Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es scheint mir von einigermaßen symbolischem Charakter zu sein, daß wir heute abend zur Aussprache über unsere Große Anfrage über die Montan-Union kommen, nachdem die Sonne im Westen versunken ist.
Sie ist schon eine ganze Weile versunken.
Das scheint deshalb von etwas symbolischem Charakter zu sein, weil von der großen Begeisterung, die hier einmal geherrscht hat, als es sich um die Ratifizierung des Schumanplans handelte, eine ganze Menge verschwunden ist. Ich habe trotzdem das Gefühl, daß der Herr Bundeskanzler und möglicherweise die ganze Bundesregierung noch nicht ausreichend erkannt haben, daß aus der Begeisterung für Europa und vielleicht auch aus gewissen Illusionen inzwischen sehr harte wirtschaftliche Tatbesiande geworden sind.
Ich finde es sehr merkwürdig, daß wir, nachdem der Herr Bundeskanzler heute morgen die sehr exakt und präzis formulierte Große Anfrage unserer Fraktion nur mit allgemeinen Worten und Sätzen und mit der Erinnerung an lange zurückliegende Dinge beantwortet und nachdem der Herr Bundeswirtschaftsminister sich auch heute zu einer ausgesprochen wirtschaftspolitischen Frage abermals nicht geäußert hat, eine Antwort bekommen
von dem Chefjustitiar eines großen Stahlunternehmens, der sich der Mühe unterzogen hat,
wenigstens den Versuch zu machen, die materielle
Antwort zu den Fragen zu geben, die wir vom
Herrn Bundeskanzler heute nicht bekommen haben.
Gewiß, das ist schon richtig; aber es ist dennoch eine eigentümliche Angelegenheit, wenn sich ein Abgeordneter freundlicherweise der Mühe unterzieht, die Sache der Regierung ist. Vielleicht ist der Herr Bundeswirtschaftsminister darüber sehr froh; denn man weiß, daß er in gewissen Kreisen gesagt hat, er sei immer davon überzeugt gewesen, daß die Teilintegration auf dem Sektor von Stahl und Kohle, also die Montan-Union, nichts Gescheites werden könne, und er schweigt vielleicht deshalb, weil er nun der Meinung ist, das Schweigen sei in so einer Situation der beste Ausweg.
Ich halte es für eine unmögliche Situation, daß wir seitens der Regierung auf eine Große Anfrage über wirtschaftspolitische Fragen, die die ganze Bevölkerung der Bundesrepublik und in der Weiterwirkung nicht nur Kohle und Eisen, sondern die ganze Industrie angehen, unzureichende und unzulängliche Antworten bekommen. Ich muß allerdings sagen, meine Hoffnung, daß vielleicht der Herr Bundeswirtschaftsminister konkreter geantwortet hätte, hat sich zerschlagen, nachdem ich, eigentlich ganz zufällig, heute früh die Antwort in die Hand bekommen habe, die seitens des Bundesministers für Wirtschaft auf eine Kleine Anfrage ergangen ist, die einige Abgeordnete der CSU, also des Landes Bayern, woher auch ich komme, am 11. März mit einiger Besorgnis gestellt haben. In dieser Kleinen Anfrage Nr. 37 haben die Kollegen Strauß, Dr. Jaeger und Genossen bis zu meinem Wahlkreiskollegen Wieninger die Regierung gefragt, ob die Pressemeldungen zutreffend seien, daß der Preis für Hausbrandkohle erhöht werden solle, und was, wenn die Meldung den Tatsachen entspräche, die Bundesregierung eventuell tun würde, um die möglicherweise unvermeidbare Erhöhung des Preises für Hausbrand zu vermeiden. Das sind — wir kennen uns in Bayern da besser aus — die kleinen weißblauen Hechte in dem Karpfenteich der großen CDU. Das sollte vielleicht — und das ist das Interessante —, weil die Kollegen Strauß und Dr. Jaeger Abgeordnete des Montanparlaments sind, die bayrischen Kollegen aus dem Montanparlament entlasten. Die Bundesregierung hat also geantwortet, ich meine, in diesem Fall der Bundesminister für Wirtschaft, allerdings wieder einmal gezeichnet „In Vertretung: m.d.W.d.G.b. Westrick". Das heißt, nach der Terminologie unserer Bürokratie, daß er „mit der Wahrnehmung der Geschäfte beauftragt" ist, während der Herr Bundeswirtschaftsminister, glaube ich, in Südamerika war und sich durch zollfreie Einfuhr von einigen Orden ausgezeichnet hat.
Der Bundeswirtschaftsminister hat daraufhin geantwortet, daß sich nach dem Inkrafttreten des Gemeinsamen Marktes die Hohe Behörde zunächst einmal damit einverstanden erklärt habe, die Kohlenpreisermäßigung für den Hausbrand noch für ein Jahr zu erlauben. Es wird weiter gesagt, daß sie sich das Recht vorbehalten habe, die Frage
zu überprüfen. Im Zuge dieser vorgenommenen Überprüfung sei auch der Ministerrat der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl in seiner Sitzung am 12. und 13. März 1954 konsultiert worden. In diesem Ministerrat sitzt bekanntlich auch die Bundesregierung mit ihren Vertretern. Im Verlauf dieser Sitzung hat sich die deutsche Delegation, nachdem die Angelegenheit zuvor mit den Wirtschaftsministern der Länder behandelt war, mit der Aufhebung der Hausbrandverbilligung einverstanden erklärt.
— Na, es kann nichts schaden, wenn ich es Ihnen noch einmal in Erinnerung bringe. Ich werde Ihnen gleich sagen, warum, Herr Hilbert. Sie müssen nicht immer so nervös werden.
Es steht in dieser Antwort, die in „der Wahrnehmung der Geschäfte" gegeben worden ist, eine bedeutsame Zahl. Es steht nämlich darin, daß der deutsche Bergbau bisher durch diese Hausbrandverbilligung, die jetzt durch die Hohe Behörde beseitigt worden ist, mit 190 bis 200 Millionen DM belastet gewesen sei.
Nun, die Kollegen aus Bayern haben dann gefragt, was die Regierung tun wolle, um Schäden oder Nachteile für die Bevölkerung zu vermeiden. Daraufhin hat die Bundesregierung etwas geantwortet, was ich nun in der glücklichen Lage bin ergänzen zu können, nachdem der Herr Kollege Pohle, mit dem ich ja in dem Ausschuß für den Gemeinsamen Markt der Montan-Union bestens gemeinsam deutsche Belange und deutsche Notwendigkeiten mich wahrzunehmen bemühe — wir haben bis jetzt ausgezeichnet kooperiert — —
— Warten Sie nur ab, lieber Freund, es kommt noch! Da wird nun zur Beschwichtigung gesagt, daß die Aufhebung der Preisspaltung sich für den überwiegenden Teil der Hausbrandverbraucher nicht in vollem Umfange auswirken werde. Denn
— Sie wissen es — inzwischen habe sich die Kohlenbergbauindustrie bereit erklärt, einen Betrag von 25 Millionen DM zur Verfügung zu stellen, der in Form von Verbilligungsscheinen an die Bevölkerung gehe. Das sind zwei Zahlen, die aufschlußreich und interessant sind. Von den 25 Millionen, die gegeben werden, lieber Kollege Wieninger, steht hier in der Antwort nichts drin. Das haben wir inzwischen aus der Presse erfahren. Hier steht aber drin, daß die Hausbrandverbilligung, die in Wegfall kommt, eine Belastung für die Bevölkerung in Höhe von 190 bis 200 Millionen DM bedeutet, während demgegenüber nur für 25 Millionen DM Verbilligungsscheine gegeben werden. Das ist eine exakte Rechnung, die sogar der verehrte Kollege Kunze trotz seines Kopfschüttelns einfach nachrechnen kann.
Sehen Sie, Herr Kanzler, das sind Dinge, die wir an sich hier vielleicht einmal von der Regierung und nicht von der Opposition hätten erfahren sollen, oder die Bevölkerung hätte es erfahren sollen,
wenn wir diese Frage gestellt haben. Dann hat es auch keinen Zweck, wenn Sie sagen — wenn ich Sie recht verstanden habe, haben Sie das heute früh gesagt —, das seien die Herren, die Ihnen das
Material geben. Ich nehme es Ihnen nicht übel, Sie können es nicht beurteilen, und vielleicht einige andere, die nicht in der Materie sind, auch nicht. Sie haben gesagt, die Erlöslage habe sich verbessert. Es steht auch in der Antwort, die schriftlich auf die Kleine Anfrage gegeben worden ist, es habe sich eine Erlösverbesserung ergeben. Nun, wir haben uns, da wir uns nun mal in der Montan-Union und im Parlament diese Dinge angelegen sein lassen müssen, dort in der vorigen Woche
— der Herr Kollege Pohle wird es bestätigen — die Zahlen geben lassen, und wissen Sie, was dabei herausgekommen ist? Daß von einer Erlösverbesserung, die hier behauptet wird, für den deutschen Kohlenbergbau keine Rede sein kann.
— Ja, das ist auch deshalb nicht falsch geworden, weil ich es wiederhole, mein verehrter Herr Dr. Hellwig! Sonst müßten S i e den Beweis antreten, daß die Zahlen, die die Hohe Behörde und der deutsche Vizepräsident, Herr Etzel, uns gegeben haben, falsch sind. Solange Sie diesen Beweis nicht erbringen, bleibt das bare Münze, was gesagt ist.
— Passen Sie auf! Inzwischen liegt das Protokoll vor, und aus diesem Protokoll - das werden Sie nun zugeben müssen, und Herr Pohle weiß es ja; im übrigen hat er es in seinen Akten, und wir haben gemeinsam geprüft, was stimmt — geht hervor, daß durch die von der Hohen Behörde verordnete Preissenkung, im Durchschnitt 2 DM — angepaßt für Kohle und Kr Ks —, der deutschen Volkswirtschaft ein Betrag von 221 Millionen DM verlorengeht.
Denn mit jeder Tonne, die wir exportieren, kriegen wir weniger Erlös.
Schauen Sie, Herr Bundeskanzler, der Sie heute früh so liebenswürdig waren, andeutungsweise unsere Große Anfrage zu beantworten,
das ist ja eines der Dinge, die wir von der Regierung wissen wollten, ob das den Voraussetzungen oder den Hoffnungen entspricht, die man in die Union gesetzt hat, und das hängt auch zusammen mit den Startbedingungen.
— Ich komme darauf, Herr Brentano. Sie kommen in dieses Montanparlament auch nur, wenn über die großen politischen Fragen entschieden wird. Wenn Sie mal vertretungsweise — der Herr Pelster war da für Herrn Jaeger — gekommen wären statt Herrn Pelster, hätten Sie sogar in der vorigen Sitzung des Ausschusses für den Gemeinsamen Markt direkt offiziell von dem „Europäer von Beruf", wie er sich genannt hat, von Herrn Etzel, diese Auskünfte bekommen.
Ich habe gesagt, die Startbedingungen waren schlecht, und wir haben gefragt: Was ist geschehen, um sie zu verbessern? Ich brauche mich gar in der vorigen Sitzung des Ausschusses für den wieder die merkwürdige Theorie entwickelt wird, wir Sozialdemokraten empfänden Genugtuung darüber, wie die Dinge laufen. Genau das Gegenteil ist wahr. Es ist schade, daß Herr Gerstenmaier
jetzt nicht anwesend ist. Aber er ist sehr angestrengt und muß sich wahrscheinlich von seiner Rede erholen und stärken. Ich würde sonst sogar ihm verständlich machen können, daß wir Sozialdemokraten, nachdem dieser Vertrag für 50 Jahre gültig ist, allerdings der Meinung sind, daß wir hier das Beste herausholen müssen, was möglich ist, — und soviel Schäden wie möglich zu vermeiden haben, die sonst auf die Bundesrepublik fallen. Ob Ihnen das behagt oder nicht behagt, ist Ihre Angelegenheit. Wir Sozialdemokraten waren durchaus damit zufrieden, daß die gesamte Gemeinsame Versammlung die Resolution angenommen hat, die durch unsere Initiative im Investitionsausschuß in Straßburg im Januar erarbeitet worden ist.
— Bravo, das freut mich. Ich hoffe, Sie bleiben es.
- Na, freuen wir uns darüber. Aber warten wir ab; es gibt noch mehr Sitzungen.
Damals haben wir die ganze Versammlung des Montanparlaments — das sind immerhin 78 supranationale Abgeordnete, von denen wir Deutsche nur 18 sind, und die Opposition nur 6 von den 18
— dahin gebracht, einstimmig die Hohe Behörde aufzufordern, die Möglichkeiten aus dem Vertrag wahrzunehmen, um eben daraus und aus der Politik der Hohen Behörde etwas Vernünftiges zu machen.
Herr Bundeskanzler, wenn Sie heute früh als Außenminister und Bundeskanzler und gleichzeitig Wirtschaftsressortverwalter — Sie bestimmen ja die Richtlinien der Politik — geantwortet haben, — —
— Um so besser; wenn wir die Antwort auch noch kriegen, dann wäre es ja —
Ich will Ihnen mal eines sagen, Herr Hilbert, mit aller Aufrichtigkeit und auch mit aller Unmißverständlichkeit. Wenn Sie als Regierungskoalition und Sie, Herr Kanzler, der Meinung sind, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister unsere begründete Anfrage beantworten soll, dann wäre es fair gewesen und richtig gewesen, ihn vorher sprechen zu lassen
und nicht erst die Aussprache laufen zu lassen. Ich will Ihnen nur sagen: Glauben Sie ja nicht, daß wir davor Bange haben, daß der Herr Professor Erhard nachher kommt und wir nicht zu antworten wüßten!
Aber ich bin der Meinung, man soll bei Großen Anfragen die parlamentarischen Spielregeln einhalten. Das gehört zum Parlament und gehört zu einer sauberen Demokratie.
Herrn Professor Erhard in allen Ehren, ich freue mich, daß ich mal wieder die Klinge mit Ihnen kreuzen kann,
und mein Kollege Deist wird das auch tun. Ich
hoffe, daß das in einer Form geschieht, daß wir
hier konkrete Antworten bekommen. Ich werde
also nun, Herr Kanzler, alle die Fragen an Sie richten, die Sie heute früh durch Ihre mangelhafte Beantwortung unserer Großen Anfrage ausgelöst haben.
— Bitte, was Sie sich immer aufregen müssen! Solange sogar der Bundeskanzler der Meinung ist, daß das richtig ist, was ich sage — —. Wir werden ja hören, was sein Bundeswirtschaftsminister, der heute offenbar Redeerlaubnis zum Schumanplan hat, zu sagen hat.
— Meine Damen und Herren, bis jetzt hat der Bundeswirtschaftsminister — damit ich Ihr Gedächtnis ein bißchen auffrische und die neuen Kollegen davon informiere — zum Schumanplan noch nicht ein einziges Mal auch nur ein Wort gesagt.
Diejenigen — ich will das gleich einfügen —, die dem Herrn Bundeskanzler das Material für seine Rede gegeben haben, sollten doch nun wirklich endlich auch einmal wenigstens den Schumanplan, den Vertrag über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, so gründlich lesen, daß sie wissen, was drinsteht. Schauen Sie, was nun das anlangt, Herr Bundeskanzler: Es gibt nicht mehrere Fristen, es gibt fünf Jahre Übergangszeit. Die fängt nicht für die Kohle an einem Termin und für den Stahl an einem anderen an, sondern völlig einwandfrei und klar heißt es in dem Übergangsabkommen:
Die Übergangszeit beginnt mit der Errichtung
des gemeinsamen Marktes und endet mit Ablauf einer Frist von fünf Jahren nach der Errichtung des gemeinsamen Marktes für Kohle. Und damit ist es aus. Wenn der Edelstahl erst jetzt am 1. Juni in den gemeinsamen Markt hineinkommt, ändert das auch nichts daran. Es gibt nur eine fünfjährige Übergangsfrist.
— Der Herr Bundeskanzler hat etwas anderes gesagt! Ich habe ihm ausgezeichnet zugehört. Er hat gesagt, die Übergangszeit beginnt bei Kohle im Februar und bei Stahl später.
— Also, wenn ich das nicht genau gehört haben sollte, bin ich sogar damit zufrieden, feststellen zu können, daß die Texte aus dem Abkommen wirklich exakt bekannt sind. Aber bis zur Einsicht des Protokolls habe ich einen kleinen Vorbehalt.
Ich komme nun zu dem Thema zurück, von dem Sie mich auch durch Zwischenrufe nicht abbringen werden. Auf Grund der Zahlen, die wir von der Hohen Behörde unter dem Vorsitz des Vizepräsidenten Etzel— was die Hohe Behörde dann besonders unverdächtig macht — bekommen haben, haben wir jedenfalls den Nachweis bekommen, daß sich die Erlöslage für den Bergbau in keiner Weise gebessert habe. Ganz im Gegenteil, dadurch, daß die Kohle insgesamt und auch der Koks um 2 DM billiger verkauft werden müs-
sen — das weiß Herr Pohle und alle anderen auch—, ist die Situation vieler deutscher Zechen weit schwieriger geworden, als sie vorher gewesen ist. Auf der anderen Seite ist aber die Situation eingetreten, daß der Vorsprung der französischen Stahlindustrie in Lothringen noch größer geworden ist. Warum reden Sie um die Dinge herum? Wir wissen von einem Sprecher von „GEORG" — das ist die berühmte Abkürzung für die Gemeinschaftsorganisation für den Kohlenverkauf an der Ruhr —, daß dort gesagt worden ist, daß die neue Kohlepreisfestsetzung „eindeutig zum Nutzen der französischen Stahlindustrie erfolgt" sei. Da hat man sich beklagt und war überrascht, daß die Kohlepreisfestsetzung mit Zustimmung der Bunderegierung erfolgt ist.
Nun, Herr von Brentano hat, glaube ich, den unvorsichtigen Zwischenruf gemacht, ob ich freie Preise wolle.
— Von höheren Preisen hat kein vernünftiger Mensch geredet. Ich stelle aber die Tatsache fest, daß jeder Bürgen in der Bundesrepublik, obwohl der Schumanplan die Besserung der Lebenshaltung herbeiführen soll, den Hausbrand um 60 bis 65 Pfennig teurer bezahlen muß. Denn wenn die Bevölkerung bisher den Hausbrand um 200 Millionen DM billiger bekommen hat, dieser aber jetzt um 200 Millionen DM verteuert wird — minus 25 Millionen DM für Verbesserungsscheine —, dann wird damit dem kleinsten Mann auf der Straße klar, was es bedeutet, wenn man die Verfügungsgewalt über Kohle und Stahl nicht mehr in der Hand hat, sondern auf die Entscheidung einer supranationalen Behörde angewiesen ist.
— Das ist sehr logisch, Herr von Brentano! Wenn Sie da nicht mitkommen, kann ich Ihnen nicht helfen.
Nun, das ist die eine Situation.
Ich muß nun, da wir von der Kohle sprechen und ich nicht noch einmal darauf zurückkommen will und nachdem ich schon einen Vertreter von „GEORG" zitiert habe, auf eine sehr ernste Frage eingehen, die in unserer Großen Anfrage einbegriffen ist. Wir entsinnen uns — und der Herr Bundeskanzler wird es auch ganz genau wissen, denn er hat ein ausgezeichnetes Gedächtnis —, daß er kurz nach der Annahme des Schumanplans im Bundestag den Hohen Kommissaren einen Brief geschrieben hat, die Bundesregierung sei damit einverstanden, daß der Deutsche Kohleverkauf, DKV, bis Mitte des Jahres 1952 aufgelöst wird. Wir waren überrascht, als wir nach einigen Rückfragen mit einiger Verzögerung von diesem Schreiben Kenntnis bekamen. Die Alliierten bestanden nun darauf, da sie ja erklärt hatten, daß es keine Kartelle und dergleichen mehr geben dürfe; und zweitens ist in dem Schumanplanvertrag festgestellt, daß es keine Kartelle mehr geben soll.
Nun, wir haben eine, wie soll ich sagen, sehr delikate Situation. Unser Herr Bundeswirtschaftsminister, der ja auch landauf, landab für freie Wirtschaft und gegen alle Kartelle ficht, hat es
— ich sage es ausdrücklich — dankenswerterweise erreicht, daß der GEORG, die Kohleverkaufsorganisation des Ruhrgebiets, wenigstens noch bis zum
30. Juni, glaube ich, am Leben bleibt. Dann muß weiter verhandelt werden. Ich halte es für einen großen Fortschritt, daß sogar der Herr Bundeswirtschaftsminister eingesehen und zugegeben hat, man könne auf dem Sektor von Kohle und Stahl mit freien Preisen und freiem Wettbewerb bestenfalls ein Chaos schaffen, aber keine vernünftige Wirtschaftspolitik betreiben. Der Herr Minister Erhard hat durch seinen Vertreter, den Herrn Staatssekretär Westrick, den er immer mal nach Luxemburg schickt, durchgesetzt, daß keine Preisfreigabe bei der Kohle erfolgte, die wir auch für einen unmöglichen Zustand halten. Er hat erreicht, daß die Preisfestsetzung für die Kohle durch die Montanbehörde in Luxemburg zunächst einmal wieder für ein Jahr oder eine entsprechend lange Frist durchgeführt worden ist.
Hier zeigt sich also eine gewisse Einsicht, daß bestimmte Dinge unbedingt notwendig sind. Wenn diese Einsichten wachsen, sind wir sogar davon überzeugt, daß wir Sozialdemokraten bei solcher Kooperation in der Lage sind, aus der Montan-Union ein brauchbares Instrument zu machen, das schlimme Dinge verhüten kann.
— Wenn Sie dafür der Sozialdemokratie Beifall spenden, dann möchte ich Ihnen in Erwiderung des Dankes doch wenigstens empfehlen, einigen Ihrer Kollegen den guten Rat zu geben, keine törichten Zeitungsartikel zu schreiben, wo nachher so alle möglichen Schwätzerchen dabei herauskommen und die Sache verschoben wird. Sie kennen ja wahrscheinlich besser als ich Ihre Leibschmerzen!
— Nein, wir haben in dieser Hinsicht keine.
Sie wissen aber, was ich meine. Wir kommen dann auf eine viel vernünftigere Basis.
Herr Bundeskanzler, Sie haben heute früh auch geantwortet, daß Sie sehr vieles zur Verbesserung der Startbedingungen getan hätten. Man hat Ihnen einige Zahlen über Investitionen genannt. Sie haben sich dann darüber gefreut, daß die Hohe Behörde von Amerika eine Anleihe bekommen hat.
Dazu muß ich ein paar Dinge sagen. Ich möchte dabei zunächst die Frage stellen — vielleicht kann sie nachher Professor Erhard beantworten —, ob Sie unter Verbesserung der Startbedingungen für die deutsche Kohle- und Stahlindustrie etwa verstehen wollen, daß die Franzosen jetzt mit einem Aufwand von 15 Milliarden Franken eine der besten Gruben im Ruhrgebiet gekauft haben, nämlich die Harpener Bergbau AG., die eine ausgezeichnete Kokskohle liefert.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß das Geld für den Kauf dieser Kohlengrube, mit der nun der lothringische Stahl aus eigener Produktion, wenn sie auch auf deutschem Gebiet liegt, wer weiß, wie billig — mit Werksverrechnungen — versorgt werden kann, wodurch er in der Konkurrenz wieder überlegen wird, von der französischen Regierung in Form einer Anleihe zu außerordentlich günstigen, vorteilhaften Bedingungen gegeben worden ist?
Es ist kein Aprilscherz, wenn „Le Monde" am 1. April darüber berichtet hat. In „Le Monde" stand am 1. April als große Schlagzeile zu lesen: „Dank eines von der französischen Regierung gewährten Kredits konnte die lothringische Stahlindustrie eine der schönsten Gruben der Ruhr erwerben." Verkäufer ist ein wahrscheinlich sehr braver nationaler Mann. Er heißt Flick. Mehr brauche ich nicht zu sagen. Der Name Flick hat eine gewisse Vergangenheit und keinen allzu guten Ruf. Aber „Le Monde" hat dazu noch etwas geschrieben, was in das Gebiet fällt. Ich glaube sagen zu dürfen, daß der Herr Bundeskanzler in seiner Eigenschaft als Außenminister oder sein Stellvertreter im Ministerrat der Montan-Union vielleicht einmal ein Wort im Interesse der Bundesrepublik und in unser aller gemeinsamem Interesse reden müßte. Es hat in „Le Monde" außerdem gestanden, und zwar fett gedruckt, damit es ja keiner übersieht, diese Erwerbung stelle eine mutige Operation der lothringischen Stahlindustrie dar. Diese wolle sich „von der traditionellen Vormundschaft Deutschlands befreien, das die Kokslieferungen einschränke, um die Entwicklung der französischen Stahlindustrie zu hindern."
Nachdem wir 4 1/2 Millionen Tonnen Koks auf Halde haben, einmal weil die Franzosen viel weniger Koks abnehmen, als sie ursprünglich benötigten, weil sie nämlich durch ihre Produktionsüberlegenheit gar nicht mehr so auf unseren Koks angewiesen sind, wie das früher einmal der Fall war, und zum anderen infolge dieser Überlegenheit natürlich auch die deutsche Stahlindustrie weniger arbeitet und weniger verbraucht, kann uns ja weiß Gott niemand den Vorwurf machen, wir schütteten aus lauter Böswilligkeit den Koks auf Halde, bloß damit die Franzosen nicht produzieren könnten. Außerdem stimmt es nicht. Ich will Sie jetzt nicht langweilen, nachdem Herr Dr. Pohle schon so viele Zahlen genannt hat. Tatsache ist jedoch, daß die französische Stahlindustrie in einem erheblichen Umfange nach Deutschland exportiert hat, zu Lasten der Stahlindustrie, die bei uns in Deutschland arbeitet und dazu übergegangen ist, Arbeiter zu entlassen. Lesen Sie die Berichte aus den Hauptversammlungen! Herr Abs hat ja nicht nur eine nette Bemerkung über die Montan-Union gemacht, sondern auch mitgeteilt, daß man schon 1000 und 1500 und mehr Arbeiter entlassen mußte, weil der Produktionsgang nachläßt. Wenn Sie Bedenken haben, daß wir die Dinge falsch sehen oder etwa die Absicht hätten, die Dinge schlechter zu sehen, als sie sind, dann darf ich auf eine Erklärung des Unternehmensverbandes Ruhrbergbau in Essen hinweisen:
Aus der Tatsache, daß wir 3,82 Millionen Tonnen Koks und 1,23 Millionen Tonnen Kohle auf Halde haben, geht eindeutig hervor, daß die derzeitigen Absatzschwierigkeiten in erster Linie in den geringen Abrufen der Eisen- und Stahlindustrie begründet sind. Diese Abrufe haben sich keineswegs gebessert, und irgendwelche Anzeichen für eine Änderung der Lage in absehbarer Zukunft sind dem Ruhrbergbau nicht bekannt.
Herr Bundeskanzler, das war einer der Gründe: die Unruhe, die seit Wochen und Monaten vorhanden ist, die Tatsache, daß ungefähr schon 200 000 Bergarbeiter Feierschichten verfahren haben und daß wir auch von Stahlwerken wissen, bei denen langsam die roten Ziffern in Erscheinung treten. Deshalb wollten wir wissen, was die Bundesregierung
getan hat. Es ist dann nicht ausreichend, einfach zu sagen: Wir haben einiges für die Startbedingungen getan und dergleichen mehr.
Zurück zu der Anleihe. M. Monnet, der Präsident der Hohen Behörde, kommt mit ganzen 100 Millionen Dollar nach Hause. Im Juni vergangenen Jahres hat M. Monnet in der Versammlung des Montanparlaments in Straßburg die große Unruhe und Unzufriedenheit mit dem Anlaufen des Experiments durch die Erklärung abgefangen — die Zeugen sitzen unter uns; sie haben es mitgehört —: Hier habe ich die große Zusage aus Amerika. Und da wurde von einer halben Milliarde Dollar, vielleicht sogar von einer Milliarde Dollar gesprochen.
M. Monnet hat es für notwendig oder richtig gehalten, an Herrn Vizepräsidenten Etzel ein Telegramm zu schicken, welches besagt, daß das Verhalten der deutschen Industrie und die Kritik, die sich an den schlechten Ergebnissen des Gemeinsamen Marktes — die man doch nicht wegdiskutieren kann — entzündet hat, die Anleiheverhandlungen in Amerika entscheidend gestört haben. Nun, jeder wußte schon zu dem Zeitpunkt, als wir im Januar die Sitzung hatten und als dann M. Monnet nach Berlin geflogen war, um sich dort mit dem Außenminister Dulles zu unterhalten, daß die Anleiheaussichten erheblich gesunken waren. Schön, es sind 100 Millionen Dollar. In den deutschen Zeitungen steht — natürlich etwas, wie soll ich sagen, ausgerichtet oder dirigiert; in einer Art „gelenkter Meinung" —: Keine große Enttäuschung. Man spricht von der Anerkennung und von allen möglichen Dingen, die man an die Anleihe knüpft. Aber es kommt auch die Frage: Was wird denn Deutschland wohl davon bekommen?
Wir haben den Tätigkeitsbericht der Hohen Behörde, den wir von der übernächsten Woche an während zweier Wochen in Straßburg gründlich diskutieren werden, inzwischen bekommen. Ich darf einmal auf Dinge aufmerksam machen, die die deutsche Bevölkerung interessieren und die auch dieses Parlament wissen soll. Wir haben ja sogar in der Parlamentarischen Gesellschaft beschlossen, solche Debatten hier im Plenum zu führen. Vom 1. Januar 1953 bis 1. Januar 1954 hat die Hohe Behörde insgesamt 43 Millionen Dollar aus Umlagen von der Kohle- und Stahlindustrie der sechs Montanländer bekommen: Sie erhebt augenblicklich 0,9 % von den Nettoumsätzen. In dem Jahr, das ich hier erwähne, war die Abgabe gestaffelt. Von diesen 43 Millionen Dollar hat die Bundesrepublik 47 % bezahlt. Das sind 20,21 Millionen Dollar oder rund 85 Millionen DM. Es wird wahrscheinlich niemanden unter uns geben, der glaubt, daß das, was wir möglicherweise aus der Anleihe von 100 Millionen Dollar, die Herr Monnet nach Hause bringt, für Deutschland bekommen könnten, etwa diesem Umfang entspricht.
Ich komme auf das zurück, was ich zur Kohlenpreissenkung sagte. Wir geben an die Montan-Union durch den um 2 Mark gesenkten Kohlenpreis noch einmal beachtliche Summen in der Größenordnung von 40 oder 60 Millionen pro Jahr, und, meine Damen und Herren, Herr Wirtschaftsminister und auch Herr Bundeskanzler, wir zahlen außerdem noch, beinahe als einziges Land, die Ausgleichsumlage für diejenigen Länder, die betroffen werden, für die belgischen Kohlengruben und ähnliche Dinge. Dort ist dafür gesorgt, daß keine Schäden entstehen. Wenn wir das zusammenrechnen, kostet uns diese Mitgliedschaft in der Montan-Union pro Jahr — Herr Pferdmenges ist am Rechnen; er hat
es schneller raus als ich, scheint's, ich kann aber auch rechnen — 80 oder 85 und noch einmal 75 — diese 75 sind die Ausgleichsumlage, die sich langsam reduziert —, das sind 160 Millionen. Dazu kommt das, was wir an jeder Tonne Kohle und Koks um 2 Mark weniger als Erlös bekommen. Da ist die Frage, ob das nun alles den Erwartungen entspricht, die die Bundesregierung in den Vertrag gesetzt hat, immerhin einigermaßen berechtigt. Aber reden wir nicht mehr länger über dies Dolchstoßprogramm von Herrn Monnet. Das ist ganz offensichtlich, da er ja sonst ganz gute Nerven hat, ein „supranationaler Betriebsunfall"; das nehmen wir nicht so tragisch.
Was uns viel mehr interessiert — und hier kommen wir auf die Frage der Aktivität der Bundesregierung im Ministerrat und im Rahmen der Möglichkeiten der Montan-Union —, ist z. B. die Tatsache, daß gerade jetzt die British Iron and Steel Federation, also der Eisen- und Stahlverband Englands, erklärt hat, daß er mit aller Energie und mit allen Argumenten gegen eine Assoziierung Englands an die Montan-Union angehen wird. Nun, das ist einer der entscheidenden Punkte. Wenn es nicht gelingt, durch eine Politik — zu der eben die Bundesregierung beitragen muß, wenn die anderen sie nicht richtig hinkriegen — die Montan-Union aktionsfähig und wenigstens zu einem Teilinstrument für Europa zu machen, das einen Anreiz für England und andere Länder bietet, dann bleiben wir auf diesem Sektor der Teilintegration stehen. Der Wissenschaftliche Beirat und viele andere kluge Leute, die darüber nachgedacht haben, sogar in Ihren Reihen, wissen, daß es zu nichts führen kann, wenn man nicht über diesen Zustand hinauskommt.
Deshalb haben wir die Frage gestellt, was die Bundesregierung getan hat, um den Beschluß im Ministerrat durchzuführen. Der Herr Bundeskanzler hat uns geantwortet, die Bundesregierung sei eifrig bemüht, diesem Beschluß nach Kräften zur Realisierung zu verhelfen. Aber schauen Sie, Herr Bundeskanzler, bei diesem supranationalen Parlament sind wir nun einmal in der — Gott sei Dank, möchte ich sagen — glücklichen Lage, in ihm und durch seine Ausschüsse einiges zu erfahren und auch einiges über das zu erfahren, was die deutsche Regierung im Ministerrat tut. Wir haben uns erkundigt, was aus der Realisierung des Beschlusses geworden ist. Die Antwort lautete: man wird einige Experten über Konjunkturbeurteilung und dergleichen mehr in den nächsten Monaten oder Wochen mal zusammenrufen. Es ist also seit dem 13. Oktober 1953 bis heute nichts geschehen, um zu einer gemeinsamen Politik in der Montan-Union zu kommen, um die Ausweitung der Investitionen zu überprüfen und um regelmäßig die Konjunkturlage zu prüfen und zu verfolgen.
Das sind aber entscheidend wichtige Dinge, wenn wir nicht Gefahr laufen wollen, daß sich die Situation verschlechtert oder weiter zu unseren Ungunsten entwickelt, Daß sie zu unseren Gunsten verlaufen sei, hat bis jetzt noch niemand behauptet; Herr Pohle hat sehr geschickt und gut und sorgfältig formuliert. Die Tatsachen sind bekannt. Wir wissen nun einmal, daß die Dinge weitaus schlechter gelaufen sind, als vorher angenommen worden ist. Als sich der Herr Kanzler bemühte, diesen Teil unserer Großen Anfrage zu beantworten, hat er gesagt, daß bisher die Befürchtungen bezüglich der Anfangsschäden und -schwierigkeiten, die die Bundesregierung gehegt habe, in geringerem Umfang als erwartet eingetreten seien. Ich möchte
aus dieser Antwort nicht folgern und nicht etwa folgern müssen, daß die Bundesregierung noch geraume Weile zusieht, wie die Dinge weiterlaufen, bis sich, sagen wir, das Maximum an Nachteilen ergeben hat, das sie zum Eingreifen veranlaßt. Ich glaube, es ist höchste Zeit, und zwar deshalb, weil wir aus dem Vorgehen, aus den Anträgen, aus der Diskussion der Abgeordneten der anderen Länder merken, wie energisch und mit wieviel Nachdruck die Regierungen dieser Länder darum besorgt sind, daß möglichst alles Nachteilige hier bei uns bleibt — die wir so schön vorgeleistet haben — und den anderen Ländern kein Schaden entsteht.
Die Bundesregierung, das ist die Auffassung der Opposition, muß also weit mehr tun, und sie sollte gerade auch im Ministerrat im Interesse einer Konjunkturpolitik aktiv werden. Wir haben erreicht — Herr Pohle hat den Antrag, den ich im Ausschuß vorgeschlagen habe und der dann einstimmig angenommen worden ist, sogar noch erweitert —, daß von der Hohen Behörde den Parlamentsausschüssen die Unterlagen über Konjunkturbeurteilung und einiges andere mehr vorgelegt werden müssen. Das muß auch im Ministerrat vorangetrieben werden, sonst kommen wir in Schwierigkeiten.
Herr Bundeskanzler, da dieses supranationale Parlament gottlob ein, wenn auch nur mit geringen Rechten ausgestattetes, so doch einwandfrei demokratisches Parlament ist, hätte ich noch eine Bitte, die ich allerdings vorläufig nur für die Opposition aussprechen kann, die ich aber eigentlich für die 18 deutschen Delegierten im Montan-Parlament gern aussprechen möchte: daß Sie im Ministerrat nicht mehr so viel Mühe darauf verwenden, zu erreichen, daß der Ministerrat in jedem Ausschuß vertreten ist — er hat seine eigenen Funktionen —, sondern daß sich in Zukunft die Tätigkeit und die Aktivität der deutschen Regierung vor allem auf das konzentriert, was wirklich notwendig ist.
Da ich gehört habe, daß sich der Herr Bundeswirtschaftsminister noch zu Wort melden und noch sprechen wird, möchte ich daran erinnern — damit er die Möglichkeit hat, darauf zu antworten —, daß M. Monnet erklärt hat, die Anleihe, die er nach Hause bringe, und wenn es auch nur die 100 Millionen seien, sei zur Durchführung dessen gedacht, was er gewissermaßen den „Monnet-Plan für Westeuropa" nennt. Der Herr Bundeswirtschaftsminister wird wahrscheinlich wissen oder es durch die Referenten mitgeteilt bekommen haben, wie die Hohe Behörde den Investitionsbedarf einschätzt. Wir haben an schwebenden Investitionen allein im Kohlenbergbau 13/4 Milliarden Dollar in der Montan-Union, an die 6 Milliarden Dollar an Gesamtprojekten überhaupt.
Ich darf noch auf eines hinweisen, was vielleicht die deutschen Vertreter im Ministerrat einmal zum Nachdenken bringt: während in anderen Ländern die Entwicklung gut gegangen ist, vor allem in England, hat die Montan-Union 11,5 Millionen t Steinkohle auf Lager, daneben ungefähr 4,5 bis 5 Millionen t Koks. Da wir das Hauptlieferland sind — wir stellen ungefähr 65% der Kohle, Herr Kunze —
— ich dachte, Sie wollten etwas erwidern, weil Sie
den Kopf schütteln —, ist natürlich jeder Rückschlag, der einsetzt, in der Bundesrepublik doppelt
und dreifach fühlbar. Deshalb sind unsere Anfragen
von der Sorge geleitet gewesen, ob die Bundes-
regierung die Dinge richtig sieht, ob sie bereit ist, in dem Umfang und nach den Möglichkeiten, die der Montanvertrag und der Ministerrat geben, aktiv zu werden und dadurch größere Nachteile für die Bundesrepublik zu verhüten.
Als letztes folgendes.
— Herr Kollege, Sie bedauern das wohl? Ich kann Ihnen noch eine Stunde Unterricht geben, damit Sie etwas lernen, und mehr lernen.
Es kann Ihnen bestimmt nichts schaden, das kann ich Ihnen obendrein sagen.
Wir haben auf Drucksache 459 im Hinblick auf die Möglichkeiten der Revision des Vertrages nach Ablauf der fünfjährigen Anlauffrist beantragt, einen Ausschuß einzusetzen, in dem wir diese Probleme gründlich beraten können. Herr Pohle hat gesagt, da sei manches Gute, vielleicht auch manches zu Überlegende drin. Ich möchte Sie auf einiges aufmerksam machen. Da der Kollege Gerstenmaier nicht da ist, kann ich ihm nicht sagen, daß die Montan-Union und was damit zusammenhängt, ein ziemlich schwieriges Aufgabengebiet ist. Um da einigermaßen bewandert zu sein, muß man eine ganze Menge können. Und wenn Herr Gerstenmaier über die Kenntnisse von Herrn Dr. Deist so überaus erstaunt ist, so ist das nicht weiter verwunderlich, weil ja der Kollege Gerstenmaier in der Montan-Union auch nur „Politik" macht, obwohl ich ihm zutraue, daß er den Unterschied zwischen einem Brikett und einem Stück Koks durchaus kennt
und sich befleißigt, auch sonst in der Politik zu unterscheiden. — Werden Sie jetzt nur nicht zu ernst, Herr Kollege. — Wir sind der Meinung, der Bundestag sollte unserem Antrag, diesen Ausschuß einzusetzen, sofort zustimmen. Ich möchte dem Kollegen Pohle und allen unseren Kollegen aus dem Montanparlament sagen: wem tut es denn weh? Es kann doch nur jedem von uns nutzen, und wir kommen obendrein um eine Situation herum, die uns allen unbequem war, als wir nämlich ohne einen funktionierenden Ausschuß, bevor wir nach Straßburg fuhren, vom Auswärtigen Amt oder von irgendeinem Minister eingeladen wurden und Informationen bekamen, die uns zu geben die Regierung gute und gewichtige Gründe hatte. Wenn wir den Ausschuß haben und regelmäßig unterrichtet werden, können wir uns gemeinsam in aller Gründlichkeit und Bedächtigkeit überlegen, was wir an Änderungen vorschlagen können und müssen, nachdem der Vertrag keine ernsthaften Schädigungen eines beteiligten Landes herbeiführen soll, während das heute leider der Fall ist oder die Gefahr bestehen könnte. Außerdem belasten wir den Wirtschaftsausschuß nicht mit einer Arbeit, der er, glaube ich, nicht gewachsen ist, weil die Zusammensetzung des Ausschusses dem nicht entspricht und der Ausschuß zu groß ist. Da wirklich nichts geschieht, was irgendwie jemandem hinderlich sein könnte, möchte ich Sie also bitten, unserem Antrag zuzustimmen.
Zum Abschluß!
— Ja, ich möchte jetzt auf den Sprecher eingehen, der offenbar als nächster Redner kommt, auf den Herrn Bundeswirtschaftsminister Professor Erhard.
— Wenn Sie wenigstens geistreich und zugleich laut sprächen, könnte ich es verstehen. Seinerzeit, als der Vertrag ratifiziert wurde, ist von sehr viel Begeisterung die Rede gewesen. Wir haben davon gehört, daß die große Sinfonie von Stahl und Kohle mit dem neuen europäischen Geist und der neuen europäischen Einstellung jetzt über Europa ertönen wird. Wenn man nun einmal in aller Nüchternheit einen Versuch macht, zu diesen begeisterten Europäern zu sprechen, und wenn man heute nach anderthalb oder beinahe zwei Jahren sich fragt, wie sich denn der Gemeinsame Markt ausgewirkt hat und wie es mit den Startbedingungen, Absatzbedingungen und alledem aussieht, dann kommt man zu dem Ergebnis: jetzt sind wir allerdings auf diesem Gemeinsamen Markt im freien Lauf des Wettbewerbs. Die lothringische Industrie und damit die französische Industrie hat eine ausgezeichnete Aschenbahn, gut und solide mit deutschem Koks fundiert. Wenn ich mir aber ansehe, wie es bei uns aussieht, dann habe ich das Gefühl, daß wir bei diesem Wettlauf in den Gemeinsamen Markt auf einem sehr schlechten Knüppeldamm armselig hinterherhinken. Das zu beseitigen, ist eine der wichtigsten Aufgaben, die die Bundesregierung hat.
Ich danke Ihnen fürs Zuhören.