Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat in seiner heutigen Rede die Grundsätze seiner Außenpolitik entwickelt. Aus seinen Ausführungen lassen sich einige allgemeine Wahrheiten ableiten, die ich kurz zusammenfassen möchte. Es klingt nach Binsenwahrheiten, aber die Erfahrung zeigt, daß sie häufig und mit Schaden
vergessen worden sind. Das eine ist, daß man in der Außenpolitik noch mehr als auf anderen Gebieten die Dinge und die Menschen so nehmen muß, wie sie sind, und nicht so, wie man sie haben möchte. Das andere ist, daß die Politik die Kunst des Möglichen ist und daß es zu nichts Gutem führt, Zielen nachzustreben, die nach vernünftiger Beurteilung unerreichbar sind.
Durch Mißachtung dieser fundamentalen Grundsätze hat die Außenpolitik des Wilhelminischen Reiches und noch mehr des „Dritten Reiches" Mißerfolge gezeitigt, deren Folgen wir jeden Tag vor Augen haben. Wenn die deutsche Außenpolitik seit 1949 Erfolge gezeitigt hat, die kein vernünftiger Mensch bestreiten kann, so geht das. vor allem darauf zurück, daß sie seitdem mit dem Kopf gemacht worden ist und nicht mit dem Gefühl.
Der Herr Bundeskanzler hat mit Recht betont daß eine selbständige Außenpolitik der Bundesrepublik ohne Anlehnung an eine der großen Mächtegruppen heute mehr denn je ein Ding der Unmöglichkeit ist. Der Versuch, eine solche Politik zwischen Ost und West zu treiben, ist sowohl dem Zweiten wie dem Dritten Reich mißlungen. Die Folge war jeweils wachsendes Mißtrauen aller Nachbarn und zum Schluß eine Weltkoalition, die uns zweimal in die Katastrophe gestürzt hat. In diesem Hause besteht keine Meinungsverschiedenheit darüber, daß für uns nur eine Anlehnung an den Westen möglich ist, und der Herr Bundeskanzler hat das soeben mit allem Nachdruck erneut zum Ausdruck gebracht. Seine Politik ging seit 1949 klar und unmißverständlich in diese Richtung, und zwar nicht nur in die Richtung einer allgemeinen, mehr oder weniger losen Koalition mit den westlichen Staaten, sondern, soweit diese auf dem europäischen Kontinent liegen, in die Richtung einer Vereinigung zu einer politisch, wirtschaftlich und militärisch geschlossenen Einheit, die auf weithin absehbare Zeit Westeuropa sichern und seinen Völkern eine immer bessere Lebensgrundlage verschaffen soll. Wir unterstützen diese Politik aus voller Überzeugung.
Wir sind uns dabei klar darüber, daß die Bundesrepublik bei aller Wahrung der berechtigten deutschen Belange sich keinesfalls anmaßen darf, die Führerrolle in dieser westlichen Gemeinschaft zu beanspruchen.
Das können auch die westlichen europäischen Großmächte nicht. Die „Sunday Times" hat vor wenigen Tagen mit Recht festgestellt, daß auf der Genfer Konferenz die USA unbedingt die Führerrolle übernehmen müßten. Es sei nicht an England, zu befehlen. Das größte Unglück, das England befallen könnte, wäre, wenn Amerika wieder zum Isolationismus zurückkehren würde. Das gilt natürlich nicht nur für die in Genf verhandelten Fernost-Probleme, sondern genau so für die europäischen Fragen. Denn die Weltpolitik ist ein Ganzes und läßt sich nicht in voneinander unabhängige Scheiben tranchieren. Das gilt nicht nur für England, sondern in verstärktem Maße für die Bundesrepublik, deren wirtschaftliches und gar militärisches Potential doch wesentlich geringer ist als das des britischen Reiches. Wir können uns eben leider noch nicht leisten, zu vergessen, daß wir den Krieg verloren haben, und zwar so total, wie vielleicht noch nie einer verloren worden ist.
Wir können trotzdem mit großer Befriedigung feststellen, daß es der Bundesregierung gelungen ist, konsultiert zu werden in allen Fragen, in denen deutsche Interessen berührt werden, und nicht nur konsultiert zu werden, sondern sie hat es erreicht, ihren Rat und ihre Vorschläge in allen wichtigen Fragen anbringen zu können. Wir haben feststellen dürfen, daß dieser Rat und diese Vorschläge häufig in wichtigen Fragen befolgt worden sind.
Auf dem Weg zu der von uns erstrebten Europäischen Politischen Gemeinschaft liegt die Europäische Verteidigungsgemeinschaft. Die EVG ist für uns nicht Endziel und nicht Selbstzweck unserer Politik, sondern ein wesentlicher Schritt auf dem Weg zur europäischen Integration und nach unserer Überzeugung die relativ beste Lösung der westeuropäischen Verteidigung unter deutscher militärischer Beteiligung.
Die EPG, die Europäische Politische Gemeinschaft, ist unser Ziel. Aber wir glauben allerdings daß dieses Ziel auf dem Wege über die EVG am schnellsten und am sichersten zu erreichen ist. Wir bestreiten, daß die EVG ein Hindernis für die Wiedervereinigung ist, die in der deutschen Frage immer das zentrale und überragende Ziel unserer Politik sein muß.
Wenn Sowjetrußland es in Berlin nicht zu einer Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit kommen ließ, so war daran nicht die EVG schuld. Im Gegenteil, es spricht manches dafür, daß das Ergebnis der dortigen Konferenz ein besseres gewesen wäre, hätten die Westmächte auf eine bereits in Kraft stehende und wirksame Europäische Verteidigungsgemeinschaft hinweisen können.
Denn die Sowjets werden nach unserer Überzeugung, die auch der Herr Bundeskanzler heute wieder ausgesprochen hat, in der deutschen Frage erst dann bereit sein, politische Opfer zu bringen, wenn sie die Hoffnung auf westeuropäische Uneinigkeit und Zwietracht endgültig aufgegeben haben. Daß aber die EVG vor Berlin nicht zur Entstehung gekommen ist, liegt, wie ich hier nachdrücklich hervorheben möchte, in erster Linie bei der deutschen Opposition, die seit der Unterzeichnung der Verträge mit allen parlamentarischen und außerparlamentarischen Mitteln die Ratifikation so sehr verzögert hat, daß sie erst zwei Jahre nach Abschluß der Verträge endgültig vollzogen werden konnte. Wäre die Ratifikation in der Bundesrepublik im Sommer 1952 zustande gekommen, so hätte — darüber kann wenig Zweifel bestehen — die französische Nationalversammlung die Ratifikation ihrerseits anschließend durchgeführt; denn damals war Robert Schuman noch Außenminister, steckte der Indochina-Konflikt noch in den Kinderschuhen, war die Lage in Marokko noch weniger gespannt als heute, der Wirtschaftsaufschwung der Bundesrepublik noch nicht so augenfällig wie jetzt und, wenn ich auch dies erwähnen darf, das deutsche Drängen auf Inkraftsetzung der Verträge den uns gegenüber bekanntlich immer noch etwas mißtrauischen Franzosen noch nicht so auf die Nerven gefallen.
Im Anschluß an Frankreich hätten zweifellos auch die übrigen Vertragspartner wesentlich schneller ratifiziert, als dies so der Fall war. Das Vertragswerk stünde längst in Kraft. Wie gesagt, es ist durchaus möglich, daß dann die Berliner Konfe-
renz zu greifbareren Ergebnissen geführt hätte, als dies tatsächlich der Fall war.
Doch daran läßt sich heute nichts mehr ändern. Es bleibt uns nur übrig, die französische Entscheidung abzuwarten und durch taktvolles Verhalten der französischen Nationalversammlung den zweifellos schwierigen Absprung aus voller Selbständigkeit in die europäische Gemeinschaft zu erleichtern. Mißlingt allerdings dieser Absprung und scheitert daran die Europäische Verteidigungsgemeinschaft, was wir angesichts der politischen Urteilsfähigkeit der Mehrheit des französischen Volkes immer noch nicht glauben wollen, so werden wir deshalb das Ziel der europäischen Einigung, der europäischen Integration nicht aufgeben.
Wir werden in Ruhe und mit kühlem Kopf nach anderen Wegen suchen müssen, um doch zu der erstrebten Integration zu kommen.
Wäre die EVG 1952 ratifiziert worden, so wäre auch unsere taktische Verhandlungslage in der Saarfrage wesentlich günstiger. Denn dann wäre das erst durch den Nachfolger Robert Schumans erfundene Junktim zwischen Saar und EVG, das dem Fortgang der Verhandlungen und der Stimmung, in der sie geführt werden, so abträglich ist, nicht entstanden.
Der Bundeskanzler hat unseren Standpunkt in der Saarfrage klar und eindeutig herausgestellt. Er hat insbesondere nachdrücklich betont, daß eine endgültige Lösung dieser Frage nur im Rahmen eines mit einer gesamtdeutschen Regierung frei verhandelten Friedensvertrages möglich ist. Alles, was jetzt Gegenstand der schwebenden Verhandlungen bildet, kann also nur eine provisorische Regelung bis zu diesem Friedensvertrag sein. Da wir aber leider mit der Möglichkeit rechnen müssen, daß dieser Friedensvertrag, der eine Einigung der vier Großmächte und ebenso eine vorausgegangene Wiedervereinigung Deutschlands voraussetzt, noch länger auf sich warten lassen wird, als wir das wünschen möchten, so besteht zweifellos, ganz abgesehen von dem Zusammenhang mit der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, ein gemeinsames Interesse aller Beteiligten, besonders der beiden großen Nachbarvölker und der Bevölkerung an der Saar, durch eine vorläufige Regelung eine Besserung der Verhältnisse herbeizuführen, die in vieler Beziehung sowohl den Grundsätzen der Menschenrechte wie dem Gedanken eines politisch und wirtschaftlich in vertrauensvoller Zusammenarbeit vereinigten Westeuropas widerstreben. Aus den Gründen, die der Herr Bundeskanzler überzeugend dargelegt hat, gibt es hierfür nur den Weg des Verhandelns unter beiderseitigem Nachgeben. Wir müssen, glaube ich, der Beratenden Versammlung des Europarats dankbar sein, daß sie sich vermittelnd und anregend eingeschaltet hat und uns damit die Möglichkeit eröffnet hat, Bundesgenossen für eine gerechte und vernünftige Interimslösung zu finden.
Der van-Naters-Plan ist gewiß keine ideale Lösung und entspricht in vieler Beziehung noch nicht dem Bild, das wir uns von einer tragbaren Regelung des Saarproblems machen. Indessen dürfen wir hoffen, daß hier im Verhandlungsweg noch Verbesserungen zu erreichen sein werden, insbesondere hinsichtlich der Einräumung der Menschenrechte, deren sparsame Zumessung erst ein Jahr vor der Abstimmung an der Saar uns ganz besonders unbefriedigend erscheint.
Besonders unterstreichen möchte ich die Forderung, daß auch eine vorläufige Saarlösung auf der Grundlage des Naters-Planes aufs engste mit der Schaffung der Europäischen Politischen Gemeinschaft verknüpft sein muß, weil erste Voraussetzung für die Europäisierung der Saar die Entstehung und Verwirklichung einer wahren europäischen Gemeinschaft sein muß. Ist allerdings diese Voraussetzung erfüllt — nämlich das Zustandekommen einer echten europäischen Gemeinschaft, in der die einzelnen Mitgliedsstaaten in unwiderruflicher Weise nationale Hoheitsrechte an supranationale Zentralinstanzen übertragen haben —, dann spielt nach unserer Auffassung die formelle Zugehörigkeit der Saar zum deutschen Staatsverband nicht mehr dieselbe Rolle wie heute, wo die nationalen Staatsgrenzen immer noch ihre verhängnisvolle Bedeutung haben. Unter dieser Voraussetzung wird also auch aus der Behandlung der Saar kein Präjudiz für die deutschen Gebiete jenseits der Oder-Neiße abgeleitet werden können; denn die Saar wäre ja in eine wahre europäische Gemeinschaft eingebracht, an der wir selber maßgebend beteiligt wären. Wir haben die Zuversicht, daß der Herr Bundeskanzler die auf diesem Gebiet noch bevorstehenden schwierigen Verhandlungen auf der Grundlage der Bundestagsresolution vom 2. Juli 1953 und im Sinne seiner heutigen Ausführungen unter voller Wahrung des deutschen Standpunktes, aber gleichzeitig im europäischen Geiste fortführen und hoffentlich zu einem Ergebnis führen wird, das diese noch schwärende Wunde im Mittelpunkt Europas zur Heilung bringen wird.
Gestatten Sie mir zum Schluß noch einige Worte über unser Verhältnis zu den Behörden der sowietischen Besatzungszone. Der Herr Bundeskanzler hat die gemeinsame Erklärung der NATO-Regierungen erwähnt, in der diese einmütig eine Anerkennung des pseudosouveränen Pankow-Regimes abgelehnt haben. Dieser Standpunkt muß für die Bundesregierung in noch höherem Maße gelten. Eine Anerkennung dieser Regierung käme einer Aufgabe des in diesem Hause wiederholt und noch vor kurzem einmütig gebilligten Grundsatzes gleich, daß wir uns niemals mit dem Bestehen zweier deutscher Staaten abfinden werden.
Es kann uns wohl auch nicht entgegengehalten werden, daß wir auch zu anderen nicht demokratisch legitimierten Regierungen diplomatische Beziehungen unterhalten; denn es ist für uns nicht das gleiche, ob nichtdeutschen Völkern das Recht zu politischer Meinungsäußerung und Willensbildung vorenthalten wird oder ob das bei 18 Millionen Deutschen der Fall ist. Die Nichtanerkennung wird allerdings in der Zukunft nicht ausschließen — wie es auch in der Vergangenheit nicht ausgeschlossen war—, daß über wirtschaftliche und technische Fragen insbesondere auf dem Verkehrsgebiet durch die örtlich und sachlich zuständigen Behörden oder sonstigen Stellen mit Organen der Sowjetzonenverwaltung verhandelt wird. Die Fortsetzung dieses rein praktischen Zwecken dienenden Kontakts auf der hierfür geeigneten Ebene liegt in hohem Maße im Interesse der deutschen Bevölkerung der Sowjetzone, deren Wünsche und Sorgen uns nicht gleichgültig sein können. Es wird geprüft werden können, ob dieser praktische Kontakt im Interesse unserer deutschen Brüder und Schwestern jenseits der Zonengrenze auch auf an-
dere unpolitische Gebiete, etwa den Kulturaustausch oder den Sport, erstreckt werden kann.
Von besonderer Bedeutung bleibt auch für die Zukunft in diesem Zusammenhang die Aufrechterhaltung West-Berlins, das ein entscheidender Faktor in der Wahrung der moralischen Stärke und des Widerstandswillens der deutschen Bevölkerung in der Sowjetzone ist.
Die uns in nächster Zeit bevorstehenden Aufgaben auf dem Gebiete der Außenpolitik sind nicht leicht, aber auch nicht schwieriger als die, deren Lösung bereits gelungen ist. Wir haben unbeschadet mancher Wünsche hinsichtlich der künftigen Organisation des Auswärtigen Dienstes die Zuversicht, daß es dem Bundeskanzler, gestützt auf die große Mehrheit dieses Hauses, gelingen wird, sie in einer unseren deutschen Interessen und gleichzeitig dem europäischen Gedanken Rechnung tragenden Form ihrer Lösung näherzubringen.