Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als letzter Redner hier zu erscheinen, ist eine dankbare und undankbare Aufgabe zugleich; dankbar insofern, als ich definitiv die letzte Figur bin, die Sie strapazieren wird, und ich hoffe, daß Sie das etwas freundlicher stimmt.
Als ich die Große Anfrage der SPD gesehen habe, habe ich mich gefragt, ob sie geschickt gestellt ist. Ich habe Verständnis dafür, daß die SPD jetzt eine Anfrage an die Bundesregierung stellt, um die Meinung der Bundesregierung über die Konjunkturlage in Stahl und Kohle zu erfahren, jetzt, wo die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen vor der Tür stehen, in dem Land, wo Kohle gefördert und Eisen produziert wird. Ich habe durchaus Verständnis dafür. Ich habe auch Verständnis für die rhetorische Frage, die sich dann anschließt: „Was gedenkt die Bundesregierung zu tun". Häufig fragt man das ja, wenn man selber nicht genau weiß, was man tun würde.
Ich glaube aber, daß die Verbindung dieser Frage nach der Konjunkturentwicklung mit der Montan-Union irgendwie nicht ganz geschickt gewesen ist. Denn der Grund für die augenblickliche Situation in Kohle und Stahl liegt ja nicht in der Montanbehörde, sondern im Gegenteil gerade außerhalb des Bereichs der Montan-Union. Er liegt nämlich in der unterschiedlichen Konjunkturentwicklung in den Industriebereichen außerhalb des Gemeinsamen Marktes. Das ist ja der wahre Grund für die augenblickliche Lage, vornehmlich für die Lage unserer Stahlindustrie, deren Zulieferant die Kohleindustrie ist. Wir dürfen doch mit einem gewissen Stolz behaupten, daß wir in der Bundesrepublik eine sehr gute Konjunkturlage in der verarbeitenden Industrie haben. Das ist doch, wenn man das bescheidenerweise erwähnen darf, nicht zuletzt ein Verdienst der Bundesregierung gewesen. An dieser günstigen Konjunkturentwicklung in der verarbeitenden Industrie haben unsere Grundstoffindustrien aber deswegen nicht so teilnehmen können, weil alle sich daran beteiligten. Andererseits gab es wegen der mäßigen Konjunkturlage unserer Nachbarländer keinen entsprechenden Ausgleich. Aber nach einem halben Jahre des Funktionierens des Marktes kann man das nicht negativ auslegen, weil man ja nicht weiß, wie Konjunkturschwankungen der nächsten Jahre sich auswirken werden.
Herr Kreyssig hat hier ein sehr düsteres Bild der augenblicklichen Lage entwickelt. Es ist eben schon vom Bundeswirtschaftsminister darauf hingewiesen worden, daß seine Prognosen häufig düster gewesen sind. Aber nicht nur er, sondern auch die Sprecher der SPD während der Schumanplan-Debatte haben ein düsteres Bild entwickelt. Sie gingen nämlich von der Unterstellung aus — als hier im Hause die Schumanplan-Debatte stattfand —, daß wir auf fünf bis zehn Jahre eine permanente Mangellage in Kohle und Stahl haben würden. Noch schlimmer ist es ja Herrn Loritz ergangen. Sie werden sich erinnern; wenn er jetzt hier wäre, müßte er einen Besen fressen, weil er behauptet hat, das würde er tun, wenn Stahl und Kohle im Gemeinsamen Markt billiger würden und wenn man sie leichter erhalten könnte. Und wie ich Herrn Loritz zu kennen glaube, würde er ihn jetzt tatsächlich fressen, diesen Besen.
Meine Damen und Herren, damals hat der Professor Nölting hier für die SPD gesprochen, und er ging eben von der Voraussetzung aus, daß wir eine Mangellage auf absehbare Zeit behalten würden. Nun, es ist nicht so eingetreten, wie vieles nicht eintreten wird, was düster prophezeit wird. Ich hatte bei Herrn Kreyssig manchmal den Eindruck, daß er mit einem wahren Vergnügen wieder mal eine Schwierigkeit entdeckt hatte, die sich uns irgendwie bei der Bildung Europas in den Weg stellte. Der einzige der damals in der Debatte — ich darf das vielleicht noch erwähnen — sehr realistisch gewesen ist, das war der jetzige Vizepräsident der Hohen Behörde — ich habe das einmal nachgelesen —, Herr Etzel, der nämlich bei diesen Mangellagengesprächen den Zwischenruf machte: „Sie können sich darauf verlassen, in zwei Jahren werden wir froh sein, wenn wir unsere Kohle verkaufen könnten!" Und genau das ist nun eingetreten.
Nun haben die Vertreter der Regierungsparteien damals in der Debatte durchaus nicht nur in Optimismus gemacht. Sie waren sich darüber klar, daß der Montanvertrag ein politischer Wechsel ist, ganz ohne Zweifel sogar ein Wechsel, den wir akzeptiert haben, nachdem Herr Schuman ihn zu einem Zeitpunkt ausgestellt hat, als die Lieferung noch nicht erfolgt war. Ich möchte fast sagen: Wir lösen ihn heute schon ein, und die Lieferung ist noch immer nicht erfolgt. Das führt vielleicht zu dem Schluß, zu sagen: Gott noch mal, das Geschäft hätten wir dann vielleicht besser als Kassageschäft machen können. Es ist im allgemeinen billiger. Aber, meine Damen und Herren, für einen Käufer bedarf es einer gewissen Liquidität, wenn er Kassageschäfte machen will. Er braucht etwas Betriebskapital, und gerade dieses Vertrauenskapital,
das wir nötig gehabt hätten, besaßen wir gar nicht.
Wir mußten ein solches Wechselgeschäft machen.
In einem, meine Damen und Herren, hat damals Herr Professor Nölting, mit dem ich lange im Landtag zusammengesessen habe, durchaus recht gehabt, nämlich als er von der gespaltenen Volkswirtschaft gesprochen und gefragt hat: Wer wird nun dafür sorgen, daß eines Tages die nicht integrierten Teile, die um den Montanmarkt herum liegen, integriert werden, welches Organ gibt es dafür, wer wird sich darum bemühen? Diese Fage war berechtigt, und auf diese Frage hat der Staatssekretär im Auswärtigen Amt geantwortet und gesagt, daß eine Lösung immer nur ein Schritt nach vorn sein muß, nämlich zu einer weiteren Integrierung. Die Frage, die damals Herr Nölting gestellt hat: Wer wird sich darum bemühen?, müssen wir beantworten, meine Damen und Herren. Wir müssen uns darum bemühen, und wir müssen unseren Einfluß bei der Regierung und bei der Hohen Behörde geltend machen, daß nun diese Schritte getan werden, die uns notwendig erscheinen, um die Integration weiter vorwärtszutreiben.
Im vorigen Jahr hat Professor Schmölders einen Artikel in der „Frankfurter Allgemeinen" geschrieben, in dem er mit Recht gesagt hat: Der Montanvertrag ist eigentlich gar nicht der erste Schritt auf dem Wege zur Integration Europas, sondern er ist ein vorweggenommenes Ergebnis. Man hätte organisch andere Schritte vorweg tun müssen. Das scheint mir sehr wesentlich auch für die Entschlüsse der Hohen Behörde zu sein. Der Vertrag als solcher unterstellt ja eine Integrationssituation, die eigentlich gar nicht vorhanden ist, und die Hohe Behörde sollte darum vielleicht in ihren Entscheidungen etwas mehr wirtschaftlich denken und weniger juristisch. Sie befindet sich nämlich augenblicklich in einer Übergangssituation, die sie immer wieder berücksichtigen muß. Sie sollte vielleicht die in den Vereinigten Staaten gebräuchliche Rule of reasons bei ihren Entscheidungen anwenden.
Was muß nun getan werden und welche Kritik gibt es noch? Meine Damen und Herren, ich sagte schon, die Integration ist weiterzutreiben. Aber wie und auf welchem Wege? Der Ministerrat hat nun eine ganz besondere Bedeutung. Eigentlich ist er ja nur geschaffen worden, um die Schwierigkeiten der Übergangszeit irgendwie zu meistern, um also ein ständiges Angleichen des Montanmarktes an die nationalen Märkte herbeizuführen. Von daher muß also weiter darauf gedrängt werden, daß eine gemeinsame Konjunkturentwicklung angestrebt wird. Vor allen Dingen müssen — und ich glaube, darauf ist bis jetzt zu wenig Gewicht gelegt worden — unsere Währungssysteme in Europa unter die Lupe genommen und angeglichen werden, damit eine Wettbewerbssituation geschaffen wird, die eine weitere Entwicklung überhaupt erst möglich macht.
Die Erziehung zum Teamwork ist schon heute morgen hier angesprochen worden. Der Herr Bundeskanzler hat sie als wichtige Aufgabe der Hohen Behörde bezeichnet und gefordert, das Teamwork müsse noch verstärkt werden. Der Europatrainer Monnet sollte also seine ganze Sorgfalt darauf verwenden.
Nun noch ein Punkt, dessen Erwähnung mir in diesem Zusammenhang wichtig zu sein scheint,
nämlich die Wettbewerbslage unserer Stahlindustrie im Verhältnis zu der Industrie der übrigen teilnehmenden Nationen. Es ist hier mehrfach gesagt worden, daß unsere Startposition eine weitaus ungünstigere gewesen ist als die der übrigen Teilnehmer am Montanmarkt. Die Hohe Behörde sollte das, so glaube ich, berücksichtigen, vom Art. 66 Gebrauch machen und uns helfen, zu vernünftigen Betriebsgrößen zu kommen, die erst unsere Situation erleichtern werden.
Außerdem scheint es eine dankenswerte Aufgabe zu sein, etwas dafür zu tun, daß der Stahlverbrauch pro Kopf der Bevölkerung im ganzen Montanraum auch durch die Methoden der Werbung angeregt wird, so wie es die Amerikaner seit Jahrzehnten und mit großem Erfolg tun. Das wäre eine echte Aufgabe, die auch die Montanbehörde erfüllen sollte.
Und dann kann man nur noch den Rat geben, daß sich die Montanbehörde aller dirigistischen Maßnahmen weise enthalten möge.
Zu der 100-Millionen-Anleihe wäre zu sagen, daß es vielleicht gefährlich ist, wegen dieses Betrags einen Streit zu entfesseln; denn 100 Millionen sind in Anbetracht der Aufgaben, die in bezug auf die Investitionsvorhaben vor uns stehen, eine sehr bescheidene Summe. Wenn Sie sie einmal mit Vorhaben einzelner Stahlwerke bei uns vergleichen, dann werden Sie ermessen, wie gering diese Summe ist. In dem Zusammenhang ist vielleicht noch einmal der Hinweis darauf gestattet, daß die Schaffung echter Relationen zwischen unseren europäischen Währungssystemen und die Herbeiführung der Konvertibilität im Raume der Montan-Union sicherlich die Voraussetzung dafür schaffen würde, daß wir im europäischen Raum eigene Anstrengungen anstellen könnten, um Grundlagen für Investitionsvorhaben in Kohle und Stahl zu schaffen.
Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zum Abschluß — das ist eine beliebte Redewendung im parlamentarischen Raum;
sie wird ernst genommen und auch erfüllt — nur eine Frage stellen. Es sind hier von der Opposition die Schwierigkeiten aufgezeigt worden, die sich bei der Integration Europas ergeben. Die Schwierigkeiten kennen wir. Das Entdecken dieser Tatsachen entbehrt des Reizes der Originalität. Aber es ist nötig, doch immer wieder einmal die Alternative kurz zu überdenken, die sich gegenüber dem Montan-Union-Vertrag ergibt, und zwar die wirtschaftliche Alternative, aufgesplittert zwischen zwei wirtschaftlichen Großräumen zu stehen. Wenn Sie darüber etwas nachdenken, werden Sie zu dem Schluß kommen, daß es für uns nur eine Entscheidung geben kann, nämlich die, weiter fortzuschreiten, und zwar mutig und auch hoffnungsvoll auf dem Wege, der nun einmal beschritten worden ist. Wenn sich die Opposition auch dazu nun voll und nicht nur, wie erfreulicherweise festzustellen ist, teilweise bekennen würde, dann, glaube ich, würden wir in gemeinsamer Anstrengung das von uns allen gewünschte Ziel erreichen.