Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ernst des Tages, an dem heute unsere Debatte stattfindet, ist nicht zu verkennen. Seit dem Überfall auf Südkorea ist die Weltlage nicht so ernst gewesen, wie sie es heute ist. Das verpflichtet uns zu einem besonderen Maß an Zurückhaltung und zu einer besonderen Selbstkontrolle bei den Worten, die wir zu sagen haben. Ich bin nicht befugt, Zensuren zu geben, und unterdrücke deshalb ein Urteil über diesen oder jenen Punkt, der hier zum Ausdruck gebracht worden ist, ob alle Ausführungen diesem Maßstab und dieser Verantwortung genügt haben. Wir führen diese außenpolitische Debatte in einer sehr unpräzisen Situation. Infolgedessen ist es außerordentlich schwierig, etwas Präzises zu sagen, es sei denn, daß man sich in der Eitelkeit bewegt, Originalitäten und intellektuelle Gedankenblüten auf den Tisch des Hauses zu legen. Damit dient man aber den deutschen Interessen in gar keiner Weise. Ich möchte mich daher in dieser Situation darauf beschränken, grundsätzliche Auffassungen meiner Partei zum Ausdruck zu bringen. Es hat keinen Sinn, sich in diesem Moment darauf zu beschränken, über die gegebenen Verhältnisse zu lamentieren und die schlimmen Dinge, die in der Welt geschehen, zu kritisieren und sich dem Gefühl der Enttäuschung über den Verlauf der europäischen Politik und die schlechte Entwicklung der Dinge
hinzugeben. Das hat keinen Sinn, wenn ich nicht mit dieser Kritik zugleich eine konstruktive Idee zu verbinden habe.
Ich muß aufrichtig sagen, daß der heutige Tag über den bisherigen Grundgedanken der deutschen Außenpolitik hinaus keine eigentlich neuen konstruktiven Gesichtspunkte hervorgebracht hat.
Wir stehen unter dem Einfluß von drei Faktoren. Der eine ist die objektiv veränderte Weltlage. Die Existenz des alten Staatensystems, so wie es in der Vergangenheit als vielfältiges nationalstaatliches System geworden ist, ist auf die Dauer nicht mehr aufrecht zu erhalten. Die Welt ist in zwei große Machtzentren zerfallen, in das Machtzentrum des Ostens und in das Machtzentrum der Amerikaner. In diesem Gefüge großräumiger Zusammenschlüsse, das im Ostblock bereits vollendet ist, im Westen aber noch nicht vollendet ist, besteht praktisch das europäische Loch. In diesem europäischen Vakuum liegt die Gefahr eines deutschen Niemandslandes zwischen Ost und West, d. h. die Gefahr der Vernichtung des deutschen Volkes. Unter diesen schweren Bedingungen haben wir Politik treiben müssen. Ich bitte dabei zu berücksichtigen, daß 1945 die Niederlage nicht nur eine gewöhnliche Niederlage war, sondern die Zerstörung des gesamtstaatlichen Gefüges und seiner politischen Vertretung nach außen.
Das hat es bisher noch kaum gegeben. Das war mehr als ein verlorener Krieg. Das war eine Vernichtung, und aus diesem Zustand der Vernichtung heraus mußte Außenpolitik getrieben werden. Wer sich einbildet, daß die Gefahr der Vernichtung bereits von unserem Haupte weggenommen worden sei, und deshalb, weil dank der Politik der Regierung die Leute wieder satt zu essen haben — jedenfalls der größte Teil wieder satt zu essen hat — und man wieder Luxus sieht, nun etwa glaubt, man sei in Sicherheit und damit sei nun alles ausgestanden, der lügt sich doch etwas vor!
— Das habe ich schon mehrfach gesagt, Herr Kollege Heiland. Ich glaube, man sollte den Begriff des Rechtes der Menschen auf die Heimat und in der Heimat als den obersten Grundsatz und Maßstab feststellen und daran alle übrigen Dinge bemessen, die geschehen sind. Das sind nicht mehr nationalistische Prestigefragen. Vielmehr handelt es sich um die Frage: Was dient den Menschen, was erhält ihr Menschenrecht in der Heimat, und wie ist es möglich, daß diese Menschen in Ruhe und Frieden und Sicherheit in ihrem Siedlungsraum sitzen und arbeiten können und eine Zukunft haben? Das ist ein Maßstab, und allein nach diesem Maßstab ist meiner Ansicht nach Erfolg oder Mißerfolg einer Außenpolitik zu messen.
Man mag vielleicht sagen: Das ist eine Politik der Illusionen! Ich halte sie für eine sehr praktische Politik, weil sie auf das wirkliche Bedürfnis der Menschen eingeht und weil sie bei richtiger Anwendung des Grundsatzes des Rechtes der Menschen auf die Heimat und in der Heimat manches aufgeblasene Scheinproblem auf das reduziert, was es eigentlich politisch bedeutet.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn man die außenpolitischen Debatten hört, hat man oft den Eindruck, daß Ursache und Wirkung unserer gegenwärtigen Lage vollkommen vergessen zu sein scheinen. Insbesondere scheint vergessen zu sein, daß diese ganz konkrete Form einer europäischen Politik — nämlich die der EVG—ja schließlich durch eine sowjetrussische Aggression hervorgerufen worden ist, nämlich
dadurch, daß die Sowjetunion ihre Rechte als Besatzungsmacht mißbraucht hat, daß sie die Spaltung des deutschen Staatswesens aufrechtzuerhalten oder das Wiedererstehen des deutschen Gesamtstaates zu behindern sucht, daß sie tatsächlich durch eine immer weitere Ausdehnung ihres Einflusses den Versuch macht, die westliche Welt unter Druck zu setzen, um die vorherrschende Macht zu werden. Aus diesem Verhalten ist die gegenwärtige Lage entstanden. Es ist also nicht etwa eine Erfindung der westlichen Politiker, den Zusammenschluß Europas in dieser oder jener Form vorzunehmen, sondern das ist eben die Antwort auf einen unguten Druck, der die Welt beunruhigt. Wir müssen feststellen, daß es eine Verbindung von Staaten gibt, die als potentielle Aggressoren gelten müssen, weil sie darauf abzielen, die Freiheit der Völker im Innern und nach außen zu beseitigen. Wer das bestreitet, den muß ich auf den Angriff in Korea verweisen und dem halte ich insbesondere entgegen, daß vor dem Beginn der Genfer Konferenz, wo alles darauf ankam, daß es wirklich zu einer entspannten Atmosphäre kam, in dieser Situation bei den Vorgängen in Indochina erneute Aggressionen begonnen worden sind mit dem Ziel, auf der Genfer Konferenz militärische Vorteile in Indochina aufweisen zu können. Es sind also lauter Handlungen begangen worden, die die Atmosphäre verschlechtert haben. Ich denke auch an den Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit Australien und noch an andere Fälle, in denen eine so deutliche Verschärfung der Situation durch den Ostblock festgestellt werden muß, daß man sich wirklich fragen kann, ob nicht diejenigen, die der Illusion der Entspannungspolitik von Berlin, ich möchte sagen, überhaupt den Illusionen des Jahres 1953 erlegen sind, eine sehr gefährliche und auf die Dauer die Aggressoren nur ermutigende Politik treiben.
Meine Damen und Herren, ich weiß, daß es vielleicht für einen Deutschen, der sich mit diesen Problemen beschäftigen muß, der aber nicht viel dabei mitzureden hat, etwas gewagt ist, das zu sagen. Ich möchte aber behaupten, daß diejenigen Illusionisten, die der Sowjetunion ein angebliches Sicherheitsbedürfnis und deshalb Entspannungsbedürfnis zugesprochen haben, die ihr also die „Friedenspolitik" abgenommen haben und die deshalb die Politik der europäischen Sicherheit und Verteidigung zwei Jahre lang verzögert haben, so daß man jetzt unter Umständen bald über diese Politik das Wort „zu spät" setzen muß, jetzt allmählich eines Besseren belehrt sind. Ich kann mir nicht vorstellen, daß gegenüber einer Politik, die auf Ausdehnung der Machtsphäre gerichtet ist und die auch kein Mittel — auch nicht das der direkten Gewalt — gescheut hat, wenn es auch nur in örtlich begrenztem Umfang wie in Korea oder in Indochina angewandt wurde, daß gegenüber einem solchen politischen Wollen eine andere Haltung möglich wäre als eine Politik, die klarstellt, daß mit diesen Mitteln der Gewalt und Aggression einfach nicht weiterzukommen ist, ohne die eigene Position entscheidend zu gefährden.
Ich glaube, der Politik der Aggression muß ein deutlicher Wille entgegengesetzt werden, und dieser Notwendigkeit der freien Welt haben wir auch unsere eigenen Überlegungen in Deutschland unterzuordnen. Ich möchte dabei all denen, die jetzt die Krise der europäischen Politik mit einer gewissen hämischen Genugtuung vermerken, folgendes sagen. Ich darf daran erinnern, daß wir auch zwischen dem ersten und dem zweiten Weltkrieg unter Briand und Stresemann — man lese einmal die Dokumente dieser Zeit durch
und vermerke, mit welch innerem Glauben und Schwung sie geschrieben worden sind — eine Chance hatten. Man bekämpfte diese Politik damals genau so hämisch wie heute, weil man den letzten Schritt nicht tun wollte. In der Genugtuung über das Scheitern dieser Politik waren damals allerdings die politischen Fronten bei uns anders als heute. Mit einer hämischen Genugtuung hat man eine Entwicklung, eine Chance zerredet, die dann nicht wiedergekommen ist, für die aber in Europa alles in allem nachher die Katastrophe dann unausweichlich kam.
Warum hat man damals nicht eingesehen, daß das, was mit den Locarno-Verträgen begonnen war, nicht zugleich wieder durch eine Mißtrauenspolitik gegenüber Deutschland zerstört werden durfte? Was ist dabei herausgekommen? Man hat eine Politik getrieben — ich will nicht im einzelnen sagen, wer es war —, die dem inneren Sinn der Locarno-Verträge absolut entgegengesetzt war, indem man eine Politik der Einkreisung trieb und ein Deutschland isolierendes Sicherheitssystem aufbaute, das dann zum Zusammenbruch der konstruktiven Locarnopolitik führen mußte und mit eine der Ursachen war, daß die damalige Chance verpaßt wurde, die 40 Millionen Menschen das Leben gerettet hätte, die uns noch in unserer Heimat hätte verbleiben lassen und Millionen Menschen anderer Völker in ihren Siedlungsgebieten gelassen hätte, die so viel Unheil von der Welt abgewandt hätte, wenn man damals auch den inneren Schwung und den Mut gehabt hätte und sich nicht hämisch an der Zerstörung und dem Zusammenbruch dieser Politik gefreut hätte.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, man spricht davon, daß sich die Amerikaner aus Europa loslösen und eine periphere Verteidigung vorziehen könnten. Ob das militärisch im amerikanischen Interesse vernünftig wäre oder nicht, vermag ich und will ich hier nicht untersuchen. Aber man muß eines doch allen Ernstes feststellen. Die Enttäuschung über einen politischen Weg kann sehr große Änderungen in den öffentlichen Meinungen von Demokratien auslösen. Ob das Ergebnis dabei militärisch und strategisch vernünftig oder unvernünftig ist, spielt bei solchen spontanen Wendungen keine entscheidende Rolle. Man muß damit rechnen, daß, wenn dieser konkrete, durch Jahre nun verfolgte politische Weg in Europa versagt, es dann einen Umschwung in der Meinung des Volkes der Vereinigten Staaten gibt, der sie zu einem isolationistischen oder peripher verteidigten System hindrängen wird. Da sagen dann die Leute, es sei amerikahörig, so etwas zu sagen. Wer hat denn — seien wir doch ehrlich — die Freiheit in der Welt und bei uns verteidigt?
Es war doch Amerika, und es wäre undankbar, das nicht deutlich zu bekennen.
Ein weiterer Punkt. Wir wissen um die Furchtbarkeit der Vernichtungswaffen, der Atombomben. Wir müssen aber auch feststellen, daß durch die Überlegenheit dieser amerikanischen Rüstung an einigen Orten der Welt, wo militärisch schwache Völker leben — und wir gehören leider zu diesen geschwächten Völkern—, die Freiheit bewahrt worden ist. Ich bin sehr für ein Verbot der überschweren Waffen, die ja im Grunde genommen Freund und Feind vernichten und schädigen. Aber ich bin nicht gewillt, zuzustimmen, daß man bei dieser Frage, dem Wettlauf zwischen den Rüstungen Moskaus und Washingtons, gewissermaßen Moskau den Vorteil verschafft. Wir brauchen in der Welt die gesamte Abrüstung, wenn die Zivilisation überleben soll. Jeder, der heute mit dem Gedanken der Gewalt auch nur spielt, der setzt damit die Existenz der gesamten menschlichen Zivilisation aufs Spiel.
Die Lage ist aber auch nüchtern so zu betrachten: Die Sowjetunion macht den Wettlauf um die H-Bomben mit; denn sie besitzt sie ja auch, allerdings wohl nicht in der gleichen Zahl; das wissen wir nicht genau. Sie scheint jedoch eine sehr deutliche Überlegenheit an den sogenannten üblichen Waffen zu haben, die vorläufig durch die Atomrüstung der Vereinigten Staaten ausgeglichen ist.
Meine Damen und Herren, wir haben als Deutsche ein sehr, sehr großes Interesse daran, daß man wirklich zu einem allgemeinen System der Abrüstung kommt und daß die atomare Kraft ausschließlich für friedliche Zwecke verwendet wird. Verkennen wir aber bitte nicht, daß die Frage der Abrüstung und des Verbots der schweren und überschweren Waffen eng mit dem Aufbau eines allgemeinen Sicherheitssystem zusammenhängt und nur Hand in Hand mit den Fragen der allgemeinen Sicherheit einer wahrhaften Lösung entgegengeführt werden kann. Deshalb glaube ich, es ist eine Notwendigkeit für das Überleben unseres Volkes, daß wir bei der Beratung all dieser Fragen mit im Spiele sind, daß wir gefragt, daß wir konsultiert werden. Es ist nicht in die Verantwortung eines deutschen Politikers gestellt, sich unter den gegenwärtigen Umständen sozusagen in einen Schmollwinkel zu setzen oder zu erklären: „Alles muß hier bei uns an staatlichem Handelnkönnen wiederaufgebaut sein, dann erst beteilige ich mich wieder." Das geht nicht. Ich halte es nach wie vor — und das ist hier oft ausgesprochen worden — für unsere absolute Pflicht, jeden Zipfel von Verantwortung, die uns zuwächst, zu übernehmen, um mit am Tisch der Nationen zu sitzen und für das Recht unserer Menschen innerhalb der Grenzen des Geltungsbereichs des Grundgesetzes und darüber hinaus einzutreten.
Ich glaube dabei, daß aus den Stürmen unserer Zeit ein großes Prinzip hervorgeht, das ich das Prinzip der atlantischen Solidarität nennen möchte. Nach meiner Auffassung kann man bei den gereiften Verhältnissen in der Welt nicht Nationen fusionieren. Man sollte den Gedanken einer Fusion der Nationen — Integration als Fusion der Nationen — nicht verfolgen. Die Geschichte hat die Völker, so wie sie sind, in ihrer Eigenart geformt. Eines ist aber zweifellos möglich und notwendig, das ist die Fusion der Interessen der freien Welt.
Dabei frage ich ganz konkret, ob jenes Forum des Europarates genügt, um eine wirkliche Fusion der
Interessen herbeizuführen. Ich frage, ob die bisherigen, traditionellen zwischenstaatlichen Formen ausreichen, um eine wirksame Fusion der Interessen durchzuführen.
Ich bin sehr glücklich darüber, daß der Europarat besteht und hier eine Klammer, ein Kontakt zwischen allen europäischen Völkern gegeben ist. Ich möchte nicht in den Chor jener einstimmen — übrigens haben sich da merkwürdigerweise die Fronten vertauscht —, die den Europarat als Schwatzbude diffamiert haben; diese Kreise fangen jetzt an, ihn zu loben, nachdem die Konstruktion eines Klein-Europa der sechs Staaten zu konkreteren Formen der Zusammenarbeit fortentwikkelt werden konnte. Ich bin sehr glücklich darüber, daß der Europarat besteht, weil er tatsächlich ein Forum ist, bei dem man sich noch treffen kann, bei dem man sich verständigen kann. Jeder muß sich aber auch darüber klar sein: Was man an Gedankenaustausch und Resolutionen in den Kommissionen und im Plenum der Beratenden Versammlung schaffen kann, ist nützlich für die Vorbereitung der öffentlichen Meinung, jedoch reicht das nicht aus für die Fusion der Interessen und der ohne Zeitverlust wirksam zu lösenden europäischen Aufgaben, wo es um Sein oder Nichtsein geht.
Es wird soviel von einer Alternative zum europäischen Verteidigungsvertrag gesprochen. Alternativen kann man sich am grünen Tisch ausdenken, und intellektuell ersonnen gibt es natürlich zahlreiche Alternativen.
Aber zu dem, was wirklich sein kann, habe ich nur folgendes zu bemerken.
Wir haben in diesem Hause die Ratifikation der Verträge von Bonn und Paris beschlossen. Wir sind im Wort. Ich glaube, es hat bisher niemals der Zuverlässigkeit einer Politik gedient, wenn man stets neue Gedanken produziert und damit ein inneres Schwanken, eine innere Unsicherheit erkennbar gemacht hat. Wir sind im Wort und haben vorläufig dem von uns gegebenen Wort hinsichtlich der Vertragsgestaltung nichts hinzuzufügen, sondern haben bei unserer Offerte, wenn man so sagen will, zu bleiben.
Ich weiß, daß manches, was bei der Diskussion dieser Vertragswerke gesagt wird, uns tiefe Sorge machen muß. Zu dem, was der Kollege Ollenhauer heute morgen gesagt hat: Machen Sie sich über das, was in der französischen Kammer und auch in der Presse gesagt wird, keine Sorgen?, kann ich nur sagen: wir, ich glaube, alle Deutschen mit europäischer Gesinnung, machen uns erhebliche Sorgen über diese Form, in der der Grundgedanke durch das Verzögern der Politik über zwei Jahre zersetzt worden ist, so daß man sich tatsächlich manchmal fragen muß, was aus dieser Politik noch werden soll. Aber es gehört auch zu den Tugenden in der Politik, daß man dann, wenn einmal eine kritische Lage auftritt — und alle größeren Dinge müssen ihre Krisen durchschreiten —, mit vollkommener Konsequenz an dem einmal gegebenen Wort festhält, bis man davon befreit wird, bis eben das Scheitern feststeht.
— Ich möchte keine genaue Uhrzeit angeben, Herr
Kollege Kreyssig. Aber eines sei dabei noch gesagt.
Derjenige, der heute schon glaubt, eine klare Diagnose stellen zu können, wird unter Umständen durch die Ereignisse widerlegt. Es ist dann, glaube ich, auch nicht nützlich, wenn man einerseits erklärt: Wir stehen im Wort, und das Wort, das wir gegeben haben, ist in seiner Verpflichtung unumstößlich, daß man dann zugleich mit einer pessimistisch unkenden Prognose aufwartet. Irgendwie ist auch die eigene innere Haltung selbst ein Element der Gestaltung.
Meine Damen und Herren, nun könnte es ja so sein, daß wir den Anschein erweckten, an diesem EVG-Vertrag so übermäßig interessiert zu sein, daß wir es gar nicht erwarten könnten, wieder die Uniform anzuziehen, und daß wir im Verlangen nach militärischer Macht alles daransetzen würden, um diese Verteidigungspolitik zur Vollendung zu bringen. Wer die Dinge so darstellt, verkennt vollkommen die Mentalität des deutschen Volkes und das, was es durchgemacht hat. Daß man bei der effektiven europäischen Einigung mit militärischen Fragen hat anfangen müssen, ist nicht die Schuld der freien Welt, sondern ist, wie ich schon darzulegen bemüht war, eben eine Folge der Situation und der Übermacht des Ostblocks und seines klaren Willens, auch nicht ein Stückchen Kompromißbereitschaft auf europäischem Boden zu zeigen. Darum sind nun diese militärischen Fragen in den Mittelpunkt getreten. Aber ich möchte gerade unseren französischen Nachbarn das eine sagen: Vieles, was sie selbst an Bedenken haben und immer wieder äußern, macht auch uns nicht gerade übermäßig Freude. Aber wir erkennen mit ihnen und mit allen Völkern Europas an, daß es keinen anderen Weg gibt, um der gegenwärtigen Situation im Sinne der Freiheit und der Interessen aller europäischen Nationen wirksam zu begegnen, und daß uns bisher keine Entwicklung in dieser Überzeugung hat schwankend machen können. Leider hat die Welt keine andere Entwicklung nehmen können, die eine Alternative mehr auf politischem und weniger auf militärischem Gebiet erlaubt hätte.
Meine Damen und Herren, Herr Kollege Ollenhauer hat eine Äußerung des Generals Gruenther vorgetragen, wonach 12 deutsche Divisionen gewissermaßen nur als Vorhut für die eigentlichen Streitkräfte der Alliierten aufgestellt werden sollten. Ich glaube, daß diese Äußerung mißverstanden worden ist. Ich möchte empfehlen, den Aufsatz von Foster Dulles über die neue Art der Verteidigung der Vereinigten Staaten von Amerika zu studieren, um zu begreifen, welche echte Funktion diesen 12 Divisionen zukommt.
Aber glauben Sie denn wirklich, auf der einen Seite sagen zu können: Gesamtdeutschland muß wiederhergestellt werden, wenn Sie auf der anderen Seite unsere Sicherheit durch andere garantieren lassen wollen, ohne daß das deutsche Volk selbst bei der unmittelbaren Nähe der Gefahr seinen Teil an dieser Aufgabe übernimmt?
Das ist doch undenkbar. Man kann niemals einem anderen das zulasten, was man selbst tun muß.
Herr Kollege Pfleiderer sagte. vorhin, in gesamtdeutschen Fragen seien wir praktisch allein. Allerdings, in den Fragen des eigensten nationalen Interesses ist man immer irgendwie allein. Man findet nur dann Freunde und Bundesgenossen,
wenn man in sich selber die Kraft zur Initiative und zum Handeln entwickelt hat.
Damit möchte ich die Frage kurz ansprechen, die uns wohl am meisten angeht: die deutsche Einheit. Man kann schlagwortartig sagen, daß die Entwicklung der Frage der deutschen Einheit zwei Phasen durchgemacht hat, den Weg von Potsdam nach London, jener Außenministerkonferenz, die dann 1947 im Dezember auseinanderbrach, und schließlich den Weg von London nach Berlin und jetzt nach Genf. Meine Damen und Herren, ich habe vorhin schon von der verhängnisvollen Fehldiagnose gesprochen, die zur Verzögerung der Europapolitik, zur Verzögerung der Ratifizierung der EVG und zur Verzögerung des Wirksammachens einer europäischen Zusammenarbeit geführt hat. Berlin hat doch für uns Ergebnisse gebracht, die uns zwingen sollten, die Politik der Zusammenarbeit mit der freien Welt so weit zu verstärken wie überhaupt nur möglich. Denn Berlin hat als Ergebnis gezeitigt, daß die Sowjetunion nicht gewillt ist, die Teilung Deutschlands aufzuheben unter Bedingungen, die die Freiheit der deutschen Menschen gewährleisten. Ich glaube, daß man hier im Sinne der gesamtdeutschen Aufgabe festbleiben muß, daß man auch nicht das geringste an deutschen Freiheitsrechten und an der Möglichkeit deutscher Freiheit verraten darf.
Hinsichtlich der Zuerkennung gewisser Souveränitätsrechte an die Administration in der sowjetisch besetzten Zone möchte ich nur eines sagen. Es gibt nur eine deutsche Souveränität, und diese eine deutsche Souveränität kann nicht durch auswärtige Gewalten gespalten werden.
An diesem Grundsatz müssen wir meiner Ansicht nach festhalten. Es ist auch nicht so, daß Souveränitätsrechte von irgendeiner anderen Regierung als der eines gesamtdeutschen Staates ausgeübt werden könnten. Wir müssen aber Souveränitätsrechte auch im Geltungsgebiet des Grundgesetzes ausüben. Diese Ausübung der Souveränitätsrechte geschieht treuhänderisch. Aber auch, wenn sie treuhänderisch geschieht, ist es immer die Ausübung ein und derselben gesamtdeutschen Souveränität, die unzerstörbar ist. Diese eine deutsche Souveränität kann ihre volle Wirksamkeit erst entfalten, wenn sie wieder vom Gesamtstaat ausgeübt werden kann. Sie wird in den freien Teilen Deutschlands treuhänderisch, und zwar immer als eine einheitliche, das gesamte deutsche Volk betreffende Souveränität wahrgenommen. Wir haben mit jedem Souveränitätsakt, der von uns in der Vertretung der auswärtigen Politik oder auch nach innen vorgenommen wird, eine Verantwortung gegenüber dem gesamten deutschen Volk zu erfüllen. Die Notwendigkeit, den Beistand der freien Welt für die Wiederherstellung der deutschen Einheit zu gewinnen, liegt auf der Hand. Man kann sagen, daß auf der Bermuda-Konferenz und auf der Konferenz von Berlin — und wir hoffen das auch von der Konferenz von Genf — die erste Stufe doch erreicht worden ist, nämlich die Stabilisierung und Konsolidierung der westlichen Zusammenarbeit als die erste Voraussetzung. Damit hat aber nun die zweite Phase begonnen — der Vertreter des Gesamtdeutschen Blocks sprach bereits davon —, in der wir die eigene Verantwortung verstärken müssen — in echten eigenen Aktionen —, um die Einheit Deutschlands wiederherzustellen.
Heute ist das Wort gefallen, die einzige Klammer der deutschen Einheit und der Zusammengehörigkeit sei gewissermaßen die Potsdamer Grundlage. Ich möchte diesem Satz mit allem Ernst widersprechen. Deutschlands Einheit beruht nicht auf Abmachungen der Besatzungsmächte, sondern auf unserem heiligen historischen Recht, das in uns selbst begründet ist.
Ob Potsdam über Bord geht oder nicht, ob internationale Abmachungen bestehen oder nicht, Deutschlands Einheit ist in uns selbst gegeben und nicht nur als Anspruch, sondern als Realität unseres einheitlichen Volkes unzerstörbar.
— Ich sehe keine Gespenster! —
— Meine sehr geehrten Damen und Herren, diese Polemik hat sich gar nicht gegen Sie gerichtet. Ich weiß nicht, wer es gesagt hat, aber heute morgen wurde gesagt, daß Potsdam die einzige Klammer sei. Wenn das in der Begründung zum Deutschland-Vertrag gestanden hat, so hat das einen anderen Sinn als den, von dem ich eben sprach. Die Potsdamer Grundlage bezog sich auf die Zusage, die Debellatio nicht zur Zerstörung der deutschen Einheit mißbrauchen zu wollen; ich aber sprach von der natürlichen Einheit Deutschlands, die über allem Besatzungsrecht steht.
Ich möchte nur das eine sagen: Wenn auch die Potsdamer Grundlage aufgegeben wird, die Einheit der Nation kann niemals durch einen fremden Akt aufgehoben werden. Es ist eigentlich eine Zumutung — ich möchte nicht dem Schweizer Blatt zu nahe treten und schon gar nicht dem Schriftsteller —, aber ich meine, es ist wirklich nicht das Amt eines Ausländers, die Deutschen daran zu erinnern, was sie sich selber schuldig sind. Das möchte ich solchen Zensoren gegenüber eindeutig zum Ausdruck bringen. Was wir uns als Politiker in deutscher Verantwortung schuldig sind, darüber bestimmen wir in innerer Souveränität und verbitten uns, daß man uns darüber Vorhaltungen oder Vorschriften macht.
— Das war an alle gesagt, die diesen Versuch unternehmen sollten.
Abschließend komme ich zu dem schwierigen Problem der Saar. Es ist ein Teilproblem, man muß es im Gesamtzusammenhang der Außenpolitik und vor allem im Zusammenhang mit dem Problem der deutschen Einheit sehen. Ich muß wirklich sagen, daß es sich erübrigt, gegen das Junktim einer Saarlösung mit der EVG zu polemisieren. Sollte tatsächlich in dem Verlangen, daß vor der Ratifikation des EVG-Vertrages und als Voraussetzung einer Debatte darüber in der französischen Kammer eine Lösung der Saarfrage erzielt wird, eine Pression ausgeübt werden, so müßten wir das vom deutschen Standpunkt aus entschieden ablehnen, da diese Frage mit der Europäischen
Verteidigungsgemeinschaft überhaupt nichts zu tun hat. Ich muß unterstreichen, was heute gesagt worden ist: sowenig Junktims wie möglich. Aber den Grundgedanken, eine Lösung der Saarfrage in den Zusammenhang mit der europäischen Gemeinschaft zu bringen, halte ich für sehr vernünftig, weil eine europäische Realität erst geschaffen sein wird. wenn wir uns in Europa über eine effektive Zusammenarbeit auf politischer Ebene geeinigt haben. Es ist richtig, wenn der Herr Bundeskanzler heute festgestellt hat, daß der deutsche Standpunkt und der französische Standpunkt in der Frage der Saar unüberbrückbar sind. Wir haben das Recht, die anderen haben den Besitz. Aber ich möchte mich dagegen wenden, daß Vokabeln wie „Vorleistung" und „Verzicht" gebraucht werden. Leider ist es so, daß de facto das Saargebiet vom deutschen Staats- und Volkskörper abgetrennt ist.
- Nein, wir haben auf nichts verzichtet. Man hat es weggenommen und hat es nun in der Hand. Die Pflichten deutscher Politiker gehen dahin, unserem Volk an der Saar zu helfen, Treuhänder des gesamten deutschen Staates, der deutschen Souveränität zu sein. Inhalt einer Souveränität ist immer, den Bewohnern eines Gebietes Schutz, Hilfe und Sicherheit zu gewähren. Hier geht es doch ganz klar darum, einem deutschen Gebiet wieder die notwendige innere Prosperität, Sicherheit und Stabilität zu geben, die ihm zukommen und die durch ständige politische Störungen, durch Grenzziehungen usw. gestört worden sind. Die Aufgabe ist, etwas gesund zu machen, zu schutzen, was durch falsche politische Entscheidungen, durch Gewalt zerstört worden ist.
Man hat oft den Eindruck — ich möchte das offen aussprechen —, daß man diesen Konflikt — und über diese Frage besteht zwischen zwei europäischen Völkern ein echter Konflikt — jeweils dann betont, wenn man glaubt, daß man die Formen der europäischen Zusammenarbeit, so wie sie sich entwickelt haben, damit stören könnte. Ich kann mir nicht denken, wie man Volk und Gebiet an der Saar eine wirkliche Hilfe bringen will, wie man die Pflicht auch diesem Teil Deutschlands gegenüber erfüllen will — das Saargebiet gehört zu unserem Staatsgebiet in den Grenzen von 1937 —, wenn man die Dinge unüberbrückt so liegen läßt und damit den Einfluß Frankreichs, das die Saar praktisch wirtschaftlich annektiert hat, sich immer mehr ausbreiten und schließlich de facto Zustände eintreten läßt, die dann nicht mehr zu reparieren sind. Ich glaube, man kann sich dieser Pflicht einfach nicht entziehen. Man kann nicht bis zu einem Friedensvertrag gewissermaßen trotzend stehenbleiben und die Dinge einfach liegen lassen. Man verschlechtert die Lage zuungunsten Deutschlands, wenn man die Dinge bis zum Friedensvertrag einfach in der Schwebe läßt und wartet.
Es dürfte, glaube ich, keine Meinungsverschiedenheit darüber geben, daß nur ein Friedensvertrag die Frage der Zugehörigkeit von Volk und Gebiet an der Saar lösen kann.
Vom Standpunkt meiner politischen Freunde aus ist der Art. 19 des Naters-Plans, mit dem gewissermaßen ein pactum de contrahendo geschaffen worden ist, eine Vorverpflichtung für den Friedensvertrag beschlossen werden soll, nicht akzeptabel.
Wir sind auch nicht in der Lage, einer Annexion — das will Frankreich auch gar nicht — oder der Entstehung eines neuen Luxemburg, eines siebenten europäischen Staates zuzustimmen. Beide Denkfiguren sind nicht richtig. Worauf kommt es an? Ich komme wieder auf den Grundsatz zurück, den ich einleitend betont habe: das Recht auf die Heimat für die Menschen sicherzustellen. Es kommt darauf an, die Saarwirtschaft aus ihrer Isolierung und politischen Gestörtheit zu befreien. Diese Aufgabe ist erfüllbar, so glaube ich. Wir haben gesehen, daß der Natersplan Teil III, der sich mit den wirtschaftlichen Fragen befaßt, durchaus die Billigung hat finden können, daß aber nicht die politischen Teile dieses Resolutionsentwurfes die Billigung finden konnten.
Es kann, glaube ich, auch keine Diskussion darüber geben, daß die Menschenrechte für die deutschen Menschen an der Saar in vollem Inhalt so hergestellt werden müssen, wie sie nach der Präambel und nach der Satzung des Europarats gelten. Es kann auch kein Zweifel darüber bestehen, daß eine Volksabstimmung auf Separation nicht zugestanden werden kann, weil es dieses Recht nicht gibt. Es gibt aber — das ist anerkanntes Völkerrecht — eine eigentlich selbstverständliche Verpflichtung, daß jede Regelung, die mit dem Statut eines Gebietes zusammenhängt, von der dort wohnenden Bevölkerung bestätigt sein muß und nicht diesem Volke durch eine Verfügung von oben her abgenötigt werden kann.
Da die Zeit nicht für uns arbeitet und die Dinge in Europa drängen, müssen wir uns deshalb darin einig sein, daß irgendwie eine Lösung des Konflikts zwischen uns und Frankreich über dieses Gebiet eingeleitet werden muß, und zwar bald und schnell. Wenn man nicht einfach in zwei unüberbrückbaren Standpunkten erstarren will, in dem französischen und in dem deutschen, gibt es nur die Möglichkeit, eine sogenannte europäische Lösung zu finden.
Ich persönlich liebe das Wort „Europäisierung" nicht, weil sich hinter diesem Wort in seinen Ursprüngen die Verschleierung eines Tatbestandes versteckt hatte, der nichts anderes wollte, als die wirtschaftliche Annexion des Saargebietes für die Franzosen dauernd zu machen. Das ist nicht akzeptabel.
Es kommt darauf an, eine ehrenhafte Lösung zu suchen, die vor allen Dingen den Interessen der Bevölkerung an der Saar als einer deutschen Bevölkerung selber dient, eine Lösung, die schon deshalb vor dem Friedensvertrag kommen muß, weil die Zeit bei einem Bestehenlassen der Umstände, wie sie gegenwärtig sind, gegen uns arbeitet, eine ehrenhafte Lösung also, die gewissermaßen ein Zugeständnis von beiden Seiten ermöglicht und ein Zugeständnis beinhaltet, das vor allem der Saarwirtschaft, dem Volk und Gebiet an der Saar selber dient. Was sollte man vernünftigerweise gegen eine solche Lösung vorzubringen haben, wenn sie überhaupt bei der gegenwärtigen Situation zu realisieren ist?
Das heißt mit anderen Worten: über Grenzfragen kann nur im künftigen Friedensvertrag entschieden werden. Es kann also kein Statut geschaffen werden, das vor Abschluß eines Friedensvertrages eine Herauslösung dieses Gebietes aus dem alten Verband beinhaltet. Aber das, was geschehen muß, wenn man nicht gewissermaßen in dem Engpaß zweier unlösbarer Gegensätze stehen bleiben
soll, ist, daß man an die Stelle des alten Rechts, das bestritten wird, und des alten Besitzes, der auch bestritten ist, etwas Neues setzt, eine neue Rechtsschöpfung als eine europäische Realität und als den ersten Anfang der Erkenntnis, daß es gelingen kann, einen fast unlösbaren Gegensatz zwischen zwei Nationen in entscheidender Stunde zu bereinigen und sich in einem vorläufigen, keinen der Partner präjudizierenden Zugeständnis zu einigen.
Das ist eine Realität, keine Vorausleistung und auch kein Verzicht.
Die Voraussetzung dazu ist, daß eine wirkliche europäische Gemeinschaft mit echter Autorität, die den wirtschaftlichen Treuhänder, von dem Herr Pfleiderer gesprochen hat, stellen könnte, entsteht oder, wie Herr von Brentano es richtig ausgedrückt hat, daß alles dies unter der aufschiebenden und auflösenden Bedingung geschieht, daß die unverwässerten — ich betone: unverwässerten — Statuten der politischen Gemeinschaft nun doch Wirklichkeit werden.
Nicht daß das ein Junktim im eigentlichen Sinne ist — denn wir haben hier keine Koppelgeschäfte zu machen —, sondern das eine versteht sich aus dem anderen. Man kann nicht Volk und Gebiet an der Saar einladen, zuzustimmen, sich einer europäischen Aufgabe zu widmen, wenn diese europäische Aufgabe nicht in sich schon restlos Gestalt gefunden hat.
Ich möchte also ganz klarmachen: Diese Widmung von Volk und Gebiet an der Saar an eine europäische Aufgabe und damit die Schaffung einer europäischen Realität hängt davon ab, daß die unverwässerte politische Gemeinschaft entsteht. Sie bedeutet weder eine Annexion noch eine Separation noch auch sonst eine Entfremdung von Volk und Gebiet an der Saar aus seinen natürlichen Zusammenhängen. Es bedeutet aber die Befreiung eines namhaften Bevölkerungsteils von dem ständigen Druck, das Objekt des Streites zwischen zwei Nationen zu sein, und damit die Einleitung dazu, daß in einem Friedensvertrag — wenn dann überhaupt Grenzfragen noch so wichtig sind, wie sie heute noch genommen werden müssen — Lösungen hinsichtlich der Gebietsfragen getroffen werden, die wirklich tragbar sind und vor allen Dingen den dort wohnenden Menschen dienen.
Wenn man den Vergleich und die Gleichstellung dieser Frage mit der Oder-Neiße-Frage nimmt, dann kann ich nur sagen: das ist sehr formal gesehen. Wir könnten als Vertriebene glücklich sein, wenn man in den Gebieten östlich von Oder und Neiße auch nur annähernd mit Vorschlägen kommen könnte,
sie in einen Status zu bringen, wie er hier vorgesehen ist. Vor diesem Präjudiz, daß auch die Ostgrenze gewissen europäischen neuen Formen gewidmet wird und wahrscheinlich überhaupt nur so die völkischen Schwierigkeiten zu lösen sind — vor diesem Präjudiz allerdings habe ich keine Sorge. Ich hätte nur eine Sorge, wenn man den Friedensvertrag insofern vorwegnimmt, daß man sich anheischig macht, über ein gesamtdeutsches Gut definitiv zu verfügen oder einen neuen, separierten Staat entstehen zu lassen.
Ich möchte Sie im übrigen an eine geschichtliche Tatsache erinnern. Um das heutige Luxemburg gab es einmal einen ganz ähnlichen Streit, und da war es selbst ein Bismarck, der damals einer Neutralisierung und damit dem Herausnehmen dieses Gebietes — das ja bis dahin noch zum Deutschen Bund gehört hatte — aus dem Streit durchaus zustimmte, in der Hoffnung und Erwartung, daß hierdurch ein drohender Konflikt beseitigt werden könnte.
Ich glaube, es gehört wirklich zu den entscheidenden Aufgaben deutscher Politik, Konfliktstoffe aus der Welt zu schaffen, ohne dabei etwa Land und Leute preiszugeben, vielmehr im Dienst an den Interessen dieses Gebietes und dieses Volkes an der Saar zu handeln. Denn dessen höchstes Interesse ist es, aus seiner Isolierung, aus seiner politischen Störung herauszukommen. Einer Widmung zu dem Zweck der echten Gestaltung einer europäischen Aufgabe — und um damit der einseitigen Annexion und dem Verlust von Gebiet und Volk an der Saar ein Ende zu setzen — zuzustimmen, liegt, glaube ich, eindeutig in der klaren Verantwortung deutscher Politik, für die Interessen deutscher Menschen einzustehen.
Die Zeit arbeitet nicht für uns. Alle vertagten Probleme verhärten sich. Irgendwie müssen wir zu unseren Verantwortlichkeiten Stellung nehmen, und zwar mit einer Chance des Gelingens und im Dienst an den Menschen. Meine Damen und Herren, vielleicht haben wir gegenüber den europäischen Möglichkeiten, wie auch der Herr Bundeskanzler bereits gesagt hat, die letzte Chance zu gewinnen oder zu verpassen. Vielleicht hängt alles daran, und es gibt tatsächlich nach einem zweiten Versagen gegenüber der Aufgabe, eine vernünftige Ordnung unter den Menschen und Völkern in Europa zu gewinnen, keine Alternative mehr. Nationales Interesse — das nationale Interesse hat mit nationalistischem Interesse gar nichts zu tun — ist, glaube ich, ausschließlich das, was bisher betätigt wurde, nämlich den Menschen, die die Katastrophe überlebt haben, und damit Volk und Nation den Weg in eine Zukunft der Freiheit und Sicherheit, den Weg zum Frieden zu erschließen, kompromißlos gegenüber Zumutungen, die unerträglich sind; und unerträglich ist die Unterwerfung unter die totalitäre Unfreiheit. Wir gehören nach dem Prinzip innerster Solidarität zum freien Westen; aber wir müssen auch für jene handeln, denen in Freiheit zu handeln gegenwärtig verwehrt ist. Allein das, was an echter Freiheitssubstanz, Zukunfts- und Lebensmöglichkeit für die Deutschen errungen werden kann, legitimiert uns; über alles andere wird die Zeit hinweggehen, und solche Scheinprobleme eines falsch verstandenen Prestiges werden dann nicht mehr sein als bemaltes Papier.