Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem mein Herr Vorredner selber der Auffassung war, daß die Große Anfrage, wenn auch nach seiner Meinung unzulänglich, vom Herrn Bundeskanzler heute morgen beantwortet wurde, habe ich nicht die Absicht, zu der Großen Anfrage zu sprechen, sondern Herrn Kollegen Kreyssig zu antworten.
Ich bin von Herrn Kollegen Kreyssig dramatische Wendungen gewohnt.
Wir kennen uns seit dem Jahre 1948. Ich bin auch die düsteren Prophezeiung en aus seinem Munde gewohnt; sie haben nur leider die unangenehme Begleiterscheinung, daß sie niemals zutreffen.
— Die haben ja Sie aufgelegt, Herr Kreyssig, und nicht ich!
Herr Kreyssig behauptet, daß ich mich zur Teilintegration jeweils selbst skeptisch geäußert hätte. Ja, selbstverständlich! Das hat heute früh der Herr Bundeskanzler in dem gleichen Sinne getan, wie ich es unternommen habe, indem er darauf hinwies, daß eine Teilintegration nie zu der vollen bzw. möglichen Fruchtbarkeit gelangen kann. Aus dem Grunde müßte es das Anliegen der Bundesregierung und meiner Ansicht nach auch des Bundestages sein, von der Teilintegration zu neuen und weiteren Formen der Zusammenarbeit vorwärtszuschreiten. Wenn diese Teilintegration noch nicht weiter ausgereift ist, dann liegt die Schuld ganz bestimmt nicht bei der Bundesregierung, sondern mehr in Ihrem Lager!
Professor Erhard! Sie sitzen im Ministerrat der Montan-Union und nicht wir!)
Im übrigen frage ich mich: was steckt denn eigentlich hinter dieser Dramatisierung der Situation bei Kohle, Eisen und Stahl?
Zunächst einmal ist eines ganz deutlich geworden: Wir sind unter ungünstigeren Startbedingungen in den Gemeinsamen Markt gegangen, aber das war selbstverständlich.
Das ist ja die Tragik unseres Schicksals nach dem verlorenen Krieg und allen seinen Folgeerscheinungen gewesen. Heute ist aber auch deutlich geworden, was gerade der Beitritt zum Gemeinsamen Markt uns an Befreiungen und Entlastungen gebracht hat. Ich meine, man sollte nicht immer mit den „ollen Kamellen" kommen. Wir wissen alle, was sich bis zum Jahre 1948 ereignet hat und wir wissen auch, daß man das nicht an einem Tage aufholen kann.
Sie haben mit keinem Wort und mit keiner Zahl beweisen können, daß die Bundesrepublik, seit sie im Gemeinsamen Markt ist, in irgendeiner Beziehung, sei es hinsichtlich der Produktion oder der Ausfuhr, schlechter weggekommen wäre als irgendein anderes beteiligtes Land. Im Gegenteil! Seitdem wir im Schumanplan sind — nehmen Sie die letzte Entwicklung, das jetzige Konjunkturbild —, stellt sich die deutsche Konjunktur besser dar als die in allen anderen europäischen Ländern. Es gibt im Augenblick kein europäisches Land, dessen konjunkturelle Zeichen so günstig stehen wie bei uns.
Selbstverständlich wird von einer solchen allgemeinen Konjunkturbelebung zuletzt auch die Grundstoffindustrie Kohle, Eisen und Stahl nachgezogen, so daß der Zeitpunkt, an dem wir uns über die angeblich schlechte Situation und Nachteile hätten unterhalten können, eigentlich schon längst vorüber ist. Ich darf daran erinnern, daß sich z. B. im März der Auftragseingang nicht nur für die gesamte deutsche Industrie, sondern vor allen Dingen für die Stahlindustrie außerordentlich gebessert hat. Bei einem der wesentlichsten Zweige, den Kaltziehereien, ist der Auftragseingang im März um 100 % höher gewesen, als er im Februar war, und alles spricht dafür, daß die Spannungen praktisch überwunden sind.
Wir wissen auch, woher diese Spannungen kamen. Sie kamen gewiß nicht vom Gemeinsamen Markt; es waren noch die Ausflüsse der Korea-Krise und der. Hysterie, die sich damals in aller Welt austobte. Wir wissen, daß zu jener Zeit Eisen und Stahl gehortet worden ist, diese Läger
dann aber langsam abgeflossen sind. Diese Erscheinungen sind auch nicht nur in den Montan-
Union-Ländern aufgetreten; in England war es ähnlich, und sogar in den Vereinigten Staaten haben sich die gleichen Spannungen und Störungen ausgewirkt. Ich behaupte noch einmal — und ich bitte, den Gegenbeweis antreten oder durch Zahlen widerlegen zu wollen —: seitdem wir im Gemeinsamen Markt sind, hat Deutschland, sowohl was die Produktion als auch den Absatz im Innern und im Ausland anlangt, keine schlechtere, sondern eine bessere Entwicklung genommen als die übrigen Teilnehmerländer.
Sie sprachen ein großes Wort gelassen aus, wenn Sie sagten, wir verschenkten die Kohle. Leider sind wir dazu nicht in der Lage.
Die deutsche Kohle wäre im Preis auch dann rückläufig gewesen, wenn die Hohe Behörde gewisse Preisnachlässe nicht verfügt hätte. Die deutschen Kohlenbehörden haben z. B. bei Kohlesorten, für die Preisermäßigungen nicht von der Hohen Behörde dekretiert worden sind, den Preis freiwillig ermäßigt, weil eben die Marktlage das hat sinnvoll erscheinen lassen. Da kann man doch nicht von Verschenken von Kohle sprechen. Der Kohlenpreis ist von der Konjunktur, von der Absatzsituation abhängig wie jeder andere Preis auch.
Ob die Hohe Behörde den Preis geändert hat oder ob wir ihn freiwillig geändert haben, es war jedenfalls eine aus der Marktsituation heraus sich ergebende Notwendigkeit.
Im übrigen werden bei Kohle jetzt Sommerrabatte gegeben, und des weiteren sind auch die Zuschüsse für den Hausbrand für den nächsten Winter verfügbar. Diese Regelung ist im Einvernehmen und mit voller Zustimmung der Gewerkschaften getroffen worden, so daß ich nicht weiß, warum Sie hier päpstlicher sein wollen als der Papst. Es war alles mit dieser Regelung zufrieden, und es bestand nicht der geringste Anlaß, hier nun noch einmal die Dinge zu dramatisieren.
— Aber ich bitte Sie, es besteht doch gar keine Veranlassung, entgegen der Übung in allen anderen Ländern ausgerechnet in Deutschland die Kohle unter Kostenpreis abzugeben und auch an solche Einkommensbezieher unter Kostenpreis abzugeben, die sich den echten Kostenpreis leisten können und denen man die Bezahlung des echten Kostenpreises auch zumuten kann.
Bei den Schichten, für die der jetzige Übergang zum Kostenpreis wirklich Härten mit sich bringt, ist dafür gesorgt, daß diese Härten vermieden werden.
Auch heute früh sind Gedanken angeklungen, so als ob die Hohe Behörde bzw. die Montan-Union als solche Maßnahmen verfügt hätten, die sich zuungunsten Deutschlands auswirkten. Es ist hier zum Beispiel von dem bekannten Steuerstreit gesprochen worden. Sicher war es ein Streit, und
auch heute noch ist keine völlige Abklärung erfolgt. Aber wenn Sie so gut mit den Problemen der Hohen Behörde und des Gemeinsamen Marktes vertraut sind, dann wissen Sie auch, wie hart die Geister gerungen haben, um zu der letzten und besten Erkenntnis durchzustoßen. Sie wissen von dem Tynbergen-Gutachten,
und Sie wissen sehr wohl, daß wir von deutscher Seite aus selbst noch sehr heftig am Überlegen sind, welches denn der richtige und gerechte Ausgleich wäre,
so daß man von vornherein von einer Benachteiligung durch irgendeine Regelung jedenfalls nicht sprechen kann.
Und wenn Sie von der Konjunkturpolitik sprechen, dann möchte ich Sie daran erinnern dürfen, daß ausgerechnet ich es gewesen bin, der in der Ministerratssitzung vom Oktober vorigen Jahres diese Abstimmung in der Konjunkturpolitik verlangt hat.
Bei den anderen Ländern glaubte man nur auf die Investitionspolitik eingehen zu sollen. Das Anliegen war die Steigerung des Verbrauchs von Kohle, Eisen und Stahl. Da habe ich eingewandt, daß hierzu die Investitionspolitik allein nicht ausreicht; denn zur Erzielung einer Mengenkonjunktur, zur Steigerung des Verbrauchs gibt es auch noch andere konjunkturpolitische Mittel als nur die Investitionen. Im übrigen ist auch an dieser Frage in der Zwischenzeit ernst, ehrlich und eifrig weitergearbeitet worden. Alle Länder haben die Unterlagen erarbeitet, und für die nächste Woche ist schon die Kommission bestimmt, die dann im Konkreten auf der Ebene der Hohen Behörde an die Probleme herangeht.
Dann möchte ich noch etwas gegen das einwenden, was heute morgen Herr Deist gesagt hat. Er stellte die schlechte Konjunktur in Frankreich fest und meinte, durch den Gemeinsamen Markt werde sozusagen diese Ungunst der Konjunktur zu uns herübergeschlagen, was auch ein Nachteil der Hohen Behörde bzw. des Gemeinsamen Marktes sei. Erstens einmal ist, wenn die französische Konjunktur wirklich schwächer ist als die unsere, diese Ungunst nicht zu uns herübergekommen. Ich glaube, Sie haben auch so viel Instinkt und Einfühlungsvermögen in konjunkturelle Situationen, um zu wissen, daß bei uns keine schlechte Konjunktur ist.
Sollte aber allen Ernstes die Forderung aufgestellt werden, daß die einzelnen Länder, um nicht von anderen Volkswirtschaften schlechte Konjunkturen übernehmen zu müssen, sich gegenseitig abriegeln sollten? Wäre das das Ideal, wäre das der Geist des kommenden Europa, wenn man sagen dürfte: Frankreich ist in einer schlechten Konjunktur, also abriegeln, um diese ja nicht übertreten zu lassen!?
Im Gegenteil, ich bin der Meinung, daß es gerade ein Anliegen der europäischen Politik sein muß, über den Gemeinsamen Markt zu Konjunkturausgleichen zu kommen und dafür zu sorgen, daß an
dem Aufschwung möglichst alle beteiligten Länder teilhaben können.
Die Nutzanwendung aus dieser Politik der Isolierung würde dahin lauten müssen: Schließe sich jedes Land ab, kehren wir wieder zur Autarkie, zur Abschirmung, zur Devisenzwangswirtschaft zurück, um es zu erreichen, daß nicht irgendein Unheil, ein Störungsfaktor in der Welt auf einem andern Markt zur Auswirkung kommt. Seien wir uns darüber klar, und das sage ich denen, die glaubten, daß die von mir erhobene Forderung nach Konvertierbarkeit der Währungen nicht mit europäischer Integration zu vereinbaren sei, daß gerade das Gegenteil richtig ist; denn europäische Integration kann niemals eine Isolierung Europas bedeuten; vielmehr wird die Integration erst dann zu voller Fruchtbarkeit gelangen, wenn auch dieses integrierte Europa und diese Zusammenarbeit auf einem Gemeinsamen Markt nicht an den Grenzen Europas endet, sondern in einem multilateralen, weltweiten System mit der ganzen freien Welt frei spielen kann.
Sie nahmen den Mund etwas voll, Herr K r e y s s i g, und sprachen von 4 Milliarden Tonnen Kohle auf den Halden. Es sind aber nur 4 Millionen!
— Ich bin das bei Ihnen gewohnt!
Es war auch nie von einem Kredit von einer Milliarde Dollar die Rede, sondern es waren bescheidene Ziffern in der Diskussion, und es ist selbstverständlich — es ist keine neue Anregung Ihrerseits —, daß man bemüht sein wird, die Abgabe der Montan-Union für eine Kreditgewährung und für Investitionen fruchtbar einzusetzen. Die Gespräche darüber sind mitten im Gange.
Im ganzen möchte ich sagen: von einer „höchsten Zeit zum Eingreifen" kann nun wirklich nicht in einem Augenblick gesprochen werden, in dem die Konjunktur bereits wieder umgebrochen ist. Man bemüht sich hier fast, die Konjunktur in Deutschland, die so günstig gelagert ist, wieder zu zerreden. Aber das wird Ihnen nicht gelingen. Mit dieser deutschen Konjunktur werden auch, wie schon die Zahlen des Auftragseingangs deutlich genug beweisen, die Spannungen in der Eisen- und Stahlindustrie und bei der Kohle überwunden werden.
Ein Letztes! Herr Dr. Kreyssig, Sie meinten, ich war in Südamerika, um zollfrei Orden einzuführen. Sie sind zwar nicht berufen, über meine Tätigkeit zu wachen, — —
— Nicht die Aufgaben zu begutachten, die ich in Latein-Amerika zu besorgen hatte. Ich habe z. B. mitgebracht auch zollfrei das deutsche Vermögen, das mir in Peru übergeben worden ist;
in meiner Anwesenheit ist das Dekret unterzeichnet worden, das in Chile die Kriegsverordnungen
über die Beschlagnahme des deutschen Vermögens aufhebt,
und auch in anderen Ländern wird das schnell heranreifen — alles zollfrei, Herr Dr. Kreyssig!
Herr Dr. Kreyssig, Sie sagten, Sie wollen mit mir die Klingen kreuzen. Herr Dr. Kreyssig, Sie sind noch nie besonders gut dabei weggekommen.
Ich würde auch vorsichtig sein. Denken Sie mal daran, was Sie im Winter 1951 alles über die Kohle gesagt haben, und vergleichen Sie es mit dem, was Sie heute dazu ausgeführt haben!
Mit Ihnen die Klingen zu kreuzen, ist mir ein wahres Vergnügen.
Und damit glaube ich, daß der Restteil der Großen Anfrage erledigt sein wird.