Ich möchte hier den Herrn Bundeskanzler nicht interpretieren.
Ich glaube, er würde selbst den Wunsch haben, hierauf zu antworten.
Der sogenannte gesamtdeutsche Vorbehalt in dem Bonner Vertrag, d. h. der Vorbehalt, daß nur Gesamtdeutschland Bestimmungen über die Grenzen treffen könne, und der Vorbehalt, daß wir mit allen unseren ehemaligen Gegnern abschließen sollten, bilden eine wesentliche Seite unserer völkerrechtlichen Stellung, und wer als Deutscher davon abgeht oder als Partner uns zum Abgehen veranlassen will, überschreitet die Grenzen der rechtlichen, vertraglich festgelegten Möglichkeiten der Bundesrepublik und erschüttert den von uns ratifizierten Deutschland-Vertrag als das außenpolitische Grundgesetz unseres staatlichen Lebens.
Wenn meine Freunde dem Naters-Plan so kritisch und ablehnend gegenüberstehen und wenn ich selbst in Paris ein Ja nicht aussprechen konnte, dann deshalb, weil wir durch die Zustimmung zu der Europäisierung gezwungen werden sollen, über unseren bundesrepublikanischen Schatten zu springen. Wir würden, statt über den Schatten zu sprin-
gen, nur ins Dunkle geraten. Das wollen wir nicht, und deshalb darf ich im Namen meiner Freunde auch erklären, daß wir nach wie vor auf der Erklärung vom 2. Juli 1953 bestehen bleiben.
Immer und immer wieder ist hervorgehoben worden, daß die Einwilligung in die Europäisierung das Gefüge Deutschlands und den letzten Zusammenhalt des geteilten Landes erschüttern würde. Aber für die Europäisierung als einer Loslösung des Saargebietes von Deutschland liegen nicht nur französische Wünsche vor. Es scheint vielmehr, daß sich die Vereinigten Staaten und Großbritannien an ihre auf der Moskauer Konferenz im Jahre 1947 gegebene Zusage, sich für eine Loslösung des Saargebietes von Deutschland einzusetzen, auch heute noch gebunden fühlen, selbst wenn sie sich äußerlich zurückhaltend zeigen. Dadurch ist die Bundesrepublik in eine schwierige Lage geraten. Sie sieht sich von allen ihren großen Partnern vor die Frage gestellt, zur Vollendung der EVG auf deutsches Gebiet zu verzichten, und zwar unausweichlich, mit der Uhr in der Hand, in kostspieliger Ungeduld.
Diese Lage enthüllt den ganzen Ernst, der in den auswärtigen Geschäften steckt, der im Bewußtsein der Deutschen noch viel zu wenig lebendig geworden ist. Rein juristisch können wir sagen, die Moskauer Abmachungen von 1947 seien Abmachungen unter Dritten und für Deutschland nicht bindend. Ja, wir können sogar fragen, ob diese Abmachungen mit Art. 7 Abs. 1 des Deutschland-Vertrags vereinbar seien.
Aber nicht allein auf das Juristische kommt es hier an, sondern auf eine politische Tatsache und eine politische Erkenntnis. Es kommt auf die Tatsache und die Erkenntnis an, daß wir in den gesamtdeutschen Fragen im Grunde doch völlig allein gelassen sind. Es kommt auf die Tatsache und die Erkenntnis an, daß sich unsere Vertragspartner nicht dazu bereit finden wollen, die gesamtdeutschen Fragen als ihre eigene Frage zu betrachten, obwohl doch unsere Grenze die der westlichen Welt im ganzen ist. Dies ist es, was uns mit Betrübnis und Bitterkeit erfüllt.
Es ist auf der Berliner Konferenz nicht gelungen, die Einheit Deutschlands herzustellen. Auf allen Seiten hat es Schwierigkeiten gegeben. Wir hauen diese Tatsache bis auf weiteres hinzunehmen. Aber daß es damit nicht genug sein soll, sondern daß wir jetzt noch Handlungen vornehmen sollen, durch die auch die juristische Grundlage Gesamtdeutschlands angetastet wird — die einzige Grundlage, die noch besteht —, das ist es, was wir nur schwer begreifen können. Wenn die deutsche Frage keine europäische Frage ist, die den Zusammenhalt aller braucht, welche um Gottes willen ist es denn dann?
Die Sowjetunion hat sich, soviel bis heute bekanntgeworden ist, in der Saarfrage nicht gebunden. Sie hat keine Zusicherungen gegeben, sich für eine Abtrennung des Gebiets von Deutschland einzusetzen. Jüngste Verlautbarungen aus Ämtern, die über die sowjetische Politik unterrichtet zu sein pflegen, können in gleicher Richtung gedeutet werden.
Die Freien Demokraten verurteilen das Junktim zwischen Saar und EVG. Sie stimmen dem Naters-
Plan nicht zu, wo er Grenzfragen aufwirft, die an die letzte Klammer um Gesamtdeutschland rühren. Sie beklagen es aufs tiefste, daß die Deutschen in diesen Fragen auf ihre eigenen nationalen Energien verwiesen werden, statt die wohltätige Unterstützung ihrer Partner zu erhalten und ihre deutschen Sorgen als europäische anerkannt und von allen gemeinsam getragen zu sehen.
Nun kommt noch eine letzte Frage, die uns bei dem Naters-Plan mit Bedenken erfüllt, ehe wir dazu übergehen können, seine freundlicheren Seiten zu betrachten. Ich meine das deutsche Junktim mit der Europäischen Politischen Gemeinschaft. Sehen wir noch einmal von der juristischen Frage ab, ob wir als Bundesrepublik ein Stück Deutschland europäisieren können, und betrachten wir nur die Frage, die sich mit der Politischen Gemeinschaft stellt. Ich glaube, wir alle können bestätigen, daß die Deutschen viel Herzblut an den europäischen Gedanken gegeben haben und daß sich die Hoffnung der Jugend damit verbunden hat. Könnte man nicht die Saar aus Deutschland entlassen, um ihr als Europäer in Europa wieder zu begegnen? Wir haben den Weg Europas von Konferenz zu Konferenz betrachtet und das Fähnlein der sieben Aufrechten unter dem Banner unseres verehrten Herrn Kollegen von Brentano wacker streiten sehen. Nun, Herr Präsident, der Deutsche Bundestag ist in letzter Zeit etwas literarisch geworden;
mit Don Carlos hat es damals angefangen. Ich selbst fühle mich aber mehr zu den Romantikern hingezogen,
besonders, wenn ich an Herrn von Brentano denke.
Aber ich muß doch sagen, was da aus des „Knaben Wunderhorn" an europäischen Gaben hervorkam, reicht für die Europäisierung der Saar nicht aus.
Wir können uns nicht gut eine diskriminierende Europäisierung einzelner Gebietsteile vorstellen, ein Europa mit europäisierten und nichteuropäisierten Staaten nebeneinander. Der Gedanke aber, daß die Saar ein Vorläufer sei und daß die Staatlichkeit der Nationalstaaten nach und nach so ausgehöhlt würde, daß sie selbst zu Saargebieten würden, ist ein Gedanke fast wie von gestern. Die Uhr des übernationalen Europas hat ihren Gang verlangsamt, zeitweise scheint sie stillzustehen oder gar rückwärts zu ticken.
Es verwickelt die Saarfrage, wenn man sie mit der Europäischen Politischen Gemeinschaft in Verbindung bringt. Viele meiner Freunde sind mit dem supranationalen kleineuropäischen Gedanken aber so eng verbunden, wie ich es mit dem intergouvernementalen großeuropäischen bin.
Ich denke nicht daran, hier eine Einheitsfront der freien Demokraten behaupten zu wollen; denn es gibt sie in dieser Beziehung nicht. Ich möchte nur als meine persönliche Ansicht vortragen, daß die Verbindung der Saarfrage mit der Europäischen Politischen Gemeinschaft die Sache verwickelt, sie auf lange Zeit in der Schwebe hält und jene, die gegen eine Europäisierung des Saargebietes sind, zu Gegnern der Europäischen Politischen Gemeinschaft macht. Das aber ist nicht gut.
Ich möchte an den Anfang aller Versuche, die Saarfrage zu lösen, den Satz stellen: Je weniger Junktim, desto besser. Die Saarfrage verdient es um der Saar willen, gelöst zu werden. Die Deutschen dort haben genug gelitten; ihre Heimat muß zur Ruhe kommen, und ihre großen Nachbarn sollten mit ihren Wünschen und Selbstsüchten zurücktreten und nur daran denken, wie man diesem unglücklichen Gebiet helfen kann, das auf einer Grundfläche von der Größe Luxemburgs die dreifache Bevölkerung ernähren soll.
Meine Damen und Herren, der Deutsche Bundestag darf sich glücklich schätzen, in seinen Reihen ein Mitglied zu besitzen, das über die vollkommenste Kenntnis aller wirtschaftlichen Saarfragen verfügt und diese seine Kenntnisse in einem soeben erschienenen Werke niedergelegt hat, durch das wir alle sehr bereichert worden sind: ich meine Herrn Abgeordneten Dr. Fritz Hellwig. Den Ausführungen des Herrn Kollegen Hellwig ist zu entnehmen, daß das Saargebiet zu dem wurde und werden konnte, was es heute ist und noch ist, nur, weil es Teil eines Zollgebietes war, zu dem als Zubringer und Bezieher auch Lothringen und Luxemburg, das Elsaß und ganz West- und Süddeutschland gehörten. Diese Einheit ist zerschnitten worden, und es gilt, sie wiederherzustellen. Die Saar braucht Märkte zu Absatz und Bezug, sie braucht Investitionen von drinnen und draußen. Die Umwelt der Saar heißt in erster Linie Deutschland und Frankreich. Vier Fünftel der saarländischen Ein- und Ausfuhr kommen dort her oder gehen dort hin.
Die wirtschaftlichen Fragen haben eine unmittelbare politische Bedeutung. Nur wenn die wirtschaftlichen Fragen zum höchsten Nutzen der Saarbevölkerung geregelt werden, kann man erwarten, daß die politischen Lösungen, die man darüberstülpt, halten. Es wäre gefährlich, wenn sich die Vernunft der Wirtschaft an politischer Unvernunft stieße.
Die Hauptfrage, die sich bei den wirtschaftlichen Lösungen stellt, ist die, wie das Saargebiet mit seinen beiden Hauptpartnern am besten zu verbinden wäre. Im Zeichen der europäischen Einigung und besonders im Zeichen der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl ist es schwer, hierfür einen andern Grundsatz als den der Gleichberechtigung zu vertreten. Das Saargebiet braucht, wie alle Zahlen zeigen, in steigendem Maße den deutschen Markt. Wer sich hiergegen wendet, schadet der Wirtschaft an der Saar und jedem aus dem Volk. Es wäre deshalb auch nicht zu rechtfertigen, wenn man die Erstreckung der französisch-saarländischen Verflechtung auf die Bundesrepublik verhindern wollte, bis erst ganz Europa zur wirtschaftlichen Einheit zusammengewachsen wäre.
Diese Frage hat in den Beratungen des Europarats eine große Rolle gespielt. Niemand von uns bestreitet, daß die Aufhebung der Ein- und Ausfuhrzölle zwischen Deutschland und dem Saargebiet Übergangsmaßnahmen erfordert, die nach Dauer und Umfang sorgfältig zu berechnen wären. Das Ziel aber darf man nicht aus dem Auge verlieren, den Gemeinsamen Markt auch zwischen Deutschland und dem Saargebiet so rasch wie möglich herzustellen. Aufgabe von Sachverständigen wäre es, zu verhindern, daß die Saar zum französischen Loch im Osten und zum deutschen Loch im Westen würde.
Die Mittelstellung des Saargebiets zwischen Deutschland und Frankreich zwingt dazu, ihm die Möglichkeit einer eigenen Wirtschaftspolitik zu geben. Das spielt bis in die Fragen der Währung hinein. Die französischen Deviseninteressen an der Saar sind heute erheblicher als die Kohleinteressen. Frankreich bliebe jedoch in der Zahlungsbilanz mit der Saar auch dann noch aktiv, wenn das Gebiet aus der Frankenzone gelöst würde. Die deutschen Interessen auf dem Gebiet des industriellen Eigentums, der Banken und Versicherungen verlangen dringend unter Abgeltung der Reparationen neu geregelt zu werden.
Für das Saargebiet bleibt als eine, seine eigenen finanziellen Kräfte fast übersteigende Aufgabe die des Betriebs der umstrittenen Gruben. Man sollte, um die Last der Verluste und der Investitionen zu verteilen und um den Anreiz zum Bezug von Saarkohle zu erhöhen, eine Betriebsform finden, an der die Saar, Deutschland und Frankreich nach bestimmtem Schlüssel beteiligt werden.
Großer Sorgfalt bedürfte die Abstimmung auf die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Weisen der Gemeinsame Markt, die Aufhebung der Frachtvergünstigungen und der Wegfall der Zölle entschlossen in die europäische Zukunft und führen sogar bereits einen Teil der hier empfohlenen Lösung herbei, so müßte die Saar auf anderen Gebieten aber erst in die Lage versetzt werden, ihren größeren Aufgaben gerecht zu werden. Geschieht dies nicht, dann wird die Problematik eines halb durchgeführten Schumanplans auch hier aufgeworfen bis zu Standort- und Marktverschiebungen sozial gefährlicher Art. Die saarländische Wirtschaft braucht für Kapitalbildung und Investitionen, für Devisen und Kredite, für Steuern und Soziales ihre eigene Entwicklung, ihre eigene Lebensluft. Sie sollte aufhören, als Aschenbrödel zu dienen, sich ihr Geld von anderen entlehnen und ihre Kohle von außerhalb abgraben lassen zu müssen. Die Schwierigkeiten der saarländischen Wirtschaftslage zwischen Ost und West, zwischen Deutschland und Frankreich, rechtfertigen es, dem umstrittenen Gebiet eigene Zuständigkeiten zu verleihen, und die Schwierigkeiten, die bestehen, mögen empfehlen, ihm ein eigenes Organ zu geben, das die Beziehungen des Gebiets zu seiner Umwelt betreut und überwacht. Ein solcher Treuhänder müßte unabhängig und gerecht, im besten Sinne europäisch sein.
Meine Damen und Herren, was ich hier an wirtschaftlichen Gedanken vorgetragen habe, entspricht in großen Zügen dem, was im wirtschaftlichen Teil des Naters-Plans enthalten ist. Ich habe daran selbst mitgearbeitet. Es ist der Teil des Berichts, der in Brüssel verhandelt und einstimmig angenommen wurde. Sie werden meine Liebe zu diesem meinem Kinde verstehen, auch wenn ich nur einer von sechs Vätern bin.
Ich wäre mir treulos vorgekommen, wenn ich wie Herr Kollege Mommer, der übrigens nicht in Brüssel war, zum ganzen Naters-Plan nein gesagt hätte. Dies wäre auch dem unermüdlichen Berichterstatter des Ausschusses, Jonkheer van der Goes van Naters, nicht gerecht geworden. Ich gebe allerdings offen zu, daß die wirtschaftlichen Bestimmungen des Naters-Plans noch sehr die Spuren des Kompromisses an sich tragen.
Eine Enttäuschung ist uns allen nicht erspart geblieben: daß nämlich gerade der Teil des Berichts, der für die Bevölkerung und die saarlän-
dische Wirtschaft der bedeutsamste zu sein schien, bei der französischen Regierung am wenigsten Gegenliebe gefunden hat. Soviel wir aus der Presse wissen, haben die Vertreter der Bundesregierung in ihren mühevollen Verhandlungen mit der französischen Regierung noch keine befriedigenden Ergebnisse erzielt.
Und doch ist in den wirtschaftlichen Fragen durch schmerzliche Tatsachen der Praxis und durch sorgfältige theoretische Untersuchungen bereits eine Art gemeinsame Überzeugung entstanden. Die Notwendigkeit, den deutschen Markt geöffnet zu sehen, wird immer stärker anerkannt. Die Untersuchungen der Handelskammer in Saarbrücken weisen in die gleiche Richtung. In einer Rede des saarländischen Herrn Ministerpräsidenten von Anfang April sind einige Sätze enthalten, die, ich will nicht sagen, von Herrn Kollegen Mommer, aber vielleicht von mir gesagt worden sein könnten.
Man fürchtet freilich an der Saar, daß eine zu enge Verflechtung mit uns französische Gegenmaßnahmen auslösen könnte, von deren möglichen Härten man ganz bestimmte Vorstellungen zu haben scheint. Hier hat sich das Wort Europa noch nicht ganz herumgesprochen. Wir alle werden mit Aufmerksamkeit betrachten, welche Rolle die wirtschaftlichen Bestimmungen des Naters-Plans in den deutsch-französischen Verhandlungen spielen werden.
Auf einen Punkt möchte ich hier noch hinweisen. Da Herr Kollege Mommer als einziger nein sagte und ich mich als einziger der Stimme enthielt, darf man annehmen, daß auch die französischen Abgeordneten mit Ja stimmten. Da nun die Verhandlungen über die Grundsatzerklärung so sehr schleppend vor sich gehen, scheint zwischen den französischen Abgeordneten im Europarat und der französischen Regierung keine volle Übereinstimmung zu bestehen oder höchstens ein englisches „agree not to agree". Aber während nun in Frankreich alle Abgeordneten ja sagen und die Regierung Zurückhaltung übt, sagt bei uns die Regierung eher ja und üben viele Abgeordnete Zurückhaltung. Daraus ergeben sich Schlußfolgerungen für die praktische Lage, von denen ich offen bekennen will, daß sie nicht sehr willkommen sind.
Die Frage nun, ob die Schaffung saarländischer Sonderzuständigkeiten auf wirtschaftlichem Gebiet und die Einsetzung eines Treuhänders oder Treuhänderkommissars eine Änderung der Staats- und völkerrechtlichen Verhältnisse des Saargebiets, insbesondere die Loslösung aus dem deutschen Staatsverband, nach sich ziehen müßten, ist zu verneinen. Deutschland als Ganzes wie auch die Bundesrepublik als Teil davon ist an Treuhänder und selbst an Kommissare gewöhnt. Darüber hinaus zeigt schon ein oberflächlicher Blick auf die deutsche Rechtsgeschichte, daß wir in unseren verschiedenen Reichen und Bünden seit über 1000 Jahren jede Art von Gewichtsverteilung zwischen Kaiser und Fürsten, Reich und Ländern, Ober- und Unter-, Mittel- und Ortsgewalt gekannt haben. Es hat für Deutsche weder etwas Ungewöhnliches noch etwas Erschreckendes, wenn ein bestimmtes Gebiet aus besonderen Gründen besondere Zuständigkeiten und Einrichtungen erhält. Wenn dem Saargebiet auf Grund seiner Mittelstellung zwischen Deutschland und Frankreich eine eigene Wirtschaftspolitik ermöglicht werden soll, dann bereitet dies staatsrechtlich keine Schwierigkeiten. Neben den innerstaatlichen kennen wir neuerdings ja auch schon die zwischenstaatlichen Sonderzuständigkeiten. Wir haben zusammen mit fünf anderen Staaten Kohle und Stahl einer überstaatlichen Sonderhoheit unterstellt. Vorgänge dieser Art brauchen weder Grenzen noch Staatsangehörigkeit, weder Sprache noch Kultur zu berühren. Die hier vorgeschlagene wirtschaftliche Lösung bedingt keine Abtrennung des Saargebiets von seinem deutschen Mutterland.
Nun zeichnet sich auf diese Weise eine klare Lösung ab, eine Lösung, die von dem Junktim mit der EVG und vielleicht gar mit der Politischen Gemeinschaft gelöst und rein auf das Wohl und Gedeihen des Saargebiets selbst abgestellt ist, eine Lösung, die die wirtschaftliche Sonderstellung des Gebiets zwischen Ost und West in vollem Umfang anerkennt und berücksichtigt, eine Lösung, bei der alle Grenzfragen bis zum Friedensvertrag aufgeschoben sind, eine Lösung, die dort, wo für den Treuhänder eine europäische Gemeinschaft nötig ist, die Dienste des Europarats in Anspruch nimmt.
Das bietet mir die willkommene Gelegenheit, ein Wort höchsten Lobes und höchster Würdigung für den Europarat in Straßburg zu sagen. Der Europarat besteht und er hat seine Organe. Ich habe den supranationalen Versuchen stets mit Skepsis gegenübergestanden und die Einrichtungen, die nach den alten Regeln des Völkerrechts geschaffen worden sind, als die mit dem längeren Atem betrachtet. Ich hielt es für unbescheiden, zu glauben, die alten Nationalstaaten würden abdanken und sich wirksamen supranationalen Behörden unterstellen. Ich habe dem Europarat die Treue gehalten, als die Supranationalität so verführerisch winkte, die sich heute doch ihren Freunden entzieht.
Ich spreche nur persönlich und nicht für meine Fraktion, wenn ich dem Hause empfehle, diese Entwicklung doch ja genau zu verfolgen. Denn könnte es nicht sein, daß wir Fehler begehen, wenn wir wirklich wie ein Tantalus immer nach Speisen greifen, die sich wieder zurückziehen, wenn wir die Hände ausstrecken, und daß wir kostbare Zeit verlieren, als hätte die drängende Zukunft nicht schon begonnen? Die Welt ist voll von Gefahren. Wir müssen uns mit Frankreich zusammentun. Das steht am Anfang und im Mittelpunkt aller politischen und militärischen Erwägungen. Darum kommt niemand herum. Wir haben so vieles miteinander zu bereden; denn dadurch, daß wir mit den Soldaten begonnen haben statt mit dem Politischen, ist so vieles noch offen geblieben. Wir sollten daß Große groß und das Kleine klein sehen. Klein aber ist die Saar, wenn man sie Saar sein läßt, und groß ist die Welt, die sich über die Erdteile ausdehnt, die berufen sind, der Schauplatz eines überlegten Zusammenwirkens zu werden.