussehen müsse, nämlich „das Saarproblem", mit einem ganz neutralen Titel. Die Abschriften meiner Briefe habe ich oben; ich kann sie Ihnen zeigen.
Als dann Herr Naters im Ausschuß seine ersten Vorschlage unterbreitete und anfing, auf ein Statut loszusteuern, da habe ich protestiert und habe mich sogar in diesem Ausschuß durchsetzen können. Das ist zu Protokoll genommen worden. Es steht da zu lesen, daß Herr Naters eine Untersuchung über die demokratischen Zustände an der Saar und über die allgemeinen Ideen, die bei den verschiedenen interessierten Stellen über das Saarproblem vorhanden seien, zu machen habe. Diese Ideen, einschließlich von Lösungsvorschlägen, die hier und dort in der Vergangenheit gemacht worden seien, sollte er in seinem Bericht vorlegen und — wie es wörtlich heißt, ich besinne mich sehr gut auf diesen Beschluß — „mit einer kritischen Analyse unter seiner eigenen Verantwortung versehen". Er hatte nicht den Auftrag, ein Statut auszuarbeiten, und er hat es getan in Überschreitung seines Auftrages.
Allerdings, indem er seinen Auftrag überschritt, kam er den inneren Absichten einer Mehrheit in diesem Ausschuß entgegen, und deshalb war es auch nicht möglich, ihn von diesem Wege abzubringen.
Es kommt aber noch etwas hinzu. Als Herr van Naters zum Berichterstatter für den Ausschuß und die Versammlung benannt werden sollte, da habe ich in dieser internationalen Atmosphäre der Höflichkeit etwas sehr Ungewöhnliches getan: Ich habe den Finger gehoben und gesagt: Es ist unmöglich, daß Herr van Naters Berichterstatter wird, denn er ist mir als einer bekannt, der fertige Meinungen über das Saarproblem hat; er hat im Saarproblem einen kämpferischen Standpunkt, so wie Herr Mommer einen hat. Und so wie ich, Mommer, kein guter Berichterstatter für diese Versammlung sein könnte, so kann es Herr van Naters nicht sein. Ich habe erklärt: Berichterstatter kann hier nur jemand sein, der in dieser Hinsicht nicht voreingenommen ist. Ich habe unsere Ihnen so bekannten Kollegen Jakobsen, Robens oder andere, die in dieser Beziehung unbeschriebene Blätter sind, vorgeschlagen. Gegen meine Stimme und bei Stimmenthaltung von mehrerer anderen Kollegen — Skandinaviern, Engländern — ist Herr van Naters Berichterstatter geworden.
Da das alles hier zur Sprache kommt, muß ich zu meinem großen Bedauern sagen: Es ist in der
politischen Kommission und in der Beratenden Versammlung des Europarates viel Politik gemacht worden. Es ist ja die Schwierigkeit unserer politischen Situation auf diesem Parkett überhaupt, daß dort Männer und Frauen von Ländern sind, die vom nationalsozialistischen Deutschland angegriffen und besetzt wurden. Das haben Sie hier mit Recht ausgeführt. Ich komme aber gleich darauf zurück, was dazu des weiteren zu sagen ist.
Nun, Herr Gerstenmaier, es kommt nicht darauf an, auf Grund welchen Textes so etwas in Bewegung geraten ist. Die Frage ist, wie wir uns zu dem verhalten, was dann daraus geworden ist. Da wissen Sie doch eines, Herr Gerstenmaier. In bezug auf dieses Problem geschieht in Straßburg nichts gegen die geschlossen e Front der deutschen Mitglieder.
Die andern wissen sehr wohl, daß alles, was sie gegen unsere drei Stimmen im Ausschuß und gegen unsere 18 Stimmen in der Versammlung machen, vergebliche Mühe ist; dabei kann niemals etwas herauskommen.
Herr Gerstenmaier, da liegt der Anfang dieses Naters-Projekts: daß von Anfang an der Widerstand auf der deutschen Seite gering war. Der Widerstand wurde nicht in der Versammlung bei den Abgeordneten gebrochen, sondern — ich bedauere das sagen zu müssen — im Ministerausschuß; denn da wurde der Europäisierungsvorschlag zuerst vom Außenminister Schuman gemacht. Und der Herr Bundeskanzler hat sich diesem Vorschlag nicht widersetzt.
Er hat kritische Fragen gestellt. Er ist später darauf eingegangen und hat nur gesagt, es müsse dabei eine echte Europäisierung herauskommen. Und da, Herr Gerstenmaier, liegt der Hund begraben! Da lag der Anfang zu einem Projekt, das uns jetzt mit der Autorität der Zustimmung von Neutralen vorgesetzt wird. Das muß hier auch einmal gesagt werden.
Das Malheur hat noch viel früher angefangen. Wir kennen das Protokoll der Ausschußsitzung des Ministerrats, in der über die Aufnahme der Bundesrepublik und die gleichzeitige Aufnahme des Saargebiets in den Europarat gesprochen wurde. Wir wissen aus diesem Protokoll, daß z. B. die nordischen Minister nicht geneigt waren, dieses deutsche Teilgebiet Saar in den Europarat aufzunehmen, weil sie fürchteten, daß dann die immerhin wichtigere Bundesrepublik nicht kommen werde. Aber dann, Herr Bundeskanzler — das steht in dem Protokoll —, zog Herr Schuman eine Zeitung, eine Schweizer Zeitung, aus der Tasche und las vor, daß der Herr Bundeskanzler erklärt habe, er werde auch kommen, wenn gleichzeitig die Saar eingeladen werde.
Da hatten die anderen natürlich keinen Grund, deutscher zu sein als der deutsche Außenminister. So ist das Stück Siegerpolitik Saar in den Europarat hineingekommen.
Es ist ein untauglicher und, ich glaube, auch ein nicht ganz fairer Versuch, Herr Gerstenmaier, eine
Mitverantwortung der Sozialdemokraten daraus zu etablieren, daß da einige Unterschriften unter einem Antrag zum Studium eines Problems stehen, der auf jeden Fall gekommen wäre. .
Sie sagten, wir wollten das, was da an der Saar ist, doch praktisch nur zementieren.
— Nein, wir wollen das nicht zementieren. Wir sind auch hartnäckig in der Frage der Oder-Neiße-Linie. Wir sind hartnäckig in unserem Widerstand gegen das Regime von Pankow, und diese Hartnäckigkeit machen wir nicht davon abhängig, ob dadurch im Augenblick irgend etwas an den Zuständen dort geändert werden kann. An der Saar sieht es noch ganz anders aus. Herr Gerstenmaier, sprechen Sie mit unseren Freunden an der Saar, und sie werden Ihnen alle sagen, daß nichts sie in den vergangenen Jahren so sehr gehindert und geschwächt hat wie die Saarpolitik der Bundesregierung. Herr Hoffmann, der Chef des Separatismus, hat sich allzu häufig darauf berufen können, daß der Herr Bundeskanzler doch offensichtlich ungefähr dieselbe Politik machen wolle wie er, der Herr Hoffmann. Das hat unsere demokratische Position bei der deutschen Bevölkerung an der Saar kolossal geschwächt, und durch die Schwächung dieser Position ist es auch möglich geworden, uns so etwas zuzumuten wie das, was heute in dem Saarplan steht. Aber das bleibt ein Stück Papier, wenn wir uns entschließen, es nicht anzunehmen.
Ich kann nur hoffen, Herr Kollege Gerstenmaier, daß Sie sich auch diese Addition noch einmal überlegen. Sie haben zu dem Plan, der im Februar zur Abstimmung stand, sich der Stimme enthalten. Sie haben zu dem zweiten Teil, zu der Entschließung über die politischen Parteien, zusammen mit mir - und ich bin wirklich auch dankbar für unsere gute Zusammenarbeit auf diesem Gebiet - nein gesagt. Aber eine Enthaltung plus ein Nein hat dann in der Schlußabstimmung ein Ja minus Vorbehalte ergeben.
Die Vorbehalte haben es in sich.
Es ist auch noch eine Frage, ob das die richtige Taktik ist; denn Ihr Ja minus Vorbehalte setzt Sie jetzt den Zweifeln aus, sowohl in Deutschland als auch in Frankreich. Was Sie jetzt nämlich wirklich wollen, nun, das ist niemandem restlos klar. Sie müssen es sich gefallen lassen, daß Ihnen in Deutschland gesagt wird, Sie sind für den Verzicht auf die Saar, und Sie werden es sich gefallen lassen müssen, daß man von Ihnen in Frankreich sagt: Er macht zwar noch allerlei Vorbehalte, und er denkt dann später doch auf das ganze Problem zurückzukommen und es in einem Sinn zu lösen, wie wir, die Franzosen, es nicht möchten.