Rede von
Dr.
Konrad
Adenauer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren, nach meinen parlamentarischen Erfahrungen kommen wir viel weiter, wenn diese Zwischenrufe wegbleiben. Sie können ja noch antworten, solange Sie wollen.
Ich wiederhole, was ich eingangs gesagt habe: man wird es in diesem Hause und in der ganzen Öffentlichkeit verstehen, wenn ich erkläre, daß es, wenn man mitten in Verhandlungen mit einer anderen Regierung ist, ganz unmöglich erscheint, im Parlament in allen Fragen seinen Standpunkt mitzuteilen,
ehe diese Verhandlungen, sei es so, sei es so, zum
Abschluß gekommen sind. Aber ich habe weiter gesagt — und ich bleibe dabei, ich wiederhole es —, eine endgültige Lösung, die eine Entscheidung über die Grenzen des deutschen Staatsgebietes zum Inhalt hat, kann nur in einem Friedensvertrag erfolgen, der mit einer gesamtdeutschen Regierung frei auzuhandeln ist.
Ich glaube, darin liegt doch die Antwort auf die Frage, die mir soeben gestellt worden ist.
Ferner ist jede Lösung an die Zustimmung der Saarbevölkerung gebunden. Schließlich muß die Lösung wahrhaft europäisch sein. Es darf sich also nicht darum handeln, den Status quo zum Schein mit einem europäischen Mantel zu verkleiden.
Auch müssen die Menschenrechte und Grundfreiheiten, so wie sie in der europäischen Menschenrechte-Konvention definiert sind, unzweideutige und uneingeschränkte Anerkennung finden.
Es darf endlich kein neuer Staat zu den vorhandenen europäischen Staaten geschaffen werden.
Die Lösung ist auch an die Verwirklichung einer
Europäischen Politischen Gemeinschaft gebunden.
Endlich muß zwischen der deutschen Wirtschaft, die bisher in diskriminierender Weise von der saarländischen getrennt ist, und der saarländischen in Etappen ein gemeinsamer Markt hergestellt werden.
Nun hat, auf den Arbeiten des holländischen Europaratsdelegierten van der Goes van Naters fußend, die allgemeine Kommission der Beratenden Versammlung des Europarates vor drei Tagen einen Vorschlag zur Lösung der Saarfrage im europäischen Sinne beschlossen. Interessant ist, daß diese Untersuchung durch die sozialistischen Vertreter des Europarates beantragt worden ist. Sowohl in Deutschland wie in Frankreich ist dieser Vorschlag teils akzeptiert, teils lebhaft kritisiert worden. In Deutschland wirft man ihm vor allem vor, er berücksichtige nicht die unabdingbare Zugehörigkeit des Saargebietes zu Deutschland. Auf französischer Seite wird der Vorwurf laut, er wolle Frankreich die Position entziehen, die es sich mit Zustimmung seiner westlichen Alliierten an der Saar geschaffen habe. Aber man kann denen, die an dem Vorschlag des Europarates mitgewirkt haben, die Anerkennung nicht versagen, daß sie einen ernsthaften Versuch unternommen haben, eben jene dritte Lösung zu finden, die Lösung auf der höheren Ebene, von der ich vorhin gesprochen habe.
Es ist ein Versuch, nicht nur den deutsch-französischen Interessengegensatz in der Saarfrage zu schlichten und einen brauchbaren mittleren Weg zu finden, sondern vor allem ist hier zum ersten Male in einer bis in die Einzelheit gehenden Weise die Lösung mit der europäischen Entwicklung verknüpft worden. Aus diesem Grunde habe ich dem französischen Außenminister gegenüber am 9. März meine Bereitschaft erklärt, bei den
Verhandlungen von den Grundlinien des Vorschlags des Europaratsausschusses auszugehen, und Herr Bidault hat mir darin zugestimmt.
Diese grundsätzliche Bereitschaft bedeutet nicht das Einverständnis mit allen Einzelheiten. Vor allem muß ich mich hier mit einem Punkt auseinandersetzen, in dem der Entwurf der Bundesregierung eine Entscheidung zumutet, die diese zu treffen gar nicht in der Lage ist. Der Vorschlag der Kommission zielt nämlich darauf, daß die zu findende Lösung endgültigen Charakter erhalten soll. Diesem Gedanken steht ein unübersteigbares Hindernis entgegen: es ist ein unbestrittener Grundsatz, daß die endgültige Festlegung der Grenzen Deutschlands bis zu einer zwischen Deutschland und seinen ehemaligen Gegnern frei vereinbarten friedensvertraglichen Regelung für ganz Deutschland aufgeschoben werden muß. Ich verweise hierzu auf Art. 7 des Deutschlandvertrages.
Zu dieser Erwägung tritt eine weitere, politische hinzu. Eine über den Friedensvertrag hinaus bindende Festlegung in einer Gebietsfrage im Westen würde äußerst nachteilige Wirkungen auf das Problem der deutschen Ostgrenzen haben. Es ist aber eine unabweisbare politische Notwendigkeit, auch den leisesten Anschein zu vermeiden, der unseren Gegnern in der Frage der Ostgrenze Vorschub leisten könnte.
Andererseits möchte ich zugunsten des Vorschlags der Europaratskommission auf einen darin enthaltenen wesentlichen Gesichtspunkt hinweisen, mit dem wir durchaus übereinstimmen: Die Saar kann nur europäisiert werden, wenn eine europäische Gemeinschaft eine Realität ist.
Wir müssen deshalb entscheidenden Wert darauf legen, daß die Lösung auf das engste mit der Schaffung einer europäischen Gemeinschaft verknüpft wird.
Meine Damen und Herren, aus der langen Dauer der sehr schwierigen Verhandlungen über das Saarproblem bitte ich Sie zu entnehmen, daß die Bundesregierung die äußersten Anstrengungen macht, den echten europäischen Charakter der Gesamtlösung zu sichern. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß die französische Regierung und die französische Öffentlichkeit begreifen, daß wir mit der Annahme der Grundsätze des Naters-Plans als Verhandlungsgrundlage eine Kompromißbereitschaft in der gesamten Frage bekundet haben, die uns zu der Erwartung berechtigt, daß die französische Regierung ihrerseits ebenfalls Zugeständnisse von Bedeutung macht.
Es wäre tragisch, wenn am Mangel einer Einigung in dieser Frage die europäische Gemeinschaft scheiterte.
Nun, meine Damen und Herren, lassen Sie mich einige Ausführungen allgemeinerer und politischer Natur zu der Frage der Montan-Union machen. Ich glaube, daß diese Ausführungen in eine Darstellung der gesamten außenpolitischen Lage mit hereingehören. Ich darf denjenigen Herren, die der Zusammenfassung der Punkte der Tagesordnung widersprochen haben, sagen, daß sie unter
d) ihrer Anfrage ja geradezu auf den Zusammenhang hingewiesen haben.
Unter d) sagen sie nämlich:
Entspricht die wirtschaftliche Entwicklung in den deutschen Grundstoffindustrien den Erwartungen, die die Bundesregierung bei der Ratifizierung des Schumanplanes in das Funktionieren dieser europäischen Teilintegration gesetzt hat?
Damit ist doch der Zusammenhang ganz klar in der Frage gestellt.
Überdies, meine verehrten Herren, hat Herr Kollege Deist — wofür wir ihm übrigens sehr dankbar sind, nicht nur in dem Zusammenhang, sondern wegen der grundsätzlichen Bedeutung, die daraus spricht — ausdrücklich folgendes gesagt: Unsere Anfrage ist getragen von der Sorge, daß der Gedanke der europäischen Einigung Schaden leidet durch die Entwicklung der Montan-Union.
Daraus glaube ich doch die Berechtigung herleiten zu können, in einer Darstellung unserer Politik, die die europäische Integration zum Gegenstand hat, auch auf diese Frage, soweit nötig, einzugehen.
Es ist ein Grundgedanke der europäischen Integration, daß die Gemeinschaft der europäischen Völker sich in Frieden und Freiheit nur entwikkeln kann, wenn zwischen ihnen auch wirtschaftlich eine enge Zusammenarbeit stattfindet und dadurch die Existenzbedingungen und die soziale Lage der europäischen Menschen entscheidend und dauerhaft verbessert werden. Von diesem Grundgedanken ausgehend sind wir zum Partner der Montan-Gemeinschaft geworden. Lassen Sie mich Ihnen deshalb etwas über die Erwartungen und über die Erfolge sagen.
Das Ziel bei der Gründung der Montan-Gemeinschaft war die Schaffung eines einheitlichen europäischen Wirtschaftsraums, eines gemeinsamen Marktes von 160 Millionen Menschen, der sich zwischen den anderen Wirtschaftsmächten behaupten kann.
Daß der Gemeinsame Markt für Kohle und Stahl nur ein erster Schritt hierzu sein kann, war von vornherein klar. Aber jenes größere Werk kann nicht mit einem Schlage geschaffen werden. Uns war es zunächst aufgegeben, einen Anfang zu machen.
Für Deutschland bestand hieran noch ein besonderes Interesse. Man vergißt zu schnell, wie es um Deutschland und sein Ansehen in der Welt gestellt war,
als am 9. Mai 1950 der damalige Außenminister, Herr Robert Schuman, jene Erklärung der französischen Regierung verkündete.
Seitdem die Montan-Gemeinschaft ins Leben getreten ist, sind das Londoner Abkommen und mit ihm die Ruhrbehörde gefallen, sind Stahlerzeugung und Produktionskapazität von den besatzungsrechtlichen Beschränkungen befreit und hat die Alliierte Hohe Kommission für sich und die ihr angegliederten Kohle- und Stahlkontrollgrup-
pen auf alle Eingriffsrechte verzichtet, für welche die Hohe Behörde die Zuständigkeit ausübt.
Glaubt, meine Damen und Herren, einer von Ihnen, daß, wenn wir uns damals gegenüber der Montan-Union einfach ablehnend erklärt hätten, diese Befreiungen von den uns durch den Zusammenbruch auferlegten Fesseln eingetreten wären?
Der wirtschaftliche Aufstieg der Bundesrepublik in den letzten Jahren wäre nicht möglich gewesen ohne die Befreiung von jenen Fesseln. Es war selbstverständlich, daß eine derartige, mit einem Ausschnitt aus der Volkswirtschaft beginnende Teilintegration und der Aufbau einer so revolutionär neuartigen Organisation, wie sie eine supranationale Gemeinschaft darstellt, gewisse Anlaufschwierigkeiten mit sich bringt. Demgemäß hat der Vertrag selbst eine Übergangs- und Anpassungszeit von fünf Jahren für notwendig angesehen. Er hat darüber hinaus die Möglichkeit vorgesehen, daß mit der Anwendung der Vertragsbestimmungen zeitweise überhaupt innegehalten werden könne, falls es durch die Anwendung in einem der Mitgliedstaaten zu schweren, länger dauernden Störungen kommen würde.
Von dieser Übergangszeit, meine Damen und Herren, ist für den Stahlmarkt ein Jahr vergangen; für den Kohlenmarkt sind es einige Monate mehr. Es ist natürlich schwer, auf Grund einer so kurzen Zeit ein Urteil auszusprechen. Immerhin läßt sich das sagen, daß die Schwierigkeiten bisher nicht größer, sondern eher geringer gewesen sind, als man bei Vertragsabschluß voraussah. Ein Zeichen dafür ist, daß die oben genannten Vorschriften über die tiefgreifenden Störungen, die man bei Abfassung des Vertrages für außerordentlich wichtig ansah, bis jetzt von keinem einzigen Staat in Anspruch genommen, geschweige denn für anwendbar erklärt worden sind. Ebenso ist unbestritten, daß bereits in der kurzen Zeit des gemeinsamen Marktes die innere Verflechtung, der innere Austausch innerhalb der Gemeinschaft um rund ein Viertel gewachsen ist. An dieser Steigerung des inneren Austauschs hat auch die Bundesrepublik einen vollgemessenen, positiven Anteil gehabt.
Damit will ich die bestehenden Schwierigkeiten nicht verkleinern. Ich will nur ihr wirkliches Wesen klarstellen. Es sind Schwierigkeiten, welche nicht die langfristigen Ziele der Montan-Gemeinschaft betreffen. Wenn insbesondere gegenwärtig von Überkapazität im Gemeinschaftsgebiet hinsichtlich des Stahls die Rede ist, so braucht man sich nur daran zu erinnern, daß in der Gemeinschaft der Stahlverbrauch pro Kopf der Bevölkerung noch immer nicht einmal ein Drittel so viel beträgt wie in den Vereinigten Staaten, und selbst in der Bundesrepublik weniger als die Hälfte; es ist also deutlich, daß, auf lange Frist gesehen, wir unsere Kapazität verstärken müssen, falls wir nicht die Hoffnung aufgeben wollen, einen einigermaßen gleichwertigen Lebensstandard zu erreichen. Es handelt sich nur um kurzfristige Schwierigkeiten.
Aber auch diese ergeben sich nicht allein aus der Montangemeinschaft als solcher und den durch sie gegebenen Anpassungsnotwendigkeiten. Vielmehr beruhen diese Schwierigkeiten zum Teil darauf, daß in der Weltkonjunktur auf dem Gebiete
von Kohle und Stahl eine gewisse Abschwächung eingetreten ist.
Unter diesen Gesichtspunkten müssen die ersten Auswirkungen der Bildung des Gemeinsamen Marktes auf die deutsche Wirtschaft betrachtet werden. Im einzelnen kann nach Ablauf der kurzen Zeit seit dem Inkrafttreten folgendes festgestellt werden:
1. Der deutsche Ausfuhrüberschuß an Kohle und Stahl konnte sich seit Errichtung des Gemeinsamen Marktes auf der früheren Höhe halten und zeigt bei Stahl in neuester Zeit eine steigende Tendenz.
2. Die deutschen Kohlenlieferungen in die übrigen Länder der Gemeinschaft haben zugenommen im Gegensatz zur Absatzentwicklung im Inland und zur Gestaltung der Kohlenausfuhr nach Ländern außerhalb der Montangemeinschaft.
3. Die Erlöslage des deutschen Steinkohlenbergbaues hat sich durch die neuerlichen Preismaßnahmen der Hohen Behörde im ganzen gesehen, wenn auch nur in geringem Umfange, verbessert.
4. Die Stahlpreise sind infolge des Wettbewerbs zwischen den Industrien der Gemeinschaft gesunken, was in Anbetracht der Schlüsselstellung der Eisenpreise für das gesamte wirtschaftliche Niveau von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist. Dabei wurde die Wettbewerbslage der deutschen Stahlerzeuger durch das Sinken der Rohstoffpreise erleichtert.
Das ist die wirtschaftliche Bilanz. Die politische weist darüber hinaus noch weitere Aktiva auf. Sie bestehen im wesentlichen in den Wirkungen, die sich aus der Gewöhnung an die Gemeinschaftsarbeit ergeben haben. Diese Gewöhnung kann und soll nicht dazu führen, daß die Besonderheiten der Volkswirtschaften der einzelnen Länder in der Gemeinschaft verschwinden. Wohl aber müssen die nationalen Interessen und Eigentümlichkeiten sich in dem gemeinschaftlichen Rahmen zusammenfügen und in der Verfolgung gemeinsamer Ziele einen Ausgleich finden. Daß in dieser Art des Arbeitens in allen Organen der Gemeinschaft große Fortschritte erzielt worden sind, kann niemand leugnen, der von den Dingen unmittelbar Kenntnis hat. Ich denke insbesondere an das Montanparlament, die Gemeinsame Versammlung. Diese hat keineswegs die parlamentarischen Rechte, welche die Bundesregierung für eine europäische Versammlung als notwendig ansieht. Trotzdem ist es schon ein echtes europäisches Parlament geworden, mit europäischen Zielen, europäischen Gesichtspunkten und europäischen Parteien.
Diese im wesentlichen positive Bilanz hat die Bundesregierung nicht verführt die Hände in den Schoß zu legen. Zwei Punkte waren und sind es, denen vorzugsweise ihr Interesse gilt. Das eine ist die Verbesserung der Startbedingungen der deutschen Montanindustrie. Man hat auf diese schlechten Startbedingungen bei Beginn des Schumanplans vielfach hingewiesen. Für sie ist die Montangemeinschaft nicht verantwortlich zu machen. Im Gegenteil, die schlechten Startbedingungen lagen darin, daß die deutsche Montanindustrie bis zum Schumanplan durch Kriegszerstörung, Demontagen, Produktionsbeschränkungen, Entflechtungsmaßnahmen und erzwungene niedrige Kohlenexportpreise in ihren Entwicklungsmöglichkeiten beengt war. Erst der Schumanplan gab, indem er die Diskriminierung Deutschlands und die Beschränkungen seiner Montanindustrie grundsätzlich beseitigte, die
Möglichkeit, einen Ausgleich in die Wege zu leiten. Das hat die Bundesregierung im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten weitgehend getan. Von insgesamt 6,2 Milliarden DM, die an zentral gesteuerten und vom Bund verbürgten Mitteln der deutschen Gesamtwirtschaft zur Verfügung gestellt wurden, sind rund 2 Milliarden DM in die Kohle- und Stahlindustrie geflossen. Selbstverständlich ist sich die Bundesregierung bewußt, daß mit diesen Mitteln nicht bereits alle Startschwierigkeiten behoben werden konnten; aber im Hinblick auf die beschränkten Möglichkeiten des Kapitalmarktes muß diese Leistung doch als sehr beachtlich anerkannt werden.
Meine Damen und Herren, auf Grund der bestehenden gesetzlichen Vorschriften und der gegebenen Preissituation ist es zudem der Kohle- und Stahlindustrie selbst gelungen, erhebliche eigene Mittel für Investitionen verfügbar zu machen. Die Bundesregierung wird auch weiterhin von sich aus alles Erdenkliche tun, um den Investitionsbedürfnissen der deutschen Grundstoffindustrie Rechnung zu tragen. In diesem Zusammenhang begrüßt die Bundesregierung den erfolgreichen Abschluß der Anleiheverhandlungen zwischen der Hohen Behörde der Kohle- und Stahlgemeinschaft und der Regierung der Vereinigten Staaten.
Herr Dr. Deist hat ausgeführt, daß in Deutschland auf eine Tonne Kohleförderung 6 DM — wenn ich es recht behalten habe — Investitionsgelder gegeben worden seien, in Frankreich 17 DM. Nun, ich bitte Herrn Deist, bei seiner nächsten Anwesenheit in Paris ein längeres Gespräch mit dem dortigen Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes zu führen. Ich habe dieses Gespräch mit dem Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Paris geführt und habe von ihm einen Vergleich geschildert bekommen zwischen dem deutschen und dem französischen Bergbau. Nach diesem Vergleich können wir mit Ehren bestehen.
Der zweite Punkt, dem nun die Bundesregierung besondere Aufmerksamkeit schenkt, ist mit dem bereits von mir gebrauchten Wort „Teilintegration" bezeichnet. Die Montanunion ist in doppeltem Sinne eine Teilintegration. Einerseits ist sie nur ein Teil der wirtschaftlichen Gesamtintegration, und andererseits ist diese selbst nur ein Teil der Integration überhaupt, die ihrem Kern nach politisch ist.
Gelegentlich wird es so dargestellt, als habe man bei Vertragsabschluß der Montan-Union die Teilintegration als ein sich selbst genügendes Ziel angesehen und als habe man erst in der Zwischenzeit die Schwierigkeiten entdeckt, die sich aus der Beschränkung auf eine bloße Teilintegration ergeben. Das ist völlig unrichtig. Niemals ist die Teilintegration zweier Grundstoffe für uns Selbstzweck gewesen, und niemals sind die notwendigen Unvollkommenheiten einer Teilintegration verkannt worden; das ist auch in diesen Verhandlungen eindeutig zum Ausdruck gekommen.
Aber vor fünf Jahren war eine wirtschaftliche Gesamtintegration mit der politischen Wirklichkeit nicht vereinbar. Man mußte mit einem Teilgebiet beginnen, um weiter fortzuschreiten. Man mußte sich dabei auf die Hoffnung stützen, daß gerade die Unvollständigkeit der Teilintegration den inneren Zwang zum Fortschreiten auf dem Wege zu engerer Zusammenarbeit mit sich bringen würde. Diese Hoffnung hat sich erfüllt. Wenn heute die weitere
Integration ganz überwiegend als Notwendigkeit anerkannt und gefordert wird, so hat hieran die Tätigkeit der Montangemeinschaft, die dies stärker als abstrakte Argumente anschaulich gemacht hat, einen wesentlichen Anteil.
Es entspricht also der von Anfang an verfolgten Grundkonzeption des Montanvertrags, wenn wir dafür Sorge tragen, daß die Unzulänglichkeiten der Teilintegration nicht zu einer Hemmung für die weitere wirtschaftliche Integration Europas werden, sondern eine dynamische Entwicklung zur engeren Zusammenarbeit der gesamten europäischen Wirtschaft einleiten. Dazu gibt gerade die gegenwärtige Konjunkturlage Anlaß; denn nur durch allgemeine Maßnahmen können jene Schwierigkeiten auf dem Gebiet von Kohle und Stahl überwunden werden, die in der allgemeinen Konjunkturlage ihre Ursache haben.
In der Erkenntnis dieser Sachlage ist der Ministerrat dazu übergegangen, in seinem Rahmen auch die mit den Montanfragen in Zusammenhang stehenden Transport- und Sozialfragen zu behandeln, die der Vertrag an sich dem gemeinsamen Vorgehen der Regierungen außerhalb des Vertrages überlassen hat. Vor allem aber hat der Ministerrat am 13. Oktober 1953 auf Initiative der Bundesregierung den Beschluß gefaßt, zusammen mit der Hohen Behörde die Möglichkeit einer gemeinsamen Politik der Ausweitung der Wirtschaft und der Investitionen zu prüfen. Mit diesem Beschluß, dessen Verwirklichung die Bundesregierung mit allen Mitteln fördert, haben Rat und Hohe Behörde einen Weg beschritten, der über die engen Grenzen der Teilintegration hinaus zu neuen Formen wirtschaftlicher Zusammenarbeit führen kann.
Darüber hinaus ist es ein wesentliches Anliegen, auch die von der Montangemeinschaft ausgehenden Antriebe zur politischen Ausweitung mit allen Kräften zu fördern. Schon die Gründung der Montangemeinschaft selbst war außerhalb alles Wirtschaftlichen ein politisches Faktum ersten Ranges. Kohle und Stahl waren von jeher die Grundlagen jeder militärischen Rüstung. Indem die Staaten ihre Hoheitsrechte über diese beiden Grundstoffe auf eine supranationale Gemeinschaft übertrugen, wurde insbesondere zwischen Frankreich und Deutschland die Verständigung und Aussöhnung bekräftigt und anschaulich gemacht, in welcher die Bundesregierung einen wesentlichen Bestandteil ihrer- Politik sieht.
Diese politischen Impulse einigender Art, die von der Montangemeinschaft ausgegangen sind, haben nicht aufgehört zu wirken.
Aus dem politischen Leben ist die Montangemeinschaft als ein antreibendes Moment der europäischen Einigung nicht mehr wegzudenken. Ihr verdanken wir zum großen Teil, daß diese Einigung eine werdende Wirklichkeit ist — eine kämpfende und bedrohte Wirklichkeit, aber trotz allem eine Wirklichkeit.
Im Einklang hiermit hat die Bundesregierung auch der Europäischen Politischen Gemeinschaft besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Sie begrüßt die Fortschritte, die auf diesem Gebiet gemacht worden sind, und widmet sich mit größter Energie den laufenden Arbeiten. Aus den Beratungen der Ad-hoc-Versammlung und ihres unter dem Vorsitz
des Abgeordneten von Brentano stehenden Verfassungsausschusses sind hier Entwürfe hervorgegangen, die die Grundlage aller weiteren Arbeiten bilden müssen. Auf dieser Grundlage sind denn auch inzwischen die Regierungen in gemeinsamer Arbeit bemüht, zu vereinbarten Texten zu kommen. Diese Arbeit ist noch nicht abgeschlossen. Auf das Tempo ihres Fortgangs hat natürlich auch die Tatsache eingewirkt, daß die Europäische Verteidigungsgemeinschaft noch nicht Wirklichkeit geworden ist. Doch sind bereits die Umrisse der künftigen Lösung deutlich erkennbar, in deren Mittelpunkt ein unmittelbar gewähltes europäisches Parlament steht, als stärkster Ausdruck des Einigungswillens der europäischen Völker und als der sicherlich entscheidende dynamische Faktor der weiteren Entwicklung.
Die allgemeine Erkenntnis, meine Damen und Herren, daß Deutschland seine Probleme nur im Zusammenwirken mit ihm befreundeten Mächten lösen kann, gilt auch und nicht zuletzt für das zentrale Problem der deutschen Politik: die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit. Die Spaltung Deutschlands beruht auf dem Konflikt der Großmächte. Sie ist auch nur durch ein Übereinkommen der Großmächte zu beseitigen. Die Wiedervereinigung kann also nur zu einem Teil aus eigener deutscher Kraft zustande kommen. Wäre es anders, so wäre sie — daran lassen die klaren Willenskundgebungen in allen Teilen Deutschlands keinen Zweifel — längst erfolgt.
Wir sind auch in dieser Frage immer darauf angewiesen, Bundesgenossen zu finden, die von der Rechtmäßigkeit unseres Verlangens nach Wiedervereinigung überzeugt sind, und sie zu bewegen, sich immer wieder aktiv für die Erfüllung dieses Verlangens einzusetzen. Der Bundestag und die Bundesregierung haben deshalb von Anbeginn ihrer Tätigkeit an in voller Einmütigkeit jede Gelegenheit benützt, um die Westalliierten und darüber hinaus die ganze Weltöffentlichkeit anzurufen, dem deutschen Volk sein Recht auf Einheit nicht länger vorzuenthalten. Wenn heute die ganze freie Welt davon überzeugt ist, daß die beiden Teile Deutschlands wieder zusammengeführt werden müssen, so ist das das Ergebnis der konsequenten deutschen Haltung.
Heute wird in der freien Welt nicht nur allgemein anerkannt, daß die Beseitigung der Spaltung Deutschlands eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Erhaltung und Festigung des Friedens in Europa ist, sondern es besteht auch weitgehend Übereinstimmung über den Weg, der allein zu einer Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit führen kann. Dieser Weg ist von der Bundesregierung und dem Bundestag am 10. Juni 1953 klar vorgezeichnet worden. Seine Etappen sind — lassen Sie es mich noch einmal wiederholen —: die Abhaltung freier Wahlen in ganz Deutschland, die Bildung einer freien Regierung in ganz Deutschland, der Abschluß eines mit dieser Regierung frei vereinbarten Friedenvertrags, die Regelung aller noch offenen territorialen Fragen in diesem Friedensvertrag, die Sicherung der Handlungsfreiheit für ein gesamtdeutsches Parlament und eine gesamtdeutsche Regierung im Rahmen der Grundsätze und der Ziele der Vereinten Nationen.
Die Bemühungen der Bundesregierung — lassen Sie mich damit zu Ausführungen zurückkommen,
die ich einleitend gemacht habe — haben mit dazu geführt, daß auf der Berliner Viererkonferenz der Versuch unternommen wurde, die deutsche Frage zu lösen. Dieser Versuch ist zunächst gescheitert. Die Verantwortung dafür trifft die Sowjetunion. Die alliierten Regierungen hatten in der Form des Eden-Plans, der in allen seinen wichtigen Grundzügen auf den Bundestagsbeschlüssen vom 10. Juni 1953 basiert, einen praktischen Vorschlag unterbreitet. Die Sowjetunion hat klar zu erkennen gegeben, daß sie an einer Veränderung des Status quo in Europa nur dann interessiert ist, wenn diese Veränderung zu einer Ausdehnung ihres Einflusses auf ganz Deutschland führt. Alle die, die geglaubt hatten, die Wiedervereinigung in Freiheit zu einem konkreten Preise erkaufen zu können, sehen sich enttäuscht.
Die Sowjets haben für die Wiedervereinigung in Freiheit überhaupt keinen Preis genannt, auch nicht den der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft.
Die Westmächte haben in Übereinstimmung mit den Absichten und Gedanken der Bundesregierung weiter den Versuch gemacht, die Frage der Sicherheit, die seit geraumer Zeit in der sowjetischen Propaganda eine bedeutende Rolle spielt, anzuschneiden, um damit eine entgegenkommendere Haltung der Sowjetunion in der deutschen und in der österreichischen Frage herbeizuführen. Auch auf diesem Gebiete hat sich erwiesen, daß die Sowjetunion an praktischen Abkommen über Sicherheit und Rüstungskontrolle bis jetzt nicht interessiert ist. Sie hat einfach alle Bündnisse und Gruppierungen, denen sie selbst nicht vorsteht, als aggressiv und diejenigen, die sie beherrscht, als friedliebend erklärt. Auf dieser Basis war natürlich eine Übereinkunft nicht zu erreichen. Die Sowjetunion wird der Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit erst dann zustimmen, wenn sie einsehen muß, daß ihr Programm einer weiteren Durchdringung des freien Europa nicht mehr zu verwirklichen ist und daß die Politik des Kalten Krieges am Freiheitswillen des deutschen Volkes gescheitert ist.
Der Kampf, der um die deutsche Freiheit in Berlin und in der sowjetisch besetzten Zone geführt wird, wird stärker als alles andere in der Welt das Bewußtsein erhalten, daß es sich hier um ein brennendes Problem handelt, das nicht ungelöst bleiben darf. Welchen Widerhall dieser Kampf in der Welt gefunden hat, hat erst in jüngster Zeit wieder die gemeinsame Erklärung der NATO-Staaten gezeigt, in der sie eine Anerkennung des pseudosouveränen Pankow-Regimes ablehnen.
Meine Damen und Herren! Ich fasse zusammen: Die Außenpolitik, die wir geführt haben, hat Deutschland aus der Isolierung gelöst und zu einem angesehenen vertrauenswürdigen Partner der freien Welt gemacht.
Der politische Kredit der Bundesrepublik ist unbestritten. Überwiegend wird heute in der freien Welt die Auffassung vertreten, daß man auf die Zusammenarbeit mit Deutschland nicht mehr verzichten kann. Der Weg, der sich über fünf Jahre harter und mühsamer Arbeit erstreckt, hat uns die
Befreiung unserer Produktion von den Beschränkungen und Kontrollen der ersten Besatzungszeit gebracht. Die Ruhrkontrolle ist gefallen. Unser Außenhandel entwickelt sich frei in der ganzen Welt. Unsere Sicherheit wird durch ein mächtiges weltweites Bündnissystem garantiert, das uns mit den großen Mächten der freien Welt in Freundschaft verbindet. Diese Garantie schließt auch ausdrücklich Berlin ein.
Den Ungeduldigen, den Zweiflern, den Zaudernden muß ich immer wieder die Fragen stellen: Welchen anderen Weg können Sie uns zeigen?
Hätten wir das Petersberger Abkommen etwa nicht schließen und damit Hunderte unserer wichtigsten Werke vor der Demontage bewahren und vielen Tausenden von Arbeitern die Arbeitsplätze erhalten sollen?
Hätten wir nicht dem Europarat beitreten und uns an der freien Erörterung der wichtigsten Probleme unseres europäischen Lebens beteiligen sollen?
Hätten wir der Montan-Union eine internationale Ruhrkontrolle vorziehen und zugleich die Beschränkung unserer Produktion weiter hinnehmen sollen?
Sollten wir uns als Niemandsland zwischen Ost und West bald dem Zugriff dieser, bald dem Zugriff jener Macht ausliefern?
Meine Damen und Herren, wir dürfen und wir
werden den eingeschlagenen Weg nicht verlassen.
Die Quelle des Vertrauens der Welt liegt doch darin, daß die freien Völker aus der Bereitschaft der Bundesrepublik zu einer engen Partnerschaft auf wirtschaftlichem, militärischem und politischem Gebiet die Überzeugung gewonnen haben, daß das Deutschland der Gegenwart nicht nationalistischem Egoismus verfallen und damit erneut zu einer Bedrohung seiner Nachbarn werden kann.
Deutschland ist auf seine Nachbarn angewiesen. Es kann sich gegen die drohenden Gefahren nicht allein verteidigen und behaupten, es kann aber auch seine wirtschaftlichen Kräfte nicht entfalten ohne enge Zusammenarbeit mit den freien Völkern der Welt.
Meine Damen und Herren! Alle Anstrengungen der großen Mehrheit dieses Hohen Hauses und der Bundesregierung waren in den letzten fünf Jahren darauf gerichtet, nach Kräften dazu beizutragen, daß das Werk des europäischen Zusammenschlusses gelingt. In enger Zusammenarbeit mit den Staatsmännern in Europa und in Amerika, die von der gleichen Überzeugung geleitet sind, haben wir immer wieder versucht, Schwierigkeiten, wo sie auftauchten, zu überwinden, Probleme, wo sie sich stellten, durch neue Vorschläge zu lösen. Für uns Deutsche gibt es nur diesen Weg,
um die tragische Vergangenheit Europas abzuschließen und die Menschen in Europa von der Geißel des Krieges, von der Furcht um ihre Existenz, von der Sorge um das Schicksal ihrer Kinder zu befreien.
Es gibt keine Interessengegensätze und Streitobjekte zwischen den freien europäischen Völkern,
die, gemessen an der Größe der uns aus dem Osten drohenden Gefahr, so bedeutend wären, daß wir sie nicht schnell überwinden sollten,
um den Weg frei zu machen für diesen Zusammenschluß.
Viele Generationen vor uns, auch sozialistische Generationen,
haben sich ihn schon erträumt, und er darf unter keinen Umständen an Nationalismus und Egoismus scheitern.
Die Verwirklichung der Pläne für einen europäischen Zusammenschluß immer wieder hinauszuschieben, enthält eine große Gefahr. Bestimmte, günstige Konstellationen dauern in der Geschichte nicht unbegrenzt fort
und kehren selten wieder.
Seien wir uns, meine Damen und meine Herren — und ich richte diese Worte weit über diesen Saal hinaus an alle Menschen im freien Europa, die guten Willens sind —, des Ernstes dieser Zeit bewußt und zeigen wir uns ihren Erfordernissen gewachsen, auf daß spätere Generationen uns nicht als schwächlich und leichtfertig verurteilen. Wir müssen uns darüber klar sein, daß, wenn der Zusammenschluß der europäischen Völker scheitert, die Existenz dieses Kontinents ins Wanken gerät.