Rede von
Dr.
Konrad
Adenauer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Die Anfragen der Regierungsparteien und der Opposition bezüglich der Stellung der Bundesregierung zur allgemeinen außenpolitischen Lage, zur Saarfrage und auch zur Montan-Union geben eine willkommene Gelegenheit, in einem bedeutsamen Augenblick der weltpolitischen Entwicklung die Auffassung der Bundesregierung zu den uns beschäftigenden außenpolitischen Fragen darzulegen.
Bei den außenpolitischen Erörterungen hat sich trotz mancher Meinungsverschiedenheiten im einzelnen eine völlige Einmütigkeit in einigen Fragen von zentraler Bedeutung ergeben. Der Platz Deutschlands ist auf der Seite der Völker der freien Welt. Hierüber gibt es keine Diskussion, hierüber kann es auch keine Diskussion geben. Wir wissen, daß das deutsche Volk auch da, wo es nicht frei seine Ansicht äußern kann, jede Gemeinschaft mit der Welt der totalitären Staatsgewalt, der kollektiven Vermassung, der Unfreiheit des Einzelmenschen und der wirtschaftlichen Reglementierung verabscheut. Das deutsche Volk will Sicherheit nach außen und innen. Wir wissen, daß wir dem deutschen Volk diese Sicherheit mit unseren eigenen Mitteln allein nicht schaffen können.
Aus diesen wohlerwogenen Gründen haben wir den Anschluß an den Westen vollzogen.
Über die Art der Durchführung der Politik der Zusammenarbeit mit der freien Welt gab es und gibt es noch Meinungsverschiedenheiten. Sie betreffen aber nur die Methode, niemals das Ziel selbst. Diese Einmütigkeit in der Grundhaltung ist das große Positivum in der deutschen Außenpolitik.
Der Entschluß, den wir gefaßt haben, wurde in der freien Welt verstanden. Das Vertrauen, das uns in so erfreulicher Weise heute entgegengebracht wird, ist etwas Neues in der deutschen Geschichte und eine Frucht dieses Entschlusses. Das Vertrauen wird so lange bestehen, solange wir keinen Zweifel an der Klarheit und an der Festigkeit unserer Entscheidung aufkommen lassen.
Das Vertrauen wird so lange bestehen, wie wir alle Fragen der Beziehungen zu unseren Nachbarn so entscheiden, daß die Bande, die uns mit dem Westen verknüpfen, nicht gelockert, sondern gefestigt werden.
Diese Einmütigkeit und Klarheit unserer außenpolitischen Ziele sind heute notwendiger denn je. Die Beziehungen zwischen den beiden großen Mächtegruppen sind von schweren Problemen überschattet, die auf unserer Seite, auf der Seite des Westens, Selbstdisziplin, Unterordnung eigener Wünsche unter das große gemeinsame Ziel der Sicherung der Freiheit, gegenseitiges Verstehen und bereitwillige Zusammenarbeit in allen Dingen erfordern. Nur dann, wenn die Einheit und geschlossene Kraft des Westens eine wirkliche Realität darstellen, sind diese Probleme, die wie unheilvolle Wolken über der Welt und damit auch über uns hängen, zu lösen.
Wie schwer das ist, meine Damen und Herren, hat die Berliner Konferenz gezeigt. Wer gehofft hatte, es werde möglich sein, mit der Sowjetregierung unter Darlegung guter Gründe, die logisch und unwiderlegbar sind, zu einem Einvernehmen zu kommen, ist bitter enttäuscht worden. Deutschland, Europa und die Welt bleiben infolge der intransigenten sowjetischen Haltung weiter geteilt. Das sowjetische Bestreben, seine Machtposition in Europa ohne jede Rücksicht auf Recht und Vernunft und auf den Willen der Völker selbst festzuhalten, ist im Falle Österreichs in seiner ganzen Nacktheit vor aller Welt demonstriert worden.
In der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands ist das nicht anders. Moskau beharrt auf der Teilung Deutschlands und Europas, solange es hoffen darf, mit der Zeit ganz Deutschland und ganz Europa beherrschen zu können.
In jenem bekannten Angebot eines sowjetischen Sicherheitspaktes für Europa enthüllt sich in aller Deutlichkeit die Absicht Moskaus, an der europäischen Grenze seines heutigen Einflußbereichs nicht haltzumachen. Zielt nicht der andere sowjetische Vorschlag, die Sowjetunion in die NATO aufzunehmen, auch in dieser Richtung? Zeigen nicht diese Vorschläge deutlich die Absicht der Sowjets, das Verteidigungssystem der freien Welt, dessen Wirksamkeit auf der Einstimmigkeit seiner Partner beruht, durch ihr Veto zu lähmen, so wie sie es mit so viel Erfolg so oft in den Vereinten Nationen getan haben? Die alliierten Regierungen haben diese Vorschläge mit Klarheit und Entschlossenheit abgelehnt. Die Wünsche Sowjetruß-lands zielen — und daran kann heute niemand mehr zweifeln — darauf hin, zunächst die Vereinigten Staaten aus Europa zu verdrängen, sodann das freie Europa zu unterminieren und schließlich zu absorbieren. Überall in den Ländern des Westens sehen wir die von den Sowjets mit großem Aufwand organisierten Versuche, die Staaten zu unterwühlen, durch Drohungen, Furcht und Gewalt zu lähmen und durch Versprechungen und Propagandamanöver aller Art zu gewinnen.
Leider gibt es kaum Anzeichen dafür, daß die Konferenz, die in diesen Tagen in Genf begonnen hat, wesentlich bessere Ergebnisse haben kann als die Viererkonferenz in Berlin. Trotzdem möchte ich keine Prognosen stellen. Wenn es möglich wäre, in den ostasiatischen Fragen zu einer Entspannung zu kommen, so müßte sich das auch auf die Behandlung der europäischen Fragen auswirken. Es wäre völlig verkehrt, wenn wir uns auf den Standpunkt stellen wollten, daß der Streit auf der anderen Seite des Erdballs uns nichts anginge. Die gleichen Kräfte, die heute an der politischen, militärischen und wirtschaftlichen Grenze des Eisernen Vorhangs festhalten und durch die Mittel des Kalten Krieges ihre Macht darüber hinaus auszudehnen versuchen, befinden sich in Ostasien auf dem Wege der unverhüllten Expansion mit kriegerischen Mitteln. Der Waffenstillstand in Korea hat bis heute nur zur Aufrechterhaltung der Teilung dieses unglücklichen Landes geführt. Der Krieg in Indochina ist nicht allein eine französische Angelegenheit. Die Soldaten, die in Indochina Blut und Leben opfern, tun dies nicht für Frankreich allein, sondern im Dienste der Freiheit für die ganze Welt.
Es ist eine nicht zu bestreitende Tatsache, daß die kommunistischen Kräfte Ho-chi-minhs heute ihre Waffen und ihre Ausrüstung genau so wie die kommunistischen Nordkoreaner zu Beginn des Bürgerkriegs aus Rot-China beziehen. Angesichts der furchtbaren Gefahren, die sich aus einer solchen Situation für den Frieden der ganzen Welt ergeben können, gewinnt die Genfer Konferenz auch für uns eine außerordentliche Bedeutung.
Die Schilderung der Gefahren unserer Zeit würde nicht vollständig sein, wenn man nicht des Wettrüstens in atomischen Waffen gedächte, mit denen die Wissenschaft Mittel der Massenvernichtung geschaffen hat, so furchtbar in ihren Wirkungen, daß man nur hoffen kann, sie werden niemals zur Anwendung kommen. Die Tatsache, daß die Welt zu einem Zeitpunkt in zwei große gegnerische Lager gespalten ist, in dem gleichzeitig neue, furchtbare Mittel der Vernichtung entwickelt werden, muß jeden verantwortungsvollen Menschen mit ernstester Sorge erfüllen. Über den Geschäften des Alltags dürfen wir nie aus dem Auge verlieren, welche Gefahren uns drohen und daß die Schicksale der Völker aufs engste miteinander verknüpft sind, gleichgültig, ob ihre Heimat Ostasien oder Europa heißt. Es gibt keine Krisen und keine Konflikte, die nicht auch auf uns ihre Wirkungen ausüben.
Die Überzeugung, daß die Entwicklung des neuen deutschen Staates entscheidend von dem Verhältnis dieses Staates zur übrigen Welt beeinflußt werden würde, hat die außenpolitische Arbeit der Bundesregierung von Anfang an geleitet. Der Zusammenbruch Deutschlands im Jahre 1945 hatte die außenpolitischen Ziele einer deutschen Regierung vorgezeichnet. Diese Ziele lauteten für die Bundesregierung: Wiederherstellung der inneren und äußeren Selbstbestimmung, Gewährleistung von innerer und äußerer Sicherheit, Wiedervereinigung Deutschlands. Alle diese Ziele sind ohne Ausnahme in der Isolierung Deutschlands nicht zu erreichen.
Das Mittel, um zu diesen Zielen zu gelangen, war und ist die Integration, die Eingliederung Deutschlands in die Gemeinschaft der freien Völker. Der von der Regierungskoalition und von der Bundesregierung eingeschlagene Weg führt zu diesem Ziel. Die Bundesrepublik besitzt heute innere und äußere Selbstbestimmung, die ihr ermöglicht, die außenpolitischen Interessen Deutschlands in wirksamer Weise wahrzunehmen.
Es gibt heute keine Frage von außenpolitischer Bedeutung, an der die Bundesrepublik mittelbar oder unmittelbar interessiert ist, die von den alliierten Mächten über den Kopf der Bundesregierung hinweg entschieden würde. Ich kann mit Befriedigung feststellen, daß die Bundesregierung nicht nur gehört wird, sondern auch an der Meinungsbildung und Beschlußfassung der großen Mächte mitwirkt. Formal haben wir die volle Souveränität heute noch nicht erreicht, da die Ratifikation des Deutschland-Vertrages, die mit der Ratifikation des Vertrages über die Verteidigungsgemeinschaft eng verknüpft ist, noch aussteht. Wenn es nach unseren Wünschen gegangen wäre, so wäre der europäische Zusammenschluß in den letzten Monaten mit verstärktem Eifer vorwärtsgetrieben und zum Ziele geführt worden.
Wenn die Europäische Verteidigungsgemeinschaft heute noch nicht von allen Unterzeichnerstaaten ratifiziert ist, so liegt die Ursache dafür sicherlich nicht bei Deutschland. Unsere Entscheidung ist gefallen. Wir haben alles getan, was wir zu tun haben.
Leider haben wir feststellen müssen, daß nationale Egoismen mit den Tendenzen der europäischen Einigung im Kampf liegen. Wir werden aber diesen schwerwiegenden Vorwurf nur dann an die Adresse anderer richten können, wenn wir uns selbst in dieser Sache völlig einwandfrei verhalten.
Ich hoffe sehr, meine Damen und Herren, daß unter diesem Gesichtspunkt die Aussprache, die wir heute führen, nicht zu einer Schwächung, sondern zu einer Stärkung unseres Ansehens und unserer Glaubwürdigkeit in der Welt beitragen wird. Wir wollen hier in Deutschland nie vergessen, in welcher Gefahr dieser Kontinent und vor allem Deutschland schweben und wie kurzsichtig es ist, um dieser oder jener Mängel eines Vertrages willen das ganze Werk des Zusammenschlusses und damit die eigene Sicherung gegen Gefahren von außen und innen aufzuhalten.
Ich glaube, wir können aber trotzdem mit Befriedigung feststellen, daß seit Beginn dieses Jahres auf dem Gebiet der Sicherung Westeuropas Fortschritte erzielt worden sind. Das niederländische, das belgische und das luxemburgische Parlament haben den EVG-Vertrag gebilligt. Damit erhöht sich, wie Herr Abgeordneter Kopf schon gesagt hat, die Zahl der Staaten, in denen die parlamentarische Behandlung abgeschlossen ist, auf vier. Die italienische Regierung hat die Verträge dem Parlament inzwischen vorgelegt.
Das in Paris am 13. April 1954 unterzeichnete Abkommen über die Zusammenarbeit zwischen dem Vereinigten Königreich und der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft stellt einen weiteren bedeutsamen Schritt auf dem Wege zur Sicherung Westeuropas dar. Mit diesem Abkommen hat Großbritannien in konsequenter Verfolgung seiner bisherigen Politik gegenüber der EVG die organisatorische Zusammenarbeit mit den Behörden der EVG auf politischem, militärischem und verwaltungsmäßigem Gebiet ausgestaltet und damit seine Verbundenheit mit Westeuropa auf eine neue feste Grundlage gestellt. Das Abkommen sieht nicht nur eine Mitarbeit der britischen Regierung innerhalb des Ministerrates der EVG vor; britische Armee-und Luftwaffenverbände können nunmehr auf Verlangen des Obersten Befehlshabers in Europa in europäische Kontingente eingegliedert werden. Damit werden britische Streitkräfte, die der EVG zugeteilt werden, zwar nicht in deren supranationaler Struktur aufgehen; sie werden aber einem Befehlshaber der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft unterstehen und praktisch ebenso ein Teil der europäischen Armee sein wie die EVG-Einheiten selbst.
Das Abkommen sieht weiterhin eine möglichst enge Angleichung der militärischen Ausbildung und Ausrüstung der Streitkräfte Großbritanniens und der EVG vor. Großbritannien wird Veränderungen im Bestand seiner auf dem Kontinent stationierten Streitkräfte nur nach vorheriger Konsultation mit den zuständigen Stellen der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft vornehmen. Von besonderer Bedeutung ist ferner die Versicherung der britischen Regierung, daß britische Streitkräfte so lange auf dem Kontinent stationiert werden, als eine Bedrohung Westeuropas und der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft besteht.
Die britische Regierung erklärt weiter, daß nach ihrer Auffassung das Atlantikpaktbündnis von unbegrenzter Dauer sei. Sie zerstreut damit die Bedenken all derer, die in Westeuropa auf die unterschiedliche Geltungsdauer des atlantischen Bündnisses, das ein Ausscheiden der Mitglieder 20 Jahre nach der Unterzeichnung zuläßt, und des EVG-Vertrages, der auf eine Dauer von 50 Jahren abgeschlossen ist, hinweisen. Sie begegnet damit zu-
gleich wirksam der Auffassung, daß die britischen Beistandsverpflichtungen gegenüber der EVG, die nur für die Dauer des Atlantikpakts festgesetzt sind, nach einigen Jahren an Wert verlieren und schließlich hinfällig werden könnten.
Der Erklärung der britischen Regierung kommt jedoch nicht nur militärische Bedeutung zu. Es wird oft übersehen, daß der Atlantikpakt für die Teilnehmerstaaten nicht nur militärische Verpflichtungen, sondern auch Verpflichtungen auf anderen Gebieten, insbesondere auf dem Gebiet der wirtschaftlichen und kulturellen Zusammenarbeit, mit sich bringt. Die britische Regierung bekennt sich in ihrer Erklärung zu einer intensiven Zusammenarbeit aller Mitgliedstaaten der atlantischen Gemeinschaft auf allen Gebieten und auf unbegrenzte Zeit.
Dieser Schritt der britischen Regierung ist in der englischen Geschichte eine revolutionäre Tat. Indem Großbritannien die Sache der EVG zu seiner eigenen macht, wird ein Doppeltes offenbar. Großbritannien hat sich mit dem Schicksal des Kontinents solidarisch erklärt. Es hat damit bekundet, daß heute die Selbstbehauptung irgendeiner Nation in der Isolierung unmöglich ist. Es hat weiter seiner Überzeugung Ausdruck gegeben, daß die Verteidigungsgemeinschaft ein notwendiges Instrument der Verteidigung der westlichen Welt darstellt.
Im gleichen Sinne begrüßt die Bundesregierung die Botschaft des Präsidenten der Vereinigten Staaten vom 16. April 1954. Diese Botschaft bringt in unmißverständlicher Weise das große Interesse der amerikanischen Regierung für das Schicksal der europäischen Integrationsbestrebungen zum Ausdruck und betont die Bedeutung, die der EVG nicht nur vom amerikanischen Standpunkt aus, sondern auch im Rahmen der atlantischen Gemeinschaft zukommt. Über ihre bei Unterzeichnung des EVG-Vertrags am 27. Mai 1952 gegenüber der EVG und deren Mitgliedstaaten eingegangenen Verpflichtungen hinaus präzisiert die amerikanische Regierung weitere Verpflichtungen, die sie bei Inkrafttreten des Vertrages zu übernehmen gedenkt. Die amerikanische Regierung wird hiernach in Europa - natürlich einschließlich Deutschlands — weiterhin die erforderlichen Streitkräfte in angemessener Stärke unterhalten, solange eine Bedrohung dieses Raumes anhält. Sie wird sich darüber hinaus mit den Mitgliedstaaten der NATO und der EVG über die Fragen gemeinsamen Interesses konsultieren, insbesondere auch über die Stärke der dem Alliierten Oberbefehlshaber in Europa zur Verfügung gestellten Kräfte; sie wird auch bestrebt sein, eine möglichst enge Integration der Streitkräfte der EVG, der Vereinigten Staaten sowie der anderen NATO-Länder im Hinblick auf Führung, Ausbildung und Organisation herzustellen und in verstärktem Maße über die Anwendung neuer Waffen und neuer Methoden für die Verbesserung der gemeinsamen Verteidigung Nachrichten auszutauschen. Auch die amerikanische Regierung spricht die Auffassung aus, daß das atlantische Bündnis auf unbegrenzte Zeit Geltung besitzt und damit eine ständige enge Zusammenarbeit der freien Völker gewährleistet, die es allen Mitgliedern ermöglicht, ihre Bemühungen zur Wahrung des Friedens und der Freiheit und zur Hebung des Wohlstandes ihrer Völker gemeinsam zu verfolgen. Meine Damen und Herren, es erscheint mir nötig, bei einem Überblick über die außenpolitische Lage gerade von unserem Standpunkt aus dieser Stellungnahmen der Regierung Großbritanniens und
der Regierung der Vereinigten Staaten besonders dankbar zu gedenken.
Ein dauerhafter Zusammenschluß der Völker ist
aber nur möglich, wenn wir vernünftige Lösungen
für alle die Probleme finden, die uns als Folgeerscheinungen der Interessengegensätze vergangener Zeiten belasten und die denen immer neue
Begründungen liefern, die einen europäischen Zusammenschluß nicht wollen. Zu diesen Problemen
gehört die Saarfrage. Sie werden verstehen, meine
Damen und Herren, daß ich mich zu gewissen Teilen des Saarproblems mitten in den Verhandlungen, in denen wir zur Zeit mit der französischen
Regierung stehen, nur zurückhaltend äußern kann.
Aber aus dem, was ich sagen werde, werden Sie die Grundelemente einer Lösung, wie wir sie uns denken, erkennen können.
Frankreich und wir dürfen diese Frage nicht allein im Lichte des alten deutsch-französischen Gegensatzes sehen. Das Saarproblem ist einfach unlösbar, wenn die beiden Teile es allein unter dem Gesichtspunkt ihrer nationalen Interessen lösen wollen. Auf diesem Wege ist, wie die Dinge nun einmal liegen, eine Lösung nicht zu finden.
Wir Deutsche haben kein Mittel, Frankreich gegen seinen Willen zu einem Verzicht auf seine Position an der Saar zu zwingen.
— Na, wenn Sie ein Mittel wissen, werden Sie es ja sagen.
Dabei ist leider nicht entscheidend, ob Frankreich sich diese Stellung zu Recht oder zu Unrecht geschaffen hat.
Die Bundesregierung hat mit großer Anstrengung jahrelang bei jeder sich bietenden Gelegenheit versucht, den Standpunkt, den unser eigenes nationales Interesse nahelegt, zur Anerkennung bei den anderen Regierungen zu bringen.
Lassen Sie mich Ihnen heute offen sagen, daß diese Versuche mit der Erfahrung geendet haben, daß für eine Politik, die allein unserem nationalen Interesse in der Saarfrage Genüge tut, auch wenn das Recht auf unserer Seite ist, eine Unterstützung außerhalb Deutschlands nicht zu erwarten ist.
Darum führt es uns leider nicht weiter, wenn wir in weitläufige und tiefgründige Untersuchungen über die aktuelle Rechtslage eintreten. Wenn wir keine Chance haben, für die Realisierung unseres noch so begründeten Rechtsstandpunkts die Unterstützung der Welt zu gewinnen, so bleibt uns, wenn wir eine realistische Politik machen wollen, nichts anderes übrig, als Ausschau nach einer neuen Lösung zu halten.
Andererseits, meine Damen und Herren, kann auch Frankreich uns gegen unseren Willen ebensowenig dazu bringen, daß wir die Stellung anerkennen, die es sich im Saargebiet geschaffen hat.
Bleiben wir also beide bei den nationalen Vorstellungen, die uns aus der Vergangenheit überkommen sind, so ist die Folge einfach die, daß der gegenwärtige Zustand an der Saar aufrechterhalten bleibt. Ich brauche nicht zu schildern, was das bedeutet. Dem einseitigen Einfluß Frankreichs an der Saar würde weiter auf ungemessene Zeit Tür und Tor offenstehen. Die Saarbevölkerung selbst und das innerpolitische Leben an der Saar würden nicht zur Ruhe kommen. Der heftige Streit der Meinungen würde weitergehen. Der feste Boden würde weiterhin fehlen, der für jedes Gemeinwesen auf die Dauer unerläßlich ist.
Viel wichtiger indessen, ja entscheidend sind zwei andere Faktoren. Zunächst ist es eine absolute Notwendigkeit, damit Europa und, meine Damen und Herren, damit das deutsche Volk einschließlich der Saarbevölkerung am Leben bleiben, die Differenzen unter den europäischen Völkern zu beseitigen.
Mehr noch: ohne Einigkeit unter den europäischen Völkern können auch die großen globalen Spannungen nicht beseitigt oder wenigstens gemildert werden. Was sich in solcher Lage anbietet, um dem unfruchtbaren und ausweglosen Gegensatz der nationalen Interessen zu entgehen, ist eine Lösung auf höherer Ebene, ist eine europäische Lösung.
Die Bundesregierung hat deshalb auf der Konferenz der sechs Außenminister in Paris im Juli 1952 dem Gedanken zugestimmt, die Saar zum Sitz der europäischen Institutionen zu machen. Eine notwendige Konsequenz ist, daß dem Gebiet, das Sitz der europäischen Institutionen wird, ein besonderer Status gegeben wird. Was diesen Status im einzelnen anlangt, so waren bei den zahlreichen Gesprächen und Verhandlungen, die ich selbst oder Vertreter der Bundesregierung mit Mitgliedern der französischen Regierung über die Lösung des Saarproblems geführt haben, immer die folgenden Hauptgesichtspunkte bestimmend. Eine endgültige Lösung, die eine Entscheidung über die Grenzen des deutschen Staatsgebiets zum Inhalt hat, kann nur in einem Friedensvertrag erfolgen, der mit einer gesamtdeutschen Regierung frei auszuhandeln ist.