Protokoll:
18174

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 174

  • date_rangeDatum: 3. Juni 2016

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 14:05 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/174 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 174. Sitzung Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016 Inhalt: Zusatztagesordnungspunkt 4: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Integrationsgesetzes Drucksache 18/8615 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17185 A Dr . Thomas de Maizière, Bundesminister BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17185 B Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 17187 B Andrea Nahles, Bundesministerin BMAS . . . 17189 A Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17190 D Daniela Kolbe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17191 D Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17192 C Karl Schiewerling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 17193 C Kerstin Griese (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17195 C Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . . 17196 B Sebastian Hartmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 17197 D Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17198 A Tagesordnungspunkt 27: Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Omid Nouripour, Luise Amtsberg, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Eine Menschheit, gemeinsame Verantwortung – Für eine flexible, wirksa- me und zuverlässige humanitäre Hilfe Drucksache 18/8619 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17199 C Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17199 C Erika Steinbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 17201 B Inge Höger (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 17202 B Michael Roth, Staatsminister AA . . . . . . . . . . 17203 D Michael Brand (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 17205 A Frank Schwabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17206 D Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 17208 A Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD) . . . . . . . . . . . . 17209 B Tagesordnungspunkt 28: Vereinbarte Debatte: Weiterentwicklung der Exzellenzinitiative und Förderung des wis- senschaftlichen Nachwuchses Dr . Johanna Wanka, Bundesministerin BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17210 A Nicole Gohlke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 17212 A Tankred Schipanski (CDU/CSU) . . . . . . . . 17214 A Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) . . . . . . . . . 17214 D Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17216 D Albert Rupprecht (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 17218 C Dr. Simone Raatz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 17220 A Alexandra Dinges-Dierig (CDU/CSU) . . . . . . 17221 C Oliver Kaczmarek (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 17222 C Patricia Lips (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 17223 D Tagesordnungspunkt 29: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes  über  Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016II Maßnahmen zur Förderung des deutschen  Films (Filmförderungsgesetz – FFG) Drucksachen 18/8592, 18/8627 . . . . . . . . . . . 17225 A Monika Grütters, Staatsministerin BK . . . . . . 17225 A Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) . . . 17226 C Burkhard Blienert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 17227 D Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17229 D Johannes Selle (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 17231 A Tagesordnungspunkt 30: a) Antrag der Abgeordneten Roland Claus, Matthias W. Birkwald, Caren Lay, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Keine Altersarmut von Ost- Krankenschwestern – Gerechte Renten für Beschäftigte im DDR-Gesundheits- und Sozialwesen schaffen Drucksache 18/8612 . . . . . . . . . . . . . . . . . 17232 A b) Antrag der Abgeordneten Roland Claus, Matthias W. Birkwald, Caren Lay, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Keine Kumpel zweiter Klasse – Rentenansprüche der Bergleute aus der DDR-Braunkohleveredlung wahren Drucksache 18/7903 . . . . . . . . . . . . . . . . . 17232 B c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Roland Claus, Dr. Gregor Gysi, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ungerechtigkeiten bei Mütterrente  in Ostdeutschland und  beim Übergangszuschlag beheben Drucksachen 18/4972, 18/6706 . . . . . . . . . 17232 B Katja Kipping (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 17232 C Jana Schimke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 17233 C Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17235 B Daniela Kolbe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17236 B Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) . . . . . 17236 D Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . . 17238 B Katja Kipping (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 17239 D Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . . 17239 D Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) . . . . . . . 17240 B Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17241 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 17243 A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17243 D (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016 17185 174. Sitzung Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016 Beginn: 9.00 Uhr
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    Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016 17243 Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Aken, Jan van DIE LINKE 03.06.2016 Amtsberg, Luise BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 03.06.2016 Beck (Bremen), Marieluise BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 03.06.2016 Brandl, Dr. Reinhard CDU/CSU 03.06.2016 Daldrup, Bernhard SPD 03.06.2016 Fabritius, Dr . Bernd CDU/CSU 03.06.2016 Gysi, Dr . Gregor DIE LINKE 03.06.2016 Hänsel, Heike DIE LINKE 03.06.2016 Heil (Peine), Hubertus SPD 03.06.2016 Hendricks, Dr . Barbara SPD 03.06.2016 Kindler, Sven-Christian BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 03.06.2016 Lämmel, Andreas G. CDU/CSU 03.06.2016 Leidig, Sabine DIE LINKE 03.06.2016 Leikert, Dr. Katja CDU/CSU 03.06.2016 Lerchenfeld, Philipp Graf CDU/CSU 03.06.2016 Leyen, Dr. Ursula von der CDU/CSU 03.06.2016 Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 03.06.2016 Marwitz, Hans-Georg von der CDU/CSU 03.06.2016 Metzler, Jan CDU/CSU 03.06.2016 Michelbach, Dr. h. c. Hans CDU/CSU 03.06.2016 Müller (Chemnitz), Detlef SPD 03.06.2016 Müller, Bettina SPD 03.06.2016 Nouripour, Omid BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 03.06.2016 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Oßner, Florian CDU/CSU 03.06.2016 Petry, Christian SPD 03.06.2016 Petzold, Ulrich CDU/CSU 03.06.2016 Pflugradt, Jeannine SPD 03.06.2016 Raabe, Dr . Sascha SPD 03.06.2016 Roth (Augsburg), Claudia BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 03.06.2016 Schmidt (Fürth), Christian CDU/CSU 03.06.2016 Scho-Antwerpes, Elfi SPD 03.06.2016 Schröder (Wiesbaden), Dr. Kristina CDU/CSU 03.06.2016 Stegemann, Albert CDU/CSU 03.06.2016 Steinmeier, Dr . Frank- Walter SPD 03.06.2016 Strothmann, Lena CDU/CSU 03.06.2016 Veit, Rüdiger SPD 03.06.2016 Wagenknecht, Dr . Sahra DIE LINKE 03.06.2016 Wawzyniak, Halina DIE LINKE 03.06.2016 Wellmann, Karl-Georg CDU/CSU 03.06.2016 Wicklein, Andrea SPD 03.06.2016 Wöhrl, Dagmar G. CDU/CSU 03.06.2016 Zech, Tobias CDU/CSU 03.06.2016 Anlage 2 Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung Der Bundesrat hat in seiner 945 . Sitzung am 13 . Mai 2016 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu- stimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: – Erstes Gesetz zur Novellierung von Finanzmarkt- vorschriften auf Grund europäischer Rechtsakte (Erstes Finanzmarktnovellierungsgesetz – 1. Fi- MaNoG) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 201617244 (A) (C) (B) (D) – Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Ge- sundheitswesen Der Bundesrat hat hierzu ferner folgende Entschlie- ßung gefasst: a) Der Bundesrat begrüßt, dass der Deutsche Bundestag mit dem Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen eine rechtliche Grundlage zur Be- kämpfung von korruptivem Handeln durch Angehöri- ge der Heilberufe schafft und damit eine nicht hinzu- nehmende Gesetzeslücke schließt. b) Der Bundesrat hält es jedoch für nicht sachgerecht, dass der Gesetzesbeschluss – anders als noch in der dem Bundesrat seinerzeit zur Stellungnahme zugelei- teten Fassung (BR-Drucksache 360/15) – allein wett- bewerbsbezogene Handlungen erfasst, die patienten- schutzbezogene Handlungsmodalität des „Verstoßes gegen berufsrechtliche Pflichten“ hingegen ausspart und damit wesentliche Inhalte und Schutzzwecke des Gesetzes wegfallen. c) Eine wirksame Bekämpfung von Korruption im Gesund- heitswesen muss gleichermaßen zwei Ziele verfolgen: Zum einen muss sie einen funktionierenden Leis- tungswettbewerb auf Seiten der Anbieter sichern, da nur dieser eine qualitative Weiterentwicklung von Arz- nei-, Heil- oder Hilfsmitteln sowie Medizinprodukten bei gleichzeitig vertretbarer Kostenentwicklung im Gesundheitssektor gewährleisten kann (Wettbewerbs- schutz). Zum anderen muss sie aber auch das Vertrauen der Patienten in eine von unlauteren Geldzahlungen un- beeinflusste Gesundheitsversorgung und damit die Ak- zeptanz des – von ihnen solidarisch finanzierten – Ge- sundheitssystems aufrechterhalten (Patientenschutz). Dadurch, dass der Gesetzesbeschluss ausschließlich auf den Wettbewerbsschutz abstellt und den Patien- tenschutz weitgehend ausblendet, könnten eine Rei- he von Fallkonstellationen straffrei bleiben, in denen medizinische Entscheidungen primär an wirtschaft- lichen Interessen, nicht aber am Wohl des individu- ellen Patienten orientiert getroffen werden. Derge- stalt entstehende Schutzlücken wären geeignet, das Vertrauen der Patienten in das von ihnen getragene Gesundheitssystem erheblich zu beeinträchtigen. Entsprechende Schutzlücken könnten zukünftig ins- besondere in Fällen auftreten, in denen eine wettbe- werbsbezogene Bevorzugung bestimmter Anbieter ge- rade nicht gegeben ist, also etwa – bei der Verordnung patentgeschützter (und damit in Monopolstellung) angebotener Arznei-, Heil- oder Hilfsmittel oder Me- dizinprodukte, – bei der allgemeinen – und gegebe- nenfalls medizinisch gar nicht indizierten – Steigerung von Bezugs-, Verordnungs- oder Zuweisungsmen- gen sowie – bei Arzneimittelverordnungen, die sich allein auf den Wirkstoff beziehen, vgl. hierzu schon BR-Drucksache 451/13 (Beschluss), S. 17. d) Der Bundesrat weist zudem darauf hin, dass die jetzt vorgenommene Beschränkung des Gesetzes auf den Bezug und die Verordnung von Arznei- und Heilmit- teln sowie Medizinprodukten dazu führt, dass ganze Berufsgruppen, vor allem die der Apothekerinnen und Apotheker, aus dem Anwendungsbereich des Gesetzes herausfallen. Vor dem Hintergrund der Bedeutung, die diese Berufsgruppen innerhalb des Gesundheitswe- sens haben, können auch insoweit nicht zu rechtferti- gende Strafbarkeitslücken entstehen. e) Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung zu be- obachten, ob zukünftig in der Praxis die vorbeschrie- benen Strafverfolgungslücken in einem Umfang auf- treten, der geeignet ist, das Vertrauen der Patienten in das Gesundheitssystem zu beeinträchtigen. Sollte dies der Fall sein, müssten die notwendigen gesetzlichen Änderungen im Sinne dieser Entschließung vorge- nommen werden . – Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2014/26/EU über  die  kollektive  Wahrnehmung  von  Urheber-  und  verwandten  Schutzrechten  und  die  Vergabe  von  Mehrgebietslizenzen  für  Rechte  an  Musik- werken für die Online-Nutzung im Binnenmarkt sowie zur Änderung des Verfahrens betreffend die  Geräte- und Speichermedienvergütung (VG-Richt- linie-Umsetzungsgesetz) – Fünfzehntes Gesetz zur Änderung des Luftver- kehrsgesetzes Zudem hat der Bundesrat in seiner 945 . Sitzung am 13. Mai 2016 gemäß § 3 Absatz 1 Satz 2 Nummer 3, Satz 4 und 6 des Standortauswahlgesetzes Ministerin Prof. Dr. Claudia Dalbert (Sachsen-Anhalt) als Nachfol- gerin des ausscheidenden Ministers a . D . Dr . Hermann Onko Aeikens (Sachsen-Anhalt) zum Mitglied der „Kommission  Lagerung  hoch  radioaktiver  Abfall- stoffe“ gewählt. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit hat mitgeteilt, dass er gemäß § 80 Ab- satz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichter- stattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Unterrichtung durch die Bundesregierung Klimaschutzbericht 2015 Drucksache 18/6840 Unterrichtung durch die Bundesregierung Fortschrittsbericht zur Deutschen Anpassungsstra- tegie an den Klimawandel Drucksachen 18/7111, 18/7276 Nr. 7 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Uni- onsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat . Auswärtiger Ausschuss Drucksache 18/8470 Nr. A.1 Ratsdokument 7984/16 Drucksache 18/8470 Nr. A.2 Ratsdokument 7998/16 Finanzausschuss Drucksache 18/8293 Nr. A.4 Ratsdokument 6918/16 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juni 2016 17245 (A) (C) (B) (D) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Drucksache 18/7127 Nr. A.4 Ratsdokument 14015/15 Drucksache 18/7612 Nr. A.26 Ratsdokument 5187/16 Drucksache 18/7934 Nr. A.16 Ratsdokument 6225/16 Drucksache 18/7934 Nr. A.17 Ratsdokument 6226/16 Drucksache 18/8293 Nr. A.6 Ratsdokument 7115/16 Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 18/8293 Nr. A.12 Ratsdokument 7489/16 Drucksache 18/8470 Nr. A.20 EP P8_TA-PROV(2016)0119 Drucksache 18/8470 Nr. A.22 Ratsdokument 7781/16 Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Drucksache 18/7733 Nr. A.19 Ratsdokument 5814/16 Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de 174. Sitzung Inhaltsverzeichnis ZP 4 Integrationsgesetz TOP 27 Qualität der humanitären Hilfe TOP 28 Vereinbarte Debatte zur Exzellenzinitiative TOP 29 Filmförderungsgesetz TOP 30 DDR-Renten-Überleitungsrecht Anlagen Anlage 1 Anlage 2
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817400000

Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie alle zu unserer Plenarsitzung.

Wir beginnen heute Morgen mit dem Zusatzpunkt 4:

Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines In-
tegrationsgesetzes

Drucksache 18/8615
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Dagegen gibt
es offenkundig keine Einwände. Also können wir so ver-
fahren .

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-
nächst für die Bundesregierung dem Innenminister Tho-
mas de Maizière .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Un-
ser Land steht beim Thema Integration vor einer gewal-
tigen Aufgabe. Die Bewältigung dieser Aufgabe ist nicht
getan mit schönen Worten, sondern beginnt mit Einsich-
ten über gelungene und misslungene Integration und mit
Entscheidungen über den Weg, den wir als Gesellschaft
gehen wollen.

In Deutschland leben über 16 Millionen Menschen,
die selbst oder ihre Eltern oder ihre Großeltern Wurzeln
im Ausland haben. Zur Wahrheit gehört, wenn es um ge-
lingende Integration geht, zwei Realitäten zu beschrei-
ben .

Erstens. Unter ihnen sind viele Menschen, die ihre
Chancen genutzt haben. Sie haben eine Ausbildung ge-
macht oder ein Handwerk gelernt. Sie studieren oder
haben studiert . Sie haben Betriebe gegründet . Sie geben
Menschen Arbeit und bringen unser Land voran. Viele
Eltern, die als junge Menschen ihre Heimat verließen,
erziehen ihre Kinder gut und ermöglichen ihnen eine
Ausbildung, oft eine bessere, als sie selbst genossen ha-
ben. Alle diese Menschen sind Teil unseres Landes. Die-
se Menschen bereichern unser Land, und das sollten wir
auch immer klar aussprechen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Zweitens. Es gibt aber auch eine andere Realität:
An einigen Stellen in Deutschland leben Menschen mit
ausländischen Wurzeln, die sich kaum oder gar nicht in
unser Land einbringen. Sie leben ein Leben unter sich,
fast ohne Kontakte zu Deutschen und ohne Einbindun-
gen in unsere Gesellschaft. Sie sprechen kaum Deutsch
oder wollen es nicht und haben auch keinen ordentlichen
Arbeitsplatz. Manche junge Männer unter ihnen begehen
auffällig häufig Straftaten. Viele grenzen sich ab, manche
über die Religion, andere über abwegige Vorstellungen
von Ehre oder über beides. Die Lehrer in den Schulen
der entsprechenden Gegenden schaffen es oft nicht, die
fehlenden Deutschkenntnisse der Kinder aufzufangen,
von Wertevermittlung und Bildungsperspektive ganz zu
schweigen .

Solche Einsichten über beide Realitäten in unserem
Land tun weh, auch weil Teile dieser Entwicklung mit
Fehlern unserer eigenen Vergangenheit zu tun haben:
verträumte Blicke auf schwierige Integrationsaufgaben,
Ghettobildungen in Städten und Gemeinden, zu viele
lose Wünsche und zu wenige klare Erwartungen. Tun
wir gemeinsam alles dafür, dass sich solche Fehler nicht
wiederholen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Heute geht es nicht um die Zuwanderer der vergange-
nen Jahrzehnte . Es geht übrigens auch nicht um Einwan-






(A) (C)



(B) (D)


derer . Insofern geht die Debatte um ein Einwanderungs-
gesetz – jedenfalls heute – am Thema vorbei.


(Thomas Oppermann [SPD]: Wir kommen darauf zurück! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Ja, in der nächsten Legislaturperiode!)


Denn heute geht es um die Integration von Menschen, die
als Flüchtlinge zu uns gekommen sind, die hier Schutz
suchen und bleiben dürfen. Welchen Weg wollen wir als
Gesellschaft gehen? Was erwarten wir von diesen Men-
schen?

Unsere Bevölkerung hat den Willen, diejenigen, die
Schutz brauchen und eine Bleibeperspektive haben, hier
zu integrieren. Diesen Willen wollen wir bewahren. Da-
für brauchen wir Integrationsmaßnahmen. Dafür brau-
chen wir aber auch ihr Vertrauen, dass der Rechtsstaat
das bestehende Recht auch durchsetzt .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das bedeutet Aufnahme und Integration der Menschen
mit Bleibeperspektive einerseits, konsequente Ausreise,
notfalls Abschiebung der Menschen ohne Bleiberecht
andererseits .

Ich lege heute zusammen mit meiner Kollegin Andrea
Nahles das erste Integrationsgesetz für Deutschland vor.
Das ist eine entscheidende Zäsur für unser Land. Frau
Nahles und ich haben eine gemeinsame Federführung.
Das ist kein Kompromiss, sondern sachgerecht. Aufent-
haltsrecht, Unterbringung, Sprache, Werte und Arbeit,
das sind die Maßstäbe für gelingende Integration, und
das geht nur gemeinsam .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Mit diesem Gesetzentwurf machen wir den Menschen
mit Bleibeperspektive ein Angebot: Wir ermöglichen ih-
nen Ausbildung, Spracherwerb und Einbindung in das
wirtschaftliche, kulturelle und rechtliche Gefüge unseres
Landes. Dafür erwarten wir Einsatzbereitschaft, Interes-
se am Leben in Deutschland und Respekt für die gewach-
senen Grundlagen unseres Miteinanders. Wer dazu bereit
ist, hat hier alle Chancen. Wer dazu nicht bereit ist, dem
wird es in Deutschland nicht gut gehen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir wollen, dass die, die hierbleiben, Neubürger un-
seres Landes werden, also Menschen, die sich für unser
Recht, unsere Sprache und unsere Kultur öffnen – auch
wenn sie nicht oder noch nicht deutsche Staatsbürger
werden sollen. Mit dem Integrationsgesetz machen wir
die Erbringung von Integrationsleistungen für alle Men-
schen mit Bleibeperspektive sozusagen zu einer Neu-
bürgerpflicht. Wir verpflichten mehr als bisher zur Teil-
nahme an Integrationskursen, bieten gleichzeitig mehr
Plätze an. Wir erhöhen die Stundenzahl. Wir vertiefen
die Wertevermittlung. Wir erhöhen die Vergütung für
Integrationslehrkräfte, und wir sagen auch: Integration
braucht Regeln, braucht Vorgaben. Das geht nicht von
selbst. Den Rechten stehen Pflichten gegenüber. Das ist
nicht hart, sondern das ist fair und ganz normal in unse-

rer Gesellschaft. Das machen wir unbestritten auch sonst
überall.

Wir wollen nicht, dass sich anerkannte Flüchtlinge
ausschließlich dort niederlassen, wo ihre Sprache, ihre
Herkunft oder ihre Religion vorherrscht. Das schadet
eher der Integration, als dass es ihr nützt.


(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Warum denn?)


Jeder muss seine Chance zum Aufstieg und zur Integra-
tion dort suchen, wo sie sich bietet, nicht dort, wo er die
meisten Leute kennt. Mit dem Gesetz können – können,
nicht müssen – die Länder anerkannten Flüchtlingen ei-
nen Wohnort zuweisen oder ihnen den Zuzug in einen
bestimmten Ort verwehren, solange sie keine feste Arbeit
haben. Wenn sie eine feste Arbeit haben, dann können sie
selbstverständlich dorthin gehen, wo ihr Arbeitsplatz ist.
Aber wir wollen keine Ghettos für Menschen, die von
Sozialleistungen abhängig sind, weil diese Integration
nicht oder jedenfalls nicht so leicht möglich machen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir ändern außerdem die Voraussetzungen für ein un-
befristetes Aufenthaltsrecht in Deutschland. Wer als an-
erkannter Flüchtling ein solches Recht haben will, muss
Sprachkenntnisse vorweisen und seinen Lebensunterhalt
überwiegend sichern können, wie übrigens alle anderen
Ausländer auch, die hier dauerhaft leben wollen.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, all das hat auch zu Kritik geführt. Warum
auch nicht? Einige behaupten, das Gesetz sei vom Geist
des Misstrauens geprägt, Integration gelinge nicht un-
ter Druck. Richtig ist aber etwas anderes: Hinter diesen
Maßnahmen steht ein Prinzip, das in unzähligen Berei-
chen unseres Alltages selbstverständlich ist. Wir haben
in Deutschland zum Beispiel die allgemeine Schulpflicht,
auch mit Sanktionen bei Verstößen. Niemand würde auf
die Idee kommen, dieses System an Schulen führe zu ei-
nem Geist des Misstrauens und nehme den Schülern die
Freude am Lernen. Wir haben die Pflicht zur elterlichen
Sorge in Deutschland. Niemand würde auf die Idee kom-
men, das führe zu der Unterstellung, es gäbe überwie-
gend schlechte Väter oder schlechte Mütter in Deutsch-
land. „Fördern und Fordern“ ist das richtige Prinzip in
nahezu allen Bereichen unserer Gesellschaft. Auch für
die Integration ist es deswegen ein richtiges Prinzip .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum
Schluss noch ein Wort zur Atmosphäre in unserer Gesell-
schaft sagen, die die Integration begleitet oder begleiten
sollte. Wir brauchen ein Klima der gegenseitigen Auf-
geschlossenheit und anständiger Beziehungen zwischen
den Menschen, die hier leben. Wenn wir uns unserer
Stärken bewusst sind, wenn wir an die Kraft der Freiheit
glauben, dann brauchen wir keine Angst vor Überfrem-
dung unserer Gesellschaft zu haben.

Bundesminister Dr. Thomas de Maizière






(A) (C)



(B) (D)


Wir müssen uns zusammen gegen jene stellen, die
offene oder verdeckte Fremdenfeindlichkeit als soziale
Politik etablieren wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Populisten haben unser Land noch nie auch nur einen
Zentimeter weitergebracht. Sie sind das Gegenteil von
der Kultur, auf der unsere politische und menschliche
Orientierung beruhen sollte. Die Integration der Men-
schen, die bleiben dürfen, liegt in unserem eigenen, ich
sage: in unserem nationalen Interesse.

Am Rande zu stehen und Noten zu vergeben reicht
nicht aus. Bei dieser gewaltigen Aufgabe müssen alle
mitmachen . Das tun wir nicht nur für die Menschen mit
Bleibeperspektive; das tun wir auch für uns, das tun wir
für Deutschland.


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817400100

Bevor ich die nächste Rednerin aufrufe, möchte ich

auf der Besuchertribüne über 300 Stipendiatinnen und
Stipendiaten aus unserem Parlamentarischen Paten-
schafts-Programm begrüßen, die in diesen Tagen ihren
Berlin-Besuch absolvieren. Herzlich willkommen im
Wohn- und Arbeitszimmer des deutschen Parlamentaris-
mus .


(Beifall)


Ich nutze die Gelegenheit gerne, um mich bei all den
Kolleginnen und Kollegen zu bedanken, die zum Teil seit
vielen Jahren als Patinnen und Paten die jungen Stipen-
diatinnen und Stipendiaten betreuen . Dies ist eines der
ehrgeizigsten, sicher aber auch eines der wirkungsvolls-
ten Programme, die der Deutsche Bundestag jemals auf-
gelegt hat.


(Beifall)


Nun hat die Kollegin Dağdelen für die Fraktion Die
Linke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Sevim Dağdelen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817400200

Verehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und

Kollegen! Herr Minister de Maizière! Frau Ministerin
Nahles! „Integration“ steht zwar auf Ihrem Gesetzent-
wurf, aber in Ihrem Gesetzentwurf ist genau das Ge-
genteil enthalten. Deshalb haben zu Recht beide großen
Kirchen, das Deutsche Institut für Menschenrechte, viele
verschiedene Flüchtlingsverbände, Organisationen und
Initiativen Ihren Gesetzentwurf in der Luft zerrissen,
weil es der Entwurf eines Integrationsverhinderungsge-
setzes ist .


(Beifall bei der LINKEN)


Integration soll ausgeschlossene soziale Gruppen in
die Gesellschaft hereinholen, doch hier geschieht genau
das Gegenteil: Ausgeschlossene Gruppen sollen gegenei-
nander ausgespielt werden. Denn zahlreiche Maßnahmen

in diesem Gesetzentwurf sehen beispielsweise vor, hier
einen neuen Billiglohnsektor zu schaffen.


(Daniela Kolbe [SPD]: Lächerlich!)


Unter dem Deckmantel der Menschenfreundlichkeit will
SPD-Arbeitsministerin Nahles hier ein neues Werkzeug
zum Lohndumping etablieren.


(Thomas Oppermann [SPD]: Wo leben Sie eigentlich?)


Allein für 100 000 Flüchtlinge soll Arbeit zu Stundenlöh-
nen von 80 Cent geschaffen werden. Denn gegenüber
den ohnehin schon miesen 1-Euro-Jobs wird der Lohn
bei den Flüchtlingen noch um 20 Prozent gekürzt. Die
Begründung ist, Flüchtlingen entstünden ja keine Mehr-
aufwendungen für Arbeitskleidung oder Fahrtkosten,
wenn sie in Sammelunterkünften tätig würden. Ich finde,
das ist unerträglich, Frau Ministerin.


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE])


So geht die Lohnspirale nämlich nach unten, und Flücht-
linge werden in Konkurrenz zu Einheimischen gesetzt.


(Thomas Oppermann [SPD]: Maßlos übertrieben!)


Hier wird nicht integriert, sondern gespalten, meine
Damen und Herren . Hier werden keine Menschen in-
tegriert, sondern es wird direkt darauf gezielt, Armuts-
löhner im Niedriglohnbereich auch noch gegeneinander
auszuspielen.


(Kerstin Griese [SPD]: Völliger Quatsch!)


Das, meine Damen und Herren von der Union und von
der SPD, kann doch nicht wirklich Ihr Ernst sein. Das,
was Sie da bauen, ist ein regelrechter Rassismusmotor.


(Widerspruch bei der CDU/CSU und der SPD)


– Wir brauchen in diesem Land eine soziale Offensive für
alle und keine Spaltung gerade im Niedriglohnbereich,
die diejenigen betrifft, welche sowieso zu wenig verdie-
nen, meine Damen und Herren .


(Thomas Oppermann [SPD]: Sie haben doch eine Meise! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Damit beleidigen Sie den Vogel! Bei der lässt sich noch nicht einmal eine Meise nieder!)


Sie fördern nicht die Solidarität der Beschäftigten, son-
dern Sie etablieren eine Schmutzkonkurrenz auf dem Ar-
beitsmarkt . Das hat nichts mehr mit Integration zu tun .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: So etwas ist unerträglich! Unerträglich!)


Genau das hat auch der Deutsche Gewerkschaftsbund in
seiner Stellungnahme zu diesem Gesetzentwurf gesagt,
meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie.
Er hat den Gesetzentwurf in der Luft zerrissen – insbe-
sondere die Regelungen zur Einführung von Arbeitsge-
legenheiten, die vor allem von privatwirtschaftlich täti-
gen Trägern von Erstaufnahmeeinrichtungen und auch
Gemeinschaftsunterkünften genutzt werden können. Die
Möglichkeiten des Einsetzens von Asylbewerbern in der

Bundesminister Dr. Thomas de Maizière






(A) (C)



(B) (D)


Leiharbeit wurden vom DGB massiv kritisiert. Ich finde,
diese Kritik des DGB ist mehr als berechtigt, meine Da-
men und Herren .


(Beifall bei der LINKEN – Thomas Oppermann [SPD]: Lauer Beifall bei der Linkenfraktion!)


Das müsste Ihnen doch wirklich zu denken geben. Die
Linke fordert jedenfalls, dass dieses Lohndumpingpro-
jekt sofort eingestellt wird. Wir brauchen das Prinzip
„Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“, mei-
ne Damen und Herren .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir brauchen auch – das gilt eben auch für Flüchtlinge
und alle anderen, die sich im Niedriglohnbereich befin-
den – einen flächendeckenden Mindestlohn in Höhe von
12 Euro .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Nur? – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das wird wöchentlich mehr!)


Denn nur dann stellen wir sicher, dass es nicht wieder
einen Armutslohn gibt, der dann auch noch von der Ge-
sellschaft – ob im Arbeitsleben oder bei der Rente – sub-
ventioniert wird .

Eine weitere Maßnahme dieses Gesetzes setzt ebenso
auf Desintegration, meine Damen und Herren . Mit der
Forderung nach einer Wohnsitzauflage wird eine Integra-
tion nämlich regelrecht hintertrieben. Denn was bedeu-
tet eigentlich eine Wohnsitzauflage? Sie bedeutet, dass
Flüchtlinge in Regionen angesiedelt werden sollen, wel-
che von den Menschen dort mangels Perspektive bzw.
Arbeitsmöglichkeiten reihenweise verlassen werden. So
etwas kann doch wirklich nicht funktionieren. Durch sol-
che absurden Forderungen verhindern Sie doch die För-
derung dieser Menschen .


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Haben Sie mal mit den Kommunen gesprochen?)


Dies bedeutet auch, dass Menschen private Netzwerke
dort nicht benutzen können, wo sie Familie, Verwandte
und Freunde haben, was für die Arbeitsuche und die För-
derung von Arbeitsmöglichkeiten wichtig ist. Das behin-
dern Sie eben mit dieser Wohnsitzauflage. Sie handeln
hier ganz nach dem zaristischen Entwicklungsmodell für
Sibirien, meine Damen und Herren .


(Lachen bei der CDU/CSU und der SPD – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Das ist doch lächerlich!)


Das hat nichts mehr mit Entwicklung und Arbeitsmarkt-
förderung zu tun. Ich finde, Integration heißt doch nicht,
Menschen lediglich in leerstehende Wohnblöcke zu pfer-
chen. Was glauben Sie denn, was los ist? Sie und ich wür-
den ja auch nicht irgendwohin ziehen, wo es vielleicht
Wohnungen, aber keine Arbeitsmöglichkeiten bzw. Per-
spektiven für unsere Familien gibt. Deshalb sagen wir:
Wir sind – wie auch viele Verbände – gegen eine Wohn-
sitzauflage, die ganz nebenbei auch gegen ein Dutzend
Menschenrechtskonventionen verstößt.


(Beifall bei der LINKEN)


Ein weiterer Punkt wurde von Herrn Minister de
Maizière kurz angesprochen. Pro Asyl, Herr Minister de
Maizière, hat gesagt, dass Ihr Gesetzentwurf rechte Stim-
mung in Deutschland bedient, indem suggeriert wird,
dass sich Flüchtlinge nicht integrieren wollen. Genau das
ist seit Jahren auch die Beobachtung der Linksfraktion
hier. Seit längerem schon agitieren Sie in der Öffentlich-
keit bezüglich vermeintlicher Integrationsverweigerer.
Auf beständiges Nachfragen meiner Fraktion aber haben
Sie selbst gesagt, dass Ihnen keine Daten beispielsweise
darüber vorliegen, wer aus welchem Grund Integrations-
kurse verweigert und um wie viele Menschen es sich da-
bei handelt. Sie können nicht sagen, ob die Menschen
vielleicht eine Arbeit gefunden haben, krank geworden
oder umgezogen sind oder ob eine Frau ein Kind bekom-
men hat . Sie wissen es nicht, und trotzdem propagieren
Sie hier ständig, dass sich Flüchtlinge weigern würden,
die Kurse zu besuchen.

Dabei hat der ehemalige Chef des Bundesamtes für
Migration und Flüchtlinge, Herr Schmidt, gesagt, dass
Ihnen Daten vorliegen, die besagen, dass nur 1 Prozent
der Flüchtlinge die Kurse nicht besucht. Wegen 1 Prozent
machen Sie seit Jahren eine Stimmung gegen Flüchtlinge
und sagen, diese würden sich den Kursen und anderen
Angeboten verweigern. Dabei sieht die Realität doch
ganz anders aus .

Die Wahrheit ist: Seit zehn Jahren gibt es diese Inte-
grationskurse, und seit zehn Jahren werden es immer
weniger Kurse, dabei steigen der Bedarf und die Nach-
frage aufgrund der Flüchtlinge. Ich finde es schändlich,
dass Sie immer noch Stimmung gegen vermeintliche In-
tegrationsverweigerer machen. Schaffen Sie endlich die
Kurse! Schaffen Sie so viele, wie verlangt werden! Dann
sprechen wir über die Kurse.


(Beifall bei der LINKEN)


Lassen Sie mich zum Schluss noch kurz einen weite-
ren Punkt ansprechen. Laut Deutschem Institut für Men-
schenrechte ist der vorliegende Gesetzentwurf weder mit
dem Recht auf Asyl gemäß Artikel 16a des Grundgeset-
zes noch mit flüchtlings- und menschenrechtlichen Vor-
gängen in Einklang zu bringen; denn Sie wollen versteckt
§ 29 des Asylgesetzes ändern. Demnach sind Asylantrag-
steller künftig abzuschieben, und zwar ohne inhaltliche
Prüfung vor Ort, wenn ein Drittstaat sich bereit erklärt,
diese Flüchtlinge aufzunehmen. Das ist der größte An-
griff auf das Grundrecht auf Asyl seit 1992. Das Grund-
gesetz garantiert die ergebnisoffene Einzelfallprüfung.
Mit Ihrem Gesetz können noch mehr Flüchtlinge ohne
inhaltliche Prüfung in andere Staaten abgeschoben wer-
den, in denen ihr Schutz vor Abschiebung in den Verfol-
gerstaat und ihr Zugang zu einem fairen Asylverfahren
eben nicht mehr garantiert sind .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817400300

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.


Sevim Dağdelen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817400400

Das ist wirklich schäbig. Das ist ein Angriff auf unser

Grundgesetz. Deshalb werden wir sowie die Verbände,

Sevim Dağdelen






(A) (C)



(B) (D)


die das massiv kritisiert haben, gegen diesen Gesetzent-
wurf Widerstand leisten.


(Zuruf der Abg. Katja Mast [SPD])


Hören Sie mit dem Unfug auf.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Genau! Hören Sie mit dem Unfug auf!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817400500

Frau Kollegin!


Sevim Dağdelen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817400600

Machen Sie das Grundgesetz nicht noch einmal zum

Steinbruch .

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817400700

Das Wort erhält nun die Bundesministerin für Arbeit

und Soziales, Andrea Nahles.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und So-
ziales:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
„Bitte Arbeit!“ – ich habe in den letzten Monaten auch
persönlich erleben dürfen, mit wie viel Energie, mit wie
viel Willen die Menschen, die zu uns gekommen sind,
versuchen, sich eine neue Zukunft aufzubauen, und das
nach einschneidenden Erlebnissen, nach Erfahrung von
Gewalt, Krieg, langer Flucht und Verlust.

„Bitte Arbeit!“ – das sind oft die ersten deutschen
Worte, die viele lernen und auch lernen wollen, weil sie
gar nicht abhängig sein wollen, weil sie es hassen, nicht
arbeiten zu können, weil ihnen vielleicht noch Vorausset-
zungen wie Sprache oder zum Beispiel der Status fehlen,
die sie brauchen, um arbeiten zu können. Vielleicht sind
die ersten Worte auch deswegen „Bitte Arbeit!“, weil sie
wissen, weil auch wir wissen: Der beste Weg zu Integra-
tion ist der Weg in Arbeit .

Der heute hier vorliegende Entwurf eines Integrati-
onsgesetzes ist so wichtig, weil wir damit die klare Bot-
schaft aussenden: Wir wollen es gemeinsam mit diesen
Menschen schaffen, dass sie den Weg in den deutschen
Arbeitsmarkt erfolgreich gehen können, liebe Kollegin-
nen und Kollegen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Kollege de Maizière hat es sehr deutlich gesagt: Das
ist keine Kleinigkeit, das geht auch nicht mal eben so
nebenher. Das wird eine große Anstrengung werden: für
die, die zu uns kommen, genauso wie für uns, weil wir
die Bringschuld haben, Angebote zu machen.

Umgekehrt stehe ich voll hinter dem Gesetz, wenn es
um die Mitwirkungspflichten geht, die es geben muss.
Angebote machen, Chancen geben, das heißt auf der an-
deren Seite auch: Mitwirken. Ehrlich gesagt: Das halte

ich für einen fairen Deal. Ich kann nicht nachvollziehen,
dass sich an dieser Stelle so viel Kritik entzündet hat.
Wie sollten wir es denn anders machen als genau auf die-
se Weise?


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Die Menschen, die zu uns gekommen sind, haben
Hoffnungen, Fähigkeiten, Potenzial, Kreativität und Ehr-
geiz. Und dass sie zu uns kommen, das war weiß Gott
nicht so geplant, es war überhaupt nicht geplant. Aber
wir können doch jetzt feststellen: Es ist auch eine Rie-
senchance. Und es ist keine Alternative für Deutschland,
diese Menschen auszugrenzen, zu diffamieren, anzu-
greifen und zu verletzen. Es ist auch keine Alternative
für Deutschland, dass wir an dieser Stelle Vorurteile und
Ängste schüren . Die einzige Sache, die wir machen müs-
sen, ist Integration, Integration, Integration .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Die Situation ist sehr gut; denn 70 Prozent derjenigen,
die zu uns gekommen sind, sind unter 30 Jahren. Das
heißt für mich, dass sie von Leistungsempfängern, die sie
vielleicht eine Weile sein werden, ohne Weiteres mit der
Hilfe, die wir ihnen hiermit geben, zu Leistungsträgern
unserer Gesellschaft werden können, wenn die Integra-
tion gelingt. Das ist eine gute Nachricht für unser Land.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir beginnen mit diesem Integrationsgesetz nicht bei
null. Wir haben eine ganze Reihe gesetzlicher Verände-
rungen schnell auf den Weg gebracht, um auf die neue
Situation zu reagieren. Als Beispiel nenne ich, dass wir
dafür gesorgt haben, dass schon nach drei Monaten, also
sehr schnell, ein Zugang zum Arbeitsmarkt besteht. Der
Entwurf des Integrationsgesetzes, den Herr de Maizière
und ich heute hier vorlegen, geht aber einen Schritt wei-
ter . Er nimmt den ganzen Prozess der Integration in den
Blick, hat eine längere Perspektive – nicht Sprint, son-
dern Langstrecke –, und die werden wir auch brauchen.

Wir stecken Wegmarken für die Flüchtlinge. Das be-
ginnt in der Erstaufnahmeeinrichtung, wo wir für die
Menschen, die bisher keinen Zugang zum Arbeitsmarkt
haben – sie sind ausgeschlossen von jeder sinnvollen Be-
tätigung, solange sie nicht den entsprechenden Status ha-
ben und im SGB-II-Bezug sind –, Arbeitsgelegenheiten
schaffen . Ich darf Ihnen versichern, dass es bei diesen
Menschen hochwillkommen ist, dass sie sich endlich ein-
bringen können in diese Gesellschaft.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Vielerorts helfen die Flüchtlinge in den Unterkünf-
ten, in der Küche oder der Wäscherei. Aber wir wollen,
dass sie auch rauskommen, dass sie erste Kontakte mit
der Arbeitswelt machen können. In Tübingen beispiels-
weise helfen sie in der Stadtbücherei oder kümmern sich
bei der Feuerwehr um die Autos – das hilft im Übrigen
auch den Kommunen –, und nachmittags geht es dann
zum Deutschkurs. So kann man lernen und ankommen in

Sevim Dağdelen






(A) (C)



(B) (D)


dieser Gesellschaft. Deshalb ist das, was wir hier heute
auf den Weg bringen, eine wichtige und gute Maßnahme.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich stehe im Übrigen zur Wohnsitzauflage. Auch als
Arbeitsministerin stehe ich zur Wohnsitzauflage, um das
einmal ganz klar zu sagen; denn Ghettobildungen kann
nun wirklich niemand wollen. Aber es gibt Tendenzen
in diese Richtung . Man braucht eine Wohnung, aber
man braucht auch einen Arbeitsplatz, und das ist nicht
dasselbe. Deswegen brauchen wir diese Regulierungen.
Deswegen stehe ich in vollem Umfang dazu. Wir haben
einen guten Kompromiss gefunden, der beide Aspek-
te gleichrangig berücksichtigt. Warum nicht? Ich kann
Ihnen aus der Erfahrung der BA berichten: Im Sieger-
land bieten wir Kurse mit 70 Plätzen an, aber über Nacht
ziehen die Teilnehmer nach Gelsenkirchen, weil sie da
jemanden kennen. Dazu kann ich als Arbeitsministerin
nur sagen: Schlechte Entscheidung! Deswegen machen
wir die Wohnsitzauflage und passgenaue Angebote, um
den Menschen eine Perspektive zu geben . Wer eine so-
zialversicherungspflichtige Beschäftigung hat, der kann
selbstverständlich umziehen. Wer woanders einen Aus-
bildungsplatz hat, kann umziehen. Wir kasernieren die
Leute doch nicht, sondern wir wollen ihnen helfen, Ar-
beit zu finden und nicht nur eine Wohnung, was am Ende
des Tages eben nicht reicht .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir machen hier einen wirklich substanziellen Fort-
schritt in Sachen Ausbildung. Es gab bisher eine Rege-
lung, nach der man als Flüchtling bzw. Geduldeter nach
dem 21. Lebensjahr nicht in eine Ausbildung gehen durf-
te. Das ist eine mir nicht ganz verständliche Regel; die
gab es aber. Diese Regel haben wir jetzt abgeschafft. Wir
schaffen Planungssicherheit für die Betriebe und für die
Betroffenen, indem wir ihnen eine Duldung geben für
die ganze Zeit der Ausbildung. Danach können sie ein
halbes Jahr suchen, und dann bekommen sie für zwei
Jahre einen Aufenthaltstitel. Kurzum: Sie können sich
hier auf eine Ausbildung einlassen; sie und die Betriebe
haben Rechtssicherheit. Das ist der goldene Weg: Diese
70 Prozent derjenigen, die zu uns gekommen sind, die
unter 30-Jährigen, sind in Ausbildung zu bringen. Hey,
die Leute können wir in diesem Land gut gebrauchen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich habe gestern mit Frau Wanka das Spitzentreffen
der Partner der Allianz für Aus- und Weiterbildung ge-
leitet. Es gibt 41 000 offene Ausbildungsplätze. Viele
Handwerker suchen Auszubildende. – Wunderbar, es gibt
Chancen in unserem Land. Lassen Sie uns diese Chancen
zusammen ergreifen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich denke, wir haben eine große Aufgabe vor uns,
aber wir haben auch viele motivierte Leute, sowohl bei
der Bundesagentur für Arbeit als auch bei den einzelnen
Anbietern, bei den Volkshochschulen, bei vielen anderen
Trägern, die sich wirklich kümmern, und bei den Wohl-
fahrtsverbänden.

Wir haben diese Situation nicht nur am Anfang er-
lebt, als so viele kamen, sondern es wird sich weiter mit
großer Anstrengung und großer Offenherzigkeit geküm-
mert und bemüht, und vor diesem Hintergrund bin ich
zuversichtlich, dass wir mit diesem Gesetz die Grundlage
legen für passende Integration. Dass wir darüber hinaus
mehr brauchen, ein Einwanderungsgesetz, steht auf ei-
nem anderen Blatt. Das ist auch wichtig, darüber debat-
tieren wir ein anderes Mal.

Heute haben wir das Integrationsgesetz auf dem Tisch .
Und in diesem Sinne: Wir wollen es anpacken. Bitte, bit-
te schauen Sie einfach auch mal in das Gesetz rein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dann wird man nämlich feststellen, dass vieles, was es
in der Öffentlichkeit, mit Verlaub, an Diskussionen dazu
gegeben hat, haarscharf daneben geht .

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817400800

Die Empfehlung, in Gesetzestexte reinzugucken, die

zur Beratung und Verabschiedung anstehen, empfiehlt
sich eigentlich fast immer, dieses Mal aber ganz beson-
ders .


(Heiterkeit – Christine Lambrecht [SPD]: Leider folgt dem nicht jeder! – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Weiß das auch Frau Dağdelen?)


Nächste Rednerin ist die Kollegin Brigitte Pothmer
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817400900

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr de

Maizière, Frau Nahles, ja, Sie haben recht: Die Integra-
tion Hunderttausender Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt
ist trotz guter Voraussetzungen eine riesige Herausforde-
rung, die Jahre in Anspruch nehmen wird . Aber wenn das
gelingen soll, dann müssen wir wirklich konsequent auf
Integration setzen,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


und genau das tut dieses Gesetz nicht. Ich will es ein-
mal mit den Worten meines Ministerpräsidenten Stephan
Weil aus Niedersachsen – in Klammern: SPD – sagen –
ich zitiere –: Mit diesem Gesetz wird die Integration in
den Arbeitsmarkt Stückwerk bleiben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Thomas Oppermann [SPD]: Das hat er schon korrigiert!)


Ich fürchte, dass mein Ministerpräsident wieder mehr
recht hat, als uns allen lieb sein kann.

Ja, es gibt positive Elemente in diesem Gesetz. Frau
Nahles, Sie haben es gesagt, dass Flüchtlinge jetzt eine
Duldung erhalten, die in Ausbildung sind. Das ist ein
Fortschritt, aber, Frau Nahles, Sie wissen auch: Eine Dul-

Bundesministerin Andrea Nahles






(A) (C)



(B) (D)


dung ist keine sichere Bleibeperspektive, sondern sie ist
lediglich die Aussetzung einer Abschiebung,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


und bei Abbruch einer Ausbildung findet sofort diese Ab-
schiebung statt. Dazu muss man allerdings wissen, dass
25 Prozent der deutschen Auszubildenden ihre Ausbil-
dung abbrechen und sich während der Ausbildung neu
orientieren. Für die Flüchtlinge bedeutet das, dass das
Damoklesschwert der Abschiebung weiterhin über ihren
Köpfen hängt. Frau Nahles, das ist keine gute Entschei-
dung .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich finde, auch die Aussetzung der Vorrangprüfung ist
ein Schritt in die richtige Richtung, und positiv finde ich
im Prinzip ebenfalls, dass die Ausbildungsförderung ge-
öffnet werden soll. Aber, Frau Nahles, sagen Sie mir mal
ehrlich: Für Geduldete gilt die Berufsausbildungshilfe
erst nach sechs Jahren? Da ist das Kind doch längst in
den Brunnen gefallen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Diese wenigen Beispiele zeigen, dass dieses Gesetz
nicht konsequent auf Integration setzt, sondern durchzo-
gen ist von dem Geist der Ausgrenzung, und damit lässt
sich wirklich keine konsistente Integrationspolitik betrei-
ben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Meine Damen und Herren, wenn Herr Gabriel dann
vor die Presse tritt und sagt, das Gesetz sende die Bot-
schaft aus: „Wer sich reinhängt, aus dem wird hier auch
was“, dann frage ich: Meint er die Afghanen? Meint er
die Somalier? Meint er die Sudanesen? Meint er diese
vielen, vielen Menschen, die sich noch so reinhängen
können und noch nicht mal einen Integrationskurs krie-
gen, von Arbeitsförderung ganz zu schweigen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist das Hauptproblem Ihres Gesetzentwurfes: Sie
bleiben bei der realitätsfernen Einteilung nach vermeint-
lich guter oder schlechter Bleibeperspektive und schlie-
ßen damit mehr als die Hälfte aller Asylbewerberinnen
und Asylbewerber aus.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn wir hier von Fördern und Fordern sprechen, dann
sage ich: Das ist Integrationsverweigerung. Dafür sollte
es Sanktionen geben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Mit dieser Ausgrenzung schaffen Sie genau die Pro-
bleme, die die Rechtspopulisten mit ihren Äußerungen
heraufbeschwören. Sie treiben damit die Spaltung in der
Gesellschaft voran. Liebe Frau Nahles, 100 000 1-Eu-
ro-Jobs werden dieses Problem nun wirklich nicht lösen.


(Beifall der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE])


Sie wissen genau, dass 1-Euro-Jobs qua Definition ar-
beitsmarktfern sind . Wie Sie damit die Integration in Ar-
beit gestalten wollen, müssen Sie uns allen mal erklären.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Katja Mast [SPD]: In die Gesellschaft!)


Nein, die Flüchtlinge müssen in die Betriebe. Sie müs-
sen den betrieblichen Alltag in Deutschland kennenler-
nen. Deswegen fordern wir nicht 100 000 1-Euro-Jobs,
sondern 100 000 Einstiegsqualifizierungen, die übrigens
auch ein sehr gutes Konzept dafür sind, Flüchtlinge für
eine duale Ausbildung zu interessieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir Grüne wollen Integration. Wir wollen, dass sie
gelingt. Dafür gibt es in diesem Gesetzentwurf noch ver-
dammt viel Luft nach oben. Je länger Sie auf der Bremse
stehen, liebe Ministerin, desto höher wird der Preis, und
zwar in jeder Hinsicht, sowohl für die Flüchtlinge als
auch für uns. Lassen Sie uns diesen Gesetzentwurf in den
Beratungen korrigieren .

Ich danke Ihnen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817401000

Daniela Kolbe ist die nächste Rednerin für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Daniela Kolbe (SPD):
Rede ID: ID1817401100

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Asyl ist ein humanitäres Grundrecht. Da geht
es erst einmal darum, ob jemand Schutz braucht oder
nicht, und nicht darum, ob er die deutsche Sprache kann
oder was für eine Ausbildung er oder sie hat. Aber wenn
diese vielen Menschen nun schon einmal hier sind und
überwiegend hier bleiben, dann wären wir doch mit dem
Klammerbeutel gepudert, wenn wir es ihnen nicht er-
möglichen würden, sich möglichst schnell in diese Ge-
sellschaft einzubringen und in ihr zurechtzufinden.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Karl Schiewerling [CDU/CSU])


Das ist jedenfalls die Grundposition und Haltung der So-
zialdemokraten.

Wir haben jetzt die Chance, aus dieser gigantischen
Herausforderung eine Win-win-Situation zu machen .
Das tun wir mit diesem Integrationsgesetz . Ich schaue
noch einmal zur Kollegin Dağdelen. Ich erwarte ja von
der Opposition Kritik – das ist auch richtig so; dafür sind
Sie Opposition –, ich erwarte aber genauso, dass Sie sich
das Gesetz einmal anschauen, durchlesen und sich genau
ansehen, was dort steht .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Das habe ich doch am Mittwoch gemacht!)


Brigitte Pothmer






(A) (C)



(B) (D)


In dem Gesetzentwurf schreiben wir, was wir erwar-
ten, aber vor allem eröffnen wir Chancen auf Teilhabe,
zum Beispiel am Arbeitsmarkt. Die bürokratische Vor-
rangprüfung wird an vielen Stellen der Bundesrepublik
ausgesetzt werden. Wir öffnen die Ausbildungsförde-
rungen, etwa die Berufsvorbereitung oder die Assistier-
te Ausbildung und auch die Berufsausbildungsbeihilfe,
weiter .

Ich möchte vor allen Dingen noch einmal auf die so-
genannte Drei-plus-zwei-Regelung eingehen. Viele Un-
ternehmer, viele Unternehmerinnen wollen Flüchtlingen
gerne einen Ausbildungsplatz organisieren. Sie schre-
cken dann aber zurück, weil sie nicht wissen können,
was in einem halben Jahr ist, ob der Flüchtling dann noch
da ist oder schon wieder abgeschoben worden ist . Dem
setzen wir jetzt eine sehr sinnvolle Regelung entgegen.
Wer eine Ausbildung beginnt, erhält eine Duldung für die
gesamte Dauer der Ausbildung, und zwar nicht vielleicht
oder unter Umständen, sondern er oder sie bekommt die-
se Duldung. Das gibt Rechtssicherheit für die betroffe-
nen jungen Leute, aber eben auch für die Unternehmen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Danach gibt es die Möglichkeit, eine Aufenthalts-
erlaubnis für zwei Jahre zu bekommen, um weiter zu
arbeiten. Wenn keine Weiterbeschäftigung im Ausbil-
dungsbetrieb erfolgt, wird die Duldung um sechs Mo-
nate verlängert, um nach einem Arbeitsplatz suchen zu
können. Das ist ein grandioser Schritt für die Unterneh-
men und auch für die Menschen. 70 Prozent der zu uns
Gekommenen sind unter 30 Jahre alt. Das wird die dua-
le Ausbildung in Deutschland weiter stärken. Das wün-
schen wir uns doch alle.

Es ist ein guter Gesetzentwurf, über den wir hier spre-
chen. Aber es gibt sicherlich auch den einen oder ande-
ren Punkt, an dem er noch besser werden kann. Viele in
meiner Fraktion fragen sich beispielsweise, warum eine
gute Bleibeperspektive bei einer strikten Schutzquote
ab 50 Prozent festgemacht wird, sie also nicht für Men-
schen zutrifft, die etwa aus Afghanistan kommen, wo die
Schutzquote derzeit bei knapp 50 Prozent liegt. Das ist
eine spannende Frage, über die wir sprechen sollten.


(Beifall der Abg. Kerstin Griese [SPD])


Aber auch bei der Ausbildungsförderung und der
Drei-plus-zwei-Regelung sollten wir vielleicht noch
einmal ins Gespräch kommen. Ich verweise da, auch in
Richtung des Koalitionspartners, auf eine Stellungnahme
der BDA,


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: BDA? Ich bin CDA!)


die beispielsweise die Frage stellt, ob es denn wirklich
sinnvoll ist, Ausbildungsbetrieben unter Androhung sehr
hoher Bußgelder eine Meldepflicht aufzuerlegen, wenn
ein Azubi eine Ausbildung abbricht. Sie spricht davon,
dass dies das pädagogisch-kollegiale Verhältnis belas-
ten und Betriebe abschrecken würde . Ich muss an dieser
Stelle sagen: Die BDA hat vollkommen recht. Lassen Sie
uns darüber sprechen! Lassen Sie uns aus einem weg-

weisenden Gesetzentwurf einen noch wegweisenderen
Gesetzentwurf machen!

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817401200

Das Wort erhält nun der Kollege Volker Beck für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817401300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein Inte-

grationsgesetz wäre fürwahr nötig. Aber das, was hier auf
dem Tisch des Hauses liegt, verdient diesen Namen nicht
wirklich. Das ist im besten Fall Stückwerk, in vielen Ele-
menten kontraproduktiv, in manchen Punkten schlicht
sachfremd. Deshalb würde ich Ihnen raten, in den Aus-
schussberatungen noch einmal sehr, sehr gründlich nach-
zudenken .

Viele Themenfelder und Probleme werden überhaupt
nicht angegangen. Was ist mit den Flüchtlingen, die hier-
herkommen, die wegen der Flucht und des Bürgerkrieges
jahrelang keine Schule besucht haben und aus der Schul-
pflicht herausgefallen sind? Wie bringen wir diese Leute
dahin, dass sie ausbildungsfähig sind? Die Handwerks-
betriebe in Deutschland sind durchaus bereit, solche
Menschen aufzunehmen; aber sie fordern ein gewisses
Grundwissen, das diese Menschen nicht mitbringen . Auf
solche Fragen, Frau Nahles, gibt Ihr Gesetzentwurf leider
überhaupt keine Antwort .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ganz merkwürdig ist meines Erachtens eine Rege-
lung, die vor dem Kabinettsbeschluss unter Umgehung
der Beratung mit dem Bundesrat und einer Verbändean-
hörung über Nacht in den Gesetzentwurf aufgenommen
wurde; sie macht mich hellhörig. Ist der neue § 29 Asyl-
gesetz der Versuch, den Türkei-Deal in dieses Integra-
tionsgesetz einzuführen, und zwar mit dem Effekt, dass
Menschen in Deutschland in Zukunft keinen Anspruch
mehr auf eine rechtliche Prüfung ihres Verfolgungsstatus
haben? Sie haben hier hineingeschrieben, dass mit Blick
auf Länder außerhalb der Europäischen Union, die wir
für sicher halten, ein Antrag bei uns unzulässig ist. Frü-
her war er „unbeachtlich“. Was diese semantische Ver-
änderung bedeutet, konnte uns zumindest Ihr Haus im
Gespräch mit dem Forum Menschenrechte nicht sagen.
Vielleicht wissen ja Sie, Herr Minister, was gemeint ist.

Und: Wohin ist der § 29 Absatz 2 des Asylgesetzes
verschwunden? Auch das wussten Ihre Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter nicht. Versehen? Vorsatz? Unbeachtlich?
Unzulässig? Wir wissen es nicht. Darin steht nämlich,
dass dann, wenn ein Flüchtling aus einem solchen soge-
nannten sicheren Drittstaat zu uns kommt und nach drei
Monaten immer noch nicht in diesen sicheren Drittstaat
zurückgebracht werden konnte, in Deutschland das Ver-
fahren über die Anerkennung als Flüchtling wiederauf-
genommen werden muss. Diese Regelung finde ich in
Ihrem Gesetzentwurf nicht mehr; sie ist aber geltendes

Daniela Kolbe






(A) (C)



(B) (D)


Recht . Das ist eine massive Verkürzung des Rechts von
Flüchtlingen auf Anerkennung und Schutz nach der Gen-
fer Flüchtlingskonvention.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Zweiter Punkt: Wohnsitzauflage.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817401400

Herr Kollege Beck, ich muss Sie darauf aufmerksam

machen, dass es – –


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817401500

Doch .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817401600

Zwei Sekunden, ja. – Da Sie zum zweiten Punkt anset-

zen, wollte ich nur darauf aufmerksam machen, dass es
natürliche Grenzen für den weiteren Vortrag gibt.


(Vereinzelt Heiterkeit und Beifall)



Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817401700

Diese natürlichen Grenzen akzeptiere ich. – Noch

zwei Sätze. Wir alle sind gegen Ghettoisierungen. Aber
mit diesem administrativen Monster werden wir sie nicht
verhindern .

Ich finde, die heute-show hat es in einem Satz wunder-
bar zusammengefasst – für mehr reicht es jetzt aufgrund
der Redezeit nicht mehr –: Das neue Integrationsgesetz
mit seiner Wohnsitzauflage will:

Flüchtlinge sollen eine Sprache lernen, für die es
keine Kurse gibt, in Regionen leben, in denen keiner
Deutsch spricht, und Jobs finden, die es dort nicht
gibt .

Das ist der falsche Ansatz. Wir müssen angebotsorien-
tiert arbeiten und dürfen nicht versuchen, die Integra-
tionspolitik mit administrativen Monstern zu vergiften.


(Zurufe von der CDU/CSU)


– Da ich eine so lebhafte Reaktion auf meine Rede er-
reicht habe, scheint es Sie ja getroffen zu haben. Dann
ist ja alles gut.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wenn man sich schon auf die heute-show beziehen muss, um zu überzeugen, hat man ein Argumentationsproblem!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817401800

Karl Schiewerling erhält nun das Wort für die CDU/

CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Karl Schiewerling (CDU):
Rede ID: ID1817401900

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Frau Dağdelen, ich habe mir
lange überlegt, ob ich überhaupt auf Ihre Rede reagieren
soll, weil ich nicht wusste, ob ich lachen oder weinen
sollte. Wenn ich es gut mit Ihnen meine, dann sage ich
Ihnen: Sie können ganz schön Spaß machen.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn ich Ihnen aber die Wahrheit sage, dann sage ich
Ihnen: Ich habe selten eine Rede gehört, in der die Le-
benssituation der Menschen so menschenverachtend be-
trachtet wird, wie Ihre .


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Ja!)


Wie können Sie sagen, die Wohnsitzauflage und all die
anderen Dinge dürfe man nicht einführen? Wissen Sie,
was das für meine Region im Kreis Coesfeld im Müns-
terland – das ist ländliches Gebiet, und wir suchen hän-
deringend Arbeitskräfte – bedeuten würde? Sie lassen
die Flüchtlinge alleine, dann gehen sie zu Ihnen in den
Duisburger Norden und damit in die Arbeitslosigkeit,
während sie bei uns Arbeit finden würden. Wenn wir dies
nicht regeln, haben sie keine Perspektive.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wie können Sie sagen, wir würden hier Lohndumping
betreiben? Wissen Sie denn überhaupt nicht, welche Be-
dingungen die Unternehmen erfüllen müssen, damit die
Menschen arbeiten können? Sie tun dies mit großer Be-
reitwilligkeit, aber dazu brauchen sie auch die entspre-
chenden Rahmenbedingungen. Wollen Sie eigentlich,
dass sie in Beschäftigung kommen, oder wollen Sie auf-
grund Ihrer hohen und hehren Ziele, dass sie arbeitslos
bleiben? Wir wollen, dass sie in Beschäftigung kommen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Bravo! So ist das! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Bravo! Volltreffer! Versenkt!)


Frau Kollegin Pothmer, einen Satz zu Ihnen: Wir ste-
hen nicht auf der Bremse,


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch! Leider!)


sondern wir stellen uns mit diesem Gesetzentwurf einer
Entwicklung, die uns neu herausgefordert hat.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben doch selber erklärt, dass dieser Gesetzentwurf zu kurz springt!)


Wir leben in einer Situation, in der wir uns zunächst
einmal auf die neuen Herausforderungen einstellen müs-
sen. Seit 2014 – das ist richtig – kommen in zunehmen-
der Zahl Flüchtlinge zu uns. Aber die meisten sind vor
etwa zwölf Monaten gekommen, und in dieser Situation
mussten sich die deutschen Behörden, die deutschen In-
stitutionen, die Kommunen und alle, die dafür Verant-
wortung tragen, ja zunächst einmal darauf einstellen.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das bestreitet auch keiner!)


Volker Beck (Köln)







(A) (C)



(B) (D)


Ich verstehe überhaupt nicht, wie Sie von einer Re-
gierung, die vor diese völlig neuen Herausforderungen
gestellt wird, erwarten, dass sie über Nacht alle Probleme
löst. Das hätten Sie nicht geschafft, das schafft Ihr Herr
Weil nicht, und das schaffen andere auch nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deswegen sage ich Ihnen: Das vorgelegte Integra-
tionsgesetz – und das gilt auch für dessen Bestandteile
zur Arbeitsmarktpolitik – bietet eine vernünftige Heran-
gehensweise; denn hier wird zunächst einmal das getan,
was wir heute tun können. Kein Mensch in der Koalition
sagt: Danach passiert nichts Weiteres mehr. – Wenn sich
die Dinge anders entwickeln, werden wir darauf reagie-
ren müssen . Dann werden wir das auch tun . Das ist so
sicher wie nur irgendetwas .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Meine Damen und Herren, Deutschland ist ein weltof-
fenes Land. Viele Menschen aus fast allen Ländern der
Welt sind zu uns gekommen. Sie leben, arbeiten und
wohnen hier und tragen zum Wohlstand bei. 12 Prozent
aller Mitglieder der Deutschen Rentenversicherung ha-
ben einen ausländischen Pass. Sie tragen dazu bei, dass
der Wohlstand erhalten bleibt. Das ist uns allen sehr wohl
bewusst, und deswegen integrieren wir die Menschen .
Wir sagen, sie sollen zu uns kommen und hier eine Hei-
mat finden können. Zuwanderung ist ein Gewinn, wenn
Integration denn gelingt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Meine Damen und Herren, in der Vergangenheit wur-
de dies nicht immer beachtet. Parallelgesellschaften sind
entstanden; der Innenminister hat ausdrücklich und prä-
zise darauf hingewiesen. Das darf sich nicht wiederholen.

Der guten Ordnung halber will ich an dieser Stelle an
alle im Hohen Haus sagen: Angela Merkel war die erste
Kanzlerin, die mit Maria Böhmer eine Integrationsminis-
terin berufen hat, nämlich 2005,


(Michaela Noll [CDU/CSU]: Genau!)


und Jürgen Rüttgers war in Nordrhein-Westfalen der erste
Ministerpräsident, der einen Integrationsminister berufen
hat. Diese Fragen zur Notwendigkeit der Integration sind
für uns nichts Neues. Da brauchen wir keine Nachhilfe,
sondern wir sind dabei, unsere Aufgaben zu erfüllen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, ich will an dieser Stelle
einmal einen riesigen Dank an die unglaublich vielen
Menschen aussprechen, die sich in den Flüchtlingsiniti-
ativen ehrenamtlich engagieren. Ohne diese Menschen
hätten wir viele Aufgaben nicht lösen können. Diese vie-
len Ehrenamtlichen sind auch heute noch notwendig. Sie
begleiten viele Flüchtlinge. Sie helfen ihnen dabei, sich
auf dem Arbeitsmarkt zu orientieren . Sie engagieren sich
für sie, indem sie Kinder begleiten, helfen damit, dass sie
eine Wohnung finden. Ihnen gebührt ein riesiges Danke-

schön für das, was sie heute für unser Land und in unse-
rem Land leisten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


An dieser Stelle wird sehr deutlich: Es ist eine gesell-
schaftliche Aufgabe, diese Menschen in unserem Land
zu integrieren. Zu dieser wichtigen Aufgabe gehört in
der Tat die Integration in den Arbeitsmarkt. Bildung,
Sprache, Schule und Ausbildung gehören zusammen.
Ich will Ihnen sehr deutlich sagen: Schulfragen sind Län-
dersache. Wir wollen uns aber als Bund natürlich nicht
verschließen, wenn neue Ideen kommen, wie man das
machen kann. Aber ich bin nicht bereit, alle Zuständig-
keiten nur dem Bund zuzuweisen. Kommunen, Länder
und der Bund – lassen Sie mich an dieser Stelle der Voll-
ständigkeit halber noch sagen: sowie Europa – müssen
zusammenwirken . Deswegen haben wir in dieser Frage
eine gemeinsame Aufgabe .

Was wir nicht gebrauchen können, ist Kästchenden-
ken, Schubladendenken und Abschottungsdenken. Wer
glaubt, er könnte sich die Decke über den Kopf zie-
hen, sich dort hineinkuscheln und glauben, das sei das
Deutschland der Zukunft, der hat sich vertan. Wir liefern
Produkte in alle Welt. Wir haben Internet. Wir haben di-
verse Kommunikationsmittel. Ja glauben wir denn im
Ernst, wir könnten uns zurückziehen und könnten uns
eine heile Welt unter der schützenden Bettdecke aufbau-
en? Wir sind ein weltoffenes Land. Die Menschen sollen
zu uns kommen. Aber sie müssen wissen, unter welchen
Bedingungen und mit welchen Erwartungen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir erwarten, meine Damen und Herren, dass sich
diese Menschen integrieren. Das tun sie. Ganz viele wol-
len das; darauf ist zu Recht hingewiesen worden. Aber
wir sagen auch: Wir wollen die Menschen fordern und
fördern, wobei die Förderung an erster Stelle steht. Wir
wollen den Menschen helfen: mit unseren arbeitsmarkt-
politischen Möglichkeiten, die wir ihnen eröffnen, und
mit dem breiten Instrumentarium, das im Gesetzentwurf
steht und das später gewiss noch einmal erweitert wird.

Frau Nahles hat vorhin zu Recht auf die 100 000 Ar-
beitsgelegenheiten verwiesen. Ich will an dieser Stelle
der Vollständigkeit halber nur sagen, wie sie in den Ge-
setzentwurf gekommen sind. Diese Arbeitsgelegenheiten
müssen nach dem Asylgesetz normalerweise von den
Kommunen angeboten werden. Die Kommunen haben
dafür aber kein Geld mehr.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann geben Sie ihnen doch das Geld!)


Deswegen wird diese Aufgabe hilfsweise vom Bund
übernommen. Sie wird nach den derzeitigen Plänen von
der Bundesagentur für Arbeit hilfsweise abgewickelt. Ich
erwarte aber, dass die Kommunen die Entscheidung da-
rüber haben, wo die Mittel eingesetzt werden und für wen
sie dort eingesetzt werden – und nicht die Bundesagentur
für Arbeit . Sie wird diese Aufgabe zu administrieren ha-
ben. Sollte es dann noch Unklarheiten im Gesetzentwurf
geben, werden wir diesen Punkt nachbessern müssen .

Karl Schiewerling






(A) (C)



(B) (D)


Ich bin mir in dieser Frage nicht ganz sicher, aber das ist
keine Grundsatzfrage. Es ist eine Abwicklungsfrage, wie
wir an diese Dinge herangehen .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, gezielte In-
tegration in unser Land ist eine wichtige Aufgabe. Ich
will deutlich sagen, dass wir im Hinblick auf die Ar-
beitsmarktpolitik noch lernen können. Ich habe in mei-
ner Region, im Kreis Coesfeld, mit dem Kreis, mit den
Berufsschulen und mit der Kreishandwerkerschaft ein
sehr innovatives Projekt entwickelt, bei dem es darum
geht, Jugendlichen Deutsch beizubringen und sie in Ar-
beit zu bringen. Die Vermittlung ist mehr als erfolgreich:
80 Prozent sind über diesen Weg mittlerweile in Betrie-
ben untergekommen. Ich glaube, dass es gut ist, wenn
wir solche Initiativen betrachten, aufgreifen und schau-
en, wie wir diese Instrumente nutzen und umsetzen und
sie anderen verfügbar machen können.

Ich halte es für geboten, dass wir das tun, was wir als
Deutsche können, nämlich nicht nur zu erwarten, dass
sich die Menschen in unserem Land integrieren, sondern
auch unsere eigene Kultur zu leben und für unsere eige-
ne Kultur zu werben. Integration in unsere Gesellschaft
heißt nicht nur das Erlernen der deutschen Sprache, son-
dern es heißt auch ganz schlicht und einfach das Erleben
von Heimat, das Erleben von Bräuchen, Festen und Fei-
ern. Es heißt auch, dass diese Menschen erfahren, dass es
Geborgenheit in Familien gibt. Viele von ihnen kommen
aus geschützten familiären Strukturen. Das müssen wir
ihnen bei uns bieten, entweder über Familien oder über
Verbände und Gemeinschaften. Sie müssen lernen, dass
es zu unserer Kultur gehört, sich anzustrengen, Bildung
zu erwerben und in die Erwerbsarbeit zu gehen . Ich bin
ganz sicher, dass die allermeisten von ihnen das wollen.

Frau Pothmer, Sie haben gesagt: Das ist ja ganz furcht-
bar, wenn ihr da von Sanktionen redet . – Die Sanktionen
stehen aber nicht im Mittelpunkt. Sanktionen sind das
letzte Mittel, das der Staat hat, um sich selbst zu schüt-
zen . Die Sanktionen stehen dafür, dass wir den Menschen
Orientierung geben und ihnen auf diese Art und Weise
vermitteln, was wir erwarten.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817402000

Herr Kollege.


Karl Schiewerling (CDU):
Rede ID: ID1817402100

Aber in den allermeisten Fällen brauchen wir sie nicht.

Letztlich geht es um unsere gemeinsame Zukunft in
unserem Land, und mit diesem Integrationsgesetz schaf-
fen wir den Rahmen dazu .

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817402200

Ich erteile das Wort nun der Kollegin Kerstin Griese

für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Kerstin Griese (SPD):
Rede ID: ID1817402300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Als ich heute Morgen die Reden der Opposition verfolgt
habe, habe ich gedacht, es wäre gut, Sie einmal mit der
echten Stimmungslage in unserem Land zu konfrontie-
ren . Im ARD-Deutschlandtrend haben heute früh 82 Pro-
zent gesagt: Das Integrationsgesetz geht in die richtige
Richtung. Es gibt eine große Zustimmung dazu. Bei den
Grünen sind es sogar 86 Prozent. Bei den Linken sind es
etwas weniger. Das heißt, die Gesellschaft will, dass wir
jetzt endlich aktiv etwas für Integration machen. Das pa-
cken wir an. Das Integrationsgesetz wird ein Meilenstein
für gelingende Integration.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir gestalten Integration aktiv. Wir ermöglichen einen
besseren Zugang zu Ausbildung, Arbeit und Sprachkur-
sen .

Eines ist mir ganz wichtig: Integration ist ein Prozess
auf Gegenseitigkeit . Wir erwarten die Bereitschaft zur
Integration; wir bieten aber auch Möglichkeiten zur Inte-
gration an. Wer sich anstrengt, die Sprache lernt und den
Einstieg in Arbeit schafft, der kann bei uns den Neustart
schaffen, und wir wollen alles dafür tun, die Menschen
zu unterstützen .

Aber auch der Staat hat eine Bringschuld, nämlich die,
Integration zu ermöglichen. Dazu gehört zum Beispiel,
genügend Integrations- und Sprachkurse anzubieten, be-
vor man über Sanktionen spricht. Der Staat will ebenso
wie die Gesellschaft dieses Integrationsangebot machen.
Deshalb werden wir gemeinsam aktiv daran arbeiten.
Der Gesetzentwurf beinhaltet das: Wir wollen eine of-
fene Gesellschaft sein. Wir erwarten aber auch von den
Menschen, die zu uns kommen, dass sie sich an unsere
Regeln und an unser Grundgesetz halten. Dann geht es
gut mit der Integration .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir schaffen neue Flüchtlingsintegrationsmaßnah-
men. Der Kollege Karl Schiewerling hat schon darauf
hingewiesen. Es ist sehr wichtig, dass man Flüchtlingen
die Möglichkeit gibt, sich in unsere Gesellschaft ein-
zubringen, zu arbeiten und soziale Kontakte zu haben,
statt immer nur zu warten, zu warten, ohne zu wissen,
was passiert. Deshalb vielen Dank an Arbeitsministerin
Andrea Nahles für die gute Idee der 100 000 zusätzli-
chen Arbeitsgelegenheiten. Das wird den Kommunen
viel bringen, und es wird auch in der Bevölkerung wahr-
genommen werden, dass Flüchtlinge sich engagieren und
dass sie mitarbeiten . Auch das ist ein ganz wichtiger Ef-
fekt .


(Beifall bei der SPD)


Wir wollen die Vorrangprüfung aussetzen – das ist
arbeitsmarktpolitisch wichtig –, und zwar zunächst für
drei Jahre. Die Länder sollen selber gucken, in welchen
Regionen sie sie aussetzen. Denn sehr häufig endet die
Vorrangprüfung, die feststellt, ob es einen Einheimi-
schen gibt, der den Arbeitsplatz haben kann, so, dass der

Karl Schiewerling






(A) (C)



(B) (D)


Flüchtling ihn bekommt. Das ist daher auch ein wichtiger
Schritt zur Entbürokratisierung .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wünschen uns
für die Beratung noch ein paar Punkte, zum Beispiel bei
der Wohnsitzauflage auch die Belange von Menschen
mit Behinderung zu berücksichtigen. Denn häufig gibt es
Örtlichkeiten, wo sie nicht barrierefrei leben können. Das
sollten wir in der Beratung prüfen.

Ich wünsche mir auch, dass wir im Bereich des eh-
renamtlichen Engagements von Flüchtlingen darüber
nachdenken, was wir tun können. Uns hat ein Hilferuf
der großen Sportvereine erreicht, dass die Ehrenamtspau-
schale auch für Flüchtlinge gelten soll. Denn häufig sind
Flüchtlinge als Übungsleiter oder Trainer in Sportverei-
nen tätig. Das ist ein Beispiel für gelungene Integration.
Das sollten wir unterstützen und die Ehrenamtspauschale
nicht von den Leistungen abziehen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich freue mich auf die Beratungen, die wir im Arbeits-
und Sozialausschuss ganz intensiv zusammen mit dem
Innenausschuss durchführen werden . Wir werden das gut
zusammen hinbekommen .

Es gibt sowohl Kritik als auch Zustimmung zum Ge-
setzentwurf. Der Sachverständigenrat deutscher Stiftun-
gen für Integration und Migration hat ganz klar gesagt,
das Gesetz sei – ich zitiere – „ein wichtiger Schritt hin
zu Gleichbehandlung und früher Integration. Die hierfür
aufgewandten erheblichen finanziellen Mittel sind eine
gute und notwendige Investition …“.

Wenn viele Verbände, darunter die Wohlfahrtsverbän-
de, noch mehr fordern, dann ist das ein Zeichen dafür,
dass endlich Bewegung in die Integrationsdebatte ge-
kommen ist, dass wir weiter vorangehen wollen und dass
wir die Integration jetzt aktiv gestalten. Ich hoffe, dass
wir alle daran mitwirken – zum Wohle unseres Landes
und zum Wohle der Menschen, die aus Not und Gewalt
zu uns geflohen sind.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817402400

Für die CDU/CSU-Fraktion erhält der Kollege

Stephan Mayer das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1817402500

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kollegin-

nen! Sehr geehrte Kollegen! Es wäre aus meiner Sicht
verfehlt, anzunehmen, dass die Flüchtlingskrise beendet
oder gemeistert ist. Ich glaube, es ist genauso naiv, anzu-
nehmen, dass es schon jetzt Anlass gibt, Entwarnung zu
geben . Wir stecken aus meiner Sicht nach wie vor mitten
in der Flüchtlingskrise. Aber die Zahlen sind deutlich zu-
rückgegangen. Die Westbalkanroute ist geschlossen. Das
ist ein erfreuliches Signal.

Eines aber muss uns bewusst sein: Selbst wenn die
Zahlen auf diesem niedrigen Niveau bleiben, wird uns in
den nächsten Monaten und Jahren eine epochale Heraus-
forderung bevorstehen, wenn es um die Integration von
Hunderttausenden von Migranten und Flüchtlingen in
die deutsche Gesellschaft geht. Deswegen ist es gut, dass
dieses Integrationsgesetz jetzt in erster Lesung beraten
wird. Ich habe etwas Zweifel, ob ich wirklich von einem
Paradigmenwechsel sprechen möchte,


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lassen Sie es lieber!)


ich weiß auch nicht, ob es wirklich ein historischer Mei-
lenstein ist, den wir mit diesem Gesetz setzen; aber ich
bin mir sicher, dass wir mit diesem Integrationsgesetz –
ich möchte es Integrationspflichtgesetz nennen – einen
deutlichen Fortschritt machen, wenn es darum geht, Hun-
derttausenden von Migranten und Flüchtlingen Angebote
zu unterbreiten, sich aktiv in die deutsche Gesellschaft
einzubringen, sich aktiv in die deutsche Gesellschaft zu
integrieren. Ich sage in aller Deutlichkeit, dass der Staat
die Verpflichtung hat, ausreichende Angebote zu unter-
breiten . Aber es gibt auch die berechtigte Erwartungs-
haltung gegenüber den Flüchtlingen und den Migranten,
von diesen Angeboten dann bitte schön auch Gebrauch
zu machen .

Ich möchte auch dem Eindruck entgegenwirken, dass
wir erst heute mit Beratungen zum Thema Integration
beginnen. Dieses Thema steht seit 2005 auf der Agenda
der Bundesregierung. Seit Angela Merkel Bundeskanzle-
rin ist, seit die Union wieder in der Bundesregierung ist,
hat das Thema Integration die Bedeutung in der Bundes-
politik erhalten, die es verdient. Es gibt seit 2005 einen
Staatsminister für Integration, einen Nationalen Integra-
tionsplan, einen jährlichen Integrationsgipfel. Aber zur
Wahrheit gehört auch – das hat sich insbesondere in den
letzten Monaten herausgestellt –, dass es aufgrund der
deutlichen Zunahme der Zahl an Flüchtlingen, die zu uns
gekommen sind, einen deutlich weiteren Bedarf gibt.

Der große Vorteil dieses Gesetzes, das uns im Entwurf
vorliegt, ist der, dass erstmals das sehr weite Themen-
feld der Integration auf die jeweiligen Gruppierungen
spezifisch zugeschnitten wird. Es bedarf unterschiedli-
cher Angebote, je nachdem, ob jemand eine dauerhafte
Bleibeperspektive hat oder ob er sich nur kurzfristig in
unserem Land aufhält. Jemand, der eine langfristige bzw.
dauerhafte Bleibeperspektive hat, muss Maßnahmen an-
geboten bekommen, die es ihm ermöglichen, sich aktiv
in den deutschen Arbeitsmarkt zu integrieren .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Aber auch Personen, die kein Recht auf Asyl zugestan-
den bekommen, denen kein Flüchtlingsstatus zuerkannt
werden kann, müssen in unserem Land human behandelt
werden. Sie haben aus meiner Sicht das Recht, solange
sie sich in unserem Land aufhalten, Angebote unterbrei-
tet zu bekommen, die es ihnen ermöglichen, zum einen
die Zeit sinnvoll zu nutzen und zum anderen für ihr spä-
teres Leben in ihrem Heimatland oder anderswo Fähig-
keiten vermittelt zu bekommen, die ihnen die Chance
bieten, in ihrem neuen Aufenthaltsland Fuß zu fassen.
Diese spezifischen Angebote, die mit diesem Gesetz er-

Kerstin Griese






(A) (C)



(B) (D)


möglicht werden, sind wirklich ein sehr erheblicher und
auch erfreulicher Fortschritt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist auch
eine deutliche Verbesserung, dass wir jetzt die klare Vor-
gabe machen, dass, wenn Deutschkurse angeboten wer-
den, diese auch innerhalb eines Jahres begonnen werden
müssen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass viele, die einen
solchen Anspruch hatten, innerhalb des ersten Jahres
keinen Gebrauch davon gemacht haben . Wir haben aber
keine Zeit zu verlieren. Wir sind hier als Bund unserer
Verantwortung gerecht geworden und haben allein vom
letzten Jahr auf dieses Jahr die Mittel für Integrations-
und Deutschkurse von 269 Millionen Euro auf 558 Mil-
lionen Euro mehr als verdoppelt. Allein in diesem Jahr
gibt es 300 000 neue Teilnehmer an Integrations- und
Deutschkursen. Es werden 5 000 zusätzliche Deutschleh-
rer zertifiziert. Wir als Bund tun hier das Unsrige. Ich
füge ganz offen hinzu: Auch die Länder sind beim Thema
Integration gefordert und können nicht einseitig auf uns,
den Bund, verweisen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ein erheblicher Fortschritt ist, dass wir die Nie-
derlassungserlaubnis neu regeln. In Zukunft werden
Asylbewerber und Flüchtlinge nicht automatisch vo-
raussetzungs- und bedingungslos nach drei Jahren ein
dauerhaftes Aufenthaltsrecht bekommen. Ich möchte an
dieser Stelle ausdrücklich unserem bisherigen Kollegen
Thomas Strobl, der heute sein Bundestagsmandat zu-
rückgibt, danken .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Inge Höger [DIE LINKE])


Er war der Erste, der darauf hingewiesen hat, dass es
nicht angehen kann, dass Flüchtlinge und Asylbewerber
gegenüber anderen Ausländern privilegiert werden. Es
ist ein erheblicher Fortschritt, dass wir nun deutlich ma-
chen: Ein dauerhaftes, unbefristetes Aufenthaltsrecht für
Asylbewerber und Flüchtlinge kann es nur geben, wenn
ausreichende Deutschkenntnisse nachgewiesen werden
und wenn für den eigenen Lebensunterhalt überwiegend
selbst gesorgt wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Zur Wohnsitzauflage ist schon einiges gesagt wor-
den. Es gehört zur Wahrheit – das haben insbesondere
die letzten Monate gezeigt –, dass sich viele Flüchtlin-
ge und Asylbewerber auf einige wenige Ballungszentren
und Großstädte konzentrieren, zum Beispiel die Afgha-
nen schwerpunktmäßig auf Hamburg oder das Rhein-
Main-Gebiet. Das ist vollkommen nachvollziehbar und
menschlich verständlich. Schließlich wohnen dort in
der Regel viele afghanische Verwandte, Bekannte und
Freunde. Aber dort sind leider Gottes nicht immer Ar-
beitsplätze in ausreichender Zahl vorhanden. Deshalb
ist es aus meiner Sicht richtig, dass wir den Ländern die
Möglichkeit geben – das ist keine Verpflichtung –, eine
Wohnsitzauflage für zumindest drei Jahre anzuordnen,
wenn sie der Auffassung sind, dass das aufgrund inte-
grationspolitischer Erwägungen sinnvoll und erforder-

lich ist. Ich glaube, das wird den berechtigten Wünschen
der betroffenen Kommunen und Länder in ausreichen-
dem Maß gerecht.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ein insbesondere in der Wirtschaft langgehegter
Wunsch ist die sogenannte Drei-plus-zwei-Regelung.
Sie wird nun in dieses Gesetz implementiert. Um den
Wirtschafts- und Handwerksbetrieben, aber auch den
betroffenen Flüchtlingen Rechts- und Planungssicherheit
zu geben, wird nun klargestellt, dass zumindest für drei
Jahre eine Duldung ausgesprochen werden kann, wenn
die Ausbildung ernsthaft betrieben wird. Das ist im Sin-
ne aller Beteiligten. Es ist auch richtig, dass dann, wenn
die Ausbildung erfolgreich abgeschlossen wird – das ist
wohlgemerkt die Voraussetzung –, die Möglichkeit be-
steht, sich in einem Zeitrahmen von sechs Monaten einen
Anschlussarbeitsvertrag zu suchen, um dann eine An-
schlussduldung für weitere zwei Jahre zu erhalten. Wir
stehen zu dieser Regelung. Sie ist gut und ist insbesonde-
re im Sinne junger, heranwachsender Flüchtlinge, die die
Zeit in Deutschland nutzen sollen, um eine Berufsausbil-
dung zu absolvieren.

Wir müssen aber nun im parlamentarischen Verfahren
darauf achten, dass es insbesondere bei der Drei-plus-
zwei-Regelung nicht zu missbräuchlichen Gestaltungen
kommt. Wenn eine Überstellung in ein anderes EU-Land
oder eine Abschiebung angeordnet und konkret erwogen
wird, dann darf nicht schnell ein Anstellungs- oder Aus-
bildungsvertrag vorgelegt werden, nur um die Überstel-
lung oder die Abschiebung zu verhindern. Nach meiner
Auffassung wird es eine Aufgabe im parlamentarischen
Verfahren sein, insbesondere in § 60a des Aufenthalts-
gesetzes darauf zu achten, dass es nicht zu einer miss-
bräuchlichen Inanspruchnahme dieser an sich richtigen
Regelung kommen kann.

Ich glaube, dass dieser Gesetzentwurf einen erhebli-
chen Fortschritt darstellt, wenn es darum geht, mit den
epochalen Herausforderungen der Flüchtlingskrise und
der Integration von Hunderttausenden Flüchtlingen in
Deutschland zurechtzukommen. Deshalb sollten wir die-
sen Gesetzentwurf positiv annehmen und die nun erfol-
genden parlamentarischen Verhandlungen in der gebote-
nen Seriosität, aber auch Zügigkeit führen.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817402600

Zum Schluss dieser Debatte erhält der Kollege

Sebastian Hartmann das Wort für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Sebastian Hartmann (SPD):
Rede ID: ID1817402700

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon
einiges zur Einordnung des ersten Integrationsgesetzes
in Deutschland gesagt worden. Ich halte mich mit der

Stephan Mayer (Altötting)







(A) (C)



(B) (D)


historischen Einordnung zurück . Etwas kritisch ist die
Opposition. Ich sage Ihnen: Seien Sie nicht so kritisch!
Schauen Sie sich das Gesetz zuerst genau an . Das ist die
dringende Empfehlung, die ich nur unterstreichen kann.

Es gibt zwei Vergleichsmöglichkeiten. Einerseits kann
man ganz klar auf das Einwanderungsgesetz verweisen.
Das ist in der Debatte geschehen . Der zweite ganz we-
sentliche Punkt ist aber, dass wir, wenn wir den Zeitrah-
men vergleichen, doch viel schneller sind als bei den Be-
ratungen des Zuwanderungsgesetzes, die sich immerhin
von 2001 bis 2005 hingezogen haben. Mit dem Integra-
tionsgesetz 2016 machen wir einen ganz großen Schritt,
und das kann man nicht hoch genug einschätzen.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817402800

Herr Kollege Hartmann, lassen Sie eine Zwischenfra-

ge des Kollegen Beck zu?


Sebastian Hartmann (SPD):
Rede ID: ID1817402900

Ja, gerne .


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817403000

Sie haben die Opposition aufgefordert, ins Gesetz zu

schauen . Das habe ich mir zu Herzen genommen .


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Endlich! – Zurufe von der SPD: Erst jetzt?)


Ich möchte Sie fragen, weil das Bundesinnenminis-
terium uns das am Mittwoch nicht beantworten konnte:
Wo ist die Regelung des § 29 Absatz 2 Asylgesetz, nach
der ein Asylbewerber, der aus einem sicheren Drittstaat
kommt, nach drei Monaten den Anspruch hat, dass sein
Asylverfahren hier in Deutschland betrieben wird, wenn
er bis dahin nicht aus dem Land geschafft werden konn-
te? Ist die Regelung weg? Ist das gewollt?


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Wenn sie nicht mehr drin ist, ist sie weg!)


Oder habe ich sie einfach nicht gefunden?


Sebastian Hartmann (SPD):
Rede ID: ID1817403100

Lieber Herr Kollege Beck, vielen Dank für Ihre Fra-

ge. Ich habe sehr lange an dem Forum Menschenrechte
teilgenommen, an dem auch Sie zeitweilig teilgenommen
haben .


(Zurufe von Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


– Diese Bemerkung muss dann aber auch erlaubt sein. –
Danke, dass Sie die Frage aufwerfen . So kann man das
in der parlamentarischen Beratung für alle Beteiligten
deutlich machen.

Sie haben die Frage an die Bundesregierung gerichtet,
weil Pro Asyl diese Frage aufgeworfen hatte. Die Bun-
desregierung hat Ausführungen über die Unbeachtlich-
keit eines Antrages, die Unzulässigkeit eines Antrages
und über die rechtssystematische Gleichstellung gemacht
und dargelegt, dass es aus Sicht der Bundesregierung –

der Innenminister nickt an dieser Stelle – um eine Rechts-
klarstellung geht. Das hat die Regierung deutlich gesagt.

Ich habe mir eine Notiz gemacht. Wir beginnen heute
mit den Beratungen des Integrationsgesetzes .


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war nicht meine Frage!)


– Ich beantworte Ihre Frage. Sie müssen aber auch zuhö-
ren, Herr Beck. Ich glaube, das ist die minimale Anfor-
derung an jeden, der an der parlamentarischen Beratung
teilnimmt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich verlasse mich auf die Aussage – da spreche ich
für viele Kolleginnen und Kollegen –, dass es um eine
Rechtsklarstellung geht und nicht um einen Abbau von
Rechten von Menschen, die in einem Asylverfahren auf
den Rechtsstaat vertrauen .


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war aber nicht die Frage! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Frage war: Wo ist § 29 Absatz 2?)


Wir werden darauf achten, dass es eine Rechtsklarstel-
lung ist. Messen Sie uns doch an der Aussage, die vom
Innenministerium getroffen worden ist .


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann ja nicht sein, wenn die Regelung fort ist!)


– Wieso kann das nicht sein, Herr Beck, wenn es eine
Angleichung an andere Verfahren ist? – Sie haben das im
Zusammenhang mit dem EU-Türkei-Abkommen gesagt .
Es geht uns darum, dass der Rechtsstand, den wir vor der
Einbringung des Entwurfes hatten, erhalten bleibt. Das
ist der Punkt . Das war der Diskussionsstand . Wir begin-
nen heute mit den Beratungen. Ich schlage vor, dass wir
dann, wenn wir den Gesetzentwurf abschließend beraten,
genau diese Frage beantworten. Es wäre schön, wenn Sie
sich dann dem anschließen könnten, was wir hier gerade
gesagt haben. – Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die SPD hat sich erfolgreich in den Verhandlungen
dafür eingesetzt, dass Rechte und Pflichten miteinander
im Einklang stehen. Das eine bedingt untrennbar das
andere. Das Integrationsgesetz ist ein ganz wesentlicher
Schritt, um für die Integration einen klaren rechtlichen
Rahmen zu schaffen . Aber wir wissen auch, dass eine
erfolgreiche Integration eine klare Orientierung und ein
klares Leitbild braucht. Dieses Leitbild müssen wir ge-
meinsam entwerfen . Das ist eine gemeinsame Aufgabe
von Bund, Ländern und Kommunen. Deswegen geht
mein Dank insbesondere an die Kommunen, in denen ein
großes ehrenamtliches Engagement zu finden ist. Ich er-
innere auch an die Katastrophenfälle durch die Unwetter,
die wir jetzt in unserem Land haben. Auch da sehen wir

Sebastian Hartmann






(A) (C)



(B) (D)


das ehrenamtliche Engagement, das unser Land voran-
gebracht hat .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir werden dem auf Bundesebene auch gerecht . Wir
tragen unseren Teil bei, indem wir nationale und europä-
ische Lösungen anbieten. Wir steuern die Verfahren über
das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, und wir
übernehmen die finanzielle Verantwortung für diese Auf-
gabe. Einen ganz zentralen Schritt aber gehen wir heute,
indem wir gute Rahmenbedingungen für die Integration
auf Bundesebene setzen, und zwar mit diesem Gesetz .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Einen Punkt möchte ich besonders herausstreichen.
Ich komme aus Nordrhein-Westfalen. Kollegen der Lin-
ken und der Grünen, da kann man nur klatschen, wenn
man aus NRW kommt.


(Beifall des Abg. Mahmut Özdemir [Duisburg] [SPD])


– Danke, Herr Kollege Mahmut Özdemir. – Nord-
rhein-Westfalen wurde von der Financial Times Deutsch-
land zur Zukunftsregion Nummer 1 gewählt. In Nord-
rhein-Westfalen gibt es mehr Investitionen – die Statistik
der Bundesbank weist das aus – als in Baden-Württem-
berg und Bayern zusammen. Nordrhein-Westfalen ist
auch ein beliebtes Ziel der EU-Binnenwanderung. Genau
darum nehmen wir eine Wohnsitzzuweisung auf Zeit vor .
Wir wollen den Prozess steuern, damit in Metropolräu-
men, zum Beispiel an Rhein und Ruhr, Luft geholt wer-
den kann, um Wohnen und Arbeiten zusammenzubringen .
Ich komme aus dem ländlichen Raum Nordrhein-Westfa-
lens. Auch dort kann man gut leben und arbeiten. Darum
brauchen wir in Abstimmung mit den Ländern und den
Kommunen diese wichtige Wohnsitzauflage.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Lassen Sie mich abschließend sagen: Wir schaffen ein
faires Angebot . Wir gehen einen weiteren Schritt und set-
zen die Rahmenbedingungen für gelingende Integration,
indem wir Rechte und Pflichten im Integrationsprozess
miteinander in Einklang bringen. Wir bieten allen Inte-
grationswilligen und Integrationsbegierigen in unserem
Land ein faires und gerechtes Verfahren im Integrations-
prozess und schaffen so ein gemeinsames Fundament
für Erfolg – nicht nur für die integrationswilligen und
integrationsbegierigen Flüchtlinge, sondern auch für uns
Deutsche .

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817403200

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf der Drucksache 18/8615 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt

es andere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann stel-
le ich Ihr Einverständnis fest, und die Überweisung ist so
beschlossen.

Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 27:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Tom
Koenigs, Omid Nouripour, Luise Amtsberg,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Eine Menschheit, gemeinsame Verantwor-
tung – Für eine flexible, wirksame und zuver-
lässige humanitäre Hilfe

Drucksache 18/8619
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f)

Auswärtiger Ausschuss

Auch zu dieser Debatte ist nach einer interfraktionel-
len Vereinbarung eine 60-minütige Aussprache vorgese-
hen. – Offenkundig ist das einvernehmlich. Dann verfah-
ren wir so .

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Tom Koenigs für die Antragstellerin.


Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817403300

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Die Herausforderungen an die humanitäre Hilfe sind
exponentiell gestiegen. Der weltweite Bedarf an humani-
tären Hilfsleistungen ist zwischen 2005 und 2016 um das
Vierfache gestiegen. Die Summe aller koordinierten Ap-
pelle der Vereinten Nationen in diesem Jahr für 88 Mil-
lionen Menschen in 38 Ländern ist auf 20,1 Milliarden
Dollar gestiegen. Gleichzeitig gibt es für 2015 die größte
Finanzierungslücke mit 8,7 Milliarden Dollar. 42 Pro-
zent der ärmsten Menschen leben heute in konfliktbe-
troffenen, fragilen Staaten. 80 Prozent aller Krisen, die
internationale Hilfe erfordern, sind bewaffnete Konflikte
oder komplexe Notlagen. Das heißt, wir können nicht
mit denselben Antworten auf diese immens gewachsenen
Probleme reagieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Martin Patzelt [CDU/CSU])


Dem haben sich die Vereinten Nationen gestellt. Der
Humanitäre Weltgipfel kam genau im richtigen Moment.
9 000 Teilnehmer aus 173 Staaten, 55 Staats- und Regie-
rungschefs waren dort; es gab Tausende von Teilnehmern
aus der Zivilgesellschaft. Das war das größte Zusammen-
treffen von Staaten und NGOs in den 70 Jahren des Be-
stehens der Vereinten Nationen. Die Debatte wurde eröff-
net durch das vorbereitende Papier des Generalsekretärs
„One Humanity: Shared Responsibility“. Schon dieses
Papier hat Zeichen gesetzt. Humanitäre Hilfe heißt heu-
te nicht nur humanitäre Nothilfe; es heißt immer mehr
Führung, Gestaltung, Initiative und Investitionen in die
Menschen. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen
hat Fortschritte in fünf Bereichen angemahnt: Krisenprä-
vention, humanitäres Völkerrecht und Menschenrechte,
Flüchtlingspolitik, Wirksamkeit der Hilfe und finanziel-
les Engagement.

Sebastian Hartmann






(A) (C)



(B) (D)


Die humanitären Katastrophen sind heute in der Regel
menschengemacht: durch Kriege und Konflikte, krasse
Missachtung von humanitärem Völkerrecht, direkte und
geplante Angriffe auf Zivilisten, fehlende Einigkeit der
internationalen Gemeinschaft in der Flüchtlingsfrage –
nicht solche Petitessen wie der Streit zwischen Bayern
und der Kanzlerin – und Maßnahmen gegen den Klima-
wandel. Im Zentrum der Bemühungen dürfen nicht Orga-
nisationen und Staaten, sondern müssen die Betroffenen,
die Notleidenden stehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es zeigt sich, dass Zelte und Nahrungsmittel zwar im
ersten Moment notwendig sind, Flüchtlinge bleiben
aber im Durchschnitt 17 Jahre in den Ländern, wo sie
dann landen. Das heißt, diese allererste, sicher wichtige
Nothilfe reicht nicht aus. Es muss eine Verzahnung geben
zwischen schneller Nothilfe und nachhaltigen Rehabili-
tations- und Entwicklungsmaßnahmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Erkenntnis, dass die Aufnahme größerer Flücht-
lingskontingente ein „common public good“ ist, das An-
erkennung sowie politische und finanzielle Unterstützung
verdient, wächst nur langsam. Wir lernen das beim Liba-
non, bei Jordanien, aber auch bei Pakistan, Kenia, Tansa-
nia. Das sind die Länder, die die meisten Flüchtlinge auf-
nehmen . Wir machen gerade unsere Erfahrungen mit der
Türkei, ebenfalls einem der größten Aufnahmeländer von
Flüchtlingen. Was wir in Europa machen, wird natürlich
von diesen Ländern ganz genau beobachtet. Und wenn
ein kleines oder großes Land die Grenzen schließt, muss
man sich überlegen, was das dann als Symbol für Länder,
die Millionen von Flüchtlingen aufnehmen, heißt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das wird Nachahmer finden. Deshalb muss Deutschland
mehr als ein verlässlicher Geber sein. Wir müssen die in-
ternationale humanitäre Politik aktiv mitgestalten, Refor-
men anstoßen und auch voranbringen. Der Humanitäre
Weltgipfel hat Anstöße gegeben durch Anregungen, Ver-
sprechungen und Initiativen. Aber es braucht die Lang-
fristigkeit, die Nachhaltigkeit und den Gestaltungswillen
führender Staaten und führender Politikerinnen und Po-
litiker.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Frank Schwabe [SPD])


Bei diesem Gipfel war Deutschland prominent ver-
treten . Der Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses
hat teilgenommen, die Bundeskanzlerin, der Bundesau-
ßenminister und der Bundesminister für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sind sogar heute hier!)


Das ist bemerkt und auch gelobt worden, bis hin zur New
York Times. Wir dürfen aber nicht nur einer der größten
Zahler sein. Vielmehr müssen wir immer mehr auch zu
einem der Gestalter werden. Das ist noch nicht so richtig
angekommen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Botschaften des Humanitären Gipfels waren: Hu-
manitäre Hilfe darf nicht länger Antwort auf weltweite
politische Passivität und Substitut für fehlende politische
Entscheidungen sein. Die notleidenden Menschen müs-
sen im Mittelpunkt stehen; die Instrumente zur Behebung
der Not müssen verzahnt werden, man muss auf gemein-
same Ziele hinweisen. Die Weltgemeinschaft steht dies-
bezüglich erst am Beginn. Das heißt, auch die Debatte
braucht Nachhaltigkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


42 Prozent aller Menschen in Not leben in fragilen
Staaten. Das heißt, die Konfliktprävention bedarf eines
viel größeren Impulses. Wir müssen mehr auf die lokalen
Systeme setzen, statt sie zu ersetzen .


(Michael Brand [CDU/CSU]: So ist das!)


Ich glaube, es ist richtig, wenn die Vereinten Nationen
anfangen und ihre acht größten Organisationen in einer
gemeinsamen Anstrengung zusammenbringen, um die
Planung, die Umsetzung und die Instrumente gemeinsam
zu diskutieren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Diese Reformen müssen auch in den Mitgliedsländern
erfolgen. Auch wir müssen besser planen und eine ge-
meinsame kohärente, mehrjährige, ressortübergreifende
Nutzung der Instrumente finden.

Die Einhaltung des internationalen humanitären Völ-
kerrechts ist keine Selbstverständlichkeit. Allein in Syri-
en sind in der letzten Zeit 370 Angriffe auf Krankenhäu-
ser und Gesundheitsstationen erfolgt. 650 medizinische
Helfer sind dem zum Opfer gefallen. Aber wir müssen
auch dieses Recht weiter gestalten. Einige Staaten, ge-
führt von Österreich, haben auf dem Gipfel eine Initiative
lanciert, um die Verwendung von explosiven Waffen in
dichtbesiedelten Gebieten zu stoppen. Diese Waffen sind
die Pest in Aleppo bzw. in Syrien insgesamt. Das muss
aufhören.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Martin Patzelt [CDU/CSU])


Es gab eine Initiative dazu. Deutschland hat sie nicht
unterstützt. Ich frage, warum. Das wäre ein Beitrag zum
humanitären Völkerrecht gewesen.

Ein Follow-up – und wir haben viele Follow-ups in
unserem Antrag – könnte auch sein, dass wir im institu-
tionellen Bereich unsere Expertise, unsere Kapazität im
Hinblick auf Diskussion, Innovation und Reform verbes-
sern. Business as usual kann es nicht sein. Im Bereich
der Menschenrechte haben wir das Deutsche Institut für
Menschenrechte, eine sehr segensreiche, unabhängige
Institution .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Frank Schwabe [SPD])


Im Bereich der humanitären Hilfe haben wir nichts Ver-
gleichbares. Wir sollten darüber nachdenken, ob hier
nicht ein Thinktank, ein Laboratorium der Ideen, das die
humanitäre Hilfe inspiriert, evaluiert und verstärkt, an
der Zeit ist. Ob es nun Institut für humanitäre Hilfe oder

Tom Koenigs






(A) (C)



(B) (D)


Institut für humanitäre Angelegenheiten – also weiter ge-
dacht – heißen soll, kann man diskutieren. Aber es muss
in europäische Strukturen eingebunden sein, Debatten in
die Öffentlichkeit tragen, aber auch Debatten aus der Öf-
fentlichkeit aufnehmen, wie es das Deutsche Institut für
Menschenrechte tut .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich glaube, auch die deutsche humanitäre Hilfe verträgt
eine regelmäßige Evaluation und eine intensive und dau-
ernde hochrangige Diskussion im Menschenrechtsaus-
schuss .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Martin Patzelt [CDU/CSU])


Es ist an der Zeit, über ein solches Institut, eine Institutio-
nalisierung der Innovation, der Innovationsfähigkeit und
auch der Einmischung, in der Folge des Humanitären
Weltgipfels ernsthaft nachzudenken.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817403400

Erika Steinbach ist die nächste Rednerin für die CDU/

CSU-Fraktion .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Erika Steinbach-Hermann (Plos):
Rede ID: ID1817403500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor

drei Jahren waren 40 Millionen Menschen weltweit auf
der Flucht oder als Migranten unterwegs. Vor zwei Jah-
ren waren es schon 50 Millionen Menschen. Heute sind
es bereits 60 Millionen, manche sprechen sogar schon
von 70 Millionen. Die Zahl der bedrängten Menschen,
die ihre Heimat aus den unterschiedlichsten Gründen
verlassen mussten oder in existenzbedrohenden Situati-
onen in der Heimat leben, steigt und steigt deutlich er-
kennbar weiter an. Der Bedarf an humanitärer Hilfe, um
überhaupt die ärgste Not zu lindern – da geht es nicht um
Luxushilfe, sondern um Überlebenshilfe –, hat sich von
2012 bis 2015 auf 20 Milliarden US-Dollar verdoppelt.

Immer wieder erleben wir aber, dass die nötigen Mit-
tel, die zur Hilfe gebraucht werden, nicht rechtzeitig oder
auch nicht ausreichend zur Verfügung gestellt werden.
Darum war es gut – ich glaube, es war sogar überfällig;
aber die Vorbereitung dauerte drei Jahre –, dass der Hu-
manitäre Weltgipfel stattgefunden hat in einer Zeit, in der
jeder die Probleme sehen kann – wie auch wir tagtäglich
auf den Bildschirmen. Angesichts der Vielzahl an Krisen
und Konflikten und angesichts der Tatsache, dass über
die Flüchtlinge hinaus weitere Menschen in ihrer Heimat
dringend auf Hilfe der Vereinten Nationen angewiesen
sind, war die Initiative des Weltgipfels dringend erforder-
lich. Man geht insgesamt von 125 Millionen Menschen
aus, die zum nackten Überleben Hilfe benötigen. Staaten
und Zivilgesellschaften sind bei diesem ersten Huma-
nitären Weltgipfel zusammengekommen, um Wege und
Möglichkeiten zu finden, den humanitären Bedürfnissen

in einer sich rasch verändernden Welt besser und auch
schneller gerecht zu werden.

Unsere Bundesregierung – das war sehr erfreulich –
war im Gegensatz zu den fünf Vetomächten des Sicher-
heitsrates der Vereinten Nationen hochrangigst vertreten:
Die Bundeskanzlerin war da, ebenso der Bundesaußen-
minister, der Bundesminister für wirtschaftliche Zusam-
menarbeit und Entwicklung, und Kollegen waren auch
dabei. Das war ein deutliches Signal, zu zeigen, für wie
brisant wir aus deutscher Perspektive dieses Thema hal-
ten . Es war gut, dass wir so hervorragend vertreten wa-
ren .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dieser Gipfel war keine Geberkonferenz, in der aus-
schließlich über finanzielle Hilfen verhandelt wurde.
Es ging um ganz Grundsätzliches. Aber Deutschland
hat dennoch zugesagt, seinen Beitrag für den Nothilfe-
fonds der Vereinten Nationen um 10 Millionen Euro auf
50 Millionen Euro anzuheben. Der Fonds soll, ja er muss
sogar – das betrifft alle Staaten – dringend auf insgesamt
1 Milliarde Dollar verdoppelt werden, um überhaupt al-
len Menschen helfen zu können.

Deutschland ist in diesem Jahr mit einem Beitrag von
rund 1,3 Milliarden Euro der drittgrößte internationale
Geber und hat als Vorreiter für innovative humanitäre
Hilfe den Weltgipfel von Beginn an auch inhaltlich mit-
geprägt. Obgleich die Summe der international bereitge-
stellten und zugesagten Hilfen seit Jahren steigt, decken
die Mittel bei weitem nicht den Bedarf; denn im Schnitt
kommen jährlich nur rund zwei Drittel der von den Ver-
einten Nationen benötigten Gelder tatsächlich zusammen
und herein. Viele der Länder, die zugesagt haben, etwas
zu leisten, zahlen ganz einfach nicht. Noch nie war die
Finanzierungslücke für Nothilfe so groß wie im vergan-
genen Jahr. 2015 kamen nur 55 Prozent des benötigten
und seitens der Staaten auch zugesagten Geldes zusam-
men . Auch in den ersten fünf Monaten dieses Jahres ging
erst ein Fünftel des Budgets ein.

Für die Bedürftigen bedeutet weniger Geld im Ge-
samttopf ganz konkret natürlich auch weniger Hilfe. So
mussten 2015 die Lebensmittelhilfen für syrische Flücht-
linge im Nahen Osten deutlich gekürzt werden. Am Ende
blieben Flüchtlingen zum Beispiel in Jordanien zeitwei-
se umgerechnet nur etwa 50 Cent pro Tag für Nahrung.
50 Cent pro Tag! Dies war eine wesentliche Ursache
dafür, dass sich im vergangenen Jahr über 1 Million
Menschen auf den Weg nach Deutschland und Europa
gemacht haben. Das darf sich so nicht wiederholen.

Deutschland stellt sich seiner internationalen Verant-
wortung und geht mit gutem Beispiel voran. Aber wir
müssen erreichen, dass auch die anderen Staaten ihre
Verpflichtungen am Ende erfüllen. Diese Zusagen müs-
sen eingehalten werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das ist letztendlich auch im Interesse aller – der Betroffe-
nen, die Hilfe brauchen, aber auch der Länder, die Hilfe
geben; denn man kann von vornherein Flüchtlingsströme
vermeiden und den Menschen die Heimatnähe besser er-
halten.

Tom Koenigs






(A) (C)



(B) (D)


Deutschland setzt sich ja seit langem für einen Para-
digmenwechsel in der humanitären Hilfe ein. Wir wollen
eine vorausschauende Hilfe, die Betroffenen, wo immer
möglich, in den Krisengebieten stärken, damit sie dort
verbleiben können und es ihnen möglich ist, in der Nähe
ihrer Heimat zu bleiben, und dass sie sich eben nicht auf
lebensgefährliche Fluchtwege begeben müssen. Wir se-
hen ja Tag für Tag, dass im Mittelmeer Menschen ertrin-
ken – auch in den letzten Tagen wieder.

Wie das große Engagement der Bundesregierung zur
Bewältigung der humanitären Krise infolge der Gewalt
in Syrien und im Irak zeigt, findet bereits heute eine enge
Verzahnung von humanitärer Hilfe mit Maßnahmen der
Entwicklungszusammenarbeit statt. Die Ministerien ar-
beiten sehr gut zusammen. Grundsätzlich muss es, liebe
Kolleginnen und Kollegen, unser Ziel sein, den Opfern
von Flucht und Vertreibung und den Migranten mög-
lichst heimatnah zu helfen. Das ist der richtige Weg so-
wohl für die betroffenen Menschen als auch für unseren
Kontinent.

Denn eines wissen wir auch: Die weltweiten Migra-
tionsströme, die Flüchtlingsbewegungen können weder
in der Europäischen Union noch in ganz Europa noch
in Deutschland geheilt werden. Vor diesem Hintergrund
war es eine hervorragende Sache, dass der Humanitäre
Weltgipfel gerade jetzt, in dieser Zeit, mit einem intensi-
ven deutschen Engagement stattgefunden hat . Dass sich
Deutschland so hochrangig dort hinbegeben hat, ist ein
Zeichen, dass wir dieses Thema auch ernst nehmen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817403600

Inge Höger ist die nächste Rednerin für die Fraktion

Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Inge Höger-Neuling (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817403700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 1 500 Zu-

sagen und Selbstverpflichtungen präsentierte UN-Ge-
neralsekretär Ban Ki-moon am Ende des Humanitären
Weltgipfels in Istanbul vor gut einer Woche. Neben
zahlreichen finanziellen Versprechungen kündeten die
unterzeichnenden Staaten und Organisationen an, zu-
künftig der Achtung des humanitären Völkerrechts mehr
Aufmerksamkeit zu schenken. Das klingt gut und ist
dringend notwendig. Doch kein einziger dieser zahllosen
Merkposten wurde verbindlich beschlossen. Es handelt
sich bei allem um Absichtserklärungen, um Papier, um
teures Papier .

Der Gipfel in Istanbul war eine Chance, den aktuel-
len humanitären Krisen entschieden zu begegnen. Diese
Chance wurde jedoch weitgehend verspielt. Angesichts
der Notlagen in den Flüchtlingscamps, des Sterbens an
den Grenzen Europas, der andauernden Kriege und der
zunehmend dramatischeren Folgen des Klimawandels
sind die Antworten des Gipfels beschämend unkonkret.


(Beifall bei der LINKEN)


Das Wichtigste wären verbindliche Absprachen darüber,
dass humanitäre Hilfe in Notlagen unparteiisch und neu-
tral bei all den Menschen ankommt, die Hilfe brauchen.

Doch bereits der Ort des Gipfels, Istanbul, war ein
politisches Problem. Präsident Erdogan setzt seine au-
toritäre Politik immer ungenierter durch. Er bekämpft
seine politischen Gegner mit aller Brutalität. In den kur-
dischen Gebieten sind schon Tausende Menschen ums
Leben gekommen, überwiegend Angehörige der Zivil-
bevölkerung; genaue Angaben haben wir nicht, da auch
die Presse mit aller Härte bekämpft wird. In zwei Wah-
len hat Erdogan versucht, die linke Opposition aus dem
Parlament zu drängen. Da dies nicht funktionierte, hat er
wenige Tage vor dem Gipfel die Immunität der HDP-Ab-
geordneten aufheben lassen. Nun kann er sie mit will-
kürlichen Verfahren ebenso ins Gefängnis schicken wie
bereits zahllose Journalistinnen und Journalisten sowie
weitere Oppositionelle.

Erdogan lässt an den Grenzen auf Flüchtlinge schie-
ßen und zerstört die Demokratie im eigenen Land. Er
schafft fortwährend neue Fluchtgründe. Und was macht
die deutsche Regierung? Sie versucht, den Streit in der
Koalition über die Flüchtlingspolitik dadurch zu lösen,
dass sie Erdogan für die Abschottung der Außengrenzen
der EU Milliarden in den Rachen wirft. Diese Politik ist
eine Schande .


(Beifall bei der LINKEN)


Ein glaubwürdiger Gastgeber für ehrlich gemeinte hu-
manitäre Politik ist Erdogan, der Flüchtlinge zwischen-
zeitlich sogar ins Kriegsgebiet zurückschicken lässt, be-
stimmt nicht .

Doch zurück zu den weltweiten humanitären He-
rausforderungen. Laut Angaben des Gipfelsprechers
stammen 92 Prozent aller Kriegsopfer aus der Zivilbe-
völkerung und sind mindestens 125 Millionen Menschen
weltweit auf humanitäre Hilfe angewiesen. Wenn nicht
bald die Weichen hin zu zivilen Ansätzen für Konfliktbe-
arbeitung, für eine verantwortungsvolle Klimapolitik
und für eine gerechte Weltwirtschaftsordnung gestellt
werden, dann könnte die Zahl der Hilfsbedürftigen noch
deutlich größer werden. Das ist keine Zeit für unverbind-
liche Ankündigungen.


(Beifall bei der LINKEN)


37 Millionen Kinder aus Konfliktgebieten haben kei-
nen Zugang zu Bildung. Nimmt man die Kinder dazu, die
nur sporadisch Bildungsangebote erhalten, kommt man
zu dem Ergebnis, dass etwa 75 Millionen keinen aus-
reichenden Zugang zu Bildung haben. Nicht einmal die
Hälfte der Flüchtlingskinder in den Lagern rund um Syri-
en erhalten Schulunterricht. Es ist wichtig, diesen jungen
Menschen, die eine unerträgliche Gegenwart durchleben,
wenigstens eine Chance für die Zukunft zu geben .


(Beifall bei der LINKEN)


Zum Glück wurde das in Istanbul diskutiert. Auf dem
Gipfel wurde ein Bildungsfonds mit dem passenden Ti-
tel „Bildung kann nicht warten“ beschlossen. Er soll mit
einer Summe von 3,8 Milliarden Dollar in den kommen-
den fünf Jahren etwa 13 Millionen Kindern helfen. Das

Erika Steinbach






(A) (C)



(B) (D)


ist ein Anfang, aber es reicht bei weitem nicht . Wenn es
dabei bleibt, dann muss der größte Teil der betroffenen
Kinder nach wie vor auf Bildung warten. Das ist nicht
zufriedenstellend.


(Beifall bei der LINKEN)


Es sind etwa 2 Milliarden Dollar pro Jahr für Bildungs-
programme notwendig. Für den Bildungsfonds ist nur
ein Drittel dieser Summe zugesagt, aber nicht eingezahlt
worden. Verschiedene Länder verquicken diese Zusage
mit privaten Spendengeldern. So gibt etwa die britische
Regierung eine Anschubfinanzierung von 30 Millionen
Pfund. Weitere 100 Millionen Pfund sollen durch private
Spenden kommen .

Private Spendenbereitschaft ist schön, Hilfe darf aber
nicht von dieser Bereitschaft abhängig sein.


(Beifall bei der LINKEN)


Die reichen Staaten sind in der Pflicht, die Strukturen
der Hilfe so zu gestalten, dass sie zuverlässig und auch
längerfristig zur Verfügung steht. Es geht hier tatsächlich
um ein grundlegendes Problem der humanitären Hilfe.
Es gibt zwar private Spendenbereitschaft, aber sie ist
meistens nur kurzfristig für Themen und Regionen mobi-
lisierbar, die gerade besonders im Fokus der Öffentlich-
keit stehen. Ein zuverlässiges Hilfesystem lässt sich so
kaum organisieren .

Ein anderes Thema: Kanzlerin Merkel lobte es als
gutes Zeichen, dass viele Unternehmen an dem Gipfel
teilnahmen. Die Bilder von dem Gipfel wirkten teilweise
wie die einer großen Messe, auf der unterschiedlichste
Unternehmen ihre Dienstleistungen auf dem wachsenden
Markt der organisierten Hilfe anboten. Aus humanitärer
Sicht kann dies jedoch problematisch sein. Wenn Hilfe
zum Geschäft wird, dann kann es schnell passieren, dass
nicht mehr die Bedürfnisse der Menschen im Mittelpunkt
stehen, sondern die Rentabilität die Entscheidung beein-
flusst.


(Beifall bei der LINKEN)


Unser Fokus muss auf der Menschlichkeit und dem
Recht der Menschen auf ein würdiges Leben und Über-
leben liegen. Lassen Sie mich angesichts der unsäglichen
Äußerungen aus dem rechten Lager in diesem Land auch
Folgendes sagen: Wir sehen Kinderaugen nicht als Er-
pressung, sondern als Verpflichtung.


(Beifall bei der LINKEN)


Auch Vereinbarungen zum Schutz von Helferinnen
und Helfern sind dringend notwendig. Die Hilfsorgani-
sation „Ärzte ohne Grenzen“ blieb dem Gipfel fern, weil
dieses Thema nicht genügend ernst genommen wird . Es
hilft auch nicht, wie Frau Merkel in ihrer Rede in Istanbul
sagte, nur auf verschiedene Bürgerkriegsfraktionen zu
zeigen, wenn gleichzeitig NATO-Verbündete, zum Bei-
spiel in Afghanistan, Kliniken bombardieren. Vergleich-
bares passierte auch im Jemen, wo saudische Streitkräfte,
gut ausgestattet mit westlichen Waffen, wiederholt Kran-
kenhäuser bombardiert haben. Notwendig sind also klare

Absprachen, das Völkerrecht einzuhalten und keine hu-
manitären oder UN-Einrichtungen anzugreifen.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Kriegspolitik der NATO-Staaten muss beendet wer-
den. Sie sind lange genug mit schlechtem Beispiel vo-
rangegangen .

Wichtig ist auch ein Stopp von Waffenlieferungen in
Krisen- und Konfliktregionen. Waffenlieferungen sind
keine Lösung, sondern Teil des Problems. Jede Waffe fin-
det ihren Krieg. Notwendig sind ernsthafte Bemühungen
um politische Lösungen zur Beendigung von Kriegen
und Konflikten. Notwendig ist zivile Krisenprävention.


(Beifall bei der LINKEN)


Wie bereits erwähnt, sind weltweit etwa 129 Millionen
Menschen auf die Hilfe der UN und ihrer Partner ange-
wiesen. Von denen für humanitäre Hilfe nötigen 20 Mil-
liarden Dollar für dieses Jahr ist höchstens ein Fünftel bei
den UN angekommen. Es darf nicht sein, dass bis Ende
des Jahres 2015 nur etwa die Hälfte der benötigten Gel-
der eintrifft. Es darf nicht sein, dass das Welternährungs-
programm kein Geld für die Hungernden im Jemen oder
in Somalia hat, dass der Weltgesundheitsorganisation die
Mittel zur rechtzeitigen Hilfe bei Gelbfieberepidemien
in Zentralafrika fehlen oder die Lebensmittelrationen für
die Flüchtlinge aus Syrien reduziert werden. All dies ist
im wahrsten Sinne des Wortes ein Armutszeugnis .

Der Hinweis, dass Deutschland bereits zu den Län-
dern gehört, die sehr viel Geld für humanitäre Hilfe zur
Verfügung stellen, lenkt da nur ein wenig ab. Gemessen
am Bruttoinlandsprodukt lag Deutschland im letzten Jahr
hinter den skandinavischen Ländern. Schweden und Nor-
wegen haben 0,13 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts
gegeben und damit viermal so viel wie die Bundesrepu-
blik, die etwa 0,03 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung ge-
geben hat .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817403800

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.


Inge Höger-Neuling (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817403900

Ich stelle mir vor, dass man sich auf dem nächsten Hu-

manitären Weltgipfel eindeutig darauf verpflichtet, dass
die Weltgemeinschaft alle Ressourcen zur Verfügung
stellt, die nötig sind, um die Not aller Menschen zu lin-
dern, die Hilfe brauchen, ausnahmslos.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817404000

Für die Bundesregierung erhält nun der Staatsminister

Michael Roth das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Michael Roth (SPD):
Rede ID: ID1817404100

Vielen Dank, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! 1,5 Milliarden Menschen leben in Krisenge-
bieten. 125 Millionen Menschen sind auf akute Nothilfe

Inge Höger






(A) (C)



(B) (D)


angewiesen, und mehr als 60 Millionen Menschen sind
auf der Flucht. Das sind erschreckende Zahlen. Sie er-
schrecken nicht nur uns hier im Bundestag, sie erschre-
cken viele Menschen, aber es darf nicht beim Erschre-
cken bleiben.

Deshalb danke ich Ihnen allen auch dafür, dass es uns
nicht zuletzt mit Ihrer Unterstützung gelungen ist, dem
Thema Menschenrechte und humanitäre Hilfe mehr Be-
deutung beizumessen . Sie haben dazu beigetragen, dass
Deutschland zwischenzeitlich zum drittgrößten Geber
im Bereich der humanitären Hilfe zählt. Wir werden in
diesem Jahr 1,3 Milliarden Euro zur Verfügung stellen.
Und wir alle wissen, liebe Kolleginnen und Kollegen, es
reicht am Ende des Tages nicht .

Die beschämende Situation des vergangenen Jahres ist
schon beschrieben worden. Meine Zahlen, Herr Kollege
Koenigs, sind noch schlimmer als die Ihrigen. Wir hatten
im vergangenen Jahr eine Unterdeckung im Bereich der
humanitären Hilfe von 15 Milliarden US-Dollar.

Aber trotz aller Krisen, nicht nur der von Menschen
gemachten Krisen, wie das Herr Koenigs eben sagte,
sondern auch der Naturkatastrophen und des Klimawan-
dels, von dem wir heute noch gar nicht wissen, was dieser
für Menschen wirklich bedeutet, die in noch stärkerem
Maße von Naturkatastrophen betroffen sein werden, ist
mir wichtig, eines noch einmal zu unterstreichen: Unsere
Menschenrechts- und Entwicklungspolitiker, diejenigen,
die sich der internationalen Arbeit verpflichtet fühlen, die
sich der Humanität verpflichtet fühlen, hatten in den ver-
gangenen Jahren oftmals ein Akzeptanzproblem. Aber
nicht zuletzt seitdem die Tragödien der Welt ein Gesicht
bekommen haben und die Menschen zu uns kommen und
uns an ihren tragischen Geschichten teilhaben lassen, ist
das Bewusstsein der einen Welt gewachsen.

Das Geld, die Hilfe, die Kreativität, der Mut und die
Leistung, die wir außerhalb Europas investieren im Mitt-
leren und Nahen Osten, in Afrika, in vielen leidgeplagten
Regionen der Welt, sind gut angelegt. Deshalb freue ich
mich, dass wir nicht nur hier im Bundestag eine politi-
sche Mehrheit für diese Politik haben. Nein, wir haben
eine breite gesellschaftliche Mehrheit. Ich darf hinzufü-
gen: Wenn das nur in anderen Politikbereichen genauso
der Fall wäre.


(Beifall bei der SPD)


Als jemand, der selbst an einer Reihe von Geberkon-
ferenzen teilgenommen hat, kann ich den Eindruck der
Kolleginnen und Kollegen nur bestätigen: Auf Gipfeln
etwas zuzusagen, ist relativ einfach. Es dann aber auch
wirklich umzusetzen und die Mittel zur Verfügung zu
stellen, ist ungleich schwieriger. Ich darf Ihnen aber auch
versichern – ich bin mir ziemlich sicher, die meisten von
Ihnen werden das bestätigen –, dass Deutschland als ein
zuverlässiger Partner in der Welt gilt.


(Beifall des Abg. Charles M. Huber [CDU/ CSU] – Lachen bei Abgeordneten der LINKEN)


Unser Wort hat Gewicht, weil wir zu unseren Zusagen
stehen .

Eben ist deutlich gemacht worden, dass wir mehr tun
müssen für Bildung. Genau darum geht es doch bei dem
Abkommen mit der Türkei. Darum geht es im Libanon,
wo wir in diesem Jahr etwa 330 Millionen Euro zur Ver-
fügung stellen wollen. Wir haben uns nicht nur in Istan-
bul, sondern bereits auf der Geberkonferenz in London
darauf verpflichtet, dass ab dem Schuljahr 2016/2017
jedes Flüchtlingskind die Chance auf ein Schulangebot
erhält. Dafür wird das Geld investiert, und es ist deshalb
auch dort gut angelegtes Geld, ob in der Türkei, im Liba-
non, in Jordanien oder auch in vielen anderen Ländern.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Botschaft dieses Gipfels in Istanbul ist: Wir müs-
sen raus aus dem permanenten Krisenmodus, bei dem
wir immer nur von einer Katastrophe zur nächsten eilen.
Unser Ziel für die Zukunft ist ein System, das auf länger-
fristiger Planung, vorausschauendem Handeln und soli-
der Finanzierung beruht. Zur soliden Finanzierung habe
ich schon etwas gesagt, und zur längerfristigen Planung
vermag ich auch etwas zu sagen .

Wir haben den gesamten Bereich der humanitären Hil-
fe auf Mehrjährigkeit ausgelegt.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir ergänzen das auch im Bereich der Stabilisierung. Wir
haben vor allem die Mittel für Gemeinschaftsfonds aus-
geweitet, um auch den Initiativen vor Ort die Planungssi-
cherheit zu geben, die sie dringend brauchen. Also auch
hier, finde ich, haben wir in Istanbul durchaus über die
170 Selbstverpflichtungen hinaus deutlich gemacht: Man
darf nicht nur reden, sondern man kann auch konkret et-
was tun .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Lassen Sie mich noch einen weiteren Punkt benennen,
der mich vermutlich am meisten umtreibt; auch da stehe
ich nicht alleine. Istanbul hat auch ein klares Signal dafür
gesetzt, dass es absolut inakzeptabel ist, die humanitären
Prinzipien des Völkerrechts weiter mit Füßen zu treten.
Es ist grauenhaft, zu erleben, dass – in Syrien und an-
dern orts – Hilfsorganisationen nicht den Zugang haben,
um Menschen mit dem Lebensnotwendigsten zu versor-
gen, dass Krankenhäuser und Schulen beschossen wer-
den, dass Menschen, Kinder verhungern müssen, weil
dem Deutschen Roten Kreuz, dem Roten Halbmond und
vielen anderen Organisationen das Geld zwar zur Verfü-
gung steht, aber das Geld eben nicht dort ankommt, wo
es dringend gebraucht wird .

Deshalb muss es uns tagtäglich darum gehen, das kla-
re Signal von Istanbul immer wieder zu realisieren. Der
humanitäre Zugang von Vertretern von Hilfsorganisatio-
nen in zivile Einrichtungen muss von allen gewährleistet
und garantiert werden. So viel Grundverantwortung und
so viel Mindestkonsens muss in dieser Welt doch mög-
lich sein, um dafür zu sorgen, dass nicht am Ende noch
die Kranken, die Kinder, die Schwachen, die, die sowieso
schon den größten Preis zu zahlen haben, sterben und die

Staatsminister Michael Roth






(A) (C)



(B) (D)


Belasteten sind. Ich hoffe, dass in Istanbul wirklich alle
diese Signale verstanden haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Zum Schluss: Ja, es geht nicht nur um humanitäre
Hilfe. Sie kann die politischen Lösungen nicht ersetzen.
Aber auch hier stelle ich mich sehr selbstbewusst vor sie.
Denn ob es nun Syrien ist, ob es die Ukraine ist, ob es
Libyen ist, wir bemühen uns überall – nicht nur aus der
Ferne, sondern in aktiver Teilnahme an den Verhandlun-
gen – darum, dass Frieden und Stabilität nicht nur ein ab-
straktes Hoffnungsversprechen, sondern baldmöglichst
wieder eine konkrete Zusage für viele Menschen auf dem
Globus sein werden.

Ich danke Ihnen dafür, dass Sie uns in dieser Politik
entschieden und auch mit mancher konstruktiven Kritik
unterstützen .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1817404200

Michael Brand erhält nun das Wort für die CDU/

CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Michael Brand (CDU):
Rede ID: ID1817404300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es ist mir heute bei dieser Debatte ein Anliegen, meine
Rede anders zu beginnen und einen Mann zu würdigen,
der es verdient hat, der nicht bloß von humanitärer Hil-
fe gesprochen, sondern konkret geholfen hat, und zwar
den Bedürftigsten, denjenigen, die ums nackte Überleben
kämpfen mussten.

Er war unabhängig, er war unbequem. Er war auch
umstritten, rastlos, oft unkonventionell und kompro-
misslos, aber immer hatte er den einzelnen Menschen im
Blick. Es waren vermutlich gerade diese Eigenschaften,
die auch notwendig waren, dass er dort helfen konnte,
wo noch niemand oder nie ein Helfer war. Es waren sein
Charakter und seine Haltung, die es tatsächlich geschafft
haben, den öffentlichen Fokus auf weggeblendete Orte
zu werfen und – das ist das Wichtigste – Menschenleben
zu retten .

Rupert Neudeck, der vor drei Tagen gestorben ist, war
ein humanitärer Kämpfer. Er war ein Kämpfer für die
Schwachen, ein kompromissloser Menschenfreund, ein
Überzeugungstäter der guten Taten. Ich erinnere mich gut
daran, als ich ihn mit Anfang 20 kennenlernte. Ich war
damals bei einer Menschenrechtsorganisation in Bosni-
en-Herzegowina engagiert. Ich lernte ihn in Flüchtlings-
lagern in Albanien und in Mazedonien kennen. Ich erin-
nere mich an ein Ereignis. Es muss kurz vor Ostern 1999
in der Grenzstadt Blace in Mazedonien gewesen sein, als
Hunderttausende von Flüchtlingen aus dem Kosovo dort-
hin vertrieben wurden. Der UNHCR hatte gesagt: Wir le-
gen nach Ostern richtig los, weil jetzt die Feiertage sind.
Rupert Neudeck stand dort fassungslos im Schlamm und

sagte: Das darf alles nicht wahr sein. – Das war gleich-
zeitig der Antrieb, zu sagen: Wir packen jetzt hier an. Wir
können es uns doch nicht ernsthaft leisten, jetzt in Urlaub
zu gehen, wenn die Not am größten ist. Rupert Neudeck
hat auf konkrete Vorschläge, wenn zum Beispiel, was
oft geschieht, gesagt wurde: „Man müsste mal dies tun“
oder: „Man sollte mal jenes tun“, meist geantwortet: Wa-
rum fangen wir nicht einfach damit an?


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, er hat sich auch in
die aktuelle Flüchtlingsdebatte eingemischt, manchmal
auch alle politischen Lager überrascht. Das war auch der
Fall, als er kürzlich sagte:

Ich möchte nicht, dass Menschen für die Reinheit
meines pazifistischen Gewissens sterben.

Auch das hat manche irritiert. Sicher hätte er auch zu der
heutigen Debatte manches zu sagen – wahrscheinlich
auch manches Kopfschütteln. Lieber Rupert: Für alles,
was du getan hast, ein herzliches „Vergelts Gott“!


(Beifall im ganzen Hause)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Humanitäre
Weltgipfel war – ich zitiere – „irgendwie doch mehr als
Blabla“. So hat das Ereignis ein deutscher Journalist in
Istanbul kommentiert. Er hat recht: Man darf den Gip-
fel nicht überhöhen, aber man darf ihn eben auch nicht
kleinreden. Über 170 Staaten und rund 600 NGOs sind
dem Ruf des UN-Generalsekretärs Ban Ki-moon in der
letzten Woche gefolgt. Auch ich durfte als Vorsitzender
des für humanitäre Hilfe zuständigen Bundestagsaus-
schusses der deutschen Delegation angehören.


(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Der Humanitäre Weltgipfel war eine Premiere. Und:
Ja, er war auch bitter nötig. Nie gab es mehr Menschen,
die Hilfe zum Überleben brauchen, nämlich 125 Millio-
nen Menschen, davon 60 Millionen, die auf der Flucht
sind. Das ist die größte Zahl seit dem Zweiten Weltkrieg.
Angesichts zahlreicher und vor allen Dingen – lieber
Herr Koenigs, Sie haben das gesagt – langandauernder
Krisen und Katastrophen verzeichnen wir einen stark
anwachsenden Bedarf bei der Finanzierung humanitärer
Hilfe.

Beim Umgang mit dieser Katastrophe geht es um
nicht weniger als um einen Paradigmenwechsel. Die
Perspektive der humanitären Hilfe muss sich künftig
noch viel stärker verändern: von einer rein reaktiven Hil-
feleistung nach einer Krise zu einem vorausschauenden
Handeln zur Vermeidung von Krisen. Wir begrüßen sehr,
dass die Bundesregierung hier wichtige Schritte getan
hat, um sich auf diese Zäsur einzustellen. Der Ausschuss
für Menschenrechte und humanitäre Hilfe hat in dieser
Wahlperiode vielfache Initiativen ergriffen – in öffentli-
chen Anhörungen und Expertengesprächen, national und
international –, zu den Qualitätsstandards für die huma-
nitäre Hilfe und auch jetzt zum Humanitären Weltgipfel
und seinen Folgen.

Staatsminister Michael Roth






(A) (C)



(B) (D)


Dass Deutschland in Istanbul mit der Bundeskanzle-
rin, dem Außenminister und dem Entwicklungsminister
hochrangig vertreten war, unterstreicht, dass die Dring-
lichkeit der Herausforderungen jedenfalls dort inzwi-
schen angekommen ist . Dass aber die erste Reihe der
anderen europäischen Regierungen durch Abwesenheit
geglänzt hat – und das, obwohl wir in Europa eigentlich
alle gemeinsam das größte Interesse haben sollten, zu
gemeinsamen Lösungen zu kommen –, genauso wie die
Vetomächte, kann ich nur als kurzsichtig und ignorant
bezeichnen .

Die Initiative für diesen Gipfel war und ist richtig,
weil er bereits in der Vorbereitung einen dringend not-
wendigen Prozess der Veränderung in einer sich dyna-
misch verändernden Welt angestoßen hat.

Gelöst ist nichts. Umso mehr kommt es jetzt, nach
Istanbul, darauf an, gemeinsam konkrete Schritt umzu-
setzen. VENRO, der Verband Entwicklungspolitik und
Humanitäre Hilfe deutscher Nichtregierungsorganisa-
tionen, hat recht: Das humanitäre System ist in seiner
derzeitigen Struktur den gewaltigen Herausforderungen
nicht gewachsen. Es ist unterfinanziert, agiert zu schwer-
fällig und zentralisiert. Wir brauchen deshalb – da stim-
me ich mit dem Kollegen Koenigs wieder überein – eine
stärkere Dezentralisierung und Lokalisierung humanitä-
rer Hilfe.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, was muss eigentlich
noch passieren, dass nach großspurigen Ankündigungen
auf internationalen Geberkonferenzen das zugesagte
Geld auch dort ankommt, wo es am nötigsten gebraucht
wird? Ich glaube, der Humanitäre Weltgipfel muss als
Ausgangspunkt für eine konkrete und umfassende Re-
form des humanitären Systems genutzt werden. Wir alle
müssen die Krise zum Wendepunkt machen und sie auch
als Chance sehen, die Ursachen nicht länger und konse-
quent zu ignorieren.

Niemand sollte sich einbilden, dass sich die Krisen
von allein erledigen, dass man sie aussitzen könnte und
es möglich wäre, so weiterzumachen wie bisher. Dass es
so weit kommen konnte, zeigt auch, wo die Versäumnis-
se liegen. Jeder erinnert sich an den Dezember 2014 –
der frühere UN-Flüchtlingskommissar Guterres hat es ja
erwähnt –: Die Einstellung des World-Food-Programms
für 1,7 Millionen Flüchtlinge war der eigentliche Auslö-
ser für die Fluchtwelle. Wahr ist doch: Massenhaft Chan-
cen, gnadenlos vergeigt! Viel zu lange haben wir alle ak-
zeptiert, dass man Fakten einfach ignoriert .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, niemand sollte heu-
te – das ist eine andere Seite – unterschätzen, wie groß
auch die Chancen sind, etwas zu bewirken, wenn diese
Ursachen für Armut, Perspektivlosigkeit und Flucht ak-
tiv, rechtzeitig und mit den richtigen Mitteln bekämpft
werden. Der globale Bildungsfonds für Kinderflüchtlin-
ge ist ein wichtiger Start. Eine verlorene Generation dür-
fen wir einfach nicht akzeptieren. Das hieße, sich an den
jungen Menschen zu versündigen. Auch das wird eine
Riesenherausforderung werden .

Wir dürfen die Augen vor den Realitäten nicht ver-
schließen, und wir müssen nach Istanbul zäh, aber auch

mit Tempo für Veränderungen arbeiten. Ich nenne hier
nur drei Punkte:

Erstens. Es braucht mehr Geld, eine bessere Organisa-
tion, Qualität und Effizienz.

Zweitens . Wir müssen raus aus dem permanenten
Krisenmodus und zu einer vorausschauenden Hilfe kom-
men, die auch neue Akteure, wie die Privatwirtschaft,
einbindet .

Drittens. Gerade diejenigen, die die Hilfe am nötigs-
ten brauchen, erreicht sie oftmals nicht – ich denke an
die Menschen in Syrien, im Jemen und im Südsudan –,
weil es keinen sicheren Zugang gibt. Das darf bei aller
Gipfelrhetorik nicht verdrängt werden.

Der EU-Kommissar für humanitäre Hilfe und Krisen-
management, Christos Stylianides, hat mir gestern im
Gespräch hier im Deutschen Bundestag gesagt, dass es in
Istanbul über 1 000 Selbstverpflichtungen gegeben hat.
Versprochen wurde in der Vergangenheit genug . Jetzt
ist endlich Umsetzung angesagt. Auch deshalb wäre es
richtig und notwendig, dass es einen Überprüfungsme-
chanismus gibt, zum Beispiel ein internationales Monito-
ring-System mit Berichtspflichten. Auch das ist für mich
eine Konsequenz aus diesem Gipfel in Istanbul. Jeder
muss erfahren, wer seine Zusagen eben nicht eingehalten
und gebrochen hat, und jeder muss es wissen, wenn außer
Worten nichts geblieben ist und die nächste Katastrophe
mit einem Achselzucken zur Kenntnis genommen wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn aus Worten
Taten werden, dann wird der Humanitäre Weltgipfel ein
großer Erfolg. Um es mit Rupert Neudeck zu sagen: Wa-
rum fangen wir nicht einfach damit an?


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1817404400

Der Kollege Frank Schwabe spricht als Nächster für

die SPD .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Frank Schwabe (SPD):
Rede ID: ID1817404500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Verehrte Damen und Herren! Ich glaube in der Tat, man
muss zunächst einmal mit einem Lob anfangen. Ich
kann nämlich die Kritik daran, wer alles aus Deutsch-
land nach Istanbul gereist ist, nicht nachvollziehen. Es
wurde gesagt, das wäre zu viel der Würde. Wie wäre es
denn eigentlich andersherum gewesen? Was wäre denn
gewesen, wenn die Bundeskanzlerin, der Außenminister
und der Entwicklungsminister bei einem solch zentralen
Thema nicht nach Istanbul gefahren wären? Dann wäre
die Kritik wahrscheinlich genau andersherum gewesen.

Sie wissen ganz genau: Die Vorbereitung begann vor
drei Jahren und mehr. Damals war nicht absehbar, welche
Debatten wir heute rund um die Türkei und um Istan-
bul führen werden. Insofern war es richtig – das ist auch

Michael Brand






(A) (C)



(B) (D)


wahrgenommen worden –, dass Deutschland dort hoch-
rangig vertreten war .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Darauf können wir uns nicht ausruhen, aber es ist gut,
dass Deutschland weltweit der drittgrößte Geber ist, und
wir werden uns bemühen – Frau Steinbach und ich haben
darüber schon geredet –, dass wir das Ganze auch haus-
halterisch entsprechend absichern.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


Es ist auch gut, dass Deutschland – so nehme ich das je-
denfalls wahr; das ist ja gerade auch gewürdigt worden –
im internationalen Konzert der Impulsgeber dafür war,
das humanitäre Hilfssystem auf eine andere Grundlage,
eine qualifizierte Basis, zu stellen.

Es war keine Geberkonferenz, über die wir hier reden .
Trotzdem muss man über Finanzen sprechen. Das will
ich gleich auch noch tun.

Vorab will ich aber das unterstreichen, was viele
Kolleginnen und Kollegen hier gesagt haben: In allem
Schlechten – gemeint ist die schwierige weltweite huma-
nitäre Lage – liegt auch etwas Gutes. Es ist die Chance –
wir haben ein neues Momentum –, ganz anders über die
humanitäre Hilfe für die 60 Millionen Flüchtlinge, von
denen Sie gesprochen haben, und für die 100 bis 200 Mil-
lionen Menschen – je nachdem, wie man das sieht –, die
auf humanitäre Hilfe angewiesen sind, zu reden.

Sich um die humanitäre Hilfe zu kümmern, ist eben
nicht „Nice to have“, also irgendetwas, was man auch
noch einmal machen kann, sondern es geht um das Le-
ben und die Würde von Menschen. Das allein wäre schon
Grund genug. Es geht aber eben auch um knallharte Au-
ßen- und Sicherheitspolitik. Es geht darum, ob bestimmte
Regionen der Welt dauerhaft stabilisiert oder destabili-
siert werden. Darüber reden wir bei der humanitären Hil-
fe im Kern.

Wir reden auch über Fluchtbewegungen, die ausgelöst
werden, wenn es keine ausreichende humanitäre Hilfe
gibt, und wir reden darüber, was eigentlich mit den Kin-
dern passiert, die zur Schule gehen müssen, das zurzeit
aber nicht können. Sie sind doch wirklich das Futter für
diejenigen, die sich terroristische Vorhaben auf der gan-
zen Welt vorgenommen haben. Auch das muss mit huma-
nitärer Hilfe unterbunden werden.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Humanitäre Weltgipfel kann nur ein erster Auftakt
für eine solche intensivierte Debatte sein. Er funktioniert
eben nicht wie Klimakonferenzen, bei denen wir am
Ende einen Mechanismus haben und Dinge völkerrecht-
lich verbindlich verabredet werden, sondern der Gipfel
funktioniert im Moment nur über Einzelverabredungen,
die hier aufgezählt worden sind, und darüber, dass man
sich eine Liste von Themen vornimmt, über die man re-
den will. Dazu ist auch ein Papier verabschiedet worden,
das sogenannte Grand Bargain, also der große Deal oder

wie auch immer man das übersetzen will, in dem die Din-
ge, die Sie gerade benannt haben, stehen .

Die Fragen sind: Wie kann man humanitäre Hilfe
mit Entwicklungszusammenarbeit verzahnen, nicht ver-
schmelzen? Verschmelzen funktioniert nicht, weil die
Prinzipien unterschiedlich sind. Wie kann man dabei hel-
fen, dass Akteure, zum Beispiel die Geflüchteten, in die
Entscheidungsstrukturen eines Systems humanitärer Hil-
fe hineingenommen werden? Wie können wir lokale Or-
ganisationen stärken? Wie können wir eine mehrjährige
Finanzierung organisieren? Wie können wir Konfliktprä-
vention entsprechend stärken? Das Entscheidende wird
sein, dass auf diesen Gipfel etwas folgt und es entspre-
chend weitergeht. Die Struktur, wie das weitergehen soll,
ist noch nicht klar. Das muss aber im Laufe dieses Jahres
klar werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, was mich immer
wieder fassungslos macht, ist die Tatsache, wie stark die-
ses humanitäre Hilfssystem unterfinanziert ist. Trotz allen
Lobs über die London-Konferenz haben wir im Rahmen
der Hilfe für Flüchtlinge und für geflüchtete Menschen
aus Syrien eine Unterfinanzierung. Wir haben eine dra-
matische Unterfinanzierung bei der humanitären Hilfe im
Südsudan, im Jemen und bei dem El-Niño-Phänomen.
Wir haben bei der Finanzierung ein Loch von mindestens
15 Milliarden US-Dollar. Das ist mehr als die Hälfte des-
sen, was wir in der humanitären Hilfe brauchen.

Ich will die letzten Sekunden meiner Redezeit, die ich
noch habe, dafür nutzen, klarzumachen, wie wenig Geld
das am Ende ist. Man muss wirklich mit dem Begriff „Pe-
anuts“ aufpassen, aber das sind Peanuts. Dieses Geld ist
ein Zwanzigstel von dem, was die weltweit 100 größten
Rüstungsfirmen jedes Jahr mit Waffenverkäufen umset-
zen. Es ist weniger als das, was Großbritannien und die
Türkei für den Bau eines neuen Atomkraftwerks planen.
Es ist nur die Hälfte dessen, was zum Beispiel Herr Zu-
ckerberg besitzt, der sich immer wieder wohltätig geriert.

Es ist eben – das müssen wir uns klarmachen – bei
allem Lob über die deutsche Rolle weniger als die Hälfte
dessen, was für den Verteidigungsetat dieses Landes zur
Verfügung steht. Deswegen haben wir als Bundestag die
Aufgabe, uns zum einen für das zu loben, was wir in die
Haushalte eingestellt haben, aber zum anderen bei den
Haushaltsberatungen darauf zu achten, dass es zumindest
dabei bleibt und dass wir weitere Impulse finanzieller Art
in das internationale System geben können, damit wir
den unerträglichen Zustand der Unterfinanzierung been-
den und dafür sorgen, dass Terroristen die Nahrung ent-
zogen wird . Das ist unsere gemeinsame Verantwortung .

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Inge Höger [DIE LINKE])



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1817404600

Der Kollege Dr. Volker Ullrich spricht als Nächster für

die CDU/CSU .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Frank Schwabe






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Volker Ullrich (CSU):
Rede ID: ID1817404700

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Kriegerische Auseinandersetzungen und Natur-
katastrophen verursachen großes menschliches Leid. Der
Konflikt in Syrien und im Nord-Irak hat Millionen von
Menschen zu heimatlosen Flüchtlingen gemacht. Natur-
katastrophen wie Erdbeben in Haiti und Nepal verlangen
nach schneller Hilfe. Hungernde Menschen in der Sa-
helzone benötigen Nahrung und sauberes Wasser. Über
130 Millionen Menschen sind derzeit unmittelbar auf hu-
manitäre Hilfe angewiesen.

Das Leid und die Verzweiflung dieser Menschen sind
durch die Bilder spürbar, die uns täglich erreichen. Die
Antwort darauf, wie wir mit dieser Situation umzugehen
haben, hat uns der in dieser Woche verstorbene Rupert
Neudeck gegeben, an den auch ich im Rahmen dieser
Rede erinnern möchte. Er sagte:

... wir dürfen uns keine Verzweiflung leisten. Ver-
zweiflung ist eine Luxushaltung für einen Humani-
tären. Wir müssen immer überlegen, wie wir Wege
zu den Menschen finden.

Diese Wege zu Menschen in der Not ist die humanitäre
Hilfe. Wir leisten sie, weil unser Menschenbild uns ver-
pflichtet, solidarisch zu sein. Wir leisten sie gerne, weil
wir überzeugt sind, dass Mitmenschlichkeit ein Schlüssel
zu einer besseren Welt ist.

Der Bedarf an humanitärer Hilfe beträgt derzeit etwa
20 Milliarden Euro pro Jahr. Dieses Geld wird dringend
benötigt: für Nahrung, sauberes Wasser, ein Dach über
dem Kopf, Babynahrung und Medikamente. Es steht aber
nicht in ausreichendem Maß zur Verfügung. Allein 2015
blieb ein Betrag von 7 Milliarden Euro ungedeckt. Mei-
ne Damen und Herren, es ist nicht hinnehmbar, wie Leid
noch vergrößert wird, weil die Finanzierung der elemen-
taren humanitären Hilfe nicht sichergestellt werden kann.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Wir blicken auf die Flüchtlingslage in Jordanien. Die
Menschen dort haben erfahren, was es bedeutet, wenn
Gelder für Essensrationen drastisch gekürzt werden. Ich
formuliere klar und deutlich: Dieses Beispiel muss uns
vor Augen führen: So etwas darf und soll nicht mehr vor-
kommen .

Die Frage, die sich die wohlhabenden Staaten dieser
Welt stellen müssen, ist eine ganz einfache: Wie kann es
sein, dass für viele Dinge Geld vorhanden ist, sich aber
oftmals der Eindruck erschließt, dass die Not von Men-
schen nicht die oberste Priorität hat?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wie kann es sein, dass Hilfsgelder erst zugesagt und
dann entgegen der Abrede nicht ausgezahlt werden?
Meine Damen und Herren, welchen Eindruck macht das
auf Hilfsorganisationen, die sich mit ihren Freiwilligen
in die Krisengebiete der Welt bewegen und dann feststel-
len, dass ihre elementare Finanzierung nicht sicherge-
stellt werden kann?

Wir brauchen deswegen eine Reform der humanitären
Hilfe mit folgenden Eckpunkten:

Erstens. Die Gelder müssen deutlich erhöht und im
vollen zugesagten Umfang unmittelbar zur Verfügung
stehen .

Zweitens . Wir brauchen funktionierende Mechanis-
men der humanitären Hilfe, welche eng mit langfristigen
Projekten der Entwicklungszusammenarbeit verknüpft
sind .

Unser Land geht, wie ich meine, mit gutem Beispiel
voran. Auf der Geberkonferenz in London sind bis 2018
2,3 Milliarden Euro anvisiert worden. Für das Welter-
nährungsprogramm werden wir über 500 Millionen Euro
beisteuern. Auf dem Gipfel in Istanbul hat Deutschland
einen Betrag von 50 Millionen Euro für den UN-Nothil-
fefonds zugesagt .

Es gab noch keinen Bundesminister für wirtschaftli-
che Zusammenarbeit und Entwicklung wie Gerd Müller,
der so intensiv und nachhaltig für die Erhöhung der Mit-
tel für die Entwicklungszusammenarbeit geworben hat.


(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat er heute Geburtstag?)


Das ist gelebte Verantwortung. Dafür sagen wir herzli-
chen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für den Personenkult! – Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Franz Josef Strauß!)


Wir brauchen neben der Stärkung der humanitären
Hilfe auch eine Stärkung des Rechts. Wir erleben derzeit
einen Zustand der Krise des humanitären Völkerrechts.
Ein elementarer Grundsatz des humanitären Völker-
rechts besteht darin, dass jedem geholfen werden muss
und kann, unabhängig von Kultur, Religion, Herkunft
oder einer etwaigen Angehörigkeit zu einer Konfliktpar-
tei, und dass die Helfer ungefährdet ihre Arbeit verrich-
ten können.

Leider wird dieses Prinzip zunehmend gebrochen. Wir
müssen erleben, dass Krankenhäuser bombardiert und
Ärzte und Pflegepersonal angegriffen und verletzt wer-
den oder gar ihr Leben verlieren. Wir müssen erleben,
dass Kriegsflüchtlinge zur Zielscheibe werden und selbst
ihre Zufluchtsorte nicht verschont bleiben.

Am 28. April dieses Jahres sind mindestens 30 Men-
schen bei der Bombardierung einer Klinik im syrischen
Aleppo ums Leben gekommen. Am 5. Mai ist ein Flücht-
lingslager in der Provinz Idlib bombardiert worden.
Mehr als 28 Menschen verloren dabei ihr Leben. Diese
Angriffe sind als das zu bezeichnen, was sie sind: Es sind
Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Mensch-
lichkeit.

Die Täter müssen der Rechenschaft zugeführt wer-
den. Es wäre auch notwendig gewesen, dass die Welt-
gemeinschaft auf diesen Verstoß gegen das humanitäre
Völkerrecht eine noch deutlichere Antwort gefunden hät-






(A) (C)



(B) (D)


te. Diese Antwort wäre notwendig, um eine Geltung und
Wiederherstellung des Rechts zu ermöglichen.

Meine Damen und Herren, wir werden die Ergebnisse
von Istanbul wohlwollend und konstruktiv begleiten. Wir
wissen, dass dieser Gipfel nicht das Ende oder das Ergeb-
nis einer langen Wegstrecke ist. Er ist vielmehr der An-
fang, um durch unsere Generation Menschlichkeit und
Hilfe für die Schwachen zu erreichen.

Ich darf zum Schluss dieser Debatte noch einmal an
Rupert Neudeck erinnern, der unlängst gefragt wurde,
wie er denn die Kraft aufbringe, zu helfen. Da antwortete
er – ich zitiere ihn –:

Es ist ein Geschenk, in einer so freien Gesellschaft
zu leben. Ich will den Menschen etwas zurückge-
ben .

Inspiriert habe ihn dabei das Gleichnis vom barmherzi-
gen Samariter . Diese Geschichte – so sagte er – trete ihm
immer wieder in den Bauch, und sagt: Du bist zuständig
für die Not anderer Menschen, jetzt und sofort.

In diesem Sinne, meine Damen und Herren, lassen Sie
uns das Bewusstsein schaffen, und lassen Sie uns han-
deln!

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1817404800

Zum Abschluss dieser Aussprache spricht die Kolle-

gin Dr. Ute Finckh-Krämer für die SPD.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD):
Rede ID: ID1817404900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer oben auf den Tribü-
nen! Die letzte Rednerin in der Debatte hat immer die
Chance, auf das einzugehen, was die Vorrednerinnen und
Vorredner gesagt haben, und hat die Möglichkeit, auf das
hinzuweisen, was jetzt nach der Debatte kommt. Das will
ich gerne tun .

Das eine ist – das muss hier, glaube ich, noch einmal
gesagt werden –, dass ein so großer Gipfel mit einem so
langen Vorlauf, wie er in Istanbul stattgefunden hat, nicht
aufgrund aktueller politischer Entwicklungen in eine an-
dere Stadt umgelegt werden kann. Das heißt, die Alterna-
tive wäre gewesen, den Humanitären Weltgipfel abzusa-
gen. Ich glaube, wir sind alle froh, dass er stattgefunden
hat: wegen der vielen Tausend Menschen, die sich da-
rauf vorbereitet haben, wegen der Vereinbarungen, die
dort getroffen wurden, wegen der 170 Verpflichtungen,
die Deutschland eingegangen ist, von denen uns vorges-
tern der Vertreter des Auswärtigen Amtes im Menschen-
rechtsausschuss berichtet hat und die wir im Menschen-
rechtsausschuss zusammen mit dem Antrag, der heute
vorgelegt und diskutiert worden ist, natürlich analysieren
und diskutieren werden .

Insofern ist es richtig und wichtig, dass der Gipfel
stattgefunden hat, auch wenn man rückblickend sagen

würde, angesichts der aktuellen Entwicklungen wäre
vielleicht ein anderer Ort besser gewesen. Es kommt aber
noch der Flüchtlingsgipfel in New York am 19. Septem-
ber. Ich hoffe, dass bis dahin in New York nichts pas-
siert, was dann diesen Tagungsort auch irgendwie infrage
stellt. Insofern: Es geht weiter.

Es geht auch hier im Bundestag weiter . Es wurde
schon gesagt, dass wir sehen müssen, dass wir weiterhin
so viel Geld für humanitäre Hilfe zur Verfügung stellen,
wie wir es in diesem Jahr getan haben. Darauf können wir
in den Beratungen des Ausschusses für Menschenrechte
und humanitäre Hilfe achten, und da sind vor allem auch
unsere Haushälter gefragt. Wir werden als Bundestag na-
türlich darauf achten, dass die Milliarden Euro, die von
der EU der Türkei zugesagt wurden, nicht irgendwo von
der türkischen Regierung vereinnahmt werden, sondern
dass diese Milliarden Euro in konkrete Projekte für die
2,7 Millionen Flüchtlinge, die in der Türkei sind, einge-
setzt werden .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir können auch weiterhin, wie wir das bisher zum
Teil schon getan haben, die Arbeit des Koordinierungs-
ausschusses Humanitäre Hilfe begleiten, der ja eine fast
einmalige Organisation ist, in der staatliche und nicht-
staatliche Akteure der humanitären Hilfe in Deutschland
zusammenarbeiten. Wir können natürlich immer wieder
die Bundesregierung befragen, was denn aus den Ver-
pflichtungen, die sie in Istanbul und auf anderen Kon-
ferenzen eingegangen ist, geworden ist. Und wir können
den einen Punkt weiterverfolgen, der im Chair’s Sum-
mary des Humanitären Weltgipfels vorkommt und der
mich sehr gefreut hat, nämlich: Wie können eigentlich
Konflikte, die zu Not, zu Bedarf an humanitärer Hilfe
führen, friedlich beigelegt werden? Wie kann die Eskala-
tion von Konflikten zu Krieg und Bürgerkrieg verhindert
werden? Wie können Friedensprozesse in Ländern, wo es
schon bewaffnete Konflikte gibt, unterstützt werden mit
diplomatischen Mitteln, aber auch mit Mitteln der Me-
diation? Wie können die Vereinten Nationen unterstützt
werden, die über eine nicht übermäßig gut ausgestattete
Mediation Support Unit verfügen? Wie können die Frie-
densprozesse unterstützt werden, an denen Deutschland
im Augenblick beteiligt ist, etwa in Libyen oder in Syri-
en? Wie können lokale Organisationen einbezogen wer-
den, um Friedensprozesse zu unterstützen?

In diesem Jahr haben wir im Rahmen der OSZE-Prä-
sidentschaft die Chance, ein Land zu unterstützen, das
noch gar nicht genannt wurde, nämlich die Ukraine, wo
es insgesamt 1,7 Millionen Flüchtlinge und Binnenver-
triebene gibt, die zwar nicht alle, aber teilweise auf hu-
manitäre Hilfe, Mittel der Übergangshilfe oder Mittel
der Entwicklungszusammenarbeit angewiesen sind. Wir
können zudem versuchen, langanhaltende Konflikte zu
beenden, bei denen noch immer Menschen als Vertriebe-
ne oder Flüchtlinge gelten, etwa den in Berg-Karabach.

Wir haben also noch eine Menge zu tun und umzuset-
zen . Die Arbeit hat erst begonnen . Wir werden uns ihr
stellen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Volker Ullrich






(A) (C)



(B) (D)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1817405000

Damit schließe ich die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/8619 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Kein Widerspruch erhebt sich. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 28 auf:

Vereinbarte Debatte

Weiterentwicklung  der  Exzellenzinitiative 
und Förderung des wissenschaftlichen Nach-
wuchses

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Widerspruch
höre ich keinen. Dann ist diese Redezeit so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-
nerin das Wort für die Bundesregierung Bundesministe-
rin Dr . Johanna Wanka .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren! Wir diskutieren in Deutschland über viele Dinge,
zum Beispiel sehr oft über das Thema Rente. Wie wird
sie sich entwickeln? In welchem Alter kann man in Ren-
te gehen? Wie sieht es in 10 oder 15 Jahren aus? Kön-
nen wir uns toll positionieren? Können wir Beschlüsse
fassen? Aber das alles ist Makulatur, wenn wir es nicht
schaffen, zu diesem Zeitpunkt wirtschaftlich leistungs-
fähig zu sein; denn es handelt sich um eine umlageori-
entierte Rente . Momentan sind wir in einer sehr guten
Situation. Wir sind die viertstärkste Industrienation der
Welt. Aber das bleibt nicht automatisch so. Deswegen
muss man vorausschauend denken .

Was bzw. wer sind die Basis für unsere wirtschaftli-
che Leistungsfähigkeit? Das sind Innovationskraft und
Fachkräfte. Die Hochschulen, das Herzstück des Wis-
senschaftssystems, sind für akademische Fachkräfte und
Innovationen in herausragendem Maße verantwortlich.
Man kann nicht einfach sagen: Es läuft gut, und das las-
sen wir so. – Vielmehr müssen wir überlegen, welches
die Herausforderungen der Zukunft sind und was man
ändern und strategisch bedenken muss. Genau das haben
wir getan . Unsere Ergebnisse, über die wir heute disku-
tieren, liegen Ihnen als Gesamtpaket vor.

Da ist zum einen die Exzellenzinitiative. Wir hat-
ten schon vor 20 Jahren, als viele Wirtschaftsführer
das anders gesehen haben, eine starke, leistungsfähige
Hochschullandschaft. Aber wir brauchten und brauchen
internationale Spitzenforschung; denn eine sichtbare
Spitzenforschung ist für die Wettbewerbsfähigkeit unse-
res Landes entscheidend. Wir brauchen nicht nur Breite,
sondern auch Spitze .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Damals, als wir vor rund zehn Jahren zum ersten Mal
über eine Exzellenzinitiative geredet haben, war ich ein
intensiver Verfechter in der KMK, Herr Rossmann, nicht
nur aufzulisten, welche Universitäten gut und spitze sind,
sondern auch wissenschaftsadäquat zu entscheiden. Wir
alle wissen, dass es eine Hochschule geben kann, die in
einem Bereich spitze ist, aber nicht in allen. Deswegen
sind Exzellenzcluster für uns – damit haben wir uns da-
mals auch durchgesetzt – das Wissenschaftsadäquate;
man kann ihre Ergebnisse gut messen . Man kann sehr gut
einschätzen, ob die Hochschule zum Beispiel im Bereich
der Biotechnologie Weltspitze ist oder etwas anderes.

Deswegen ist es für mich folgerichtig, dass wir in der
Nachfolge der Exzellenzinitiative jetzt den Exzellenz-
clustern den größten finanziellen Betrag einräumen. Von
den 533 Millionen Euro jährlich gehen 385 Millionen
Euro an die Exzellenzcluster. Es wird 45 bis 50 Exzel-
lenzcluster geben. Man kann sich fragen: Sind das nicht
zu viel? Wir haben eine unwahrscheinliche Breite in vie-
len Fächern. Deswegen glaube ich, dass das eine gut Zahl
ist, auch was die Finanzen betrifft .

Wir haben eine Empfehlung der Imboden-Kommis-
sion, für die ich große Sympathie hatte, umgesetzt. Das
heißt, wenn eine Hochschule einen Cluster einwirbt,
dann bekommt die Hochschulleitung 1 Million Euro
jährlich, für das zweite 750 000 Euro und für das dritte
500 000 Euro. Die Hochschulleitung kann diese Mittel
zur strategischen Profilierung nicht nur des Clusters, son-
dern der Hochschule insgesamt einsetzen. Wir wollen de-
zidiert auch kleine Cluster. Das war auch bisher möglich.
Das betrifft zum Beispiel die Geisteswissenschaften. Es
müssen nicht immer die großen Klopper sein. Der uni-
versitäre Zuschlag ist völlig unabhängig vom Finanzvo-
lumen des Clusters, das man einwirbt.

Das Besondere ist, dass wir nicht nur für sieben Jah-
re, sondern dauerhaft Spitzenforschung in Deutschland
fördern.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das heißt, dass es nach sieben Jahren einen neuen Wett-
bewerb gibt. Alle Cluster müssen sich neu orientieren
und neu bewerben .

Die Exzellenzuniversitäten müssen als notwendige
Voraussetzung zwei Exzellenzcluster haben, im Verbund,
der möglich ist, drei. Wir haben neue Möglichkeiten ge-
schaffen und sind bereit, als Bund dauerhaft institutionell
zu fördern. Wir binden diese Förderung aber an strikte
Voraussetzungen . Eine Voraussetzung ist, dass man wie-
der zwei Cluster einwirbt. Wenn man dieses nicht tut, ist
man klar aus der Riege heraus. Wenn man es aber schafft
und zwei Cluster einwirbt, ist man nicht automatisch
weiter im Geschäft, sondern dann wird evaluiert, ob das,
was die Hochschule in den letzten Jahren geleistet hat,
wirklich höchste wissenschaftliche Exzellenz ist.

Das ist das Prinzip, nach dem wir bei der Max-Planck-
Gesellschaft vorgehen. Die deutsche Wissenschaftsinsti-
tution, die im Ranking am höchsten steht – zweiter Platz
nach Harvard –, ist die Max-Planck-Gesellschaft. Wir
wollen aber erreichen, dass es nicht nur als Qualitätskri-
terium gilt, aus den USA oder anderen Teilen der Welt






(A) (C)



(B) (D)


zur Max-Planck-Gesellschaft zu gehen, sondern auch zu
einigen deutschen Universitäten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Man kann noch so viele Programme auflegen, aber
wenn es keine Wissenschaftler, gerade junge Leute, gibt,
die sich engagieren, die Ideen haben und gerne in dem
System arbeiten, dann wird unsere Strategie nicht effek-
tiv umgesetzt werden . Deswegen ist es wichtig, gute Ar-
beitsbedingungen und gute Karrierechancen im Wissen-
schaftssystem zu bieten . Wir haben einen ersten Schritt
dazu getan, indem wir die BAföG-Mittel zu 100 Prozent
übernommen haben. Das sind 1,17 Milliarden Euro jähr-
lich, die jetzt den Ländern zur Verfügung stehen.

Daraus kann man mehr als 10 000 Stellen finanzieren,
je nachdem, wie man sie ausstattet. Der Wissenschaftsrat
hat seinerzeit gefordert, bis 2023 einige Tausend Stellen
zu schaffen. Wir haben Mittel zur Verfügung gestellt, mit
denen wesentlich mehr Stellen geschaffen werden kön-
nen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD] – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für Schule und Hochschule!)


Die Mittel werden unterschiedlich genutzt, aber man
kann beruhigt sein: Das Geld gibt es unbefristet. Wenn
ein Land in dieser Richtung noch nicht gut entschieden
hat, kann es sich noch im nächsten Jahr oder in zwei Jah-
ren entscheiden. Das ist ohne Weiteres möglich.


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Dazulernen!)


Dieser Part ist von uns geleistet worden. Jetzt kommt
ein nächster Schritt, um Planungssicherheit zu schaffen
und Karrierechancen berechenbar zu machen. Das ist das
Tenure-Track-Programm .

Ich bin den Koalitionären sehr dankbar


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Wir auch!)


– genau –, dass sie sich entschieden haben, das mit einem
Koalitionsbeschluss zu bekräftigen. Wir kommen darauf
zurück, wenn es ums Geld geht. Aber ich bin sehr froh,
dass wir da an einem Strang ziehen .

Als damals die Juniorprofessur eingeführt wurde, gab
es viele Widerstände, gerade auch aus der Parteirichtung,
aus der ich komme . Ich war von Anfang an ein Verfechter
der Juniorprofessur. Die hat sich auch bewährt. Gerade
junge Frauen haben bei der Juniorprofessur bessere Chan-
cen als anderswo. Aber das Tenure-Track-Programm ist
etwas anderes . Bei einer Juniorprofessur hat man sechs
Jahre Zeit, um unabhängig und selbstständig zu forschen
und damit alle Voraussetzungen zu erwerben, um sich auf
eine Professorenstelle zu bewerben. Man hat zwar beste
Voraussetzungen, aber ansonsten keine Sicherheit .

Bei Tenure Track ist es so: Es gibt ein Ausschrei-
bungsverfahren. Man bewirbt sich. Nach sechs Jahren
hat man Rechtssicherheit; da hat man eine unbefristete
Stelle, falls man die nötige Leistung erbringt. Das ist also
ein anderes System. Weil es planbar ist, wird das dazu
führen, dass junge Leute, die jetzt woanders sind, zum

Teil auf schlechter dotierten, aber unbefristeten Stellen,
zurückkommen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das ist ein wichtiger Schritt .

Wir haben daran eine Bedingung geknüpft . Das war
zwingend notwendig; denn keiner hier im Saal hat Lust,
1 Milliarde Euro für die Finanzierung eines Vorhabens
auszugeben, wenn am Ende der Stand wie zuvor ist . Des-
wegen unsere klare Forderung – berechenbar und genau
quantifiziert –: Durch Tenure Track muss es zusätzlich
1 000 Stellen geben. Berücksichtigt wurde dabei, dass
die Situation zum Beispiel in Sachsen und in Thüringen
etwas schwieriger ist. Trotzdem: Es muss 1 000 zusätzli-
che Stellen geben.

Nachhaltigkeit kommt darin zum Ausdruck, dass es
nicht reicht, eine Tenure-Track-Stelle auszuschreiben,
das nötige Geld für sechs plus zwei Jahre zu nehmen und
dann alles wie vorher laufen zu lassen; vielmehr müssen
diese 1 000 Stellen immer wieder ausgeschrieben werden,
sodass wir flächendeckend in das Tenure-Track-System
hereinkommen . Damit werden wir einen Strukturwan-
del – wieder ist der Bund der Impulsgeber – auslösen.
Das, glaube ich, ist wichtig.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wenn die Forschungsergebnisse in den Hochschulen
gut sind und etwas Anwendungsorientiertes entstanden
ist, dann gelingt es auch, diese Ergebnisse in die Praxis
zu transferieren. Aber es gelingt nicht immer, und wir
verlieren noch an dieser Stelle. Deswegen ist es wichtig,
den Transfergedanken in den Hochschulen zu fördern.
Das Programm „Innovative Hochschule“ setzt genau da-
rauf. Da geht es um technologische, aber auch um ge-
sellschaftliche Innovationen. Da geht es nicht darum,
einen Transferbeauftragten zu haben – einen solchen
Beauftragten haben mittlerweile alle; und die machen
ihre Arbeit auch gut –, sondern es geht um neue Ideen,
ganzheitliche Konzepte, strategische Partnerschaften.
Wir wollen die Besten im innovativen Bereich. Dieses
Programm richtet sich insbesondere an Fachhochschulen
und an kleinere Universitäten. Auch diese Zielstellung ist
wichtig. Wir haben ja Hochschulen mit unterschiedlichen
Aufgaben .

Ich glaube, dass das Gesamtpaket, das wir vorgelegt
haben, kohärent ist. Es ist ein Paket, über das wir na-
turgemäß intensiv, das wir aber auch schnell diskutiert
haben, ein Paket, dem kein Wissenschaftsminister und
keine Wissenschaftsministerin widersprochen haben . Es
liegt jetzt auf dem Tisch der Ministerpräsidenten und der
Bundeskanzlerin, und dann, falls sie so entscheiden, wie
wir es uns wünschen, dann geht es los. Dann gibt es zwei
Monate später eine Ausschreibung für das Projekt „Inno-
vative Hochschule“, dann stehen für alle, die jetzt in der
Exzellenzinitiative erfolgreich waren, Übergangsfinan-
zierungen für zwei Jahre zur Verfügung; das gilt auch für
die Graduiertenschulen. Und Ende 2019 startet dann die
Förderung der Exzellenzuniversitäten.

Bundesministerin Dr. Johanna Wanka






(A) (C)



(B) (D)


Ich denke, es ist insgesamt ein Signal, dass wir nicht
nur die außeruniversitären Einrichtungen und vieles an-
dere schätzen, sondern dass wir auch den Hochschulen
wirklich ganz andere Möglichkeiten geben. Ich hoffe auf
Erfolg.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1817405100

Nächste Rednerin ist die Kollegin Nicole Gohlke,

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Nicole Gohlke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817405200

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Heute

geht es also um die Pakte, die Bund und Länder zur Fi-
nanzierung von Vorhaben an den Hochschulen geplant
haben. Die Opposition hätte sich gerne einzeln und in-
tensiver mit den verschiedenen Ansätzen auseinanderge-
setzt; denn diese Wissenschaftspakte sind ja keine Fuß-
noten und auch keine Kleinigkeit, sondern es geht um
Milliardenbeträge und darum, wie sie verteilt werden.

Wenn wir jetzt aber über alles zusammen diskutieren,
dann möchte ich gerne mit der Frage der Verhältnismä-
ßigkeit beginnen; denn da hat die Bundesregierung aus
unserer Sicht wirklich den größten Nachholbedarf. Man
hat das Gefühl, die Regierung hat jedes Gespür für das
Verhältnis von Spitzen- und Breitenförderung verloren.


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Sie kennen die Zahlen überhaupt nicht! 2,2 Milliarden Euro für den Hochschulpakt! Sie können nicht rechnen!)


Sie macht Milliarden für die Elitenförderung locker, und
der große Rest wird am Katzentisch mit ein paar Almo-
sen abgespeist .


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Ist ja unglaublich!)


Sie nennen das dann Elite und Exzellenz. Ich nenne das
verantwortungslos; denn es wird den Herausforderungen,
vor denen die Hochschulen stehen, einfach nicht gerecht.
Das ist das große Problem dieser Regierung.


(Beifall bei der LINKEN – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Das ist faktisch falsch! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Sie wissen, dass wir eigentlich gar nicht zuständig sind?)


Das große und ungelöste Problem an den Hochschu-
len heißt Unterfinanzierung, chronische und dauerhafte
Unterfinanzierung.


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Deswegen haben wir 1,2 Milliarden Euro für das BAföG bereitgestellt!)


Ich gebe Ihnen gerne auch noch einmal einen Einblick in
die Situation vor Ort, falls die Regierung das jetzt gerade
aus den Augen verloren haben sollte.

Da ist zum einen die völlig prekäre soziale Infrastruk-
tur. Der BAföG-Satz, der zum Oktober endlich einmal

erhöht wird, ist bereits zum Zeitpunkt seiner Erhöhung
wieder überholt und unzureichend.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Von der BAföG-Höhe träumen viele Auszubildende!)


Die Studierenden lernen in völlig überfüllten Seminaren,
Bibliotheken müssen ihre Öffnungszeiten einschränken,
und die Mensen sind so unterfinanziert, dass sie das Es-
sen verteuern .


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Studieren Sie in Moskau oder in Berlin?)


Das ist doch die Situation vor Ort.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: So ein Blödsinn!)


Das zweite, seit Jahren ungelöste Problem ist die
schlechte Situation für die Beschäftigten und für die
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Ändern wird
sich daran erst etwas, wenn wirklich Geld in die Hand
genommen wird, um verlässliche Karrierewege und Dau-
erstellen in der Wissenschaft zu schaffen


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Genau! Tenure Track! Wissenschaftszeitvertragsgesetz! 1,2 Milliarden Euro für das BAföG! All das machen wir!)


durch die Einrichtung von zusätzlichen Professuren, aber
vor allem doch durch dauerhafte Stellen im Mittelbau.


(Beifall bei der LINKEN)


Und was macht die Bundesregierung? Ehrlich gesagt,
Ihre Taktik ist: Scheuklappen an und weiter so, ein einfa-
ches Weiter-so mit der Politik der befristeten Pakte statt
endlich ein Einstieg in eine verlässliche Grundfinanzie-
rung .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Jetzt gibt es also drei Pakte: die Exzellenzinitiative
zur Förderung von wenigen Spitzenunis, einen Pakt zur
Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses an Uni-
versitäten und das Programm „Innovative Hochschule“
unter anderem für Fachhochschulen. Wenn Sie sich auch
noch so sehr bemühen, das jetzt als ausgewogenes Ge-
samtpaket zu verkaufen: Es ist das Gegenteil von ausge-
wogen. Es ist völlig aus dem Lot geraten.


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das ist ein Triple A!)


5,4 Milliarden Euro für die Spitze, davon 30 Prozent für
nur zehn Eliteunis, und gerade einmal ein Fünftel dessen,
was Sie für die Spitzenförderung mobilisieren, für die
Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses:


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Unser Gesamtetat hat 17 Milliarden Euro, Madame!)


Weniger als ein Zehntel der Summe bleibt dann für die
Forschung an Fachhochschulen.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das ist alles zu wenig? Dann machen wir am besten alles zu!)


Bundesministerin Dr. Johanna Wanka






(A) (C)



(B) (D)


Wer das als ausgewogen bezeichnet, der hat wirklich den
Schuss nicht gehört.


(Beifall bei der LINKEN)


Ihre Milliarden, die Sie für die Exzellenzinitiative aus-
geben, gehen auf Kosten der Breite, und das ist das Pro-
blem.


(Dr. Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: Sie haben das Prinzip nicht verstanden!)


Der Bericht der Imboden-Kommission hat gerade sehr
differenziert deutlich gemacht, was so ein einseitiges
Förderprogramm wie die Exzellenzinitiative bedeutet.
Es wäre schön, wenn man sich mit den Befunden auch
einmal etwas detaillierter auseinandersetzen würde.


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das haben Sie aber nicht getan!)


Es bedeutet nämlich – das steht alles in diesem Bericht –
eine Zunahme von befristeten Beschäftigungsverhält-
nissen. Es bedeutet eine Verschlechterung von Studien-
bedingungen, und das übrigens auch und gerade an den
sogenannten Exzellenzstandorten. Daneben hat der Be-
richt auch aufgezeigt, dass es nie eine Chancengleichheit
für Hochschulen im Bewerbungsverfahren gegeben hat.
Dieses Prinzip treiben Sie jetzt noch auf die Spitze, wenn
Sie die kleinen und mittleren Universitäten gleich ganz
vom Wettbewerb ausschließen. Das ist wirklich der völ-
lig falsche Weg.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das macht doch niemand!)


Auch das ohnehin sehr krude Argument, das Sie im-
mer bemüht haben, dass durch die wettbewerbliche Spit-
zenförderung auch die Breite gestärkt würde, wurde von
der Imboden-Kommission als reine Chimäre entlarvt.
Noch einmal zum Mitschreiben: Eine Breitenförderung
ist durch die Exzellenzinitiative nicht eingetreten.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Dafür ist sie auch nicht da! Exzellenzinitiative heißt Exzellenz und nicht Breite!)


Stattdessen hat sich die Spaltung in der Hochschulland-
schaft vertieft. Das politische Verständnis dieser Regie-
rung, dass sich Exzellenz immer nur auf besonders weni-
ge beziehen soll, ist, ehrlich gesagt, weder fortschrittlich
noch besonders ambitioniert .


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das ist beste Wissenschaftspolitik!)


Ich sage Ihnen, was wirklich exzellent wäre: Exzellent
wäre es, wenn man von guten Studienbedingungen und
hervorragenden wissenschaftlichen Bedingungen in der
Breite und für alle sprechen könnte. Das muss doch das
Ziel von Wissenschaftspolitik sein.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: Ihre Spitze ist zu breit!)


Kolleginnen und Kollegen, wenn es so weit ist, dass
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler berichten,

dass die Antragstellung für das Einwerben von Drittmit-
teln den größten Teil ihrer Tätigkeit ausmacht,


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Dann machen die was verkehrt!)


wenn um des Publizierens willen publiziert wird, weil
die entsprechende Kennzahl für das Einwerben von Ex-
zellenzmitteln wichtig ist, oder wenn es so weit ist, dass
Forschungsfragen eher danach ausgesucht werden, was
förderfähig ist,


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: So ein Quatsch! Niemand macht das!)


als danach, was die größte wissenschaftliche Erkenntnis
bringt, dann kann man ja wohl behaupten, dass da etwas
aus dem Lot geraten ist.


(Beifall bei der LINKEN)


Das ist eine Meinung, die gerade aus den Reihen der
Wissenschaft selbst kommt. Das zeigt doch die Petition,
die von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, von
Professorinnen und Professoren gestartet wurde und die
den Stopp der Exzellenzinitiative fordert.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Ein paar Verirrte gibt es immer!)


Auch beim Pakt für den wissenschaftlichen Nach-
wuchs fehlt der Bundesregierung der Blick für die Pro-
bleme vor Ort. Wir reden davon, dass sich 90 Prozent
der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von ei-
nem prekären Kurzzeitvertrag zum nächsten hangeln.
Wir reden von 160 000 wissenschaftlichen Mitarbei-
terinnen und Mitarbeitern im Mittelbau, und wir reden
von einer Betreuungssituation, in der auf einen Profes-
sor 70 Studierende kommen. Da kann man nur zu dem
Schluss kommen, dass die von der Regierung geplanten
1 000 Tenure-Track-Stellen an den Bedarfen vorbeige-
hen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: Prekär bezieht sich jetzt aber nicht auf das gleiche!)


Heruntergebrochen auf die einzelne Hochschule bedeu-
tet das gerade einmal zwei bis drei neue Stellen. Damit
ist doch an eine tatsächliche Verbesserung des Betreu-
ungsverhältnisses für die Studierenden wirklich nicht zu
denken .

Die Idee, sich an den Hochschulen endlich einmal um
die Entwicklung neuer Personalstrukturen, neuer Perso-
nalkategorien zu kümmern, taucht in Ihrem Konzept ei-
gentlich gar nicht mehr auf.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Ist doch Sache der Hochschulen! – Zuruf der Abg. Dr. Simone Raatz [SPD])


Dabei wäre das doch der entscheidende Punkt, wenn man
wirklich von einem Kulturwandel an den Hochschulen
sprechen möchte.


(Beifall bei der LINKEN)


Nicole Gohlke






(A) (C)



(B) (D)


Denn nicht alle, die in der Wissenschaft arbeiten, wollen
oder müssen das auf einer Professur tun. Es ist höchste
Zeit, auch in Deutschland im 21. Jahrhundert anzukom-
men und anzuerkennen, dass es nicht nur die Professur
und darunter den Nachwuchs gibt,


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Hausmeister! Es gibt auch Hausmeister, Köche, alles! Steht auch nicht im Papier drin!)


sondern dass selbstständige Wissenschaft schon die gan-
ze Zeit von den vielen Wissenschaftlerinnen und Wissen-
schaftlern geleistet wird und dass dieser Bereich endlich
einmal als dauerhafte Personalkategorie gefördert und
honoriert gehört.


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1817405300

Frau Kollegin Gohlke, gestatten Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Schipanski?


Nicole Gohlke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817405400

Ja .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Cool! Dann hat sie länger Redezeit!)



Tankred Schipanski (CDU):
Rede ID: ID1817405500

Frau Gohlke, ganz herzlichen Dank, dass Sie die Zwi-

schenfrage zulassen. – Bei den drei Pakten, die Sie dar-
gestellt haben, geht es ja jetzt um eine Vereinbarung, die
in der GWK beschlossen wurde. Jetzt wundere ich mich,
wenn das alles so furchtbar ist, dass sogar die rot-rot-grü-
ne Landesregierung in Thüringen, sprich die Linke, da
zustimmt, wenn es so schlimm ist,


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Was ist denn da los?)


wie Sie es hier erzählen. Wie kommt es denn dazu?


Nicole Gohlke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817405600

Das kann ich Ihnen erklären. Wir haben Rückspra-

che gehalten. Ich habe im Übrigen auch gerade mit den
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und Profes-
sorinnen und Professoren gesprochen, die den Stopp der
Exzellenzinitiative fordern.


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Um die geht’s jetzt nicht!)


– Nein, aber sie haben sozusagen auf einen Mechanismus
hingewiesen: Es gibt eine derart gravierende Unterfinan-
zierung, dass sich viele Leute nicht trauen, sich öffentlich
gegen die Exzellenzinitiative auszusprechen.


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Und auch die Länder sagen bei aller Kritik in der Tat:
Wir können in der jetzigen Situation nicht auf Gelder
verzichten .


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das ist Dialektik!)


Das ist die Situation .

Trotzdem würden sich viele einen Einstieg in eine an-
dere Finanzierung wünschen. Ich glaube, es wäre höchste
Zeit, dass man einmal eine Debatte darüber ermöglichen
würde. Aber sie kann offenbar selten transparent geführt
werden, nicht einmal hier im Deutschen Bundestag.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: Was macht denn Thüringen mit den BAföG-Millionen?)


Einigermaßen vorsintflutlich finde ich, ehrlich gesagt,
auch, dass Gleichstellung in Ihren Pakten gar nicht auf-
taucht. Auch hier sage ich: Von Kulturwandel dürfte die
Regierung erst reden, wenn aktive Gleichstellungspoli-
tik und Familienfreundlichkeit in ihren Konzepten ein-
mal eine wirkliche Rolle spielen würden. 50 Prozent der
Tenure-Track-Stellen müssten eigentlich mit qualifizier-
ten Frauen besetzt werden. Alles andere ist wirklich ein
schlechter Witz.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Und was ist mit den Transgendern? Die kommen gar nicht vor!)


Kolleginnen und Kollegen, für die Linke stellt sich
die Situation so dar: Die Hochschulen, und zwar alle,
brauchen zwei Dinge, nämlich eine Finanzierung nach
Bedarfen sowie Planungssicherheit. Wir brauchen nicht
noch einen Wettbewerb und noch einen Pakt und noch
ein Programm .


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Dann machen wir den Pakt zu! Sie wollen die Pakte abschaffen! Das ist ja tragisch!)


Die Hochschulen brauchen eine solide Grundfinanzie-
rung, verlässliche Studienplätze, unbefristete Stellen für
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und eine neue
Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau. Das wären die
richtigen Prioritäten und die richtigen politischen Bot-
schaften in dieser Zeit .

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: Dann klappern Sie mal die Landtage ab, Frau Gohlke!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1817405700

Der Kollege Dr. Ernst Dieter Rossmann spricht jetzt

für die SPD .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):
Rede ID: ID1817405800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Frau Gohlke, Sie haben eine gewisse Zweiweltenlehre
aufgemacht. Ich will mich nur mit einem kleinen Satz
darauf einlassen: Dass der Kollege Ramelow, der Minis-
terpräsident von Thüringen, sich nichts traut, das werden
Sie ihm erklären müssen.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nicole Gohlke






(A) (C)



(B) (D)


Ich möchte gerne auf das zurückkommen, was hier re-
levant ist und was von der Ministerin in Bezug auf eine
Weiterentwicklung und große Verbesserung der Hoch-
schul-, der Wissenschafts- und der Forschungslandschaft
in Deutschland vorgestellt worden ist.

Nachdem ich eben ein bisschen bärbeißig war, will
ich jetzt ganz charmant etwas zu bedenken geben – Herr
Riesenhuber, ich habe Sie im Blick; aber ich muss es
trotzdem so sagen –: Das, was jetzt von Frau Wanka
fortgesetzt wird, hat eine Vorgeschichte, aus der her-
vorgeht, dass die Wissenschafts- und Forschungspolitik
der letzten 20 Jahre im Wesentlichen von Frauen – Frau
Bulmahn, Frau Schavan, Frau Wanka, jede auf ihre Art,
aber immer aufeinander aufbauend – sehr hervorragend
gestaltet worden ist. Vielleicht darf man das auch ein-
mal hier feststellen. Die vier anderen Minister zwischen
Herrn Riesenhuber und Frau Bulmahn sind leider wenig
in Erinnerung geblieben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Wieso „leider“?)


Frau Bulmahn hat damals mit folgenden Fragen eine
neue Dimension aufgemacht: Wie erfüllen wir den Auf-
trag, den Wissenschaft hat, nämlich Wahrheitssuche und
Erkenntnisvermittlung? Und wie bekommen wir das
einerseits in die Welt hinein, damit es angewendet wer-
den kann, um ein besseres Leben für die Menschen zu
ermöglichen bzw. eine bessere und nachhaltige Umwelt
zu schaffen, und wie bekommen wir das andererseits
auch wieder an die Hochschulen? Denn die Hochschu-
len sind ja die eigentlichen Träger der Vermittlung, die
Hochschulen sind die Breitenorganisationen, bei denen
sich Exzellenz in der Breite und in der Spitze entwickelt,
und die Hochschulen sind auch das Pfund, auf das wir in
Deutschland – neben den guten Wissenschaftsorganisati-
onen – zentral setzen können.

Dass dieser breite Horizont, der von Frau Bulmahn
aufgemacht und von Frau Schavan fortgesetzt wurde –
Frau Wanka führt das mit neuen Akzenten jetzt erfolg-
reich weiter –, auch weiterhin in einem größeren Zusam-
menhang gesehen wird, zeigt sich auch bei dem, was
heute zur Diskussion gestellt worden ist in Form eines
neuen Dreiklangs. Dieser beinhaltet das Programm „In-
novative Hochschule“, den Nachwuchspakt und die Ex-
zellenzinitiative.

Nur eine kleine Bemerkung zum Programm „Innova-
tive Hochschule“: Ja, Frau Wanka, wir finden es gut, dass
Sie sich zusammen mit den Ländern entschieden haben,
das nicht in einer Exzellenzinitiative aufgehen zu lassen,
sondern dass sie ihm als ein besonderes Programm einen
besonderen Stellenwert gegeben haben. Denn darüber
wird auch einem ganz wichtigen Träger von Wissenschaft
und Forschung, nämlich den Fachhochschulen, vermit-
telt, dass sie ein eigenes Gewicht haben und dass sie in
diesem Rahmen auch weiter auszugestalten sind. Darauf
wollen wir gerne – auch über die 50-Prozent-Quote hi-
naus – weiter hinarbeiten .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Aber das darf ja Zukunftsmusik sein.

Wenn es um den Nachwuchspakt geht, wird hier je-
der verstehen, dass die SPD besonders stolz darauf ist.
Aber auch die Fraktionen können es sein; denn das hat ja
noch nicht einmal im Koalitionsvertrag gestanden, Herr
Rupprecht .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da schien ja einiges vergessen!)


Wir haben außerhalb des Koalitionsvertrages während
der glorreichen Tage von Göttingen mit den geschäfts-
führenden Fraktionsvorständen vielmehr noch etwas Gu-
tes darüber hinaus angestoßen. Deshalb sage ich einen
ausdrücklichen Dank an den Kollegen Kretschmer. Auch
Hubertus Heil, der heute erkrankt ist, soll hören, dass ich
ihm Dank dafür übermittle, was er da mit den geschäfts-
führenden Fraktionsvorständen zusammengebracht hat.

Dass 1 Milliarde Euro für den wissenschaftlichen
Nachwuchs zur Verfügung gestellt werden, zeigt, dass
wir nicht nur von der Gesetzgebung her – mit dem Wis-
senschaftszeitvertragsgesetz –, sondern auch im Hinblick
auf die Aufstiegs- und Karriereperspektiven – dabei geht
es um die Lebensplanung junger Wissenschaftler – dem
Gedanken der Exzellenz und der Vermittlung gefolgt
sind und ihn in eine größere Personalausstattung haben
münden lassen. Wir haben auch aufgenommen, dass sich
dieses inhaltlich weiterentwickeln muss. Denn über die
Details der Beschlüsse zum Hochschulpakt für den wis-
senschaftlichen Nachwuchs hinaus können wir schon
jetzt sagen, dass sich auch hier noch einige Zukunftsfra-
gen – auch als Aufgaben für die nächste Legislaturperi-
ode – stellen.

Dabei geht es einmal darum, dass alle wissen, dass
sich an den Hochschulen nicht nur die Qualitäten, son-
dern auch die Aufgaben differenzieren, weshalb wir neue
Personalkategorien brauchen. Hier ist ein Einstieg gefun-
den, dass sich dieses mitentwickeln kann.

Zweitens geht es darum, dass wir grundsätzlich aner-
kennen müssen, dass es auch bei den Fachhochschulen
eine explizite Exzellenz gibt. Frau Kollegin De Ridder,
es ist auch einmal darüber zu diskutieren, ob es auch dort
Tenure-Track-Systeme oder andere Personalaufbausyste-
me gehen sollte. Auch das ist uns mit dem jetzigen Nach-
wuchspakt aufgegeben .

Die dritte und wichtigste Dimension betrifft die Exzel-
lenzinitiative, die jetzt über die Hochschulen als Motor
unseres Innovationssystems ausgebaut wird . Es war für
uns immer selbstverständlich, dass wir Spitzenforschung
brauchen, dass wir sie an den Hochschulen brauchen und
dass sich diese über die Jahre hinweg entwickeln darf,
es aber klar strukturierte Linien geben muss, die sich
jetzt mit den Exzellenzclustern bzw. Exzellenzuniversi-
täten abbilden, und dass diese Linien nicht nur auf drei
bis fünf Exzellenzuniversitäten reduziert werden können.
Vielmehr fühlen wir uns durch die verdienstvolle Arbeit
der Imboden-Kommission bestätigt, dass es mehr Poten-
zial in Bezug auf Exzellenz in Deutschland gibt und dass
dieses in eine Kontinuität hineinkommen muss. Dabei
geht es nicht um Kontinuität in Form von immer neu-
en und aufwendigen Wettbewerben, sondern es muss um
Kontinuität in den Grundgedanken bzw. in Bezug auf die
Absicherung über das Grundgesetz gehen, also Verläss-

Dr. Ernst Dieter Rossmann






(A) (C)



(B) (D)


lichkeit hinsichtlich der Fortschreibung in Richtung auf
eine unbestimmte Dauer .

An der Stelle – vielleicht ist das nur Semantik; aber
wir glauben, dass das mehr ist –: Wir haben bisher immer
von Exzellenzinitiative gesprochen. Das klingt ein biss-
chen nach Projekt. Stattdessen können wir jetzt sagen,
nachdem es in Deutschland schon eine Hightech-Strate-
gie gibt, dass es mit dem, was jetzt zwischen Bund und
Ländern offensichtlich verhandelt worden ist, auch eine
Exzellenzstrategie geben wird.


(Beifall bei der SPD)


Damit hätten wir eine dauerhafte Perspektive für die
beiden großen Gewichte der außeruniversitären und der
universitären exzellenten Spitzenangebote, die Deutsch-
land strategisch in eine gute Zukunftsposition bringen.

Dies führt mich zu zwei Schlussgedanken.

Zunächst möchte ich auf Frau Gohlke zurückkommen,
die am Anfang ihrer Rede mit Zahlen herumgewirbelt
hat; Kollege Rupprecht, Sie werden das gleich sicherlich
mit Schmackes klarstellen.


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Glauben Sie?)


Man darf nicht vergessen, dass wir 20 Milliarden Euro
in die Exzellenz der Breite – Hochschulpakt, Programm-
pauschalen, gute Lehre und anderes – gegeben haben.
Sie, Frau Gohlke, tun das so ab, als wären diese 20 Mil-
liarden Euro „nothing“. Auch da halten wir eine Balance
zwischen der Breitenförderung und der Spitzenförde-
rung .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Mit Blick auf die nächste Legislaturperiode stellen wir
fest: Es stehen große Entscheidungen an, da faktisch Jahr
für Jahr Mittel in Höhe von 3 bis 5 Milliarden Euro frei
werden. Ich will zumindest für die SPD sagen: Sie dürfen
sicher sein – in der Tradition der großen Forschungsmi-
nisterinnen werden wir dafür kämpfen müssen –, dass
die Mittel im System bleiben. Es kann nicht sein, dass
2019/2020 auf einmal eine Reduzierung stattfindet, son-
dern die Mittel müssen im System bleiben. Aber dass
sie im System bleiben, setzt voraus, dass wir die Dinge,
die wir jetzt machen, gut machen. Sie müssen jetzt gut
umgesetzt werden; denn nur wenn sie gut und wirksam
sind, wird die breite Öffentlichkeit es akzeptieren, wenn
die zusätzlichen Mittel weiter verstetigt und ausgebaut
werden .

Mein zweiter Schlussgedanke – Herr Präsident, erlau-
ben Sie das noch? –


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1817405900

Ich erlaube es, wenn Sie noch im Rahmen der Rede-

zeit zum Ende kommen .


Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):
Rede ID: ID1817406000

– richtet sich nach außen. Ich beziehe mich auf das, was

heute von der Hochschulrektorenkonferenz, auf der man

sich mit dem Brexit, Europas Zukunft und anderen The-
men auseinandergesetzt hat, verlautbart wurde. Wir glau-
ben, dass diese Exzellenzinitiative, das gute Entwickeln
von bester Wissenschaft in Deutschland, ein Bindeglied
sein kann, das wir erhalten müssen, wenn wir gute Per-
spektiven für Europa schaffen wollen. Die europäische
Zusammenarbeit, die Struktur von besten Hochschulen
in Europa wird nämlich durch diese Exzellenzinitiative
mitbefördert. Professor Kleiner, der Präsident der Leib-
niz-Gemeinschaft, sagte einmal: Das ist die beste Ant-
wort auf diesen unseligen Populismus, auf diese unselige
Denkungsart, es gäbe keine Wahrheit, es gäbe neben der
Lügenpresse auch noch eine Lügenwissenschaft. Wenn
wir unsere Vorhaben entsprechend umsetzen können, –


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1817406100

Herr Kollege Rossmann, jetzt ist die Redezeit schon

sehr großzügig bemessen.


Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):
Rede ID: ID1817406200

– dann machen wir nicht nur Wissenschaftspolitik,

sondern auch Gesellschaftspolitik.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1817406300

Nächster Redner ist der Kollege Kai Gehring für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817406400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Fakt ist, der Bund bewegt für die Hochschulen und die
außeruniversitären Forschungseinrichtungen in dieser
Republik Milliarden: durch den Pakt für Forschung und
Innovation, durch den Hochschulpakt und durch den
Qualitätspakt Lehre.

Heute debattieren wir über zwei weitere zentrale Wei-
chenstellungen für unsere Universitäten in den nächsten
Jahren und Jahrzehnten. Ob neue Exzellenzinitiative oder
das Nachwuchsprogramm: Beide Bund-Länder-Verein-
barungen sind klassische politische Kompromisse. Weder
Jubelarien noch Meckerecke sind daher heute adäquat.


(Beifall der Abg. Dr. Daniela De Ridder [SPD])


Der Beschluss der Gemeinsamen Wissenschaftskon-
ferenz zur Exzellenzinitiative ist ambivalent und ambiti-
oniert zugleich. Gut ist, dass es auch künftig ein Förder-
programm für Spitzenforschung an Universitäten gibt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Die bisherigen Runden haben an den Universitäten neue
Kooperationen initiiert und eine Vielzahl innovativer
Projekte hervorgebracht. Davon ist jeder überzeugt, der,
wie ich, Exzellenzcluster besichtigt und sich mit Spit-

Dr. Ernst Dieter Rossmann






(A) (C)



(B) (D)


zenwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern über ihre
faszinierende Forschung austauscht .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich freue mich daher, dass die Überbrückungsfinanzie-
rung für laufende Exzellenzprojekte endlich beschlosse-
ne Sache ist. Damit können Cluster weiter wirken. Diese
Verlässlichkeit war überfällig. Sie ist ein wichtiges Sig-
nal an die Spitzenforschung in Deutschland.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Es macht Sinn, die Spitzenförderung auf die beiden
Säulen Exzellenzcluster und Exzellenzuniversitäten zu
fokussieren; denn Graduiertenkollegs gehören künftig
zum professionellen Selbstverständnis jeder Universität.


(Beifall des Abg. Albert Rupprecht [CDU/ CSU])


Es macht auch Sinn, mehr Mittel in die 45 bis 50 Cluster
zu investieren als in die Spitzenstandorte. Und es macht
Sinn, die Förderhöhe pro Cluster zu variieren, da auch
die Kosten variieren. Allerdings ist die Voraussetzung,
zwei Cluster vorweisen zu müssen, um sich als Exzel-
lenzuniversität überhaupt bewerben zu können, eine zu
hohe Hürde .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Für viele kleine, mittelgroße und aufholende Universi-
täten wird sich die Bedingung, zwei Cluster vorweisen
zu müssen, als Knock-out-Kriterium entpuppen, und das
halten wir für falsch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Erfreulich ist, dass von der zweiten Förderlinie künf-
tig – das ist einer der zentralen Verhandlungserfolge
unserer drei grünen Wissenschaftsministerinnen in der
GWK – acht bis elf sogenannte Förderfälle profitieren
können, also mehr Universitäten als bisher; denn das
passt viel besser zu unserer vielfältigen und facettenrei-
chen Universitätsstruktur und erhöht die Chancen für ex-
zellente Verbundanträge. Die Förderfantasien der Union
von drei deutschen Harvards sind damit vom Tisch, und
das ist auch gut so;


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD])


denn eine breite Spitze an Unileuchttürmen strahlt welt-
weit heller als ein einsames Licht.

An einer Stelle hakt es jedoch gewaltig. Exzellenzu-
niversitäten in eine Dauerförderung gemäß Artikel 91b
Grundgesetz zu überführen, sehen wir sehr, sehr kri-
tisch. Eine exklusive Bundesliga mit Ewigkeitsperspek-
tive nimmt der Exzellenzinitiative den wettbewerblichen
Charakter und raubt ihre Dynamik . Das ist geradezu wi-
dersinnig .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Diese Kritik ist keine exklusive der Grünen im Bun-
destag, sondern sie wird von mehreren Wissenschaftsmi-

nisterinnen und -ministern der Länder geteilt. Hamburg
hat sich deswegen in der GWK bei der Verabschiedung
der Exzellenzinitiative enthalten. Ich habe den Eindruck,
dass Ministerin Wanka diese Kritik nicht hinreichend
ernst genommen hat. Dabei wissen wir doch alle mitei-
nander: Dem Wissenschaftspakt müssen am Ende alle
Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten einstim-
mig zustimmen,


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Die waren monatelang dabei und haben nichts gesagt!)


von Kretschmann über Kraft bis Ramelow und Scholz.


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Hamburg isoliert sich im Augenblick!)


Beim Nachverhandeln ist jetzt Eile geboten, damit der
enge Zeitplan nicht ins Wanken gerät. Eine Lösung muss
her. Derzeit werden ja auch Kompromisse ausgelotet.

Eine Lösung könnte aus meiner Sicht sein, die Exzel-
lenzuniversitäten nach sieben Jahren neu auszuschrei-
ben . Das motiviert und honoriert dann auch in Zukunft
die Spitzenleistungen aller Universitäten und erhöht
die Chancen, überhaupt reinzukommen. Das hält das
System offener und durchlässiger. Wir brauchen keinen
geschlossenen Uniklub, sondern Auf- und Abstiege plus
dauerhaft mehr Engagement für Exzellenz in Forschung
und in Lehre.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, inwieweit die Exzel-
lenzinitiative und das neue Nachwuchsprogramm unsere
Universitätslandschaft bereichern und weiterentwickeln
werden, werden wir wahrscheinlich erst in 10 bis 20
Jahren reflektieren können. Entscheidend für den Erfolg
ist, wie weit ein solcher Impuls wirklich trägt. Das gilt
vor allem für das neue Nachwuchsprogramm. Gemes-
sen an dem, was auf dem Papier vereinbart ist, droht das
nur ein kurzer Kick zu werden; denn die 1 000 Tenu-
re-Track-Professuren, die das Programm bundesweit
an Universitäten bringen soll, sind angesichts von rund
24 000 Professuren einfach eine kleine Hausnummer. Für
Nordrhein-Westfalen sind das etwas mehr als 200 Tenu-
re-Track-Professuren, für Bremen 10, für das Saarland,
glaube ich, 1,7. Der Bedarf bleibt dank der Rekorde bei
den Studierendenzahlen weiter groß, übrigens nicht nur
an Universitäten, sondern auch an Fachhochschulen, die
beim Programm leider außen vor bleiben. Ich erinne-
re exemplarisch an den Wissenschaftsrat, der unlängst
7 500 zusätzliche Professuren bundesweit gefordert hat.
Vom Umfang her hat das Programm also keine Wucht,
und das bedauern wir .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Nachwuchsprogramm bringt auch insgesamt zu
wenig für Modernisierungen bei Personalstrukturen und
bei Personalentwicklung. Es gibt zwar einen 15-prozen-
tigen Strategieaufschlag, den Universitäten auch – Zi-
tat – zur „Weiterentwicklung der Personalstruktur des
wissenschaftlichen Personals“ nutzen können, von einem
großen Pakt für den wissenschaftlichen Nachwuchs mit
verbindlichen und klaren Karriereperspektiven für deut-
lich mehr kann aber keine Rede sein. Unklare Perspekti-

Kai Gehring






(A) (C)



(B) (D)


ven und wenig Planbarkeit bleiben für viel zu viele leider
Alltag. Das ist problematisch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es wird jetzt übrigens sehr darauf ankommen, die
Tenure-Track-Professuren gut auszustatten. Sie sollen ja
nicht auf einem Klappstühlchen sitzen; vielmehr sollen
sie entsprechende wissenschaftliche Mitarbeiter haben
und ihre wissenschaftlichen Leistungen entfalten kön-
nen. Da müssen die Länder mit ran, sonst zahlen die Unis
zu viel drauf.

Schade ist, dass dem Programm eine explizite Förde-
rung von Frauen fehlt. In Gesamtkonzepten darzulegen,
was eine Uni für die Verbesserung der Chancengleich-
heit zu tun gedenkt, ist im Vergleich zu harten Gleich-
stellungszielen und -kriterien an anderen Stellen einfach
zu schwammig .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Trotz dieser kritischen Punkte kann das Nachwuch-
sprogramm eine nachhaltige Weichenstellung bringen,
wenn es einen auf Dauer planbaren Pfad in Richtung
Professur etabliert; denn die Mechanismen in der Verein-
barung sind ganz klug, und das Kriterium der Zusätzlich-
keit, auf das wir auch immer gepocht haben, überzeugt .
Es geht uns ja nicht nur um eine neue Personalkategorie.
Es müssen auch deutlich mehr Stellen on top vor Ort da-
bei herausspringen, und darauf werden wir gemeinsam
achten müssen .

Genau in diesem Sinne lohnt es sich weiterzudenken.
Ich meine, das Nachwuchsprogramm wird noch nach-
haltiger wirken, wenn wir es mit einer besseren Grundfi-
nanzierung der Hochschulen insgesamt verbinden; denn
auch nach 2020 werden mehr Erstsemester kommen, die
nicht nur einen Studienplatz, sondern auch Personalauf-
wüchse brauchen. Die Betreuungsrelationen in Deutsch-
land sind jetzt schon alles andere als ein Ruhmesblatt,
und das müssen wir dringend verbessern . Wir brauchen
bessere Betreuungsrelationen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Mehr Studienplätze und mehr Professuren durch eine
höhere Grundfinanzierung unserer Hochschulen durch
Länder und Bund – beides wollen und müssen wir an-
gehen. Nur so lässt der Tenure-Track-Plan sich zu einem
echten Strukturimpuls entwickeln. Die Wissenschafts-
pakte entfalten nur dann ihre volle Wirkung, wenn end-
lich die mangelnde Grundfinanzierung aller Hochschulen
gesteigert wird, um mehr Chancen, mehr Personal und
bessere Wissenschaft für alle zu erreichen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1817406500

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Albert

Rupprecht .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Albert Rupprecht (CSU):
Rede ID: ID1817406600

Liebe Kollegin Gohlke, Sie sind schnell im Denken,

schnell im Reden. Es macht eigentlich Spaß, mit Ihnen
zu diskutieren. Nur manchmal diskutieren Sie dramatisch
ideologisch verbohrt.


(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Niemals! – Gegenruf des Abg. Dr. Thomas Feist [CDU/ CSU]: Das sagt der Richtige!)


– Doch, das ist leider so. – Dieses penetrante Gleichma-
chen, Nivellieren, mit der Gießkanne in die Breite gehen
und jeglichen Ansatz von Leistung, Exzellenz und Eli-
te ablehnen: Das ist einfach schrecklich. Wenn es nach
Ihnen gehen würde, dann würden Sie auch die Fußbal-
leuropameisterschaft und die Fußballweltmeisterschaft
abschaffen, weil Sie Spitzenleistung schlichtweg nicht
ertragen können.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Das ist alles billig!)


Da haben wir eine vollkommen andere Position. Wir
glauben, dass man in Deutschland auch Spitzenleistung
braucht, um bei Wohlstand und sozialer Sicherheit auch
zukünftig in der Spitze mit dabei zu sein .

Frau Ministerin Wanka, Sie haben drei Pakete verhan-
delt. Diese drei Pakete sind ein Meilenstein für die Wis-
senschaftsarchitektur in Deutschland. Ich würde sagen:
Sie sind ein großer Wurf. Ich gratuliere Ihnen dazu.

Die Rede des Kollegen Gehring ist als Oppositionsre-
de durchaus beachtlich gewesen. Es gab andere Einschät-
zungen bei einzelnen Details; das ist bei einer Debatte zu
so komplexen Themen durchaus normal und üblich. Aber
ich glaube, insgesamt ist die Stimmung im Haus so, dass
das, was Sie, Frau Ministerin, hier vorgelegt haben, in
der Tat ein großer Wurf ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Aus der zeitlich befristeten Exzellenzinitiative wird
eine dauerhafte unbefristete Exzellenzstrategie. Herr
Rossmann, diesen Begriff hat Frau Wanka im Vorfeld
schon eingeführt. Darauf hat man sich geeinigt, weil es
wirklich eine neue Qualität hat, statt kurzfristiger Pro-
jekteritis eine langfristige und dauerhafte Exzellenzkul-
tur in unserem Land aufzubauen. Dazu braucht es auch
die dauerhafte, langfristige Finanzierung auf Basis des
Artikels 91b unserer Verfassung. Wieder einmal ist der
Bund – wie auch schon in den letzten zehn Jahren – Ar-
chitekt, Impulsgeber, Verhandlungsführer und letztend-
lich Hauptfinanzier dieser immens wichtigen Weiterent-
wicklung des deutschen Wissenschaftssystems.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Unionsfraktion hat von Anfang an – und ich sage:
als einzige Fraktion – ein klares und deutliches Bekennt-
nis zur Exzellenz abgegeben. Herr Rossmann, unsere
Aussage war stets: Wo Exzellenz draufsteht, muss auch
Exzellenz drin sein. Exzellenz draufzuschreiben, um
dann mit dem Paket das Prinzip Gießkanne anzuwenden,
war nicht das, was wir wollten. Dagegen haben wir uns

Kai Gehring






(A) (C)



(B) (D)


auch gewehrt. Das, was vorliegt, ist die Umsetzung des-
sen, was wir wollten.

Wenn man vergleicht, was wir uns vorgenommen ha-
ben und was jetzt im Endergebnis bei den Verhandlungen
herausgekommen ist, dann würde ich sagen: Zu 98 Pro-
zent sind unsere Punkte umgesetzt . Einen Punkt gibt es
in der Tat, der nicht dazu gehört: Wir hätten uns durchaus
vorstellen können, nicht acht bis elf Spitzenuniversitäten
zu haben, sondern vier bis fünf, weil wir glauben, dass
wir dadurch dem Ziel, international mehr wettbewerbs-
fähig zu werden, eher ein Stück näher gekommen wären.
Nichtsdestotrotz sagen wir: Wir sind insgesamt mit die-
sem Paket sehr zufrieden . Es ist zu 98 Prozent Unions-
politik.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD – Dr. Simone Raatz [SPD]: Oi! Oi!)


– Vergleichen Sie unsere Positionen mit dem, was her-
ausgekommen ist . Dann werden Sie es sehen .

Wir brauchen eine gesunde Breite, aber wir brauchen
auch die absolute Spitze. Frau Gohlke, noch einmal: Der
mit Abstand größte Teil der Mittel aus dem Bundeshaus-
halt geht in die Breitenförderung. Über die gesamte Lauf-
zeit werden 22 Milliarden Euro für den Hochschulpakt,
den Qualitätspakt Lehre und viele weitere Maßnahmen
aufgewendet. Der Gesamthaushalt beträgt 17 Milliarden
Euro. Da können Sie doch nicht ernsthaft glauben oder
den Eindruck erwecken wollen, dass der überwiegende
Teil der 17 Milliarden Euro für die Exzellenz zur Ver-
fügung gestellt wird. Der überwiegende Teil geht in die
Breitenförderung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Nichtsdestotrotz sind wir der Überzeugung, dass wir
wissenschaftliche Elite in Deutschland brauchen. Wir ha-
ben zum Glück die Max-Planck-Gesellschaft, die in der
internationalen Liga vorne dabei ist. Aber die Realität
ist, dass es an den Universitäten, und zwar trotz der letz-
ten zehn Jahre Exzellenzinitiative, immer noch einiges
zu tun gibt. Vor zehn Jahren lag die beste deutsche Uni
beim Shanghai-Ranking auf Platz 51. Nach zehn Jahren
großer Kraftanstrengungen ist die beste Uni, die Uni Hei-
delberg, auf Platz 46. Die anderen Länder schlafen nicht,
während wir hier in Deutschland große Anstrengungen
unternehmen .

Wir können uns damit nicht zufriedengeben. Statt
kurzfristiger Projektdenke brauchen wir den Aufbau ei-
ner langfristigen Exzellenzkultur, die in die Hochschulen
hineingetragen wird. Dazu braucht es strukturelle Ände-
rungen. Dazu braucht es natürlich eine kräftige Finanz-
ausstattung. Aber es braucht vor allem eine Kulturände-
rung. Die Kulturänderung wird in Deutschland natürlich
einen anderen Weg nehmen als in Harvard oder in Stan-
ford . Wir werden unseren deutschen, unseren eigenen
Weg gehen, weil wir spezifische Gegebenheiten haben
und weil wir in der Breite sehr gut und gesund aufgestellt
sind .

Entscheidend für den Erfolg sind Menschen, Men-
schen im Wissenschaftssystem. Seit 2005, seit wir in
Berlin regieren, hat sich die Zahl der wissenschaftlichen

Mitarbeiter an den Hochschulen um 60 Prozent gestei-
gert .


(Beifall des Abg. Dr. Stefan Kaufmann [CDU/CSU])


Das wurde im Wesentlichen durch Gelder des Bundes
mitfinanziert. Das Problem ist aber, dass mehr Geld und
mehr Personal nicht dazu führen, dass die Mitarbeiter
ausreichende Karriereperspektiven haben.

Deswegen haben wir im ersten Schritt das Wissen-
schaftszeitvertragsgesetz geändert. Wir haben im zwei-
ten Schritt die Länder beim BAföG um 1,2 Milliarden
Euro entlastet, damit sie sich stärker in der Grundfinan-
zierung engagieren können.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schulen und Hochschulen!)


Frau Ministerin Wanka hat es gesagt: Über 10 000 Stel-
len für Mitarbeiter im Mittelbau des Wissenschaftssys-
tems können damit finanziert werden. Deswegen hat
Ministerin Wanka das Tenure-Track-Programm vorge-
schlagen, initiiert und verhandelt. Es umfasst 1 Milliarde
Euro für 1 000 zusätzliche Tenure-Track-Professuren für
die besten Köpfe in unserem Land. In der Tat, auch dies
ist ein Meilenstein. Jahrelang wurde darüber geredet. Wir
machen es jetzt. Ich finde, das ist großartig.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Der letzte Punkt in aller Kürze; meine Redezeit ist vor-
bei. Die Fachhochschulen – das ist der dritte Bereich –
haben aus unserer Sicht eine eigenständige, eine wert-
volle Rolle für das Wissenschaftssystem, insbesondere in
der regionalen Vernetzung und im Wissenschaftstransfer.
Deswegen ist das Programm „Innovative Hochschule“,
von dem vor allem die Fachhochschulen profitieren sol-
len, ein weiterer Meilenstein. Auch da können wir sagen:
550 Millionen Euro in zehn Jahren sind kein Pappenstiel.
So etwas gab es bis dato noch nie . So etwas hat es vonsei-
ten des Bundes bis dato noch nicht gegeben .

Wir geben in den nächsten zehn Jahren für diese drei
Pakete vonseiten des Bundes insgesamt 5 Milliarden
Euro aus. Die Länder ergänzen dies um weitere 1,4 Mil-
liarden Euro.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1817406700


Lieber Kollege Rupprecht, auch bei einer großzügigen
Auslegung der Redezeit ist sie jetzt schon sehr stark zum
Ende gekommen .


Albert Rupprecht (CSU):
Rede ID: ID1817406800


Frau Ministerin Wanka, das ist ein großzügiger Auf-
schlag. Gratulation! Frau Ministerin, ich erhebe das Glas
auf Sie .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Albert Rupprecht






(A) (C)



(B) (D)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1817406900

Nächste Rednerin ist für die SPD die Kollegin

Dr . Simone Raatz .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Simone Raatz (SPD):
Rede ID: ID1817407000

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Zwischenzeitlich habe ich mich über die Wor-
te von Herrn Rupprecht gefreut . Ich hatte in den Diskus-
sionen, die wir immer wieder geführt haben, zwar nicht
den Eindruck, dass in den Projekten, die insbesondere
wir favorisiert haben, zu 98 Prozent die Politik der Union
zum Ausdruck kommt .


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Das war Verhandlungstaktik!)


Aber ich freue mich, dass wir uns in der Koalition mitt-
lerweile so nahe sind, dass Sie derart auf SPD-Linie ein-
schwenken . Wenn Sie von 98 Prozent sprechen, muss ich
sagen: Hut ab! Das hätte ich nicht gedacht.

Herr Gehring, Sie haben heute sehr staatstragend ge-
sprochen . Man merkt, die Verantwortung in Baden-Würt-
temberg geht auch an Ihnen nicht spurlos vorbei; das fin-
de ich gut .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In zehn Bundesländern!)


Klar, die Projekte sind Kompromisse; das ist einfach so.
Aber es sind ja nicht nur Kompromisse zwischen den
Koalitionsfraktionen, sondern auch Kompromisse zwi-
schen dem Bund bzw. der Regierung und den Ländern.
Ich muss sagen: Das macht es im Wissenschaftsbereich
nicht in jedem Fall leichter. Aber ich denke, das Ergebnis
kann sich sehen lassen.

Darum, Frau Gohlke, finde ich die Zusammenfassung
aller Kritikpunkte der letzten zweieinhalb Jahre in Ihrem
heutigen Beitrag ein bisschen unangemessen . Sicher-
lich, viele Dinge sind noch zu tun; wir wollen sie auch
in Angriff nehmen. Aber es wäre schön gewesen, wenn
Sie ein bisschen näher auf die GWK-Beschlüsse einge-
gangen wären und zur Kenntnis genommen hätten, was
Ernst Dieter Rossmann gesagt hat. Heute ist nämlich ein
bemerkenswerter Tag . Denn beim Pakt für den wissen-
schaftlichen Nachwuchs reden wir über ein Projekt, das
nicht im Koalitionsvertrag enthalten ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Dass wir ihn gemeinsam auf den Weg gebracht haben,
finde ich gut. Es wäre schön gewesen, wenn Sie auch
das eingestreut und somit auch ein positives Wort gesagt
hätten. Kritik zu üben, ist nun einmal Aufgabe der Op-
position. Es ist sicherlich auch sinnvoll, den einen oder
anderen Aspekt entsprechend zu thematisieren .

Auch bei uns, den Mitgliedern der Regierungsfrakti-
onen, kommt es ab und zu vor, dass wir ganz tolle Ideen
haben und diese in den parlamentarischen Prozess ein-
bringen wollen. Dann wird häufig gesagt: Nein, das steht
nicht im Koalitionsvertrag. – Diese Ideen sind dann nur
ganz schwer umzusetzen. Darum sage ich noch einmal:
Es ist wirklich toll, dass wir die Bund-Länder-Vereinba-

rung zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses
gemeinsam auf den Weg gebracht haben und sie hier und
heute debattieren .

Dieser Nachwuchspakt wurde erstmalig im Janu-
ar 2015 von unserem stellvertretenden Fraktionsvorsit-
zenden Hubertus Heil öffentlich gefordert. Sie haben
zwar die Themen, die CDU und CSU wichtig sind,
eingebracht. Aber ich glaube, was diesen Pakt betrifft,
waren wir diejenigen, die ihn als Erste gefordert haben.
Hubertus Heil hat ihn, wie gesagt, in die öffentliche De-
batte eingebracht .


(Beifall der Abg. Dr. Daniela De Ridder [SPD])


Bei diesem Pakt war es nicht schwer, gemeinsam ei-
nen Weg zu finden. Auch unser Koalitionspartner war
relativ schnell von seiner Sinnhaftigkeit überzeugt. Denn
dem wissenschaftlichen Nachwuchs kommt in unserem
Innovationssystem eine Schlüsselrolle zu. Ich denke,
dass wir unseren Wissenschaftlerinnen und Wissen-
schaftlern attraktive Karriereoptionen bieten müssen, um
sie im Land zu halten. Das ist natürlich auch im Interesse
der Koalitionsfraktionen.

So gab es im April 2015 einen Beschluss der Frakti-
onsvorstände von Union und SPD. Der Betrag von 1 Mil-
liarde Euro, den wir für den wissenschaftlichen Nach-
wuchs zur Verfügung gestellt bekommen haben, war
damals schon im Gespräch. An dieser Stelle möchte ich
den Dank, den Frau Wanka den Fraktionen ausgespro-
chen hat, gerne an Frau Wissenschaftsministerin Wanka
zurückgeben . Danke, dass Sie die Anregungen unserer
Fraktion aufgegriffen und den Beschluss der Koalitions-
fraktionen letztendlich umgesetzt haben! Das ist nicht
selbstverständlich; aber da waren Sie offen. Vielen Dank
dafür, dass wir das gemeinsam hinbekommen haben!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Ergebnis kann
sich, wie ich schon sagte, sehen lassen. Es gibt 1 000 zu-
sätzliche Tenure-Track-Professuren und immerhin eine
Bezahlung nach W 2. Das macht die Stellen für Män-
ner und Frauen attraktiv . Ich denke, dass wir den soge-
nannten Flaschenhals beim Übergang auf eine Professur
damit etwas geweitet haben. Es braucht dazu natürlich
noch mehr . Aber ich denke, das ist ein guter Schritt in die
richtige Richtung, der jungen Wissenschaftlern frühzei-
tig planbarere und verlässlichere Karriereperspektiven
ermöglicht.

Und: Wir haben eine familienpolitische Komponente
eingeführt . Herr Gehring, Sie sagten, Sie würden sich
mehr Gleichstellung wünschen. Aber ich denke, dass wir
den Vertrag bei Tenure-Track-Professuren im Falle der
Geburt oder Adoption eines Kindes um zwei Jahre ver-
längern, ist schon eine gute Option. Wir hoffen, dadurch
insbesondere junge Frauen im Wissenschaftssystem zu
halten. Denn es sind Frauen, die in überdurchschnittli-
chem Maße aus unserem Wissenschaftssystem ausstei-
gen, weil sie feststellen: Familie und Beruf sind schwer
zu vereinbaren. – Darum denke ich, die familienpoliti-
sche Komponente ist ein wichtiges Zeichen in die rich-
tige Richtung .






(A) (C)



(B) (D)


Über die familienfreundlichen Tenure-Track-Profes-
suren hinaus konnten wir, die SPD, gemeinsam mit den
Ländern einen Strategieaufschlag von 15 Prozent durch-
setzen. Ich hoffe natürlich sehr, dass dieser Strategiezu-
schlag wirklich genutzt wird, um moderne Personalstruk-
turkonzepte an unseren Universitäten zu etablieren. Da
es in den Bund-Länder-Verhandlungen zwischenzeitlich
so aussah, als würde der Strategieaufschlag nicht kom-
men, freue ich mich, dass wir ihn als wichtiges Element
im Hinblick auf die Nachhaltigkeit des Programms auf
den Weg gebracht haben .


(Beifall bei der SPD)


Sie sehen also: Es ist ein gutes Programm, das Bund und
Länder am 20. Mai 2016 in der GWK vereinbart haben.

Nein, es wird nicht so sein – ich greife kurz einen
Beitrag von Ihnen, Frau Gohlke, auf; Sie haben das nur
indirekt erwähnt –, dass die zusätzlichen Stellen nach
vielleicht zehn Jahren von den Ländern gestrichen wer-
den. Die Länder haben hier eine Verstetigungszusage ge-
macht, und diese Zusage dient dazu, dass das Programm
hoffentlich wirklich nachhaltig ist, im Gegensatz zu dem
Juniorprofessuren-Programm, das heute hier schon be-
sprochen wurde. Nur 50 Prozent der Juniorprofessuren
befinden sich heute nämlich noch im System. Ich denke
und hoffe, dass wir mit dem Pakt für den wissenschaftli-
chen Nachwuchs hier etwas Nachhaltigeres schaffen.

Eines sei noch bemerkt: Wenn selbst die GEW den
Nachwuchspakt als weiteren Teilerfolg würdigt, können
wir, so denke ich, nicht alles falsch, sondern vieles richtig
gemacht haben. Ich denke, hier können wir uns gegensei-
tig auch ein bisschen auf die Schultern klopfen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Für die SPD-Bundestagsfraktion kann ich sagen, dass
gute Arbeitsbedingungen und planbare Karriereperspek-
tiven eine Herzensangelegenheit für uns sind. Die von
uns auf den Weg gebrachte Novellierung des Wissen-
schaftszeitvertragsgesetzes, der Nachwuchspakt und die
Selbstverpflichtungen vieler Wissenschaftsorganisatio-
nen sind wichtige Bausteine für das Thema „Gute Arbeit
in der Wissenschaft“.

Lassen Sie uns gemeinsam an diesem Thema dran-
bleiben. Ich bin nach den Worten von Herrn Rupprecht
ganz optimistisch, dass wir in dieser Legislaturperiode
noch weitere Bausteine hinzufügen können.

In diesem Sinne: Vielen Dank für Ihre Aufmerksam-
keit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1817407100

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf einmal den

Hinweis geben, dass es sich bei den Redezeiten nicht um
ungefähre Richtwerte und Trendanzeigen handelt, son-
dern um zwischen den Geschäftsführern präzise verein-
barte Redeminuten .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ich bitte, das zu beachten .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vor allem die Regierungsfraktionen!)


Jetzt hat die Kollegin Alexandra Dinges-Dierig für die
CDU/CSU das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Alexandra Dinges-Dierig (CDU):
Rede ID: ID1817407200

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen!

Es gibt auf Dauer keinen wirtschaftlichen Fort-
schritt, ohne dass die Wissenschaft auch gepflegt
wird .

Diesen Satz sagte Konrad Adenauer vor sehr vielen Jahr-
zehnten, und er ist für uns heute noch genauso aktuell,
wie er damals erschien.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir wollen darauf achten – das werde ich gleich an
vielen Beispielen zeigen können –, dass wir nicht nur för-
dern und fordern – diese Wortpaarung haben wir heute
schon in mehreren Debatten gehört –, sondern dass die
Maßnahmen in unserem Bereich auch nachhaltig sind.
Dieser Begriff „Nachhaltigkeit“ ist manchmal vielleicht
ein bisschen abgegriffen, aber ich möchte jetzt auf den
eigentlichen Wortsinn zurückkommen.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Er kommt aus Sachsen!)


Der eigentliche Wortsinn ist: Wir wollen etwas schaffen,
das auch in Zukunft Wirkung entfaltet, und zwar über
die heutige direkte finanzielle Förderung hinaus. Das ist
ganz wichtig. Nur dann entsteht das, was wir alle wollen,
nämlich eine Dynamik im Wissenschaftssystem.

In den vorgelegten Programmen und auch in den
Bund-Länder-Vereinbarungen der Gemeinsamen Wis-
senschaftskonferenz finden wir eine ganze Reihe dieser
Nachhaltigkeitsmerkmale. Ich möchte das an drei Punk-
ten zeigen .

Erstens. Im Rahmen der neuen Exzellenzstrategie
fördern wir die Exzellenzuniversitäten auf der Grundla-
ge von Artikel 91 Grundgesetz langfristiger. Mit dieser
langfristigen Planungssicherheit werden natürlich auch
langfristig wirkende Veränderungen ermöglicht.

Zweitens. Schauen Sie sich die Exzellenzcluster an. In
Bezug auf die Exzellenzcluster haben wir eine zusätzli-
che Strategiepauschale eingeführt, die heute auch schon
erwähnt wurde. Was können wir dadurch erreichen? Die-
se Strategiepauschale ermöglicht es den Universitäten
zum Beispiel, strategische Veränderungen vorzunehmen.
Sie können Profilbildungen finanzieren, Schwerpunkte
setzen und etwas schaffen, was der gesamten Universität
nicht nur heute, sondern vor allem morgen zugutekommt.
Ich denke, auch das ist ein ganz wesentlicher Punkt und
weist auf die Nachhaltigkeit der Förderung der Exzel-
lenzcluster hin.

Dr. Simone Raatz






(A) (C)



(B) (D)


Drittens. Nehmen wir schließlich das Tenure- Track-
Programm, das Kernstück der Förderung des wissen-
schaftlichen Nachwuchses in der jetzt vorliegenden
Bund-Länder-Vereinbarung. Es geht über die bloße
Schaffung der zusätzlichen Stellen hinaus, die für sich ja
schon langfristig wirken. Wie geschieht das? Bund und
Länder werden im Gegenzug dafür, dass es hier zusätz-
liche Stellen gibt, von den Universitäten auch etwas for-
dern. Das müsste Frau Gohlke eigentlich besonders gut
gefallen. Leider hat sie allerdings gemeint, dies fehle.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das ist der linke Tunnelblick!)


Wir verlangen nämlich ganz klar eine Personalentwick-
lungsplanung.


(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Eine Personalentwicklungsplanung ist der übergeordnete
Begriff für eine Personalstrukturplanung, und das, was
Sie an Gleichstellung einfordern, ist Teil ebendieser Per-
sonalstrukturplanung.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Genau das ist eine Eingangsvoraussetzung für die Förde-
rung, und das wollen wir.

Wir alle – ob wir über Mentoring, Coaching, fachliche
Weiterbildung oder Gleichstellungsziele, die wir haben,
sprechen – wissen: Mit einer guten Personalentwick-
lungsplanung kann man langfristig viel mehr erreichen
als mit irgendeinem Gesetz oder irgendeinem Sonder-
programm. Erst diese Planung erzeugt nämlich einen
Bewusstseinswandel in den Einrichtungen. Diesen brau-
chen wir dringend. Das gehen wir jetzt an.


(Beifall der Abg. Dr. Daniela De Ridder [SPD])


Wir setzen gleichzeitig mit den neuen Bedingungen
das klare Signal, dass Kinder eben kein Hinderungsgrund
für die Karriere sind; Simone Raatz hat es eben schon
ausgeführt. Mit diesem Signal sagen wir: Die Karriere
kann zusammen mit einer Familiengründung erfolgreich
sein. Die persönliche Lebensplanung kann so gemeinsam
mit dem Beruf vereinbart werden. Das ist ein klares Be-
kenntnis zu der Lebensplanung der Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftler, aber auch ein klares Bekenntnis,
dass eine Gesellschaft Kinder braucht. Auch das ist ein
Signal von Nachhaltigkeit, möchte ich sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir als Wirt-
schaftsnation auch in Zukunft Bestand haben wollen,
dann müssen wir – das zeigen auch diese drei Programme
und Vereinbarungen ganz deutlich – unsere Wissenschaft
nachhaltig pflegen. Die vorgelegten Programme, die wir
heute debattiert haben – diese Debatte wird sicherlich nur
ein Zwischenschritt sein –, sind auf jeden Fall aus meiner
Sicht ein weiterer, extrem wichtiger Meilenstein auf un-
serem Weg zu einer nachhaltigen Weiterentwicklung des

Hochschulsystems und damit gleichzeitig zur Sicherung
einer dynamischen Wirtschaftsentwicklung.

Ich bedanke mich recht herzlich für Ihre Aufmerksam-
keit .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1817407300

Danke auch für die präzise Einhaltung der Redezeit. –

Nächster Redner ist der Kollege Oliver Kaczmarek für
die SPD .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Stefan Kaufmann [CDU/CSU])



Oliver Kaczmarek (SPD):
Rede ID: ID1817407400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte

einige Punkte der Debatte über Exzellenzförderung und
über das entsprechende Paket, wie sie öffentlich hier im
Plenarsaal geführt worden ist, aufgreifen, weil ich finde,
dass an einigen Stellen ideologisch ein bisschen verengt
argumentiert wurde. Die einen sagen: „Exzellenzförde-
rung lehnen wir im Grunde ganz ab“, und andere sagen:
„Wir möchten diese Förderung noch stärker konzentrie-
ren.“ Deswegen möchte ich dazu drei Anmerkungen ma-
chen .

Erste Anmerkung. Es ist nicht in Ordnung, wenn ein
Gegensatz zwischen Exzellenzförderung und guter Leh-
re oder Breitenförderung aufgemacht wird. Wer sich
einmal ganz konkret Cluster und Spitzenstandorte ange-
guckt und mit den Hochschulleitungen gesprochen hat,
der weiß, dass gerade die Einbindung forschungsorien-
tierter Lehre ein wichtiger Punkt in der gesamten Hoch-
schul-Governance ist, sowohl bei den Hochschulen mit
Clustern als auch bei den Spitzenstandorten.

Genau deshalb haben Bund und Länder in der Ver-
waltungsvereinbarung, die jetzt zur Beschlussfassung
vorliegt, den Aspekt der forschungsorientierten Lehre ge-
stärkt. Die Lehre ist eine Fördervoraussetzung und muss
in den Anträgen nachgewiesen werden. Sie ist eine Be-
wertungsgrundlage für das Expertengremium. Ich sage
daher nicht, dass wir bei der Qualität der Lehre nicht
noch mehr tun müssen .

Wir dürfen auch nicht so tun, als würde der Bund
nichts machen. Immerhin nehmen 156 Hochschulen an
der zweiten Phase des Qualitätspakts Lehre teil. Das ist
nun nicht gerade nichts. Das ist ein schöner Bestandteil
in der Förderung der Qualität der Lehre.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Unsere Bitte an die Bundesregierung ist, wenn der Be-
schluss durch die Ministerpräsidenten und die Bundes-
kanzlerin gefasst worden ist, klarzumachen: Das ist ein
wichtiger Teil. – Aber in der Exzellenzinitiative muss
noch mehr aufscheinen: Wer eine exzellente Universi-
tät werden will, der muss auch eine exzellente und for-
schungsorientierte Lehre anbieten. Ohne das geht es aus
unserer Sicht nicht .


(Beifall bei der SPD)


Alexandra Dinges-Dierig






(A) (C)



(B) (D)


Zweite Anmerkung. Es ist und bleibt richtig, in der
Spitze breit zu fördern. Ich will jetzt gar nicht auf den
Dissens zwischen drei bis fünf bzw. acht bis elf Spit-
zenstandorten im Detail zu sprechen kommen. Es hat
auch in der Community wenig Widerhall gefunden, die
Zahl der Spitzenstandorte zu verringern. Aber ich will
einfach sagen – das ist unser Bekenntnis zur Exzellenz-
förderung –: Wir verstehen das Wissenschaftssystem in
Deutschland anders.


(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Wir haben mehr als Harvard zu bieten. Wir wollen die
Stärken dieses Wissenschaftssystems weiterentwickeln
und fördern die Vielfalt. All das ist ein einzigartiger
Schwerpunkt der deutschen Wissenschaftslandschaft im
internationalen Konzert. Deswegen wäre es für die SPD
nicht akzeptabel, auf weniger als diese acht bis elf Spit-
zenstandorte zu gehen; denn dies würde unserem Wis-
senschaftssystem und seiner internationalen Sichtbarkeit
nicht gerecht werden .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Tankred Schipanski [CDU/CSU])


Dritte Anmerkung. Wir glauben, dass die „Innovative
Hochschule“ das Portfolio der Wissenschaftsfinanzierung
sinnvoll ergänzt. Die „Innovative Hochschule“ ist kein
Trostpflaster für Fachhochschulen und kleine Universi-
täten, und sie ist auch keine Exzellenzstrategie für sie.
Sie konzentriert sich vielmehr auf zwei besondere För-
derdimensionen, die auch besondere Schwerpunkte und
markante Merkmale insbesondere von Fachhochschulen
in unserem Wissenschaftssystem sind. Deswegen sollen
jeweils 50 Prozent der Förderfälle und der Fördersum-
me auf Fachhochschulen entfallen. Es geht um Transfer
und um die Vernetzung in der Region. Deswegen glauben
wir, dass es auch an dieser Stelle ein gutes, richtiges und
wichtiges Förderprogramm ist.

Aber wir räumen gerne ein: Trotz vieler Anstrengun-
gen, die wir unternommen haben, um die Forschung an
Fachhochschulen zu stärken und mit diesem Programm
voranzukommen, halten wir den Mitteleinsatz für die
Förderung und Stärkung der Fachhochschulen insgesamt
noch nicht für zufriedenstellend. Deshalb würden wir
gerne in dieser Wahlperiode, aber auch in den folgenden
Wahlperioden noch eine Schippe drauflegen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, wenn wir zum jetzigen
Zeitpunkt der Wahlperiode in der Wissenschaftsfinan-
zierung einen Strich ziehen, dann muss man sagen: Es
ist viel erreicht worden. Stichworte dazu wurden bereits
genannt. Der Hochschulpakt ist ausfinanziert. Der Auf-
wuchs für den Pakt für Forschung und Innovation ist
bundesseitig finanziert worden. Beim Qualitätspakt Leh-
re ist die zweite Phase gesichert. Die Exzellenzinitiative
wird zur Strategie. Die Forschung an Fachhochschulen
wird gestärkt. Das ganze Paket wird jetzt um den Pakt für
den wissenschaftlichen Nachwuchs und um die „Innova-
tive Hochschule“ ergänzt.

Das ist eine stolze Leistung. Wir haben schon eine
Menge erreicht . Aber wenn wir einen Strich ziehen, dann
muss man auch sagen: Wir haben viel erreicht, aber es
gibt noch viel zu tun. Der Kollege Rossmann hat gerade
auf die nächste Wahlperiode hingewiesen. Dann laufen
einige Pakte aus. Wir müssen sie dann einer Überprüfung
unterziehen und überlegen, wie wir mit diesen Pakten
umgehen .

Die SPD will die Vielfalt der deutschen Wissen-
schaftslandschaft weiter fördern, und zwar in der Spitze
wie in der Breite .


(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Wir wollen die Universität im Zentrum sehen. Wir wol-
len Sicherheit für die außeruniversitäre Forschung, und
wir wollen den besonderen Beitrag, den die Fachhoch-
schulen in unserem Wissenschaftssystem leisten, noch
deutlicher zur Geltung kommen lassen. Deswegen ist es,
glauben wir, richtig, die Mittel im System zu halten, ziel-
gerichtet zu überprüfen, die Pakte weiterzuentwickeln
und einen wirksamen Beitrag zur Grundfinanzierung zu
leisten. Auch das gehört in diese Debatte; es spielt kei-
ne Nebenrolle. Wenn wir die Exzellenzförderung für gut
halten und fortsetzen wollen, dann gehört dazu auch,
dass wir die Grundfinanzierung in den Blick nehmen und
in der nächsten Wahlperiode die Mittel für den Hoch-
schulpakt verstetigen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1817407500

Zum Schluss dieser Vereinbarten Debatte spricht die

Kollegin Patricia Lips für die CDU/CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Patricia Lips (CDU):
Rede ID: ID1817407600

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Vor allem

in den letzten zehn Jahren hat der Wissenschaftsstandort
Deutschland einen großen Sprung nach vorne gemacht.
Unsere Hochschulen – die Ministerin hat darauf hinge-
wiesen – bilden hierbei zu Recht mit ihren Forschungs-
einrichtungen die Herzkammer des Systems .

Darauf wollen wir uns nicht ausruhen. Wir schreiten
weiter voran, und wir sind der Überzeugung, dass wir mit
dem, was heute bereits vorgestellt wurde, weitere wich-
tige Meilensteine setzen, um unseren Standort an dieser
Stelle zu stärken.

Die Exzellenzinitiative war und ist eine Erfolgsge-
schichte . Sie hat die Wissenschafts- und Forschungs-
landschaft bereits in weiten Teilen nachhaltig zum Vor-
teil verändert und einen dynamischen Prozess eingeleitet.
Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, wir sind alle stolz
darauf, dass Deutschland auf dieser Basis seine wichti-

Oliver Kaczmarek






(A) (C)



(B) (D)


ge Rolle in der Forschungslandschaft weiter ausbauen
konnte .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wichtigste Grundlage hierfür war und ist – das wurde
bereits mehrfach erwähnt –, die Grundsätzlichkeit, die
Förderung von Spitzenforschung als schlichte Notwen-
digkeit anzuerkennen. Ja, es ist ein wissenschaftsgelei-
teter Wettbewerb. Es ist ein Ringen um Leistung. Es ist
aber vor allem auch ein Bekenntnis, Exzellenz in Verant-
wortung für das Ganze zuzulassen, weil sie sich am Ende
für das Ganze als erfolgreich erweist.

Es geht ja nicht nur um einen Prozess im Inneren oder
einen Wettbewerb der hiesigen Einrichtungen . Deutsch-
land steht in einem globalen Wettbewerb, und hierfür ist
es wichtig, dass wir uns diesem Wettbewerb zunehmend
stellen und die geeigneten Instrumente einsetzen. Durch
Spitzenforschung und die Förderung der Exzellenz wer-
den wir an dieser Stelle sichtbar.

Umso mehr begrüßen wir das Ergebnis zur neuen Ex-
zellenzstrategie aus der Gemeinsamen Wissenschafts-
konferenz. Auch ich möchte mich heute ganz herzlich bei
der Bundesforschungsministerin Johanna Wanka für ihre
erfolgreiche Verhandlungsführung bedanken.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Neben den Förderlinien – sie wurden ja zu den jewei-
ligen Einzelmaßnahmen im Detail genannt – liegt jedoch
diesmal, bei dieser Neuauflage, die ganz große Chance
in der erhöhten Planungssicherheit – deshalb möchte ich
das an dieser Stelle auch noch einmal hervorheben –, die
einen dauerhaften Aufwuchs zulässt. Es ist die ganz neue
Qualität mitsamt dieser ganzen Förderlinien und Einzele-
lemente, die diese neue Exzellenzstrategie auszeichnet
und damit die Erfolgsgeschichte ganz sicher fortschrei-
ben lässt. Sie ist das Kernstück dieser drei Elemente.

Aber auch ich möchte hier erwähnen, dass das ganze
Paket, dass das stabile Gerüst erst aus dem Zusammen-
spiel der drei Elemente entsteht und dass sich daraus die
Stärkung des Wissenschaftsstandorts entfaltet: Das ist
zum einen das Thema Exzellenzstrategie, zum anderen
die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und
zum Dritten das Thema „Innovative Hochschule“.

Es wird zu Recht an verschiedenen Stellen darauf auf-
merksam gemacht, dass Größe natürlich nicht immer au-
tomatisch mit Qualität gleichzusetzen ist. Die besondere
Stärke in diesem Land ist die Vielfalt der Hochschulland-
schaft, ausgestattet mit jeweils spezifischen Aufgaben
oder – besser – Verantwortung in diesem System . Dies
gilt insbesondere für die Fachhochschulen und kleineren
Hochschulen, deren Vorteil sowohl in einer hohen Inno-
vationsfähigkeit wie auch in einem schnelleren Wissens-
transfer besteht .


(Beifall der Abg. Dr. Daniela De Ridder [SPD])


Hinzu kommen – ich glaube, der Herr Kollege
Kaczmarek hat das schon erwähnt – eine flächendecken-
de und enge Anbindung an die Region, beispielsweise in

Form von Kooperationen mit mittelständisch geprägter
Wirtschaft . Sie decken damit ein wichtiges Spektrum ab,
sie sind bei weitem nicht nur ein Ableger oder ein An-
hängsel anderer Einrichtungen. Diese Fähigkeiten wol-
len wir parallel ebenfalls mit einem ganz neuen Element,
dem Programm „Innovative Hochschule“, aufwerten und
unterstützen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Lassen Sie mich auch noch etwas anderes erwähnen –
die Steilvorlage war an dieser Stelle einfach zu verlo-
ckend; dabei komme ich sogar noch zu höheren Zahlen
als Herr Rossmann –: Wenn ich zusammenrechne, was in
den Hochschulpakt geflossen ist und fließt, in den Qua-
litätspakt Lehre, in die Übernahme des BAföG-Anteils
der Länder durch den Bund – damit wären Tausende von
Stellen dauerhaft zu finanzieren –, in die Förderung von
Programmpauschalen und in die bereits vorhandenen
Fördermittel für Fachhochschulen, komme ich da auf
mehr als 25 Milliarden Euro allein vonseiten des Bundes
und stelle fest: Das geht in die Breite.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Insofern kann man auch nicht davon sprechen, dass wir
uns einseitig auf etwas konzentrieren . Ich hoffe doch,
dass Sie Ihre kritische Haltung gegenüber dem Auswahl-
charakter auch einer Exzellenzinitiative hier noch einmal
überdenken können.

Das zweite Element zusätzlich zur Exzellenzstrate-
gie – wir hörten es bereits – bildet ein weiteres Programm
zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Es
geht um die klugen, es geht um die klügsten Köpfe in un-
serem Land wie auch darüber hinaus. Es geht nicht allein
darum, sie zu gewinnen, es geht vor allen Dingen darum,
sie auch perspektivisch zu halten.

In Verbindung mit den Maßnahmen aus früheren Ge-
setzen geben wir dem wissenschaftlichen Nachwuchs
Planungssicherheit, eröffnen auch nachfolgenden Gene-
rationen immer wieder Chancen, bieten jetzt den Univer-
sitäten auch einmal ganz neue Wege bei ihrer Personal-
planung und erhalten gleichzeitig die Dynamik und die
Flexibilität in unseren Einrichtungen.

Kolleginnen und Kollegen, wir sind davon überzeugt,
dass wir mit den nun drei neuen Programmen, diesem
Gesamtpaket, weitere wichtige Weichen gestellt haben
und stellen werden, um das Wissenschaftssystem voran-
zubringen, Deutschland an der Spitze zu halten, und zwar
sichtbar und auf Dauer .

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1817407700

Damit schließe ich die Aussprache.

Abstimmungen oder Überweisungen sind für diesen
Tagesordnungspunkt nicht vorgesehen .

Deshalb kann ich sofort den Tagesordnungspunkt 29
aufrufen:

Patricia Lips






(A) (C)



(B) (D)


Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Maß-
nahmen  zur  Förderung  des  deutschen  Films 

(Filmförderungsgesetz – FFG)


Drucksachen 18/8592, 18/8627
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Dagegen er-
hebt sich kein Widerspruch. Dann ist das somit beschlos-
sen .

Ich eröffne die Aussprache und erteile zuerst für die
Bundesregierung der Frau Staatsministerin Professor
Monika Grütters das Wort .

M
Monika Grütters (CDU):
Rede ID: ID1817407800


Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Mit dem Entwurf unseres neuen Filmför-
derungsgesetzes rollen wir quasi künftigen Filmerfolgen
den roten Teppich aus. Qualitative Spitzenförderung zu
ermöglichen und dazu die deutsche Filmwirtschaft im in-
ternationalen Wettbewerb zu stärken, das sind die Ziele
der Gesetzesnovelle, über die wir heute in erster Lesung
beraten. Sie soll dem deutschen Film, den man als eine
Art Aushängeschild unserer Kulturnation bezeichnen
kann – im Ausland wird er sehr viel gesehen –, nationale
und internationale Strahlkraft verleihen. An Strahlkraft
hat es zumindest in den vergangenen Wochen und Mo-
naten nicht gefehlt. Mit ihrem Film Toni Erdmann, übri-
gens gefördert mit Mitteln der Filmförderungsanstalt, des
DFFF und der kulturellen Filmförderung meines Hauses,
war Maren Ade bei den diesjährigen Filmfestspielen in
Cannes der echte Liebling der Filmkritik, und zwar der
internationalen. Manche haben sie auch als „Siegerin der
Herzen“ bezeichnet. Mit 27,5 Prozent Marktanteil hat der
deutsche Film 2015 das beste Ergebnis seit Erfassung der
Besucherzahlen erzielt. Solche Erfolge zeigen immerhin:
Wir sind mit unserer Filmförderung auf dem richtigen
Weg .

Damit künstlerische und wirtschaftliche Wagnisse
auch in Zukunft möglich bleiben, sieht der Regierungs-
entwurf des Filmförderungsgesetzes unter anderem vor,
ein hohes Niveau des Abgabeaufkommens zu sichern,
die Filmförderung effizienter zu machen, die Drehbuch-
förderung deutlich auszubauen, die Leistung der Produ-
zenten noch stärker zu honorieren, Kinos als Kulturorte
vor allem in der Fläche, also jenseits der Metropolen, zu
stärken und – daran hänge ich sehr – Kurzfilme mehr als
bisher zu fördern. Wir wollen zudem die Entscheidungs-
strukturen effizienter gestalten und dabei nicht zuletzt –
ich glaube, das ist die Voraussetzung für ein gutes Ergeb-
nis – den Frauenanteil in den FFA-Gremien signifikant
erhöhen.

Lassen Sie mich ganz kurz auf diese Punkte einge-
hen, zuerst auf das Abgabeaufkommen . Wenn das neue
FFG qualitative Spitzenförderung ermöglichen soll, dann
brauchen wir deutlich mehr Mittel aus der Branche selbst.

Insbesondere die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten
werden deshalb künftig zu einem Abgabesatz von 3 Pro-
zent verpflichtet. Aber ARD und ZDF haben darüber hi-
naus sogar ihre Bereitschaft erklärt, freiwillig 4 Prozent
zu leisten, also aufzustocken; das war nicht immer so.
Das ist ein echter Erfolg.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Auch die Abgaben der anderen Einzahler werden mo-
derat angepasst, sodass wir eine gute Balance zwischen
den Abgabezahlern erreichen. An der Abgabepflicht der
ausländischen VoD-Anbieter halten wir natürlich fest.
Ich habe am Dienstag an der Kulturministerratssitzung
in Brüssel teilgenommen. Dort hat die Kommission ih-
ren ersten Entwurf einer AVMD-Richtlinie vorgelegt, in
der erstmals dieses Prinzip implementiert wird. So weit
waren wir noch nie. Ich habe Kommissar Oettinger, der
daran maßgeblich mitgewirkt hat, gedankt. Es ist nicht
nur für den deutschen Filmstandort wichtig, dass es keine
Abgabeoasen mehr gibt .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Gleichzeitig wollen wir die Förderung effizienter ge-
stalten, indem wir uns bei der Vergabe der Fördermittel
auf wenige, aber vielversprechendere Projekte konzen-
trieren, um diese mit höheren Summen zu fördern. Der
Gesetzentwurf sieht deshalb für die Auswahl der Pro-
jekte im Rahmen der Projektfilmförderung detailliertere
Vorgaben als bisher und eine gesetzliche Mindestförder-
quote vor. Außerdem sollen durch die Abschaffung der
sogenannten Erfolgsdarlehen künftig mehr Mittel für die
erneute Vergabe durch die jeweiligen Kommissionen zur
Verfügung stehen. Es gibt also künftig auch mehr Be-
günstigte .

Um Spitzenqualität geht es auch beim Ausbau der
Drehbuchförderung. Mit der neuen Drehbuchfortent-
wicklungsförderung, die nicht nur am Anfang greift, son-
dern auch dann, wenn ein Stoff weiterentwickelt wird,
und der Erhöhung der Mittel wollen wir dafür sorgen,
dass gute Stoffe tatsächlich bis zur Filmreife gelangen.
Das ist leider nicht immer so. Wir glauben, dass wir mit
diesem mittleren Förderschritt deutlich mehr Drehbü-
chern dazu verhelfen, zum echten Film zu werden. Die
Drehbücher gelten zu Recht als DNA eines hohen deut-
schen Marktanteils. So haben es zumindest die Dreh-
buchautoren selber einmal formuliert.

Stärker honorieren wollen wir künftig auch die Leis-
tung der Produzenten, wie ich eingangs gesagt habe, zum
Beispiel mit Erleichterungen beim vom Produzenten zu
erbringenden Eigenanteil und mit der Einführung des
25-Prozent-Bonus, der wirksam wird, wenn der Film
erfolgreich ist und die Einnahmen an der Kinokasse die
Herstellungskosten übersteigen.

Ein weiterer Punkt ist die Förderung des Kurzfilms.
Von seiner kompositionellen Raffinesse, von den an-
spruchsvollen Dramaturgien, von der knappen, präzisen
Erzählweise – das sind die Charakteristika eines Kurz-
films – profitiert die Filmkunst insgesamt. Deshalb sieht
die FFG-Novelle vor, dass künftig auch Kurzfilme von
unter einer Minute und bis zu 30 Minuten – das war bis-

Vizepräsident Johannes Singhammer






(A) (C)



(B) (D)


her die Eingrenzung – Fördermittel bekommen können.
Es wäre doch zu schade, Experimentierfreude in ein zu
starkes Minutenkorsett zu zwingen. Deshalb weiten wir
die Kurzfilmförderung deutlich aus.

Weil Filmkunst nicht nur Leinwand oder Bildschirm,
sondern auch eine Bühne braucht, wollen wir Kinos als
Kulturorte deutlich stärken, gerade abseits der großen
Städte. Kinos profitieren von der Anhebung der für den
konkreten Abgabesatz maßgeblichen Umsatzschwellen.
Außerdem soll es bei den bisherigen Sperrfristen blei-
ben . Die garantieren – das System der Sperrfristen wird
immer wieder diskutiert –, dass ein Film zumindest in
der Regel sechs Monate exklusiv dem Kino vorbehalten
bleibt, bevor er zum Beispiel auf DVD zu haben ist. Auch
das finde ich wichtig.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Es gibt diesbezüglich immer wieder die eine oder ande-
re Erwägung, aber ich glaube, das ist wirklich im Inte-
resse der Kinos. Das betrifft vor allen Dingen die Kinos
jenseits der großen Städte. Für die ist das ein wichtiger
Punkt .

Ein letzter Punkt. Wir wollen die Gremien der FFA
verschlanken und professionalisieren. Dass das dringend
nötig war, können alle die bestätigen, die die bisherige
Zusammensetzung kennen. Künftig soll es nur noch drei
Förderkommissionen mit maximal fünf Mitgliedern aus
einem Pool von Experten geben, die in wechselnder Be-
setzung tagen. Auf diese Weise können sich die Kommis-
sionsmitglieder die Projekte bzw. die Filme genauer an-
schauen, sodass herausragende Ideen nicht in der Masse
der Antragsteller untergehen.

Im Rahmen der Gremienbesetzung will ich für mehr
Geschlechtergerechtigkeit in der Filmbranche sorgen.
Man kann das im künstlerischen Bereich nicht erzwin-
gen. Das Potenzial ist aber da. Wie wir in diesem Jahr
gesehen haben, waren drei ganz tolle Regisseurinnen
unter den Gewinnern des Deutschen Filmpreises. Aber
in den Gremien, wo wir ausdrücklich Einfluss ausüben
können, war das nicht gegeben. Es kann nicht sein, dass
zwar unser höchstdotierter Filmpreis einen Frauennamen
trägt – die Lola –, unsere hochdekorierten Filmemacher
in der Regel aber nicht. Künftig werden mindestens zwei
Frauen in den Fünferkommissionen an den Förderent-
scheidungen beteiligt sein. Ich bin zuversichtlich, dass
sich damit auch mehr von Frauen geprägte Projekte
durchsetzen können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Der aktuelle Entwurf des Filmförderungsgesetzes ist
das Ergebnis mehrfacher Branchenanhörungen, großer
runder Tische – viele von Ihnen haben daran teilgenom-
men – und unzähliger Gespräche auch und gerade mit
Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Für den kon-
struktiven Austausch – das war bei dem Filmförderungs-
gesetz wirklich wohltuend – bin ich allen Beteiligten sehr
dankbar. Es freut mich vor allem, dass wir gemeinsam
Wege gefunden haben, um künstlerische Aspekte bei der
wirtschaftlichen Filmförderung doch noch ein bisschen
stärker zu betonen.

Wie der Beifall klingt, wenn deutsche Filmkunst
überzeugt, haben wir in den vergangenen Wochen dank
Toni Erdmann gehört. Dieser Film erreicht die Sterne,
vermerkte Le Figaro. Oder: Originell bis ins Absurde,
kommentierte Deutschlandradio Kultur. Ein Werk von
großer Schönheit, großen Gefühlen und großes Kino, hat
die New York Times diesen Film genannt. Er kommt im
Juli in die Kinos. Solche Zeilen wünschen wir, die wir
die Filme lieben, uns doch alle. Wir würden sie gerne
öfter hören und lesen. In diesem Sinne hoffe ich auf Ihre
Unterstützung für den Entwurf unseres neuen Filmförde-
rungsgesetzes .

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1817407900

Nächster Redner ist der Kollege Harald Petzold, Frak-

tion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Harald Petzold (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817408000

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher auf
der Besuchertribüne! Es ist zwar noch nicht ganz Freitag
nach eins, aber fast. Freitag nach eins macht bekanntlich
jeder seins. Wir sehen das leider auch hier im Plenarsaal.
Die Behandlung dieses Gesetzesanliegens ist so wichtig,
dass das Filmförderungsgesetz das Dasein in einer Rand-
zone eigentlich nicht verdient hat.

Dass die Bundesregierung beantragt hat, die Debatte
über diesen Tagesordnungspunkt erst jetzt stattfinden zu
lassen, spricht Bände in Bezug darauf, welche Wichtig-
keit sie diesem Gegenstand tatsächlich beimisst. Nach
diesem Tagesordnungspunkt werden übrigens nur noch
die Ostrenten behandelt. Auch das spricht Bände hin-
sichtlich der Wichtigkeit, die die Große Koalition be-
stimmten Themen hier offensichtlich zubilligt.

Ich bin sehr froh, dass meine Fraktion einen eigenen
Antrag eingebracht hat, der bereits im April dieses Jahres
in der Kernzeit auf der Tagesordnung stand. Bereits zu
diesem Zeitpunkt haben wir beantragt, das Filmförde-
rungsgesetz sozial ausgewogen und geschlechtergerecht
zu ändern. Wir haben uns für Genrevielfalt und für den
Erhalt von Kino als Kulturort ausgesprochen.

Damit wurde wenigstens einmal in dieser Legislatur-
periode zu einer zugänglicheren Zeit, in der auch mehr
Abgeordnete im Plenarsaal sind, dieser wichtige Gegen-
stand – für die Koalition ist es ja in dieser Wahlperiode
eines der wichtigsten Projekte der Medienpolitik über-
haupt – öffentlich diskutiert. Das hat in der Öffentlichkeit
übrigens ein sehr positives Echo gefunden. Ich finde, das
ist gut so .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich bin darüber hinaus sehr froh, dass sich der Bun-
desrat in seiner Stellungnahme sehr deutlich dafür ausge-
sprochen hat, dass das „in der Filmwirtschaft eingesetzte
Personal zu sozialverträglichen Bedingungen beschäftigt
wird“. Es soll nach Auffassung der Bundesländer eine

Staatsministerin Monika Grütters






(A) (C)



(B) (D)


neue Aufgabe der Filmförderungsanstalt werden – ich
zitiere –, „auch die Belange der Beschäftigten in der
Filmwirtschaft zu unterstützen“. Ein ganz herzliches
Dankeschön an die Bundesländer für diese Stellungnah-
me und ein ganz herzliches Dankeschön besonders an die
Bundesländer mit linker Regierungsbeteiligung, nämlich
Thüringen und Brandenburg, die sich besonders intensiv
für diesen Punkt in der Stellungnahme der Bundesländer
eingesetzt haben. Denn angesichts zu einem großen Teil
prekärer Arbeits- und Produktionsbedingungen vieler
Filmschaffender ist die Forderung aktueller denn je, dass
sich die Filmförderung für Tariftreue, für faire und ange-
messene Vertragsbedingungen zwischen Produktionsun-
ternehmen und den Beschäftigten einsetzt.

Ich wiederhole in diesem Zusammenhang den Vor-
schlag meiner Fraktion, der Linken, aus unserem Antrag
zur sozialverträglichen Änderung des Filmförderungsge-
setzes:

Produzenten, die nachweislich einkalkulierte
Tarif- bzw. Mindestlöhne nicht ausgezahlt ha-
ben, sollten für drei Jahre von der Förderung
ausgeschlossen werden.

Ich sage: Mit der Novelle zum Filmförderungsgesetz
böte sich eine gute Chance, dies ein für alle Mal zu er-
möglichen.


(Beifall bei der LINKEN)


Im Übrigen, verehrte Kolleginnen und Kollegen von
der Union: Die Stellungnahme des Bundesrates müsste
für Sie wie eine schallende Ohrfeige gewirkt haben, da
Sie uns ja wieder sozialistische Planwirtschaft im Zu-
sammenhang mit unserem Antrag und der Debatte da-
rüber unterstellt haben. Ich kann Ihnen versichern: Wir
werden mit unseren Änderungsanträgen genau diese ur-
sozialistische Forderung, nämlich „Gute Löhne für gute
Arbeit“, einbringen und thematisieren, und wir werden
auf eine Änderung des vorliegenden Gesetzentwurfs
drängen, zumal Sie als Große Koalition nicht einmal be-
reit sind, bei den Regelungen zur Arbeitslosenversiche-
rung die Belange von kurzfristig Beschäftigten – dazu
zählen die Beschäftigten der Filmwirtschaft – besonders
zu berücksichtigen und diese zu verändern.

Das ist ein klarer Bruch Ihres Versprechens aus dem
Koalitionsvertrag, wo Sie zugesagt haben, dass noch in
dieser Wahlperiode für eine Reform der Arbeitslosen-
geld-I-Regelung für Kulturschaffende gesorgt werden
soll. Da nützt es auch gar nichts, wenn die Staatssekretä-
rin Kramme hier Krokodilstränen verdrückt und sagt: Es
ist leider nicht gelungen, für die kurzfristig Beschäftigten
eine Verbesserung zu erreichen .

Ich kann nur sagen: Das war der Großen Koalition
offensichtlich einfach nicht wichtig genug, ähnlich wie
möglicherweise die gesamte Filmförderung. Ich kann nur
die Forderung meiner Fraktionskollegin Zimmermann
von gestern wiederholen, die gesagt hat, dass mindestens
vier Monate ausreichen müssen, um Anwartschaften für
das Arbeitslosengeld I zu erwerben.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Redezeit ist leider nur kurz bemessen. Deswe-
gen kann ich nicht weiter in die Tiefe gehen, um darzu-
stellen, was Ihrem Gesetz noch alles fehlt. Sie haben kei-
ne Vorstellung von der Zukunft des deutschen Films. Sie
haben keine Idee von den gesellschaftlichen, kulturellen
und sozialen Wirkungen des Films. Sie betrachten Film
zuallererst als Standortpolitik, dann als Verschiebebahn-
hof für Fördermittel – wobei Sie auch noch knauserig
sind –, und Sie konzentrieren sich dann im Wesentlichen
auf Gremienbesetzungen, wobei Sie immer ordentlich
darauf achten, dass vor allen Dingen die Verwerterseite
in den Gremien ordentlich präsentiert ist, was dann dazu
führt, dass von dieser Seite Einfluss auf Filmgeschichten
und Drehbücher genommen wird, was wir für unange-
messen halten. Sie reden davon, dass eine Frauenquote
mehr Geschlechtergerechtigkeit bringt. Fragen Sie ein-
mal unsere europäischen Nachbarn, wie sie mit diesem
Thema umgehen. Da haben wir ein Vorbild. Auch dazu
haben wir Ihnen in unserem Antrag einen entsprechen-
den Vorschlag vorgelegt.

Wir sagen: Der Gesetzentwurf enthält keine Regelung
dazu, wie Kinos flächendeckend erhalten und gefördert
werden können. Ihre Vorschläge hinsichtlich des Abga-
beaufkommens berücksichtigen die Entwicklungen, zum
Beispiel den Rückgang beim Verkauf von DVDs, über-
haupt nicht. Wir werden also nicht mehr Einnahmen in
diesem Bereich haben, sondern weniger .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, für die Lin-
ke hat Filmförderungspolitik vor allen Dingen zum Ziel,
den Film als eine für die Gesellschaft unverzichtbare kul-
turelle Ausdrucksform in der öffentlichen und politischen
Wahrnehmung zu verankern und das Filmförderungs-
system entsprechend neu auszurichten und am Ende zu
stärken. In diesem Sinne werden wir uns in die Debatte
einbringen . Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und
Ihnen, Herr Präsident, dass Sie etwas großzügig mit mir
umgegangen sind, was die Redezeit anbelangt.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1817408100

Das ist die Großzügigkeit für alle, die der Debatte um

diese Zeit hier intensiv folgen. – Als Nächster spricht der
Kollege Burkhard Blienert für die SPD.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Burkhard Blienert (SPD):
Rede ID: ID1817408200

Sehr geehrter Herr Präsident, an Ihre Großzügigkeit

kann ich hoffentlich auch appellieren.


(Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Elf Minuten!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Da-
men und Herren! Vor einer Woche wurde der Deutsche
Filmpreis vergeben. Wir konnten einen starken Jahrgang
feiern, der noch einmal die breite Vielfalt des kreativen
Filmschaffens deutlich gemacht hat. Von dieser Stelle

Harald Petzold (Havelland)







(A) (C)



(B) (D)


sage ich – es ist erst eine Woche her –: Herzlichen Glück-
wunsch allen Preisträgerinnen und Preisträgern!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Vor wenigen Wochen haben wir Maren Ade feiern
können mit dem Film Toni Erdmann. Wir haben lange
warten müssen, bis wieder eine deutsche Produktion in
Cannes dabei war. Besonders erfreulich dabei vor dem
Hintergrund der überfälligen Genderdiskussion: Pro-
duziert hat das Projekt nämlich auch eine Frau, Janine
Jackowski. Es ist ein schönes Beispiel dafür, was das
deutsche Fördersystem im besten Fall mit bewirken
kann: die Begünstigung von künstlerischem und wirt-
schaftlichem Erfolg, und zwar auch im Ausland. Toni
Erdmann hat sich nämlich schon in 55 Länder weiter-
verkauft. Die Liste der Förderer reicht dabei von der FFA
über den DFFF bis hin zur kulturellen Filmförderung des
BKM und der Länder. Auch drei öffentlich-rechtliche
Sender haben Toni Erdmann koproduziert. Deshalb nur
am Rande bemerkt: Das Mitwirken von Fernsehredaktio-
nen muss also einem Projekt nicht zwangsläufig schaden.

Keine Frage: Toni Erdmann ist ein Glücksfall für den
deutschen Film. Aber ich wünsche mir, dass unsere För-
derung mehr solcher Filme möglich machen kann, Filme,
die die Kritiker genauso wie die Kinozuschauer im In-
und Ausland begeistern. Genau das haben wir uns mit
der Novelle des FFG auch vorgenommen. Dabei ist das
FFG nur ein, wenn auch zentraler Pfeiler der deutschen
Filmförderung.

Ich möchte einen anderen kurz streifen: den DFFF. Er
war zuletzt genauso überzeichnet wie der neue German
Motion Picture Fund aus dem BMWi. Gleichzeitig haben
die Konkurrenten im globalen Standortwettbewerb um in-
ternationale Großproduktionen ihre Anreizsysteme mas-
siv ausgebaut. Im Ergebnis ist der Glanz des ehemaligen
Vorzeigemodells DFFF inzwischen stark verblasst. Wenn
wir also die Attraktivität des Filmstandorts Deutschlands
erhalten wollen, müssen wir uns demnächst auch grund-
sätzliche Gedanken zum DFFF machen und das Konzept
gegebenenfalls neu ausrichten.


(Beifall bei der SPD)


Zurück zum FFG . Die Bundesregierung hat nun ei-
nen Gesetzentwurf vorgelegt, dem es gelingt, sowohl die
Strukturen der Förderung als auch die Förderung selbst
zu verbessern . Das ist das Ergebnis eines intensiven und
aufwendigen Dialogs mit der gesamten Branche. Dafür
meinen Dank an das Haus der BKM und an die FFA.

Ich greife nun noch einige Punkte heraus: Mit der
Anpassung der Abgabesätze, mit der Verstärkung der
Rückflüsse in den Fördertopf, mit der Heranziehung
werbefinanzierter Abrufdienste und der VoD-Anbieter
mit Sitz im Ausland werden wir die Einnahmeseite des
FFA-Haushalts nachhaltig stabilisieren können. Der letz-
te Punkt ist zwar noch nicht ganz in trockenen Tüchern,
aber die neue AVMD-Richtlinie gibt begründete Hoff-
nung auf grünes Licht aus Brüssel. Gute Lösungen sind
bei den Bestimmungen zur geschlechterparitätischen Be-
setzung der Gremien gefunden worden . Darüber hinaus

ist jetzt das Bemühen um Gendergerechtigkeit im Aufga-
benkatalog der FFA festgeschrieben.

Zu begrüßen sind auch die Neuerungen bei der Förde-
rung selbst. Ein breites Bündel von Maßnahmen, insbe-
sondere in der Projektfilm- und der Drehbuchförderung,
zielt darauf, die Qualität der Projekte konsequent zu ver-
bessern .

Wir sollten aber auch nicht die Augen davor verschlie-
ßen, dass mit der neuen Förderphilosophie deutlich weni-
ger Projekte und vor allem weniger kleine Projekte in die
FFA-Förderung kommen werden. Deshalb bin ich auch
froh, dass die Mittel für die kulturelle Filmförderung bei
der BKM aufgestockt wurden.

Sehr gut ist es, dass bei der Tilgung von Projekt-
filmdarlehen jetzt sichergestellt ist, dass vorrangig die
Erlösbeteiligungen der Urheber gemäß dem Urheberver-
tragsrecht zu bedienen sind. Das trägt zur Verbesserung
der sozialen Lage der Urheber bei.

Noch besser wäre es gewesen, wenn der Regierungs-
entwurf zugleich den Vorschlag eines Erlöskorridors für
die Produzenten aufgegriffen hätte. Ehrlich gesagt ver-
wundert es mich, dass da nichts geschehen ist . Denn die
damit verbundenen Vorteile sind offensichtlich: Die Ur-
heber kämen früher in den Genuss der eben angesproche-
nen Beteiligungen. Es würde ein klarer Anreiz dafür ge-
setzt, dass die Produzenten Projekte verfolgen, die auch
wirtschaftlich erfolgreich sind. Wir hätten damit eine
gute Möglichkeit zur wichtigen Stärkung des Eigenka-
pitals der Produzenten. Zudem würde es der viel beklag-
ten Filmschwemme entgegenwirken. Insgesamt könnten
wir in unserem Bemühen um mehr Qualität im deutschen
Film davon nur profitieren. Den Vorbehalten der um ihre
Rückflüsse besorgten Verleiher könnten wir dadurch be-
gegnen, dass wir einen solchen Korridor zunächst nur für
die verleihgeförderten Projekte vorsehen. Ich denke je-
denfalls, die Idee eines Korridors ist es allemal wert, dass
wir zumindest in den nächsten fünf Jahren, die dieses Ge-
setz in Kraft sein wird, austesten, wie sich dies auswirkt.


(Beifall bei der SPD)


Weiterhin erfreulich im Gesetzentwurf: Die Förde-
rung der Digitalisierung alter Filme steht nun erstmals
als eigener Förderbereich im Gesetz.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin der Auffas-
sung, mit dem FFG soll nicht nur der deutsche Film ge-
fördert werden, sondern auch der Kulturort Kino, für den
diese Filme gemacht sind, geschützt werden. Da ist der
Vorschlag des Bundesrates, das Auswertungsfenster der
Kinos weiter zu verkürzen, eher kontraproduktiv. Gerade
die Kinos in den kleineren Städten und die Programmki-
nos wären die Leidtragenden. Sie sind auf die bestehen-
den Fenster angewiesen. Gerade der Dokumentarfilm,
auf den der Bundesrat abhebt, ist doch im Kino eher ein
Langläufer. Sicherlich müssen wir berücksichtigen, dass
sich das Nutzerverhalten weiter verändert. Deshalb sieht
der Regierungsentwurf weitere Maßnahmen zur behut-
samen Flexibilisierung vor. Ich denke, dieser Weg ist
richtig, und wir sollten beobachten, was er bewirkt. Auf
jeden Fall plädiere ich dafür, keine generelle Verkürzung
der Fristen vorzunehmen, da es nur um bestimmte Filme

Burkhard Blienert






(A) (C)



(B) (D)


geht. Der absehbare Schaden für viele Kinos verbietet
das .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Marco Wanderwitz [CDU/CSU])


Ich denke, dem Anliegen kann man auch untergesetzlich
im Rahmen der Entscheidungspraxis der FFA über Ver-
kürzungsanträge entsprechen.

Ein ganz anderes Anliegen der Dokumentarfilmer fin-
det jedoch meine Zustimmung. Wir halten es für sinn-
voll, dass die Zuschauer nichtgewerblicher Vorführungen
bei der Referenzfilmförderung weiterhin mit berücksich-
tigt werden .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Johannes Selle [CDU/CSU] und Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


Aus dem Gesetzentwurf wurde das gestrichen . Auch das
werden wir bei der Anhörung im Ausschuss ansprechen
müssen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei allem Lob für
den Regierungsentwurf ist auch ein klares Versäumnis
festzustellen: Der Entwurf enthält keinen konkreten Vor-
schlag, wie die Einhaltung von sozialen Mindeststan-
dards bei der Filmproduktion sichergestellt werden kann.
Die Liste der Verstöße ist lang, und es handelt sich nicht
nur um wenige Einzelfälle. Insgesamt scheint es in den
vergangenen Jahren zwar weniger Probleme mit der Ein-
haltung der maximalen Arbeitszeit zu geben. Allerdings
häufen sich die Klagen, dass geleistete Überstunden ohne
die festgelegten Zuschläge vergütet werden oder dass
vereinbarte Zeitkonten nicht zur Anwendung kommen .
Nicht selten wird mit Pauschalverträgen der Tarifvertrag
umgangen. Mir liegt es fern, hier die Produktionsbranche
unter einen Generalverdacht zu stellen. Aber jeder ein-
zelne Fall ist aus meiner Sicht ein Fall zu viel. Deshalb
tritt die SPD-Fraktion entschieden dafür ein, dass Miss-
stände bei öffentlich geförderten Filmproduktionen nicht
hingenommen werden .

Wir reden nicht zum ersten Mal über dieses Thema.
Anlässlich der letzten Novelle hat der Bundestag in sei-
ner Beschlussempfehlung festgestellt, dass ihm die sozi-
ale Lage der Filmschaffenden ein besonderes Anliegen
ist .


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Merkt man!)


Zugleich wurde die Bundesregierung aufgefordert, da-
rauf hinzuwirken, durch die FFA – ich zitiere – „die Ein-
haltung sozialer Mindeststandards bei der Produktion
geförderter Projekte nachweislich und nachhaltig sicher-
zustellen“. Wie hat die Bundesregierung diese Aufforde-
rung nun im vorliegenden Entwurf umgesetzt? Heraus-
gekommen ist eine Formulierung, die sich leider nur im
Begründungstext wiederfindet.

Wir brauchen jedoch eine präzise Aufgabenbeschrei-
bung. Solange sie aber nur in den Begründungsteil abge-
schoben ist, wird alles beim Alten bleiben. Diese Formu-
lierung gehört in den Gesetzestext selbst, und zwar genau
dorthin, wo die Aufgaben der FFA aufgezählt werden.
§ 2 kennt acht Aufgaben. Die Mitverantwortung für so-

zialverträgliche Bedingungen muss die neunte Aufgabe
werden .


(Beifall bei der SPD)


Dass der Bundesrat in seiner Stellungnahme genau diese
Forderung aufgegriffen hat, hat mich gefreut . Das ge-
schah fast einstimmig über alle Parteigrenzen hinweg. 15
von 16 Bundesländern haben die Notwendigkeit erkannt,
dass mit dem FFG an dieser Stelle mehr für die Beschäf-
tigten getan werden muss .

Seit vorgestern wissen wir: Die Bundesregierung will
diesem Anliegen entsprechen. Das können wir nur begrü-
ßen, aber damit sind wir noch nicht am Ende der Strecke.
Denn das wäre nur der erste Schritt, und der zweite muss
folgen. Nach unserer Auffassung ist im Gesetz zu präzi-
sieren, auf welche Weise die FFA diese Aufgabe erfüllen
kann .

Die FFA sollte nach unserer Meinung bei den antrag-
stellenden Unternehmen erheben, ob bei der Produktion
eine Tarifbindung vorliegt und ob die Einhaltung der ent-
sprechenden Regelungen gewährleistet ist. Wir wollen
die FFA nicht zur Tarifpolizei machen. Dazu hat sie kei-
ne Befugnis und auch nicht die personellen Kapazitäten.

Ich möchte betonen: Nach unserem Vorschlag ist nicht
die Einhaltung sozialer Mindeststandards selbst Voraus-
setzung für die Förderung. Denn wir wissen, dass nicht
zuletzt die EU-Entsenderichtlinie dem entgegensteht.
Fördervoraussetzung soll allein die Angabe sein, ob der
Tarifvertrag für die jeweilige Produktion gilt oder nicht.
Ich denke, das ist der richtige Weg. Darüber sollten wir
auch in der Anhörung noch einmal reden.

Ich appelliere an Sie: Lassen Sie uns dieses Mal ge-
meinsam das ungelöste Problem anpacken, das wir bis-
her von Novelle zu Novelle immer vor uns her gescho-
ben haben. Denn das zentrale Anliegen dieses Gesetzes
ist die Qualitätssicherung beim deutschen Film. Dazu
finden sich viele gute Maßnahmen im Regierungsent-
wurf. Wir können das aber noch besser machen, wenn
wir uns für faire und sozialverträgliche Bedingungen am
Set einsetzen .

Ich danke für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1817408300

Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Tabea Rößner

von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817408400

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Warum hat Toni Erdmann, der gefeierte Film von Maren
Ade, in Cannes keinen Preis gewonnen? Ich wage einmal
eine steile These: weil dieser Film von Frauen gemacht
wurde. Die Einladung nach Cannes war allerdings schon
ein Riesenerfolg. Sieben Jahre lang gab es keinen deut-
schen Beitrag. Vielleicht fehlt dem deutschen Film nichts
so sehr wie Frauen – Produzentinnen, Regisseurinnen
und Autorinnen . Toni Erdmann hat den Weg nach Cannes

Burkhard Blienert






(A) (C)



(B) (D)


nicht wegen, sondern trotz unseres Filmförderungssys-
tems geschafft .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dass Frauen in der Filmbranche benachteiligt sind, ist
hinlänglich bekannt. Wer welche Förderung bekommt,
entscheiden überwiegend Männer. Und es sind überwie-
gend Männer, deren Projekte dann auch gefördert wer-
den . Frau Staatsministerin Grütters, Sie haben immer
gesagt, dass Sie diesen Missstand beheben wollen. Das
ist gut und zwingend notwendig; denn Frauen haben an-
dere Sichtweisen und tragen zu mehr Vielfalt in der Film-
landschaft bei. Wir brauchen also mehr Produzentinnen,
mehr Drehbuchautorinnen und mehr Regisseurinnen .
Daher müssen wir ihnen bessere Chancen auf Förderung
einräumen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


Davon ist in Ihrem Gesetzentwurf nur leider nichts zu
sehen. Sie werden mir jetzt entgegenhalten: Es soll mehr
Frauen in den Gremien der Filmförderungsanstalt geben.
Daraus folgt aber doch nicht automatisch, dass mehr
Frauen gefördert werden. Wäre es da nicht besser, eine
klare Zielvorgabe zu machen, wie viele der bewilligten
Projekte in den nächsten Jahren unter Beteiligung von
Frauen bei Regie, Produktion und Drehbuch entstehen
sollen? Da geht also deutlich mehr. Wir brauchen mehr
Mut, zu einer gesetzlichen Regelung zu kommen, die
dieses Problem auch wirklich angeht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


„Mut“ ist ein gutes Stichwort. Daran fehlt es bei den
Entscheidern leider viel zu oft. Es fehlt an Mut, den
Filmschaffenden mehr Vertrauen entgegenzubringen. Sie
müssen mit ihren Projekten durch so viele Türen gehen,
und das Drehbuch muss durch so viele Hände gehen, dass
dabei am Ende nicht immer der beste Film herauskommt.
Dazu findet sich leider nichts in Ihrem Gesetzentwurf.

Wie wäre es zum Beispiel mit einem Fast Track? Die
Filmförderungsanstalt vergibt einen bestimmten Prozent-
satz des Fördertopfes an erfolgreiche Filmemacherinnen
und Filmemacher in einem vereinfachten und automati-
sierten Verfahren. Dafür müsste man den Kreativen mehr
vertrauen, es würde aber größtmögliche künstlerische
Freiheit ermöglichen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Johannes Selle [CDU/CSU]: Das gibt es doch schon!)


Wir alle wollen gute Filme sehen, aber ob die Ausge-
staltung der Vergabegremien zu besseren Filmen führt,
wage ich zu bezweifeln. In den Kommissionen, die deut-
lich kleiner werden sollen – was ich richtig finde –, soll
zukünftig immer eine Mehrheit von Verwertern sitzen,
auch wenn es um die Förderung von Drehbüchern und
Filmen geht.


(Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Skandalös!)


Das zementiert doch die bisherigen Machtverhältnisse,
und die Macht liegt leider nicht bei den Kreativen. An
dieser Stelle sollten Sie den Entwurf dringend überarbei-
ten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Auch die Besetzung des Verwaltungsrats verfestigt
Machtstrukturen. Von den 36 Mitgliedern hat die Produ-
zentenallianz auch künftig drei Sitze, der Verband Deut-
scher Filmproduzenten aber nur einen. Da frage ich mich:
Auf welcher Grundlage erfolgt diese Sitzverteilung?

Apropos Transparenz. Auch hier fehlt der Mut. Es
muss für öffentliche Anstalten Pflicht sein, Rechen-
schaft abzulegen. Dafür braucht man aber Zahlen über
Herstellungskosten, die Beteiligung der Fernsehsender,
Rückzahlungen und den Anteil an Frauen in den Berei-
chen Regie, Produktion und Drehbuch. Nur so kann man
die Förderentscheidung evaluieren. Dazu könnte zum
Beispiel ein zentrales Filmregister wie in Frankreich die-
nen . Ich denke, es würde der FFA gut zu Gesicht stehen,
Transparenz zum Aushängeschild zu machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


Das könnte auch bei der Bewertung helfen, wann ein
Film erfolgreich ist, was sich wiederum auf die Referenz-
förderung auswirkt. Ist ein Film nur dann erfolgreich,
wenn er in absoluten Zahlen die meisten Kinobesucher
zählt? Oder ist nicht auch ein Film erfolgreich, der zwar
weniger Zuschauer hat, aber bei wesentlich geringeren
Produktionskosten im Verhältnis deutlich mehr? Wa-
rum trauen Sie sich nicht, die Herstellungskosten in das
Verhältnis zu den Zuschauerzahlen zu setzen? Das wäre
eine sinnvolle politische Steuerung im Sinne des kreati-
ven Films. Sie würde gewährleisten, dass die Referenz-
förderung teure Produktionen nicht einseitig besserstellt,
während erfolgreiche, aber günstigere Filme hinten run-
terfallen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


Es gäbe noch vieles zu sagen über die sozialen Stan-
dards, die ökologischen Standards, die Selbstverpflich-
tung, die Sperrfristen oder die Stärkung des Kinos als
sozialer und kultureller Ort.

Ich will noch eine letzte Anmerkung machen. Es ist
unsere Aufgabe, den Kreativen ein Umfeld zu schaffen,
in dem sich Kreativität auch entfalten kann, damit wir
den nächsten deutschen Beitrag in Cannes nicht erst im
Jahr 2023 haben.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


Tabea Rößner






(A) (C)



(B) (D)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1817408500

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Johannes

Selle von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Siegmund Ehrmann [SPD])



Johannes Selle (CDU):
Rede ID: ID1817408600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für 1,167 Mil-
liarden Euro wurden im Jahr 2015 Kinokarten verkauft.
Das ist ein Rekord in der deutschen Kinogeschichte. Es
gab über 139 Millionen Besucher; auch das ist ein Re-
kord. Das Spannendste ist: Von denen, die 2013 und 2014
nicht im Kino waren, konnten 2015 ein Drittel ins Kino
gelockt werden.


(Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Haben die sich deutsche Filme angesehen?)


Unter den 31 Filmen, die 2015 mindestens 1 Million Zu-
schauer hatten, waren 9 deutsche Filmproduktionen; das
ist ebenfalls ein Rekord. Kino hat Attraktivität behalten
und konnte Attraktivität ausbauen. Über diese Erfolge
dürfen wir uns freuen, ganz besonders darüber, dass der
Anteil der deutschen Filme gewachsen ist, die das Ge-
fallen der Zuschauer finden. Da darf man den Schluss
ziehen, dass die filmpolitischen Rahmenbedingungen gut
gesetzt waren. An dieser Stelle wollen wir mit dem neuen
Filmförderungsgesetz weitermachen.


(Beifall der Abg. Dr. Astrid Freudenstein [CDU/CSU])


Unser Anliegen ist es, die Qualität im deutschen Film
zu fördern, beim Kurzfilm, beim Kinderfilm, der uns
besonders am Herzen liegt, beim Dokumentarfilm und
natürlich auch beim Spielfilm. Film ist Kultur- und Wirt-
schaftsgut zugleich. Eine erfolgreiche Filmförderung
muss daher wirtschaftliche und künstlerische Faktoren
berücksichtigen .

Genau diesen Elementen widmet sich der Gesetzent-
wurf. Alle Entwicklungsstufen werden in den Blick ge-
nommen, vom Drehbuch über die Projektförderung und
die Vermarktung bis hin zur Kinoförderung. Die Kunst
des Filmschaffens kann aus einem guten Drehbuch einen
guten Film machen; aber am Anfang steht das gute Dreh-
buch, und deshalb konzentrieren wir die Fördermittel auf
Investitionen in die Qualität der Drehbücher.

Es liegt in der Natur des Filmschaffens, dass künstle-
rischer Anspruch und begrenzte Mittel, geplante Dreh-
zeiträume, Wetter und Ähnliches zur Selbstausbeutung
führen können. Mit diesem Gesetz führen wir eine Min-
destförderquote von 200 000 Euro ein. Wir wollen mit
der angemessenen Beteiligung der Filmförderung an den
Herstellungskosten dafür sorgen, dass die Finanzierung
nicht am Förderbetrag scheitert. Der Verwaltungsrat er-
hält Spielraum, um die Beteiligung in angemessenem
Maße nachzujustieren. Das ist ein Beitrag zur sozialen
Absicherung .

Wir tun das alles als Mittler und Moderatoren für die
Filmwirtschaft. Die Gelder, die wir nach den Regeln des
Filmförderungsgesetzes ausgeben, sind nämlich keine

Steuermittel, sondern sie stammen zum großen Teil aus
Anteilen an verkauften Eintrittskarten. Auch das muss
immer wieder gesagt werden. In diesem Prozess kollidie-
ren die Interessen der einen Gruppe mit Interessen von
anderen Gruppen. Deshalb haben wir die ehrenvolle Auf-
gabe, einen akzeptablen Weg zu finden und die für alle
verbindlichen Regeln zu beschließen.

In der letzten Legislaturperiode konnten wir nur mar-
ginal handeln, weil vor dem Bundesverfassungsgericht
grundsätzlich über die Förderung beraten wurde. Im Ja-
nuar 2014 ist Klarheit geschaffen worden. Deshalb kön-
nen wir nun versuchen, mit einem grundsätzlich neuen
Ansatz Strukturen für eine bessere und effektivere Arbeit
zu schaffen .

Dazu gehören die drei Entscheidungsgremien, die sich
auf Drehbuch- und Produktionsförderung, Verleih-, Ver-
triebs- und Videoförderung sowie Kinoförderung kon-
zentrieren können. Statt eines 13-köpfigen Vergabegre-
miums, das bisher alle Anträge bearbeitet hat, sollen nun
3- bis 5-köpfige Förderkommissionen gebildet werden,
die sich auf einzelne Bereiche konzentrieren können.
Außerdem wird deren Arbeitsbelastung verkleinert. Mit
diesem Ansatz wollen wir auch das Augenmerk auf die
Beteiligung von Frauen richten.

Um die Einnahmen zu verstetigen und gerecht auf die
Einzahlergruppen zu verteilen, wird es zu Erhöhungen
kommen. Hierzu stellen wir glücklicherweise in der Ten-
denz mehr Akzeptanz als Kritik fest.

Noch nicht ganz geklärt ist, wie wir mit Video-on-De-
mand-Anbietern aus dem Ausland verfahren wollen, da-
mit sie gerecht beteiligt werden. Bei Fragen der Globa-
lisierung und der Digitalisierung stehen wir generell wie
bei den Steuern unter Druck. Dieser Druck, zu Lösungen
zu kommen, ist, glaube ich, stark gewachsen. Erste Si-
gnale von der Europäischen Kommission gehen in diese
Richtung .

Das Kino, das seinen Platz im kulturellen Leben be-
hauptet, wollen wir weiter stärken und schützen, vor
allem im ländlichen Raum. Das heißt, die erste Verwer-
tungsstufe soll das Kino bleiben, und es soll weiterhin
Sperrfristen geben. Das heißt aber auch, dass wir mit die-
sem Instrument flexibler werden wollen. Bei innovativen
Crossstrategien oder mangelndem Interesse an einer Ki-
noauswertung wollen wir schneller zu den nachfolgen-
den Auswertungsstufen kommen. Das ist zeitgemäß und
resultiert aus den Erfahrungen der letzten Jahre.

Auch in unserer Fraktion gibt es Ideen, die wir in den
Diskussionsprozess einbringen wollen. Dazu gehört das
Erfolgsdarlehen, mit dem wir uns noch einmal befas-
sen wollen, weil wir es nach wie vor für richtig halten,
die Erfolgreichen zu stärken und zu neuen Projekten zu
motivieren. Über die Idee aus der Branche, von Anfang
an einen Erlöskorridor für Produzenten zu ermöglichen,
wollen wir auch diskutieren. Wir wollen auch den Kin-
derfilm stärken. Als Thüringer Kulturpolitiker liegt mir
der Kinderfilm besonders am Herzen; denn Thüringen ist
Kinderfilmland. Vielleicht kann man bei der Besetzung
der Gremien des FFA-Verwaltungsrates etwas bewirken.
Wenn einer der vorgesehenen Produzenten sich für den
Kinderfilm engagiert, wäre das schon etwas.






(A) (C)



(B) (D)


Ich freue mich auf den Diskussionsprozess . Genügend
Stoff gibt es .

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1817408700

Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs
auf den Drucksachen 18/8592 und 18/8627 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Gibt es anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist das so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 a bis 30 c auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Roland
Claus, Matthias W. Birkwald, Caren Lay, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Keine Altersarmut von Ost-Krankenschwes-
tern – Gerechte Renten für Beschäftigte im
DDR-Gesundheits- und Sozialwesen schaffen

Drucksache 18/8612
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Roland
Claus, Matthias W. Birkwald, Caren Lay, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Keine Kumpel zweiter Klasse – Renten-
ansprüche der Bergleute aus der DDR-Braun-
kohleveredlung wahren

Drucksache 18/7903
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales

(11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordne-

ten Roland Claus, Dr. Gregor Gysi, Matthias W.
Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Frakti-
on DIE LINKE

Ungerechtigkeiten  bei  Mütterrente  in  Ost-
deutschland  und  beim  Übergangszuschlag 
beheben

Drucksachen 18/4972, 18/6706

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre auch
dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen,
und ich kann die Aussprache eröffnen.

Als erste Rednerin in der Aussprache hat Katja
Kipping von der Fraktion Die Linke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Katja Kipping (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817408800


Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir
schreiben das Jahr 26 nach der Wende, und leider sind
wir noch weit entfernt von einer wirklichen Rentenge-
rechtigkeit zwischen Ost und West. Noch immer ist der
Rentenwert Ost niedriger als der Rentenwert West, noch
immer gibt es vielfältige Benachteiligungen bestimmter
Gruppen infolge der Rentenüberleitung. Mit all den viel-
fältigen Benachteiligungen von ostdeutschen Biografien
in der Rente werden wir als Linke uns niemals zufrieden-
geben. Hier lassen wir nicht locker.


(Beifall bei der LINKEN)


Auch die Mütterrente ist so geregelt, dass Menschen
im Osten weniger davon profitieren. Der Begriff „Mütter-
rente“ hat sich umgangssprachlich eingebürgert, insofern
werde auch ich ihn verwenden, auch wenn wir wissen,
dass sehr wohl auch Väter besondere Rentenpunkte für
Kindererziehung bekommen können. Da der Rentenwert
Ost niedriger ist als der Rentenwert West, gibt es für die
Erziehung eines im Osten geborenen Kindes niedrigere
Rentenansprüche, und zwar 1,79 Euro weniger je Ren-
tenpunkt. Kindererziehungszeiten im Osten werden also
in der Rente geringer entlohnt als Kindererziehungszei-
ten im Westen. Die Teilung zwischen Ost und West lebt
damit in der Rente fort; wirkliche Einheit sieht anders
aus .


(Beifall bei der LINKEN)


Gemeinsam mit einem breiten Bündnis für eine ge-
rechte Mütterrente, also mit Verdi, der Volkssolidarität,
dem Sozialverband und dem Frauenrat fordern wir: Ma-
chen Sie Schluss mit dieser Ungleichbehandlung der Er-
ziehungszeiten in Ost und West. Jedes Kind sollte uns
gleich viel wert sein.


(Beifall bei der LINKEN)


Neben dem niedrigeren Rentenwert Ost gibt es eine
weitere Benachteiligung: Frauen, deren Rente einen
Übergangszuschlag beinhaltet, bekommen den zusätzli-
chen Mütterrentenpunkt darauf angerechnet . Diese Re-
gelung kann dazu führen, dass ostdeutsche Mütter bei
der Verbesserung der Mütterrente leer ausgehen, so bei-
spielsweise geschehen bei einer fast 80-jährigen Frau, die
sechs Kinder geboren hat und 1996 in Rente gegangen
ist. Eigentlich hätte ihr bei sechs Kindern eine Erhöhung
um 158 Euro zugestanden, doch ihre bisherige Rente be-
inhaltet eben jenen Übergangszuschlag, und damit sieht
sie von den Verbesserungen in der Mütterrente 0 Euro.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Voll daneben! – Weiterer Zuruf von der LINKEN: Das ist doch absurd!)


Insgesamt sind 6 500 hochbetagte Frauen davon be-
troffen, 6 500 hochbetagte Frauen von Dresden bis
Schwerin, die wegen Gesetzesformulierungen aus dem
Jahre 1993 in ihrem Portemonnaie wirklich nichts davon
sehen, was wir bei der Mütterrente verbessert haben . Ich
finde, es ist beschämend, dass Sie von der CDU und von

Johannes Selle






(A) (C)



(B) (D)


der SPD nicht in der Lage sind, für diese 6 500 Frauen
schnell eine Lösung zu finden.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wohl wahr!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich frage mich wirk-
lich, warum Sie so verbissen auf die Benachteiligung von
ostdeutschen Frauen in der Mütterrente bestehen . Sind
Sie so verbohrt, dass Sie denen rentenpolitisch unbedingt
noch eins mitgeben wollen, nur weil sie in der DDR ge-
lebt haben, oder liegt es daran, dass diejenigen, die die
Probleme des Ostens kennen, bei SPD und CDU nichts
zu sagen haben? Ja, ganz offensichtlich hat der Osten bei
Ihnen nichts zu melden.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Linke legt heute auch noch zwei Anträge vor,
die besondere Rentenungerechtigkeiten für Bergleute in
der Braunkohleveredelung und Benachteiligungen der
Ostkrankenschwestern, also den Beschäftigten im Ge-
sundheits- und Sozialwesen der DDR, ansprechen. Bei-
de Berufsgruppen waren besonderen Härten ausgesetzt.
Deswegen gab es für sie im Rentensystem der DDR be-
sondere Regelungen. Die in der Braunkohleveredelung
Beschäftigten waren den Bergleuten unter Tage gleichge-
stellt. Als Ausgleich für ihre gesundheitsgefährdende Ar-
beit konnten sie früher in Rente gehen. Die Beschäftigten
im Gesundheits- und Sozialwesen der DDR erhielten als
Würdigung für ihre besonders anspruchsvolle Arbeit ei-
nen entsprechenden Steigerungsbetrag bei der Rente .

Beide Regelungen sind bei der Rentenüberleitung
nicht berücksichtigt worden bzw. nach einer Übergangs-
zeit weggefallen. Deshalb müssen heute viele der Ost-
krankenschwestern mit einer Rente nur knapp über dem
Hartz-IV-Niveau auskommen, und das nach einem wirk-
lich aufopferungsvollen Arbeitsleben. Da muss doch et-
was drin sein .


(Beifall bei der LINKEN)


Zu den in der Braunkohleveredelung Beschäftigten.
Viele Kumpel, die dort gearbeitet haben, mussten infol-
ge von gesundheitlichen Schäden eher in Rente gehen.
Dafür müssen sie nun nach dem jetzigen Rentenrecht le-
benslang Abschläge in der Rente in Kauf nehmen. Hier
muss doch etwas geschehen, und zwar schnell.


(Beifall bei der LINKEN)


Denn den Betroffenen läuft die Zeit, ja die Lebenszeit da-
von. Um das einmal zu verdeutlichen: Im Jahr 1996 hat
im Raum Borna/Espenhain eine Gruppe die Kämpfe für
die ihnen zustehenden Rentenansprüche aufgenommen .
Damals waren sie über 1 000. Heute sind es nur noch
rund 350. Die Fehlenden haben nicht einfach aufgege-
ben, nein, sie sind schlichtweg weggestorben. Hier auf
Zeit zu spielen, ist einfach nur zynisch.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir haben Ihnen im Oktober letzten Jahres einen um-
fassenden Antrag vorgelegt, in dem wir alle Berufsgrup-
pen aufgeführt haben, die infolge der Rentenüberleitung

benachteiligt werden. In der Debatte damals haben die
jeweiligen Redner aus beiden Koalitionsfraktionen ge-
sagt, dass sie es gerade bei den in der Braunkohlevere-
delung Beschäftigten wie bei den Ostkrankenschwestern
wirklich sehr bedauern, dass man da nichts machen kann.
Mit unseren Anträgen erinnern wir Sie an Ihr Bedauern
von damals. Nehmen Sie sich wenigstens dieser zwei
Beschäftigtengruppen an. Gesetzliche Regelungen sind
doch kein Naturgesetz. Sie lassen sich ändern, wenn man
den politischen Willen hat. Also bringen Sie endlich den
politischen Willen auf, und helfen Sie wenigstens diesen
beiden Beschäftigtengruppen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1817408900

Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Jana Schimke

von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Jana Schimke (CDU):
Rede ID: ID1817409000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir

diskutieren hier im Deutschen Bundestag ja regelmäßig
über die Entscheidungen der DDR-Rentenüberleitung
und damit auch über die Besonderheiten des DDR-Ren-
tenrechts .


(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Dann ändert doch mal was!)


Mir wird dabei immer wieder klar, wie schwer es für die
Mütter und Väter der Wiedervereinigung gewesen sein
muss, das DDR-Rentensystem in das Rentensystem der
BRD zu überführen, zumal das Rentenrecht in der DDR
einer Systematik folgte, die weit von dem Selbstver-
ständnis unseres heutigen Rentenrechts entfernt war.

Das bundesdeutsche Rentenrecht betrachtet in der Re-
gel allein die gezahlten Beiträge und die geleisteten Ar-
beitsjahre. Will man darüber hinaus vorsorgen, kann man
dafür private oder betriebliche Vorsorgeformen wählen.
In der DDR waren nicht allein die gezahlten Beiträge
und die Arbeitsjahre ausschlaggebend, sondern es wurde
auch nach Berufsgruppen unterschieden . In bestimmten
Berufsgruppen war man in der DDR allein durch die Zu-
gehörigkeit gegenüber anderen Berufsgruppen von vorn-
herein bessergestellt. Aus diesem und anderen Gründen
diskutieren wir hier in aller Regelmäßigkeit über bis zu
20 verschiedene Sonderregelungen des DDR-Renten-
rechts .

Nun kann man nicht behaupten, dass diese Unterschie-
de bei der Rentenüberleitung nicht anerkannt worden wä-
ren. Durch Übergangsregelungen wurden die Besonder-
heiten des DDR-Rentenrechts bis weit in die 90er-Jahre
übernommen. Dann aber galt es, die Einheit auch in der
Rente Stück für Stück umzusetzen. Das Renten-Überlei-
tungsgesetz zielte deshalb ganz bewusst auf eine einheit-
liche Alterssicherung der Menschen in der DDR ab. Bis
heute steht es für eine großartige Solidarleistung aller

Katja Kipping






(A) (C)



(B) (D)


Versicherten und ermöglicht heute den ehemaligen Bür-
gern der DDR eine gute Alterssicherung.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Lassen Sie mich noch einen weiteren Punkt aufgrei-
fen. Die politische und soziale Einheit zweier wieder-
vereinter Staaten herzustellen, kann schlichtweg nicht
bedeuten, Unterschiede fortzuführen. Und: Ja, die politi-
sche und soziale Einheit herzustellen, bedeutet auch, dass
jeder für sich nicht nur mit Veränderungen, sondern auch
mit Entbehrungen zurechtkommen musste. Viele verlo-
ren ihre Arbeitsstelle – eine Erfahrung, die man so vorher
noch nie gemacht hat .


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Das sind nur salbungsvolle Worte!)


Viele fanden sich in einer Zeit wieder, in der es galt, neue
Regeln und neue Werte anzuerkennen. Die Welt war so-
zusagen aus den Fugen geraten. Obwohl man erwachsen
war, bereits Kinder hatte, verheiratet und im Beruf eta-
bliert war, musste man sich einen neuen Platz in einer
neuen Gesellschaft suchen. Vielleicht lässt dies erahnen,
wie schwer es war, eine Einheit herzustellen und dabei
auch diese Besonderheiten zu berücksichtigen .

Vor diesen Herausforderungen stehen wir bis heute .
Jedes Gesetz erhebt den Anspruch, Gerechtigkeit best-
möglich abzubilden. Doch wir alle, die wir Politik ma-
chen und somit täglich Entscheidungen zu treffen haben,
wissen eines: Notwendige Entscheidungen stellen in den
seltensten Fällen für alle eine zufriedenstellende Lösung
dar. Besonders bei der Rentenüberleitung war und ist es
schwer, alle Härte- und Einzelfälle sowie die entstande-
nen Ansprüche eines nicht mehr bestehenden Systems
abzubilden.

Dennoch: Wir nehmen die Anliegen der Betroffenen
sehr ernst .


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja!)


Wir haben uns in dieser und in der vergangenen Legis-
latur in Expertengesprächen, in den Ausschüssen und
in Beratungen ausführlich mit vielen dieser Sonderfälle
befasst. Alle Gespräche haben gezeigt, dass die Gefahr
weiterer Ungerechtigkeiten vor allem dann besteht, wenn
wir das beschließen, was in den Anträgen steht, die uns
hier und heute vorliegen.

Ein Beispiel. Nach einer mindestens zehnjährigen
Tätigkeit erhielten Beschäftigte des Gesundheits- und
Sozialwesens in der DDR für jedes Beschäftigungsjahr
den 1,5-fachen Satz des maßgeblichen Durchschnitts-
verdienstes angerechnet. Vergleichbare Regelungen gab
es auch für andere Berufsgruppen. In der DDR sollten
damit bestimmte Tätigkeiten, die körperlich anstrengend
oder gesellschaftlich bedeutsam waren, in der Altersvor-
sorge bessergestellt werden. Auch ging es darum, einen
Ausgleich für das oftmals niedrige Einkommen während
der Erwerbstätigkeit zu schaffen. In der Bundesrepublik
aber erfahren alle Berufe dieselbe gesellschaftliche Be-
deutung, sei es im gewerblichen, im sozialen oder im
kaufmännischen Bereich.

Hinzu kommt, dass die Rente keinen Ausgleich für
geringes Einkommen bildet. Die Rente ist Ausdruck des-
sen, was war, und nicht dessen, was hätte sein sollen.


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Aber was war, war ein aufopferungsvolles Arbeitsleben!)


Deshalb ist Ziel unserer Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik,
die Aussichten auf die spätere Rente durch Qualifikati-
on, eine gesunde Wirtschaft und auch durch eine gesunde
und funktionierende Sozialpartnerschaft zu stärken. Des-
halb kennt unser bestehendes Rentensystem solch eine
Regelung nicht. So ist es auch logisch und konsequent,
dass man sich seinerzeit gegen eine Übernahme dieser
Sonderregelung ins SGB VI entschieden hat. Mit den
Grundsätzen des lohn- und beitragsbezogenen Renten-
rechts ist diese Regelung nicht vereinbar.

Einen weiteren Sonderfall des DDR-Rentensystems
bilden die Personen, die in der DDR-Braunkohleverede-
lung tätig waren. Diese wurden aufgrund ihrer anspruchs-
vollen Arbeit mit gesundheitsgefährdenden Chemikalien
wie Bergleute unter Tage behandelt. Genau dies, liebe
Kolleginnen und Kollegen, offenbart natürlich auch die
oftmals schlechten Arbeitsbedingungen in vielen Berei-
chen der Wirtschaft der DDR .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Auch hier entschied sich der Gesetzgeber, eine Über-
gangsregelung zu treffen. Nach 1996 wurde diese Rege-
lung nicht mehr angewandt, und die Beschäftigten im
Bereich der Braunkohleveredelung wurden nicht mehr
wie Bergleute unter Tage behandelt. Aber diese Entschei-
dung, diese politische Entscheidung, hat nichts damit zu
tun und führt auch nicht dazu, dass die betreffenden Per-
sonen wie Kumpel zweiter Klasse behandelt werden.

Lassen Sie mich abschließend noch ein paar Worte zur
Mütterrente sagen . Bei der Einführung der Mütterrente
haben wir uns schlichtweg an geltendes Recht gehalten
und dieses angewandt . Es stimmt, dass eine Rentnerin im
Osten Mütterrente in Höhe des Rentenwertes Ost erhält.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist doch schlecht!)


Die Entwicklung der letzten 25 Jahre zeigt aber, dass sich
die Rentenwerte in Ost und West zunehmend annähern;
darüber diskutieren wir heute ja nicht zum ersten Mal
hier im Deutschen Bundestag . Seit der Wiedervereini-
gung – das erwähne ich auch immer wieder sehr gerne –
haben wir bei der Angleichung der Renten sehr große
Fortschritte erzielt.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: So ist es!)


Das sollte an dieser Stelle auch noch einmal gesagt sein.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Matthias Bartke [SPD])


Die Renten stiegen in den neuen Bundesländern seit
der Wende um weit mehr als 100 Prozent. In West-
deutschland betrug der Anstieg lediglich 25 Prozent. Der
Rentenwert Ost wächst weiter, und noch in diesem Jahr
wird es eine ordentliche Rentenerhöhung geben, die sich

Jana Schimke






(A) (C)



(B) (D)


auch in den Portemonnaies der betreffenden Personen
deutlich bemerkbar machen wird.


(Zurufe von der LINKEN)


Nur 2,1 Prozent der Menschen in Ostdeutschland be-
ziehen die Grundsicherung im Alter; im Westen sind es
hingegen 3,2 Prozent, und die durchschnittliche Rente
von Frauen ist in den neuen Bundesländern um 44 Pro-
zent höher als in den alten Bundesländern.

Die vollständige Angleichung des Rentenrechts in Ost
und West rückt in greifbare Nähe. Wir und unser Koali-
tionspartner haben uns auf einen gemeinsamen Fahrplan
zur Erreichung dieses Ziels verständigt.


(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Aber die Ostkinder sind immer noch weniger wert!)


Auf der Grundlage des anstehenden Sachstandbe-
richts der Bundesregierung werden wir entscheiden, ob
mit Wirkung ab 2017 eine Teilangleichung notwendig ist
oder eben nicht .

Es kommt aber auch darauf an, die tatsächlichen He-
rausforderungen für die Zukunft unseres Rentensystems
insgesamt in den Blick zu nehmen. Die Bundesregierung
sieht die Herausforderung des demografischen Wandels
und will die zweite und dritte Säule der Altersvorsorge
stärken. Die private und die betriebliche Vorsorge sollten
für jeden Menschen in unserem Land selbstverständlich
sein und eine auskömmliche Rente für jeden ermögli-
chen .

Dies ist unser Ziel und bestimmt unser Handeln. Ich
freue mich sehr auf die Diskussion zur anstehenden Ren-
tenreform in den kommenden Beratungen .

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1817409100

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Markus Kurth

von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1817409200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Frau Schimke, wie oft vonseiten der Union schon die
Angleichung der Rentenwerte Ost und West angekündigt
worden und dann wieder und wieder nichts passiert ist,
kann ich kaum noch zählen. Ihren Ankündigungen dazu
kann man wirklich kaum noch Glauben schenken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich glaube, man muss den Zuhörerinnen und Zuhö-
rern, die sich nicht jeden Tag mit Renten befassen, sa-
gen: Selbst die Partei Die Linke fordert keine sofortige
Angleichung der Rentenwerte Ost und West, sondern ei-
nen langwierigen Prozess. Die einzige Fraktion, die sagt,
dass man da jetzt einen Schnitt machen und die Renten-
werte Ost und West angleichen muss, ist Bündnis 90/Die
Grünen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Bevor ich gleich wieder eine Zwischenfrage des Kol-
legen Matthias W. Birkwald bekomme, verschweige ich
auch nicht, dass wir im Gegenzug natürlich sagen, dass
die sogenannte Höherwertung der Ostrentenpunkte für
die Erwerbstätigen dann entfällt.


(Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Aha!)


Diejenigen Rentnerinnen und Rentner, deren Renten-
punkte in der Vergangenheit höhergewertet wurden, ge-
nießen hier allerdings natürlich Bestandsschutz. Insofern
ist das, was Bündnis 90/Die Grünen zur Angleichung der
Rentenwerte Ost und West vorschlagen, schnell möglich
und gerecht .

Das ist auch ein Punkt, wodurch sich die Ungleich-
behandlung der Mütterrenten – darauf bezieht sich ein
Antrag der Fraktion Die Linke – erledigt hätte.


(Katja Kipping [DIE LINKE]: 6 000!)


Beim Punkt „Mütterrente“ bliebe dann in der Tat noch
die Frage der sogenannten Zuschlagsregelung. Diesem
Teilbereich – Sie haben gesagt: es handelt sich um eine
Gruppe von 6 000 überwiegend hochbetagten Frauen –
können wir zustimmen,


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


sodass wir bei diesem Antrag insgesamt zu einer Ent-
haltung kommen. Auf der einen Seite stimmen wir der
Zuschlagsregelung zu, auf der anderen Seite geht uns die
Angleichung der Rentenwerte Ost und West zu langsam.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich komme jetzt zu den verschiedenen Berufsgruppen,
die Sie ansprechen, und den rentenrechtlichen Sonderre-
gelungen der DDR.

Man muss grundsätzlich sagen, dass es beim Ren-
ten-Überleitungsgesetz und bei der Vereinigung der
Rentensysteme im Wesentlichen zu einer Angleichung
an das westliche Recht kam. Das westliche Recht – das
war die Systematik des Beitritts damals – war sozusa-
gen die Leitwährung, unter der die Vereinigung auch der
Sozialsysteme stattgefunden hat. Das ist damals von der
Bevölkerung – auch der Bevölkerung der DDR – auch
ausdrücklich so gewollt und per Wahlen abgestimmt
worden .

Man muss sich genau angucken, wo es wenigstens
qualitativ entsprechende Regelungen auch im westdeut-
schen Rentenrecht gab. Bei den Bergleuten ist genau das
der Fall. Auch die westdeutschen Bergleute, die unter
Tage und unter gesundheitlich belastenden Bedingun-
gen gearbeitet haben, bekamen einen rentenrechtlichen
Ausgleich. Insofern finde ich, dass Sie in Ihrem Antrag,
den Sie zu den Rentenansprüchen der Bergleute aus der
Braunkohleverarbeitung gestellt haben, im Prinzip eine
richtige Argumentation verfolgen und dass man diese
Bergleute mit einer besonderen rentenrechtlichen Rege-
lung versehen kann.

Anders verhält es sich allerdings bei den Beschäftig-
ten im DDR-Gesundheits- und Sozialwesen. Das ist üb-
rigens so wie bei vielen anderen von Ihnen genannten
Gruppen, die zwar in diesen Anträgen nicht auftauchen,
die Sie aber regelmäßig, meistens im Jahresrhythmus,

Jana Schimke






(A) (C)



(B) (D)


besserstellen wollen. Da geht es etwa um Spitzensportler
und andere Personengruppen oder auch um Ehepartner
von Auslandsentsandten der DDR.


(Zurufe von der LINKEN)


Alle haben bestimmte rentenrechtliche Sonderregelun-
gen bekommen .

Für diese rentenrechtlichen Sonderregelungen wie
auch die für die Beschäftigten im Gesundheitswesen,
die Sie heute ansprechen, gibt es keine Entsprechung
im westdeutschen Rentenrecht . Es ist nicht so gewesen,
dass die Beitrittsverhandlungen und die Überleitung eine
Fusion gewesen wären, sondern das westdeutsche Ren-
tenrecht war, wie gesagt, der Maßstab. Wenn wir Son-
derregelungen übernehmen wollten – an diesem Punkt
war die Argumentation von Frau Schimke nicht ganz
unstimmig –, würde man wiederum im Westen neue Un-
gleichbehandlungen schaffen. Das würde dazu führen,
dass auch im Westen bestimmte Berufsgruppen mit Aus-
fallzeiten fragen könnten: Warum bekommen wir denn
keinen rentenrechtlichen Ausgleich?

Natürlich ist das individuell für die Betroffenen teil-
weise schwer zu verstehen . Aber man kann bei einem
solchen historischen Umbruch nicht jedem Detail ge-
recht werden, wenn man sich politisch auf ein bestimm-
tes Überleitungsprinzip geeinigt und verständigt hat.
Darum plädiere ich bei den Berufsgruppen für eine diffe-
renzierte Betrachtung. Bei den Balletttänzerinnen folgen
wir Ihrem Antrag .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Hier gibt es entsprechende tarifvertragliche Regelungen,
bei anderen Gruppen aber nicht .

Ich glaube, dass man damit dieser schwierigen Um-
bruchsituation annähernd gerecht wird.

Ich freue mich auf die weiteren Beratungen der An-
träge.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1817409300

Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Daniela

Kolbe von der SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Klaus-Peter Schulze [CDU/CSU])



Daniela Kolbe (SPD):
Rede ID: ID1817409400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Zum Abschluss der Sitzungswoche dis-
kutieren wir drei Anträge der Fraktion Die Linke. De-
ren Inhalt war bereits mehrfach Thema hier im Plenum.
Nichtsdestotrotz freue ich mich, dass wir dieses Thema
erneut diskutieren. Es ist ja für viele Menschen von gro-
ßer Bedeutung.

Sie haben einen Antrag zum Thema Mütterrente in
Ostdeutschland und zum niedrigeren Rentenwert einge-
bracht. In den zwei anderen Anträgen geht es um Grup-
pen, die durch die Rentenüberleitung, also die Zusam-

menführung der beiden Rentensysteme in Ost und West,
Regelungen verloren haben, mit denen sie im DDR-Ren-
tenrecht bessergestellt worden waren, und zwar aus nach-
vollziehbaren Gründen, nämlich wegen der Gesundheits-
gefährdung und der Belastungen der Betroffenen bei der
Arbeit. Zum einen sind das die Bergleute in der Braun-
kohleveredlung und zum anderen die Beschäftigten im
Gesundheits- und Sozialwesen der DDR.

Viele hier im Plenum, die an diesem Freitagnachmit-
tag noch da sind, haben schon zahlreiche Gespräche mit
Betroffenen geführt . Auch ich habe das getan und werde
das weiterhin tun. Bei aller Sympathie für die Anliegen
plädiere ich für eine sehr ehrliche Debatte. Diese ehrliche
Debatte führt für uns als Sozialdemokraten dazu, dass
wir den drei Anträgen in der vorliegenden Form nicht zu-
stimmen können, sondern sie ablehnen werden.


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Und in einer anderen Form?)


Das will ich kurz ausführen, zunächst zur Mütterrente.
Die Verbesserungen bei der Mütterrente, also die Einfüh-
rung des zusätzlichen Rentenpunktes, war für diese Gro-
ße Koalition ein Riesenerfolg.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Katja Kipping [DIE LINKE]: Aber nicht für die 6 500 Frauen!)


Gut, wir als SPD hätten diese Maßnahme gerne anders
finanziert; das sei auch jetzt bei diesem Thema noch ein-
mal erwähnt. Aber es bleibt ein großer Erfolg.

Der von der Linken beschriebene Unterschied kommt
dadurch zustande, dass wir nach wie vor unterschiedliche
Rentenwerte haben: Der Rentenwert in Westdeutschland
liegt höher als der in Ostdeutschland. In Ostdeutschland
haben wir dafür einen Höherwertungsfaktor; damit ist ein
Rentenpunkt leichter zu erwerben.

Wir sagen deshalb: Wir wollen die pauschal bewer-
teten Versicherungszeiten jetzt nicht unmittelbar höher
bewerten . Wir hatten das in unserem Regierungspro-
gramm stehen, haben uns damit aber nicht durchsetzen
können. Vielmehr wollen wir jetzt den Weg gehen – da-
rauf konnten wir uns mit unserem Koalitionspartner ver-
ständigen –, die Rentenwerte weiter anzunähern, also die
Angleichung der Rentensysteme zu erreichen.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1817409500

Lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Birkwald

zu, Frau Kolbe?


Daniela Kolbe (SPD):
Rede ID: ID1817409600

Aber natürlich, wenn es schnell geht.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Drei Minuten! – Katja Kipping [DIE LINKE]: Wenn es mit der Angleichung genauso schnell geht!)



Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817409700

Vielen herzlichen Dank. – Frau Kollegin Kolbe, weil

Sie das selber schon erwähnt haben, sage ich vorneweg:

Markus Kurth






(A) (C)



(B) (D)


Vor zwei Tagen sind 110 000 Unterschriften für eine ge-
rechte Mütterrente vom Sozialverband Deutschland, von
der Volkssolidarität, vom Deutschen Frauenrat und von
Verdi übergeben worden. Die 110 000 Unterzeichner
können nämlich alle nicht verstehen, dass ein Kind im
Osten, zum Beispiel in Leipzig, wo Sie herkommen, in
der Rente weniger wert sein soll als ein Kind im Westen,
wie in Köln, wo ich herkomme. 110 000 Unterschriften!

Ich darf Ihnen sagen: Von meiner Fraktion mit 64 Ab-
geordneten haben 62 Abgeordnete unterschrieben . Der
Bundesgeschäftsführer unserer Partei und unser Partei-
vorsitzender haben ebenfalls unterschrieben.

Jetzt frage ich Sie: Wie viele Ihrer Kolleginnen und
Kollegen von der SPD haben diesen Aufruf unterschrie-
ben? Dazu will ich Ihnen einen kurzen Text vorlesen.
Denn Sie, Frau Kolbe, Frau Staatssekretärin Kramme
und fünf weitere Abgeordnete, die heute im Hohen
Haus anwesend sind, haben vor nicht allzu langer Zeit
den Deutschen Bundestag aufgefordert, bei Versiche-
rungszeiten, die im Rahmen eines sozialen Ausgleichs
bzw. als Anerkennung für gesellschaftliche Leistungen
bewertet werden, die rechtlichen Voraussetzungen dafür
zu schaffen, dass künftig für – jetzt kommt es – Kinder-
erziehungszeiten, aber auch für Versicherungszeiten für
pflegende Angehörige, Zeiten des Wehr- und Zivildiens-
tes und Zeiten der Beschäftigung in einer Werkstatt für
behinderte Menschen der aktuelle Rentenwert zugrunde
gelegt wird. Das war in der vergangenen Legislaturpe-
riode. Warum verfolgen Sie das nicht weiter? Wenn Sie
sich schon nicht gegen die Union, die noch nie etwas für
Mütter im Osten übrig hatte,


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das stimmt doch nicht! Grundgesetz! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ja übel!)


durchsetzen können, haben Sie dann wenigstens dafür
gesorgt, dass viele Ihrer Kolleginnen und Kollegen bei
dieser guten Unterschriftenaktion mitgemacht haben?


(Beifall bei der LINKEN)



Daniela Kolbe (SPD):
Rede ID: ID1817409800

Danke für die Zwischenfrage. – Erstens will ich klar-

stellen: Für uns als SPD ist die Erziehung von Kindern
gleich viel wert, egal ob im Osten, Westen, Norden oder
Süden dieses Landes.


(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: In der Praxis nicht!)


Deswegen wollen wir diese Angleichung hinbekommen.

Zweitens. Iris Gleicke hat meines Wissens die Unter-
schriften entgegengenommen. Wir als SPD sind als Re-
gierungsfraktion Adressat dieser Forderung und fühlen
uns auch verpflichtet, uns dafür einzusetzen. Wir hatten
das in unser Regierungsprogramm aufgenommen . Wir
hatten vorgeschlagen, die pauschal bewerteten Versiche-
rungszeiten sofort anzugleichen, haben uns aber damit
nicht durchsetzen können. Das ist in einer parlamentari-
schen Demokratie manchmal so.

Wir gehen deswegen einen anderen Weg, nämlich den
der Angleichung der Rentensysteme. An dieser Stelle

will ich das mit Blick auf die Union ein bisschen deut-
licher formulieren: Da auch unser Koalitionspartner gute
Mütter und Väter in seinen Reihen hat, haben wir uns
darauf verständigt, die Angleichung der Rentensysteme
in Ost und West hinzubekommen. Genau das werden wir
auch tun. Dieses Jahr geht es los. In diesem Sinne werden
wir genau die Forderung erfüllen, dass die Erziehungs-
zeiten in Ost und West gleich viel wert sein müssen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie haben einen zweiten Aspekt zum Thema Mütter-
renten angesprochen, und zwar den Übergangszuschlag
bei den sehr hochbetagten Frauen, der dazu führt, dass
diese Frauen sowohl von den Änderungen bei der Müt-
terrente nicht unbedingt profitieren – je nachdem, wie
hoch der Zuschlag ist – und sie auch so lange nicht von
Rentenerhöhungen profitieren, wie der Zuschlag diese
Erhöhungen übersteigt.

Wir haben die Rentenreform 2014 ganz bewusst im
Rahmen des bestehenden Rentenrechts gestaltet. Das
führt an der einen oder anderen Stelle tatsächlich dazu,
dass Menschen, die sich etwas von der Mütterrente er-
hofft haben, nicht so massiv in ihren Genuss kommen
wie erwartet . Aber es war eine bewusste Entscheidung .
Entweder erkennt man die Wirkungsweise des Renten-
systems an, oder man macht für alles und jedes eine Aus-
nahme. Wir haben uns an der Stelle dazu entschieden, in
der Rentensystematik zu bleiben und eine ehrliche De-
batte zu führen .

Was die Anträge zu den Bergleuten und den Beschäf-
tigten im Gesundheitswesen angeht, sind die Hintergrün-
de schon ausgeführt worden . Wie bei den meisten ande-
ren Fällen ist es so, dass die Sachverhalte vor Gerichten
ausverhandelt sind. Aber Sie haben natürlich recht: Poli-
tische Lösungen sind möglich. Da gibt es unterschiedli-
che Ansätze.

Die Linke sagt: Wir regeln jede Gruppe einzeln und
geben den Forderungen nach. – Das hat den Nachteil,
dass man an verschiedenen Stellen zu Ungerechtigkei-
ten gegenüber bestimmten westdeutschen Gruppen oder
auch anderen ostdeutschen Gruppen kommt .


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir hatten einen Antrag, wo alle drin waren! Den haben Sie als SPD abgelehnt!)


Wir als SPD haben einen anderen Ansatz. Wir wollen
einen Härtefallfonds auflegen. Denn – da bin ich, glau-
be ich, anderer Auffassung als Kollegin Schimke – es
sind reale Ungerechtigkeiten entstanden; es sind mas-
sive Härtefälle entstanden, weil sich Menschen auf das
DDR-Rentenrecht verlassen haben und dann durch Weg-
fall von Regelungen sozial wirklich heruntergefallen
sind. Wir wollen deswegen einen steuerfinanzierten Här-
tefallfonds auflegen für diejenigen, für die durch die Ren-
tenüberleitung besondere soziale Härten entstanden sind.
Das wird einige Bergleute betreffen, aber noch mehr die
Krankenschwestern oder die in der DDR geschiedenen
Frauen, die alle davon profitieren können.

Matthias W. Birkwald






(A) (C)



(B) (D)


Das ist ein Ansatz, der sozialen Frieden schafft und
der vor allen Dingen keine neuen Ungerechtigkeiten her-
vorruft . Für diesen Fonds streiten wir .

Abschließend will ich noch einmal sagen: Wir als SPD
stehen zu unserer Verantwortung. Wir stellen uns auch
immer wieder der Debatte mit Betroffenen und auch hier
im Plenum. Wir wollen – das ist Punkt eins – die zügige
Rentenangleichung in Ost und West. Das steht im Koa-
litionsvertrag, und das wissen wir als SPD auch. Darauf
werden wir pochen, und das werden wir ganz genau be-
gleiten.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bald ist die Koalition zu Ende!)


– Aber im Koalitionsvertrag steht ein Datum, das noch
in der Zukunft liegt. Das werden Sie zugestehen, Herr
Kurth, dass wir an der Stelle noch nicht im Verzug sind.
Richtig?

Und wir wollen – Punkt zwei – einen Härtefallfonds
für die Gruppen, die durch die Rentenüberleitung gravie-
rende Nachteile erfahren haben. Das steht nicht im Koa-
litionsvertrag. Da konnten wir uns nicht durchsetzen. Für
uns bleibt das Thema dennoch auf der Agenda, und wir
werden weiter dafür kämpfen und streiten, auch streiten,
dass wir dafür Mehrheiten gewinnen können.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1817409900

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Peter Weiß

von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1817410000

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Wenn man diese
Debatte richtig verstehen will, muss man einfach einmal
zurückgehen zur Rentenüberleitung. Es ist so gewesen,
wie es der Kollege Kurth von den Grünen erklärt hat:
Man hat das westdeutsche Rentenrecht dem gesamtdeut-
schen Rentenrecht zugrunde gelegt, ein Rentenrecht,
das bekanntermaßen so ausgestaltet ist: Es ist lohn- und
beitragsbezogen. Für das, was ich in die Rente einzahle,
bekomme ich eines Tages ein entsprechendes Äquivalent
als Rente ausgezahlt. Das ist auch das, was die Bürge-
rinnen und Bürger, die Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer als gerecht empfinden, nämlich dass ihre Rente,
wenn sie viel eingezahlt haben, höher ist, als wenn sie
weniger eingezahlt haben.

Das DDR-Rentenrecht war im Gegensatz dazu etwas
ganz, ganz anderes, nämlich ein Rentenrecht mit vie-
lerlei Sonderregelungen, Zusatzversorgungssystemen,
Zuschlägen, Abschlägen usw. usf. Es ist aufgehoben
worden in dem gesamtdeutschen Rentenrecht, das so
funktioniert, wie ich es erklärt habe.

Der Effekt war – deswegen ist es so gemacht wor-
den –, dass die Rentnerinnen und Renten im Osten nicht

benachteiligt werden. Hätte man das alte Recht beibehal-
ten – um es einmal klar und deutlich zu sagen –, würde
die große Masse der Rentnerinnen und Rentner im Osten
Deutschlands Hunger leiden und wäre auf staatliche Un-
terstützung angewiesen, weil diese Minirente im Osten
niemals zum Leben ausreichen würde.


(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Darum geht es doch gar nicht!)


Es war das Beste, was den Rentnerinnen und Rentnern
im Osten geschehen konnte, dass sie in dieses gesamt-
deutsche Rentenrecht übergeleitet worden sind, das eben
beitragsbezogen ist und das sich an der Lohnentwicklung
orientiert und dynamisch ausgestaltet ist. Deswegen sind,
wenn man es sich genau anschaut, die Rentnerinnen und
Rentner im Osten die eigentlichen Gewinner der deut-
schen Einheit .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das ist möglich geworden durch eine großartige Soli-
darleistung der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler.
Letztlich – um es einmal klar und deutlich zu sagen – ha-
ben die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler im Wes-
ten mit ihren Beiträgen mitgeholfen, dass wir diese Ren-
ten auszahlen konnten, die nach der deutschen Einheit im
Osten möglich geworden sind.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich finde, in einer solchen Debatte sollten wir als Poli-
tiker als Allererstes ein herzliches Dankeschön für diese
großartigen Solidarleistungen der Rentenbeitragszahle-
rinnen und -beitragszahler in Deutschland sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


In ganz Deutschland, auch im Westen, gibt es Berufe
mit unterschiedlichen Anforderungen, unterschiedlichen
Gefährdungsstufen und unterschiedlicher körperlicher
Belastung. Aber jeder weiß: Es gibt keine Sonderrechte,
kein gesondertes Rentenrecht für jeden einzelnen Beruf,
sondern ein solidarisches und soziales Rentenrecht für
alle. Daran sollten wir festhalten. Die Linke will das än-
dern. Sie will das gesamtdeutsche Rentenrecht zerschie-
ßen und wieder Sonderregelungen für einzelne Berufs-
gruppen einführen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der LINKEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Beim Schießen kennen Sie sich aus! Ich war nicht bei der Bundeswehr! – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das war wieder ein ganz sachlicher Beitrag!)


Da man das Schicksal der Mütter und der Frauen be-
klagt, gibt es – das muss man ganz ehrlich sagen – aus
westdeutscher Sicht auch etwas anzumerken . Die durch-
schnittliche Rente der Frauen im Westen liegt bei 44 Pro-
zent der durchschnittlichen Rente der Frauen im Osten.
Klar, das hat Gründe: Im Westen wurde ein anderes Fa-
milienmodell praktiziert. Die Frauen im Westen sind aus
dem Beruf ausgestiegen, wenn sie Kinder bekommen ha-
ben. Das alles ist vollkommen richtig. Die Rente ist nun
einmal lohn- und beitragsbezogen. Wenn man aber hier
das Hohelied der Erziehungsleistungen der Frauen an-

Daniela Kolbe






(A) (C)



(B) (D)


stimmt, dann könnte man auch über eine Sonderregelung
für Frauen im Westen nachdenken, um deren Nachteile
heutzutage auszugleichen. Wenn Sie so argumentieren,
dann sollten Sie einen entsprechenden Antrag stellen.


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Dann können Sie ja einen Vorschlag machen!)


Das machen Sie natürlich nicht, weil Sie eine reine Ost-
partei sind und Sie deswegen das Schicksal der Frauen
im Westen gar nicht interessiert .


(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Herr Weiß, Sie waren schon gestern unterirdisch! Aber heute wissen Sie, dass Sie richtig lügen!)


Nun zur Mütterrente. Es waren Helmut Kohl und
Norbert Blüm, die im Jahr 1986 dafür gesorgt haben,
dass es zum ersten Mal im deutschen Rentenrecht für
Erziehungsleistungen einen zusätzlichen Entgeltpunkt,
also einen zusätzlichen Rentenpunkt, gibt. Im Osten, in
der DDR, ist zu dem Thema überhaupt nichts passiert .
Es war die Union, die in ihrem Wahlprogramm 2013 ge-
sagt hat: Wir wollen als prioritäres Anliegen im Fall der
erneuten Regierungsübernahme dafür sorgen, dass aus
diesem einen Entgeltpunkt zwei Entgeltpunkte für all die
Mütter werden, deren Kinder vor 1992 geboren sind. Wir
haben das auch durchgesetzt. Nun wissen die Frauen in
ganz Deutschland: Mütterrente ist eine Regelung, die sie
in erster Linie der Union verdanken, weil die Union für
diese Lösung gekämpft hat.


(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Und die Erde ist eine Scheibe!)


Ich will mich natürlich bei den sozialdemokratischen
Kolleginnen und Kollegen bedanken, dass wir das ge-
meinsam in der Koalitionsvereinbarung festgelegt und
auch prompt umgesetzt haben .

Natürlich lässt sich das Problem der Mütterrente –
wie dargelegt – am ehesten lösen, wenn wir, was den
Rentenwert und die Bemessung der Renten angeht, zu
einem einheitlichen System in ganz Deutschland über-
gehen; das ist vollkommen richtig. Deswegen haben
wir das so im Koalitionsvertrag festgelegt. Aber ich will
noch einmal darauf hinweisen, wo das Problem besteht.
Derzeit werden die von einem Erwerbstätigen im Osten
Deutschlands während des Arbeitslebens erreichten Ent-
geltpunkte, also seine Rentenansprüche, um 16 Prozent
hochgewertet. Diese Höherwertung der Entgeltpunkte
bringt denjenigen, die demnächst im Osten Deutschlands
in Rente gehen, mehr Rente als das von Herrn Kurth vor-
geschlagene System, das vorsieht, diese Höherbewertung
zu beenden und dafür den Rentenwert anzugleichen. Die
Differenz zwischen dem Rentenwert Ost und dem Ren-
tenwert West ist deutlich geringer als die 16-prozentige
Höherwertung. Hier besteht das eigentliche Problem.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn wir – mutig, wie wir sind – im Bundestag kur-
zerhand beschließen würden, die Höherwertung zu been-
den und die Rentenwerte in Ost und West anzugleichen,
sodass der Zahlbetrag für jeden Arbeitnehmer in Ost und

West gleich wäre, wäre dies für viele Mitbürgerinnen
und Mitbürger im Osten, die in den kommenden Jahren
in Rente gehen, ein Minusgeschäft. Deswegen haben wir
uns bisher an diese Problematik nur vorsichtig herange-
wagt. Man muss jedenfalls den Bürgerinnen und Bürgern
die Wahrheit sagen, was solche Vorschläge für sie finan-
ziell konkret bedeuten.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tun wir!)


Wir wollen ein gemeinsames Rentenrecht in Ost und
West. Wir wollen die Diskussion darüber, ob ein Kind im
Osten uns weniger wert ist als eines im Westen, beenden
und alle gleich behandeln. Aber das muss so geschehen,
dass es dabei keine große Zahl an Verliererinnen und
Verlierern gibt. Wir wollen deswegen einen vernünftigen
Übergang und kein Hauruckverfahren, das sich manche
wünschen, dessen Konsequenzen sie aber nicht beden-
ken .

Zum Schluss: Es bleibt ein großartiges historisches
Verdienst unserer damaligen Bundestagskolleginnen und
-kollegen, diese Rentenüberleitung geschafft zu haben
und ein Rentenrecht geschaffen zu haben, von dem vor
allem die Mitbürgerinnen und Mitbürger, die Rentnerin-
nen und Rentner im Osten Deutschlands profitieren.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1817410100

Vielen Dank. – Frau Kipping erhält das Wort zu einer

Kurzintervention.


Katja Kipping (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1817410200

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Weiß hat den

Eindruck erweckt, wir würden nur Vorschläge für Rent-
nerinnen und Rentner im Osten unterbreiten. Deswegen
möchte ich das richtigstellen. Von unserem rentenpoliti-
schen Vorschlag, dass das gesetzliche Rentenniveau wie-
der erhöht wird, profitieren Menschen in Ost wie West
gleichermaßen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Auch von unserem Vorschlag, eine solidarische Min-
destrente von mindestens 1 050 Euro einzuführen, profi-
tieren Männer wie Frauen in Ost und West gleicherma-
ßen.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1817410300

Herr Weiß, Sie haben die Möglichkeit zu einer Erwi-

derung .


Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1817410400

Verehrte Frau Kollegin Kipping, ich finde es doch be-

achtlich, dass Sie jetzt, zum Schluss der Debatte, nach-
dem Sie die erste Rednerin in dieser Debatte waren, von
dem, was Sie vorgetragen haben – ich rede von den Son-
derregelungen, die Sie haben wollen –, abweichen und

Peter Weiß (Emmendingen)







(A) (C)



(B) (D)


darauf verweisen, dass wir ein gesamtdeutsches Renten-
konzept brauchen . Das ist doch sehr bemerkenswert . Das
schlechte Gewissen steckt Ihnen offenbar in den Kno-
chen. Das muss ich jetzt einmal feststellen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Herr Weiß, Sie sind eine peinliche Nummer!)


Das Zweite ist: Eine gute Rente ist zuallererst das Er-
gebnis einer guten Beschäftigungslage und einer guten
wirtschaftlichen Entwicklung.


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Ja, aber nicht bei 1-Euro-Jobs!)


Das Schöne ist, dass wir am 1. Juli dieses Jahres gerade
für die Rentnerinnen und Rentner im Osten Deutschlands
eine deutlich stärkere Steigerung ihrer Renten erreichen
werden als für die im Westen. Das zeigt: Dynamik am
Arbeitsmarkt, Wachstum und Beschäftigung sind die
Grundlagen für eine gute Rente. Das haben wir mit un-
serer Politik geschaffen, auch mit der Politik der Großen
Koalition. Darauf sind wir stolz. Das ist eine gute Nach-
richt für die Rentnerinnen und Rentner in Ost wie West.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das geht nur mit Doping!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1817410500

Frau Wolff, jetzt haben Sie das Wort für die SPD-Frak-

tion .


(Beifall bei der SPD)



Waltraud Wolff (SPD):
Rede ID: ID1817410600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine Damen und Herren auf den Zuschauer-
tribünen! Wenn wir über Rente sprechen, dann schauen
wir natürlich in die Vergangenheit, wir schauen auch ein
bisschen in die Gegenwart, aber wir vergessen oft, in die
Zukunft zu schauen. Ich will am Schluss dieser Debatte
sowohl in die Vergangenheit als auch in die Gegenwart
und die Zukunft schauen .

Wir diskutieren seit Jahren – ich bin seit 1998 Mitglied
dieses Hauses – jährlich über das Thema der Überleitung
des Rentensystems Ost in das gesamtdeutsche Renten-
system. Dabei sind natürlich auch die Sondersysteme im-
mer wieder im Fokus der Diskussion der Linken. Ja, mit
den gesetzlichen Regelungen von 1992 wurde nicht alles
so bedacht, wie es hätte sein müssen, und, ja, es ist zu
Ungerechtigkeiten gekommen, und, noch einmal ja, ich
verstehe, wenn sich Menschen an dieser Stelle ungerecht
behandelt fühlen.

Aber – auch das sage ich zum wiederholten Male; wir
haben am 2. Oktober letzten Jahres zum letzten Mal über
dieses Thema gesprochen, nur unter einer anderen Über-
schrift; da habe ich das gesagt, was mein Kollege Weiß
und andere Vorredner, unter anderem Herr Kurth, gesagt
haben –: Die Rentensystematik, die gewählt wurde, kann
diese besonderen, schwerwiegenden Härtefälle nicht auf-
fangen. Genau darum sagt die SPD doch immer wieder:
Wir wollen eine Lösung für Menschen, die besonders

betroffen sind. Darum brauchen wir den Härtefallfonds.
Davon gehen wir nicht ab .


(Beifall bei der SPD)


Ich möchte als letzte Rednerin in dieser Debatte den
Blickwinkel etwas weiten. In der Gegenwart erleben wir
immer wieder, dass der niedrigere Rentenwert im Osten
einfach da ist. Für viele Menschen im Osten der Repu-
blik ist das das Symbol dafür, dass ihre Lebensleistung
im vereinten Deutschland nicht so wertgeschätzt wird,
wie es sein sollte. Ganz deutlich ist das in dieser Debatte
in Bezug auf die Mütterrente geworden .

Ich wiederhole es zum Schluss: Die Große Koalition
hat gesagt, dass sie jetzt den Fahrplan für ein einheitli-
ches Rentensystem vorlegt. Dazu stehen wir. Dann hat
diese Diskussion endlich ein Ende.

Bislang steht dem niedrigen Rentenwert der Höher-
wertungsfaktor zur Seite; das hat auch Kollege Weiß ge-
sagt . Auf diese Weise werden die niedrigeren Einkom-
men Ost höher bewertet als die Einkommen West.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Bleibt immer noch eine Lücke!)


Diese Höherwertung ist immer noch absolut notwendig.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Schaut man sich einen Vergleich der Löhne in den Bun-
desländern an, dann stellt man fest, dass Brandenburg,
Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Mecklen-
burg-Vorpommern ganz hinten liegen. In Brandenburg,
dem Land, in dem die höchsten Einkommen im Osten
erzielt werden, waren es 2015 446 Euro weniger als in
Schleswig-Holstein, dem Land mit den niedrigsten Ein-
kommen im Westen .

Wer sich die Gegenwart im Osten anschaut, der be-
kommt einen klaren Blick für die Zukunft. Die Lage auf
dem ostdeutschen Arbeitsmarkt hat einen Preis: niedri-
gere Renten in der Zukunft. Arbeitslosigkeit, prekäre
Beschäftigung, niedrige Löhne, all das schlägt sich in
niedrigeren Rentenbeiträgen und später natürlich auch in
niedrigen Renten nieder – niedrige Renten aus der ge-
setzlichen Rentenversicherung, die im Osten eben nicht
mit Betriebsrenten oder privaten Lebensversicherungen
aufgestockt werden. Darum sage ich ganz deutlich: Die
Gegenwart macht mir nicht so viel Sorge wie die Zukunft.
Während die Armutsgefährdungsquote der heute 50- bis
64-Jährigen in allen westdeutschen Flächenländern sinkt,
steigt sie in den Stadtstaaten und in allen östlichen Bun-
desländern. In Sachsen wird sie am dritthöchsten sein.
Während die Renten im Westen stabil bleiben, sinken die
Renten im Osten. Für die Menschen, die zwischen 1962
und 1971 geboren wurden, werden die Renten mit un-
gefähr 600 Euro im Bereich der Grundsicherung liegen.
Diese abzusehende Entwicklung bei den Renten im Os-
ten ist dramatisch, und sie wird sich fortschreiben, wenn
wir es nicht schaffen, auch im Osten angemessene Löhne
zu zahlen.

An dieser Stelle möchte ich noch einmal darauf hin-
weisen: Da, wo Gewerkschaften stark sind, werden Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer gut vertreten . Da

Peter Weiß (Emmendingen)







(A) (C)



(B) (D)


gibt es eine bessere Unterstützung . Da verdienen Arbeit-
nehmer meist mehr .


(Beifall bei der SPD)


Das heißt, jeder Arbeitnehmer ist dazu aufgerufen, sich
selber zu vertreten oder vertreten zu lassen.


(Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])


Die Folgen dieser Entwicklung sind – das ist meine
feste Überzeugung – nur innerhalb der gesetzlichen Ren-
tenversicherung abzufangen . Daran müssen wir arbeiten .
Darum sagen wir: Die Einführung der Solidarrente wird
unser nächster Schritt sein.


(Beifall bei der SPD)


Der eine oder andere mag vielleicht sagen, ich hätte
heute das Thema verfehlt.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Zeit überzogen haben Sie!)


Ich sage seit Jahren, dass die Ungerechtigkeiten, die bei
der Rentenüberleitung entstanden sind, nur mit einer
Härtefallregelung beseitigt werden können. Die Zukunft
der Renten in den neuen Bundesländern sollte uns allen
hier viel mehr Anlass zur Diskussion im Hohen Hause
geben .


(Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Ja!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum
Schluss. Ich bin seit 1998 Mitglied dieses Hauses, habe
es aber noch nie geschafft, freitags die letzte Rednerin zu
sein. Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1817410700


Jetzt haben Sie es aber geschafft, Frau Wolff. – Damit
schließe ich die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/8612 und 18/7903 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.

Wir haben noch eine Abstimmung durchzuführen,
liebe Kolleginnen und Kollegen. Sie müssen noch blei-
ben. – Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlus-
sempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales
zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel
„Ungerechtigkeiten bei Mütterrente in Ostdeutschland
und beim Übergangszuschlag beheben“. Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 18/6706, den Antrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 18/4972 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung mit
den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Op-
position bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen an-
genommen worden .

Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Mittwoch, den 8. Juni 2016, 13 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen. Jetzt darf auch ich Ihnen
ein schönes Wochenende wünschen.