Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Obgleich die Stunde sehr vorgerückt ist, wird man dennoch als sicher annehmen dürfen, daß das deutsche Volk östlich und westlich des Eisernen Vorhangs an der heutigen Debatte im Deutschen Bundestag mit ungeteiltem Interesse teilnimmt. Ganz besonders gilt das für das deutsche Volk im Saargebiet. Es wird auch allgemein begrüßt werden, daß diese Debatte von der einstimmigen Resolution des Deutschen Bundestages vom 2. Juli 1953 ausgeht. Im Volke ist diese Resolution nämlich keineswegs vergessen. Daß es hier um eine Frage von entscheidender Bedeutung geht, um eine Schicksalsfrage größten Ausmaßes, darüber ist man sich im deutschen Volke ohne Unterschied der Partei seit langem im klaren. Man weiß, daß von der Wiederherstellung von Recht, Freiheit und Demokratie an der Saar die ganze Zukunft eines im Osten und Westen einigen Volkes abhängen wird. Und mehr noch, man weiß in der deutschen Öffentlichkeit, daß an der Saar über Sein oder Nichtsein Europas und darüber hinaus über das Schicksal der freien Welt entschieden werden wird. Man hat im Volke — man braucht nur in die Wahlkreise hinauszugehen, um es festzustellen — ein sehr lebendiges Gefühl dafür, daß die Saar Prüfstein Europas ist, daß sich an der Saar erweisen muß, ob das Bekenntnis zum Recht, zum strengen, zum absoluten Recht ehrlich gemeint ist oder ob auch im Westen die überlebten Methoden der Machtpolitik triumphieren, wenn das Recht ihnen entgegensteht, wenn das Recht anfängt, unbequem zu werden.
Meine Damen und Herren, wenn dies so wäre und wenn dieser Deutsche Bundestag seine Stellung als Wahrer des gesamtdeutschen Interesses verlöre, dann würde dies für unsere Landsleute östlich des Eisernen Vorhangs und für alle unsere Heimatvertriebenen einen vernichtenden Schlag darstellen, und die Welt, die sich frei nennt, würde an der Saar, dieser Oder-Neiße-Linie des Westens, politisch und moralisch eine vernichtende Niederlage erleiden.
Im Laufe der Debatte des heutigen Tages ist von manchen Seiten das Gefühl zum Ausdruck gebracht worden, daß man sich vielleicht in der nächsten Zeit noch einmal über die Grundlagen der deutschen Außenpolitik eingehend unterhalten sollte. In der Tat scheint es mir so zu sein, als ob in der deutschen Öffentlichkeit eine gewisse Beunruhigung über den Gesamtkurs unserer Außenpolitik eingetreten wäre und als ob die Gefahr ent-
stünde, mehr in eine — wie soll ich es ausdrücken? — Außenseiterpolitik hineinzukommen als in eine Außenpolitik.
Es ist ein gewisses Mißtrauen entstanden, und zwar auch in der Weltöffentlichkeit, hervorgerufen durch unsere Betriebsamkeit, durch unsere Hast; vielleicht, daß weniger mehr gewesen wäre, auch im Hinblick auf die Verwirklichung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft. Tatsache dürfte doch wohl sein, daß, je mehr wir angeboten haben, desto höher von der anderen Seite der Preis gestiegen ist.
Hier spielt die Saar eine entscheidende Rolle. Es ist der archimedische Punkt, an dem man versuchen kann, das Gesamtunrecht aus den Angeln zu heben. Was heißt hier überhaupt „Saarfrage", meine Damen und Herren? Auch ich verwende das Wort. Man sollte es eigentlich gar nicht verwenden. Es ist künstlich geschaffen. Es gab keine Saarfrage mehr. Wir wissen, woher sie kommt, wo sie wiedergeboren wurde, auch wenn es der deutschen Öffentlichkeit noch nicht so ganz zum Bewußtsein gekommen ist. Auf der zweiten Konferenz von Quebec im September 1944 wurde die Saarfrage neu geschaffen, und zwar im Morgenthau-Plan,
und es ist bezeichnend, daß die Grenzen im Osten und im Westen für das Nachkriegsdeutschland im selben Absatz des Protokolls von Quebec enthalten sind.
Man weiß heute, wer die Väter dieses Plans der Gesamtdemontage Deutschlands gewesen sind. Man weiß, daß es zum großen Teil Männer waren, die im bezahlten Dienst der, Sowjetunion standen, und man weiß, wozu diese Bestimmungen hineinkamen: um Unruhe zu schaffen in Europa, um ein Problem zu kreieren, das Deutschland und Frankreich auseinanderhalten würde.
Man kann ja wohl in diesem Zusammenhang die nationalen Interessen Frankreichs mit den nationalen Interessen Deutschlands nicht ohne weiteres identifizieren. Denn was Deutschland anlangt, besteht doch wohl ein Recht, ein unbestreitbares Recht auf das Saargebiet, während von seiten Frankreichs ein solches Recht nicht gegeben ist. Es wäre ein Vorwurf, der einen nicht treffen könnte, wenn gesagt würde, daß wir alle, die wir für das deutsche Recht eintreten, deshalb Chauvinisten seien, gar Feinde des Friedens und Europas.
In diesem Hohen Hause sitzen in allen Parteien Männer und Frauen, die sich gegen jede Phase der Hitlersehen Aggressionspolitik mit all ihren Kräften zur Wehr gesetzt haben. Sie taten es aus Liebe zu Deutschland und aus Liebe zum Rechte, und sie taten es deshalb, weil sie erkannten, daß jedes Unrecht zur nationalen und zur europäischen Katastrophe führen muß. Wir wehren uns heute ohne Unterschied der Parteien nicht deshalb gegen neues Unrecht, weil wir gegen Europa wären, und nicht deshalb, weil wir Feinde Frankreichs wären. Weiß Gott, wir sind es nicht! Wir glauben an die Verständigung und an die Freundschaft mit Frankreich. Wir wehren uns gegen das Unrecht aus Liebe zu Europa,
und weil wir meinen, daß nur auf einer Basis der 1 Gleichberechtigung ein wahres Europa errichtet werden kann.
Man kann Europa nicht dadurch schaffen, daß man zuerst einmal Grundsätze preisgibt, auf denen es ruhen soll.
Was heißt hier „Europäisierung" oder gar „echte Europäisierung"?
Wenn ich mir ein Paar Schuhe kaufe, dann sollen es Lederschuhe sein, und wenn mir der Verkäufer sagt, es seien echte Lederschuhe, dann bin ich sehr mißtrauisch.
Europa ist eine Gemeinschaft des Rechtes, der Sitte, und Europa kann nicht geschaffen werden, indem man zuerst ein Stück eines anderen Landes abtrennt und das mit einer europäischen Etikette versieht.
Man sage uns nicht, daß es ein kleines Problem sei im Verhältnis zu viel größeren! Manche von Ihnen werden noch die Sitzung des Völkerbundes in Genf miterlebt haben, in der Reichsaußenminister Stresemann, schon vom Tode gezeichnet, zum letzten Male sprach, in jener Sitzung, in der in einer großen lebendigen Vision der damaligen Zeit von den „Vereinigten Staaten von Europa" gesprochen wurde. Und Stresemann sah die Saar als nicht zu gering an, um sie zu erwähnen und um auszuführen, daß dieses Europa von der Lösung dieser Frage abhängt. Wir meinen also, auch historisch in guter Gesellschaft zu sein, und wir meinen, daß man einem nicht ein Opfer zumuten kann, durch das niemandem geholfen wird, am wenigsten Europa.
Auch nicht wegen der EVG! In der vergangenen Woche hat Paul Bourdin in der „Zeit" vielleicht das Abschließende darüber geschrieben, ein ausgezeichneter Journalist, wenngleich er sich manchmal ein wenig — —; na, ich brauche es nicht auszuführen; gerade deswegen vielleicht ein besonders bemerkenswerter Mann! Er führte aus, daß die Schwierigkeiten mit der Ratifizierung der EVG gar nicht so sehr in der Saarfrage begründet sind als in den internen Verhältnissen Frankreichs. Wir glauben daher, daß von unserer Seite schon alles geschehen ist, was nur vernünftigerweise verlangt werden kann, um unsere Bereitschaft für Europa zum Ausdruck zu bringen.
Ich habe gesagt, daß man ohne Unterschied der Parteien in der deutschen Öffentlichkeit die heutige Debatte mit wachsamster Aufmerksamkeit verfolgt. Das wird jeder bestätigen können, der in das Volk hinausgeht, in dieses Volk, wo es längst über alle Trennungen hinweg in dieser Frage eine Art von Großer Koalition gibt, die wirklich alle Kräfte umspannt, die sich ehrlich für Europa und die Demokratie einsetzen. Die Saarfrage hat auch nichts zu tun mit irgendwelchen Sonderinteressen einzelner sozialer Stände und Schichten. Kollege Walz hat eben ausgeführt, daß an der Saar die Gewerkschaften unterdrückt werden, daß das selbstverständlichste Recht moderner Demokratie, nämlich daß die Arbeiterschaft durch freie Gewerkschaften vertreten sei, an der Saar nicht geachtet wird.
Während Europa, dieses Resteuropa, sich gegen die Massenenteignungen durch den Bolschewismus
wehrt, herrscht an der Saar bereits der kalte Bolschewismus.
Die deutschen Vermögenswerte sind schutzlos jedem politischen Willkürakt preisgegeben. Kohlengruben, Hüttenwerke, Banken, Versicherungen, Unternehmungen aller Art in einem Gesamtwert von schätzungsweise 6- bis 700 Millionen Dollar sind praktisch schon enteignet. Dieselbe Gefahr bedroht jeden kleinen Mann, wenn er sich politisch mißliebig macht. Man sage nicht, daß man die Saar nicht mit dem Osten vergleichen könne; der Terror sei dort viel stärker. Gewiß, das politische Klima in Westeuropa ist milder. Aber das, was dort geschieht, genügt völlig, um die politische Willensfreiheit zu unterdrücken;
und wie man Angst hat vor dieser Freiheit, ergibt sich aus dem Verbot freier Parteienbildung,
es ergibt sich aus der Unterdrückung der Presse.
Wenn von Zeit zur Zeit Beschwerden kommen, weil aufrechte Leute Zeitungen von der Bundesrepublik hinübergebracht haben, so muß man fragen: warum ist das nötig? In ein freies Land braucht man nicht Zeitungen von anderswoher zu bringen. Es muß geschehen, weil die Stimme der Demokratie an der Saar selber nicht gehört werden kann.
Meine Damen und Herren, vielleicht ist das Folgende zu volkstümlich für dieses Hohe Haus; aber wir sind Vertreter des Volkes, und deshalb darf erwähnt werden, wie man draußen im Lande den Goes-van-Naters-Plan nennt: man spricht vom Goes-van-Morgenthau-Plan.
Ich darf vielleicht auf eine merkwürdige Sache hinweisen.
— Überall, wo ich hinkomme, in den Versammlungen verschiedenster Parteien, ganz gleich welcher Gruppen!
Darf ich vielleicht auf folgendes hinweisen, was ich persönlich nicht verstehe. Ich habe am 21. Januar an den Herrn Staatssekretär des Äußeren die Frage gerichtet, ob das kommende Gutachten der Bundesregierung vom van-Naters-Plan unabhängig sein oder ihn zum Ausgangspunkt nehmen wird. Herr Staatssekretär, Sie haben mir geantwortet, dieses Gutachten wird unabhängig sein. Ich verstehe nicht, wie die Entwicklung weiter gelaufen ist; denn nur wenige Wochen später las man in der Presse, daß dieser Plan die offizielle Grundlage der Verhandlungen geworden ist. Ich verstehe das nicht. Vielleicht versteht man es draußen auch nicht ganz. Zwar sprechen die Historiker so gern von der Kontinuitätslosigkeit der deutschen Geschichte. Aber Kontinuitätslosigkeit in so kurzer Zeit?!
Was über das Provisorium zu sagen ist, hat Ihnen Herr Dr. Becker vorhin dargelegt. Ich meine, daß wir nicht die rechtliche Befähigung besitzen, auch nur provisorisch auf Hoheitsrechte zu verzichten,
die nicht uns, sondern dem ganzen deutschen Volk gehören.
Abschließend darf ich von dieser Stelle einen Appell an die Vereinigten Staaten, an Großbritannien und auch an Frankreich richten. Es geht hier um das Prestige der deutschen Demokratie. Wenn diese deutsche Demokratie ihr Gesicht verlöre, wenn sie kompromittiert würde, wäre Deutschland nicht mehr ein bündnisfähiger Faktor. Wenn diese deutsche Demokratie kompromittiert würde, wäre das eine unendliche Gefahr nicht nur für unser Volk, durch den heraufsteigenden Radikalismus, sondern für die gesamte freie Welt.
Meine Damen und Herren, ein Verzicht unsererseits wäre also rechtsunwirksam.
Wir würden uns damit vor dem deutschen Volk schuldig machen.
Unser Freund Reinhold Maier hat vor wenigen Tagen gesagt: Die Machthaber des Ostens werden eines Tages, wenn die Wiedervereinigung kommt, wegen ihrer Vorgriffe und Preisgabe der Oder-Neiße-Linie erröten müssen. Wir, sagte er, wollen nicht erröten müssen.
Es wird gefragt, welche Mittel wir denn haben. Das Recht ist keine Fiktion! Das Recht ist eine Realität, und zwar eine politische. Wenn wir für dieses Recht eintreten, treten wir nicht nur für ein deutsches Recht, sondern für ein allgemeines Menschenrecht ein, das jede Nation betrifft. Wir werden in der ganzen Welt Freunde und Bundesgenossen finden, die auf unsere Seite treten.
Wir sind bereit — ich brauche es nicht zu wiederholen —, jede vernünftige wirtschaftliche Konzession zu machen. Wir wollen Frankreich im Interesse des Friedens bis zum Äußersten entgegenkommen. Diese Konzessionen müssen aber von ganz Deutschland gebracht werden, nicht von einem einzelnen Teil unseres Vaterlandes.
So wage ich zu behaupten, daß in den Händen dieses Deutschen Bundestags, der für alle Deutschen zu sprechen berufen ist — in der Bundesrepublik, im Saargebiet und jenseits des Eisernen Vorhangs —, die Zukunft eines wahren Europas liegt, jenes Europas, das nur gedacht werden kann als eine Gemeinschaft unabdingbaren Rechtes, als eine Gemeinschaft freier, demokratischer und gleichberechtigter Nationen.