Meine Damen und Herren, ich habe wohl den einen Vorschlag gehört; aber es schien mir doch nicht sehr konkret zu sein, von einem Sicherheitssystem im Rahmen der UNO zu sprechen, in das Deutschland eingebettet werden solle, ein Sicherheitssystem, das dann allen Beteiligten — auch Rußland und den Weststaaten — die Sicherheit geben sollte, nach der sie verlangen. Das ist doch ein wenig ein Wunschtraum, und ich meine, wir sollten doch auch die Vereinten Nationen heute nicht mehr bemühen, als notwendig ist. So wichtig die Vereinten Nationen sind und so sehr ich hoffe, daß sie fortbestehen werden, — wenn ich glaubte, unsere einzige Sicherheit durch einen Beitritt zu den Vereinten Nationen finden zu
müssen, dann würde ich an der deutschen Zukunft verzweifeln.
Aber die Fragen stehen — und das ist auch hier schon aus verschiedenen Erklärungen sichtbar geworden — in einem unmittelbaren Zusammenhang auch mit der Anfrage der Sozialdemokratischen Partei zum Saarproblem, und dazu möchte ich einiges sagen. Ich habe mich am 28. Oktober vergangenen Jahres zu dieser Frage geäußert, als ich auf die Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers antwortete, und ich halte die Feststellungen, die ich damals getroffen habe, unverändert aufrecht. Ich bin auch der Meinung, meine Damen und Herren, daß der Beschluß des Bundestags vom 3. Juli vorigen Jahres heute noch unverändert gilt, und ich weiß nicht, wer eigentlich die Zweifel ausgelöst hat, die unsere Opposition veranlassen, nun dasselbe noch einmal beschließen zu lassen. Wenn wir uns das angewöhnen, fürchte ich, werden wir demnächst auch die Gesetzesvorlagen wiederholt beschließen. Ich stelle für meine Freunde und mich fest: An diesem Entschluß vom 3. Juli, der hier im Bundestag einstimmig gefaßt worden ist, ändert sich nichts, ob wir ihn heute wiederholen oder bestätigen oder nicht.
Ich habe damals schon gesagt und wiederhole es: Solange das Problem der Saar im Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich nicht in irgendeiner befriedigenden Weise gelöst ist, wird die Spannung zwischen diesen beiden Ländern nicht beseitigt werden, und die Beseitigung dieser Spannung ist eine unabdingbare Voraussetzung für eine aussichtsreiche Politik der freien Völker, zumindest in Europa, also nicht nur für eine Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich. Diese Tatsache können wir nicht außer acht lassen oder leugnen, unabhängig davon, wie wir uns die von uns erstrebte Form der Zusammenarbeit vorstellen.
Auch wer glaubt — und das möchte ich gerade auch der Opposition sagen —, daß man nicht auf dem Wege der Integration fortfahren, sondern die Zusammenarbeit durch multilaterale Verträge, durch völkerrechtliche Koalitionen oder durch militärische Allianzen verwirklichen sollte, auch der muß wissen, daß sich auch diese Vorstellungen nicht realisieren lassen, solange nicht Frankreich und Deutschland die Voraussetzungen dafür schaffen, daß solche Verträge überhaupt zustande kommen können.
Noch ein Zweites. Die Verhältnisse im Saargebiet, die in den letzten neun Jahren entstanden sind und die wir beklagen und verurteilen, können nur befriedigend geändert werden, wenn Deutschland und Frankreich sich verständigen und wenn die Bevölkerung an der Saar eine solche Verständigung gutheißt. Deswegen dürfen wir meiner Meinung nach gar nicht darauf verzichten, eine Verständigung mit allen uns zu Gebote stehenden Mitteln herbeizuführen. Wer sich diesem Bemühen versagt, der hat — und das scheint mir logisch — doch nur die Wahl, den derzeitigen Zustand wenn auch unter Protest zu verewigen oder mit dem Gedanken einer gewaltsamen Lösung zu spielen, und ich glaube, daß es wirklich niemand gibt, der sich für eine dieser beiden, zum wenigsten für die letzte Alternative entscheiden würde.
Seitdem wir hier im Bundestag das letzte Mal über diese Frage diskutieren, wurden die deutschfranzösischen Gespräche wieder aufgenommen. Sie wurden auch durch die Beratungen gefördert, die im Politischen Ausschuß der Beratenden Versammlung des Europarats auf der Grundlage des Berichts des holländischen Abgeordneten Van der Goes van Naters geführt wurden. Meine Damen und Herren, Sie werden aus meinen Darlegungen ersehen, daß auch wir durchaus nicht die in dem Plan des Abgeordneten Van der Goes van Naters entwickelten Gedankengänge zu teilen vermögen und daß wir sehr starke und ernste Vorbehalte haben, Vorbehalte, die zum Teil ihre Erledigung gefunden haben durch die erfolgreiche Mitarbeit der deutschen Abgeordneten in der Kommission, zum Teil zum Ausdruck kamen in den Vorbehalten bei der Abstimmung. Aber ich halte es doch für richtig und für angemessen, auch hier den Ausdruck des persönlichen Dankes an meinen holländischen Freund Van der Goes van Naters auszusprechen für sein Bemühen um eine Lösung, für sein uneigennütziges Bemühen um die Lösung einer Spannung, die uns allen am Herzen liegt.
Ich möchte gar nicht in allen Punkten zu den Einzelheiten des Vorschlages Stellung nehmen. Aber ich möchte vorausschicken, daß ich — mit dem Herrn Bundeskanzler wohl — der Meinung bin, daß der Bericht in der nun vorliegenden Fassung vom 7. März geeignet ist, den französischdeutschen Besprechungen als Arbeitsgrundlage zu dienen und vielleicht auch später in einer Achtmächtekonferenz als Diskussionsgrundlage verwendet zu werden. Allerdings möchte ich, wenn ich das sage, keinen Zweifel daran lassen, daß man uns, wenn wir schon unsere Bedenken gegen den Plan äußern — und ich werde einige dieser Bedenken hier sehr konkret vortragen —, nicht unterstellen sollte — und daß die Zustimmung, diese Gedanken als Arbeitsgrundlage zu nehmen, nicht dahin mißdeutet werden sollte —, daß das nun ein deutscher Vorschlag sei, den man noch verschlechtern könne. Was der Van-der-Goes-van-Naters-Plan vorschlägt, würde an sich, selbst wenn es in einer noch verbesserten Form akzeptiert würde, von Deutschland Konzessionen verlangen, die für uns alle unendlich schwer zu tragen sein werden. Ich betone: selbst wenn noch wesentliche Verbesserungen hinzukommen, die ich hoffe und wünsche. Deswegen kann es nicht der Ausgangspunkt sein — das möchte ich klarstellen —, daß etwa nun dieser Plan im Gegensatz zu weitergehenden Wünschen unseres französischen Gesprächspartners gestellt wird, und zwar in der Hoffnung, sich dann auf einer mittleren Linie zu verständigen.
Es ist die Aufgabe der Bundesregierung, die begonnenen Verhandlungen fortzuführen und zu gegebener Zeit das Ergebnis dieser Verhandlungen vor dem Bundestag darzulegen. Es wäre auch ungewöhnlich, wenn wir jetzt zu solchen laufenden politischen und diplomatischen Verhandlungen in Einzelfragen Stellung nehmen wollten. Es erscheint mir zweckmäßiger — und hier folge ich auch dem, was Herr Kollege Ollenhauer wie auch der Herr Bundeskanzler sagten —, grundsätzliche Erklärungen zu den Lösungsmöglichkeiten, wie sie sich heute abzeichnen, zu geben, also, wie es der Herr Bundeskanzler ausdrückte, die Lösungselemente einmal zu skizzieren und zu diskutieren.
Zunächst eine Bemerkung: Es ist viel von dem Junktim gesprochen worden, das zwischen der Ratifizerung des EVG-Vertrags durch Frankreich und einer Lösung der Saarfrage bestehe. Ich vermag ein solches Junktim in keiner Weise anzuerkennen. Mag sein — wir wissen es ja —, daß die französische Regierung für ihre eigene Entscheidung und für die der französischen Kammer ein solches Junktim hergestellt hat. Das ist eine innerpolitische französische Entscheidung, von der wir Kenntnis nahmen, ohne daß uns daran eine Kritik zusteht. Aber im Verhältnis zu Deutschland als einem Vertragspartner der Verträge von Bonn und Paris kann ein solches Junktim nicht durch eine einseitige Erklärung eines Partners hergestellt werden.
Die Verträge von Bonn und Paris wurden ohne den Vorbehalt eines solchen Junktims unterzeichnet und stehen auch ohne den Vorbehalt eines solchen Junktims nun zur Ratifizierung. Das schließt nicht aus, um auch das klarzustellen, daß wir von dieser innenpolitischen Verzahnung Kenntnis nehmen und daß wir unsere Bereitschaft erklären, an einer Lösung mitzuarbeiten, — das um so weniger, als wir ja selbst schon wiederholt erklärt haben, daß das Verhältnis zwischen dem deutschen Mutterland und dem Saargebiet wieder normalisiert werden müsse. Dieses Verlangen entspricht ebensosehr dem bereits geäußerten Wunsch, das französischdeutsche Verhältnis in einer guten und beständigen Weise neu und dauerhaft zu gestalten, wie auch dem nicht minder dringenden Wunsch, den deutschen Menschen an der Saar die gleichen politischen Daseinsbedingungen zu vermitteln, die sowohl in Frankreich wie in Deutschland selbstverständlich von jedem freien Bürger für sich gefordert und auch vom Staate gewährt werden,
Daseinsbedingungen, wie sie auch in der Konvention für die Menschenrechte eindeutig fixiert worden sind. Diese Konvention hat die einmütige Billigung des Europarats gefunden.
Erlauben Sie, daß ich auch in diesem Zusammenhang ein Zitat bringe, das meines Erachtens in einer
sehr eindringlichen Weise die Situation zeigt, wie
sie heute besteht. Im „Manchester Guardian" ist —
ich glaube, es war in der Nummer vom 17. April —
eine Betrachtung über die Saar erschienen. In dieser Betrachtung heißt es — mit Genehmigung des
Herrn Präsidenten darf ich wörtlich zitieren —: Der zweite Aspekt der Saarfrage ist das Fehlen der politischen Freiheit. Das ist tatsächlich offen zugegeben von der Saarregierung, von Frankreich und von den anderen im Ausschuß des Europarats vertretenen Ländern, der im vergangenen Monat in London tagte. Der Ausschuß stellte eindeutig fest, daß die politischen Freiheiten erst 12 Monate vor der Volksabstimmung eingeführt werden sollten. Das scheint uns doch eine überraschende Haltung des westlichen Europas zu sein, wenn es gleichzeitig die Demokratie gegen die Diktatur verteidigt. Warum sind gewisse politische Parteien im Saargebiet verboten? Weil sie glauben, daß die Saar eines Tages zu Deutschland zurückkehren sollte. Aber die Kommunistische Partei ist, anders als die deutsch-freundlichen Gruppen, nicht verboten, obwohl es sich diese Partei doch nicht zum Ziel gesetzt hat, demokratische Gesetze und demokratische Praxis zu respektieren. Herr Hoffmann ist der Auffassung, daß
eine große Mehrheit im Saargebiet den Gedanken einer Europäisierung unterstützen würde, der übrigens nicht von der Bundesregierung bekämpft wurde. Das mag richtig sein. Um so mehr Grund besteht, die Anomalien abzuschaffen, die im Verbot politischer Parteien, in der Zensur der Post, in der Überwachung des Telefons und in dem Verbot von Zeitungen bestehen. Wenn das Saargebiet das erste europäische Territorium werden soll, dann sollte es doch wenigstens auch ein freies und demokratisches sein. Andernfalls würde die Entwicklung zur europäischen Einigung keinen Vorteil davon haben, wenn Saarbrücken seine Hauptstadt und sein geographisches Zentrum sein würde.
Meine Damen und Herren, das ist ein Zitat aus dem „Manchester Guardian", dem ich nichts hinzuzufügen habe und das ich gebracht habe, um noch einem Einwand zu begegnen, der uns schon entgegengehalten wurde, nämlich dem Einwand, wer uns legitimiere, für die Saar zu sprechen. Man hat manchmal sogar eine solche Intervention als Einmischung bezeichnet.
Ich habe gesagt und wiederhole es, daß das Saargebiet unbestreitbar zum deutschen Gebiet in den Grenzen des Jahres 1937 gehörte.
Ich habe damals auch gesagt und wiederhole, daß Frankreich wiederholt und nachdrücklich erklärt hat, daß es gar nicht daran denke — auch im Jahre 1945 nicht daran gedacht habe —, das Saargebiet zu annektieren. Die Menschen an der Saar sind also Deutsche; sie waren es und sind es geblieben.
Man wollte sie gar nicht zu Franzosen machen. Das ist die erklärte Politik Frankreichs, die ich nur aufnehme. Ein saarländischer Staat konnte gar nicht entstehen; er ist ja auch nicht entstanden. Staatscharakter ist diesem Gebiet nicht zuerkannt worden, das auch nur als assoziiertes Mitglied dem Europarat angehört.
Wir sind auch — und da stehe ich auch in keinem Widerspruch zu meinen französischen Freunden — bei den Beratungen des europäischen Verfassungsentwurfs einmütig davon ausgegangen, als wir den Art. 101 formulierten, der leider dann in Straßburg nicht akzeptiert wurde, daß Bevölkerung und Saar integrierender Bestandteil der politischen Gemeinschaft sein sollten, wobei wir dem besonderen Status der Saar dadurch Rechnung getragen haben, daß wir weder seine Regierung noch sein Parlament in eine Parallele zu den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft gestellt haben.
Aber es ist ja wirklich nicht nur eine Rechtsfrage nach unserer Legitimation. Man sollte sie nicht so stellen, sondern man sollte doch zugeben und anerkennen, daß, wenn ein Deutscher von den 960 000 Menschen an der Saar spricht, er gar nicht nach der rechtlichen Grundlage dieses Anliegens fragt, sondern daß sein Herz mit ihm und für die anderen spricht.
Es ist nun häufig in den vergangenen Monaten das Wort von der Europäisierung der Saar gebraucht worden. Wenn wir uns wirklich um eine echte Lösung bemühen — und ich bin bereit, ein solches Bemühen mit aller Leidenschaft zu unterstützen —, dann müssen wir auch die Formel ein wenig konkretisieren. In der Diskussion ist dieses Wort „Europäisierung" ein wenig schillernd geworden durch die Vielfalt seiner Ausdeutung. Ich möchte konkret sagen, was ich mir darunter vorstelle und was sich auch meine politischen Freunde darunter vorzustellen vermögen: daß wir uns um eine europäische Lösung bemühen sollten, die nur darin bestehen kann, dem Gebiete und dem Volk an der Saar den Status eines europäischen Territoriums zu geben im Rahmen einer europäischen politischen Gemeinschaft und unter der Autorität und der Kontrolle einer solchen Gemeinschaft. Eine solche konkrete Vorstellung dessen, was wir wollen und für möglich halten, schließt zwei Mißverständnisse aus: einmal das Mißverständnis — ja, man könnte sagen, die etwas bösartige Unterstellung —, als könnte die Europäisierung mit einer Anerkennung und Legalisierung der bestehenden Zustände gleichgesetzt werden, zum andern das Mißverständnis, als könnte die Lösung darin bestehen, aus dem Saargebiet einen neuen Staat oder auch nur ein staatsähnliches Gebilde zu schaffen. Das kann und darf nach unserer Absicht nicht geschehen; denn wir würden damit genau den Zielen entgegenhandeln, die wir uns gestellt haben, als wir uns zur europäischen Integration bekannt haben.
Dieser konkreten Formulierung dessen, was ich für möglich halte, möchte ich einige Bemerkungen folgen lassen, wobei ich nicht einen starren Katalog von Bedingungen aufstellen möchte. Meine Damen und Herren, das stünde uns hier heute nicht zu und würde wohl auch wenig dazu beitragen, vertrauensvolle und aussichtsreiche Verhandlungen zu führen. Ich will auch nicht von Bedingungen sprechen, sondern wiederholt das Wort aufnehmen, das auch der Herr Bundeskanzler gebraucht hat, nämlich: die Elemente einer solchen Lösung diskutieren.
Ich meine, daß ein europäisches Territorium nur entstehen kann, wenn die Europäische Gemeinschaft Wirklichkeit wird, wie es ja auch in Art. 1 des revidierten Entwurfs von Goes van Naters heißt, und es kann nur bestehen, solange die Gemeinschaft besteht. Die Lösungsmöglichkeit steht daher nach meiner Überzeugung gleichermaßen unter der aufschiebenden Bedingung, daß die politische Gemeinschaft entsteht, und unter der auflösenden, falls sie wegfallen sollte.
Hier scheint meiner Ansicht nach ein echtes Junktim zu bestehen, zu dem ich mich sehr nachdrücklich bekenne: das Junktim einer echten europäischen Saarlösung im Rahmen einer echten europäischen Gemeinschaft.
Und zweitens — auch hier stimme ich mit dem Herrn Bundeskanzler völlig überein —: die Lösung der Saarfrage kann schon mit Rücksicht auf die politische Lage Deutschlands, wie sie auch Herr Kollege Ollenhauer geschildert hat — wir beurteilen sie kaum verschieden —, nur einen vorläufigen Charakter tragen. Dieser besonderen Lage, in der sich Deutschland befindet, hat man ja auch schon in der Vergangenheit bereitwillig Rechnung getragen. Ich erinnere an den Briefwechsel zwischen dem französischen Außenminister Robert Schuman und dem Bundeskanzler Adenauer anläßlich der Unterzeichnung des Vertrages über die Montan-Union; ich erinnere auch an Art. 73 des Deutschland-Vertrags und nicht zuletzt an die geradezu
brillante Interpretation des Art. 73 durch den französischen Außenminister Bidault in Berlin.
Diese wirklich ausgezeichnete Interpretation, die ich mir voll und ganz zu eigen mache, wird auch unserm französischen Gesprächspartner das Verständnis dafür vermitteln, warum wir eine endgültige Lösung heute nicht zu diskutieren vermögen. Die endgültige Lösung muß in einem frei verhandelten Friedensvertrag zustande kommen. Dabei stimme ich, um den Zwischenruf aufzunehmen, den Sie, glaube ich, Herr Kollege Mommer, am Anfang in der Rede des Herrn Bundeskanzlers machten, mit Ihnen überein, daß die Formulierung des § 19 des Entwurfs, wie er uns heute vorliegt, nicht akzeptabel ist. Mein Freund Gerstenmaier hat ja auch in der Abstimmung in Paris seinen Vorbehalt gegen den Art. 19 gerichtet. Es würde meiner Überzeugung nach gegen die Voraussetzung verstoßen, von der ich sprach, wenn andere Mächte in einem solchen Vertrag eine Garantie dafür übernehmen würden, den vorläufigen Zustand in einen endgültigen überzuführen. Die Voraussetzung, auch diese Frage im Friedensvertrag frei zu verhandeln, wäre damit nicht mehr gegeben, und ich möchte deswegen an dem Vorbehalt meines Freundes Gerstenmaier mit großem Nachdruck festhalten.
Das Verlangen nach Herstellung der demokratischen Freiheitsrechte an der Saar ist wirklich keine Forderung, die man etwa als den Ausdruck eines falschen deutschen Nationalismus abtun könnte. Ich habe schon den Artikel des Manchester Guardian zitiert, der ja wohl ein unverdächtiger Sprecher unseres Anliegens ist. Aber das Gebiet an der Saar kann und darf auch nicht auf Zeit als Exklave weiterbestehen, in der die demokratischen Grundrechte weniger Wert besitzen als jenseits ihres Einflußbereichs. Darum sollte man — da stimme ich auch mit dem Vorbehalt meines Freundes Gerstenmaier überein — die freiheitlichen Zustände auch nicht erst nach Ablauf einer Frist, also zu einem bestimmten Termin, herstellen. Fristen und Termine scheinen mir, wenn man über die Freiheit spricht, nicht angemessen zu sein.
Meine Damen und Herren, wir bestreiten nicht, daß Frankreich wirtschaftliche Interessen im Saargebiet hat. Wir glauben mit diesem Anerkenntnis auch einen wesentlichen Beitrag zu einer französisch-deutschen Verständigung leisten zu können. Wir wollen diesen Interessen Rechnung tragen. Aber ich bin überzeugt, auch Frankreich wird einsehen und erkennen, daß eine echte europäische Lösung schlechthin nur denkbar ist, wenn die zweiseitigen französisch-saarländischen Vereinbarungen in angemessener Frist durch neue Verträge ersetzt werden, an denen Deutschland beteiligt sein wird; denn die wirtschaftlichen Interessen der Saar liegen auch in Deutschland. Man sollte weder die Saar im Verhältnis zur Bundesrepublik noch die Bundesrepublik im Verhältnis zur Saar diskriminieren. Ich spreche von einem Abbau in angemessener Frist. Ich glaube, daß das eine Selbstverständlichkeit ist: denn niemand wünscht, daß durch eine übereilte Änderung der Zustände etwa wirtschaftliche Krisen ausgelöst werden, wirtschaftliche Erschütterungen, die, gleichgültig, wo sie sich ereignen und wen sie treffen, von uns allen nicht gewünscht werden können.
Frankreich selbst — das ist eine weitere Bemerkung zu einer Lösung — hat wiederholt ausgesprochen, daß die Bevölkerung des Saargebiets deutsch ist. Die Europäische Politische Gemeinschaft soll, wie es in Art. 1 des Entwurfs heißt, der in der Sonderversammlung einmütig angenommen wurde, auf dem Zusammenschluß der Völker und Staaten, der Achtung ihrer Eigenart und der Gleichheit der Rechte und Pflichten beruhen. Ich darf noch auf den Bericht meines italienischen Freundes Benvenuti verweisen, der zu Art. 1 des Entwurfs als Vorsitzender der entsprechenden Unterkommission in seinem Bericht ausgeführt hat:
Wir alle sind mit der Tradition der Kultur, der
eigenen Physiognomie unserer einzelnen Länder verbunden. Niemals darf die Gemeinschaft
diese Werte beeinträchtigen, sie absorbieren
oder miteinander vermengen und dadurch
ihre Ursprünglichkeit zerstören.
Meine Damen und Herren, wenn ich mich zu einer möglichen Lösung des Saarproblems im Rahmen der europäischen Gemeinschaft bekenne, dann möchte ich mich ausdrücklich auch auf diesen Art. 1 und auf die Interpretation beziehen und damit zum Ausdruck bringen: Wer die Saar entdeutschen wollte, würde gegen diesen ersten Grundsatz handeln. Die Zugehörigkeit der 960 000 Menschen an der Saar zum deutschen Kulturkreis muß anerkannt werden. Ich glaube, man tut gut daran, das in allem Ernst zu fordern und auch zu bestätigen. Auch ein Saargebiet, das als europäisches Territorium auf eine andere Ebene gehoben wird, soll damit nicht seine Heimat verlieren, sondern soll sie behalten und in den neuen Status mit übernehmen.
Mit einer solchen Lösung, wie ich sie glaube anstreben zu sollen, wird auch die Grenzziehung nicht berührt, und von einer Ausgliederung des Saargebiets kann nicht gesprochen werden. Die Grenzziehung kann erst im Friedensvertrag erfolgen, wie ich es eingangs schon sagte. Allerdings möchte ich doch eine Bemerkung hinzufügen: Vielleicht sollten wir uns ein wenig von den Begriffsvorstellungen und der Ausdrucksweise lösen, die noch so mit unserem nationalstaatlichen Denken verbunden sind, und sollten nicht glauben, es sei ein Verrat am Volkstum, wenn Menschen Europäer werden. Meine Damen und Herren, ich glaube, wenn wir so weiter dächten, würden wir eine Atmosphäre schaffen, in der eine echte europäische Gemeinsamkeit niemals entstehen könnte.
Wir würden uns dann hinter unseren Grenzen festbeißen, und ein Überschreiten dieser Grenzen würde dann schon als Verrat nationaler Interessen betrachtet.
Ich weiß, daß der eine oder andere, auch drüben, vielleicht in solchen Vorschlägen, wie ich sie mache, in solchen Vorbehalten, wie ich sie äußere, in solchen Einschränkungen, wie ich sie wünsche, einen Mangel an Verständigungsbereitschaft erblicken könnte. Aber ich möchte denen, die so denken und die uns sagen, daß die Lösung auch des Saarproblems ein Testfall auf die europäische Gesinnung auch der Deutschen darstelle, antworten: wir wollen, wenn wir zu einer Lösung in diesem Sinne beitragen, als gute Deutsche handeln und uns als überzeugte Europäer bewähren. Aber von unseren französischen Vertragspartnern und Gesprächspartnern dürfen wir doch wohl dieselbe Gesinnung erwarten:
daß auch sie das europäische Bewußtsein und die
europäische Verpflichtung mit dem französischen
Denken zu vereinbaren vermögen. Wenn das nicht
auf beiden Seiten gelingt, wird keine Lösung möglich sein, mit der man in Deutschland, mit der
man in Frankreich und mit der man auch vor der
Bevölkerung an der Saar wird bestehen können.
Meine Bitte an die Bundesregierung ist es, bei den folgenden Verhandlungen diese Auffassung, die wir hier im Bundestag vortragen, zu berücksichtigen und diesen Gedanken zum Durchbruch zu verhelfen, die, wie ich glaube, einer echten, guten und beständigen Lösung nicht im Wege stehen.
Meine Damen und Herren, ich möchte keine Prognosen über die Entwicklung anstellen, ich möchte zum wenigsten prognostizieren, was Deutschland nun aus der Genfer Konferenz zu erwarten hat. Ich möchte allerdings auch nicht, wie es mein verehrter Vorredner, Herr Kollege Ollenhauer, tat, Zensuren an auswärtige Staatsmänner erteilen. Ich glaube, das steht uns nicht zu.
Ich kann nur hoffen, daß die Deutschlandfrage, auch wenn sie nicht auf der Tagesordnung von Genf steht, doch auch dort nicht vergessen wird. Ich bin überzeugt, daß dem so ist. Denn aus der Tagesordnung, wie sie in Berlin aufgestellt und dann auf Genf übertragen wurde, ergibt sich ja der für uns vielleicht beklagenswerte, aber unleugbare enge Zusammenhang zwischen der weltpolitischen Spannung und unserem eigenen deutschen Anliegen. Aber ich bin mit der Bundesregierung und mit dem Herrn Bundeskanzler der Überzeugung, daß wir auch diese Frage, die uns alle so heiß beschäftigt und so tief bewegt, mit Aussicht auf Erfolg überhaupt nur lösen können, wenn wir ohne jede Abweichung an unserer politischen Linie festhalten, von der ich glaube, Herr Kollege Ollenhauer, daß wir uns über ihre letzte Auswirkung unterhalten sollten, wenn sie eingetreten ist.
Ich weiß auch nicht, ob Sie mit der freudigen Genugtuung ganz recht haben, mit der Sie von dem möglichen Scheitern dieser Politik sprechen. Vergessen Sie nicht, meine Damen und Herren, daß am Scheitern oder Zustandekommen solcher Lösungen auch Ihr Schicksal hängt
und daß es Ihnen innenpolitisch nichts nützen wird, recht behalten zu haben, wenn andere einen Fehler machten! Ich bin der festen Überzeugung, daß diese Politik doch zum guten Ende führen wird, nicht weil ich meine, daß die Integration, wie ich sie mir vorstelle, nun zum Glaubensbekenntnis des Europäers erhoben werden sollte, wie Herr Kollege Ollenhauer es uns vorwarf — ach, meine Damen und Herren, wir sind gar nicht so vermessen, Glaubensbekenntnisse aufzustellen —, sondern weil ich meine, und heute noch mehr als gestern und vorgestern, daß die Entwicklung es uns ganz klar zeigt und beweist, daß der Weg, den wir gehen, zumindest im Augenblick der einzig mögliche und damit der einzig richtige ist.
An einem solchen Weg festzuhalten, ist kein Ausdruck der Starrheit. Glauben Sie mir auch, Herr Kollege Ollenhauer, wir werden uns dadurch, daß wir an dieser Politik festhalten, nicht aus notwendigen internationalen Gesprächen freiwillig entfernen, wie Sie zu befürchten scheinen. Die Art der Entwicklung, wie sie auch der Herr Bundeskanzler geschildert hat, gibt mir mehr Garantie dafür, daß
keine Lösungen irgendwelcher Art ohne uns besprochen werden, als die Isolierung, in die wir kämen, wenn wir Ihnen folgten.