Gesamtes Protokol
Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie herzlich und freue mich, dass wir die heutige
Debatte mit einer Geschäftsordnungskontroverse begin-
nen können .
Das bringt doch den Blutdruck auf den üblichen Stand .
Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD haben fristge-
recht beantragt, die heutige Tagesordnung um die Wahl
der vom Deutschen Bundestag zu benennenden Mitglie-
der des Kuratoriums des Deutschen Instituts für Men-
schenrechte zu erweitern und als Zusatzpunkt 4 gleich zu
Beginn der Tagesordnung aufzurufen .
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Kollege
Grosse-Brömer für die CDU/CSU-Fraktion .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! So spannend ist das Thema ja nun nicht . Aberes ist auch nicht unwichtig; die Grünen würden ja sonstnicht widersprechen . Das machen sie ja nur bei wichtigenAngelegenheiten .Wer an die letzte Geschäftsordnungsdebatte zurück-denkt, wird sich daran erinnern, dass die Oppositionschon damals ziemlich schlecht aussah . Ich glaube, heutewird es noch schlimmer .
Es ist folgendermaßen: Schon damals hatten Sie kei-nen rechtlichen, keinen inhaltlichen und keinen verfah-rensrechtlichen Grund, irgendetwas zu vertagen . Heutekommt es noch schlimmer: Sie können nicht nur keinender genannten Gründe anführen, Sie als Grüne haben so-gar dem Verfahren, wie wir es heute ablaufen lassen wol-len, vollständig zugestimmt . Sie haben dem Gesetz, aufdessen Basis wir die Wahlen heute durchführen wollen,im Juni letzten Jahres zugestimmt . Das Verteilverfahren –die inhaltliche Basis des heutigen Verfahrens – habenSie noch im Juni letzten Jahres völlig richtig gefunden .Nicht nur das: Sie haben zuvor selbst einen vollkommenidentischen Gesetzentwurf eingebracht . Der Name derKollegin Haßelmann, die gleich sprechen wird, steht anprominenter Stelle darauf . Sie war also dafür, es so zumachen, wie wir es heute machen wollen .Ich freue mich auf Ihre Erwiderung gleich . Insofernmacht es wirklich Spaß, mit einer Geschäftsordnungsde-batte zu beginnen .Man kann es also kurz so zusammenfassen: Sie kri-tisieren heute ein Verfahren, dem Sie nicht nur zuge-stimmt, sondern das Sie selber vorgeschlagen haben .Peter Lustig hätte dazu gesagt: Das ist komisch von denGrünen, ist aber so .
Aber so lustig ist es ja vielleicht auch nicht . In der Sa-che sollten Sie wirklich überlegen, ob wir über Themen,bei denen Sie die verfahrensrechtliche Vorgehensweiseselbst vorschlagen und sie auch in einem eigenen Ge-setzentwurf verankert haben, dann, wenn es ernst wird,tatsächlich eine Geschäftsordnungsdebatte führen sollen .Es geht in der Tat um das Kuratorium des DeutschenInstituts für Menschenrechte . Wenn ich es richtig ver-standen habe, haben Sie jetzt sogar noch nicht einmalirgendwelche Bedenken gegen die vorgeschlagenen Per-sonen – es sei denn, ich werde gleich eines Besseren be-lehrt .Man kann letztendlich zusammenfassen: Die Perso-nen finden Sie richtig, das Verfahren haben Sie selbst vorgeschlagen, Sie haben einen entsprechenden Gesetz-entwurf eingebracht – und heute sind Sie dagegen . Ichbin auf Ihre Erklärung gespannt, warum das so ist . Wirsagen einfach: Sie haben uns von etwas, was Sie selbstfrüher für richtig befunden haben, überzeugt, und wir fin-den das auch richtig . Lassen Sie uns abstimmen! Es istgut . Es sind die richtigen Personen . Es ist das richtige
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Verfahren . Jedenfalls haben auch Sie selbst das vor weni-gen Wochen noch so gesehen .Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
Frau Haßelmann, bitte .
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen undHerren Kolleginnen und Kollegen! Ja, in der Tat wider-sprechen wir heute dem Aufsetzungswunsch; denn dierechtliche Absicherung des Deutschen Instituts für Men-schenrechte hat sehr lange gedauert . Dazu gab es hier imParlament ein sehr langes und zum Teil sehr unwürdigesVerfahren . Einige in der Koalition hätten sogar fast ris-kiert, dass dieses hoch anerkannte Institut für Menschen-rechte abgestuft worden wäre im internationalen Kon-text, indem Sie das nämlich einfach so heruntergemachtund so ignoriert haben .Deshalb haben wir gerne, Herr Grosse-Brömer, imallerletzten Moment – es war wirklich die allerletzteMöglichkeit vor Fristsetzung – dem Gesetz zugestimmt,damit das Deutsche Institut für Menschenrechte abge-sichert werden konnte, damit die gesetzliche Grundla-ge geschaffen wurde und wir damit als Parlament auchgemeinsam ein Zeichen setzen für Wertschätzung derArbeit des Deutschen Instituts für Menschenrechte . Unddas war richtig und gut . Wir würden das heute jederzeitwieder so tun .
Nachdem das Ganze aber so lange gedauert hat,
ein solches Hin und Her bestanden hat, auch solche Dif-famierungen gegen die Arbeit des Deutschen Instituts fürMenschenrechte erfolgten, wir nur in allerletzter Sekun-de die Kurve gekriegt haben –
wir haben ja fast ein Jahr lang darüber diskutiert –, wirduns dann heute, am Dienstag, gesagt:
So, da gibt es jetzt einen Vorschlag für das Kuratorium . –Wir haben dann gesagt: Nennen Sie uns doch bitte ein-mal die Namen . – Da hieß es: Ja, die haben wir geradenoch nicht parat, aber die haben wir, und die kriegen Siedann . – Am Dienstag dieser Woche! Bis dato war dasThema „Benennung der Kuratoriumsmitglieder“ nochnicht einmal auf Wunsch der Koalitionsfraktionen aufder Tagesordnung. Meine Damen und Herren, ich finde, das sind genug Gründe, um zu sagen: Wir widersprechender Aufsetzung .Schauen wir uns dann einmal die Sachlage an: Ja,das Verfahren ist so . Wir haben dem Gesetz zugestimmt .Zwei Mitglieder für das Kuratorium werden aus denReihen der MdBs bestimmt . Dass wir als kleinste Op-positionsfraktion kein Benennungsrecht für diese beidenMdBs haben, ist nie und an keiner Stelle von uns infragegestellt worden .
Das ist doch sowieso klar angesichts der Verteilung derStimmenanteile hier im Deutschen Bundestag .Dass Sie aber nicht die Größe und auch nicht das par-lamentarische Verständnis hatten, bei den sechs Mitglie-dern für das Kuratorium, die vom Parlament aus den Rei-hen von Wissenschaft und Zivilgesellschaft zu benennensind, zu sagen: „Das macht das Parlament gemeinsam .Hier kommen wir konsensual zu einem gemeinsamenVorschlag, wen das deutsche Parlament in das Kurato-rium als Fachexpertin oder als Fachexperten benennt“,
ist doch unvorstellbar angesichts der Thematik und ange-sichts der Breite, die abgebildet werden soll . Schließlichsoll das Deutsche Institut für Menschenrechte auch die-se Regierung kontrollieren . Wie ist denn jetzt das Sig-nal nach außen? Die Große Koalition, die die Regierungstellt, setzt alles daran, sich nicht mit den beiden klei-neren Fraktionen im Deutschen Bundestag darauf zu ei-nigen, welche sechs Personen man aus Zivilgesellschaftund Wissenschaft benennt .
Das finde ich, ehrlich gesagt, ziemlich armselig,
dass Sie diese Größe nicht hatten . Es ist auch nicht gutfür das Kuratorium und für die Außenwirkung des Ku-ratoriums .
Jetzt noch ein abschließender Punkt: Wenn man Ihreeinseitige, monothematische Besetzung ansieht,
dann kommt man zu der Auffassung, dass die auch nichtgut für das Institut für Menschenrechte ist . Wo sind dennInitiativen wie Pro Asyl, wo sind denn die Anliegen vonHuman Rights Watch und von Amnesty Internationalthematisch vertreten?
Michael Grosse-Brömer
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Und die SPD duckt sich bei der Frage am liebsten ganzweg, weil sie genau weiß, dass wir recht haben mit un-serer Kritik
an dieser so einseitigen Besetzung und an dieser mono-thematischen Besetzung im Hinblick auf Religionsfrei-heit . Damit tun Sie dem Institut und dem Kuratoriumkeinen Gefallen .
Das wissen wir alle, und das wissen die Fachverbändeganz besonders .
Unsere Ablehnung, die wir gleich bei der Wahl bekun-den werden – ich muss ja davon ausgehen, dass Sie fürIhren Aufsetzungsantrag eine Mehrheit bekommen –,
hat allerdings nichts mit einzelnen Personen, die hier zurWahl stehen, zu tun .
Frau Kollegin .
Wir kritisieren das Verfahren . Wir halten die mono-
thematische Besetzung für falsch und auch den Weg, den
Sie gewählt haben, indem Sie nicht alle Fraktionen des
Deutschen Bundestages einbezogen haben, um zu einem
konsensualen Vorschlag zu kommen .
Danke .
Können wir jetzt abstimmen? – Das ist gut so . Dannlasse ich über den Aufsetzungsantrag der Koalitionsfrak-tionen abstimmen . Wer stimmt der Aufsetzung dieses Ta-gesordnungspunktes zu? – Wer stimmt dagegen? – Werenthält sich? – Damit ist dem Aufsetzungsantrag mit denStimmen der Koalition gegen die Stimmen der Oppositi-on stattgegeben worden .
Ich rufe damit diesen gerade aufgesetzten Zusatz-punkt 4 auf:Wahl der vom Deutschen Bundestag zu benen-nenden Mitglieder des Kuratoriums des Deut-schen Instituts für Menschenrechte gemäß § 6Absatz 2 Nummer 4 und 5 des Gesetzes überdie Rechtsstellung und Aufgaben des Deut-schen Instituts für Menschenrechte – DIMRGDrucksache 18/7703Hierzu gibt es einen Wahlvorschlag der Fraktionenvon CDU/CSU und SPD auf der Drucksache 18/7703 .Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? – Wer stimmt da-gegen? – Wer enthält sich? – Damit ist dieser Wahlvor-schlag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stim-men der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltungder Fraktion Die Linke angenommen .Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 19 a und19 b:a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun-desregierung eingebrachten Entwurfs einesDritten Gesetzes zur Änderung des Auf-stiegsfortbildungsförderungsgesetzesDrucksache 18/7055Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-schusses für Bildung, Forschung und Technik-folgenabschätzung
Drucksache 18/7676
Drucksache 18/7677b) Beratung der Beschlussempfehlung unddes Berichts des Ausschusses für Bildung,Forschung und Technikfolgenabschätzung
– zu dem Antrag der AbgeordnetenDr . Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, MatthiasW . Birkwald, weiterer Abgeordneter und derFraktion DIE LINKEDurchlässigkeit in der Bildung sichern,Förderlücken zwischen beruflicher Bildungund Studium schließen– zu dem Antrag der Abgeordneten BeateWalter-Rosenheimer, Kai Gehring, ÖzcanMutlu, weiterer Abgeordneter und der Frakti-on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENBildungszeit PLUS – Weiterbildung für alleermöglichen, lebenslanges Lernen fördernDrucksachen 18/7234, 18/7239, 18/7676 Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt einÄnderungsantrag der Fraktion Die Linke vor .Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll dieAussprache 60 Minuten dauern . – Auch dazu gibt es of-fenkundig keine Meinungsverschiedenheiten . Dann kön-nen wir so verfahren .Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort demKollegen Thomas Feist für die CDU/CSU-Fraktion .
Britta Haßelmann
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Guten Morgen, Herr Präsident! Meine sehr verehr-ten Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute in ab-schließender Lesung die Neufassung des Gesetzes zumMeister-BAföG . Das Meister-BAföG ist außer an Hand-werker auch an andere adressiert, die im Rahmen der be-ruflichen Fortbildung ihren weiteren Lebensweg gehen wollen, ob das Techniker, Betriebswirte oder andere sind .Ich möchte Ihnen, Frau Ministerin, sehr herzlich dan-ken, dass Sie dafür gesorgt haben, dass aus Ihrem Hausschon ein sehr ambitionierter Gesetzentwurf kam, denwir in der parlamentarischen Beratung noch verbessernkonnten . Ich möchte an dieser Stelle auch besonders un-seren Haushältern danken; denn die Gesetzesänderun-gen, die wir jetzt auf den Weg bringen, werden in dennächsten Jahren über 100 Millionen Euro kosten .
Wahrscheinlich war es hilfreich, dass das erste Gesetzzur Aufstiegsfortbildungsförderung die Unterschrift vonWolfgang Schäuble trug . Insofern war er wahrscheinlichvon Anfang an nicht ganz dagegen . Also vielen Dank,Frau Ministerin, und vielen Dank an die Haushälterin-nen und Haushälter, dass wir heute so ein schönes Gesetzvorlegen können .
Was machen wir mit dem vielen Geld? Das ist ja schoneine ganze Menge . Obwohl: Wenn ich mir anschaue, waswir im Bereich der Wissenschaft investieren, ist auch davielleicht noch Luft nach oben . Aber wir wollen ja nichtklagen . Es ist ein schöner Tag . Zurück also zur Frage,was wir mit dem Geld machen .Zunächst statten wir dieses Programm besser aus . Eswird familienfreundlicher gestaltet . Es wird einen höhe-ren Zuschussbetrag geben . Wir werden die Grenze, bis zuder die Kosten einer Maßnahme geltend gemacht werdenkönnen, erhöhen, und wir werden auch bei der Förderungfür das Meisterstück eine ganze Menge Geld drauflegen. Die beste Nachricht für mich ist allerdings, dass die-jenigen, die eine solche Aufstiegsfortbildung erfolg-reich gemeistert haben, als Belohnung einen Erlass be-kommen, und zwar nicht mehr in Höhe von 25 Prozent,wie es bisher im Gesetz stand, sondern von 40 Prozent .Leistung lohnt sich, gerade im Bereich der beruflichen Aus- und Fortbildung! Deswegen ist das, was wir heutebeschließen, gut .
Ich habe mich auch sehr gefreut über die konstrukti-ven Beratungen, die wir dazu im Ausschuss hatten . Wirhatten eine Anhörung, bei der die Experten alle der Mei-nung waren – Herr Gehring wird mir hier zustimmen –,dass das, was wir tun, gut ist . Deswegen, glaube ich,werden Sie heute diesem Gesetzentwurf auch zustimmenkönnen . Ich glaube, auch die Fundamentalopposition hierauf der linken Seite wird heute zumindest – eventuell miteiner Enthaltung, wenn Sie dabei bleiben – dazu beitra-gen, dass wir für die berufliche Bildung etwas Wichtiges machen .Wir hatten ja in dieser Woche wegen der fremden-feindlichen Ausschreitungen die Gelegenheit, ein paarOrte in Sachsen kennenzulernen, von denen einige imHaus bisher gar nicht wussten, dass sie existieren .
Diesen Orten würde ich heute gerne ein paar weitere hin-zufügen, einfach um zu zeigen, dass das, was Sachsenausmacht, etwas völlig anderes ist . Die Orte, die ich Ih-nen heute näherbringen möchte, sind: Königswalde, Eh-renfriedersdorf, Aue und Leipzig . Den Namen der letzt-genannten Stadt haben vielleicht die einen oder anderenschon einmal gehört .
In Königswalde wurde ein junger Mann geboren, derNathanael Liebergeld heißt . Er wohnt jetzt in Aue – üb-rigens auch eine schöne Stadt . Er hat einen Gesellenbriefim Bereich Heizungs- und Sanitärinstallation erworben .Nun war das für ihn aber nicht der Endpunkt, sonderner hat gesagt: Ich möchte mich gerne weiterqualifizieren, richtig gut werden im Beruf . Seine Firma hat ihn dabeiunterstützt . Das ist auch gar nicht so einfach . Wenn manbesonders ambitionierte junge Leute hat, haben die auchandere Möglichkeiten, werden vielleicht auch abgewor-ben . Deswegen ist es wichtig, dass die Wirtschaft so et-was unterstützt . Er hat das große Glück gehabt, dass ernicht nur sehr ambitioniert, sehr gut und fleißig in seinem Beruf war, sondern er hatte auch die Gelegenheit, einenLeipziger Installateurmeister kennenzulernen, dessenName André Schnabel ist . Dieser Installateurmeister ar-beitet ehrenamtlich als Trainer für die Berufsweltmeis-terschaften, die WorldSkills . Dieses Gespann hat es dochtatsächlich geschafft, mit Unterstützung der Firma vonNathanael Liebergeld aus Ehrenfriedersdorf – die Unter-nehmen müssen natürlich solche jungen Leute bei Wett-kämpfen freistellen; auch hier investieren die Unterneh-men –, dass das Team Germany im letzten Jahr in SãoPaulo bei einem Bewerberfeld aus mehr als 50 Nationenals bestes eine Goldmedaille errang . An solche Personenwie diesen jungen Mann und auch an andere besondersbegabte und fleißige junge Frauen und Männer denke ich, wenn wir heute diesen Gesetzentwurf verabschieden .„Beste Förderung für die Besten in unserem Land“ – dasist unser Motto . Genau das setzen wir auch heute um .
Vielleicht noch etwas Positives über Sachsen: Dorthat die Große Koalition verabredet, einen Meisterbonuseinzuführen für alle, die ein Meisterstudium erfolgreichabgeschlossen haben . Das heißt, das wird jetzt noch vieleinfacher . Auch der junge Mann, von dem ich gerade be-richtet habe, wird im August, also genau zu dem Zeit-punkt, wenn das Gesetz in Kraft treten soll, sein Meis-terstudium beginnen . In Sachsen werden wir also einenMeisterbonus einführen . Und das ist Politik, wie ich sieverstehe: Werbung und Unterstützung für die berufliche Bildung sowie für die berufliche Fort- und Aufstiegsbil-dung . Das ist Politik für die Besten in unserem Land, für
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die Leistungsträger unserer Gesellschaft . Deswegen bitteich Sie, unserem Gesetzentwurf zuzustimmen .
Rosemarie Hein ist die nächste Rednerin für die Frak-
tion Die Linke .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Liebe Kolleginnen undKollegen! Lieber Herr Feist, ich werde einmal Ihre Ar-beit übernehmen und nicht über Sachsen, sondern überdas Gesetz und die hier vorliegenden Anträge reden .
In der Tat ist dieses, kurz als Meister-BAföG bezeich-nete Gesetz ein wichtiges Instrument für berufliches Fortkommen, vor allen Dingen für jene Menschen, dieihren Berufsweg im Rahmen der dualen Berufsausbil-dung begonnen haben;
denn dies ist in der Regel Voraussetzung, nach diesemGesetz gefördert zu werden . Es war hohe Zeit, die För-derhöhen aufzustocken und die Förderbedingungen zuverbessern . Dem wird das Gesetz allerdings, trotz derNachbesserungen im Ausschuss, die wir überhaupt nichtgeringschätzen wollen, nur teilweise gerecht . Wie schonin der Debatte zum Studierenden-BAföG müssen wir Ih-nen sagen, dass die Anpassungen einfach nicht reichen .
Sie nehmen nicht hinreichend Bezug auf die veränderten,gestiegenen Lebenshaltungskosten, und das muss sichändern .
Mit der Gesetzesnovelle – das will ich einräumen –haben Sie versucht, den veränderten Berufsbiografien ge-recht zu werden, und das ist auch notwendig . Berufswegeverlaufen heute mitunter anders, sind nicht mehr ganz sogeradlinig: Schule, Ausbildung, Beruf, eventuell spätereine Weiterbildung . Darum ist es richtig, über die For-men der Weiterbildung auch eine Neu- oder Umorientie-rung im beruflichen Werdegang durch Aufstiegsfortbil-dung möglich zu machen .Die Öffnung des Meister-BAföG für eine Ausbildungnach dem Bachelorstudium ist ein solcher Weg . Aber wa-rum nur dieser eine, und warum nur in diese Richtung?Warum kann ein Meister für ein späteres Bachelorstudi-um in der Regel keine Förderung bekommen? Warumkönnen nicht auch Masterabsolventen eine Förderungnach diesem Gesetz erhalten? Dass dies nicht möglichist, wurde auch in der Anhörung im Ausschuss kritisiert .Wir brauchen viel mehr Flexibilität auch in der Bildungs-förderung, wenn der berühmte Slogan von der Durchläs-sigkeit im Bildungssystem, die so sehr sinnvoll ist, nichtzu Makulatur verkommen soll .
– Regen Sie sich nicht so auf! Ich habe schon recht .
Das war auch der Grund, warum wir zu dem Gesetz-entwurf einen Antrag gestellt haben: Uns ist es wichtig,die Durchlässigkeit in der Bildung zu sichern und diebestehenden Förderlücken zwischen beruflicher Bil-dung und Studium zu schließen . Das heißt eben, dassdie Förderung gleichwertiger Bildungsgänge sich nichtwechselseitig ausschließen darf . Das heißt auch, dass dieFörderbedingungen, zum Beispiel zwischen Studieren-den-BAföG und Meister-BAföG, angepasst werden müs-sen . Studierende an einer Hochschule und Lernende anTechnikerschulen befinden sich doch oft in vergleichba-ren Lebenssituationen . Wieso sollen sie unterschiedlichbehandelt werden?
Ich will Ihnen ein Beispiel dafür nennen . Wiesoist ein Kind in beiden Systemen unterschiedlich vielwert? Studierende erhalten nur einen Kinderzuschlagvon 130 Euro . Wer Meister-BAföG erhält, bekommt235 Euro Kinderzuschlag
– genau das ist ja das Problem –
und noch 130 Euro für Betreuungskosten . Da wird mitzweierlei Maß gemessen, und das ist nicht richtig . Wirfordern, dass auch für Studierende mit Kind gleiche Be-dingungen gelten .Noch einmal etwas zur Durchlässigkeit: Wenn jemandnach einer Ausbildung an einer Fachschule oder im Rah-men eines Meisterlehrgangs keine Förderung nach Stu-dierenden-BAföG mehr bekommt – das ist im Momentso –, ist ein Masterstudiengang in der Regel auch nichtmöglich; denn da wird der Bachelor vorausgesetzt . DieseFördersystematik ist unlogisch, und das muss sich än-dern .
Die Begründung des Ministeriums, die ich kürzlich er-hielt, dass es sich hier schließlich um zwei gleichwertigeBildungsgänge handele und man nicht zwei gleichwerti-ge Bildungsgänge gleichzeitig oder nacheinander fördernmöchte, ist eigentlich obsolet geworden;
Dr. Thomas Feist
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denn mit diesem Gesetz öffnen Sie das . Sie schaffennämlich die Möglichkeit, Meister-BAföG nach einemBachelorstudium zu erhalten .
– Ja, sicher . Wir müssen es bloß auch in umgekehrterRichtung möglich machen .
Ich weiß, dass diese Probleme nicht mit diesem Ge-setz zu lösen sind;
aber ich finde, wir müssen hier grundsätzlich neu nach-denken .Dann die Sache mit der Erzieherinnen- bzw . Erzie-herausbildung . Für die Erzieherinnen- bzw . Erzieheraus-bildung und im Übrigen auch für die Altenpflegeausbil-dung wurde das Gesetz, über das wir heute diskutieren,vor einigen Jahren geöffnet . Das war durchaus sinnvoll,aber nicht zu Ende gedacht . Wir alle hatten die Petitioneines jungen Mannes auf dem Tisch, der Erzieher wer-den wollte . Diese Ausbildung dauert drei Jahre . Andersals bei den sonstigen Ausbildungen nach diesem Gesetz,gehört ein beträchtlicher Teil Praxis zur Ausbildung . Ins-gesamt umfasst die praktische Ausbildung den Zeitwerteines ganzen Ausbildungsjahres, und das muss auch sobleiben; doch diese Zeit war nicht förderfähig . Nun hoff-te der Petitionsausschuss, wir würden das mit diesemGesetz ändern . – Das ist nicht geschehen . Praktika sindimmer noch nicht förderfähig .Ich will das kurz erklären: Erziehungsfachkräfte wer-den für die Arbeit mit jungen Menschen im Alter von 0 bis 27 Jahren ausgebildet . Um da annähernd die nö-tige Praxis zu erhalten, sind praktische Erfahrungen inmindestens zwei Tätigkeitsfeldern oder zwei Aufgaben-gebieten oder zwei Einsatzstellen notwendig . Mit einembezahlten Anerkennungsjahr, das es in einigen Bundes-ländern gibt, kann man das eigentlich nicht erreichen .Sie haben nun das Gesetz für einen Ausbildungsweggeöffnet, für das es eigentlich nicht vorgesehen war . Nunmüssen Sie aber auch die Bedingungen so gestalten, dassdie Unterschiede nicht zulasten der Auszubildenden ge-hen, dass sie dieses Risiko nicht alleine tragen müssen .
Sie machen die Tür zwar ein wenig auf, aber nicht ganz .Sie ermöglichen die Förderung, wenn eine Ausbildungs-dichte in Vollzeitform von 70 Prozent erreicht wird, also70 Prozent der Unterrichtsstunden müssen Präsenzstun-den sein . Das reicht aber doch nicht, wenn mindestensein Drittel der Ausbildung Praxis sein soll; das sagt unsdie Prozentrechnung . Das können auch die Länder nichtlösen, wie Sie sich das so vorstellen .Bei aller Unterschiedlichkeit der Ausbildungswege inden Ländern: Dort haben sie erst im vergangenen Jahreine Vereinbarung getroffen, an die sich jedes Bundes-land hält . In der Vereinbarung wurde festgehalten, dassein Drittel praktische Ausbildung sein muss . Das istvorgeschrieben, man kann es sich nicht aussuchen . Manbekommt dafür in der Regel auch bei integrierten Aus-bildungen kein Geld . Dort werden die Praxisabschnittenämlich in die anderen Abschnitte einbezogen .Wir haben Ihnen nun einen Vorschlag gemacht, des-sen Umsetzung niemandem wehgetan hätte . Damit hät-te man aber das Problem für die Auszubildenden gelöst .Man kann pflichtig vorgeschriebene Praktika einfach dem Vollzeitunterricht gleichstellen, und schon wäre dieKuh vom Eis .
Man muss auch keine Angst haben, dass damit irgend-welche Lücken oder Schlupflöcher geschaffen würden, die andere ausnutzen . Man kann in dieser Zeit etwaigeEinkommen gegenrechnen . Man kann das bezahlte Prak-tikumsjahr von der Regelung ausnehmen; da brauchtman ja auch keine Unterstützung .Mit den von uns vorgeschlagen Änderungen wäreeine Lösung möglich gewesen . Wir haben im Vorfeldversucht, das mit Ihnen zu klären . Das hat leider nichtgeklappt . Ich gebe zu, die Gewerkschaften waren da auchnicht gerade hilfreich .
Die haben nur die duale Ausbildung im Blick und wissenoffensichtlich nicht, wie eine Erzieherinnen- bzw . Erzie-herausbildung tatsächlich funktioniert. Ich finde, dass das ein bisschen schade und auch schwierig ist, weil wirgerade in diesem Bereich einen sehr hohen Fachkräfte-bedarf haben .
– Nein, sie können das nicht regeln . Sie haben es gere-gelt . Sie sagen: Ein Drittel der Ausbildung ist praktischeAusbildung, und Punkt . – Wir aber sagen: Das ist euerPech, dann bekommen die keine Förderung . – Das istdoch das Problem .
Geben Sie endlich Ihren Tunnelblick auf! Achten Siedarauf, was um Sie herum passiert . Wir geben Ihnen heu-te noch einmal die Gelegenheit, das entsprechend zu kor-rigieren . Wir haben einen Änderungsantrag eingebracht .Sie haben also noch einmal eine Chance . Stimmen Siealso unserem Antrag zu, dann sind wir fast rundumglücklich!
Eine abschließende Bemerkung möchte ich zum An-trag der Grünen machen: Ein Instrument, das für die be-rufliche Weiterbildung – und nur für diese – gedacht ist,
kann die Probleme der allgemeinen Weiterbildung nichtlösen, so wichtig eine Lösung wäre . Sie verweisen aufdie Bildungszeit PLUS, aber damit lösen wir die Proble-me auch nicht . Wir brauchen ein Weiterbildungsförder-gesetz und ein umfassendes Bildungsfreistellungsgesetz .Beide scheitern bislang an den Grenzen der Zuständig-Dr. Rosemarie Hein
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keiten zwischen Bund und Ländern . Darum werden wiruns bei Ihrem Antrag der Stimme enthalten .Das Meister-BAföG werden wir nicht blockieren,
weil wir finden: Es ist ein kleiner Schritt in die richtige Richtung . Unsere Forderungen halten wir aber aufrecht .Vielen Dank .
Martin Rabanus erhält nun das Wort für die SPD-Frak-
tion .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr verehrten Damen und Herren auf den Besu-chertribünen! Frau Dr . Hein, herzlichen Dank für IhrenBeitrag und für den versöhnlichen Schluss . Sie haben jadeutlich gemacht, dass die Neuregelungen zum Meis-ter-BAföG, die wir heute beschließen können, etwashervorbringen, was selten passiert . Nach Lage der Din-ge werden wir den vorliegenden Gesetzentwurf hier imDeutschen Bundestag nämlich einstimmig – bei IhrerEnthaltung – beschließen .
Das ist in der Tat ein Adelsschlag für den Gesetzentwurf,den die Regierung vorgelegt hat . Die Fraktion der Grü-nen wird sich sicherlich auch da einreihen können; jeden-falls wenn Sie das nachvollziehen, worauf wir uns in derletzten Beratung im Ausschuss verständigt haben .Die AFBG-Novelle ist eine große Novelle; der Kol-lege Feist hat darauf hingewiesen . Wir können ein Vo-lumen von 90 bis 100 Millionen Euro jahresbezogen fürdie Stärkung der Meisterausbildung bewegen, sozusagenfür die Stärkung des oberen Endes der beruflichen Aus-bildung . Das ist ein großer, ein wichtiger Schritt in Rich-tung Gleichwertigkeit von beruflicher und allgemeiner Bildung . Deswegen ist heute in der Tat ein guter Tag fürdie berufliche Bildung.
Wir können – das will ich schon noch einmal erwäh-nen – nicht nur die Förderung deutlich ausweiten – diemaximal förderfähigen Lehrgangs- und Prüfungsgebüh-ren steigen von rund 10 000 auf 15 000 Euro –; wir er-höhen auch den Zuschuss für das Meisterstück deutlich .Wir erhöhen die Vermögensfreibeträge deutlich . Wirerhöhen die Familienkomponente deutlich . Wir erhöhenden Zuschuss zum Unterhalt auf 50 Prozent und den Zu-schuss zum Maßnahmebeitrag auf 40 Prozent . Wir er-höhen den Belohnerlass von 25 Prozent auf 40 Prozent .Es sind großartige Zahlen, die wir vorweisen können; dabrauchen wir uns nicht zu verstecken .Wir öffnen das Meister-BAföG für Bachelorabsolven-ten . Wir modernisieren das Gesetz insgesamt . Wir ma-chen damit einen großen Schritt und vollziehen das nach,was wir in der BAföG-Novelle, deren substanzielle Teilezum Wintersemester in Kraft treten, für die Schülerinnenund Schüler sowie die Studierenden bereits beschlossenhaben .Dazu kommt – darauf will ich in diesem Zusammen-hang auch hinweisen – eine neue Gesetzesinitiative,die im April den Deutschen Bundestag erreichen wird,nämlich das Gesetz zur Weiterbildungsstärkung, das dasKabinett Anfang Februar beschlossen hat . Damit schließtsich sozusagen der Kreis . Dieses Gesetz, das Frau Nahlesvorgelegt hat, bezieht sich auf die Schwächeren, die Ge-ringqualifizierten, diejenigen, die älter sind und eine län-gere Arbeitslosigkeit hinter sich haben .
Die BAföG-Novelle haben wir bereits beschlossen . DieNovelle zum Meister-BAföG beschließen wir heute . Da-mit ist der Bogen gespannt .
Die Große Koalition schaut nicht mit einem Tunnel-blick – es ist interessant, wenn man den Tunnelblickvon denjenigen vorgeworfen bekommt, die gern mitScheuklappen unterwegs sind –,
sondern wir schauen auf die gesamte Bandbreite derMenschen in der beruflichen Bildung, für die wir etwas tun können und tun wollen .Ich möchte gern noch auf Ihren Hinweis zu den Prak-tika und der Erzieherinnenausbildung eingehen, FrauDr. Hein. Ich finde, man kann sich das nicht so einfach machen . Die Expertinnen und Experten in der Anhörunghaben uns gesagt: Der Bund hat seine Hausaufgaben ge-macht . – Wir haben präzise nachgefragt . Sie aber sagennun: Die Gewerkschaften kennen sich damit nicht aus;ich weiß es doch besser . – Ich frage mich, wofür wir Ex-pertinnen und Experten einladen und anhören, wenn wirihnen anschließend erklären: Ihr wisst das sowieso nichtso gut wie wir; deswegen machen wir einfach weiter wiebisher .Wir haben als Große Koalition gesagt: Wir prüfendas . Es ist uns ein Anliegen, an dieser Stelle Lösungenherbeizuführen . Wir wollen es aber da machen, wo eshingehört . Weil uns die Expertinnen und Experten gesagthaben: „Der Bund hat seine Hausaufgaben gemacht; dieLänder müssen da tätig werden“, müssen wir das freund-liche Angebot von Ihnen, Ihrem Änderungsantrag zuzu-Dr. Rosemarie Hein
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stimmen, leider noch einmal ausschlagen . Wir bleibenbei der Regelung, die wir im Gesetz angelegt haben .
– In der Tat .Zu den begleitenden Anträgen von Bündnis 90/DieGrünen und von der Linken will ich jetzt nichts weitersagen .
Dazu habe ich schon in der ersten Lesung des GesetzesStellung genommen . Dem ist nichts weiter hinzuzufügen .Ich glaube, dass wir mit dem AFBG, dem Gesetz mitdem etwas sperrigen Namen „Aufstiegsfortbildungsför-derungsgesetz“
– ja, es gibt schlimmere Gesetzesnamen –, wirklich einentollen Beitrag leisten: für die berufliche Bildung, für die Chancen der Menschen in diesem Land, für diejenigen,die etwas leisten wollen und das auch können .Es ist eine große Novelle . Ich darf allen herzlich dan-ken, die daran mitgewirkt haben, etwa den Expertinnenund Experten, die uns nicht nur in der Anhörung zur Ver-fügung standen . Ich darf natürlich auch den Haushälte-rinnen und Haushältern ganz herzlich danken, die maß-geblich dieses Volumen ermöglicht haben .Ich darf mit einem freundlichen Blick auf die leiderverwaiste Länderbank
noch einmal an die Länder appellieren, im Bundesrat die-sem Gesetzentwurf zuzustimmen . Ich gehe davon aus,dass sie das auch tun, damit auch sie stolz darauf seinkönnen, einen großen und guten Beitrag zur Stärkung derMeisterausbildung in unserem Land geleistet zu haben .Herzlichen Dank .
Die Kollegin Walter-Rosenheimer erhält nun das Wortfür die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Wir habenbereits vor einigen Wochen hier im Bundestag über dasMeister-BAföG diskutiert . In dieser Debatte haben Sie,sehr geehrte Frau Ministerin, etwas ganz Bemerkenswer-tes gesagt . Ich wiederhole es hier einmal . Sie haben sinn-gemäß gesagt, es sei richtig, die Weiterbildungssituationund gegebenenfalls auch die Schreckensszenarien aufdiesem Gebiet zu analysieren, entscheidend in der Politiksei aber, dass man handle, dass man etwas mache . Ichfinde, damit haben Sie total recht. Politik bedeutet ent-scheiden und damit im Idealfall entschiedenes Handeln .Wenn diesem politischen Handeln aber keine fundierteAnalyse vorausgeht, was es zu ändern gilt, dann hat manganz offensichtlich ein Problem; denn wer die Heraus-forderungen nicht kennt, handelt manchmal am Problemvorbei .
Ich will mich an dieser Stelle aber gar nicht in Fun-damentalopposition bringen . Die Reform des Meis-ter-BAföGs ist in unseren Augen nicht der ganz großeWurf – das wissen Sie inzwischen; das haben wir oft ge-nug gesagt –, trotzdem finden wir – das will ich in aller Deutlichkeit sagen –, dass das ein Schritt in die richtigeRichtung ist, wie man so schön sagt . Es stimmt ja auch:Sie haben mit der Öffnung des Meister-BAföGs über-fällige Anpassungen vollzogen . Und ja, es ist höchsteZeit, dass in Zukunft auch Bachelorabsolventinnen undStudienabbrecher bei Aufstiegsfortbildungen gefördertwerden können . Auch die Erhöhung von Leistungen undFreibeträgen finden wir richtig.
– Herr Feist, Sie klatschen . Das ist ja gut .
Sie wissen, dass wir es schade finden, dass die Reform nicht weiter gefasst ist . Ich denke, dass der eine oder an-dere Bildungsinteressierte in Zukunft ein paar Euro mehrin der klammen Kasse hat. Das finden wir gut, weil wir jeden zusätzlichen Euro für Bildung richtig finden.
– Ja .Wer aber behauptet, mit diesen Anpassungen eine ech-te Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bildung herzustellen, hat nicht recht . Da muss man, glau-be ich, schon mehr bieten . Genau das haben übrigens –vielleicht erinnern Sie sich daran – auch alle Expertenin unserem Fachgespräch, in der Anhörung im Bildungs-ausschuss bestätigt . Diese Reform gibt eben nicht dasnotwendige Signal dafür, dass lebenslanges Lernen end-lich für alle Menschen möglich wird . Daran müssen Sieetwas ändern .
Martin Rabanus
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– Wir sprechen jetzt aber über das Thema, auch wenn esnur um dieses eine Gesetz geht . Wir kritisieren ja gerade,dass das kein größerer Wurf ist .Wer nimmt an Weiterbildungen nicht oder viel zuselten teil? Das sind vor allem Alleinerziehende, dassind vor allem Frauen in den typischen Frauenberufen,die schlechter bezahlt werden, das sind Menschen mitMigrationshintergrund, das sind ausländische Menschen,das sind aber auch Menschen mit geringerer Berufsqua-lifizierung. All denen hilft die vorgelegte Änderung beim Meister-BAföG herzlich wenig, aber auch für diese Men-schen tragen wir hier Verantwortung .
Vermutlich entgegnen Sie jetzt – das haben Sie jaschon gesagt, Herr Feist –, dass es dafür andere Instru-mente gibt: die Bildungsprämie, Bildungsgutscheine,Bildungskredite,
Bildungsurlaub, Weiterbildungssparen, verschiedeneLänderprogramme . Das gibt es alles . Es stimmt natür-lich, dass das Meister-BAföG nicht das einzige Förder-instrument ist; aber glauben Sie denn wirklich, dass dieMenschen bei dieser Vielzahl von Programmen und an-gesichts dieser Unübersichtlichkeit noch den Überblickbehalten? Die Weiterbildungsbeteiligung ist in Deutsch-land doch auch deshalb so gering, weil kaum jemandweiß, was für Fördermöglichkeiten es gibt .
Ich sage: Schaffen Sie doch endlich Transparenz indiesem undurchsichtigen Dschungel .
Vereinfachen Sie die Zugänge, damit auch die vorhingenannten Menschen am lebenslangen Lernen teilhabenkönnen .
Dazu gehören natürlich auch transparente, niedrig-schwellige, qualitativ hochwertige und flächendeckende Beratungsangebote vor Ort .Sehr geehrte Damen und Herren, es ist doch kein Zu-fall, dass in der reichen Industrienation Deutschland sowenig Menschen am lebenslangen Lernen teilnehmen .Das hat strukturelle Gründe . Ganz offensichtlich reichendie derzeit bestehenden Förderinstrumente nicht aus .
Es ist Ihre Aufgabe, diese Ungerechtigkeit zu beseitigen .Frau Ministerin Wanka, Sie haben gesagt, das Meis-ter-BAföG sei ein entscheidender Beitrag zur Fachkräf-tesicherung, aber es sei kein Beitrag, der die gesamteWeiterbildungsthematik von A bis Z regle . Aber warumeigentlich nicht? Trauen Sie es sich doch zu, die deutscheWeiterbildung vom Kopf auf die Füße zu stellen .
Lassen Sie mich ein paar Feststellungen treffen . Siehaben eine parlamentarische 80-Prozent-Mehrheit . Siesind gemeinsam mit Arbeitgebern und GewerkschaftenPartner der großen Allianz für Aus- und Weiterbildung .Der Bund hat im Jahr 2015 einen Haushaltsüberschussin Höhe von 12 Milliarden Euro erwirtschaftet . Besse-re Voraussetzungen für eine umfassende Strukturreformvon A bis Z kann es nicht geben . Diese Chance hätten Siedoch nutzen können .
Spätestens heute erfahren wir leider einmal mehr, dassIhrer Koalition trotz kräftigen Rückenwinds schnell ein-mal die Puste ausgeht .
– Ja . – Wie eine sozial gerechte Weiterbildungsförderungaussehen kann, haben wir in unserem grünen Antrag zurBildungszeit Plus vorgelegt .
– „Atemlos durch die Nacht“? Das muss man auch alsPolitikerin in diesen Tagen manchmal machen .Wir wollen das Aufstiegsfortbildungsförderungsge-setz so umbauen, dass es diesen Namen auch verdient .Mit einem individuellen Mix aus Zuschuss und Darle-hen können wir echte Zugangsgerechtigkeit in der Wei-terbildung schaffen . Dabei wollen wir die Lebens- undEinkommenssituation berücksichtigen und gerade dieSchwächeren fördern .
Damit auch Berufstätige breiten Zugang zu Fort- undWeiterbildung haben, müssen endlich auch die Möglich-keiten der Arbeitszeitreduzierung ausgebaut und verein-facht werden . Unser Konzept ist sozial gerecht . Denn esgilt der Grundsatz: Wer weniger hat, bekommt mehr –und umgekehrt .
Anders als beim Meister-BAföG sollen bei uns alleMenschen die Möglichkeit erhalten, beruflich aufzustei-gen und sich persönlich weiterzuentwickeln; denn das istzukunftsfähig . Auch Ihnen, liebe Kolleginnen und Kolle-gen von der SPD, scheint ja langsam zu dämmern, dassdiese Bundesregierung zu wenig tut, um Geringqualifi-zierte zu fördern .
Beate Walter-Rosenheimer
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Ich habe Ihren Artikel in der Frankfurter Rundschauvom 12 . Februar dieses Jahres gelesen, Herr KollegeRossmann, in dem es darum geht, wie eine sozial gerech-te Weiterbildungsförderung aussehen könnte. Ich finde die Ideen gut . Daran sieht man: Auch eine Zeitung kannein guter Ort sein, eigene Ideen darzustellen und zu kom-mentieren .
Aber Sie sind Teil dieser Bundesregierung,
und Sie tragen Verantwortung, die Dinge hier zu verän-dern; denn entscheidend ist, was hier verändert und imBundestag beschlossen wird .
Es tut mir leid, aber allein von Gastbeiträgen und vomFingerzeig auf einen unwilligen Koalitionspartner wirdkein einziger Mensch mit schlechteren Startchancen bes-ser gefördert werden .
Ich will abschließend die Seite 24 des Koalitionsver-trages zitieren:Angesichts des demografischen Wandels ist das le-benslange Lernen so wichtig wie nie . Diese gesamt-gesellschaftliche Aufgabe wollen wir im Rahmender „Allianz für Aus- und Weiterbildung“ bewälti-gen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, stellen Sie sich die-ser Aufgabe! Drehen Sie nicht nur an den kleinen Stell-schrauben! Nutzen Sie die breite Allianz für Aus- undWeiterbildung! Bei den Gewerkschaften stoßen Sie dochsicher auf offene Ohren .
Wir stimmen Ihrem Gesetzentwurf heute zu . Aber wirfinden, bei der Weiterbildung bleibt noch einiges zu tun. Wir geben die Hoffnung nicht auf,
dass lebenslanges Lernen auch in der Großen Koalitionankommt .
Für die Bundesregierung hat nun die Bundesministe-
rin Johanna Wanka das Wort .
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren! 724, das ist für mich heute die Zahl des Tages, weil
das Gesetz, über das wir heute befinden, bei der Vorbe-
reitung auf sage und schreibe 724 verschiedene Fortbil-
dungsziele in Anspruch genommen werden kann . Das tun
in dieser Republik im Moment im Schnitt 170 000 Men-
schen in jedem Jahr .
Das Meister-BAföG gibt es seit fast 20 Jahren, und es
ist gut . Wir hatten mehrere Novellen . Mit der jetzt vor-
liegenden Novelle sorgen wir dafür, dass es ein echtes
Aufstiegs-BAföG ist, dass es familienfreundlich, attrak-
tiv und vor allen Dingen fit für zukünftige Herausforde-
rungen ist . Das müssen wir in diesem Parlament immer
bedenken .
Meine Damen und Herren, es freut mich, dass – –
Es freut mich – –
Frau Ministerin, genießen Sie diese Szene in vollenZügen . Es kommt ganz selten vor, dass die schlichte An-kündigung, dass man sich als Mitglied der Bundesregie-rung freue, zu einer solch spontanen Sympathiebekun-dung führt .
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Ich freue mich sehr, dass der Präsident diese Debatteleitet, weil er einmal an unserem Gesetz herumgenörgelthat .
– Meine Damen und Herren, lachen Sie nicht so lange;das geht von meiner Zeit ab .Ich freue mich, dass es aus den Kreisen der Koaliti-onsfraktionen in Bezug auf den Gesetzentwurf Lob gibt,dass er ihnen so gut gefallen hat und dass sie ihn nochbesser gemacht haben . Auch setze ich darauf, dass diezusätzlichen notwendigen Finanzmittel bereitgestelltwerden .Schauen wir uns einmal – wir haben jetzt mehrfachdarüber geredet – das Gesetz an . In ihm sind zum Bei-spiel Leistungsverbesserungen enthalten . Sie betreffen –ich dekliniere das einmal herunter – den Zuschussanteil,die Familienaufschläge, den Förderbetrag für das Meis-terstück und weitere Dinge . Alles wird erhöht . Es gibtweniger Bürokratie . Das Problem mit der Bürokratiespielt hier also keine Rolle . Man kann den FörderantragBeate Walter-Rosenheimer
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online stellen . Vor allen Dingen wird in Bezug auf dieTeilnahmenachweise – das ist auch für die Länder sehrwichtig – der Bürokratieaufwand im Schnitt um die Hälf-te reduziert .
Das Gesetz schafft – das sage ich jetzt auch in Rich-tung der Grünen – vor allen Dingen für den Einzelnenmehr Transparenz . Bisher war es deutlich komplizier-ter . Das Meister-BAföG hing bislang davon ab, wie dieKlassenzusammensetzung war, wie vielen es zustand etcetera . Ab jetzt – mit Wirksamwerden dieses Gesetzes –hängt es nur noch von den individuellen Voraussetzun-gen des Einzelnen ab, ob er Meister-BAföG bekommt .Das ist, glaube ich, für ihn – er kann ja nicht über dieKlassenzusammensetzung oder anderes entscheiden –außerordentlich wichtig .
Jetzt etwas Prinzipielles, Frau Hein; da gibt es, glaubeich, einen ideologischen Unterschied . Wenn man gerechthandeln will, muss man berücksichtigen, ob die Voraus-setzungen bei denen, die man beurteilt oder bedenkt,gleich oder unterschiedlich sind . Wenn quasi Äpfel undBirnen gleich gefördert werden, dann ist das nach meinerAuffassung nicht gerecht . Wir sagen, dass es für Allein-erziehende mit Kindern schwerer ist, eine Meisterfortbil-dung zu machen . Deswegen bekommen diese dezidierteinen besonderen Zuschlag für die Betreuungskosten –das ist mir sehr wichtig –, der jetzt 130 Euro beträgt, umder besonderen Lebenssituation gerecht zu werden .
Wenn ich ausgerechnet an der Stelle höre, dass alle dasGleiche bekommen müssen, kann ich nur sagen, dasssich eine Familie mit eventuell sogar zwei Verdienern ineiner anderen Situation befindet.
– Ja, klar . Ich habe es kapiert .
Bei Studierenden und denen, die das Meister-BAföGbekommen, gibt es denselben Zuschussanteil in Höhevon 130 Euro für die Kinder . Das andere ist der zusätzli-che Darlehensanteil im AFBG . Es gibt also – das war unswichtig – genau denselben Zuschussanteil, mit Ausnah-me der Alleinerziehenden .Meine Damen und Herren, dies ist ein sehr gutes Ge-setz . Es hat aber Grenzen . Zum Beispiel regelt es nicht,wer einen Kurs zur Alphabetisierung besuchen kann undwie man einen zweiten Schulabschluss nachholt . Auchregelt es nicht die Anpassungsqualifizierung für Men-schen mit einer Qualifikation aus dem Ausland. Wei-terhin regelt es auch nicht Dinge, die die Funktion derallgemeinen beruflichen Weiterbildung betreffen. Das wird – Gott sei Dank! – bei uns zu 70 Prozent von denBetrieben geleistet . Und das soll an der Stelle auch sobleiben . Es wird vieles über die Bildungsprämie und überandere Maßnahmen geregelt . Das ist aber nicht Aufga-be dieses Gesetzes . Dieses Gesetz betrifft dezidiert dieAufstiegsfortbildung für eine bestimmte Gruppe vonMenschen aus dem dualen System oder auch – da gibtes jetzt eine entsprechende Erweiterung – aus dem Hoch-schulsystem .
Wir schaffen nicht nur ein attraktives Aufstiegs-BAföGfür diejenigen, die wir in den Handwerksbetrieben oderin den großen Firmen brauchen – also für die Fach- undFührungskräfte –, sondern auch für Pflegekräfte, für Erzieherinnen und Erzieher . Frau Hein, wir haben hierschon einmal darüber diskutiert: Wir brauchen eine Re-gelung bezüglich dieses Anteils von 70 Prozent . Das be-deutet aber, dass jemand, der einen entsprechenden Kursbesucht, bei förderfähiger Verteilung der praktischenZeiten noch Anspruch auf acht Wochen Urlaub im Jahrhat. Ich finde, das ist vertretbar. Dann kann voll durchge-fördert werden . Es ist möglich, die gesamte Förderkettein Anspruch zu nehmen . Auch Praktika können eingebautwerden . Es gibt da also keine Förderlücke .Ich finde es überhaupt nicht in Ordnung, dass man vor-gebildete Kräfte als Erzieherinnen einsetzt und dann er-wartet, dass sie ihre Tätigkeit nicht im Rahmen der regu-lären Praktika finanziert bekommen, sondern über einen längeren Zeitraum mithilfe von Darlehen . Hier erwarteich, dass dann für sie von den Kommunen – oder werauch immer sie anstellt – sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze geschaffen werden . Das ist entscheidend .
– Nein, kann man nicht .
– Nein!Die dritte Novelle, über die wir heute sprechen, ist,was das Leistungsvolumen betrifft, mit Abstand diegrößte Novelle, die wir je hatten .
Was Prozentsätze anbelangt, will ich nur ein Beispieleines Ehepaares anführen . Die Ehefrau, die an einemMeisterkurs teilnimmt, bekommt jetzt gut 140 Euro mehrim Monat . Das Entscheidende ist aber: Sie bekommtauch 263 Euro mehr als Zuschuss ohne Rückzahlungs-pflicht. Das ist wichtig für die Betreffenden.
Meine Damen und Herren, ich glaube, dieser Gesetz-entwurf macht Ernst mit der Gleichwertigkeit von be-ruflicher und akademischer Bildung, und darüber reden wir ja ständig . Jemand, der sich nach der Schule dazuentschließt – auch mit Abitur –, eine duale Ausbildung zumachen, begibt sich nicht in eine Sackgasse . Aufgrundder praktischen Erfahrungen kann er später studieren –Bundesministerin Dr. Johanna Wanka
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auch dann, wenn er kein Abitur hat . Wenn ihm das Stu-dium nicht gefällt oder seine Erwartungen nicht erfülltwerden, dann kann er in die duale Ausbildung gehen undsich, je nach Voraussetzung, auch zum Meister ausbildenlassen . Jemand, der einen Bachelor hat, kann jetzt nachdiesem Gesetzentwurf auch einen Handwerksbetrieb lei-ten, wenn er seinen Meister nachmacht .Diese Dinge beeinflussen die Attraktivität des beruf-lichen Systems ganz entscheidend, und wir reden nichtnur darüber, sondern wir handeln auch und stellen vielGeld dafür zur Verfügung . Allein in den nächsten Jah-ren wird dafür fast eine Viertelmilliarde Euro zusätzlichausgegeben .
Meine Damen und Herren, die Attraktivität des Auf-stiegs-BAföG wurde bereits erwähnt, aber es ist klar: DasGesetz muss auch durch den Bundesrat . Deswegen sageich – ich glaube aber, darin bin ich mir mit den Kolle-gen von der A-Seite, die hier sind, einig –, dass wir dieA-Länder vielleicht noch ein Stück gemeinsam davonüberzeugen müssen .
– Die A-Länder sind das Problem an dieser Stelle .
Aber wir werden sie überzeugen . Das wird nicht das Pro-blem sein . Ich denke, wir kriegen das im Bundesrat hin .
Ich finde es interessant, dass immer wieder gefordert wird, der Bund müsse hier tätig werden . Vielleicht warich zu lange an anderer Stelle im föderalen System aktiv,
aber für mich ist Bildung immer noch in einem großenMaße Ländersache, und daran wollen wir vonseiten desBundes nichts ändern, sondern wir wollen Dinge gemein-sam machen . Diese Änderung der Aufstiegsfortbildungs-förderung machen wir gemeinsam – mit einer Verteilungvon 78 zu 22 Prozent .
Auch angesichts der Redebeiträge der Oppositions-fraktionen glaube ich, dass wir auf dieses Gesetz, wennes im Bundesgesetzblatt steht, gemeinsam stolz sein kön-nen, und wir sollten das auch vertreten . Wenn Sie ent-sprechend abstimmen, können wir hier an dieser Stellesagen, dass es uns in diesem Parlament gelungen ist, daserfolgreichste, wichtigste und bedeutendste Förderinstru-ment, das wir im Bereich der Ausbildung haben,
weiter zu stärken und zu verbessern .Danke schön .
Hubertus Heil von der SPD ist nun der nächste Red-
ner .
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolle-ginnen und Kollegen! Leistung und nicht Herkunft sollzählen . Mit diesem Gesetzentwurf machen wir deutlich,dass wir in diesem Land auch Aufstieg durch Fortbildungwollen und dass wir Menschen, die sich anstrengen, diesich im Job weiterbilden und vorankommen wollen, un-terstützen und Hürden aus dem Weg räumen . Deshalb istdas ein guter Gesetzentwurf .
Das reiht sich ein – die Ministerin, der Kollege Rabanusund Herr Dr . Feist haben Details des Gesetzentwurfesschon referiert – in eine ganze Kette von Maßnahmen,die wir auf den Weg gebracht haben, um die berufliche Bildung in diesem Land voranzubringen .Ich will auch noch einmal daran erinnern, was wir mitdiesem Gesetzentwurf insgesamt auf den Weg bringen:die Öffnung der Förderung für die Bachelorabsolventen,die Anhebung der Unterhaltsbeträge, den einkommens-unabhängigen Kinderbetreuungszuschlag für Alleiner-ziehende, das Attraktivitätspaket Meisterstück, die Er-höhung des maximalen Maßnahmenbeitrages und dieErhöhung des Vermögensfreibetrages .Daneben ist mir ganz wichtig – das ist uns im Ge-setzgebungsverfahren gelungen –, dass wir auch dafürgesorgt haben, dass der Zuschuss für Maßnahmen auf40 Prozent erhöht wird . Überall wird über Gebührenfrei-heit in der Bildung geredet. Das finden wir Sozialdemo-kraten auch richtig . Ich denke beispielsweise an die Ab-schaffung der Studiengebühren, die bundesweit gelungenist . Wir sorgen nun dafür, dass auch die Meistergebührenfür die betroffenen Menschen gesenkt werden . Das ist einganz wesentlicher Schritt .
Gemeinsam haben wir als Koalitionsfraktionen auseinem guten Gesetzentwurf einen noch besseren Gesetz-entwurf gemacht . Frau Wanka, deshalb sind wir nicht nurdiejenigen, die Sie auf diesem Weg unterstützen, sondernwir selbst sind ein bisschen stolz darauf, dass wir dasgemeinsam mit den Koalitionsfraktionen geschafft ha-ben . Den Haushältern und den Berichterstattern, HerrnDr . Feist und Herrn Rabanus, ist zu Recht gedankt wor-den . Das ist ein richtig guter Gesetzentwurf geworden .Damit können wir uns wirklich sehen lassen . Dafür ganzherzlichen Dank!
Bundesministerin Dr. Johanna Wanka
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Aber ich habe es schon gesagt: Das ist eine ganzzentrale Maßnahme, die wir heute mit der zweiten unddritten Lesung abschließen . Frau Ministerin, ich bin mirsicher, dass das Signal, das Sie an alle Länder gegebenhaben, unser gemeinsames Signal ist . Wir stehen ge-meinsam in der Verantwortung für das Meister-BAföG;auch das sagen wir sehr deutlich . Wie gesagt: Es ist einezentrale Maßnahme, um Hürden tatsächlich wegzuräu-men und gleichzeitig für die Attraktivität der beruflichen Ausbildung in diesem Land zu sorgen . Wir geben auchdenjenigen eine Perspektive, die sich im Beruf fortbildenwollen . Damit sorgen wir für Durchlässigkeit .Das Ganze reiht sich in ein größeres Maßnahmenpa-ket der gesamten Bundesregierung ein . Mit der Allianzfür Aus- und Weiterbildung – das ist mir ganz wichtig –ist es dieser Regierung gemeinsam mit den Sozialpart-nern gelungen, einem Trend entgegenzuwirken, der inden letzten Jahren leider um sich gegriffen hat, dass näm-lich fast alle nach Fachkräften rufen, aber die Zahl derberuflichen Ausbildungsplätze in den letzten Jahren eher zurückgegangen ist . Wir haben im Rahmen der Allianzfür Aus- und Weiterbildung – dafür hat sich federführendMinister Gabriel eingesetzt – gemeinsam mit den Sozial-partnern, der Wirtschaft und den Gewerkschaften dafürgesorgt, dass es eine Trendumkehr gegeben hat . Es gibtwieder mehr Ausbildungsplätze in Deutschland . Das istdie erste gute Nachricht für junge Menschen .
Die zweite gute Nachricht ist, dass wir im Rahmen derAllianz für Aus- und Weiterbildung über öffentliche Un-terstützung vor allen Dingen etwas für die jungen Men-schen getan haben, die es besonders schwer haben . Wirunterstützen zum Beispiel benachteiligte junge Menschenmit Maßnahmen der Assistierten Ausbildung . Damit ma-chen wir deutlich: Wir lassen kein Kind und keinen Ju-gendlichen zurück . Wir wollen nicht länger zusehen, dassnoch immer 1,5 Millionen Menschen zwischen 20 und30 Jahren ohne jede Form von beruflicher Erstausbildung dastehen . Wir können nicht über Fachkräftemangel jam-mern und diesen jungen Menschen keine zweite Chancegeben . Auch da haben wir uns auf den Weg gemacht .
Jetzt kommt, wie gesagt, das Meister-BAföG für dieje-nigen, die schon qualifiziert sind und nach vorne wollen. Das hat noch einen weiteren Effekt: Wenn diese Men-schen Meister werden, sind das auch mögliche Ausbilder .Insofern ist das eine richtig gute Tat . Wir haben auch fürDurchlässigkeit im Bereich des Bachelors gesorgt . Wirwerden mit dem BBiG die Strukturen im Bereich der be-ruflichen Bildung noch in dieser Legislaturperiode weiter zu modernisieren haben .Warum erwähne ich das alles? Weil mir angesichtsbestimmter Debatten, die unter dem Stichwort „Akade-misierungswahn“ geführt werden, ein bisschen bangeist . Es ist richtig: Es ist der Öffentlichkeit und uns allenin den letzten Jahren zu wenig bewusst gewesen – dasstand zu wenig in den Zeitungen –, welchen Wert wir inDeutschland mit unserer speziellen beruflichen Ausbil-dung im dualen System, aber auch im berufsfachlichenBereich im Vergleich zu anderen Ländern haben . Da sindOECD-Studien falsch gelesen worden, als es die Diskus-sion über die Akademisierung gegeben hat . Wir sind mitPortugal und Spanien verglichen worden . Heute wissenwir: In diesen Ländern gibt es unsere Form der Ausbil-dung nicht . Das ist ein Grund für die hohe Jugendarbeits-losigkeit in diesen Ländern .Wir müssen nur ein bisschen aufpassen, dass das Pen-del jetzt nicht in die falsche Richtung ausschlägt . Es gehtnicht an, dass wir akademische und berufliche Bildung gegeneinander ausspielen .
Das tun einige in der öffentlichen Debatte .
Darunter ist auch jemand, den ich persönlich gerne magund der diesen Begriff mit erfunden hat – ein Philosophaus München .Ich sage an dieser Stelle: Das ist kein Nullsummen-spiel . Wir setzen auf Gleichwertigkeit und auf Durchläs-sigkeit, weil wir alle Potenziale und Talente in diesemLand zur Entfaltung bringen wollen . Mit dem Meis-ter-BAföG öffnen wir dafür Wege . Deshalb ist das einguter Tag für die berufliche Bildung und für das Bil-dungssystem insgesamt . Es ist ein guter Tag für vieleMenschen in Deutschland, die demnächst eine Chancehaben werden, die sie bisher nicht gehabt haben .Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Das Wort erhält nun die Kollegin Lena Strothmann für
die CDU/CSU-Fraktion .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kol-leginnen und Kollegen! Das deutsche Handwerk begrüßtdie Verbesserungen zum Meister-BAföG sehr .
Ich will jetzt nicht alle Punkte noch einmal aufzählen;vieles ist schon gesagt . Aber mir als Handwerksmeisterinsind drei Punkte besonders wichtig .Der erste Punkt ist die Verbesserung der Unterhaltsför-derung inklusive der Förderelemente, damit auch Famili-enangehörige einbezogen werden können . Im Handwerknehmen traditionell sehr viele an den Vollzeitlehrgängenteil . Die Absicherung des Familieneinkommens ist oftausschlaggebend, damit junge Menschen überhaupt aneinem Lehrgang teilnehmen .Zweiter Punkt . Wichtig ist auch die Erhöhung des Zu-schusses zu den Unterhaltskosten auf 50 Prozent wie beiden Studenten. Die Gleichwertigkeit der beruflichen und Hubertus Heil
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akademischen Bildung muss eben auch gelten, wenn esum die finanzielle Förderung geht.
Der dritte Punkt ist die Erhöhung des maximalen För-derbeitrages für das Meisterstück . Denn das Meisterstückist oft nicht nur sehr teuer in seiner Anfertigung; es istauch für jeden Meister von hohem ideellen Wert .
Bei so manchem Tischler steht heute noch sein Meis-terstück im Wohnzimmer . Ich muss gestehen: Auch ichhabe mein Meisterstück voller Stolz viele Jahre getragen .
– Das erzähle ich Ihnen später .Meine Damen und Herren, heute ist ein guter Tag fürdas Handwerk . Denn wir verbessern heute nicht nur dasMeister-BAföG; wir stärken auch die duale Ausbildung .Sie verbindet die Theorie mit der Praxis und erleichtertso den jungen Menschen den Einstieg in den Arbeits-markt . Die duale Ausbildung ist damit auch der Garantfür unsere niedrige Jugendarbeitslosigkeit im europäi-schen Vergleich .
Ich kann deswegen das Vorgehen der EU-Kommissi-on überhaupt nicht nachvollziehen . Auf der einen Seitebewertet sie das duale System als Best Practice und emp-fiehlt es den südeuropäischen Ländern zur Bekämpfung der hohen Jugendarbeitslosigkeit . Auf der anderen Seitestuft sie den Meisterbrief aber als Hemmnis für den Be-rufszugang und für den Binnenmarkt ein .Meine Damen und Herren, zur dualen Ausbildung inDeutschland gehört der Meisterbrief .
Er ist und bleibt die Krönung der beruflichen Ausbil-dung . Das muss auch Brüssel begreifen . Im deutschenHandwerk werden 371 000 junge Menschen von Meis-tern ausgebildet . Deswegen müssen wir auch weiterhinfür den Meisterbrief kämpfen . Ich bin froh, dass wir unsin diesem Hohen Haus einig sind . Ich erinnere an unserengemeinsamen Antrag zum Meisterbrief, den Antrag zurTransparenzinitiative und den Antrag zur Binnenmarkt-strategie .Aber, meine Damen und Herren, wir müssen auchim eigenen Land noch ein bisschen mehr für die dualeAusbildung tun. Ich finde es fatal: In Europa wird unser System hoch gelobt . Aber im eigenen Land verliert es angesellschaftlicher Akzeptanz, ganz nach dem Motto „DerProphet gilt nichts im eigenen Land“ . Denn für vieleSchulabgänger und Eltern ist die duale Ausbildung leidernur noch zweite Wahl . Fast 60 Prozent der jungen Men-schen eines Jahrgangs streben ein Hochschulstudium an,Tendenz steigend . Wir rechnen damit, dass es 2020 unge-fähr 80 Prozent sind .Darum fehlen uns im Handwerk geeignete Auszu-bildende, während die Unis unter dem großen Andrangstöhnen . Bachelor und Meister sind auf dem Papiergleichgestellt . Dafür haben wir hart gekämpft . Aber dasmuss noch in den Köpfen von Lehrern, Eltern und Schü-lern ankommen .
Der akademische Berufsweg ist eben nicht immerder Königsweg . Gerade in den technischen Studiengän-gen haben wir hohe Abbrecherquoten . Zur Wahrheit ge-hört auch – und das muss auch einmal gesagt werden –,dass ein Meister oder Facharbeiter oft mehr verdient alsmanch junger Akademiker . Was mich noch mehr erschüt-tert, ist, dass viele jungen Menschen in unserem Land dieunterschiedlichen Berufsbilder und Karrieremöglichkei-ten im Handwerk nicht kennen .
Das Handwerk bietet mehr als 130 Ausbildungsberu-fe . Das Handwerk ist innovativ . Das Handwerk ist kre-ativ, und das Handwerk ist vor allem Hightech . Da istfür jeden etwas dabei . Es gibt viele individuelle Karri-eremöglichkeiten von der Ausbildung bis hin zum Stu-dium oder zu der Chance, ein eigenes Unternehmen zugründen, Stichwort: „Karriere mit Lehre“ . Hier muss dieBerufsorientierung unbedingt noch mehr leisten, vor al-len Dingen an den Gymnasien .
Meine Damen und Herren, wir fördern mit den Ver-besserungen beim Meister-BAföG auch den Weg in dieSelbstständigkeit . Das ist für das Handwerk, aber auchfür die gesamte deutsche Wirtschaft von großer Bedeu-tung . Denn leider ist die Neigung der jungen Menschenzur Selbstständigkeit in den letzten Jahren stark rückläu-fig. Das Handwerk braucht nicht nur Auszubildende undFachkräfte, sondern auch junge Unternehmer, die zumBeispiel einen Betrieb übernehmen . Denn sonst brechenuns mit jeder Betriebsaufgabe Arbeits- und Ausbildungs-plätze weg . Das hat dramatische Folgen . Denn nach einerUmfrage des Zentralverbands des Deutschen Handwerksaus dem vergangenen Jahr stehen bis zum Jahr 2020hochgerechnet 180 000 Unternehmen zur Übergabe an,weil die Unternehmer in den Ruhestand gehen . Deswe-gen ist es so wichtig, dass wir heute das Meister-BAföGverbessern . Wir brauchen mehr junge Menschen, die denSchritt in die Selbstständigkeit wagen .Mein Fazit: Wir können mit diesem Gesetz sehr zu-frieden sein . Es ist ein großer Schritt in die richtigeRichtung, ein deutlicher Beitrag zur Gleichstellung vonberuflicher und akademischer Bildung. Unser nächstes gemeinsames Ziel sollte dann die vollständige finanzielle Gleichstellung sein . Darüber sollten wir in Zukunft re-den .Lena Strothmann
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Herzlichen Dank .
Ich erteile das Wort dem Kollegen Ernst Dieter
Rossmann für die SPD-Fraktion .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Kollege Feist hat aktuelle Beispiele aus Sach-sen genannt . Nun müssen Sie verstehen, dass ich, der ichals Sozialdemokrat zum Meister-BAföG spreche, in die-sem Zusammenhang auf August Bebel aus Sachsen alsden Urvater aller Sozialdemokraten hinweise . 14 Jahrealt war er, als er die Lehre zum Drechsler begann . 18 Jah-re alt war er, als er auf Wanderschaft ging . 24 Jahre altwar er, als er einen gutgehenden Drechslermeisterbetriebgegründet hat .
Lassen Sie uns aber nicht zu tief in die Eingeweide desParlamentarismus eintauchen . Nur noch so viel: Demersten Reichspräsidenten Friedrich Ebert wurde von kon-servativ-bürgerlicher Seite immer vorgeworfen, er sei janur Sattlergeselle . Hieran sieht man gut, was sich im Hin-blick auf die Gleichwertigkeit von handwerklicher undakademischer Ausbildung verändert hat .Ich komme in die Gegenwart zurück . Frau Strothmannhat in ihrer Rede aufgezeigt, dass es aktuell wichtig ist,nicht nur diejenigen, die ihre Leistungsfähigkeit wei-terentwickeln wollen, zu fördern, nicht nur Qualität zusichern und Ausbildung zu ermöglichen, sondern auchfür Nachwuchs für das kleine und mittlere Gewerbe imHandwerk, aber auch für andere Bereiche zu sorgen . Da-für brauchen wir dieses Gesetz .Frau Strothmann, Sie haben prägnante Zahlen ge-nannt . Ich möchte noch welche hinzufügen . Jedes Jahrmachen rund 540 000 Menschen einen Ausbildungsab-schluss . Aber nur rund 110 000 Menschen machen einenAufstiegsabschluss . Diese Lücke zu schließen und dafürzu sorgen, dass mehr Menschen einen Aufstiegsabschlussmachen, ist wichtig; denn erst diejenigen, die einen sol-chen Abschluss machen, können in eine Betriebsnachfol-ge eintreten .
Um noch mehr erklärende Zahlen zu nennen: DieFrau Ministerin hat darauf hingewiesen, dass dasMeister-BAföG gut angenommen und mittlerweilevon 170 000 Menschen genutzt wird . Aber von diesen170 000 Menschen absolvieren nur 50 000 eine hand-werkliche Meisterausbildung. 80 000 befinden sich in einer Techniker- oder Fachwirteausbildung . Hinzu kom-men die Restgrößen in Pflege und Erziehung. Nicht, dass Sie das falsch verstehen, aber das sind die kleinstenGruppen . Die Zahl derjenigen, die eine handwerklicheMeisterausbildung absolvieren, muss erhöht werden .Sonst bleibt die Lücke zu groß und haben wir nicht denHintergrund für das, was wir in Europa verteidigen wol-len, nämlich den leistungsfähigen handwerklichen Mit-telstand, der für Ausbildung, Qualität und wirtschaftlicheEntwicklung wichtig ist .Frau Walter-Rosenheimer, Sie haben die Transparenzangesprochen . Ich möchte in diesem Zusammenhangeine Aufgabe ansprechen, die wir als Parlamentarier,egal von welcher Fraktion, bei einer einstimmigen Be-schlussfassung zu diesem Fördergesetz haben . Wir selbermüssen für dieses Gesetz werben . Wir können damit un-vergleichlich besser werben als mit dem, was wir bisherhatten, allein schon von den Kerndaten her . Wie Sie wis-sen, gab es früher einen Zuschuss von 44 Prozent . Nunliegt er bei 50 Prozent . Bislang lag der Zuschuss zumMaßnahmebeitrag bei 30,5 Prozent . Nun sind es 40 Pro-zent . Bisher lag der Bestehenserlass, der sogenannte Er-folgsbonus, bei 25 Prozent . Jetzt werden es 40 Prozentsein . Wir können sehr gut damit werben und allen sagen:50, 40, 40, das ist eine klare, transparente Förderleistung .Wenn du das umrechnest, dann stellst du fest, dass dasmehrere Tausend Euro mehr sind, die du als Entlastungerhältst, wenn du dich auf den beschwerlichen und en-gagierten Weg einer Aufstiegsfortbildung machst . – Dasmüssen die Menschen wissen, damit sie es Kollegen undin der Verwandtschaft erzählen können . Dann kann einSog entstehen, sodass in Zukunft möglichst nicht nur50 000, sondern 70 000 oder 80 000 Menschen eine hand-werkliche Meisterausbildung und sogar 100 000 Men-schen in der Industrie eine Technikerausbildung bzw .eine Ausbildung als Fachwirt absolvieren . Auch in denPflege- und Erziehungsberufen sollte es einen ähnlichen Anstieg geben .
Das Gesetz schafft eine positive Stimmung und eröffnetuns entsprechende Chancen .Frau Ministerin, ein weiterer wichtiger Punkt ist imHinblick auf die Gleichwertigkeit von handwerklicherund akademischer Ausbildung, dass wir nun den Umstiegvom akademischen Bachelor auf den beruflichen Meister erstmals in die Förderfähigkeit einbeziehen . Das Gegen-stück mit aufzunehmen, was die Linke hier anspricht,wird Aufgabe zukünftiger Reformen sein .Nun hatte die Kollegin Walter-Rosenheimer die För-derung der zweiten Chance angesprochen, zum Beispielmit Blick auf solche, die bisher keinen Berufsabschlusshatten, sich aber noch in höherem Alter anstrengen, einensolchen Berufsabschluss zu machen . Das ist nicht nur einZeitungsartikel in der Frankfurter Rundschau gewesen,sondern viel wichtiger ist: Wir haben schon den entspre-chenden Kabinettsbeschluss dazu . Dies wird als Weiter-bildungsförderungsgesetz vom Kabinett der Großen Ko-alition so eingebracht .
Lena Strothmann
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Diejenigen, die zu einem späteren Zeitpunkt als zweiteChance eine Berufsausbildung abschließen wollen, be-kommen zur Zwischenprüfung 1 000 Euro und zur End-prüfung 1 500 Euro als materielle Belohnung . Die GroßeKoalition hat dies im Kabinett auf den Weg gebracht, umden Ausgleich in Bezug auf die Anstrengungen auf allenWegen zu schaffen .
Herr Kauder, das ist wunderbar: Frau von der Leyenhat es noch abgelehnt; in der Großen Koalition kann FrauNahles das ins Kabinett und ins Parlament einbringen .Das macht uns glücklich .
Vielen ist gedankt worden, etwa der Ministerin, denHaushältern und den Berichterstattern . Ich möchte einenbesonderen Dank an die Fachkräfte auf der letzten Reiheder Regierungsbank richten . Denn sie haben uns bis insletzte Detail bei diesem Gesetzesvorhaben beraten kön-nen .Ich will noch etwas aus dem persönlichen Bereichaus Schleswig-Holstein erzählen . Wir Abgeordnete ausSchleswig-Holstein haben traditionell nicht nur Wirt-schaftsjunioren und Gewerkschaftsvertreter als Prakti-kanten im Parlament . Wir haben Jahr für Jahr gestandeneHandwerksmeisterinnen und -meister zu einem einwö-chigen Praktikum bei uns im Bundestag . Das ist wunder-bar . Schon zwei Meister für Heizung, Sanitär, Klimatech-nik, ein Schmiedemeister und ein Maurermeister konntenbei mir im Parlament auch die Gleichwertigkeit von par-lamentarischer und handwerklicher Arbeit kennenlernen .
Herr Kollege .
Ich möchte an dieser Stelle alle ermutigen: Holen Sie
sich das Handwerk, holen Sie sich die Meister in die Bü-
ros . Das ist für beide Seiten wichtig .
Ich persönlich möchte dieses Gesetz den Meistern, die
bei mir waren, widmen . Ich kann sagen: Sie haben genü-
gend Druck für ein gutes Gesetz gemacht, und sie werden
jetzt erfahren, dass dieser überzeugende Druck auch dazu
geführt hat, dass das ganze Parlament einstimmig einem
solchen Gesetzentwurf zustimmt .
Danke schön .
Wolfgang Stefinger ist der letzte Redner zu diesem Ta-
gesordnungspunkt für die CDU/CSU-Fraktion .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Deutschland ist wirtschaftlich stark . Das liegtauch daran, dass wir ein starkes Berufsausbildungssys-tem haben . Unser betriebliches Ausbildungssystem istjedem anderen überlegen . Nicht Länder mit hohen Aka-demikerquoten verfügen über eine hohe Wirtschaftskraftund eine geringe Jugendarbeitslosigkeit, sondern Ländermit einem betrieblichen Berufsausbildungssystem wiedie Bundesrepublik Deutschland .Deutschland hat die niedrigste Jugendarbeitslosigkeitin Europa . Die Vorteile unseres Systems liegen auf derHand; das ist schon gesagt worden . Die Ausbildungsin-halte richten sich nämlich nach dem betrieblichen Bedarf .Das heißt: Was gebraucht wird, wird auch vermittelt . Pra-xis und Theorie stehen gleichermaßen im Mittelpunkt derAusbildung .Unser Ziel ist es, junge Menschen für eine betrieblicheBerufsausbildung zu begeistern . Wir wollen motivieren,unterstützen und vor allem aufzeigen, dass mit einer Be-rufsausbildung alle Wege offenstehen . Bei uns gibt eskeinen Abschluss ohne Anschluss . Das ist die Realität inDeutschland .
Vor wenigen Wochen habe ich wieder als Gastdozentan der Hochschule München ein Seminar im Studien-gang Unternehmensführung gehalten . Der Studiengangist gemeinsam mit der Handwerkskammer für Münchenund Oberbayern entwickelt worden . 25 hochmotivierteHandwerker aus allen Bereichen, Techniker und Fach-wirte, bilden sich fort . Sie studieren ohne Abitur . Ichmuss Ihnen sagen: Ich finde es großartig – von der Werk-bank in den Hörsaal, in Deutschland alles möglich .Wir sprechen von der Gleichwertigkeit der berufli-chen und akademischen Bildung . Wir haben bereits eineBAföG-Reform für Schüler und Studenten beschlossen .Jetzt ist die berufliche Bildung an der Reihe. Die Auf-stiegsfortbildungsförderung, kurz: das Meister-BAföG,wird verbessert, angehoben und entbürokratisiert . Wirhalten damit Wort: Die berufliche Aus- und Weiterbil-dung ist uns genauso wichtig wie die Hochschulbildung .
Das unterstreicht nicht nur der heute vorliegende Ge-setzentwurf, sondern auch der fast parallel zu dieser De-batte stattfindende Besuch der Bundeskanzlerin auf der Internationalen Handwerksmesse in meinem MünchenerWahlkreis, auf der sich über 1 000 Aussteller aus über60 Gewerken präsentieren und die nicht nur über ihreteils innovativen Produkte, sondern auch über möglicheBerufe und Karrierewege informieren .
Das Meister-BAföG ist eine beeindruckende Erfolgs-geschichte . In den letzten 20 Jahren wurden 1,7 Milli-onen Menschen mit rund 7 Milliarden Euro gefördert .Ohne diese Förderung hätten wir heute zigtausend we-niger Techniker und Meister in unserem Land und damitniemanden, der unsere kleinen und mittelständischen Be-Dr. Ernst Dieter Rossmann
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triebe führen könnte . Wir wollen diesen Erfolg fortset-zen . Deshalb ist die vorliegende Reform so wichtig .Durch den Geburtenrückgang und die gestiegene Stu-dienneigung kommt das Berufsausbildungssystem im-mer stärker unter Druck . Wir müssen deshalb weg vondem Bild, dass in erster Linie akademische Abschlüsseanzustreben sind . Es muss das Motto gelten: Lieber eineordentliche Berufsausbildung als ein schlechtes Studium .
Wir erleben bereits heute, dass Ausbildungsplätze un-besetzt bleiben . Unternehmen bekommen teilweise nichteine einzige Bewerbung auf ausgeschriebene Lehrstel-len . Gleichzeitig arbeitet jeder fünfte europäische Aka-demiker in einem Beruf, für den kein Studium notwendigwäre . Bis 2020 fehlen bis zu 1,4 Millionen Fachkräfteim technischen Bereich . Deswegen stärken wir mit dieserReform das Berufsausbildungssystem . Wir motivieren,wir setzen Anreize, wir schaffen Erleichterungen durchFlexibilisierung, wir geben mehr Unterstützung, wir er-höhen die Förderung für das Meisterstück, und wir set-zen Anreize durch einen Erfolgsbonus bei Bestehen derPrüfung .
Wir erhöhen auch den Unterhaltsbetrag und den Zu-schuss für die Kinderbetreuung und berücksichtigen diePflege von Angehörigen.Die beruflichen Aussichten für Lehrberufe sind gut, sie sind sogar sehr gut . Tausende Betriebe suchen in dennächsten Jahren einen Nachfolger . Wenn wir die Ein-kommensentwicklung bei Handwerksmeistern anschau-en, dann stellen wir fest, dass der alte Satz stimmt: DasHandwerk hat goldenen Boden .Heute ist ein guter Tag für unser Land, ein guterTag für die berufliche Ausbildung in Deutschland. Wir stärken die berufliche Bildung und sorgen dafür, dass Deutschland stark bleibt .Vielen Dank .
Ich schließe die Aussprache .Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände-rung des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes . DerAusschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-schätzung empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss-empfehlung auf der Drucksache 18/7676, den Gesetzent-wurf der Bundesregierung auf der Drucksache 18/7055in der Ausschussfassung anzunehmen .Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion DieLinke auf der Drucksache 18/7695 vor, über den wirzuerst abstimmen . Wer stimmt für diesen Änderungsan-trag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damitist der Änderungsantrag mehrheitlich abgelehnt .Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in derAusschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-chen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – BeiEnthaltung der Fraktion Die Linke ist der Gesetzentwurfdamit in zweiter Beratung mit den übrigen Stimmen desHauses angenommen .Wir kommen zurdritten Beratungund Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . – Daswird reichen . Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Auchdas reicht . Damit ist der Gesetzentwurf mit dem geradegenannten Stimmenverhältnis, also mit Zustimmung derKoalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/DieGrünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke, ange-nommen . Ich schließe mich den mehrfach vorgetragenenGlückwünschen an alle Beteiligten gerne an .Unter Buchstabe b der Beschlussempfehlung des fe-derführenden Ausschusses auf der Drucksache 18/7676empfiehlt dieser, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmtdagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist bei Stimment-haltung der Oppositionsfraktionen diese Beschlussemp-fehlung angenommen .Wir setzen die Abstimmungen zu den Beschlussemp-fehlungen des Ausschusses für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung auf der Drucksache 18/7676fort und kommen unter dem Tagesordnungspunkt 19 bzu der Beschlussempfehlung unter Buchstabe c, die Ab-lehnung des Antrages der Fraktion Die Linke auf Druck-sache 18/7234 zu beschließen; hier geht es um einenAntrag mit dem Titel „Durchlässigkeit in der Bildungsichern, Förderlücken zwischen beruflicher Bildung und Studium schließen“ . Wer stimmt dieser Beschlussemp-fehlung zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen derKoalition angenommen .Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchsta-be d seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung desAntrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf derDrucksache 18/7239 mit dem Titel „Bildungszeit PLUS –Weiterbildung für alle ermöglichen, lebenslanges Lernenfördern“ . Wer stimmt dieser Beschlussempfehlung zu? –Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit istauch diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen derKoalitionsfraktionen angenommen .Damit kommen wir nun zum Tagesordnungspunkt 20:Beratung des Antrags der Abgeordneten NicoleGohlke, Roland Claus, Sigrid Hupach, weitererAbgeordneter und der Fraktion DIE LINKEFinanzierung der Wissenschaft auf eine ar-beitsfähige Basis stellen – Bildung und For-schung in förderbedürftigen Regionen solideausstattenDr. Wolfgang Stefinger
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Drucksache 18/7643Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-schätzung
HaushaltsausschussNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdiese Aussprache 77 Minuten vorgesehen . – Auch dazusehe ich keinen Widerspruch . Also können wir so ver-fahren .Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort demKollegen Ralph Lenkert für die Fraktion Die Linke .
Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Kolleginnenund Kollegen! Die Linke beantragt, das gesamte Wissen-schafts- und Forschungssystem, insbesondere in förder-bedürftigen Regionen, auf solide Füße zu stellen .
Das ist erforderlich, weil die Regierung von Union undSPD im Exzellenzwahn feststeckt .
Ja, Spitzenforschung aus Deutschland wurde weltweitsichtbarer; das haben Sie erreicht . Aber dafür zehrt dieForschungsbasis von ihrer Substanz, und dieser Preis istzu hoch .
Lehrkräfte fehlen an Schulen und Hochschulen . Bib-liotheken können neue Technik und Literatur, auch On-lineausgaben, nicht im notwendigen Umfang bereitstel-len . Unser Wissenschafts- und Forschungsnachwuchslernt in überfüllten Hörsälen und Laboren . Sie von derKoalition vernachlässigen die Basis, und damit gefähr-den Sie perspektivisch auch die Leistungen der Spitze .
Die Linke fordert in ihrem Antrag, die Wissenschafts-und Forschungseinrichtungen insgesamt zu stärken . Eingravierendes Problem ist die mangelnde Finanzkraftvieler Bundesländer . Das Kooperationsverbot im Bil-dungsbereich behindert die Beteiligung des Bundes beider Schulfinanzierung. Das Kooperationsverbot gehört abgeschafft .
Der bis 2020 befristete Hochschulpakt muss dauerhaftfortgesetzt werden . Die für 2017 geplante Erhöhung derBundeszuschüsse zum Hochschulpakt begrüßt die Linkeund fordert ab 2018 eine jährliche Steigerung um 3 Pro-zent .In Thüringen werden 2016 über 800 neue Lehrerinnenund Lehrer in die Schulen kommen . Bundesweit stel-len die Länder Pädagogen ein . Aber es fehlt inzwischenmassiv an Nachwuchskräften . Deshalb will die Linke50 000 Studienplätze für die Ausbildung von Lehrkräftenmit Bundesmitteln schaffen .
Sie von der Union reden immer gern von der Indus-trie 4 .0 . Doch Sie vergessen: Industrie 4 .0 verlangt einenhöheren Anteil an bestausgebildeten Spezialisten . Wa-rum schaffen Sie nicht die notwendigen Studienplätze?Die Linke weiß, dass im Sozialbereich, in der Verwal-tung und auch bei der Integration deutlich mehr Fach-kräfte benötigt werden . Deshalb wollen wir zusätzliche80 000 Studienplätze für Fachkräfte im Sozialbereich,für kleine und mittlere Unternehmen, für Verwaltungen,für die Wissenschaft, für die Industrie und auch für dieIntegration ausländischer Studentinnen und Studentenschaffen .
Vor wenigen Wochen, Mitte Dezember, hatte die Ko-alition eine Verbesserung des Wissenschaftszeitvertrags-gesetzes in der Größenordnung einer homöopathischenDosis beschlossen . Sie haben versagt . Der Befristungs-wahnsinn mit sechs Einjahresverträgen eines Wissen-schaftlers, der aber stets im gleichen Labor arbeitet, derMangel an Dauerstellen, all das droht weiterzugehen,und das will die Linke verändern .
Von unseren jungen Wissenschaftlerinnen und Wis-senschaftlern erwarten wir, dass sie die kulturelle undtechnologische Zukunft unseres Landes mitgestalten undentwickeln . Sie von der Union speisen 80 Prozent mitbefristeten Verträgen ab und verhindern planbare Le-benswege .
Das ist unwürdig und gefährlich .Wie sollen unter diesen Bedingungen unsere Hoch-schulen und Forschungsinstitute die klügsten Köpfe hal-ten gegen die verlockenden Angebote aus Wirtschaft, In-dustrie und dem Ausland?
Hunderttausende Wissenschaftlerinnen und Doktorandenwarten bisher vergeblich auf eine Verbesserung ihrer Zu-kunftschancen in Deutschland . Deshalb fordert die Linkeein zehnjähriges Anreizprogramm mit 100 000 unbefris-teten Stellen an Hochschulen und Forschungseinrichtun-gen .
– Schön . Ich freue mich darauf .Präsident Dr. Norbert Lammert
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Ein weiterer Punkt . Der Hochschulbau war bis 2006eine im Grundgesetz verankerte Gemeinschaftsaufgabe .Sie wurde 2006 mit der Föderalismusreform abgeschafft .In drei Jahren laufen die als Ausgleich vereinbartenKompensationsmittel des Bundes endgültig aus .
Sollen dann die Bildungschancen von der Finanzkraft derLänder abhängen? Machen wir den Hochschulbau wiederzur Gemeinschaftsaufgabe, verankert im Grundgesetz .
Anders kommt keine Chancengleichheit zwischen denRegionen zustande .
Die rot-rot-grüne Landesregierung in Thüringen hatdie Hochschulausstattung bereits 2015 um 40 MillionenEuro erhöht . Im Jahr 2017 wird die Linke in Thüringenzusammen mit SPD und Grünen den Hochschuletat umweitere 60 Millionen Euro – das sind 10 Prozent mehr –auf insgesamt 640 Millionen Euro steigern .
In der Summe wachsen in Thüringen im Jahr 2017die Bildungsausgaben um fast 300 Millionen Euro imVergleich zu den Ausgaben der letzten CDU-geführtenLandesregierung . Mehr kann der Freistaat Thüringen fürunseren Fortschritt nicht stemmen, und anderen Bundes-ländern geht es ähnlich . Deshalb: Arbeiten Sie in denAusschüssen mit an unserem Antrag . Die Bundesregie-rung muss endlich Verhandlungen mit den Bundeslän-dern starten, um die Grundfinanzierung an Hochschulen und Forschungseinrichtungen solide und dauerhaft zufinanzieren.
Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um dieZukunft von Forschung und Wissenschaft in unseremLand und um eine Zukunft für den wissenschaftlichenNachwuchs in der Bundesrepublik .Vielen Dank .
Das Wort erhält nun der Kollege Stefan Kaufmann für
die CDU/CSU-Fraktion .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dervorliegende Antrag der Fraktion Die Linke, Herr Lenkert,ist für mich ein gutes Beispiel dafür, wie Wissenschafts-politik nicht funktionieren kann .
Der Bund soll unendlich große Milliardensummen zah-len; aber die Länder entscheiden . Für mich ist dieserAntrag deshalb einfach nur eine dreiste Wunschliste,nach dem Motto: Bezahlt mal alles, und wir machen dasschon . – So geht es sicherlich nicht .
Unter Punkt 4 wird beispielsweise – Sie haben esgesagt – ein Anreizprogramm für zehn Jahre für dieEinrichtung von 100 000 unbefristeten Stellen an denHochschulen gefordert . Ich habe einmal nachgerechnet:Bei angenommenen 50 000 Euro Personalkosten proStelle und pro Jahr inklusive Steuern und Sozialabgabenwürden die Kosten bei sage und schreibe 5 MilliardenEuro pro Jahr liegen . Über zehn Jahre gerechnet wür-de die Umsetzung Ihrer Forderung Kosten in Höhe von50 Milliarden Euro bedeuten . 50 Milliarden Euro – HerrLenkert, ich glaube, Sie sehen selber, dass das keine seri-öse und keine konstruktive Opposition sein kann .
Ich darf noch zwei andere Punkte aus Ihren Forderun-gen herausgreifen .Erstens . Sie fordern einmal mehr die Aufhebung desKooperationsverbotes im Bildungsbereich .
Diese Forderung ist ja nun altbekannt;
aber sie ist mit Blick auf die Kulturhoheit der Länder so-wie der von Ihnen selbst angestrebten einseitigen finan-ziellen Mehrbelastung des Bundes zugunsten der Länderschlicht und einfach abzulehnen .
– Herr Mutlu, Sie können noch so viel schreien, daranändert sich nichts .
Ralph Lenkert
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Können wir uns darauf verständigen, dass im Augen-
blick der Kollege Kaufmann das Wort hat und die ande-
ren nachher zu Wort kommen?
Herr Mutlu, Herr Lenkert, zum Kooperationsverbot:Wer umfassende Mitfinanzierung fordert, übersieht, dass er sich damit auch gegen die Zuordnung von Verantwort-lichkeiten stellt . Unklare Zuständigkeiten führen dazu,dass die Verantwortung abgeschoben wird und am Endekeiner das Problem löst, meine Damen und Herren .
Im Übrigen: Schon heute engagiert sich der Bund fi-nanziell in der Bildung so stark und umfassend wie niezuvor . Ich darf den Hochschulpakt, die Qualitätsoffensi-ve Lehrerausbildung, den Qualitätspakt Lehre, den Paktfür Forschung und Innovation, die Exzellenzinitiative,auch die vollständige Übernahme der BAföG-Finanzie-rung durch den Bund, das Programm für Fachhochschu-len usw . nennen
Angesichts der aktuellen Situation engagiert sichdas BMBF in den nächsten Jahren außerdem mit rund130 Millionen Euro zusätzlich für eine schnelle Integra-tion von Flüchtlingen durch Bildung . Ich darf die Kom-petenzfeststellungen, Lern-Apps und Lernbegleiter so-wie die Förderung von Studienkollegs an Hochschulennennen .Eine Änderung des Grundgesetzes wäre im Übri-gen auch länderseitig gar nicht mehrheitsfähig . DieKMK-Präsidentin, die Bremer SPD-Senatorin Bogedan,hat sich anlässlich des Beginns ihrer Amtszeit öffentlichskeptisch zur Aufhebung des Kooperationsverbots geäu-ßert, und ein Mitregieren des Bundes in der Schulpolitikwill letztlich – das wissen Sie selber, Herr Lenkert – keinLand .Eine Zustimmung für reine Transferaktionen vonBundessteuereinnahmen zu den Bundesländern wird esmit uns jedenfalls nicht geben .
Wenn wir Gelder für Schulen geben, dann nur, wennwir auch die Schulpolitik mitgestalten können . Ich sehenicht, Herr Lenkert, dass auch nur ein einziges Bundes-land dazu seine Einwilligung gibt .Ich darf auch für den Hochschulbereich noch einmalklarstellen: Die Länder sind und bleiben auch nach In-krafttreten der Änderung des Artikels 91 b des Grundge-setzes zu Beginn letzten Jahres für die Grundfinanzierung der Hochschulen zuständig . Bei dieser Aufgabe werdensie vom Bund bereits in erheblichem Umfang unterstützt .Um Ihnen einmal eine Größenordnung zu nennen: ImRahmen des Hochschulpakts haben wir gemeinsam mitden Ländern notwendige zusätzliche Studienplätze ge-schaffen . Das sind über die gesamte Laufzeit des Paktesvon 2007 bis 2023 immerhin 20,2 Milliarden Euro, dieder Bund hier investiert .Vor diesem Hintergrund möchte ich noch einmal aus-drücklich sagen: Unsere Aufgabe als Bund ist es, überden Artikel 91 b des Grundgesetzes Strukturen unsererWissenschaftslandschaft in Deutschland zukunftsfest zumachen und nicht etwa Strukturpolitik zu betreiben undstrukturschwache Regionen über Bundesmittel zu för-dern, lieber Herr Kollege Lenkert .
Sollen die Länder doch bitte erst einmal ihre Hausauf-gaben selber machen . Wir haben es hier schon mehrmalsdebattiert: Seit dem letzten Jahr entlasten wir, entlastetder Bund die Länder durch die vollständige Übernahmeder BAföG-Kosten jährlich und dauerhaft um immerhin1,2 Milliarden Euro – Mittel, die sie gemäß der politi-schen Vereinbarung insbesondere auch für die Hoch-schulen einsetzen sollen .
Dass das nicht immer so klappt, haben wir am BeispielNiedersachsen gesehen .Weitere neue Spielräume – auch das darf ich heutenoch einmal sagen – entstehen bei den Ländern, weilder Bund seit Beginn des Jahres 2016 im Rahmen desPakts für Forschung und Innovation III den jährlichenAufwuchs in den Haushalten der außeruniversitären For-schungseinrichtungen allein trägt . Die Länder haben alsolangfristig erhebliche zusätzliche Mittel zur Verfügung,die insbesondere auch den Hochschulen zugutekommenmüssen .
Gleichzeitig, meine Damen und Herren, stehen dieLänder finanziell so gut da wie selten zuvor. Im neuen Monatsbericht des Finanzministeriums von letzter Wo-che – ganz aktuell – können wir nachlesen, dass die Län-der für 2015 zwar mit einem Gesamtdefizit von 6,8 Mil-liarden Euro gerechnet haben, aber tatsächlich – und jetztbitte genau zuhören – zu einem Haushaltsüberschuss von2,8 Milliarden Euro gekommen sind .
Das heißt, wenn die Länder ihre Prioritäten richtigsetzen würden, müssten die Hochschulen eigentlich imGeld schwimmen . Das Geld jedenfalls ist da, wenn mandie richtigen Prioritäten setzt, meine sehr geehrten Kolle-ginnen und Kollegen .
Der zweite Punkt – das haben Sie gerade angespro-chen, lieber Herr Lenkert – ist: Sie fordern allen Erns-tes die Beendigung der erfolgreichen und internationalvielfach nachgeahmten Exzellenzinitiative . Dazu möchteich Ihnen einmal Folgendes sagen . Die Exzellenzinitiati-
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ve hat – das hat jüngst ja auch der Imboden-Bericht derinternationalen Expertenkommission festgestellt –
in sehr erfolgreicher Art und Weise eine neue Dynamik indas deutsche Wissenschaftssystem gebracht .
Die Weiterentwicklung der Exzellenzinitiative, überdie wir ja derzeit verhandeln – wir hoffen, dass wir sie imJuni abschließen können –, soll nun die Voraussetzungendafür schaffen, ausgewählte deutsche wissenschaftlicheSpitzenzentren in der internationalen Champions Leaguelangfristig ganz nach vorn zu bringen . Das schaffen wiraus Sicht der Unionsfraktion eben nicht mit einer För-derung nach Proporz oder gar nach dem Gießkannen-prinzip – wie es andere Parteien hier im Haus ja gernfordern –,
sondern nur mit einem klaren Bekenntnis zur Exzel-lenzförderung . Selbst der von Ihnen gerne angeführteOECD-Bildungsdirektor Schleicher sagte in einem Inter-view auf die Frage: „Braucht Deutschland Elite-Univer-sitäten?“ – ich darf zitieren –:Darüber kann kein Zweifel bestehen . Jeder Staatbraucht Spitzenleistungen, die entsprechend geför-dert werden müssen . Diese werden den Erfolg derStaaten entscheidend bestimmen . Kein Industrie-staat kann sich darauf ausruhen, bei Produktion oderOptimierung gut zu sein, das werden andere Staatenübernehmen .Ich darf an dieser Stelle auch noch einmal Jan-HendrikOlbertz, den ehemaligen Präsidenten der Humboldt-Uni-versität, zitieren . Er hat es jüngst in einer Podiumsdis-kussion richtig auf den Punkt gebracht . Er hat nämlichgesagt: „Exzellenz für alle wäre eine Parodie .“ Aber viel-leicht, lieber Herr Lenkert, wollen Sie ja zurück zu altenDDR-Zeiten . Dort sagte man ja voller Überzeugung: Inder Breite sind wir Spitze . – Auch das ist letztlich eineParodie, und das machen wir nicht mit, lieber Herr Kol-lege Lenkert .
Meine Damen und Herren, wer von den anderenimmer nur Wein fordert und selbst nur Wasser gibt, istwenig glaubhaft . Deshalb habe ich mir einmal die Da-ten zu Brandenburg – nicht Thüringen, das Sie geradeals Beispiel zitiert haben, sondern Brandenburg –, einemLand, in dem Sie immerhin den Finanzminister stellen,im Bildungsfinanzbericht des Statistischen Bundesam-tes angeschaut . Von allen ostdeutschen Bundesländernhat Brandenburg die geringste Grundfinanzierung pro Studierenden, nämlich nur ungefähr 5 600 Euro jähr-lich. Selbst das finanzschwache Sachsen-Anhalt gibt 7 100 Euro pro Studierenden jährlich aus . Also: SchauenSie einmal nach Brandenburg und nicht nur nach Thü-ringen .
Im Rahmen der öffentlichen Bildungsausgaben gibtBrandenburg im Übrigen den geringsten Prozentsatz,nämlich nur etwa 10 Prozent, für die Hochschulen aus .Alle anderen Länder geben hier zum Teil doppelt so vielfür ihre Hochschulen aus . Und vor gar nicht allzu langerZeit – auch darauf möchte ich noch einmal hinweisen –wollte die rot-rote Landesregierung in Brandenburg ihrenHochschulen auch noch die eingesparten Rücklagen inHöhe von 10 Millionen Euro wieder wegnehmen, die dieHochschulen mühsam aufgebaut hatten, um langfristigeProjekte zu finanzieren. Das ist die Politik, für die Sie hier stehen, Herr Lenkert, und das sollten Sie auch ein-mal ehrlich sagen .
Meine Damen und Herren, kommen Sie also von Ih-rem hohen Ross herunter, und kehren Sie erst einmal vorder eigenen Haustür . Das ist meine Bitte, meine Auffor-derung an Sie . Beenden Sie Ihre Traumtänzerei, und hö-ren Sie endlich damit auf, zwei- oder dreistellige Milliar-densummen hier im Haus zu fordern, die dann nach demGießkannenprinzip auf die Länder verteilt werden sollen .Meine Damen und Herren, so geht ernsthafte Oppositionim Bund nicht . Deshalb bitte ich Sie herzlich, diesem An-trag nicht zuzustimmen .Danke sehr .
Das Wort erhält nun der Kollege Kai Gehring für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen . Ich vermute einmal, er
wird jetzt vorführen, wie Opposition richtig geht .
Mal schauen . – Danke, Herr Präsident! Liebe Kolle-ginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren!Die Wissenschaftsfinanzierung in Deutschland braucht ein Upgrade für mehr Zukunfts- und Innovationsfähig-keit . Die Linke hat Vorschläge gemacht, wir Grünen ha-ben Vorschläge gemacht . Wenn Sie von Union und SPDdamit nicht einverstanden sind, dann legen Sie doch ein-fach eigene Vorschläge für eine neue Gesamtarchitekturder Wissenschaftsfinanzierung in Deutschland vor.
So lang ist die Legislatur ja nicht mehr . Langsam wird eshöchste Zeit .
Dr. Stefan Kaufmann
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Seit Monaten dreht sich die Wissenschaftsdebatteum die Frage, wie die Exzellenzinitiative weitergeht .Vor vier Wochen hatte die Imboden-Kommission einenhervorragenden Bauplan dafür vorgelegt . Auf die zweiFörderlinien Exzellenzcluster und Exzellenzprämie zufokussieren, ist eine wegweisende Grundlage für Bundund Länder; da sind wir uns mit unseren drei grünenWissenschaftsministerinnen einig . Der Zeitdruck für dieEinigung ist groß . Heute in acht Wochen muss die Ver-einbarung stehen . Umso unverständlicher ist doch, dassBundesministerin Wanka zu ihrem Exzellenzplan kom-plett schweigt .
Ich kann mir kaum vorstellen, dass sie keinen hat .Wenn Frau Wanka den Unis das Exzellenzkrönchenselbst aufsetzen will, anstatt die Wissenschaft entschei-den zu lassen, dann soll sie das doch wenigstens sagen .Aber zu schmollen, den sehr guten Imboden-Bauplan indie Schublade zu legen
und zur drängenden Überbrückungsfinanzierung für die bisher geförderten Unis und Cluster zu schweigen, isteinfach ein Unding . Frau Wanka muss raus aus dem Hin-terzimmer und muss ihre Exzellenzpläne im Parlamentvorstellen .
Spitzenförderung ist aber nur ein Aspekt der Wissen-schaftsfinanzierung von Bund und Ländern. Eine neue Architektur ist seit Jahren überfällig; denn das Verhältniszwischen Grundfinanzierung der Hochschulen und Dritt-mittelförderung ist immer weiter aus der Balance gera-ten . Als größter Drittmittelgeber hat der Bund daran ei-nen Löwenanteil . Obwohl der Bund die Hochschulen seitder Verfassungsänderung zum 1 . Januar 2015 dauerhaftfinanzieren könnte, setzen Union und SPD vorrangig auf Wettbewerb und auf Projektförderung . Dass das nicht gutist, wissen Union und SPD sogar . Der Erkenntnis mussaber auch konkretes politisches Handeln folgen . Genaudas verlangt die linke und grüne Opposition von Bundes-regierung und Koalitionsfraktionen .
Worum muss es bei der neuen Wissenschaftsfinanzie-rung gehen?Erstens um den Hochschulpakt . Die Bund-Länder-Ver-einbarung dazu läuft bis 2020 . Auch künftig werden vie-le junge Leute aus dem In- und Ausland in Deutschlandstudieren, und das ist klasse . Deswegen wollen wir denHochschulpakt verstetigen und die Ausgaben pro Studi-enplatz auf OECD-Durchschnitt anheben . Das stärkt dieGrundfinanzierung der Hochschulen, das sichert Studi-enplätze und Arbeitsplätze, das bringt bessere Lehre undStudienbedingungen, eine höhere Finanzierungssicher-heit und Planbarkeit für Universitäten und Fachhoch-schulen in strukturschwachen wie in strukturstarken Re-gionen . Also: Nicht zögern, sondern machen .
Zweitens: Ausbau und Modernisierung der Infrastruk-turen des Wissens . Bröckelnde Bauten und marode Labo-re passen nicht zu einer Innovationsnation Deutschland .
Schon jetzt gibt es einen erheblichen Sanierungsstau anden Hochschulen . Den müssen wir beheben und einemweiteren Substanzverlust vorbeugen . Wir sagen ganzklar: Bauten und Ausstattung an Universitäten und Fach-hochschulen müssen auf die Höhe der Zeit gebracht wer-den: von den Hörsälen bis zu den Bibliotheken, von dendigitalen Infrastrukturen über Forschungsgeräte bis hinzu den Wohnheimplätzen . Also: Nicht zögern, sondernmachen .
Drittens: Entlastung der Länder bei der Forschungsfi-nanzierung . Wir wollen den Finanzierungsschlüssel derLeibniz-Gemeinschaft und der Max-Planck-Gesellschaftändern. Statt fifty-fifty soll der Bund künftig 70 Prozent
und das jeweilige Land 30 Prozent der Finanzierungübernehmen .
Im Gegenzug müssen sich die Länder verbindlich ver-pflichten, die gewonnenen Spielräume eins zu eins für die Grundfinanzierung der Hochschulen zu nutzen. Hier wäre es angebracht, eine gute Vereinbarung zu treffen;das haben sie bei den BAföG-Mitteln nicht geschafft .
Zudem müssen die Programmpauschalen im Hochschul-pakt und für die Forschungsförderung durch die Bun-desressorts erhöht werden . Also: Nicht zögern, sondernmachen .
Wir haben in Deutschland eine unheimlich vielfältigeForschungs- und Hochschullandschaft mit vielen groß-artigen kreativen Köpfen . Diese kreativen Köpfe wollenunsere Gesellschaft voranbringen . Sie wollen Lösungenfür die großen gesellschaftlichen Herausforderungenentwickeln, und sie wollen mit Sicherheit gut forschen .Deswegen warten die Wissenschaftler aller Generationengenauso sehnsüchtig wie wir in der Opposition auf denmehrmals von Frau Wanka angekündigten Nachwuch-spakt für neue Stellen an den Hochschulen . Davon hörtman seit Monaten nichts mehr . Man braucht ihn aberdringend; denn es braucht dringend mehr Dauerstellen,vom Mittelbau bis zur Tenure-Track-Professur . Also:Nicht zögern, sondern machen .
Kai Gehring
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 159 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 26 . Februar 2016 15687
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Bund und Länder müssen einen klugen Rahmen fürgute Wissenschaft setzen und eine neue schlüssige Ge-samtarchitektur für die Wissenschaftsfinanzierung in Deutschland auf den Weg bringen, und das am bestennoch in dieser Wahlperiode .
Der Kollege Ernst Dieter Rossmann hat für die
SPD-Fraktion das Wort .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Dem Antrag der Grünen darf man nicht vorwerfen, dasser nicht sehr ausschweifend sei .
– Entschuldigung, der Linken . – Er ist wirklich zu aus-schweifend . Ich glaube, Herr Kaufmann, Sie sind in IhrerKritik sehr präzise auf vieles eingegangen . Wenn ich nurmit einer Hand geklatscht habe – das ist nicht so gut zuhören –, dann nur, weil Sie an vielen anderen Stellen Po-sitionen eingenommen haben, die wir Sozialdemokratennicht teilen können .In Bezug auf die Grünen fällt uns auf: Ja, Oppositiondarf drängeln, aber Opposition muss nicht alles verdrän-gen; denn tatsächlich gibt es einen Hochschulpakt,
der sehr gut dotiert ist, der von Bund und Ländern ge-meinsam finanziert wird. Es gibt einen Beschluss der Koalitionsfraktionen, 1 Milliarde Euro zusätzlich für denwissenschaftlichen Nachwuchs zu mobilisieren . Wir ha-ben das Wissenschaftszeitvertragsgesetz in einer Weisenovelliert, die viel Resonanz, auch in der jungen Wissen-schaft, findet.
Auch die BAföG-Reform – einschließlich des zusätzlichmobilisierten Volumens – ist ja nicht die schlechteste Re-form gewesen .Insofern möchte ich in dieser Situation mit den Kol-leginnen und Kollegen in einen Dialog eintreten, anstattwechselseitig draufzuhauen, und ein paar Schwerpunktesetzen .Kollege Kaufmann, ja, man kann in Bezug auf dieBund-Länder-Zusammenarbeit und das Kooperations-verbot verschiedener Auffassung sein . Aber man mussnatürlich aufpassen, in welche Widersprüche man sichverwickeln kann, wenn man sagt, dass es doch immer ambesten ist, wenn es klare Verantwortlichkeiten gibt . Denngleichzeitig sind wir stolz darauf, dass wir zum Beispielbei der Absicherung der außeruniversitären Forschungs-einrichtungen eine gemeinsame Verantwortlichkeit bis indie Finanzierung hinein haben, dass Bund und Länder zujeweils 50 Prozent am Hochschulpakt beteiligt sind undes funktioniert,
dass auch an anderen Stellen, zurzeit beim Gesamtkon-zept zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuch-ses, Bund und Länder zusammenkommen .Es ist ja auch nicht so, dass es keine gemeinsameVerantwortung von Bund und Ländern in Bezug aufden Strukturausgleich gäbe . Er ist vielleicht nicht inArtikel 91 b des Grundgesetzes angesiedelt; aber inArtikel 104 b des Grundgesetzes ist er ausdrücklich an-gesiedelt . Das entspricht der Linie, von der die Sozialde-mokratie Sie gerne weiter überzeugen möchte, vielleichtauch in Bezug auf die aktuell und langfristig wichtigeZukunftsaufgabe der Integration; hier könnte man eineneue Gemeinschaftsaufgabe schaffen .Umgekehrt sind wir ganz bei Ihnen, wenn Sie sichdagegen wehren, vom Prinzip des Wettbewerbs abzu-weichen . Die Linken haben irgendwie ein ungeklärtesVerhältnis zum Prinzip des Wettbewerbs in der Wissen-schaft; sie haben es nicht aufgearbeitet . Die wichtigstegemeinsame Institution von Bund und Ländern in derWissenschaft ist die Deutsche Forschungsgemeinschaft,die DFG . Aber die DFG organisiert nichts anderes als einwettbewerbsgeleitetes Auswahlverfahren bei der Suchenach Wahrheit . Dazu müssten sich die Vertreterinnen undVertreter der Linken einmal im Grundsatz erklären . Siemüssten erklären, ob sie glauben, dass Wahrheitssucheaußerhalb eines wissenschaftsgeleiteten Wettbewerbszu besseren Ergebnissen führt als eine Suche nach derbesten Wahrheit im Wettbewerb, im Rahmen einer Aus-einandersetzung in verschiedenen Projekten, über PeerReviews und anderes. Ich finde, da müssen Sie langsam bei Ihrem eigenen Denken – bis hinein in Ihre Anträge –zu einer Frontbegradigung kommen .
Denn Sie können nicht in drei Landesregierungen – frü-her Mecklenburg-Vorpommern, jetzt Thüringen undBrandenburg – all dies mittragen, auch das wettbewerbs-geleitete Prinzip der Deutschen Forschungsgemein-schaft – Sie stellen es nicht infrage –, aber in Bezug aufdie Exzellenzinitiative Scheuklappen haben, als ob das,was bei der DFG gut ist, bei der Exzellenzinitiative aufeinmal schlecht ist .Diese Begradigung sollten Sie erst recht vorneh-men, wenn Sie aufmerksam einer guten Anhörung zur Imboden-Kommission in Sachen Exzellenz gefolgt sind .
Man darf sich doch nicht selbst in der Wissenschaft inDeutschland unmöglich machen . Aber Sie sind leider aufdem besten Weg dorthin, sich als Partner in der deutschenWissenschaft unmöglich zu machen . Das bekommt IhrerSache nicht gut .
Kai Gehring
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Die Exzellenzinitiative ist angesprochen worden; da-rauf möchte ich mich konzentrieren . Die Vorbereitungeines gemeinsamen Pakts zwischen Bund und Ländern –auch dort stehen wieder beide zusammen in der Verant-wortung; es gibt dort keine geteilte Verantwortung, HerrKaufmann – ist jetzt in einem entscheidenden Stadium .Ich will zumindest für die sozialdemokratische Seite sa-gen, was wir den guten Ergebnissen der Imboden-Kom-mission in Bezug auf das Instrument der Exzellenzini-tiative, die Edelgard Bulmahn mit anderen zusammenseinerzeit für Rot-Grün auf den Weg gebracht hat, ent-nehmen . Wir entnehmen, dass es wichtig ist, ein wissen-schaftsgeleitetes Verfahren beizubehalten . Wir entneh-men, dass es wichtig ist, den Wettbewerb weiterhin ineinem wissenschaftsgeleiteten Verfahren zu organisieren .Wir entnehmen, dass es wichtig ist, die Exzellenzclusterauszubauen, die das Fundament besonderer Exzellenz anden vielen Hochschulen quer durch die Republik stärkensollen . Wir entnehmen auch, dass es gut ist, wenn wirerkennbare Spitzenuniversitäten haben .Dabei unterscheidet sich unser Ansatz von dem, wasbisher von den Grünen in die Diskussion gebracht wor-den ist . Auch Professor Imboden geht von einem ein-zigen Indikator aus . Dies ist aber unterkomplex . Wirkönnen hier aus der Anhörung den hoch anerkanntenVorsitzenden des Deutschen Wissenschaftsrates, Profes-sor Prenzel, zitieren, der von den Institutionen, die alsLeuchttürme nach Deutschland und Europa ausstrahlenwollen, strategische Konzepte und vor allem auch einePerspektive geradezu einfordert, weil diese mit Blickauf die Zukunft die Leistungsfähigkeit und die Attrak-tivität der Wissenschaft an den deutschen Hochschulenerhöhen . Nur aus dem Ex-post, also aus dem, was manfrüher an Förderung bekommen hat, leitet sich nicht au-tomatisch eine Perspektive ab, auch wenn es natürlichein Kriterium unter mehreren sein kann, genauso wie dieVerankerung von Exzellenzclustern ein Kriterium wer-den muss . Wichtig ist jedenfalls: Wir müssen in diesemZusammenhang komplexer denken .Wir sollten uns auch nicht klein machen . ProfessorImboden hat gemeinsam mit seiner hoch ehrenwertenKommission ausdrücklich festgestellt, dass es bei unsmehr als sehr wenige spitzenleistungsfähige Universitä-ten gibt . Deshalb sagen wir: 10 Universitäten plus x – dasist das Maß, aus dem in Deutschland Strahlkraft gewon-nen werden kann, aus dem weitere Perspektiven gewon-nen werden können .Natürlich soll es Maßnahmen der Überleitung geben .Es soll Anerkennung für diejenigen geben, die bisher ineiner ersten Wettbewerbsphase waren . Wir wünschen unsund wir sind uns ziemlich sicher, dass wir an dieser Stelleein sehr gutes Ergebnis erzielen werden .
– Kollege Gehring, Sie fragen danach, was die Ministerinwill . Man darf in jedem Fall sagen: Die Ministerin willein sehr gutes Ergebnis .
Ich darf für die Sozialdemokratie sagen: Die Struk-turen, innerhalb derer wir uns das Ergebnis wünschen,haben wir immer transparent gemacht . Am Ende werdenwir uns umso mehr freuen, wenn das Ergebnis zügig vor-liegen wird
und in dem Ergebnis viel von dem enthalten ist, was Pro-fessor Imboden vorgeschlagen hat; denn es gibt hier einegroße Übereinstimmung mit dem, was wir vorgeschlagenhaben .
Herr Kollege .
Wir können uns nicht vorstellen, dass das Ergebnis ein
ganz anderes sein könnte .
Wir glauben: Wenn wir hier gemeinsam zügig zu einem
Ergebnis gekommen sind, dann werden wir auch beim
Pakt für den wissenschaftlichen Nachwuchs zügig voran-
kommen; denn das ist ein weiterer Baustein .
Herr Kollege Rossmann .
Mein letzter Punkt an die Abgeordneten der CDU/
CSU . Dies wird gewiss nicht die allerletzte Diskussion
über das Kooperationsverbot sein . Wir werden diese aber
sehr sachlich, konstruktiv und hoffentlich sehr überzeu-
gend und gewinnend weiterführen .
Vielen Dank .
Die Kollegin Alexandra Dinges-Dierig hat nun das
Wort für die CDU/CSU-Fraktion .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Verehrte Gäste auf den Tribünen! Liebe Kolleginnen undKollegen von der Linken, ich kann es Ihnen nicht erspa-ren, dass Sie das eine oder andere jetzt noch einmal hörenwerden .Mit Blick auf die Zukunft sage ich: Das wird bestimmtauch nicht das letzte Mal sein .
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Als ich Ihren Antrag gelesen habe und noch einmalgelesen habe, hat es mir ehrlich gesagt – ich sage das sosalopp – fast die Schuhe ausgezogen .
Ich könnte auf viele Einzelforderungen aus Ihrem An-trag eingehen, ich könnte Ihnen gewichtige Argumenteentgegenbringen . Herr Rossmann hat gesagt, er glaubtan eine Weiterentwicklung der Linken . Ich bin mir nichtmehr ganz so sicher; denn durch Ihren gesamten Antragzieht sich – deshalb glaube ich, dass einzelne Argumen-te Sie nicht überzeugen werden – ein Staatsbild, das ichpersönlich als zentralistisch beschreiben würde . Sie wol-len – das haben Sie nicht nur an einer Stelle deutlich ge-macht – den übermächtigen Bund, Sie wollen die schwa-chen und machtlosen Länder .
In Ihrem Antrag bezeichnen Sie die Länder – wie ha-ben Sie es geschrieben? – als eine Art Getriebene einergesamtwirtschaftlichen Entwicklung, die Sie nicht nurfür das Wissenschaftssystem als schädlich ansehen . Auseigener Erfahrung kann ich Ihnen sagen: So verstehensich die Länder nicht, so haben sie sich nie verstanden,und so werden sie sich auch nie verstehen .
Vor circa zehn Jahren gab es sehr lange Diskussionenüber die Föderalismusreform . Gerade den Ländern wares wichtig, zwischen ihnen und dem Bund klare Rege-lungen zu Entscheidungsgewalt und Verantwortung zutreffen; der Kollege Stefan Kaufmann hat es schon aus-geführt . Warum war ihnen das so wichtig? Das war ihnenso wichtig, weil sie schneller und besser eigene politischeAkzente setzen wollten . Sie wollten in ihren HaushaltenSchwerpunkte setzen, ohne dass der Bund ihnen sagt, wodie Schwerpunkte liegen sollen . Sie wollten durch klugepolitische Entscheidungen in den Wettbewerb eintretenund sich dort durchsetzen, und zwar nicht nur in einenWettbewerb mit anderen Ländern – sonst hätten wirPISA ohnehin nicht gemacht –, sondern in einen Wettbe-werb mit anderen Regionen Europas und der Welt .Betrachte ich die Ergebnisse der letzten zehn Jahren,kann ich sagen: Sie können sich im Durchschnitt sehenlassen . Schauen Sie sich die Ergebnisse an, die wir imSchulbereich haben, ob es nun PISA oder PISA-E ist!Schauen Sie sich die internationale Sichtbarkeit unseresWissenschaftssystems an! Schauen Sie sich die Berichtean: „Bildung auf einen Blick“ – selbst die OECD hat esinzwischen verstanden – oder den Bildungsmonitor . ImSchnitt sehen Sie überall eine dynamische, wirklich rechtgute Entwicklung .
Aber ich sage auch: Wir haben noch Luft nach oben .
– Wir nutzen sie, lieber Kollege Mutlu .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Wettbewerb – dasist auch so ein Reizwort für Sie – ist für Sie von der Lin-ken offensichtlich kein Anreizsystem .
Sie gehen davon aus, dass Sie durch die gleiche Vertei-lung von Finanzen in ein differenziertes Bildungs- undWissenschaftssystem gute Perspektiven für die Genera-tion von morgen schaffen . Sie gehen zum Beispiel auchdavon aus, dass durch die nahezu vollständige Umwand-lung befristeter Stellen in feste Stellen die Chancen fürden wissenschaftlichen Nachwuchs steigen .
Das, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, istnachweisbar falsch . Das zeigt uns nicht nur die Ge-schichte .
Ich sage Ihnen, was Sie mit der Umverteilung und derBeseitigung von Wettbewerb schaffen:
Statt dynamischer Spitzenentwicklung schaffen Sie über-regionale Mittelmäßigkeit .
Statt Internationalität schaffen Sie Nationalität – verbun-den mit dem Verlust der besten Köpfe .
Sie schaffen Starrheit im Forschungssystem; denn dieStellen sind dann über 30 Jahre besetzt . Sie schaffen ei-nen Rückgang der Innovationen . Ich kann Ihnen sagen,was die Folge ist: Arbeitsplatzverlust, Wohlstandsver-lust, Schwächung der Gesellschaft und der Wirtschaft –genug Material, um eine Horrorgeschichte zu schreiben .Ich sage Ihnen eines: Das werden Sie mit der CDU/CSUnicht schaffen .
Alexandra Dinges-Dierig
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Frau Kollegin, darf der Kollege Lenkert eine Zwi-
schenfrage stellen?
Heute ausnahmsweise nein, lieber Kollege .
Sehr geehrte Damen und Herren, das Grundgesetz ist,
glaube ich, überdeutlich . Aufgaben der Länder sind all
jene, die das Grundgesetz nicht dem Bund zuschreibt .
Dazu stehen wir als CDU/CSU heute und auch morgen .
Bildung und Wissenschaft sind dabei im Grundsatz
ganz klar, so wie es die Länder wollten, Aufgabe der
Länder . Ich sage ganz eindeutig: Wer für die Verantwor-
tung für Bildung und Wissenschaft gekämpft hat, muss
sich jetzt auch um eine auskömmliche Grundfinanzie-
rung kümmern . Darauf werden wir achten .
Meine Damen und Herren, bei ausgewählten Zielen
arbeiten und finanzieren Bund und Länder im Bewusst-
sein der klaren Verfassungslage gemeinsam . Es gibt kein
Verbot der Zusammenarbeit, wie Sie uns immer glauben
machen wollen; wir haben es an vielen Stellen gehört .
Ja, es knirscht manchmal in der Zusammenarbeit . Ja, wir
streiten uns auch . Aber sicher, ganz sicher wird die Zu-
sammenarbeit an der einen oder anderen Stelle verbessert
werden, auch wenn wir uns weiter vehement für gegen-
sätzliche Positionen einsetzen . Ich halte das übrigens für
eine sehr gute Sache, wenn es darum geht, den wahren
Weg zu finden.
Eines aber geht nicht . Damit, denke ich, Herr Lenkert
und liebe Kolleginnen und Kollegen, werden wir uns
vielleicht doch noch einmal viel intensiver auseinander-
setzen müssen . Mir ist bis heute wirklich nicht klar, wa-
rum Sie unbedingt – Sie sehen darin den Schlüssel zur
Besserung – Aufgabenbereiche der Länder in die Zustän-
digkeit des Bundes ziehen wollen . Ich sehe darin über-
haupt keinen Schritt in Richtung Fortschritt .
Gerade im Bildungs- und Wissenschaftsbereich müs-
sen Entscheidungen nah an den Orten gefällt werden, an
denen Bildung und Wissenschaft entstehen, und nicht
weit weg davon . Deshalb haben die Diskussionen vor
zehn Jahren genau dieses Ergebnis gehabt . Man wollte
die Dezentralisierung ganz bewusst . Das hat sich bis heu-
te nicht geändert . Sprechen Sie mit Ihren Kollegen aus
Brandenburg und Thüringen!
Es ist völlig außer Frage, dass es irgendwie in eine andere
Richtung geht .
Jetzt schauen Sie sich doch einmal den Haushaltsplan
des Bundes an! Was ist in den letzten zehn Jahren pas-
siert? Es wurden Prioritäten gesetzt . Es wurden Schwer-
punkte gebildet . Das müssen auch die Länder tun, und
das können sie tun . Schauen Sie sich die im Bereich
Bildung und Wissenschaft erfolgreichen Länder an! Die
kämpfen in den Haushaltsberatungen für die Priorität von
Bildung und Wissenschaft .
Das können wir von den Ländern verlangen . Gepaart mit
der Prioritätensetzung des Bundes wird das zu einer Aus-
stattung aller Regionen führen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Anträge bie-
ten immer wieder die Gelegenheit, gewisse Dinge ge-
betsmühlenartig zu wiederholen . Deshalb sage ich es an
dieser Stelle noch einmal: Wir als CDU/CSU-Fraktion
wollen starke und selbstbewusste Länder; wir wollen
starke und selbstbewusste Wissenschaftseinrichtungen;
wir wollen, dass diese auch in Zukunft ihre Entscheidun-
gen eigenverantwortlich treffen, im Wettbewerb mit allen
anderen . Wenn diese Rahmenbedingungen gegeben sind,
dann werden wir als Bund in Zukunft immer als Partner
für sie zur Verfügung stehen, und wir werden noch stär-
ker werden, als wir es jetzt schon sind .
Herzlichen Dank .
Das Wort hat nun der Kollege Lenkert für eine Kurz-
intervention .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Frau Kollegin Dinges-Dierig, warum wir die Länder stärken wollen, liegt aufder Hand: Ihnen fehlen einfach die finanziellen Mittel, um mehr zu leisten, als sie im Moment leisten .
Das ist so . Wenn man sich das Gefeilsche ansieht, wennes um die Regionalisierungsmittel geht – das ist ein ande-res Thema – und wenn es um den Bund-Länder-Finanz-ausgleich geht, dann sieht man ganz deutlich – das sehenauch Ihre Länder –, dass die Gelder für alle Aufgabennicht reichen . Deswegen brauchen die Länder Unterstüt-zung .
Warum fordern wir vehement eine Förderung in derBreite? Ich komme aus der Industrie . Kennen Sie nochdie vielen Fernsehhersteller, die es in den 60er- und70er-Jahren in der Bundesrepublik gab? Die sind nichtmehr da . Warum? Die haben sich irgendwann festgelegt,dass sie nur noch für die Spitze produzieren wollen .
Dann sind sie von den anderen über die Breite weggerolltworden . Es gibt eine Branche, die nach wie vor erfolg-reich ist: Das ist die Automobilindustrie . Die hat niemalsdie Masse aufgegeben, sie hat die Basis gehalten . DamitSie diesen Fehler in der Wissenschaftslandschaft nichtwiederholen, fordern wir von Ihnen, die Basis zu stärken,
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und zwar umgehend, damit wir weiterhin einen gutenForschungsstandort haben .Vielen Dank .
Frau Kollegin Dinges-Dierig, wollen Sie darauf erwi-
dern?
Lieber Kollege Lenkert, ich widerspreche eindeutig
Ihrer Aussage, dass die Länder nicht die finanziellen Mit-
tel haben .
Sie müssen sie nur nutzen . Ich nenne ein Stichwort:
BAföG . Wir haben gesehen, wie die Länder mit Geldern
umgehen, die eigentlich dem Bereich Wissenschaft und
Forschung gehören . Ich erwarte, dass sie in Zukunft die-
se Priorität setzen . Dann werden wir sie unterstützen .
Das Wort hat jetzt der Kollege Roland Claus für die
Fraktion Die Linke .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Erneut nehme ich von der Union ein Feindbild-gebaren wahr, nach dem Motto: Der Hauptfeind steht in16 Ländern . – So geht es wohl nicht, meine Damen undHerren .
Deutschland lebt sich auseinander, nicht nur im Hoch-schul- und Bildungsbereich, aber in diesem ganz beson-ders . Da wächst schon lange nicht mehr zusammen, waszusammengehört . Die sozialen Unterschiede wachsen .Ballungszentren und ländliche Räume erscheinen nichtmehr als Teile einer gesamten, konsistenten Entwick-lungslogik . Auch in der Wissenschaft driften Spitzenu-nis und der Fachhochschulsektor auseinander . Geradein förderbedürftigen Regionen sind Hochschulen aberMotoren für eine positive Entwicklung . Ich nutze dieGelegenheit, auf diesen kleinen Unterschied aufmerk-sam zu machen: In der alten Tagesordnung werden dieseRegionen als „strukturschwache“ Regionen bezeichnet .Das klingt ein bisschen nach: Nur schnell weg von dort!Wir haben jetzt den Begriff „förderbedürftig“ eingeführt,weil das für Werbung, für Werbung für Veränderungensteht .
Wer Deutschland zusammenhalten will, wer ein sol-ches Auseinanderdriften nicht einfach hinnehmen kann –man kann das politisch natürlich machen und sagen: dasist jetzt mal so –, wer das überwinden will, sollte sichdiesem Ansatz nicht verschließen . Das ist genau der Kernunseres heutigen Antrags .Weil Sie hier die Finanzierungsfrage hervorgehobenhaben: Der Bund hat 2015 das Fünffache des Überschus-ses aller Bundesländer erzielt . Diese Tatsache können Siedoch nicht ausblenden .
Es ist ganz klar: Wissenschaft und Bildung kommennicht ohne Leistungsvergleich und Wettbewerb aus . Einestaatliche Wissenschaftspolitik, die nur der Konkurrenzdient, ist unseres Erachtens aber falsch . Ein Staat, derdem Starken hilft, gegen den Schwachen zu siegen, istfür uns ein schlechter Staat .
Da Sie den Wettbewerb preisen: Das Problem IhrerHochschulpolitik ist doch, dass Sie viele gar nicht erstan den Start zu diesem Wettbewerb lassen . Das nenne ichZentralismus, meine Damen und Herren .
Nur wenige Fakten . Unter der Überschrift „Exzellenz-initiative“ gibt die Bundesregierung den besten Unis dasmeiste Geld . Das Ergebnis ist dann: Ostdeutsche Univer-sitäten mit Ausnahme von Berlin bekommen gerade ein-mal 5 Prozent des Gesamtetats;
davon entfallen 4,7 Prozent auf Sachsen und 0,3 Prozentauf Thüringen .
Die richtige Übersetzung von „Exzellenz“ aus dem Latei-nischen lautet im Übrigen „Erhabenheit“ oder „Herrlich-keit“ . Und dann wundern Sie sich, wenn diese herrlicheErhabenheit bei Benachteiligten, insbesondere im Osten,zu Protest und Frust führt? Ich wundere mich da nicht .
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft ist dazu an-gelegt, sogenannte Drittmittel, also private Gelder, fürHochschulen einzuwerben . Auch hier sind unter den40 sogenannten Besten nur 4 ostdeutsche Universitäten .Vereinigungspolitik, sagen wir Ihnen, geht anders .Zur Lage der Beschäftigten . Allgemein gilt ja der Irr-glaube, dass jemand mit einem Doktortitel sozial feinraus sei . Aber das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufs-Ralph Lenkert
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forschung rechnet Ihnen vor: Von 2004 bis 2014 ist derAnteil befristeter Arbeitsverhältnisse in der Wissenschaftvon 25 auf 37 Prozent gestiegen . Im Osten ist er immernoch doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt . MeineDamen und Herren, das kann man doch nicht hinnehmen .Diesem Problem wird auch Ihre Gesetzesnovelle nichtim Geringsten gerecht .
Von allen Beschäftigten im wissenschaftlichen Dienst,also ohne Beamte, waren 2014 49 Prozent in Befristung .Deutschland – ein Staat der Dichter und Denker? Allen-falls der Teilzeitdenker .Bekanntlich ist die Linke nicht nur kritisch, sondernauch konstruktiv .
Genau deshalb machen wir heute diese Vorschläge zurbesseren Hochschulfinanzierung, vor allem – ich sage es noch einmal – im Hinblick auf förderbedürftige Regio-nen .
In Sachsen-Anhalt gibt es die Hochschule Anhalt mitden drei Standorten in Bernburg, Dessau und Köthen . Diewissenschaftliche Bilanz der Ingenieurwissenschaften istbeeindruckend . Gleiches gilt für die Kooperation mit derStiftung Bauhaus, auch für die Agrarforschung . Nochspannender aber ist, dass der Status dieser Hochschuleals Impulsgeber für die gesamte Region inzwischen aner-kannt wurde . Die vom Campus sind Repräsentanten ihrerStädte geworden; das geht bis hin zu einer weltoffenenCharmeoffensive, die ansteckend wirkt .Und nun? Nun besagt die Zielvereinbarung zwischendieser Hochschule und dem Land Sachsen-Anhalt: DerMindestzuschuss bis 2019 bleibt gleich . Darüber kannman sich freuen und sagen: Das ist besser, als wenn ergeringer ausfällt oder unsicher ist . Wir sagen: Das istunzureichend, weil diese neuen Stärken nicht annäherndausreichend gefördert werden .In unserem Antrag finden Sie viele weitere Vorschlä-ge; sie sind Ihnen ja auch schon erläutert worden . Siehaben jetzt zwei Möglichkeiten: ein Weiter-so mit Ihrerverfehlten Politik oder eine zukunftsfähige Hochschul-politik . Beides zusammen geht nicht . Ich denke, Sie soll-ten neue Wege beschreiten .
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr . Simone Raatz
für die SPD .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! HerrLenkert, sosehr ich Sie in manchen Bereichen fachlichschätze,
denke ich, der Antrag, den Sie hier vorgelegt haben – erwird ja hauptsächlich aus Ihrer Feder stammen –, ist ein-fach nur ein buntes Potpourri von „Wünsch dir was“ .
Meine Vorredner haben das schon deutlich gemacht .
Es fällt schwer, einen roten Faden zu erkennen . Auchwenn Sie mit Vehemenz Themen ansprechen, bei denenwir als Koalition schon einiges geleistet und viel Gutesgetan haben, fällt es mir schwer, das, was Sie hier for-dern, ernst zu nehmen .
Deswegen – das nur mal so als Anregung – wäre es sehrschön, wenn Sie da auch noch Inhalte mit einbringen undselbst Vorschläge machen würden, wie Sie Ihre Wün-sche verwirklichen wollen . Sie haben hier ein Anreiz-programm erwähnt – darauf ist, denke ich, mein KollegeHerr Kaufmann schon eingegangen –: Dabei geht es umdie Einrichtung von 100 000 unbefristeten Wissenschaft-lerstellen mit einem Umfang von 5 Milliarden Euro proJahr . Dazu fällt mir jetzt nur die Frage ein: Ist das IhrerAnsicht nach eine realistische bzw . eine sinnvolle For-derung?Ich denke, wir haben mit der Verbesserung der Stel-lensituation – allein mit dem Wissenschaftszeitvertrags-gesetz – einen ersten Schritt in die richtige Richtunggetan . Einen zweiten Schritt werden wir mit dem Hoch-schulpakt machen . Darüber werden wir demnächst de-battieren . Natürlich werden weitere Bausteine folgen . Sowerden wir sukzessive, denke ich, auch in dem Bereicheiniges hinkriegen .Ich will nun auf den zweiten Teil der Überschrift Ih-res Antrags eingehen und mich darauf konzentrieren:Bildung und Forschung in strukturschwachen Regionensolide ausstatten . – Herr Claus sagte, „förderbedürftig“würde besser klingen . Ich bin mir nicht sicher, ob dasso ist . Ich denke, bei „strukturschwach“ weiß man, umwas es geht . Es ist erst einmal prinzipiell nichts dagegeneinzuwenden, dass wir Bildung und Forschung in struk-turschwachen Regionen unterstützen wollen . Dagegenhat keiner etwas .Ihr Ausgangspunkt dabei ist, dass das deutsche Wis-senschaftssystem seit 15 Jahren eine rasante Umstellungerlebt . Warum es gerade 15 Jahre sein sollen, erschließtsich mir jetzt so nicht . Für mich stellt eher die Wendeeinen erheblichen Einschnitt in das Wissenschaftssystemdes Ostens dar . Das ist jetzt 26 Jahre her . Man könnte dajetzt also genauso gut von 26 Jahren sprechen .Roland Claus
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 159 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 26 . Februar 2016 15693
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Viele Wissenschaftseinrichtungen mussten sich 1990schnellstens umorientieren . Sie wurden geschlossen,wenn sie das nicht schafften . Mit zwei Beispielen ausFreiberg will ich das kurz dokumentieren bzw . klarma-chen:Das Forschungsinstitut für Aufbereitung – es gehör-te damals zur Akademie der Wissenschaften der DDR –schaffte den Absprung nicht . 1992 wurde es abgewickelt .Einen Sozialplan oder etwas Ähnliches gab es damals fürdie 400 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht .Dagegen hat das Forschungsinstitut Leder- und Kunst-stoffbahnen den Strukturwandel gut bewältigt . Seit 1992ist dieses Institut privatisiert . Es ist jetzt als gemeinnützi-ge GmbH erfolgreich tätig .Ich nehme an, liebe Kolleginnen und Kollegen vonden Linken, dass Sie mit dem Punkt 8 Ihres Antrags viel-leicht auf genau solche Einrichtungen wie dieses For-schungsinstitut Leder und Kunststoffbahnen fokussierenwollten . Es war Ihnen jedoch nur zwei Zeilen wert, diesesThema – ein bisschen schnell – zu beschreiben . Ich hättemir dazu, muss ich sagen, ein bisschen mehr gewünscht .Sie haben in Punkt 8 Ihres Antrags geschrieben, dassSie – jetzt zitiere ich aus Ihrem Antrag – „gemeinnützige,unabhängige Forschungseinrichtungen als Stützen vonForschung und Innovation für Kleine und Mittlere Un-ternehmen “ stärken wollen. Ja prima! Das finde ich gut . Und wie? Wie wollen Sie die stärken? Darübersteht dort nichts . Wir als Koalition haben aber Vorschlägedafür . Ich werde sie jetzt ganz kurz aufführen . In einensolchen Antrag gehört meines Erachtens hinein, wie Siesolche Unternehmen stärken wollen . Dass die Unterstüt-zung von Forschung und Entwicklung in strukturschwa-chen Regionen wie Ostdeutschland Sinn macht, ist unbe-stritten . Dagegen wird keiner etwas sagen .Ich möchte drei Punkte anführen, warum das so ist:Erstens . Die ostdeutsche Wirtschaft ist nach wie vorsehr kleinteilig strukturiert und wächst seit vielen Jahrennicht . Man muss einmal genauer hingucken, warum dasso ist .Zweitens . Die Unternehmen verfügen meist nicht übereigene Forschungskapazitäten .Das führt drittens natürlich dazu, dass sie seltenerProdukt- und Verfahrensinnovationen einführen . Genauan dieser Stelle setzt zum Beispiel die Deutsche Indus-trieforschungsgemeinschaft Konrad Zuse an . Die hat mitihren derzeit 74 gemeinnützigen außeruniversitären For-schungseinrichtungen und über 5 000 Mitarbeitern diesogenannte dritte Säule in unserer Forschungslandschaftkreiert . Ich glaube, es lohnt sich, darauf auch einmal ein-zugehen .
Denn neben unseren großen Forschungsverbünden –die sind ja schon häufig erwähnt worden – und unseren Hochschulen ist es eben genau diese dritte Säule, die wirin den strukturschwachen Regionen unterstützen solltenund auch fördern wollen . Das machen wir, denke ich, alsKoalition .
Die Deutsche Industrieforschungsgemeinschaft Konrad Zuse, die im Januar 2015 in Berlin gegrün-det wurde, hat eben gerade zum Ziel, passgenaue For-schungsunterstützung für den Mittelstand – hierbei gehtes insbesondere um die KMUs – zu leisten und ihn durchmarktvorbereitende Forschung zu unterstützen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, Siesehen: Wir müssen das Rad nicht neu erfinden. Wir kön-nen auf etablierte Strukturen zurückgreifen . Aber es istnatürlich wichtig, die Arbeit dieser Einrichtungen auchvon politischer Seite aus zu unterstützen bzw . ein stabilesfinanzielles Fundament dafür zur Verfügung zu stellen. Genau da setzen wir als Regierungskoalition auch an .Uns ist das wichtig. Ich finde, es ist sehr schade, dass Ihnen das bisher entgangen ist .Darum möchte ich am Ende meines kurzen State-ments drei Haushaltstitel nennen, die für die struktur-schwachen Regionen einfach wichtig sind: Der erste – ersteht im Haushalt des BMBF – lautet „Innovationsför-derung in den neuen Ländern“ . Hierfür stellen wir 2016 159 Millionen Euro zur Verfügung . Das sind immerhin13 Millionen Euro mehr als 2015 . Der zweite Haushalts-titel lautet „Industrieforschung“ . Hier geht es um Pro-gramme wie „Industrielle Gemeinschaftsforschung“ und „INNO-KOM-Ost“ . Dafür stellen wir 2016 138,5 Milli-onen Euro zur Verfügung .
Frau Kollegin Raatz, Sie denken an die vereinbarte
Redezeit?
Ja, einige wenige Sätze noch . – Der dritte Haushalts-titel lautet „Förderung des Mittelstandes“ . Dabei geht esauch um das ZIM . Hierfür stellen wir 2016 543,5 Milli-onen Euro zur Verfügung .Am Ende meines Vortrags muss ich an dieser Stellesagen: Danke an unsere Minister, Herrn Gabriel und FrauWanka, und natürlich auch ein Dankeschön an unsereHaushälter .Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, anstattuns hier ein buntes Potpourri auf den Tisch zu legen,wäre es schön, wenn Sie uns demnächst etwas Aussa-gekräftigeres präsentieren würden . Dann können wir andieser Stelle auch gerne wieder mit Ihnen ins Gesprächkommen .Danke .
Dr. Simone Raatz
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(C)
(D)
Nächste Rednerin ist die Kollegin Katja Dörner für
Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Lie-be Kollegen! Liebe Gäste! Für die Lobhudelei, die wiruns hier seitens der Regierungsfraktionen für die eigenenLeistungen anhören mussten, gibt es nun wirklich keinenGrund, und ich will Ihnen auch erklären, warum das soist .Seit mehr als einem Jahr ist jetzt das Kooperations-verbot im Hochschulbereich gelockert . Dafür wurde dasGrundgesetz geändert, und das Grundgesetz ändert manja nicht einfach mal so . Uns ging das damals nicht weitgenug; das wissen Sie . Wir hätten dieses unsinnige Ko-operationsverbot gerne komplett rückgängig gemacht .
Wenigstens für den Bereich von Hochschule und Wis-senschaft haben wir aber gedacht: Da geht jetzt was . Datut sich jetzt eine Tür auf für eine neue Zusammenarbeitzwischen den Bundesländern und dem Bund, für Inno-vationen und für die eine oder andere pfiffige Idee aus dem Wanka-Ministerium . – Das ist jetzt ein Jahr her, undgekommen ist gar nichts . Das ist wirklich ein Armuts-zeugnis, und deshalb läuft das Eigenlob der Koalitionhier auch ins Leere .
Wir diskutieren einen Antrag der Linken mit dem Ti-tel „Finanzierung der Wissenschaft auf eine arbeitsfähigeBasis stellen . . .“ . „Eine arbeitsfähige Basis“: Das klingtfür die Kolleginnen und Kollegen der Linken regelrechtbescheiden . Ja, eine arbeitsfähige Basis ist wirklich mehrals überfällig . Aus unserer Sicht wäre als ein erster, sehrzentraler Schritt die Aufstockung und Verstetigung desHochschulpakts dringend nötig; denn ohne eine gesicher-te Grundfinanzierung bleibt die Hochschullandschaft in Deutschland Mittelmaß . Da hilft auch keine Exzellenz-initiative . Frau Ministerin Wanka, wann packen Sie dieseHerausforderung endlich an?
Wir brauchen Investitionen in Hörsäle, in moderneTechnik und in die Infrastruktur des Wissens, aber wirbrauchen natürlich auch Investitionen in Köpfe . Wir ha-ben gerade den Imboden-Bericht zur Exzellenzinitiativebekommen,
und ich will zur Frage des wissenschaftlichen Nach-wuchses kurz daraus zitieren . Im Bericht heißt es:Hingegen ist die Wirkung auf die Baustelle „Akade-mischer Nachwuchs“ nach Ansicht der Kommissi-on ambivalent . Die Exzellenzinitiative wurde nichtals Nachwuchsprogramm konzipiert, kann die Pro-blematik des akademischen Nachwuchses in ihrerGesamtheit nicht lösen und sogar kontraproduktivwirken . . .Ich fasse zusammen, was über den wissenschaftlichenNachwuchs im Bericht steht: „Baustelle“, „ambivalent“,„kontraproduktiv“ . Hier besteht also ganz dringenderHandlungsbedarf . Auch deshalb kann ich überhaupt nichtnachvollziehen, dass wir noch immer auf den Pakt fürden wissenschaftlichen Nachwuchs warten müssen, denMinisterin Wanka schon wiederholt angekündigt hat . Esist Zeit, dass auch in dieser Frage den Worten Taten fol-gen .
Insgesamt macht der Imboden-Bericht gute Vorschlä-ge für den Bauplan der nächsten Exzellenzinitiative . Esist aus unserer Sicht richtig, die Spitze in der Breite desdeutschen Hochschulsystems zu erhalten . Wir brauchenauch ganz dringend den Befreiungsschlag, wie es im Be-richt heißt, im Sinne einer Überbrückungsfinanzierung für die Geförderten der zweiten Runde . Ich muss sagen:Ich finde es wirklich unverantwortlich, dass die Univer-sitäten und die Cluster so lange hängen gelassen wurdenund nicht wussten, wie sie planen sollten und konnten .
Ich weiß auch aus Gesprächen mit dem Exzellenzclus-ter Mathematik an der Universität in meiner HeimatstadtBonn, wie schwierig es angesichts dieser Unsicherheitwar, die Spitzenforscher, die dort sind, zu halten und ins-besondere auch neue Spitzenforscher zu gewinnen . DieseUnsicherheit muss dringend ein Ende haben .
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich will abschlie-ßend diese Debatte dafür nutzen, um unserer grünen Wis-senschaftsministerin aus Baden-Württemberg, TheresiaBauer, zum Hattrick zu gratulieren . Sie wurde dreimalin Folge zur Wissenschaftsministerin des Jahres gewählt:Das ist eine herausragende Leistung . Diese Auszeich-nung bekommt Theresia Bauer zu Recht .Um es auf die Themen unserer heutigen Debatte zubeziehen: Theresia Bauer hat in Baden-Württemberg1,7 Milliarden Euro für die Grundfinanzierung der Hoch-schulen und den Hochschulbau zusätzlich in die Handgenommen . Damit setzt Baden-Württemberg die Emp-fehlungen des Wissenschaftsrates um, die Grundfinan-zierung der Hochschulen um 3 Prozent zu erhöhen . Ichfinde, das ist eine besondere Erwähnung wert. So geht zukunftsfähige Wissenschaftspolitik, von der sich die-se Bundesregierung wirklich eine Scheibe abschneidenkönnte .Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
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Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Tankred
Schipanski .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich sorgemich . Ich sorge mich um die Linkspartei .
Sie hat ein Stadium des Realitätsverlustes erreicht, andem nunmehr Grenzen überschritten werden .
In der letzten Haushaltsdebatte kam der Antrag,8,14 Milliarden Euro zusätzlich in den Geschäftsbereichdes BMBF zu geben. Dafür schlug man eine Gegenfinan-zierung von gerade einmal 600 Millionen Euro vor .
Es war ein Antrag, der schon damals zeigte, dass dieLinkspartei der Wirklichkeit völlig entrückt war . Ichglaubte nicht, dass eine Steigerung von so viel Irrsinnmöglich ist . Ich dachte, die Linke hätte aus der letztenHaushaltsdebatte etwas gelernt, aber nein .Frau Raatz hat es angesprochen: Am Montag kam inunser Büro ein Antrag der Linksfraktion mit dem vielver-sprechenden Titel: „Finanzierung der Wissenschaft aufeine arbeitsfähige Basis stellen – Bildung und Forschungin förderbedürftigen Regionen solide ausstatten“ . – Die-ses Ziel verfolgen wir seit vielen Jahren mit vielen För-derprogrammen, nicht nur des BMBF, erfolgreich . Aberbereits die ersten Sätze und Worte dieses Antrags zeigen,dass es bei diesem Antrag um keine sachlich-konstrukti-ve Auseinandersetzung mit nationaler Wissenschaftspo-litik geht, sondern um reine Ideologie . Der Antrag zeigtdas ganze Dilemma der Linken, die sich von Ideologieleiten lässt und eben nicht von der Sache .Dieses Grundproblem haben wir nicht nur im Bereichder Wissenschaftspolitik, sondern auch in vielen anderenBereichen . Gestern haben wir das hier etwa zur gleichenZeit zur Flüchtlingspolitik erlebt . Da hilft es auch nichts,dass die Linke ihre Galionsfigur Bodo Ramelow heute nach Rom zum Papst schickt, damit er dort Geist emp-fängt .
Ihr Geist ist und bleibt die Ideologie . Das ist auch IhrProblem . Daher können Sie auch keine Sachpolitik fürdie Menschen in unserem Lande machen .Meine Damen und Herren, was müssen wir im Antragder Linken für Propaganda und Populismus lesen? Ichzitiere das mal:Das deutsche Hochschul- und Wissenschaftssys-tem erlebte in den vergangenen fünfzehn Jahrenim Zuge des neoliberalen Umbaus der Gesellschafteine rasante Umgestaltung . . .
Es geht weiter:Leidtragende dieser Situation sind die Studierenden,die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowiedie Wissenschaft selbst . Negative Auswirkungenerfährt auch die strukturelle Entwicklung der ver-schiedenen Regionen und einzelnen Bundesländer .Sie können sich denken: Gemeint sind hier selbstver-ständlich die neuen Bundesländer .Man muss nicht lange weiterlesen: Da wird der Süd-westen Deutschlands verbal beschimpft, die Stadt Frank-furt als „Finanzplatz“ verteufelt, die Stadt München wirdauf den Standort für die gefährliche Versicherungswirt-schaft reduziert . Natürlich wird auch der Automobilbauin Stuttgart dämonisiert, und im Freistaat Bayern wirdein „Trittbrettfahrerverhalten“ beobachtet .
Berlin wird nicht einfach Hauptstadt genannt, sondernman spricht vom „Status der Bundeshauptstadt“ . Was je-der Deutsche als Instrumente erfolgreicher Forschungs-politik bezeichnet, etwa die Exzellenzinitiative oder denHochschulpakt, nennt die Linke in ihrem Antrag „Steu-erungs- und Finanzierungselemente“ . Was wir „Wissen-schaftssystem“ nennen, bezeichnet die Linke in ihremAntrag als ein „Gesamtsystem wettbewerblicher Besten-auslese“ .Liebe Kolleginnen und Kollegen, allein dieser kurzeAuszug der Wortwahl zeigt, dass es hier nicht um eineAuseinandersetzung in der Sache geht, sondern um Po-pulismus .
„Populismus“ ist das treffende Wort . Sie werden es kaumglauben, aber es steht in einem angeblichen Antrag zurWissenschaftspolitik die Forderung nach – ich zitiere –„Wiedererhebung der Vermögenssteuer“ sowie die „Aus-schöpfung des Aufkommenspotentials der Erbschafts-steuer“ und natürlich die Forderung nach einer ganzumfassenden Steuerreform .
Meine Damen und Herren, das hat mit solider Wissen-schaftspolitik nichts zu tun .Wie perfide solche Anträge instrumentalisiert werden, um die Realpolitiker in Deutschland zu schmähen, zeigtdie letzte Debatte in diesem Hohen Hause zum Koope-rationsverbot . Die Linke fordert auch in diesem Antragwieder eine Verfassungsänderung, um die Kooperati-onskultur zwischen dem Bund und den Ländern im Bil-dungsbereich auszubauen .
Nach der Debatte am 14 . Januar dieses Jahres hatder Linken-Abgeordnete Ralph Lenkert eine Pressemit-
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teilung veröffentlicht, in der er die Thüringer CDU be-zichtigt, sie blockiere zusätzliche Bundesgelder für denFreistaat .
Dies unterlegte er mit dem Fakt, dass CDU/CSU hier denAntrag der Linken auf eine Verfassungsänderung abge-lehnt haben; Sie können das im Internet nachlesen . HerrLenkert, populistischer geht es nicht .
Das hat System . Wahrscheinlich sind die Pressemit-teilungen für diese Debatte schon geschrieben . Diesmalhaben Sie statt einem Wunsch neun Wünsche formuliert .Ich sage Ihnen: Wir werden diese neun unsinnigen Wün-sche wieder ablehnen .Ich finde es unredlich, wie Sie mit solch realitätsfer-nen Anträgen politisch agieren, agitieren und die Men-schen in unserem Land mit solchen Forderungen in dieIrre führen . „Irreführung“ ist der richtige Begriff fürdiesen Antrag . Denn schauen wir uns doch einmal ge-meinsam an, wie die Heimat des Linken-AbgeordnetenRalph Lenkert von der hier so gescholtenen deutschenFörderpolitik profitiert. Es geht um die Forschungsregion Jena in Thüringen .Wir erinnern uns: Thüringen ist ein neues Bundesland,das laut dem Linken-Antrag eine Armutsregion darstellt,die von Erwerbslosigkeit geprägt ist und nicht von denFörderinstrumenten der Exzellenzinitiative, des Hoch-schulpakts oder des Pakts für Forschung und Innovationin irgendeiner Art und Weise profitiert – so die Sichtwei-se der Linken .Nun ein Blick auf die Realität in Jena: eine Arbeitslo-senquote von 6,9 Prozent, Bevölkerungswachstum, dieFriedrich-Schiller-Universität mit 18 400 Studenten pluseine Fachhochschule mit 4 700 Studenten .
Alle profitieren von dem Hochschulpakt. Was die Forschungsförderung angeht, gibt es vierDFG-Schwerpunktprogramme, neun DFG-Forscher-gruppen, vier DFG-Graduiertenkollegs, fünf DFG-Son-derforschungsbereiche und ein DFG-Forschungszent-rum .
Von so vielen DFG-Mitteln träumen andere Regionen,lieber Herr Lenkert .
Und Sie wollen uns weismachen, die neuen Länder profi-tieren nicht von DFG-Mitteln! Das ist schlichtweg falsch .
Herr Kollege Schipanski .
Nein, ich gestatte es nicht .
Es geht weiter im schönen Jena: Drei Max-Planck-In-stitute, ein Fraunhofer-Institut, drei Leibniz-Institute,ein Helmholtz-Institut und sechs außeruniversitäre For-schungseinrichtungen gibt es in Jena. All diese profitie-ren vom Pakt für Forschung und Innovation, dessen Auf-wuchs um 3 Prozent wir selber finanzieren.
– Es geht darum, dass es der Kollege versteht .Es geht noch weiter: Jeder dritte Doktorand an einerdieser Einrichtungen kommt aus dem Ausland . Wenn dasdeutsche Wissenschaftssystem so furchtbar ist, dann fra-ge ich mich, warum diese Wissenschaftler überhaupt zuuns kommen .Jena hat zudem eine Graduiertenschule aus der Exzel-lenzinitiative sowie eine Ressortforschungseinrichtungdes Bundes . In Jena haben wir mannigfache industrie-nahe Forschungseinrichtungen – Zuse wurde eben ange-sprochen – mit Mitteln aus ZIM und INNO-KOM . DieseAufzählung ließe sich fortsetzen und auf den gesamtenFreistaat Thüringen ausdehnen .Ihre so gescholtene Exzellenzinitiative hat der Frei-staat Thüringen sogar zum Vorbild genommen, liebeKollegen der Linkspartei, und eine landeseigene Initia-tive gestartet .
Diese wird sogar unter einem linken Ministerpräsidentenfortgesetzt und ausgebaut .
Das ist anscheinend Exzellenzwahn in Thüringen – ganzerstaunlich .
Herr Kollege Rossmann, noch eine Bemerkung zuIhnen: Sie haben das Zuständigkeitsgefüge und die Aus-führungen von Herrn Kaufmann ein Stück weit kritisiert .Ich glaube, das Grundgesetz sagt uns eines ganz deutlich:Bund und Länder haben eine Verantwortung für das Ge-samtsystem Wissenschaft . Das ist, glaube ich, ganz un-streitig . Innerhalb dieses Gesamtsystems haben wir klareZuständigkeiten . Wir brauchen auch klare Zuständigkei-ten und Verantwortungsbereiche .Tankred Schipanski
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Das Grundgesetz und auch die Union lassen sich vomGedanken des Mehrwerts leiten . Wir sagen: ZusätzlichesGeld des Bundes muss einen zusätzlichen Nutzen stiften .Wir freuen uns, wenn uns die SPD-Fraktion bei diesemGedanken unterstützt .Ich darf schließen, meine Damen und Herren . Dieserpopulistische Antrag bringt unser Land nicht voran . Erverunsichert die Menschen . Er führt in die Irre . Er istein Spiegelbild der Ideologie der Linkspartei . Er ist einZeugnis ihrer Realitätsverweigerung . Von daher lehntdie CDU/CSU-Fraktion diesen Antrag zum Wohle vonDeutschland und zum Wohle von Europa ab .
Das Wort hat jetzt die Kollegin Elfi Scho-Antwerpes,
SPD .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich freuemich, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, dassSie Ihren Antrag mit der Lockerung des Kooperations-verbotes im Wissenschafts- und Hochschulbereich ausdem Jahre 2014 einleiten . Das war eine nötige Korrekturder ersten Föderalismusreform . Wenn man weiterliest,wird einem allerdings angst und bange . Alles ist schlecht,alles ist negativ . Der Süden ist besser als der Norden .Im Osten ist es ganz schlecht . Eigentlich ist alles ganzschlecht . Angereichert wird Ihr Schwanengesang mit al-lerlei Zahlen, die Sie gleichsam kunstvoll und morbidemiteinander verbinden .
Sie müssen uns nicht loben . Sie sollten sich allerdings et-was realitätsnäher bewegen und konstruktiv mitarbeiten .
Wir haben im Koalitionsvertrag immerhin 5 Milliar-den Euro zusätzlich für die Hochschulen durchgesetzt .Bund und Länder haben entscheidende Impulse über denHochschulpakt 2020 gegeben, mit dem wir nicht zuletztdie Zukunftsfähigkeit Deutschlands sicherstellen .
Damit ist übrigens bewiesen, dass wir auch vor der Lo-ckerung des Kooperationsverbotes handlungsfähig wa-ren . Bund und Länder haben über alle drei Förderphasenhinweg bisher Gesamtfinanzierungszusagen von über 38 Milliarden Euro für die Hochschulen gegeben .
– Hört! Hört!
Mit dem Hochschulpakt reagieren wir auf den de-mografischen Wandel und stellen sicher, dass auch in Zeiten erhöhter Nachfrage nach Studienplätzen ein ent-sprechendes Angebot vorhanden ist . Ermöglicht wirddas unter anderem durch zusätzliches Personal, das ausden Mitteln des Hochschulpakts finanziert wird. Wir belohnen damit vor allem die Universitäten, die viel indie Lehre investieren . Ab 2016, in der dritten Phase desHochschulpakts, setzen Bund und Länder 10 Prozent derBundes- und Landesmittel ein, um an den Hochschulenqualitativ wertvolle Abschlüsse für immer mehr Studie-rende sicherzustellen .
Diese Mittel fließen übrigens in die gesamte Breite der deutschen Hochschullandschaft ein, wie wir eben gehörthaben . Ich weiß gar nicht, warum Sie immer auf der Ex-zellenzinitiative herumhacken . Weder ist sie der Weisheitletzter Schluss, noch ist sie die Achillesferse der deut-schen Wissenschaft .
Sie ist nur ein Element einer ganzheitlichen Wissen-schaftspolitik, nicht mehr und nicht weniger . Ganz ab-gesehen davon, ist Wissenschaft Motor für soziale undtechnische Innovationen, für gesellschaftliche Entwick-lungen und kein Programm zur Regionalförderung .Nachhaltige Wissenschaftspolitik braucht einen ver-antwortlichen Umgang mit dem wissenschaftlichenNachwuchs .
Wir haben hier gemeinsam das Wissenschaftszeitver-tragsgesetz reformiert und damit unter anderem nicht hin-nehmbaren Kurzbefristungen in den Arbeitsverhältnissenjunger Akademiker ein Ende gesetzt, Herr Lenkert,
und das ist gut so . Die Menschen brauchen eine Perspek-tive, und die darf nicht prekär sein .
Auch in den Ländern gibt es gute Ansätze und Initiati-ven zur Verbesserung der Beschäftigungsverhältnisse anden Hochschulen . Nehmen Sie mein Bundesland Nord-rhein-Westfalen als Beispiel . Dort wurde bereits im Juniletzten Jahres der Rahmenkodex „Gute Beschäftigungs-bedingungen für das Hochschulpersonal“ beschlossen .
Wissenschaftsministerin Svenja Schulze hat damit sehrwichtige Fortschritte für die Hochschulbeschäftigtenerreicht, etwa beim Abbau befristeter Verträge, bei denVerbesserungen für wissenschaftliche und studentischeHilfskräfte oder für familiengerechte und gesundheits-fördernde Arbeitsbedingungen .
Tankred Schipanski
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So stellen wir gute Arbeit an Wissenschaftsstandortensicher . Das ist übrigens für alle Hochschulen in Nord-rhein-Westfalen ein nationaler und internationaler Wett-bewerbsvorteil, auch für die mutmaßlich „kleinen“ .Apropos Wettbewerb: Sie lehnen die wettbewerblicheVergabe von Fördermitteln in Ihrem Antrag ab, bietenaber keine Alternative an . Machen Sie doch einmal ei-nen konstruktiven Vorschlag, aus dem hervorgeht, wieSie Förderentscheidungen treffen wollen . Da kommt vonIhnen nichts .Wissenschaft muss in ganz Deutschland solide ausge-stattet sein und nicht nur, wie Sie es formulieren, in den„förderbedürftigen Regionen“ . Mit der Milliardenhilfevon Bund und Ländern und den entsprechenden Pro-grammen schaffen wir eine arbeitsfähige Basis für dieHochschulen in Deutschland . Mit Ihrer Schwarzmalereischaffen wir das nicht .Danke für Ihre Aufmerksamkeit .
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege
Stephan Albani .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was für einTag, was für eine Debatte! Wenn der Kollege Schipanskisich schon lauthals Sorgen um die Linken macht, dannbrennt, ehrlich gesagt, die Hütte .
77 Minuten Haue – Sie haben es so gewollt; das wird vonmir aber nicht fortgesetzt, keine Sorge . Aber als ich amMittwochabend den Antrag endlich vor mir liegen hatte,war meine Assoziation: Mensch, das ist ja mal ein bil-dungspolitischer Schrotschuss .
Unter Punkt 9 laden wir die Flinte mit dem Geld der Ex-zellenzinitiative, und unter den Punkten 1 bis 8 feuernwir einfach so in alle Himmelsrichtungen und hoffen,dass etwas umfällt .
Mit solider Politik hat das aus meiner Sicht nicht allzuviel zu tun .Wir haben in den vergangenen Jahren mit solider Poli-tik die Wissenschaft auf eine arbeitsfähige Basis gestelltund auch förderfähige Regionen gefördert .
Diese Ergebnisse haben wir auch und insbesondere derUnionspolitik zu verdanken .
Liebe Fraktion Die Linke, die Erfolge im Bereich„Forschung und Entwicklung“ in Deutschland sprechenfür sich . Lassen Sie sich daher ein weiteres Mal davonüberzeugen, dass unser klares Bekenntnis zur Spitzenfor-schung in Deutschland die Forschung insgesamt deutlichgestärkt hat und auch weiterhin stärken wird .
– Doch, selbstverständlich .
Nur durch Forschung über das Gewöhnliche, das Nor-male, den Standard hinaus – man braucht ihn, muss aberdarüber hinausgehen – kommen wir wirklich zu einer ex-zellenten Forschung . Forschung funktioniert nur, wennnicht nur in der Breite unterstützt, sondern eben auch inder Spitze gefördert wird .
– Das habe ich doch gesagt . Wiederholen Sie mich dochnicht, aber herzlichen Dank .
Wir haben in Deutschland einen langen Prozess hinteruns, in dem wir die Leitlinien des Wissenschaftssystemsin den vergangenen Jahren deutlich weiterentwickelt ha-ben . Dies war ein langer Prozess hin zu einer höherenLeistungs- und Innovationskraft in der Forschung unddamit auch zu einer besseren internationalen Sichtbar-keit . Seit vielen Jahren gehört zu diesem System auchder Grundgedanke genau dieser Arbeitsteilung innerhalbdes Wissenschaftssystems . Der Bund stellt Mittel für un-terschiedliche Einrichtungen zur Verfügung . Dies sindim Wesentlichen Forschungseinrichtungen und Förder-organisationen, die das BMBF allein, gemeinsam odermit anderen Partnern trägt . Nach dem Grundgesetz sinddie Zuständigkeiten im föderalen System der Bundesre-publik Deutschland nur in begrenzten Fällen dem Bundalleine zugeordnet . Das ist wahrlich eine Gemeinschafts-aufgabe aller, von Bund und Ländern, und daran haltenwir fest .
Nicht zuletzt auch aus diesem Grund begrüßen wirdie Arbeit der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz,die aufgrund von gemeinsamen Entscheidungen seitBeginn 2008 ihre Arbeit im Sinne einer ausgewogenenForschungslandschaft zwischen Bund und Ländern an-getreten hat .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben inDeutschland eine solide Grundlage für eine angemesseneElfi Scho-Antwerpes
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Bund-Länder-Förderung und Grundausrichtung im Sinneder Hochschulen und Wissenschaft geschaffen . Auch dasInkrafttreten der Änderungen von Artikel 91 b Grund-gesetz zu Beginn des vergangenen Jahres zeigt deutlich,dass diese Gemeinschaftsaufgabe gestaltet werden muss,und zwar mit genau dem Tenor, wie es dort steht, nämlichmit überregionaler Bedeutung . Wie kommt es zum Bei-spiel, dass in Ländern wie Brandenburg die Ausgaben fürBildung und Forschung sogar zurückgefahren wordensind, wie wir den Ergebnissen des Statistischen Bundes-amtes entnehmen dürfen?Stellen wir also fest: Unter Federführung der Unionwurde die Forschungsförderung der öffentlichen Handkontinuierlich gesteigert .
Entsprechend dem EFI-Gutachten sind wir heute mit83,6 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung aufeinem Höchststand angekommen . Wir lehnen eine ein-seitige Mehrbelastung des Bundes, die durch die Aufhe-bung des Kooperationsverbotes gefordert wird, klar ab .Liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht nur eine aus-gewogene Finanzierung der Wissenschaftslandschaft inDeutschland beschäftigt uns hier; auch der strukturelleAufbau des deutschen Wissenschaftssystems mit seinerInstitutslandschaft zeigt seine besondere Stärke . Er öffnetRäume für die Bearbeitung unterschiedlichster wissen-schaftlicher Aufgaben in Form und Inhalt und ermöglichteine Arbeitsteiligkeit und funktionale Komplementarität .Er ist also Voraussetzung für die aufs Ganze gesehen be-merkenswerte Leistungshöhe und Leistungsdichte derWissenschaft in Deutschland, für ihren Ideenreichtumsowie für ihre Innovationskraft . In diesem strukturellenAufbau entfaltet sich der Weg hin zu Spitzenforschungund Exzellenz . Darin werden wir nicht erst durch dasEvaluationsergebnis der Imboden-Kommission aus denvergangenen Wochen bestätigt .In der nächsten Sitzung der Gemeinsamen Wissen-schaftskonferenz im April wird eine neue Bund-Län-der-Vereinbarung in Nachfolge der Exzellenzinitiativebeschlossen . Die Bundeskanzlerin und die Regierungs-chefs werden gemeinsame Signale geben; davon kön-nen wir ausgehen . Das ist eine dauerhafte Perspektive .Es besteht also ein breiter Konsens in Wissenschaft undPolitik darüber, dass unser Weg zu Spitzenforschung undExzellenz der richtige ist .Nun zu Ihrer immer wiederkehrenden Forderungnach solider Ausstattung förderbedürftiger Regionen .Seit über 25 Jahren werden auch und insbesondere dieneuen Bundesländer mit Strukturfördermaßnahmen undProgrammen unterstützt, die in der Fläche Strukturen ge-schaffen haben . In Kenntnis der Wissenschaftler, die dortarbeiten, möchte ich sagen: Wenn man dies missachtet,tut man denen wirklich Unrecht .
Das BMBF fördert dies seit 1989 mit dem Inno-Re-gio-Programm, seit 1999 mit der Förderfamilie „Un-ternehmen Region“ und von 1991 bis 1996 mit demHochschulerneuerungsprogramm mit insgesamt 3,2 Mil-liarden Euro in erheblichem Maße . Das ist eine gute Leis-tung, die Früchte getragen hat, wie hier schon ausgeführtworden ist .
Die Leistungsfähigkeit des deutschen Forschungs-und Wissenschaftssystems wird uns durch nationale wieinternationale Sichtbarkeit bestätigt . Wir geben mittler-weile 2,87 Prozent unseres Bruttoinlandsproduktes fürForschung und Entwicklung aus, also fast 1 Prozentmehr als im europäischen Durchschnitt .
Wir sind gut aufgestellt mit einem Weltmarktanteil anforschungsintensiven Waren von ungefähr 12 Prozent,was im Zusammenhang mit China Weltspitze ist . Wirsind bei den Publikationsindizes in einer führenden Posi-tion in Europa und weltweit unter den Top fünf . Wir wol-len eine national wie international sichtbare Spitzenleis-tung in der Forschung auch zukünftig nicht dem Zufallüberlassen, weder durch Förderung nach dem Gießkan-nenprinzip noch nach Proporz . Das kommt nicht infrage,daher auch immer wieder unsere Betonung eines reinwissenschaftlich geleiteten Auswahlverfahrens innerhalbder Wettbewerber .
Um die großen Herausforderungen unserer Tage vonder Globalisierung über die Digitalisierung bis hin zurIntegration zu bewältigen, brauchen und haben wir einesolide, leistungsorientierte und stets dynamische For-schungsförderung . Dazu gehört auch ein klares Bekennt-nis zu exzellenter Forschung .Ihren Antrag betreffend möchte ich frei nach Goetheschließen: 77 Minuten getretener Quark ist breit, nichtstark .
Herzlichen Dank .
Abschließender Redner in dieser Aussprache ist der
Kollege Martin Rabanus für die SPD .
Vielen Dank . – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren aufden Besuchertribünen! Das war jetzt eine schöne Plenar-debatte, die wir hier erlebt haben . Das war sicherlich keinwissenschaftliches Symposion, aber eine parlamentari-sche Debatte, die davon lebt, rhetorische Stilmittel ein-zusetzen, die ein bisschen origineller sind und die Spaßund Leben in dieses Parlament bringen .Stephan Albani
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Es haben schon einige betont, dass wir, als wir diesenAntrag bekommen haben – ich glaube, es war am Mitt-wochabend –, ein Sammelsurium von wohlfeilen Forde-rungen vorgefunden haben .
Den einen oder anderen Vorschlag – das will ich garnicht wegdiskutieren – finde ich persönlich auch sinn-voll . Sie kennen die Position der SPD-Bundestagsfrak-tion zum Kooperationsverbot . Auch die Forderung, dieForschungsmittel für Fachhochschulen auf 100 Millio-nen Euro zu erhöhen, ist gut und richtig . Das gefällt mirausgesprochen .
Ich darf darauf hinweisen, dass wir diesen Posten in denletzten zwei Jahren von 38 Millionen Euro auf inzwi-schen 48 Millionen Euro aufgestockt haben; die GroßeKoalition ist also auch diesbezüglich auf einem gutenWeg .Der Rest allerdings ist eine Mischung zwischen„Wünsch dir was“ und dem Negieren des Kulturfödera-lismus . Letzteres tut die SPD nicht . Wir wollen zwar dasKooperationsverbot für den Bildungsbereich aufheben .Aber ebenso wollen wir, dass es beim Kulturföderalis-mus bleibt und die Länder ihre eigenen Aufgaben haben,die sie im Übrigen – ich komme später noch darauf – inhervorragender Weise wahrnehmen . Auch das muss manan dieser Stelle einmal betonen .
Man kann zu dem Sammelsurium, das Sie aufge-schrieben haben, noch ein paar Punkte hinzufügen .
Herr Schipanski hat das mit einem Punkt schon getan .Ich habe mir die Mühe gemacht, noch einmal in dieHaushaltsänderungsanträge hineinzuschauen, die Sie imHerbst gestellt haben . Diese komplettieren die Liste Ih-rer Vorschläge: Es kommen noch 1,3 Milliarden Euro fürBAföG hinzu, und knapp 500 Millionen Euro haben Siedamals für den Hochschulbau beantragt . Im jetzt vorlie-genden Antrag sind es nur noch 300 Millionen Euro; damuss sich die Linke erst einmal einig werden, was siewill . Jedenfalls kann man das munter draufsummieren .Das Ganze soll dann – das ist schon gesagt worden –durch die Exzellenzinitiative bezahlt werden .
So findet es sich in der neunten Ziffer des Antrags. Auch das ist nicht unbedingt etwas, was von besonderer Soli-dität geprägt ist .Man kann das so machen . Man kann als Oppositionerst einmal alles fordern . Auch die Grünen haben sichgelegentlich ein bisschen dazu hinreißen lassen, mehr zufordern .
Mit Verantwortung hat das allerdings nichts zu tun . Zweigroße, die Regierung tragende Fraktionen müssen ebenVerantwortung übernehmen; das müssen Sie in der Tatnicht .
– Da tragen wir durchaus nicht schwer dran, lieber Kolle-ge Gehring, sondern wir machen das gerne, wie im Übri-gen auch die Länder gerne Verantwortung für die Bildungin ihrem Bereich tragen . Ich will das am Beispiel Thü-ringen unterstreichen . Da ist ein Wissenschaftsminister,der hochkompetent ist – wir kennen ihn alle: WolfgangTiefensee, ehemaliger Kollege in diesem Haus – undeine hervorragende Wissenschaftspolitik für Thüringenmacht; selbstverständlich .
Ich finde, das kann man für die meisten Länder sagen. Ich will das am Beispiel meines Nachbarlandes Rhein-land-Pfalz deutlich machen – ich komme aus Hessen –,das eine hervorragende Politik macht .
Die Studierendenzahlen sind in den letzten zehn Jahrenvon 100 000 auf 120 000 gestiegen. Die Grundfinan-zierung der Hochschulen dort ist nicht um 20 Prozent,sondern um 40 Prozent gestiegen; damit liegt Rhein-land-Pfalz sogar über dem bundesdeutschen Durch-schnitt . Wir sehen, dass die BAföG-Mittel vernünftigeingesetzt werden . Das gilt übrigens ebenso für meinBundesland Hessen und alle anderen . Das ist auch richtigund gut so . Es ist sogar festzustellen, dass, völlig gegenden Trend, in Rheinland-Pfalz die Betreuungsrelationenin den Hochschulen stabil bleiben und sogar besser wer-den .Das alles wird gemacht in den Ländern. Ich finde, das muss man auch ganz klar benennen . Das ist eine Leis-tung, die auch von der Linken in Zukunft ein bisschendeutlicher gewürdigt werden könnte .
In diesem Sinne, glaube ich, sind wir in der Bundes-republik Deutschland bei alldem, was wir noch zu besor-gen haben, bei alldem, was wir uns noch vornehmen, aufeinem guten Weg . Das gilt für die Länder auf der einenSeite und für diese Koalition auf der anderen Seite glei-chermaßen .Herzlichen Dank .
Martin Rabanus
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 159 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 26 . Februar 2016 15701
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Damit schließe ich die Aussprache .
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/7643 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . – Widerspruch erhebt
sich nicht . Dann ist die Überweisung somit beschlossen .
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 21 auf:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Kombinierter siebter und achter Bericht der
Bundesrepublik Deutschland zum Überein-
kommen der Vereinten Nationen zur Besei-
tigung jeder Form von Diskriminierung der
Frau
Drucksache 18/5100
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Debatte 60 Minuten vorgesehen . – Auch dagegen
erhebt sich kein Widerspruch . Dann ist das somit be-
schlossen .
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-
nerin für die Bundesregierung der Parlamentarischen
Staatssekretärin Elke Ferner das Wort .
E
Vielen Dank . – Herr Präsident! Liebe Kollegen undKolleginnen! Der kombinierte siebte und achte CE-DAW-Bericht erstreckt sich auf die Jahre 2007 bis 2014 .Angesichts der Tatsache, dass noch in keinem Land derWelt die vollständige Gleichstellung von Frauen undMännern erreicht ist, hat dieser Bericht naturgemäßLicht, aber auch Schatten . Ich freue mich sehr, dass wirjetzt, gut zwei Wochen vor der nächsten Sitzung derFrauenrechtskommission der Vereinten Nationen, dieGelegenheit haben, über diesen Bericht im DeutschenBundestag zu diskutieren .In den letzten zwei Jahren hat das Thema Gleichstel-lung wieder Fahrt aufgenommen . Auch deshalb bin ichmir ganz sicher, dass im nächsten CEDAW-Bericht dieSchatten geringer und das Licht mehr werden wird .Für die Durchsetzung der Gleichstellung von Frauenund Männern gibt es aus meiner Sicht drei zentrale Hand-lungsfelder: die Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt,die gleichberechtigte Partizipation in allen gesellschaftli-chen Bereichen und der Schutz von Frauen und Mädchenvor Gewalt, insbesondere vor sexueller Gewalt .Wo stehen wir im Jahr 2016? Bei der Gleichstellungauf dem Arbeitsmarkt gibt es Fortschritte . Die Frauener-werbsquote ist auf dem höchsten Stand . Mütter kehrennach der Geburt ihrer Kinder früher in den Beruf zurückals vorher . Immer mehr Männer, gerade der jüngeren Ge-neration, möchten sich gerne Beruf und Familie partner-schaftlich teilen, also auch ihren Teil der Familienarbeitübernehmen . Das gelingt zunehmend, aber immer nochauf zu niedrigem Niveau . Immer mehr Männer nehmenElterngeld in Anspruch .In diesem Bereich haben wir Fortschritte erzielt, weildie Rahmenbedingungen verändert worden sind . Wir ha-ben in der letzten Großen Koalition das Elterngeld undden Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz ab dem erstenGeburtstag eingeführt . In dieser Wahlperiode verbessernwir die Rahmenbedingungen weiter . Der Bund stellt auchin dieser Wahlperiode Ländern und Kommunen zusätz-liche Mittel für den Kitaausbau zur Verfügung . Wir ha-ben beispielsweise das Programm „KitaPlus“ aufgelegt,bei dem es darum geht, Beschäftigten mit unnormalenArbeitszeiten, also Personen, die im Schichtdienst arbei-ten, etwa Krankenschwestern und Polizisten, die Mög-lichkeit einer guten Kinderbetreuung zu geben, auchwenn sie alleinerziehend sind oder der Partner bzw . diePartnerin die Kinderbetreuung nicht übernehmen kann .Mit dem Elterngeld Plus ermöglichen wir eine besserePartnerschaftlichkeit . Wir setzen Anreize für eine frühereRückkehr in den Beruf und haben mit dem Pflegezeit- und dem Familienpflegezeitgesetz Verbesserungen für die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf geschaffen. – Das alles sind erste Schritte hin zur Familienarbeitszeit . Ichbin mir sicher: Wenn nicht in dieser Wahlperiode, werdenwir spätestens in der nächsten Wahlperiode gesetzgeberi-sche Maßnahmen dazu ergreifen .
Im CEDAW-Bericht wird gewürdigt, dass wir dieErwerbstätigkeit von Frauen, ihre ökonomische Unab-hängigkeit und damit ihre tatsächliche Gleichstellungunterstützen . Wir sind aber noch längst nicht am Ziel .Die Frauenerwerbsquote ist zwar so hoch wie noch nie;aber wenn man hinter die Kulissen schaut, sieht man,dass mehr als die Hälfte aller erwerbstätigen Frauen inTeilzeit beschäftigt sind, mit all den damit verbundenenFolgen wie Lohnersatzleistungen . Die Lohnlücke von22 Prozent führt am Ende des Erwerbslebens zu einerRentenlücke von fast 60 Prozent . Es ist daher notwendig,dass es auch im Bereich der Erwerbsarbeit zu einer bes-seren Gleichstellung von Frauen und Männern kommt .Wir müssen die Lohnlücke, die Zeitlücke und die Ren-tenlücke schließen; dann sind wir der Gleichstellung vonFrauen und Männern deutlich näher gekommen .
Wir gehen in dieser Wahlperiode das Vorhaben„Lohngerechtigkeit“ an . Wir werden darüber mit Sicher-heit nicht nur am diesjährigen Equal-Pay-Tag zu disku-tieren haben, sondern auch im weiteren Verlauf des Jah-res . Die Lohnlücke liegt in Deutschland bei 22 Prozent .Damit sind wir so ziemlich am unteren Ende der Skala,was die Lohngerechtigkeit angeht . Das hat viele Ursa-chen . Deshalb brauchen wir auch viele Maßnahmen, umder Lohnlücke beizukommen . Das geht los bei der Teil-
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zeitarbeit. Wir wissen, dass Teilzeitarbeit in der berufli-chen Sackgasse endet, wenn sie dauerhaft ausgeübt wird .Deshalb wollen wir den Rückkehranspruch auf die alteArbeitszeit noch in dieser Wahlperiode angehen . Durchden Mindestlohn haben wir bereits einen Baustein zumSchließen der Lohnlücke gesetzt . Laut Untersuchungenwird die Lohnlücke allein durch den Mindestlohn um2 Prozent geringer . Wenn dann auch noch von der Mög-lichkeit einer besseren Tarifbindung in größerem UmfangGebrauch gemacht wird, wird sie sich weiter schließen .Es geht aber auch um den Wert der Arbeit, und um mehrTransparenz . Auch in dieses Thema werden wir in dieserWahlperiode einsteigen .Nächster Punkt ist das Thema „Frauen in Führungspo-sitionen“ . Dazu haben wir bereits ein Gesetz verabschie-det, das seit dem 1 . Januar dieses Jahres vollständig gilt .Wir werden hoffentlich zur Mitte des Jahres oder bis zumHerbst erste belastbare Zahlen haben, denen eine größereAnzahl von Unternehmen zugrunde liegt .Die Opposition hatte bei der Verabschiedung diesesGesetzes gesagt, das reiche alles nicht aus . Ich möchtedaran erinnern, dass wir im letzten Jahr gemeinsam beider FRK in New York waren . Es ist doch erstaunlich,welch positive Resonanz dieses Gesetz auf internatio-naler Ebene, sowohl bei der FRK als auch beim GlobalSummit of Women, gefunden hat . Natürlich ist das nochsteigerungsfähig
– überhaupt keine Frage –; aber der Einstieg ist gemacht .
Letzter Punkt ist das Thema „Schutz von Frauen undMädchen vor Gewalt“ . Da, denke ich, gibt es mehr Lichtals Schatten, aber eben auch noch den einen oder anderenSchatten . Wir haben in der Bundesrepublik ein sehr gutausgebautes Hilfesystem . Wir haben auch Gesetze, dieallerdings noch verbessert werden müssen – das Sexual-strafrecht ist nur eines –, und das nicht erst seit Köln, umdas hier noch einmal deutlich zu sagen .
Nach den Statistiken hat jede vierte Frau mit ihrembisherigen oder vorherigen Partner wenigstens einmalkörperliche oder sexuelle Gewalt in ihrem Leben erfah-ren, und jede siebte Frau in Deutschland hat auf die eineoder andere Weise sexualisierte Gewalt erfahren . DieseZahlen sind viel zu hoch . Deshalb müssen wir an dengesetzlichen Normen etwas verändern .
Wir müssen uns aber auch noch einmal über den All-tagssexismus in unserer Gesellschaft unterhalten . Derfängt bei sexistischer Werbung an und endet am Endedes Tages in Rollenzuschreibungen, die nicht gut sind,und auch in entsprechenden Frauenbildern, die dann zuÜbergriffen führen, wie wir sie in Köln, aber auch an-derswo, zum Beispiel auf dem Oktoberfest in München,sehen konnten .Ich glaube, dass wir auf gutem Weg sind . Es ist leidernoch nicht alles getan . Wir werden uns auch beim nächs-ten CEDAW-Bericht mit Sicherheit noch über ein paarSchattenseiten zu unterhalten haben . Ich bin aber sehrzuversichtlich, dass wir beim nächsten Mal eine deutlichbessere Bilanz vorlegen können; denn wir akzeptierennicht, dass Frauen in unserer Gesellschaft direkte oderindirekte Nachteile haben . Dafür arbeiten wir hier ingroßen Teilen zusammen; das möchte ich hier auch nocheinmal deutlich sagen . Dafür Ihnen allen ein herzlichesDankeschön!
Nächste Rednerin ist die Kollegin Cornelia Möhring
für die Fraktion Die Linke .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichdenke, es ist zu Beginn der Debatte nicht verkehrt, wennich noch etwas zur Bedeutung dieses Übereinkommenssage . Das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Formvon Diskriminierung der Frau, kurz CEDAW genannt,ist das wichtigste völkerrechtliche Instrument für dieGleichstellung von Frauen . Alle Staaten, die diesen Ver-trag der Vereinten Nationen unterzeichnet haben, sindzur rechtlichen und faktischen Gleichstellung von Frauenin allen Lebensbereichen verpflichtet.Was heißt das? Das ist eigentlich ganz einfach: Ers-tens darf der Staat selbst nicht gegen den Gleichbehand-lungsgrundsatz verstoßen . Zweitens muss er auch aktivdafür sorgen, dass Chancengleichheit nicht nur auf demPapier steht, sondern gesellschaftliche Realität wird .
Der Staat ist außerdem verpflichtet, diese Politik proak-tiv zu verfolgen . „Proaktiv“ bedeutet im ursprünglichenSinne übrigens „ohne abzuwarten“, sogar „unverzüglichund mit eigenen Initiativen“ . Daran hapert es dann schonein bisschen .Vor 30 Jahren ist dieses Übereinkommen in natio-nales Recht übergegangen, und seitdem überprüft derCEDAW-Ausschuss regelmäßig die Einhaltung diesesAbkommens und gibt konkrete Empfehlungen zu allen16 Artikeln. Deutschland hat sich mit der Ratifizierung im Übrigen auch verpflichtet, diese Empfehlungen um-zusetzen und mindestens ernst zu nehmen .Liebe Frau Ferner, Ihnen persönlich nehme ich das al-les ab . Wir haben ja gemeinsam direkt bei der UN dafürgestritten . Ich habe aber nicht so gute Hoffnungen in dieGesamt-GroKo wie in Sie . Auf dieser kleinen Karte, dieich hier habe, sind alle 16 Artikel des CEDAW-Abkom-mens verzeichnet . Vielleicht nehmen Sie die einmal mitund verteilen sie im Kabinett und in den Koalitionsfrak-tionen sozusagen als Leitschnur für die Gleichstellungs-politik . Das wäre doch mal etwas .
Parl. Staatssekretärin Elke Ferner
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In dem hier vorliegenden kombinierten siebten undachten Bericht der Bundesrepublik Deutschland macht esnämlich mitnichten den Eindruck, als würde die Bundes-regierung das CEDAW-Abkommen wirklich ernst neh-men . Der Bericht liest sich eher wie ein schlechtes Ent-schuldigungsheft . In weiten Teilen wird gar nicht auf dieEmpfehlungen geantwortet, sondern einfach der Statusquo beschrieben, gerechtfertigt und beschönigt . Wir wis-sen schon länger – das ist, denke ich, übereinstimmendeMeinung in diesem Haus –, dass die vorherige Bundes-regierung – Sie haben auf den langen Berichtszeitraumhingewiesen – gleichstellungspolitisch nicht sonderlichinteressiert war . Aber der Bericht zeigt auch: Die GroKohat keinen Plan .
Sie haben kein Konzept, um die Diskriminierung vonFrauen wirklich grundlegend und umfassend zu bekämp-fen, und Sie verstecken Ihre Planlosigkeit lediglich hinterein paar gleichstellungspolitischen Trippelschritten .
Ich mache das einmal exemplarisch an Artikel 11 desAbkommens fest . Inhalt von Artikel 11 sind unter ande-rem die Beseitigung jeder Form von Diskriminierung imErwerbsleben, das Recht auf Arbeit sowie das Recht aufgleiches Entgelt und gleiche Sozialleistungen . Gleich-stellung ist immer auch eine soziale Frage . Solange Frau-en in der Armutsfalle stecken, ist Gleichstellung nicht zuerreichen, und solange Frauen ökonomisch nicht unab-hängig von Ehemännern oder wem auch immer sind, istGleichstellung ebenfalls nicht zu erreichen . Damit sageich nicht, dass, wenn wir ökonomisch selbstständig agie-rende Frauen haben, damit die Gleichstellung erreicht ist .Der CEDAW-Ausschuss ist zu Recht besorgt überdie Situation von Frauen im Erwerbsleben . Frauen sindzwar vermehrt erwerbstätig – das hat Frau Ferner ebenauch bestätigt; die Erwerbsquote ist gestiegen –, aber dashat nicht zu einem Anstieg des Anteils der Erwerbsar-beit von Frauen am Gesamtarbeitsvolumen geführt . Dasheißt schlicht und ergreifend: Frauen sind nur stärker inTeilzeit beschäftigt, also weniger in Vollzeit . Die Quoteist also zurückgegangen, und dafür gibt es mehr Jobs inTeilzeit . Und nicht nur das: Frauen arbeiten vorwiegendin befristeten und gering bezahlten Beschäftigungsver-hältnissen . Hinzu kommen die 5,3 Millionen Minijobs,in denen zu zwei Dritteln Frauen arbeiten .
Wie antwortet die Bundesregierung im Bericht aufdieses Problem? Sie behauptet einfach, dass Frauen zumgrößten Teil in Normalarbeitsverhältnisse eingestiegensind . Der Trick dabei ist: Sie rechnet alles zu Normalar-beitsverhältnissen, was über einer Wochenarbeitszeit von21 Stunden liegt . Ehrlich gestanden, liebe Kolleginnenund Kollegen, das grenzt an Verarschung .
Ein Normalarbeitsverhältnis sollte sich perspektivisch,meiner Meinung nach, im Rahmen einer 30-Stun-den-Woche bewegen, und zwar für beide Geschlechter,und zu einem Gehalt, von dem man auch gut leben kann .
Der CEDAW-Ausschuss sieht ebenfalls mit Besorg-nis die seit langem bestehende Lohn- und Entgeltlücke .Er hat recht damit . Die Entgeltlücke zwischen den Ge-schlechtern liegt konstant bei 22 Prozent . Falls Ihr Ge-setz das Bundeskanzleramt jemals wieder verlässt, wirddas darin vorgesehene Auskunftsrecht leider weder dieseLücke schließen noch die Aufwertung von Frauenarbeitbewirken .Auch in den Führungsetagen sind Frauen eine Sel-tenheit . Auch in den Bundesbehörden und Bundesmi-nisterien gibt es etliche patriarchale Hochburgen . ImBundesrechnungshof sind gerade einmal miserable18,92 Prozent Frauen in Führungspositionen . Auch Mi-nister Schäuble scheint weibliches Führungsvolk eherzu scheuen: Bei ihm sind von den 202 Führungskräftengerade einmal ein Fünftel weiblich . Nur im Bundesratist jede zweite Führungskraft eine Frau . Das zeigt aber:Wenn die Hausleitung es wirklich will, dann geht es auch .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Frauen in Deutsch-land bekommen weniger Geld und haben weniger Chan-cen, aber Frauen arbeiten nicht weniger . Das stellt auchder CEDAW-Ausschuss fest und bemängelt die Folgen,zum Beispiel für die Altersversorgung von Frauen . Frau-en arbeiten mit 45,5 Stunden pro Woche im Durchschnitteine Stunde länger als Männer . Zwei Drittel dieser Zeitleisten sie unbezahlt; das sind immerhin 29,5 Stunden .Diese unbezahlte Arbeit umfasst etliches: Haushaltsfüh-rung, aber auch die Betreuung und Pflege von Kindern und anderen Haushaltsmitgliedern, Unterstützung fürPersonen, die nicht im Haushalt leben, und noch eini-ges mehr . Frauen schaffen also den Löwenanteil der Tä-tigkeiten weg, ohne die unsere Gesellschaft überhauptnicht existieren könnte . Was bekommen sie dafür? Eineschlechtere Bezahlung, und wenn sie erwerbslos werden,haben sie nicht einmal einen eigenen Anspruch auf Sozi-alleistungen, weil sie in Bedarfsgemeinschaften gepresstwerden . Für die Alterssicherung hat das alles schwerwie-gende Folgen .
In Deutschland beziehen Frauen nur 60,6 Prozent derAlterseinkommen der Männer, oder anders ausgedrückt39,4 Prozent weniger .Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine der heftigs-ten Diskriminierungen ist Armut . Die Schere zwischenArm und Reich hat mittlerweile völlig absurde Ausmaßeerreicht . Im Jahr 2014 waren rund 12,5 Millionen Men-schen in Deutschland arm oder armutsgefährdet . Auchhier finden wir mehr Frauen als Männer. Alleinerziehen-de – das sind auch zu 90 Prozent Frauen – tragen einbesonders hohes Armutsrisiko . 40 Prozent von ihnen sindeinkommensarm .Wie antwortet die Bundesregierung? Sie spart Fragender Arbeitsteilung fast aus und meint, das Problem seiCornelia Möhring
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mit der Elternzeit und dem Elterngeld Plus fast erledigt .Sie hält weiter daran fest, dass Frauen sich eine dauer-hafte und gut bezahlte Erwerbsarbeit suchen sollten, trotzder vorgetragenen Fakten und Daten. Ich finde das gera-dezu unerträglich .
Alle Frauen – wirklich alle Frauen! – haben eine eigen-ständige Perspektive verdient, und zwar nicht nur alsSahnebonbon, sondern als Menschenrecht .Der gesamte Bericht zu allen Artikeln liest sich leiderso wie beschrieben . Entschlossenes Handeln wäre jetztaber angemessener, damit die zahlreichen Frauen nichtlänger diskriminiert werden und endlich ökonomischunabhängig leben können . Die Linke will gerechte undgleiche Löhne, die Aufwertung von Frauenarbeit, endlichmehr Personal in der Pflege, eine sanktionsfreie Mindest-sicherung, die Abschaffung von Bedarfsgemeinschaftenund nicht zuletzt eine armutsfeste gesetzliche Rente .
Die Linke meint gleichstellungspolitisch und darüberhinaus: Das muss drin sein, liebe Kolleginnen und Kol-legen .Vielen Dank .
Die Kollegin Ursula Groden-Kranich spricht als
Nächste für die CDU/CSU .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Vor einer Woche habe ichhier zum Thema „Gleichstellung im Kulturbetrieb“ ge-sprochen . Auch die heutige Unterrichtung durch dieBundesregierung zeigt, dass uns alle das Thema „Dis-kriminierung von Frauen“ umtreibt; man möchte sagen:uns leider noch immer umtreibt . Die politische Arbeit andieser Thematik ist – darin sind wir uns sicherlich alleeinig – überaus mühsam, oft kleinteilig und geht depri-mierend langsam vonstatten . Dennoch ist es wichtig, sichab und zu vor Augen zu führen, dass es in unserem Landauch gute Fortschritte im Kampf gegen Diskriminierunggibt . Auch wenn es an der konsequenten Anwendung derbestehenden Gesetze zum Teil noch aus für mich unver-ständlichen Gründen hapert, gibt es viele Gesetze, umdie uns Frauen anderer Nationen beneiden und auf diewir hierzulande stolz sein können; denn wir haben einAllgemeines Gleichstellungsgesetz, und wir haben einGrundgesetz, das in Artikel 3 die Diskriminierung vonFrauen verbietet .Die jetzige Regierung hat in den letzten Jahren einigeVorhaben zum Abbau der Diskriminierung von Frauenumsetzen können . Ich nenne hier exemplarisch nur dasGesetz zur Frauenquote . Auch den Abbau von Entgelt-ungleichheit zwischen Männern und Frauen haben wirim Koalitionsvertrag gemeinsam festgeschrieben . WieSie wissen, befindet sich derzeit ein Gesetzentwurf zur Umsetzung eben dieser Pläne im Bundeskanzleramt .Also auch hier sind wir aktiv .Die Entgeltlücke als eine spezielle Form der Ge-schlechterdiskriminierung scheint mir in mancher Hin-sicht symptomatisch zu sein; denn nicht nur beim Gen-der Pay Gap gilt: Das Problem, seine Ursachen und diemöglichen Instrumente zur Behebung sind hinlänglichbekannt, die messbaren Fortschritte aber selbst nach jah-relangen Anstrengungen des Gesetzgebers immer nocheher dürftig .Woran liegt es also, dass Frauen in unserer Gesell-schaft immer noch diskriminiert werden? An einem Man-gel an Gesetzen liegt es meiner Meinung nach jedenfallsnicht . Ich habe es an dieser Stelle schon mehrfach ge-sagt und betone es gerne nochmals: Um Diskriminierungnachhaltig zu bekämpfen, dürfen wir uns nicht allein aufden Gesetzgeber verlassen – auf ihn natürlich auch –,sondern wir müssen der Diskriminierung auf allen politi-schen Ebenen und in allen gesellschaftlichen Kontextenentgegenwirken .
Eine ganz wichtige Rolle spielt in diesem Zusammen-hang der Zugang zur Bildung, auf den meine KolleginChristina Schwarzer noch eingehen wird .Ein grundsätzliches Problem beim Kampf gegen dieDiskriminierung von Frauen ist sicherlich, dass sie in sounterschiedlichen Ausformungen daherkommt . Sie fängtbei vermeintlich harmlosen und oftmals sogar unbewuss-ten Verletzungen wie dem sexistischen Sprachgebrauchan, und sie reicht bis zur grauenvollen körperlichen undseelischen Verletzung der Menschenwürde in Form vonZwangsprostitution und Genitalverstümmelung .Meine Damen und Herren, bei der Beschäftigungmit den verschiedenen Formen von Diskriminierungstoße ich in letzter Zeit immer wieder auf eine Gruppebetroffener Frauen, die für meine Begriffe noch viel zuwenig im Fokus unserer Aufmerksamkeit steht . DieseFrauen haben selbst leider oft nicht die Mittel oder dieKraft, stärker in Erscheinung zu treten: Ich denke an dieMigrantinnen in diesem Land . Damit meine ich nicht nurdie Frauen, die mit der aktuellen Flüchtlingswelle zu unskommen und hier Schutz suchen . Nein, ich denke vor al-lem an die Migrantinnen der zweiten und dritten Genera-tion, an Frauen, die oftmals sogar einen deutschen Passbesitzen und dennoch hier, mitten unter uns, in Parallel-gesellschaften leben, die Lichtjahre von Artikel 3 unseresGrundgesetzes entfernt sind .Die ganz alltägliche und von uns allen mehr oder we-niger stillschweigend geduldete Diskriminierung dieserMädchen und Frauen aus muslimischen Familien reichtvon vermeintlich banalen Dingen wie dem Verbot derTeilnahme am Sportunterricht oder am Unterricht anweiterführenden Schulen – von Universitäten ganz zuschweigen – bis hin zur Zwangsverheiratung minderjäh-riger Mädchen, die oft noch Jahre nach ihrer Ankunft inDeutschland unserer Sprache kaum mächtig sind und dieCornelia Möhring
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ihren Ehemännern in jeder Hinsicht – körperlich, mora-lisch und wirtschaftlich – ausgeliefert sind .Wenn wir ehrlich sind, müssen wir feststellen, dassMigrantinnen oft doppelt diskriminiert werden: einmalin der eigenen Community, und dann noch einmal vonuns, indem wir für diese Art der Diskriminierung blindsind oder sie zumindest oft als Diskriminierung zweiterKlasse behandeln .Übrigens ist dieses Phänomen nicht nur in Großstäd-ten zu beobachten . Ich selber wurde in den letzten Jahrenbei Begegnungen in meiner Heimatstadt immer wiederdamit konfrontiert . Bei „öffentlichen“ Terminen warenFrauen mit größter Selbstverständlichkeit einfach aus-geschlossen . Während des Ramadans beispielsweise warich sowohl bei türkischen Familien als auch in Moscheenzum täglichen Fastenbrechen eingeladen . Vor Ort wurdeich jedoch fast ausschließlich von Männern empfangen;die Frauen durften nicht an den Begegnungen teilneh-men .
Oder: Beim Besuch von Flüchtlingseinrichtungen inmeinem Wahlkreis war ich erfreut, zu hören, dass es nochfreie Plätze in Deutschkursen gibt .
– Ach, lassen Sie es doch, Frau Schauws, ehrlich! Beidem Thema sind nämlich auch Sie auf einem Auge blind .
Vor Ort sagte mir dann aber beispielsweise einetschetschenische Frau, ihr Mann wünsche nicht, dass siean einem solchen Kurs teilnimmt, weil dort auch Männersind . Dies trifft nicht nur Frauen in Flüchtlingsheimen,sondern es trifft auch Frauen, die bereits seit vielen Jah-ren in unserem Land sind .
Ich sage Ihnen ganz offen: Vorfälle wie diese lassenmich besorgt, wütend und leider auch regelrecht hilflos zurück . Sie bringen mich argumentativ in Bedrängnis .Denn wie soll ich meiner Tochter – –
– Noch gilt es, dass jeder eine eigene Meinung habendarf und diese auch hier im Bundestag frei äußern darf .Insofern hat das auch mit Diskriminierung zu tun .
Vorfälle wie diese lassen mich besorgt, wütend undauch regelrecht hilflos zurück. Denn wie soll ich meiner Tochter im Anschluss an solche Begegnungen erklären,dass sich Männer dieses Verhalten herausnehmen dürfen,ohne bestraft zu werden, und Frauen dies ertragen müs-sen? Da frage ich manchmal auch, Frau Künast: Wo istder Aufschrei der grünen Feministinnen?
Warum konnten über Jahrzehnte hinweg Parallelge-sellschaften entstehen, in denen Frauen und Mädcheneinem chauvinistischen Diktat unterworfen werden, dasnicht einmal ansatzweise mit unserer Rechtsordnung ver-einbar ist, sondern diese bewusst und schamlos verach-tet?
Ist das unsere Vorstellung von Toleranz und kulturellerFreiheit? Kann sie das wirklich sein? Ich denke: nein .Im vergangenen Jahr konnte ich an der UN-Frauen-rechtskonferenz in New York teilnehmen . Die Ziele derResolution „Peking + 20“, die unter anderem den Abbauvon Diskriminierung zum Ziel hat, sind aktueller und not-wendiger denn je . In meinen Gesprächen mit Politikerin-nen und Aktivistinnen verschiedenster Herkunft hat sichein Punkt immer wieder herauskristallisiert, den ich abso-lut einleuchtend und enorm wichtig finde: Der Kampf um Gleichberechtigung und gegen Diskriminierung ist ebennicht eine reine „Frauensache“ . Genau da setzen interna-tionale Kampagnen, zum Beispiel „HeForShe“ der UNWomen, an . Denn von einer aufgeklärten, emanzipiertenund diskriminierungsfreien Gesellschaft profitieren am Ende alle: Männer und Frauen . Das haben einschlägigeUntersuchungen bereits für verschiedene Länder gezeigt .Auch ein Bericht der Weltbank kommt zu dem Schluss,dass eine starke Wirtschaft, kulturelle Innovation und so-ziale Gerechtigkeit fast automatisch dort entstehen, wobesonders viel für die Geschlechtergerechtigkeit getanwird .Wir Frauen sollten also nicht den Fehler machen,Männer beim Thema Diskriminierung immer nur als po-tenzielle Gegner zu betrachten . Im Gegenteil: Wir brau-chen Männer dringend als Mitstreiter der Frauen
und vor allem als positive Rollenvorbilder und Korrekti-ve für die Generation unserer Söhne, Neffen und Enkel .
Ursula Groden-Kranich
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– Ich glaube, im Moment sind mehr Männer von derCDU/CSU da als von den Linken .
Väter können und müssen ebenso wie Mütter dazubeitragen, dass ihre Töchter starke Persönlichkeiten wer-den, die sich ihrer Rechte als Frauen bewusst sind . Oderwie es kürzlich in einem Artikel auf Zeit Online so schönauf den Punkt gebracht wurde: „Deutschland brauchtmehr Feministen!“Die Diskriminierung von Frauen muss geächtet wer-den, und zwar von allen Menschen, die in diesem Landleben, völlig unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit,ihrer Religion, ihrer kulturellen Herkunft und ihrer poli-tischen und privaten Überzeugung .Ich wäre sehr glücklich, wenn ich in einer der nächstenReden zu dieser Thematik den Satz der US-amerikani-schen Sozialreformerin Alice Hamilton zitieren könnte:Für mich liegt die Befriedigung darin, dass die Din-ge jetzt besser sind und dass ich daran Anteil hatte .Vielen Dank .
Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin
Ulle Schauws .
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Die Generalversammlung der Verein-ten Nationen hat 1979 das wichtige Übereinkommen zurBeseitigung jeder Form der Diskriminierung der Fraubeschlossen . CEDAW gilt bis heute als wichtigstes Men-schenrechtsinstrument für Frauen weltweit . Das BMFSFJmisst dem Staatenbericht von CEDAW hohe Bedeutungbei . Das begrüßen meine Fraktion und ich ausdrücklich;
denn das war in der letzten Wahlperiode unter CDU-Füh-rung deutlich anders .Kollegin Groden-Kranich, wenn Sie hier heute mitVerve eine Rede für die Frauenrechte halten, sage ichIhnen ganz klar: Gestern wurde ein Asylpaket II verab-schiedet, in dem das Gewaltschutzkonzept für Frauengekippt worden ist . Das ist die Wahrheit, und auch diemüssen Sie sich anhören .
Was Sie hier gestern verabschiedet haben, bietet Frauenkeinen Schutz, ganz im Gegenteil .
Ich frage mich, warum Sie vom Ministerium und auchSie von den Fraktionen der Großen Koalition bei der De-batte zum Internationalen Frauentag auf eine Rückschausetzen . Der Bericht weist doch klar auf die drängendenAufgaben hin, zum Beispiel auf das überfällige Entgelt-gleichheitsgesetz . Der Staatenbericht kritisiert die Situ-ation seit Jahren . Es wäre meines Erachtens das richtigeSignal gewesen, wenn Sie als Bundesregierung heute ei-nen Gesetzentwurf für ein wirksames Entgeltgleichheits-gesetz vorgelegt hätten . Ich hätte das als ein gutes Signalgefunden .
Aber bis auf Ankündigungen hat diese Regierung nichtsvorzuweisen . Frauen bekommen nach wie vor 22 Pro-zent weniger Lohn . Das ist und bleibt ein Skandal!Ich habe die Befürchtung – ich bin da nicht alleine –,dass der von Ihnen angekündigte Gesetzentwurf wenigwirksam sein wird, dass er den Frauen am Ende wenigbringt . Mit Ihrer geplanten Transparenzoffensive fürUnternehmen mit mehr als 500 Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmern werden Sie nur wenige Frauen erreichen .Ohne ein Verbandsklagerecht – das sage ich ganz klar –stärken Sie die Unternehmen, aber nicht die Frauen . Undwas ist das bitte für ein Signal an Frauen?Der Bericht der Kommission der Antidiskriminie-rungsstelle – das war in dieser Woche Thema im Aus-schuss – hat das sehr klar kritisiert . Ihre Koalition knicktbereits jetzt vor der Wirtschaft und vor der Industrie ein,die gegen dieses Gesetz schon Sturm laufen . Ich sage Ih-nen, meine Damen und Herren: Alle Frauen- und Sozi-alverbände werden Sie daran messen, was am Ende desTages von einem Entgeltgleichheitsgesetz übrig bleibt .Gegen jede Diskriminierung von Frauen ist ein Gesetznur dann gut, wenn es auch Wirkung zeigt .
Ich will noch auf einen weiteren Punkt eingehen .Beim Kampf gegen Sexismus und bei der Suche nachLösungen zur verbesserten Finanzierung von Frauen-häusern bleiben Sie im Ministerium komplett untätig .Erfolgreiche Regierungsarbeit, aber auch Gesetze, diegegen die Diskriminierung von Frauen wirken, müssenSie umsetzen .Meine Damen und Herren, die CEDAW-Empfehlungzu Prostitution kritisiert scharf – ich zitiere –, „dass diegesteckten Ziele durch das Gesetz nur in sehr geringemUmfang erreicht wurden“ . Konkret heißt das: keine Ver-besserung der sozialen Lage, keine Verbesserung derArbeitsbedingungen und keine Verringerung der Krimi-nalität für Prostituierte . Daran wird auch Ihr geplantesProstitutionsgesetz nichts ändern .Ursula Groden-Kranich
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 159 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 26 . Februar 2016 15707
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Ganz im Gegenteil: Mit Ihrem Gesetzesvorschlagtreiben Sie Prostituierte geradezu in die Illegalität . Mitder Anmeldepflicht müssen sich diese für jede sexuelle Dienstleistung anmelden – auch wenn sie nur gelegent-lich stattfindet. Es geht Ihnen in der Union und in der SPD nicht um den Schutz der Prostituierten . Nein, im Gegen-teil: Es geht um Kontrolle . Anstatt endlich die Richtliniezum Schutz der Opfer von Menschenhandel umzusetzen,laufen Sie Gefahr, ein Bürokratiemonster zu schaffen,das die Länder und Kommunen nicht wollen . Da frageich ganz klar: Wie wirken Ihre Gesetze eigentlich?Der CEDAW-Ausschuss ist besorgt darüber, dass dieBundesregierung Rollenstereotype nicht proaktiv be-kämpft . Auch wird Besorgnis über sexistische Werbunggeäußert . Ein Vorschlag des CEDAW-Ausschusses liegtlängst auf dem Tisch: Mit einer unabhängigen Stellekönnte sexistische Werbung wirksam geprüft werden . –Dazu habe ich von Ihnen nichts gehört .Ich bin auch gespannt, wie weit Sie am Ende des Ta-ges beim Sexualstrafrecht wirklich gehen, ob wir amEnde des Tages ein Gesetz haben, nach dem das Neinauch ein Nein ist .
Es ist noch viel zu tun . Wenn Sie, liebe Kolleginnenund Kollegen von der SPD, dieses Jahr 2016 zum Jahrder Frauen ausrufen, dann dürfen wir wirklich mehr vonIhnen erwarten, nämlich Ankündigungen, die dann auchwirklich umgesetzt werden, Gesetze, die ihren Namenwirklich verdienen, und Maßnahmen, die gegen Diskri-minierung von Frauen wirksam sind .Beherzigen Sie doch das, was schon die Vorkämp-ferinnen für das Frauenwahlrecht forderten . Ihr Mottohieß: „Taten statt Worte“ .In diesem Sinne wünsche ich Ihnen und uns allen ei-nen guten Frauentag .Vielen Dank .
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr . Carola Reimann
für die SPD .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren!Für gleiche oder gleichwertige Arbeit darf nichtwegen des Geschlechts ein geringerer Lohn gezahltwerden .So steht es in etwas holprigem Deutsch auf Seite 35 desCEDAW-Berichts aus dem Jahr 1988 . Das war der ersteBericht, den die Bundesregierung nach der Ratifizierung des Übereinkommens vorgelegt hat .Heute, 28 Jahre und etliche CEDAW-Berichte später,äußert sich der zuständige UN-Fachausschuss besorgtüber die bestehenden Lohn- und Einkommensunterschie-de zwischen Frauen und Männern in unserem Land . Fastdrei Jahrzehnte sind vergangen, und wir sind von demZiel „gleicher Lohn für gleiche oder gleichwertige Ar-beit“ noch immer meilenweit entfernt .Wer immer noch glaubt, diese Lücke werde sich schonirgendwann irgendwie von selbst schließen, der sollteeinmal einen Blick in die Berichte der vergangenen Jahrewerfen . Da steht schwarz auf weiß: Wenn wir als Gesetz-geber jetzt nicht tätig werden, dann wird sich auch in dennächsten 30 Jahren nichts bewegen .Kolleginnen und Kollegen, dank der Initiativen derMinisterinnen Schwesig und Nahles kommen wir beider Entgeltgleichheit in dieser Legislaturperiode aberendlich voran. Vom Mindestlohn profitieren Millionen Beschäftigte, insbesondere Frauen, vor allem Frauen imDienstleistungssektor .
Damit ist der Mindestlohn ein wichtiger Baustein zurVerringerung der bestehenden Lohnlücke .Zu diesen Bausteinen gehören natürlich auch der wei-tere Ausbau der Kindertagesbetreuung, das neue Eltern-geld Plus und das geplante Pflegeberufegesetz, das zu einer Aufwertung der sozialen Berufe führen wird .Kernstück unserer Strategie zur Bekämpfung derLohnlücke ist aber das Gesetz für mehr Lohngerechtig-keit; den Gesetzentwurf hat Ministerin Schwesig zurzeitin Arbeit . Es setzt auf neue Instrumente wie den indivi-duellen Auskunftsanspruch für Beschäftigte, die betrieb-lichen Verfahren und die Berichtspflichten. Vor allem setzt es auf Transparenz; denn die Frage des Gehalts –darüber sind wir uns hier im Raum doch alle einig – istin Deutschland eines der letzten großen Tabus . DiesesTabu schadet vor allem den Frauen; denn viele wissenschlichtweg nicht, ob sie überhaupt fair bezahlt werden .Das muss sich ändern; denn nur dann können Frauen sichauch gegen Lohnungerechtigkeit zur Wehr setzen .
Die Bevölkerung ist bei der Frage der Transparenzund Vergleichbarkeit von Gehältern längst weiter: Knapp70 Prozent sind laut einer Studie des DELTA-Institutsdafür, dass Gehaltsstatistiken im Betrieb offengelegtwerden . Das zeigt: Die Leute wollen Transparenz überGehaltsfragen . Deshalb muss Schluss sein mit der Ge-heimniskrämerei auf Kosten der Frauen .
Kolleginnen und Kollegen, die Lohnlücke zwischenFrauen und Männern – die Staatssekretärin hat das aus-geführt – hat viele Ursachen . Eine ist die Position vonFrauen in der Unternehmenshierarchie . Mit der Frau-enquote haben wir nicht nur einen wichtigen, ja histo-rischen Schritt für mehr Gleichberechtigung geschafft,Ulle Schauws
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 159 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 26 . Februar 201615708
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sondern wir haben auch die Weichen für mehr Vielfalt inden Führungsetagen gestellt .
Zugegeben, heute ist es für eine umfassende Bilanz nochzu früh . Das Gesetz ist gerade erst in Kraft getreten undwirksam . Man kann aber doch festhalten, dass durch dieQuote einiges in Bewegung gekommen ist, nicht nurdurch die gesetzlichen Vorgaben, sondern auch durch dieöffentliche Debatte über Frauenanteile in Spitzengremi-en . Es gibt einige Unternehmen, die mit positiven Zahlenwirklich punkten können, andere müssen sich aber deröffentlichen Kritik stellen . Wenn man immer nur hinter-herhechelt, gibt man in der Öffentlichkeit natürlich keingutes Bild ab . Ich kann diesen Unternehmen nur raten:Wer die Quote ignoriert, schadet am Ende vor allem sichselbst .
Kolleginnen und Kollegen, der aktuelle CEDAW-Be-richt zeigt, dass wir bei der Gleichstellung vor allem inden letzten zwei Jahren ein gutes Stück vorangekom-men sind . Vieles baut auf Errungenschaften auf, die vonFrauen, auch von Frauen hier im Haus, von allen, überJahrzehnte hinweg hart erkämpft wurden, oft gegen ganzerhebliche Widerstände . In den letzten Wochen und Mo-naten preisen auch diejenigen diese Errungenschaften,die bislang nicht als die eifrigsten Leser der CEDAW-Be-richte in Erscheinung getreten sind . Ich will an dieserStelle nicht über die Beweggründe und die Motive derneuen Kämpfer für Gleichstellung und Frauenrechte spe-kulieren . Ich will an dieser Stelle aber darauf hinweisen,dass es schon bald die Gelegenheit gibt, hier im Parla-ment dafür zu sorgen, dass Gleichstellung und Frauen-rechte in diesem Land weiter gestärkt werden, zum Bei-spiel mit dem Gesetz für mehr Lohngerechtigkeit und miteiner grundlegenden Reform des Sexualstrafrechts .
Es sind alle herzlich eingeladen, mitzuhelfen .Danke .
Nächste Rednerin ist die Kollegin Christina Schwarzer,
CDU/CSU .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! DasÜbereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskri-minierung der Frau definiert diese in Artikel 1 wie folgt: . . . jede mit dem Geschlecht begründete Unterschei-dung, Ausschließung oder Beschränkung, die zurFolge oder zum Ziel hat, dass die auf die Gleich-berechtigung von Mann und Frau gegründete An-erkennung, Inanspruchnahme oder Ausübung derMenschenrechte und Grundfreiheiten durch dieFrau – ungeachtet ihres Familienstands – im po-litischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen,staatsbürgerlichen oder jedem sonstigen Bereichbeeinträchtigt oder vereitelt wird .Schaue ich mir diesen Artikel Stück für Stück an, wirdzumindest deutlich: Vom gesetzlichen Standpunkt herhaben wir in Deutschland eine Gleichberechtigung vonMann und Frau . Das ist eine gute Nachricht, eine wichti-ge Grundlage, aber damit allein wird absolut keine Aus-sage über die tatsächliche Gleichstellung der Geschlech-ter in unserem Land getroffen .Das Übereinkommen geht mit gutem Recht noch ei-nen Schritt weiter. Es verpflichtet die Vertragsstaaten zur Durchführung von Maßnahmen, die nicht nur diejuristische, sondern auch die tatsächliche Gleichberech-tigung von Frau und Mann herbeiführen sollen . DieseZielstellung ist richtig und wichtig, macht es für denVertragsstaat aber selbstverständlich ungleich schwieri-ger, die gemeinsam angestrebten Ziele zu erreichen . DieGleichberechtigung in der Wirtschaft, in den Medien, inder Öffentlichkeit, ja sogar in der Familie selbst kanndurch einzelne Regelungen oder Gesetze, Projekte oderKampagnen forciert und gefördert, nie jedoch gänzlichherbeigeführt werden . Auch wird eine Diskriminierungim Zweifel unterschiedlich empfunden .Der UN-Ausschuss für die Beseitigung der Diskrimi-nierung der Frau berücksichtigt diese beiden Faktorenauch in seinen Stellungnahmen zum Bericht, zum Bei-spiel, wenn es um die Geschlechtsstereotypen in der Öf-fentlichkeit, vor allem in den Medien, geht . Der Berichterkennt hier klar an, dass die Bundesrepublik Deutsch-land, in der die Unabhängigkeit der Medien ein wichtigesElement der freiheitlich-demokratischen Grundordnungist, die Vermittlung eines positiven Frauenbildes nichtverlangen kann . Als Gesellschaft können wir dies einfor-dern – das sollten wir auch dringend tun –, und die Politikkann dies durch viele Maßnahmen unterstützen .
Die tatsächliche Gleichberechtigung von Mann undFrau ist ein wichtiges politisches und gesellschaftlichesZiel . Es ist in unserer Gesellschaft allgemein anerkannt,von traurigen Ausnahmen abgesehen . Wenn wir, die wirhier sitzen, auf die Straße gehen und ein paar Menschenfragen würden, ob sie die Gleichstellung der Geschlech-ter für wichtig und richtig halten, dann – da bin ich mirsicher – würden die meisten mit Ja antworten . Ich binaber auch von Folgendem überzeugt: Würden wir dieMenschen draußen fragen, ob sie in ihrem persönlichenUmfeld Frauen diskriminieren oder sich als Frau diskri-miniert fühlen, würde ein nicht unbeachtlicher Teil mitNein antworten . Das hat auch damit zu tun, wie wir ganzpersönlich die Dinge einschätzen .Der Chef eines kleinen IT-Unternehmens, der denmännlichen einem gleichqualifizierten weiblichen Be-werber vorzieht, tut dies nicht mit dem erklärten Ziel,die Bewerberin zu diskriminieren, sondern vielmehr nuraus einem gefühlten Vorteil des Mannes heraus, den derDr. Carola Reimann
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Chef gar nicht so recht erklären kann, aber so empfindet. Die junge Mutter, die sich die familiären Aufgaben mitihrem Partner so aufteilt, dass sie in den ersten Jahrendie hauptsächliche Arbeit bei der Umsorgung der Kinderträgt, fühlt sich dadurch nicht zwingend diskriminiert .
Doch summieren sich viele kleine solcher Beispiele, FrauRawert, trägt dies auch dazu bei, dass der Bericht bei unsin Deutschland natürlich eine strukturelle Benachteili-gung der Frauen feststellt .Hinzu kommen die wirklich schlimmen Ausnahmender Benachteiligung von Frauen, wenn diese beispiels-weise aufgrund ihres Geschlechts im Beruf ganz offenund gezielt benachteiligt werden oder zum Beispiel häus-liche Gewalt erfahren . Dazu muss man aber auch Fol-gendes feststellen: Wenn ein Mann seine Frau verprügelt,dann haben wir es nicht mit einer strukturellen oder gargesetzlichen Benachteiligung der Frauen zu tun, sondernwir haben es schlichtweg mit einem miesen Typen zutun, der eher ein Fall für den Staatsanwalt und nicht fürdie Gleichstellungsbeauftragte ist .
Die heute schon vielfach angesprochene Lohndiskre-panz zwischen Männern und Frauen – mag man nun dieunbereinigte Zahl von 22 Prozent, den bereinigten Wertvon 7 bis 8 Prozent oder gar die umstrittenen 2 Prozentdes Instituts der deutschen Wirtschaft heranziehen – istohne Zweifel ein Thema, dessen wir uns annehmen müs-sen . Wir tun dies schon seit Jahren . Viele Maßnahmenwurden heute auch schon genannt, zum Beispiel das El-terngeldPlus, die Frauenquote in der Wirtschaft oder derRechtsanspruch auf einen Kitaplatz .Warum wirkt das ElterngeldPlus so gut? Ein Teil desGender Pay Gap lässt sich darauf zurückführen, dassFrauen, gesamtgesellschaftlich betrachtet, die Hauptauf-gabe bei der Kinderbetreuung stemmen . Wir sind hier aufeinem sehr guten Weg, die partnerschaftliche Aufteilungbei der Kinderbetreuung stärker den Wünschen jungerFamilien anzupassen . Väter wollen nämlich mehr fürihre Kinder da sein; zahlreiche Studien belegen dies . Mitdem ElterngeldPlus unterstützen wir sie dabei . Das hatselbstverständlich auch positive Auswirkungen für Frau-en auf dem Arbeitsmarkt . Um es etwas salopp zu sagen:Wenn der Chef nicht einschätzen kann, ob eine poten-zielle junge Mutter oder ein potenzieller junger Vater dasAusfallrisiko im Fall einer Familiengründung ist, wird erwomöglich bei der Besetzung eines neuen Postens keinGeschlecht bevorzugen oder benachteiligen .Der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz sowie dermaßgeblich vom Bund finanzierte Ausbau der Kinderbe-treuungsplätze sind ebenfalls dazu geeignet, eine schnel-le Rückkehr von Frauen ins Erwerbsleben zu fördern, sosie denn wollen .Wenn wir also konstatieren, dass bereits viele Schrittegetan sind, es noch ein gutes Stück Weg hin ist bis zu ei-ner reellen Gleichberechtigung von Mann und Frau, vielein unserer Gesellschaft dies aber in ihrer täglichen Le-bensrealität nicht empfinden oder zumindest als weniger dringlich einstufen, ist es mir wichtig, die Problematiknoch aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten . DerBericht bezieht eindeutig auch Deutschlands föderaleStruktur – seine 16 Bundesländer mit rund 11 000 Kom-munen – und die sich daraus ergebenden Aufgabenstruk-turen ein .Stellen wir folgende Überlegung an: Ein nicht zu ver-nachlässigender Faktor für die Lohnlücke ist die Berufs-wahl. Wir finden Frauen häufig – Frau Dr. Reimann, Sie erwähnten das – in schlechter bezahlten Dienstleistungs-berufen in der Pflege, im Einzelhandel oder in der Kin-derbetreuung . Männer dominieren in besser bezahltenBerufen und bei Vorstandsposten . Die Grundlage hierfürlegen wir in der Schule, in der Ausbildung und im Stu-dium .Lassen Sie uns einen Blick in die Klassenräume unddie Hörsäle werfen . In Deutsch-Leistungskursen gibt esmehr Mädchen, bei der Informatik als Wahlfach mehrJungen . Auch in den Klassen, in denen zum Fachinfor-matiker ausgebildet wird, sind die Jungen in der Über-zahl . Der Anteil der Frauen in Maschinenbaustudiengän-gen steigt; aber auch hier liegen die Frauen immer nochzurück . Bei den Sozialwissenschaften hingegen dominie-ren die Frauen .Dass wir im Bereich IT ein Bildungs- und Ausbil-dungsproblem haben, stelle ich immer wieder fest, wennich Schülergruppen zu Besuch habe . Bei den Mädchen –aber auch Jungen erzählen das oft – hält sich die Begeis-terung für den Informatikunterricht arg in Grenzen . Esscheint, als müsse man schon eine große Begeisterungfür diese vermeintlich langweiligen Dinge mitbringen,um eine Leidenschaft für dieses Thema zu entwickeln .Was ich damit sagen will: Eine wichtige Grundlagefür weniger Diskriminierung am Arbeitsmarkt – und da-mit bei den Löhnen – legen wir mit unseren Lehrplänenbzw . mit unserem Bildungssystem . Damit sind wir beimFöderalismus und bei den Ländern .Wenn wir wollen, dass sich diese Form von Män-ner- bzw . Frauenüberhang in bestimmten Berufsgruppenausgleicht, müssen wir unseren Kindern verschiedeneThemen von Anfang an strukturiert beibringen . Aberdas allein reicht noch nicht aus . Wir müssen unserenSchülern die Dinge auch richtig – soll heißen: kindge-recht – beibringen . Einige Menschen müssen aufhören,zu verneinen, dass Mädchen und Jungen unterschiedlichlernen . Diese Tatsache wird von ihnen als unsäglich ge-brandmarkt . Tatsächlich ist das aber so . Das heißt, dassvor allem MINT-Unterricht nicht nur kindgerechter, son-dern auch individueller werden muss .
Das ist nicht nur für die Jungen und Mädchen selbst,sondern auch für die Wirtschaft wichtig . Die Studiener-gebnisse im Rahmen des „trendence Schülerbarome-ters“ 2015 zeigen, dass sich mit knapp 30 Prozent be-sonders Jungen eine Ausbildung im technischen odermechanischen Bereich wünschen und nur 11,9 Prozenteine Ausbildung in der Informatik anstreben . Nur 2 Pro-zent der befragten Mädchen interessieren sich hingegenfür eine entsprechende Ausbildung .Christina Schwarzer
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Auch bei angestrebten Studienrichtungen lassen sichUnterschiede bei der Beliebtheit seitens der Geschlech-ter feststellen . Während rund 11 Prozent der befragtenJungen ein Informatikstudium beginnen wollen, sind nur0,8 Prozent der Schülerinnen daran interessiert . Klar ist:Die IT-Berufsgruppen brauchen Mädchen und Frauen .Die reelle Gleichberechtigung am Arbeitsmarkt ist nichtnur ein Instrument der Frauenförderung, sondern auchder Wirtschaftsförderung .Neben den heute schon vielfach angesprochenenSchritten beim Elterngeld, bei der Quote, bei der Rück-kehr von Teilzeitarbeit in Vollzeitarbeit und bei vielemmehr ist das diesbezügliche Fitmachen unseres Bildungs-systems meines Erachtens eine der wichtigsten Maßnah-men, um das gemeinsame Ziel, die Lohnlücke zu schlie-ßen – darüber wurde heute schon vielfach gesprochen –,zu erreichen, damit wir, liebe Ulle Schauws, den EqualPay Day künftig auch an Silvester feiern können .
Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin
Katja Dörner .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Lie-be Kollegen! Liebe Gäste! Dass wir über eine konkretefrauenpolitische Initiative dieser Bundesregierung ge-sprochen haben, ist ziemlich genau ein Jahr her . Damalswurde nämlich das „Quötchen“ verabschiedet . Das istsicherlich eine gute Sache, aber nicht wirklich der ganzgroße Wurf .Das war vor einem Jahr . Heute diskutieren wir überden CEDAW-Bericht . Es ist klar: Der CEDAW-Bericht –er ist das wichtigste Menschenrechtsinstrument für Frau-en – ist ohne Frage eine Debatte wert . Ich will aber dochfeststellen: Dass zum 8 . März, dem Internationalen Frau-entag, so gar keine konkrete Initiative von der Bundes-regierung ausgeht, enttäuscht mich und erschreckt michauch .
Denn das zeigt, dass der Bundesregierung in der Frau-enpolitik die Puste ausgegangen ist, liebe Kolleginnen,liebe Kollegen . Dabei gibt es wirklich genug zu tun, umdas anzugehen, was CEDAW einfordert, nämlich die Be-seitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau .Der aktuelle Bericht gibt auch ganz klare Hinweise,was für die Bundesrepublik ansteht . Einen Punkt will ichhier noch einmal ganz stark betonen: – Stichwort „Ent-geltgleichheit“ .Deutschland besetzt seit Jahren den traurigen Spitzen-platz in der Europäischen Union, wenn es um die Lohn-lücke zwischen Frauen und Männern geht . In keinemanderen europäischen Land gilt der Leitsatz „GleicherLohn für gleiche oder gleichwertige Arbeit“ so wenigwie bei uns . Das ist einfach beschämend und ein Ärger-nis, dessen Beseitigung wir wirklich umgehend in An-griff nehmen sollten .
Das immer wieder angekündigte Entgeltgleichheits-gesetz liegt uns bis heute noch immer nicht vor . Da dieSpatzen von den Dächern pfeifen, wie massiv Teile derBundesregierung schon jetzt auf die Bremse drücken,dürfen wir leider nicht viel Gutes für dieses Gesetz er-warten .Wenn das Entgeltgleichheitsgesetz der Großen Koa-lition tatsächlich nur für Betriebe mit mehr als 500 Mit-arbeitern und Mitarbeiterinnen gelten soll, wie es wohlgeplant ist, dann ist der zahnlose Tiger doch schon vor-programmiert . Wir Grüne wollen ein Entgeltgleichheits-gesetz, das tatsächlich wirkt und seinen Namen auchverdient .
Da ich schon einmal bei nicht umgesetzten Ankündi-gungen bin: Wo steckt eigentlich das Recht auf Rück-kehr in Vollzeit? Frau Ferner hat es heute auch wiederangekündigt. Ich habe das gestern einmal flott gegoogelt: Manuela Schwesig hat es am 9 . Januar 2014 und am 7 . Ja-nuar 2015 angekündigt, Andrea Nahles hat es am 18 . De-zember 2013, am 15 . März 2014 und am 7 . Januar 2015angekündigt . Das ist noch nicht einmal eine vollständigeAuflistung. Für 2015 wurde es uns dann konkret verspro-chen . Wo steckt der entsprechende Gesetzentwurf?
Das Recht auf Rückkehr in Vollzeit ist zentral, umFrauen den Weg aus der erzwungenen Teilzeit zu ebnen,aber eben auch, um Teilzeit für Männer attraktiver zu ma-chen . Deshalb muss es unbedingt kommen . Wir forderndie Bundesregierung auf, endlich einen Gesetzentwurf zudiesem Thema vorzulegen .
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, die autonomenFrauenhäuser haben vor einer Woche eine Bustour durchdie Bundesländer gestartet . Sie machen damit auf dieschwierige finanzielle Situation der Frauenhäuser auf-merksam . Ich bin der Initiative sehr dankbar, dass sie sohartnäckig an diesem Thema dranbleibt .Dieses Thema wird auch im CEDAW-Bericht ganzzentral aufgegriffen . Der Ausschuss zeigt sich sehr be-sorgt über die fehlende nachhaltige Finanzierung derFrauenhäuser und den mangelnden Zugang für Frauenmit Behinderung, für Ausländerinnen und für einkom-mensschwache Frauen .Hier besteht auch ganz klar Handlungsbedarf . Die Zu-ständigkeit für die Finanzierung der Frauenhäuser darfnicht einfach lapidar auf die Länder und auf die Kom-munen abgeschoben werden . Wir sehen hier den Bundweiterhin in der Pflicht.
Christina Schwarzer
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Ich konnte nur einige Beispiele nennen, aber es gibtfrauenpolitisch nun wirklich genug zu tun . Es wird Zeit,dass sich die Bundesregierung wieder aufrafft, hier kon-krete Initiativen vorzulegen .Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Als erster Kollege in dieser Debatte hat jetzt Sönke
Rix für die SPD das Wort .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Zunächst einmal zur Frage,ob in der Frauenpolitik die Luft raus ist: Ich kann zu-mindest für den linken Lungenflügel der Koalition sagen, dass dort noch genug Luft drin ist, Frau Kollegin .
Gemeinsam mit dem rechten Lungenflügel werden wir hier auch noch zu weiteren Maßnahmen kommen .
Eine weitere Vorbemerkung, weil es immer wiederauch darum geht, welche Verantwortung die Länder invielen Fragen haben . Es nützt ja nichts – Sie haben dasgerade am Beispiel der Frauenhäuser noch einmal ge-tan –, wenn wir uns hier immer wieder sagen, der Bundmüsse stärker Verantwortung übernehmen,
wenn die Länder das nun einmal nicht wollen . In denLändern regieren auch Sie mit, liebe Grünen
– natürlich ist es so: auch dort regieren Sie mit, liebe Grü-nen –, und von daher: Lassen Sie uns einmal die Kircheim Dorf lassen und die Verantwortung dort belassen, wosie gerade ist, und lassen Sie uns auch einmal unsere ei-genen Landesregierungen auffordern, dort etwas zu tun .
Im Übrigen geht Schleswig-Holstein hier mit sehr gu-tem Beispiel voran und ist vorbildlich . Das wird – zu-mindest im Vergleich zu den anderen Ländern – auchdie Kollegin Möhring zugeben müssen . Wir in Schles-wig-Holstein haben das schon schneller erkannt .
Gerade in der Debatte und auch insgesamt wird, wennman über Gleichstellungspolitik diskutiert, häufiger die Frage gestellt: Brauchen wir da eigentlich noch Geset-ze? Wir haben doch die Gleichstellung im Grundgesetzfestgeschrieben . Wo werden denn Frauen durch welcheMaßnahmen tatsächlich benachteiligt oder diskriminiert?Auch hier in der Debatte hat das am Rande eine Rollegespielt . Es wurde erklärt, es gebe doch so viele Geset-ze, und eigentlich brauche man doch keine gesetzlichenRegelungen mehr . Wer so etwas sagt, der redet unver-antwortlich angesichts dessen, was wir über Diskriminie-rung von Frauen in diesem Lande wissen .
Der Lohnunterschied beträgt über 20 Prozent . Frauensind immer noch stärker von Armut betroffen als Männer .Frauen sind noch immer stärker von Gewalt betroffen alsMänner . Frauen haben noch immer schlechtere Aufstieg-schancen als Männer . Diese Liste ließe sich noch fort-führen . Wer an dieser Stelle behauptet, das sei nur eingesellschaftliches Problem, man brauche keine gesetzli-chen Regelungen, der liegt falsch, liebe Kolleginnen undKollegen .
Wir haben in dieser Koalition schon gesetzliche Rege-lungen auf den Weg gebracht, und wir haben auch nochweitere vor uns . Ich erinnere an die Einführung der Quo-te . Und ich erinnere an die Maßnahmen, die wir, feder-führend beim Justizressort, zur Verschärfung des Sexual-strafrechts vor uns haben .
Ich erinnere an das Gesetz zur Lohngerechtigkeit . Also,wir regeln Dinge gesetzlich . Das haben wir uns als Koali-tion gemeinsam auf die Fahnen geschrieben . Das solltenwir nicht kleinreden .Ein Wort zur Lohngerechtigkeit, weil auch Sie, FrauDörner, in Ihrer Rede darauf hingewiesen haben, dass dieRegelung hierzu kein zahnloser Tiger werden dürfe . Ichkann Ihnen für die SPD-Fraktion versichern: Einer Re-gelung, die einem zahnlosen Tiger gleicht, werden wirnicht zustimmen . Ein Gesetz nur um des Gesetzes willenbrauchen wir nicht . Wir brauchen ein Gesetz um der Wir-kung willen . Daran arbeiten wir, liebe Kolleginnen undKollegen .
Wir wissen, dass wir eigentlich noch viel mehr Bisshaben müssten und könnten . Leider lässt uns der Koaliti-onsvertrag nicht so viel Spielraum, wie wir ihn vielleichtmit anderen Mehrheiten in diesem Hause hätten . Aber erlässt uns Spielraum . Ich appelliere an die Koalitionskol-leginnen und -kollegen von der Union, diesen Spielraumzu nutzen, damit es ein wirksames Gesetz wird .
Lassen Sie mich noch kurz über Rollenbilder spre-chen, weil auch das ein Thema ist, an dem wir arbeitenmüssen . Ich habe mich vorhin an das Lied Männer, vonHerbert Grönemeyer, erinnert gefühlt . Er singt:Katja Dörner
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Männer haben Muskeln .
Männer sind furchtbar stark . . . Männer kriegen ‚nen Herzinfarkt .Die meisten Männer, die das auf dem Oktoberfest zurbayerischen Blasmusik mitgrölen, wissen gar nicht, wieironisch dieses Lied gemeint ist .
Nichtsdestotrotz macht es ein besonderes Männerbilddeutlich, an dem noch viele hängen .Zum Glück hat sich dieses Männerbild verändert,auch mit Hilfe von gesetzlichen Maßnahmen, zum Bei-spiel dem Elterngeld Plus . Das Elterngeld ist geradeschon erwähnt worden . Hiermit stärken wir die Partner-schaftlichkeit . Wir wissen aus Studien, dass Männer nochviel mehr Zeit für Familie und für Partnerschaft habenwollen . Deshalb ist es gut und richtig, dass wir beim El-terngeld Plus nicht stehen bleiben, sondern noch weiterdiskutieren, nämlich das Thema Familienarbeitszeit, lie-be Kolleginnen und Kollegen .
Zu Rollenbildern gehört leider immer noch ein sehrantiquiertes Frauenbild . Wenn man sich die Werbungeinmal ansieht, ist man häufig sehr geschockt. Es gibt den Spruch eines Arzneimittelherstellers: Mütter nehmennicht frei, Mütter nehmen XY . Gemeint ist ein bestimm-tes Medikament . Das Bild, das dahintersteckt, was alsoMütter für eine Funktion haben und welche Rolle siespielen sollen, wird dabei sehr deutlich . Deshalb glaubeich: Auch wenn wir sehr viele gesetzliche Regelungenbrauchen, so brauchen wir nichtsdestotrotz auch eine ge-sellschaftliche Debatte . Wir brauchen einen gesellschaft-lichen Auftrieb für die Gleichstellung von Männern undFrauen . Wir brauchen beides: gesetzliche Regelungenund gesellschaftliche Debatte . Diese führen wir .Danke schön, meine Damen und Herren .
Abschließende Rednerin in dieser Aussprache ist die
Kollegin Dr . Silke Launert für die CDU/CSU .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren!0800 0116 016:
Alles Mögliche haben wir heutzutage in unseren Smart-phones gespeichert . Aber welche Frau verfügt in ihremTelefonbuch über diese Nummer? Wer von uns kenntdiese Nummer überhaupt? Normalerweise müssten siemindestens 40 Prozent der in Deutschland lebendenFrauen kennen und auf ihrem Handy unter „H“ wie Hil-fetelefon abgespeichert haben . Denn – das zeigt auch derBericht – laut Studien sind etwa 40 Prozent der Frauenseit ihrem 16 . Lebensjahr mindestens einmal psychischerund/oder sexueller Gewalt ausgesetzt gewesen .Die Nummer, die ich gerade genannt habe, ist dieNummer des Hilfetelefons, das seit März 2013 zur Ver-fügung steht und in dem Bericht ausdrücklich lobend an-gesprochen wird .
Die Bundesregierung hat damit eine wichtige Lücke imHilfesystem geschlossen . Denn das Telefon ist ein kosten-loses, bundesweites und anonymes Erstberatungsangebotbei allen Formen von Gewalt . Es bietet Betroffenen, An-gehörigen oder sonstigen Personen unkomplizierte Hilferund um die Uhr und in 15 Sprachen .
Wir brauchen Angebote wie dieses für alle, und damitmeine ich wirklich: für alle . Denn jedem muss klar sein,dass Gewalt gegen Frauen überall stattfindet, jederzeit und in allen Schichten .Ich teile die hier angesprochene Ansicht, dass esnichts mit Diskriminierung zu tun hat, wenn ein Mannseine Frau verprügelt, leider nicht . Das zeigt nicht nur eingroßer Teil des Berichts . Wenn Frauen körperlich odersexuell Gewalt erfahren, hat das häufig etwas mit Macht und mit Kleinhalten zu tun . Auch das ist für mich eineForm von Diskriminierung .
Spätestens mit den Vorfällen in der Silvesternacht inKöln haben wir erlebt, dass sexuelle und körperlicheGewalt auch öffentlich passiert . Körperliche oder sexu-elle Gewalt gegen Frauen kommt überall vor: auf öffent-lichen Plätzen und Straßen, am Arbeitsplatz und oft zuHause in den eigenen vier Wänden . Es ist erschreckend,wenn man hört, dass Frauen von häuslicher Gewalt mehrbedroht sind als durch andere Gewaltdelikte wie Körper-verletzung mit Waffen, Wohnungseinbrüche oder Raub .Sexuelle oder körperliche Gewalt gegen Frauen reichtvon einfachen Belästigungen wie anzüglichen Bemer-kungen oder einem Klaps auf den Po über Schläge,Verprügeln, Stalking und Vergewaltigung bis hin zu Tö-tungsdelikten, nicht selten innerhalb von partnerschaftli-chen oder familiären Beziehungen . Diese Übergriffe stei-gern sich dann im Hinblick auf Häufigkeit und Intensität. Mich hat es oft erschreckt, zu erleben, dass Opfer ge-rade dem Partner gegenüber später im gerichtlichen Ver-fahren sich selbst die Schuld gegeben und das Verhaltendes Partners entschuldigt haben . Sie haben immer mehrdas Gespür dafür verloren, was man eigentlich in einerBeziehung akzeptieren sollte und was nicht .Sönke Rix
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So vielfältig diese Formen von Gewalt gegenüberFrauen sind – ich habe gar nicht alle Formen der Gewaltangesprochen –, so vielfältig sind auch die strafrechtli-chen Einordnungen . Sie reichen von der einfachen Belei-digung bis hin zu Stalking, Körperverletzung, Vergewal-tigung oder auch Tötungsdelikten . Leider bestehen imStrafrecht erhebliche Strafbarkeitslücken . Deshalb – dashaben einige Kollegen schon zu Recht gesagt – brauchtman beides: die Debatte in der Bevölkerung wie auch inmanchen Fällen die Änderung des Rechts . Wir als Ge-setzgeber müssen genau da ansetzen . Denn als Bundes-gesetzgeber sind wir definitiv für die Reform des Straf-rechts zuständig .
Ein Beispiel ist die Reform der Straftatbestände beiMenschenhandel und Zwangsprostitution . In den nächs-ten Wochen und Monaten wird sicherlich ein Gesetzent-wurf eingebracht . Denn es ist kein Geheimnis, und esist auch keine Übertreibung, wenn ich sage, dass jungeMädchen und Frauen mitten in Europa wie Ware gehan-delt werden. Sie werden wie Frischfleisch angepriesen und von einem Bordell ins nächste verkauft, benutzt undweggeworfen . Da müssen wir tätig werden – leider hatdas gutgemeinte Prostitutionsgesetz zum Teil das Gegen-teil bewirkt –; wir müssen die ersten Schritte gehen undwerden sehen, wie praxistauglich diese sind .Auch im Bereich des Stalkings hat der Bundesjustiz-minister vergangene Woche einen Entwurf vorgelegt . Ichfreue mich sehr darüber . Denn auch das zeigen die Statis-tiken: Es wurden 25 000 Fälle zur Anzeige gebracht, undes gab 400 Verurteilungen . Und warum? Ein erheblicherGrund für dieses Missverhältnis besteht in der Fassungdes Straftatbestandes . Es ist nicht in Ordnung, zuerst zuverlangen, dass das Opfer wegen der permanenten Be-lästigungen seinen Arbeitsplatz wechselt oder umzieht .Wir müssen hier früher ansetzen . Ich freue mich, dassJustizminister Maas nun das Thema aktiv angeht .
Das nächste Thema – Sie sprachen es schon an – istdie Reform des Vergewaltigungstatbestandes . Hier wirdin den nächsten Wochen ein Entwurf in die Gesetzge-bung eingebracht werden . Auch hier gibt es gravierendeSchutzlücken, und zwar schon vor den Ereignissen in derKölner Silvesternacht .
Es kann nicht sein, dass die Fälle, in denen sich die Fraunicht wehrt, weil der Täter überlegen ist, oder in denensich die Mutter nicht wehrt, wenn sie vergewaltigt wird,weil sie ihr Kind nicht aufwecken will, nicht bestraftwerden .Die Rechtslage zu verbessern, ist das eine . Ich höreimmer wieder, dass die Gesetze nichts bringen . Manch-mal ist das so; das räume ich ein . Aber eine frühzeitigeingreifende Strafbarkeit kann vieles verhindern . Ichnenne als Beispiel den Bereich des Stalking . Wenn Opferzur Polizei oder zur Staatsanwaltschaft gehen und ihnendort gesagt wird, das sei doch nichts, und sie schließlichweggeschickt werden, dann spricht sich das herum . DieOpfer nehmen das mit . Glauben Sie mir: Gerade im Be-reich des Stalking ist es wichtig, die Täter frühzeitig zuerreichen .
Nicht wenige von ihnen haben psychische Schäden .Nicht selten führen diese harmlosen Stalking-Delikte zueiner Steigerung, bis hin zur Tötung .Ein weiterer Aspekt ist die Finanzierung . Sie habenrecht: Die Finanzierung ist ein Hauptproblem . Dabei sindwir als Bund häufig nicht zuständig. Aber das Thema im Hinblick auf den Bericht anzusprechen, ist völlig richtig .Mir tut es in der Seele weh – dabei läuft in Bayern indiesem Bereich vieles besser als woanders –,
wenn ich erlebe, dass lokale Einrichtungen wie der Not-ruf der Diakonie Hochfranken oder die „Schutzhöhle“ums Überleben kämpfen müssen und dass nur dank derMedien, des Fernsehens und der Zeitungen, Gelder ak-quiriert werden, die das Überleben solcher Einrichtun-gen sichern . Jeden Euro, den wir an dieser Stelle sparen,müssen wir hinterher – genauso wie in der Jugendhilfe –mehrfach wieder ausgeben .
Wenn wir die Opfer gleich zu Beginn alleine lassenund nicht optimal betreuen, tragen viele gesundheitlicheSchäden davon . Auch die Kosten sind enorm . Viele Op-fer landen in der Erwerbsunfähigkeit, weil sie mit denBelastungen nicht zurechtkommen . Daher kann ich nursagen: Auch wenn der Bund nicht zuständig ist, solltenwir an einem Strang ziehen und uns eine Strategie über-legen . Hier bin ich sofort bei Ihnen . Das ist ein Bereich,den wir auch im Hinblick auf die Flüchtlingskrise nichtvernachlässigen dürfen . Ganz im Gegenteil: Wir werdenihn sogar ausbauen müssen .
Wenn wir nicht wollen, dass sich Frauen aus Schamnicht melden, dann müssen wir dieses Thema mitten indie Gesellschaft bringen, und zwar nicht nur einmal am8 . März eines jeden Jahres, sondern immer wieder . Wennwir wollen, dass Taten zur Anzeige gebracht werden unddass Männer, die zu solchen Taten neigen, therapiert wer-den, dann müssen sich mutige Nachbarn bei der Polizeimelden, wenn sie hören, dass eine Frau zu Hause verprü-gelt wird . Wir müssen zudem junge Mädchen ermutigen,sich selbst einzugestehen, dass vielleicht in der eigenenBeziehung eine Grenze längst überschritten ist und dassman Hilfe in Anspruch nehmen sollte .Allen Betroffenen sage ich: Das Wählen der0800 0116 016 kann die Eintrittskarte in ein neues Lebensein .Vielen Dank .
Dr. Silke Launert
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Damit schließe ich die Aussprache .
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/5100 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . – Ich sehe keinen Wi-
derspruch . Dann gehe ich davon aus, dass Sie alle damit
einverstanden sind . Die Überweisung ist beschlossen .
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 22 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Moder-
nisierung des Besteuerungsverfahrens
Drucksache 18/7457
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO
Für diese Aussprache sind nach einer interfraktionel-
len Vereinbarung 38 Minuten vorgesehen . – Ich sehe,
dass alle damit einverstanden sind . Dann ist das so be-
schlossen .
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem
Redner für die Bundesregierung dem Parlamentarischen
Staatssekretär Dr . Michael Meister das Wort .
D
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Beim Gesetzentwurf zur Modernisierung des Besteue-rungsverfahrens geht es darum, dass wir moderne IT nut-zen, um das Besteuerungsverfahren einfacher, schnellerund effizienter zu gestalten. Lassen Sie mich zu diesen drei Zielen etwas sagen . Wir wollen das Ganze so ma-chen, dass wir ein sauberes und sicheres rechtsstaatlichesFundament für diese Veränderung im Besteuerungsver-fahren haben .Schneller soll es werden, indem wir die Informati-onstechnologie nutzen, den Menschen die Möglichkeitgeben, auf elektronischer Ebene mit dem Finanzamtzu kommunizieren, und dabei Medienbrüche vermei-den . Das heißt: Wir wollen in Zukunft keine Mischungmehr zwischen Informationstechnologie und Papier . Wirwollen auch dafür sorgen, dass nicht nur die Erklärungselbst, sondern auch die Bearbeitung der Steuererklä-rung, die Bescheidung und möglicherweise weitere Ver-fahrensschritte vollautomatisiert erfolgen können . Dasist deshalb wichtig, weil es sich um ein Massenverfahrenhandelt, bei dem Millionen von Steuererklärungen undBescheiden zu erstellen sind . Wir gehen davon aus, dasszukünftig die Bescheidung elektronisch erfolgt und derBescheid per Download heruntergeladen werden kann .Ebenso wollen wir den Weg dafür öffnen, dass die vor-ausgefüllte Steuererklärung auf elektronischem Weg zumSteuerpflichtigen kommt. Der Steuervollzug selbst soll einfacher werden, weildie Belege nicht mehr wie heute durch die Finanzbehör-de angefordert werden, sondern es in Zukunft nur nocheine Aufbewahrungspflicht für den Steuerpflichtigen ge-ben soll. Nur dann, wenn Belege benötigt werden, findet eine Übermittlung an die Finanzbehörde, und zwar auchauf elektronischem Weg, statt . Wir wollen das, was wirbei Elster können, durch ein einfacheres Authentifizie-rungsverfahren ermöglichen . So wollen wir die Authen-tifizierung ohne Medienbrüche durchführen; damit wird auch die elektronische Erklärung für den Steuerpflichti-gen einfacher .Wir glauben, dass es vor dem Hintergrund der demo-grafischen Entwicklung und der knapper werdenden Zahl der Fachkräfte sinnvoll ist, die Mitarbeiter der Steuerver-waltung effizienter zum Einsatz zu bringen, sprich: nicht in den Masseverfahren, die vollautomatisiert bearbeitetwerden können, sondern dort, wo es um komplexereSachverhalte oder um solche Fälle geht, die man nichtvollautomatisiert erfassen kann . Wir werden deshalb einRisikomanagementsystem implementieren und nach die-sem Risikomanagementsystem dafür sorgen, dass auchim automatisieren Verfahren der eine oder andere Falldennoch einer Prüfung unterzogen wird .Insgesamt hoffen wir, dass sich die Mitarbeiter in Zu-kunft den komplexen Fällen zuwenden können und wirdamit dafür sorgen, dass sie zielgenauer eingesetzt wer-den können und die Steuerverwaltung insgesamt zielge-nauer wird . Ich will an dieser Stelle ausdrücklich sagen:Es ist nicht unsere Absicht, Personalabbau zu betreiben .Unser Ziel ist es vielmehr, von Massen- und Mengenak-tivitäten zu einer qualitätsorientierten Steuerverwaltungzu kommen .
Was sind die wesentlichen Teile, die wir rechtsstaat-lich fundieren müssen? Ich will einige Stichworte nen-nen .Das ist zum einen die elektronische Kommunikation .An der Stelle müssen natürlich die Datensicherheit undder Datenschutz für die Finanzverwaltung, für den Steu-erpflichtigen, aber auch für Dritte, die gegebenenfalls Daten zuliefern, gewährleistet sein .Wir wollen die Wirtschaftlichkeit und die Zweckmä-ßigkeit des Verwaltungshandelns steigern – das habe ichbeschrieben – durch die Konzentration der Mitarbeiterauf die komplexen Fälle und die schwierigen Fragen .Wir wollen zum Dritten dazu kommen, dass die einfa-cheren Fälle vollständig automatisiert bearbeitet werden .Wir wollen dazu kommen, dass die Abgabe der Steu-ererklärung für den Steuerpflichtigen erleichtert wird, sprich: er soll die vorausgefüllte Steuererklärung bei derFinanzbehörde abrufen können, damit er sozusagen einelektronisches Formular bereits mit seinen Daten be-kommt, in das er gegebenenfalls nur Korrekturen eintra-gen muss .Wir haben das Thema „elektronische Datenübertra-gung an Dritte und von Dritten“, bei dem wir auch erheb-liche Vereinfachungen erwarten . Ich nenne als Beispieldie Daten der Rentenversicherungsträger, Krankenversi-cherungsbeiträge und ähnliche Dinge .
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Bei den Steuererklärungsfristen werden wir in denFällen, in denen Steuerberater beteiligt sind, eine Aus-dehnung vornehmen . Ich glaube, dass das dazu führt,dass wir zu einer gleichmäßigen Belastung der Steuer-verwaltung kommen .Das Gesetz soll nach den Beratungen am 1 . Janu-ar 2017 in Kraft treten . Allerdings muss man sich darü-ber klar sein, dass anschließend die organisatorische Um-setzung innerhalb der Steuerverwaltung erfolgen muss .Ich weiß schon, dass Sie, Herr Pitterle, an der Stelle einbisschen lachen .
Ich bin allerdings schon der Meinung, dass man dann,wenn man den Bürger ernst nimmt – wir sind hier dieVertreter der Bürger der Bundesrepublik Deutschland –,
den Versuch, Menschen den Umgang mit Verwaltung zuerleichtern, nicht lächerlich machen, sondern ernsthaftdiskutieren sollte . Das würde ich mir an dieser Stelleschon wünschen, meine Damen und Herren .
– Jeder hat sein Menschen- und Bürgerbild . Da will Ih-nen gar nicht widersprechen .Wenn wir das Gesetz zum 1 . Januar 2017 in Kraft set-zen, dann haben wir eine Grundlage für die organisato-rische und inhaltliche Umgestaltung . Es wird allerdingsgemeinsam mit den Ländern Zeit brauchen, bis 2022 .Das heißt, nach heutigem Stand können wir davon aus-gehen, dass nach 2022 das, was ich beschrieben habe,auch im tatsächlichen Leben ankommt .Wir haben in Vorbereitung dieses Gesetzentwurfs ver-sucht, uns nicht einfach etwas am grünen Tisch auszu-denken, sondern wir haben einen sehr intensiven Dialogmit den Steuerberatern und mit weiteren Verbänden, diemit diesen Sachfragen zu tun haben, geführt, aber auchmit den Ländern . Wir sind, glaube ich, zu einem Ent-wurf gekommen, der im ersten Durchgang im Bundesratdurchaus positiv von den Ländern kommentiert wordenist . Natürlich gab es einige Hinweise, die sich haupt-sächlich auf technische Fragen beziehen . Wir werden dieBundesratsanliegen, bei denen es um technische Fragenging, mit Sicherheit im weiteren Gesetzgebungsverfah-ren prüfen . Für mich war insgesamt jedoch positiv, dassdie Länder vom Grundsatz her deutlich gemacht haben,dass sie hinter diesem Ansatz stehen und ihn auch mittra-gen werden .Was ist also unser Ziel? Wir wollen neue Technologi-en dafür nutzen, dass der Bürger einfacher, schneller undeffizienter zu seiner steuerlichen Beurteilung kommt. Wir wollen weniger Arbeit für die Steuerpflichtigen, wir wollen eine qualitative Steigerung in der Steuerverwal-tung, und wir hoffen, dass wir am Ende trotzdem rechts-sichere Verfahren haben . Deshalb haben wir auch diedritte Gewalt in unsere Diskussion einbezogen und aus-drücklich Finanzrichter gefragt, wie sie die gesetzlichenRegelungen, die wir hier vorlegen, beurteilen . Auch vondieser Seite war der Diskurs positiv und hat dazu geführt,dass wir einige Hinweise bekommen haben, bei welchenPunkten wir aufpassen sollen .Ich würde mir wünschen, dass Sie diesen Gesetzent-wurf entsprechend diskutieren und dass diese Diskussi-onen, wie vorgesehen, bis zur Sommerpause zu einempositiven Ergebnis führen, damit wir eine gesetzlicheGrundlage haben, auf die sich ab 2017 alle einstellenkönnen . Ich glaube, das ist vor dem Hintergrund, dasswir unsere Verwaltung auf eine IT-gestützte Verwaltungumstellen wollen, ein gewaltiger Schritt in Richtung Zu-kunft .Es ist bedauerlich, dass diese Diskussion am Freitag-mittag zu später Stunde stattfindet. Was hier geschieht, ist ein großer Schritt für die Verwaltung, aber auch fürdie Bürger unseres Landes . Dass die Diskussion zu einersolchen Zeit hier stattfindet, finde ich ein bisschen be-dauerlich . Man hätte durchaus eine prominentere Zeit fürdie Diskussion dieses Vorhabens finden können. Das gilt auch für die Kollegen im Bundestag, die dies zu betreuenhaben . Ich glaube, da wird die Bedeutung des Themasnicht von allen draußen wahrgenommen . Ich wünschemir eine gute Beratung und viel Erfolg .Danke schön .
Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Richard
Pitterle von der Fraktion Die Linke das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Jeder, der schon einmal eine Steuererklärungohne Steuerberater auszufüllen hatte, weiß: Das ist bei-leibe kein Spaß . Man verschiebt es gerne auf das nächsteMal, bis das Wochenende vor dem Abgabetermin dochherhalten muss . Daher klingt es zunächst spannend,wenn das Verfahren modernisiert werden soll .In dem über 100 Seiten starken Entwurf, auf dessenDetails ich hier aufgrund der Zeit, die mir zur Verfügungsteht, nicht eingehen kann, ist eine umfassende Umstel-lung auf Computernutzung vorgesehen . Salopp gesagtsoll also die Steuererklärung in Zukunft bequem übersInternet stattfinden und beim Finanzamt statt durch Fi-nanzbeamte bis auf Ausnahmefälle durch Rechner ver-arbeitet werden .Steuerberater und Lohnsteuerhilfevereine begrüßendas Vorhaben, und lassen Sie mich eines gleich zu Be-ginn klarstellen: Als Linke begrüßen wir, wenn Abgabeund Verarbeitung der Steuererklärung vereinfacht wer-den . Es muss nur sinnvoll sein und die bisherigen Erfah-rungen mit einbeziehen .Parl. Staatssekretär Dr. Michael Meister
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Was sind die bisherigen Erfahrungen? Vor wenigenJahren haben wir den Unternehmen vorgeschrieben, dieBilanz dürfe nur noch elektronisch beim Finanzamt ein-gereicht werden . Die Frist für diese Einreichung wurdedurch den Gesetzgeber zweimal geschoben . Als die Ver-pflichtung in Kraft trat, meldete sich das Finanzamt bei einem von mir betreuten Unternehmen, um ihm mitzu-teilen, dass es keine E-Bilanzen empfangen könne . Ichfinde, das ist blamabel. Oder schauen wir auf die sogenannte ELStAM-Daten-bank, in der die elektronischen Lohnsteuerabzugsmerk-male gespeichert sind . Letztes Jahr wurden dort aufgrundeines Softwarefehlers Zehntausende Arbeitnehmerinnenund Arbeitnehmer in eine falsche Lohnsteuerklasse ein-geordnet, mit dem Ergebnis, dass sie am Ende des Mo-nats deutlich weniger Lohn ausgezahlt bekamen . In ei-nigen Fällen stand sogar tatsächlich ein Minus auf demGehaltszettel, und die Betroffenen mussten auch nochSteuern nachzahlen . Das ist ebenfalls blamabel .2013 hat der Bundestag beschlossen, allen Rechtsan-wälten zwingend elektronische Postfächer vorzuschrei-ben. Am 1. Januar 2016 sollte es Pflicht sein, ein elekt-ronisches Postfach zu nutzen . Vor zwei Monaten wurdeuns Rechtsanwälten mitgeteilt, dass die Einführung aufunbestimmte Zeit verschoben wird . Das ist – ich wieder-hole mich – blamabel .Werfen wir zuletzt noch einen Blick über die Grenze:Beispiel Schweiz, wo man dem Klischee nach vermutenwürde, dass die Abläufe so reibungslos sind wie in demsprichwörtlichen Schweizer Uhrwerk . Hier hat man sichmit dem sogenannten Insieme-Projekt ebenfalls an einerModernisierung der IT-Systeme der Schweizer Steuer-verwaltung versucht – und ist grandios gescheitert . Nachsieben Jahren und über 100 Millionen Franken hat mandas Projekt schließlich eingestellt .Wenn wir uns also die bisherigen Erfahrungen an-schauen, dann komme ich zu dem Schluss – das mussich Ihnen sagen –, dass mir ein Plan fehlt, wie Sie esvermeiden wollen, dass sich solche Pannen wiederholen .Okay, wir wissen, dass sich zumindest die Länder aufeine gemeinsame Software geeinigt haben . Das ist schondie halbe Miete; aber ausreichen tut es keinesfalls . Wiewollen Sie sicherstellen, dass die Länder das im gleichenUmfang umsetzen, damit gewährleistet ist, dass wir esmit gleicher Besteuerung im gesamten Bundesgebiet zutun haben?Ich möchte von Ihnen hören, wie Sie die Moderni-sierung des Besteuerungsverfahrens, und zwar mit wieviel Kohle und Manpower bzw . Frau-Power, bewältigenwollen . Mir fehlt schlicht ein genauer Umsetzungsplan .Allein das Ziel zu beschreiben, ist mir nicht genug . Wieist der Weg dorthin?Seien wir mal ehrlich: Wenn die Bundesregierung wiein dem heute von ihr vorliegenden Gesetzentwurf vonWirtschaftlichkeit und Effizienz spricht, geht es ihr doch meist nur um Stellenabbau und Kosteneinsparung, auchwenn sie im Gesetzentwurf das Gegenteil behauptet . Da-bei fehlen laut Beamtenbund in der Finanzverwaltungbereits jetzt 15 000 Beamte . Ich denke, Sie sind schiefgewickelt, wenn Sie glauben, Sie könnten an die Mo-dernisierung des Steuerverfahrens mit dem Gedankenherangehen, Personal und Geld einzusparen . Sie müssenmeines Erachtens richtig Geld in die Hand nehmen underst einmal kräftig Personal aufstocken, um diesen Planumzusetzen .Ich habe Ihnen die negativen Erfahrungen aufgezählt .Auch negative Erfahrungen sind etwas wert – wenn mansie denn berücksichtigt . Aber ich kann nicht erkennen,dass Sie dies tun . Wenn Sie es aber nicht tun, dann wer-den es nicht nur die Steuerpflichtigen, sondern auch die vielen Beschäftigten in den Finanzämtern auszubadenhaben, und das fände ich schade .Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Vielen Dank . – Als nächster Redner spricht Frank
Junge von der SPD .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Pitterle,wenn man mit Ihrer Argumentation jedes Gesetzge-bungsverfahren von vornherein begleiten würde, dannwürden wir nie Fortschritte erzielen, die das Leben derBürgerinnen und Bürger insgesamt besser machen .
Der Bund der Steuerzahler Nordrhein-Westfalen be-scheinigt den Deutschen in seiner siebten Studie zurSteuerkultur eine hervorragende Steuermoral . Die großeMehrheit der Bürger ist danach steuerehrlich und stehtzur Steuerpflicht. Damit rangiert die Moral der deutschen Steuerzahler auf einem selten hohen Niveau .Bei der Steuermentalität, die sich mit einer gewissenVerzögerung auf die Steuermoral auswirkt, ist es leideranders . Sie drückt aus, welche Einstellungen der Bürgerganz allgemein zum Steuersystem, zur Steuerlast und zurSteuergerechtigkeit hat . Hier ist das Ergebnis so schlechtwie lange nicht . Die große Unzufriedenheit ist in ho-hem Maße mit darauf zurückzuführen, dass der zeitlicheund finanzielle Aufwand zur Erfüllung der steuerlichen Pflichten als viel zu hoch angesehen wird. Das sehe ich als klares Indiz für den Wunsch der Bürger nach einemeinfacheren Steuersystem und einem viel leichteren undunkomplizierteren Umgang damit .Genau da, liebe Kolleginnen und Kollegen, beim Um-gang mit dem Besteuerungsverfahren setzen wir heutean; denn mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werdenwir die rechtliche Basis dafür schaffen, dass zukünftigneben der herkömmlichen Methode zur Erstellung undBearbeitung der Steuererklärung das massenhafte vollau-tomatisierte Steuerverfahren stattfinden kann. Wir wer-den den Weg bereiten, dass der Einsatz der vollständigRichard Pitterle
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maschinellen Bearbeitung von Steuererklärungen deut-lich gesteigert wird .
Das wird – Herr Meister hat es gesagt – die Finanzverwal-tung entlasten . Das wird aber auch bei den Bürgerinnenund Bürgern in absehbarer Zeit zu einem unkomplizier-teren und schnelleren Umgang mit ihrem Steuersystemführen .Damit das gelingt, soll künftig ein wesentlich größererAnteil der Steuererklärungen vollautomatisch bearbeitetwerden; auch das kam zur Sprache . Dazu sind unter an-derem automationsgestützte Risikomanagementsystemeerforderlich, die bewerten sollen, ob Steuersachverhalteweiter gehender Ermittlungen und Prüfungen bedürfenoder ob kein Hinderungsgrund für eine vollautomatischeSteuerfestsetzung besteht .Neben einer Beschleunigung der Abarbeitung derStandardfälle soll damit auch erreicht werden, dass sichdie Finanzbehörden auf tatsächlich prüfungsbedürftigeFälle konzentrieren können, einfach, weil sie dann mehrKapazitäten dafür haben .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will eins hervor-heben: Seit knapp zwei Jahren arbeiten Bund und Län-der an diesem Gesetz Hand in Hand in einem Verfahren,das man meiner Ansicht nach als beispielhaft bezeichnenkann . Herausgekommen ist ein Entwurf, der jetzt bereitsschon von einem grundsätzlich positiven öffentlichenKonsens getragen wird . Meine Gespräche mit Vertreternder Branche, wie zum Beispiel den Lohnsteuerhilfever-einen, bestätigen das .Bei aller Zustimmung für diesen Gesetzentwurf willich für die SPD-Fraktion jedoch deutlich machen, dasswir an einigen Stellen schon noch Klärungs- und Nach-besserungsbedarf sehen . Das will ich an drei Punktenerläutern .Erstens: der Verspätungszuschlag . Verspätungszu-schläge sollen in Zukunft gesetzlich geregelt werden undohne Ermessen eines Finanzbeamten definiert werden können . Das ist aus meiner Sicht völlig in Ordnung; denndamit werden künftig streitanfällige Ermessensentschei-dungen komplett vermieden . Allerdings sieht der Gesetz-entwurf vor, dass ein Verspätungszuschlag in Höhe von50 Euro pro Monat bei pflichtigen Jahressteuererklärun-gen erhoben werden soll . Wenn wir das allen Ernstes soumsetzen, kann bei einem halben Jahr Verspätung – auswelchen Gründen auch immer – nach Adam Ries einVerspätungszuschlag in Höhe von 300 Euro entstehen .Für Steuerpflichtige, die beispielsweise nur eine gering-fügige oder gar keine Erstattung zu erwarten haben, isteine solche Konstellation absolut unverhältnismäßig . Beiallem Verständnis demnach für Sinn und Zweck einesVerspätungszuschlags: Hier müssen wir nach Ansicht derSPD-Fraktion dringend nachbessern .
Zweitens . Die Finanzbehörden sollen ermächtigt wer-den, bei der Entscheidung über Art und Umfang von Er-mittlung und Prüfung – es wurde schon genannt – Wirt-schaftlichkeits- und Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte zuberücksichtigen, um damit unvertretbaren Aufwand zuvermeiden . Das ist auch grundsätzlich okay; denn darauswird am Ende eine Effizienzsteigerung bei der Bearbei-tung erwachsen . Gleichwohl ist zurzeit jedoch überhauptnicht geklärt, wie präzise „wirtschaftlich und zweck-mäßig“ definiert ist und wo da Grenzen liegen. Deshalb brauchen wir an dieser Stelle die nötigen Angaben . Wirbrauchen mehr Transparenz, wir brauchen mehr Klarheit,um die Auswirkungen auf die steuerpflichtigen Bürgerin-nen und Bürger besser beurteilen zu können .Drittens . Vollständig Nutzen aus dem Modernisie-rungsgesetz wird sich erst dann ziehen lassen, wenn dieImplementierung der dafür benötigten Hard- und Soft-ware abgeschlossen ist . Dieses komplexe Verfahren soll2022 beendet sein . Je früher wir aber diesen Prozess um-setzen und einen reibungslosen Betrieb in den Bundes-ländern sicherstellen können, desto eher profitieren die Finanzverwaltungen und die Bürgerinnen und Bürgervon den angestrebten entlastenden und erleichterndenEffekten . Darum sollten wir an dieser Stelle – Bund undLänder zusammen – nach Möglichkeiten suchen, diesenProzess der Einführung der notwendigen IT zu beschleu-nigen und früher umzusetzen, als bisher geplant .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zumSchluss . Trotz unserer kritischen Punkte halte ich deneingebrachten Gesetzentwurf für ausgewogen und gut .Er beinhaltet nach meinem Dafürhalten zielführende Re-gelungen, um gute Voraussetzungen für eine Modernisie-rung des Besteuerungsverfahrens zu schaffen . Damit si-chern wir insgesamt nicht nur die Zukunftsfähigkeit, wirstärken damit in gleichem Maße die Serviceorientiertheitder Finanzverwaltung . Am Ende dieses Prozesses – da-von bin ich überzeugt – wird der deutsche Steuerzahlerprofitieren, der zusammengefasst bald wesentlich we-niger Aufwand damit haben wird, seinen steuerlichenPflichten nachzukommen.Mit diesem Anspruch, liebe Kolleginnen und Kolle-gen, lade ich Sie alle – natürlich auch Sie, Herr Pitterle –dazu ein, den vorgelegten guten Entwurf zur Moder-nisierung des Besteuerungsverfahrens gemeinsam imparlamentarischen Verfahren zu einem noch besseren zumachen .Vielen Dank .
Ganz herzlichen Dank . – Als nächste Rednerin spricht
Lisa Paus von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich teileausdrücklich alles Positive, was bisher über diesen Ge-setzentwurf gesagt wurde . Allerdings, es gibt ein sehrFrank Junge
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grundsätzliches Problem mit diesem Gesetzentwurf .Wird er so beschlossen, bedeutet das einen Wechsel wegvon der bisher geltenden Regel, dass legitimes Verwal-tungshandeln durch für jeden Fall gleiche Verfahren her-gestellt wird, hin zu einem Verfahren, in dem Verwaltungnach den Ergebnissen beurteilt wird – im Verhältnis zuden damit entstandenen Kosten oder auch – neudeutsch –zu seinem Output . Im Gesetz liest sich das dann wie folgt:Bei der Entscheidung über Art und Umfang derErmittlungen können … Wirtschaftlichkeit undZweckmäßigkeit berücksichtigt werden .Auch meine Vorredner hatten darauf an der einen oderanderen Stelle schon hingewiesen . – Und weiter:… Finanzbehörden können … automationsgestützteSysteme einsetzen … Dabei soll auch der Grundsatzder Wirtschaftlichkeit … berücksichtigt werden .Meine Damen und Herren, ich bin für stärkere Ergeb-nisorientierung – ganz klar –, nur: Wer Ja sagt zu Ergeb-nisorientierung, der muss auch Ja sagen zu Ergebniskon-trolle; denn sonst wird Willkür Tür und Tor geöffnet .
Jemand definiert ja, jemand muss entscheiden, was „wirt-schaftlich“ bedeutet . Und in einem Rechtsstaat mussdann diese Entscheidung nachvollziehbar und überprüf-bar sein . Ich bin überzeugt: Dieser Gesetzentwurf mussin dieser Hinsicht noch dringend überarbeitet werden .Bisher kann ja anhand der Akte und der Vermerke al-les nachvollzogen werden; aber dieser Gesetzentwurf er-laubt Risikomanagementsysteme, lässt jedoch die Frage:„Wer überprüft eigentlich zukünftig die Algorithmen derRisikomanagementsysteme, oder wie sind sie überhauptüberprüfbar“, bisher völlig unbeantwortet . Und das gehtnicht .
Das Einzige, was klar ist – das steht im Gesetzentwurf –,ist: Diese Risikomanagementsysteme dürfen nicht öf-fentlich werden . Damit wird aber genau dieses Verfahrenzur vollständigen Blackbox . Und das geht nicht, meineDamen und Herren .
Es braucht die Kontrolle . Deshalb müssen wir diesen Ge-setzentwurf noch ändern .Im Übrigen verweist das Gesetz an verschiedenenStellen auch auf Urteile des Bundesverfassungsgerichts .Deshalb teile ich in dieser Frage auch die sehr harscheKritik des Bundesrechnungshofes und auch die des Deut-schen Steuerberaterverbandes an der zu großen Unbe-stimmtheit des Begriffs „Wirtschaftlichkeit“ . Auch HerrJunge hat ja bereits darauf hingewiesen, dass es da Nach-besserungsbedarf gibt . Das stimmt .Ich glaube allerdings, dass es mit einer genauerenBegriffsbestimmung in dieser Frage nicht getan ist . Ichfinde, wir sollten uns als Parlamentarier noch einmal die Zeit nehmen, um zu überlegen, welche wirksamen Er-gebniskontrollmöglichkeiten wir neu einführen sollten .Das schließt parlamentarische Kontrolle explizit mit ein .
Wir wissen, dass seit der letzten Föderalismusreformzur Gewährleistung der Gleichmäßigkeit des Steuer-vollzuges eigentlich die Pflicht zur Verabschiedung von Zielvereinbarungen zwischen Bund und Ländern exis-tiert . Aber erstens sind diese Zielvereinbarungen für unsParlamentarier nicht zugänglich . Zweitens zeigte eineerste grobe Übersicht, dass es für die relevanten Berei-che, insbesondere bei den Betriebsprüfungen, mit vielenBundesländern bis heute immer noch keine gemeinsa-men Zielvereinbarungen gibt . Deswegen sage ich: Wirbrauchen in dieser Frage Mitspracherechte . Zumindestbrauchen wir als Parlamentarier Kontrollrechte .
Dieses Gesetz ist vollständig auf der Ebene der Exe-kutive, nämlich zwischen Bundesverwaltung und Län-derverwaltungen, entstanden . Dass die ihre Kontrollenicht automatisch mitdenken, ist nicht überraschend .Deswegen liegt es hier an uns, liebe Kolleginnen undKollegen im Deutschen Bundestag, dass wir das ändern .Dass es seit Längerem sogar dringenden Hand-lungsbedarf gibt, den gleichmäßigen Steuervollzug inDeutschland wiederherzustellen, haben wir Grüne schon2011 deutlich gemacht . Damals haben wir nämlich zu-sammengestellt, dass die Prüfungsquote von Einkom-mensmillionären in Deutschland zum Beispiel zwischen38,7 Prozent in Sachsen und gerade einmal 5 Prozent inder Millionärshauptstadt Hamburg schwankt und dasssich auch die Zahl der Betriebsprüfer in Deutschlandsehr stark unterscheidet, nämlich zum Beispiel zwischenBerlin mit acht Prüfern pro 1 Milliarde Euro Bruttoin-landsprodukt und Bayern mit lediglich vier Prüfern . Dasmuss besser werden und nicht schlechter . Daran müssenwir etwas ändern .
Wir Grüne fordern deswegen die Einführung einesBundesfinanzamtes für große Konzerne und Einkom-mensmillionäre . Aber auch wenn Sie diese Forderungnicht teilen, da noch nicht mitgehen können: Lassen Sieuns trotzdem gemeinsam daran arbeiten . Wir brauchenkonkrete, verbindliche, wirksame, nachvollziehbare undvor allen Dingen überprüfbare Zielvereinbarungen, auchvom Parlament, um hier etwas zu bewirken .Herzlichen Dank .
Ganz herzlichen Dank . – Als nächste Rednerin hatMargaret Horb von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .
Lisa Paus
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Machen wireine kleine Zeitreise ins Jahr 1919: Der Erste Weltkriegwar gerade zu Ende gegangen, auf den Straßen gab esmehr Pferdedroschken als Autos, und noch gab es längstnicht in allen Amtsstuben Telefon oder Schreibmaschine,aber es gab schon Finanzämter .Heute beginnen wir die grundlegendste Reform derAbgabenordnung seit 1977 . Und das ist dringend not-wendig; denn die Welt hat sich verändert. Demografi-scher Wandel, Digitalisierung und Globalisierung stellenauch unsere Finanzverwaltung vor neue Herausforderun-gen . In einer Welt, in der in Sekundenschnelle Milliardenvon Euro, Dollar und Yen transferiert werden, in einerWelt, in der die Steuersysteme verschiedener Ländergegeneinander ausgespielt werden, in einer Welt, in dersozusagen Millionen von Daten aus verschiedenen Steu-ersystemen zugeordnet und ausgewertet werden müssen,in dieser Welt muss auch unsere Finanzverwaltung tech-nisch auf der Höhe der Zeit sein . Die Finanzverwaltungdes 21 . Jahrhunderts wird eine digitale sein, oder sie wirdscheitern . Wir sorgen dafür, dass sie nicht scheitert . Wirsorgen dafür, dass sie funktioniert .
Die Abgabenordnung ist sozusagen der Werkzeug-kasten all derjenigen, die am Besteuerungsverfahren be-teiligt sind, also der Steuerzahler, der Finanzverwaltungund der steuerberatenden Berufe . Mit dem vorliegendenGesetzentwurf legen wir einige neue, modernere Werk-zeuge in diesen Werkzeugkasten hinein . Auf die Finanz-verwaltung übertragen heißt das zum Beispiel: Die Mil-lionen Steuerbescheide der Arbeitnehmer oder Rentnersollen künftig vollautomatisch erstellt werden können .Dass wir Effizienz und Wirtschaftlichkeit in den Blick nehmen, heißt aber nicht, dass wir Abstriche bei derRechtssicherheit, bei der Gleichmäßigkeit der Besteue-rung oder bei der Steuergerechtigkeit machen . Ganz imGegenteil: Die Finanzverwaltung soll sich auf die kom-plizierten, die komplexen Fälle und auf die Bekämpfungvon Steuerbetrug konzentrieren können .
Sie soll serviceorientierter, effizienter und schneller werden . Der Bund kann dazu neue Werkzeuge in diesenWerkzeugkasten hineinlegen . Aber er ist nicht derjeni-ge, der diese Werkzeuge benutzt . Die Personalhoheit inder Finanzverwaltung liegt aufseiten der Länder . Es gehtnicht darum, Finanzpersonal zu ersetzen, sondern es gehtdarum, Personal effektiver einzusetzen . Selbst die mo-dernsten Werkzeuge nützen nichts, wenn ein gut ausge-bildeter Handwerker fehlt, der diese bedienen kann . Undwir machen dieses Gesetz auch nicht allein für die Län-der und für die Finanzverwaltung . Ein Steuergesetz istdann ein gutes Steuergesetz, wenn es die Interessen allerberücksichtigt, die am Besteuerungsverfahren beteiligtsind .Fast die Hälfte aller Steuererklärungen wird nicht vonden Steuerpflichtigen selbst gemacht, sondern von den beratenden Berufen . Es geht gerade um diese komplexenFälle, die auf diese Weise vorstrukturiert und professi-onell aufbereitet bei der Finanzverwaltung eingehen .Wenn wir die Lohnsteuerhilfevereine und die Steuerbe-rater nicht hätten, dann könnten wir unsere Finanzämterdichtmachen . Das wird sich auch in der Gesetzesbera-tung widerspiegeln .Das Bundesfinanzministerium ist hier mit sehr gutem Beispiel vorangegangen . Länder, Kammern, Verbände,Gewerkschaft und Finanzrichter sind bei der Formulie-rung mit einbezogen worden . Das Modernisierungsge-setz ist im Dialog entstanden, und so sieht moderne Re-gierungsarbeit aus .Zuallererst sind es aber natürlich die Steuerzahlerselbst, die im Fokus unserer Arbeit stehen: die Bürgerin-nen und Bürger und die Unternehmen . Ein faires und eineinfaches Steuerrecht ist nicht nur eine Frage von Steu-ersätzen oder der Höhe von Pauschbeträgen, sondern esist auch eine Verfahrensfrage . Wir geben den Länderndie Werkzeuge in die Hand, Steuererklärungen künftigschneller zu bearbeiten . Daten, die von Versicherungen,Arbeitgebern und vielen mehr an die Finanzverwaltungübermittelt werden, sollen auch den Steuerpflichtigen zur Verfügung stehen .Die vorausgefüllte Steuererklärung werden wir weiterausbauen . Belege müssen künftig nur noch auf Anfrageeingereicht werden . Am Ende steht auch hier die elek-tronische Belegübermittlung . Das ist gut, das ist richtigund das ist wichtig . Aber das setzt voraus – das sage ichin aller Klarheit –, dass dafür die notwendige IT vorhan-den ist, dass sie schnell eingeführt wird und dass sie vorallem funktioniert . Die Länder müssen die Entwicklungder Steuer-IT mit stärkerem Tempo und mit größererEntschlossenheit vorantreiben . Es kann nicht sein – dagebe ich Kollegen Pitterle recht –, dass die Unterneh-men seit 2013 ihre Bilanzen detailliert aufgeschlüsseltelektronisch einreichen müssen, die Finanzverwaltungaber die Änderung nicht elektronisch zurückübermittelnkann . Die Unternehmen haben ein Recht auf diese Ab-weichungsanalyse .
Digitalisierung ist und darf keine Einbahnstraße sein .Als Bund können wir die Abgabenordnung anpassen, woes sinnvoll und notwendig ist . Aber die Länder sind fürden Steuervollzug zuständig . Wir, die CDU/CSU, wür-den gerne das Gesetzgebungsverfahren dazu nutzen, imBereich der Steuervereinfachung noch weiter voranzu-kommen . Wir haben der SPD eine Liste mit Vereinfa-chungsvorschlägen unterbreitet, die wir für finanzierbar und notwendig erachten . Wir sind koalitionsintern nochin den Beratungen . Trotzdem möchte ich zwei der Vor-schläge kurz vorstellen .Erstens . Wir wollen die verbindliche Auskunft als In-strument stärken . Deshalb wollen wir in der Abgabenord-nung festschreiben, dass über die Anträge auf Erteilungeiner verbindlichen Auskunft innerhalb von sechs Mo-naten entschieden werden soll . Die Unternehmen sollen
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damit schneller Rechtssicherheit und Planungssicherheiterhalten .Zweitens . Wir haben vorgeschlagen, den Vollverzin-sungssatz von derzeit 6 Prozent im Rahmen des haus-halterisch Machbaren befristet abzusenken . Klar ist aberauch: Wir brauchen dafür die Zustimmung unseres Koa-litionspartners und die der Länder .Auf eine Änderung wollen wir uns in der Koalitionverständigen . Der Gesetzentwurf der Bundesregierungsieht vor, dass es künftig vollautomatische Verspätungs-zuschläge geben soll . Wir wollen, dass es für Nullbe-scheide und Steuererstattungen bei der bestehenden Re-gelung bleibt . Auf dieser Linie wollen wir weitermachen .Ich freue mich auf die Gesetzesberatung mit dir, lieberFrank Junge, aber auch mit den Kollegen der Oppositi-on im Sinne und zum Wohle der Steuerzahlerinnen undSteuerzahler .Herzlichen Dank .
Ganz herzlichen Dank . – Lothar Binding von der
SPD-Fraktion hat als letzter Redner in dieser Debatte das
Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sehr verehrte Damen und Herren! Margaret Horb, beiallen guten Vorschlägen machen wir mit .
Antje Tillmann hat gestern Abend bei der Haarmann-Steuerkonferenz erklärt, dass eine Steuersen-kung um 1 Prozent – bezogen auf den von ihr genanntenSatz von 6 Prozent – 10 Milliarden Euro kostet .
Das ist schon ein besonderes Thema .Richard, du hast vorhin Fehler beschrieben . Die gra-vierenden Fehler müssen behoben werden; das ist ganzklar . Aber heute geht es um einen systemischen Wechsel .Jetzt kommt es darauf an, das richtige System zu finden. Eines will ich garantieren: Auch im neuen System wirdes Fehler geben . Es wird auch Pannen geben . Die Fra-ge ist, wie man damit umgeht . Wie fehlertolerant ist dasSystem? Du hast gesagt, allein das Ziel zu beschreiben,sei nicht genug; es komme darauf an, den Weg zu wis-sen . – Das stimmt; aber sich ohne Ziel auf den Weg zumachen, ist auch schlecht . Insofern sind wir heute aufeinem ganz guten Weg .
Es geht heute nicht um Steuervereinfachung . Es gehtauch nicht darum, dass die Steuern niedrig und gerechtsein sollen; das sind ja unsere Standardziele . Heute gehtes um einen Modernisierungsschub – das ist eine andereKategorie – durch die Einführung einer länderübergrei-fend einheitlichen IT . Es geht um Wirtschaftlichkeit undEffizienz, es geht um die Schnittstelle zwischen Finanz-amt und Bürger .Dabei geht es darum – das wurde schon gesagt –, dassman die Massenverfahren jemanden machen lässt, derdumm genug ist, das zu können, nämlich den Rechner .Man muss sich auf die prüfungswürdigen Fälle – da gehtes meistens um Menschen – konzentrieren; denn das,was prüfungswürdig ist, beschwert den Bürger mögli-cherweise besonders . Weil man durch das automatisierteVerfahren Zeit gewinnt, kann man sich verstärkt darumkümmern . Dadurch wird die Veranlagung zielgenauerund gerechter . Möglicherweise wird dadurch auch diePrüfdichte in verschiedenen Ländern erhöht, die gedachthaben, sie könnten mit der Frage des Personals so oderso umgehen . Ich glaube, dass da eine gewisse Gleichmä-ßigkeit erreichbar ist .Aus Sicht der Bürger wird der Service besser . Wirerwarten mehr digitale Auskünfte . Es gibt eine elektro-nische Erklärung, elektronische Belege, elektronischeMeldungen von Dritten – Rentenversicherung, Sozial-versicherungen, Zuwendungen, steuererhebliche Mel-dungen, und das alles automatisch . Das klingt gut, und esist auch gut, wenn es so kommt .Lisa Paus hat vorhin einen kritischen Punkt angespro-chen – den sehen wir auch –: Wird eigentlich der Amts-ermittlungsgrundsatz im Spannungsfeld von Wirtschaft-lichkeit und Rechtmäßigkeit bei der Entwicklung desautomatischen Onlinesystems ordentlich berücksichtigt?Das ist sicherlich eine Sache, über die wir noch sprechenmüssen . Du hast von einem Kontrollerfordernis gespro-chen . Das sehen wir auch . Wir sind da noch nicht ganzam Ende, aber, wie gesagt, auf einem guten Weg .Wir wissen auch noch nicht genau, wie das mit demRisikomanagement funktionieren soll und was man ei-gentlich weglassen soll . Sollen wir zum Beispiel dieSteuererklärungen von Leuten mit hohem Einkommennicht mehr prüfen, weil diese Leute sowieso ehrlich sind?Oder sollen wir viele Steuererklärungen von Leuten mitkleinem Einkommen nicht mehr prüfen, weil es sowiesounerheblich ist? Wir müssen noch ein bisschen über dasRisikomanagement nachdenken .Eine Sache vermissen wir noch im Gesetz, allerdingsverständlicherweise, nämlich den Aspekt der Datenho-heit, der Hoheit über die Daten des Steuerpflichtigen. Mit der Ausweitung der Nutzung von Kommunikations-technik und Datenverarbeitung müsste eigentlich aucheine Erweiterung der bereichsspezifischen Regelungen zum Datenschutz und zur Datensicherheit einhergehen .Das fehlt jetzt hier . Allerdings gilt das allgemeine Daten-schutzrecht ja trotzdem . Wir wissen aber, warum dieserAspekt fehlt: weil die Datenschutz-Grundverordnung inEuropa noch nicht so weit ist . Wir wissen: Wenn wir dajetzt etwas regeln, dann müssen wir die entsprechendeRegelung bald an die Datenschutz-Grundverordnunganpassen . Wir hätten dann zwei Regelungen, die sichmöglicherweise widersprechen . Das bedeutet unnötigeMargaret Horb
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 159 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 26 . Februar 2016 15721
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Arbeit . Also warten wir, bis die Verantwortlichen aufeuropäischer Ebene damit fertig sind, und passen dieRegelungen dann an . Das allgemeine Datenschutzrechtgilt aber . Insofern ist die Lücke erträglich, wenn man aufeuropäischer Ebene hinreichend schnell arbeitet und sienur kurze Zeit besteht .Ich habe mir überlegt: Es gibt einen Notanker für ei-nen Steuerbürger, der meint: Ich muss unbedingt an derBearbeitung meiner Steuererklärung durch den Rechnervorbeikommen und die Aufmerksamkeit eines Menschenwecken, der sich meine Steuererklärung genauer an-schauen soll . – Für diesen Fall gibt es ja das Freitextfeld .Wenn man etwas in das Freitextfeld schreibt – das klingtsehr technisch, aber immerhin ist das eine Möglichkeit –,dann erzwingt man damit, dass sich ein Mensch um dieSteuererklärung kümmert. Ich finde, das ist ein ganz gu-ter Notanker für den Bürger, der sagt: Ich will mich dochnicht nur vom Rechner veranlagen lassen .Um es zusammenzufassen: Insgesamt haben wir einegute Diskussionsgrundlage geschaffen, mit der wir sehrschön weiterarbeiten können . – Frau Präsidentin zeigtgerade an, dass ich mit meiner Redezeit schon 43 Sekun-den im Minus bin .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Liebe Kolleginnen und Kollegen, da-
mit schließe ich die Debatte .
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/7457 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es
anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall . Dann
ist die Überweisung so beschlossen .
Ich rufe Tagesordnungspunkt 23 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten
Dr . Julia Verlinden, Annalena Baerbock, Peter
Meiwald, weiteren Abgeordneten und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrach-
ten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Bundesberggesetzes zur Untersagung der Fra-
cking-Technik
Drucksache 18/7551
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre
dazu keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen,
und ich kann die Aussprache eröffnen, was ich hiermit
auch tue .
Als erste Rednerin hat Julia Verlinden von der Frakti-
on Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Letzten Mai stand hier Umweltmi-nisterin Hendricks und hat den Gesetzentwurf der Bun-desregierung vorgestellt . Das war ein Fracking-Erlaub-nis-Paket . Aber die Menschen wollen ein Verbot vonFracking .
Ministerin Hendricks sagte damals – das können Sieim Protokoll nachlesen –, das Parlament könne das Ge-setz ja auch noch ändern, und zwar gerne in Richtungweiterer Verschärfungen . Die Vertreter der Bundesländerim Bundesrat sahen auch noch ganz erheblichen Ände-rungsbedarf und wir Grüne auch .
Auch die Experten in den Anhörungen sahen noch zahl-reiche Probleme beim Gesetz der Bundesregierung . Sieempfahlen uns Parlamentariern, dringend nachzubessern .Wir Grüne haben nach der Anhörung in den Ausschüs-sen unsere Hausaufgaben gemacht . Wir haben in unserenAnträgen deutlich gemacht, welche Defizite wir beim Regierungsentwurf sehen . Und wir haben klargemacht:Wir Grüne wollen, dass Fracking verboten wird, und wirwollen, dass neue Regeln auch die Erdgas- und Erdölför-derung ohne Fracking sicherer und transparenter machen .
Und was ist seitdem bei Union und SPD passiert?Nichts! Zumindest haben Sie nicht weiter daran gearbei-tet, dass wir bald über ein Gesetz abstimmen können, dasdem Wunsch der Mehrheit der Bevölkerung entspricht;denn mehr als zwei Drittel der Menschen wollen laut ei-ner repräsentativen Umfrage ein Fracking-Verbot, unddas zu Recht .
Diese Menschen sind in bester Gesellschaft . Auch Ge-werkschaften, Kirchen und Wirtschaftsverbände kritisie-ren Fracking . Tausende Kommunen haben Resolutionengegen Fracking verabschiedet .Ich kenne eigentlich nur eine Einzige, die Frackingwirklich will, und das ist die Erdgasindustrie . Doch zuwelchem Preis? Die Erdgasindustrie will es am liebstenso machen, wie es leider lange Tradition in der Energie-wirtschaft war: die Gewinne privatisieren und die Risi-ken und Folgekosten der gesellschaftlichen Allgemein-heit überlassen . Das ist ungerecht .
So wie beim Atommüll: Jahrzehntelang fahren die Ener-giekonzerne Gewinne ein und schütten hohe Dividendenaus, und jetzt wollen sie am liebsten nichts mehr damitzu tun haben . Oder bei der Braunkohle: den Menschendie Heimat wegbaggern und das Klima auf Kosten derLothar Binding
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Zukunft kaputtmachen und dann auch noch die Handaufhalten und Geld dafür haben wollen, dass sie damitaufhören . Das ist doch verrückt!
Ständig lesen wir neue Hiobsbotschaften, die auf Risi-ken für Umwelt und Gesundheit bei der Fracking-Tech-nik und Erdgasförderung hinweisen, und das nicht nur inden USA, wo massiv gefrackt wird . Dort kam es letzteWoche im Fracking-Bundesstaat Oklahoma zu einemder stärksten Erdbeben überhaupt in der Region . DiesesErdbeben steht unter dringendem Verdacht, von Frackingverursacht worden zu sein .
Aber wir müssen gar nicht so weit gucken . Auch hierin Deutschland gibt es am laufenden Band Meldungenüber mögliche schädliche Folgen der Erdgasförderung .Auch rund um Förderstätten, insbesondere in Nieder-sachsen, gibt es regelmäßig neue Erdbeben, wie etwaletzte Woche im Heidekreis . Die Liste der Gegenden, indenen Erdöl- und Erdgas gefördert werden und signifi-kant erhöhte Krebsraten bei Kindern und Erwachsenengemeldet werden, wird immer länger . Hinzu kommt derhohe Wasser- und Flächenverbrauch beim Fracking unddie ungeklärte Frage der Entsorgung giftiger Abwässer .Zu Recht sind die betroffenen Bürgerinnen und Bürgerbesorgt, und sie erwarten, dass Sie als Regierungsfrakti-onen endlich handeln .
Erdgas ist kein sauberer und klimafreundlicher fossilerBrennstoff, wie es manche Befürworter gerne behaupten;denn bei der Erdgasförderung und beim Transport ent-weicht regelmäßig unkontrolliert Methan, und Methan istklimaschädlicher als CO2 – nicht nur ein bisschen schäd-licher, sondern 20-mal mehr als CO2Ich will Generationengerechtigkeit . Ich will, dass die-jenigen zahlen, die Schäden verursacht haben . Ich will,dass die Politik nach dem Vorsorgeprinzip Entscheidun-gen trifft, dass Alternativen gewählt werden, die die Ri-siken minimieren .
Von diesen besseren Alternativen haben wir in der Ener-giepolitik zahlreiche .Die internationale Gemeinschaft hat im Dezember inParis beschlossen, dass wir rauswollen aus den fossilenEnergieträgern: Weg vom Öl! Raus aus der Kohle! Undwenn wir sagen „Dekarbonisierung“, dann heißt das na-türlich auch: perspektivisch ein Ausstieg aus der Erdgas-nutzung; denn wir können für Strom, Wärme und Mo-bilität auf erneuerbare Energien umsteigen und Energieeffizienter einsetzen.Das geht nicht von heute auf morgen; klar . Aber wennwir jetzt schon wissen, dass wir mindestens zwei Drittelder fossilen Rohstoffe eben nicht verbrennen dürfen, dassdiese Menge unter der Erde bleiben muss, wenn wir dasKlima retten wollen – ja, warum sollen wir denn dannnoch die letzten Reste Erdgas aus dem Boden fracken?Das macht doch überhaupt keinen Sinn .
Es wäre ein fatales Signal, wenn Deutschland nachParis wieder einen Schritt rückwärts macht, anstatt aufdie Zukunft zu setzen . Die Zukunft heißt: zuverlässigeund umweltfreundliche Energie . Jetzt heißt es, Alterna-tiven für unsere Energieversorgung voranzutreiben undInvestitionen entsprechend zu lenken: in Richtung Ener-giesparen, Energieeffizienz, erneuerbare Energien, auch im Wärmemarkt .
Fracking widerspricht dem Klimaschutz . Es wider-spricht einer klugen Energiepolitik, weil es das fossileZeitalter verlängert .
Deswegen sollte die Politik endlich Rechtssicherheitschaffen, und Rechtssicherheit bedeutet: Fracking ver-bieten .In ihren Wahlkreisen haben im letzten Jahr viele Ab-geordnete Besuch bekommen . Viele Abgeordnete habenauf öffentlichen Veranstaltungen oder in der Zeitung er-zählt, dass sie ja irgendwie auch ziemlich gegen Frackingseien . Aber warum machen Sie dann nicht endlich einrichtiges Gesetz, das Fracking verbietet? Sie haben dochdie Mehrheit im Parlament und stellen die Regierung .Das heißt, es ist Ihre Verantwortung .
Es ist doch keine Lösung, wenn Sie den Kopf in den Sandstecken und hoffen, dass diese Legislaturperiode schnellvorbeigeht .Dabei geht es ganz einfach: Sie schreiben ein Fra-cking-Verbot in einen neuen § 49 a des Bundesbergge-setzes . Das präsentieren wir Grünen Ihnen hier heute inunserem Gesetzentwurf noch mal auf dem Silbertablett .Wir werden das in den Ausschüssen beraten, und bei derAbstimmung in ein paar Wochen erwarte ich, dass SieErnst machen mit dem, was Sie zu Hause in den Wahl-kreisen erzählen . Stimmen Sie unserem Fracking-Verbotzu!
Als nächste Rednerin spricht Herlind Gundelach von
der CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich freue mich, dass wir heute wieder einmal über Fra-cking sprechen; denn seit nunmehr fünf Jahren wurdeDr. Julia Verlinden
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in Deutschland kein Antrag auf konventionelle Gasför-derung mit Anwendung der Fracking-Technologie mehrbeschieden .Die Gasförderung in unserem Land geht kontinuier-lich zurück, und ganze angegliederte Wirtschaftszweigefallen in Deutschland weg . Dadurch verlieren wir Ar-beitsplätze in ganz erheblichem Umfang, und qualifi-zierte Fachkräfte wandern ab . Solche Prozesse können ineiner Marktwirtschaft zwar unvermeidlich sein, aber siesind es nur, wenn ein Produkt nicht mehr konkurrenzfä-hig ist, und das ist hier ganz entschieden nicht der Fall .Es gibt in der Bevölkerung Bedenken zur Fra-cking-Technologie – das haben Sie sehr richtig erkannt,Frau Verlinden –,
und die nehmen wir auch sehr ernst . Wir haben daher indieser Legislaturperiode an einem Gesetz gearbeitet, daseinen neuen ordnungsrechtlichen Rahmen für eine Tech-nologie schafft, die wir 50 Jahre ohne größere Zwischen-fälle angewendet haben . Zwischen 1961 und 2011 fandennämlich rund 300 Fracks im Rahmen der konventionel-len Förderung statt .Bei unserem Gesetzentwurf – genauso haben wir esim Koalitionsvertrag festgehalten – stehen der Schutz desMenschen und seiner Gesundheit sowie die Belange derUmwelt im Vordergrund .
Wir – das unterscheidet uns ganz massiv von Ihnen –wollen einen Gesetzesrahmen, in dem wir Erdgas inDeutschland unter ökologisch verantwortbaren und wirt-schaftlich vertretbaren Voraussetzungen fördern können .Wir wollen auch international einen Beitrag leisten, in-dem wir zeigen, dass die Förderung von Rohstoffen auchunter strengen Umweltauflagen wirtschaftlich ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, wir sinduns einigermaßen einig – zumindest die meisten unteruns –, dass wir bis 2050 in diesem Land nicht ohne fos-sile Brennstoffe auskommen werden . Anders lautendeAussagen sind meines Erachtens Wunschvorstellungen .
– Da täuschen Sie sich . Das müssen Sie etwas genauerlesen .
Unter Umständen können wir vielleicht in nicht allzuweiter Ferne Strom ohne fossile Energieträger herstel-len, was aber immer noch nicht heißt, dass das für einIndustrieland wie Deutschland ausreichend ist; denn wirbrauchen verlässlich 365 Tage im Jahr und 24 Stundenam Tag Strom . Solange wir nicht ausreichend Speicher-möglichkeiten haben, könnten wir zwar rechnerisch aus-reichend Strom produzieren, aber deswegen noch langenicht die Versorgung sicherstellen .
Laut der Energieeffizienzstrategie Gebäude, die wir am Mittwoch im Ausschuss behandelt haben, gibt esin Deutschland derzeit 21,3 Millionen Wärmeerzeuger .Davon werden gut 10,5 Millionen mit Gas befeuert . Dasbedeutet, dass immer noch die Hälfte aller Heizungenin Deutschland gasbasiert ist . Ein großes Problem imWärmebereich ist, dass Alternativen wie Biomasse, Geo-thermie, Solarthermie und Photovoltaik nicht für jedesGebäude umsetzbar sind bzw . die Umsetzung mit großenKosten verbunden ist . Bei Gebäuden mit klassischen Ra-diatorheizungen zum Beispiel sind Wärmepumpen weni-ger effizient als in Gebäuden mit Flächenheizungen. Bei der Solarthermie gibt es durch die Größe und Ausrich-tung der Dachflächen Hemmnisse. Solarthermieanlagen sind übrigens eine ausgeprägte Konkurrenz für Photo-voltaikanlagen, die nicht zur Wärmegewinnung genutztwerden können . Bei der Geothermie haben wir zum Teildasselbe Problem wie beim Erdgas: Auch hier muss ge-frackt werden .Jetzt werden viele von den Kolleginnen und Kolle-gen der Grünen sagen: Wir müssen mit Zwang auf dieNutzung von erneuerbaren Energien im Bereich Wärmeumrüsten – siehe Ihr zuletzt vorgelegter Gesetzentwurf –,kostet es, was es wolle .
Wenn ich einen ersten Blick in die Unterlagen für denKlimaschutzplan 2050 werfe, der von Ihnen nahestehen-den Einrichtungen entworfen wurde, denke ich, dass dasgenau der von Ihnen präferierte Weg ist .Ich sagte soeben, dass wir in Deutschland immer nochsehr viele Gasheizungen haben . In den letzten Jahrenwurden circa 600 000 bis 700 000 entsprechende Wär-meerzeuger pro Jahr installiert . Im Neubaubereich istGas – auch das müssen wir zur Kenntnis nehmen – nochimmer der bedeutendste Energieträger .
– Davon habe ich durchaus schon gehört, ja . Eine solcheAnlage werde ich übermorgen wieder besuchen .
Wenn wir in Deutschland kein Erdgas mehr fördern,können wir nur importieren . Wir machen uns dann gänz-lich von ausländischen Lieferanten abhängig, die gege-benenfalls unter schlechten ökologischen und übrigensauch schlechten arbeitsrechtlichen Bedingungen fördern .Dass es unter Umständen auch aus außenpolitischer SichtVorbehalte und Probleme mit der innerstaatlichen De-mokratie in diesen Förderländern geben kann, will ichin diesem Zusammenhang nur kurz ansprechen und garnicht weiter ausführen .Dr. Herlind Gundelach
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Ein Verbot hätte daher aus meiner Sicht mindestenszur Folge, dass wir kein eigenes Gas für die Verstromunghätten, obwohl Gas unter den grundlastfähigen Energie-trägern noch immer die beste CO2-Bilanz hat . Wir müss-ten für die Hälfte der Heizungen in Deutschland Erdgasaus dem Ausland importieren . Wir würden einem ganzenWirtschaftszweig die Arbeit verbieten, und das, nachdemer über 50 Jahre in Deutschland eine gute Arbeit geleistethat . Wir würden indirekt schlechte Arbeitsbedingungenund eine unter ökologischen Aspekten auch nicht nach-haltige Förderung im Ausland unterstützen . Ich weisezum Beispiel auf die Leckagen im Rahmen der Öl- undGasförderung in Russland hin .
– Aber dort ganz besonders . – Experten sagen, dass beibis zu 10 Prozent der Förderungen das von Ihnen zuRecht kritisierte Methan in großen Mengen in die Luftentweicht . Wir könnten sagen: Das berührt uns nicht; dasist ja nicht unsere CO2-Bilanz .
Ich nenne ein solches Verhalten absolut pharisäerhaft .
Wie gesagt, das alles wollen wir uns leisten, obwohl Erd-gas in Deutschland unter marktwirtschaftlichen Aspektenkonkurrenzfähig ist .Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion nehmen die Sorgen der Bürge-rinnen und Bürger bezüglich der Fracking-Technologiesehr ernst .
Es gibt aber nur wenige Themen, die politisch und emo-tional derart aufgeladen sind – das merkt man auch anIhren Reaktionen –, dass eine sachliche Diskussion kaumnoch möglich ist . Das Produkt Erdgas ist unter strengenAuflagen in Deutschland förderbar und auch konkurrenz-fähig . Deshalb wäre es nach unserer Auffassung falsch,Fracking zu verbieten .Ich werbe daher für einen guten gesetzlichen Rahmenmit sinnvollen Regelungen .
– Dazu hören Sie gleich noch etwas . – Daher haben wirin unserem Vorschlag nach intensiven Beratungen, auchmit durchaus kritischen Geistern in unseren eigenen Rei-hen, wie Sie wissen, festgelegt, dass zum Beispiel nurnoch solche Frackfluide zugelassen werden – sie beste-hen heute ohnedies schon zu fast 97 Prozent nur noch ausWasser und Sand –, die die Wassergefährdungsklasse 1haben . Die meisten Shampoos, mit denen wir uns täglichdie Haare waschen, sind schon in Wassergefährdungs-klasse 2 . Die Gefährlichkeit ist aus meiner Sicht alsoüberschaubar .Ferner wollen wir die Pflichten im Rahmen der Um-weltverträglichkeitsprüfungen massiv ausweiten, so-dass beispielsweise schon vor der Aufsuchung – alsobeim allerersten Schritt, noch vor der Förderung – eineUVP-Prüfung durchgeführt werden muss . So würde dergesamte Prozess der Förderung überwacht . Zu den was-serrechtlichen Implikationen wird, denke ich, der Kolle-ge Möring nachher sicher noch Stellung nehmen .Deutschland ist in den Augen vieler unserer Nach-barn – auch das möchte ich betonen – inzwischen einLand geworden, das offensichtlich Innovationen scheutund überall nur noch unbeherrschbare Risiken sieht .
Das, meine Damen und Herren, ist aber nicht der Geist,mit dem unser Land großgeworden ist, und das ist mitSicherheit auch nicht der Geist, mit dem wir unsere Spit-zenstellung als Industrieland in der Welt halten können .Deshalb trete ich nach wie vor für die Anwendung inno-vativer Techniken in Deutschland ein .
Dazu gehört für mich auch Fracking,
und zwar – das betone ich noch einmal – unter strengenUmweltauflagen.
Gestatten Sie mir zum Schluss noch eine Bemerkung .Der Zeitpunkt, zu dem Sie Ihren Gesetzentwurf vorle-gen, riecht ein bisschen arg nach Wahlkampf . Uns in derKoalition ist aber an einer sachlichen Diskussion und anguten, praktikablen Lösungen gelegen .
– Den bekommen Sie . Sie müssen nur noch ein bisschenwarten .Danke .
Vielen Dank . – Als nächster Redner hat HubertusZdebel von der Fraktion Die Linke das Wort .
Dr. Herlind Gundelach
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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!Fracking ist eine unbeherrschbare Risikotechnik .
Diese Gasfördermethode ist eine Gefahr für Mensch undNatur . Grundwasserverseuchungen, Erdbeben wie inNiedersachsen, Mondlandschaften, wie sie sich in denUSA besichtigen lassen, eine miserable Klimabilanz undeine ungelöste Entsorgungsproblematik sind die Folgen .Der Einsatz der Fracking-Technik ist nicht zu verantwor-ten .
Die Fraktion Die Linke hat daher bereits im Mai letz-ten Jahres einen Antrag eingebracht, mit dem sie dieBundesregierung aufgefordert hat, einen Gesetzentwurffür ein Fracking-Verbot ohne Ausnahmen vorzulegen .Wir begrüßen es, dass die Grünen nun ebenfalls auf diePosition der Anti-Fracking-Bewegung einschwenken
und sich dieses Thema zu eigen machen .
Allerdings muss sich auch das Verhalten der Bundes-länder mit grüner Regierungsbeteiligung ändern; das willich zumindest kurz andeuten . Ein Landesentwicklungs-plan, der, wie in NRW, die Tür für Fracking weit offenlässt,
zum Beispiel für Erdöl-Fracking, oder das Abtauchendes niedersächsischen Umweltministers Wenzel in derFracking-Frage – die Vorgänge in Niedersachsen sind jagerade angesprochen worden – stehen im Widerspruchzu dem heute vorliegenden Gesetzentwurf . Da muss sichauch in den Ländern sicherlich noch das eine oder andereändern .
Aber die Große Koalition beharrt offensichtlich sturauf ihrem Fracking-freundlichen Kurs . Insbesondere dieCDU will eine neue Bombe in Sachen fossiler Energie-gewinnung zünden . Nach Berichten der Bürgerinitia-tiven gegen Fracking wollen SPD und CDU/CSU nachden Landtagswahlen im März einen neuen Anlauf für einPro-Fracking-Gesetz nehmen . Die Mitte letzten Jahresgescheiterten Verhandlungen sollen so wiederbelebt wer-den . Damit gibt die Regierungskoalition den Interessenvon Lobbygruppen wie dem Wirtschaftsverband Erdöl-und Erdgasgewinnung, WEG, nach . Der WEG hat in sei-ner Pressemitteilung vom vergangenen Dienstag die Ver-abschiedung des Regelungspakets zu Fracking gefordert .Dadurch ist auch die Legende von UmweltministerinHendricks geplatzt, das geplante Fracking-Recht würdeFracking verhindern . Das Gegenteil ist der Fall: Die Gas-und Öllobby benötigt die Rechtsänderungen, um mit demgefährlichen Gasbohren beginnen zu können . Nicht an-ders ist die Lage .Doch es gibt zwingende Gründe, den Vorhaben derKonzerne einen Riegel vorzuschieben . So hat die Bun-desanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, BGR,im Januar ihre überarbeitete Potenzialstudie vorgelegt .Darin musste sie zugeben, dass Erdbeben durch Frackingin geologischen Störungszonen im Vergleich zu anderengeologischen Formationen deutlich stärker sein können .Kleine Störungszonen können aber in der Regel nichtim Vorfeld ermittelt werden . Damit wird erneut deut-lich: Fracking ist gerade hinsichtlich der Erdbebengefahrnicht beherrschbar .
Der Bundesverband Erneuerbare Energie hat geradezu den aktuellen Szenarien der deutschen Energieversor-gung eine Kurzstudie vorgelegt . Ihr Ergebnis: Deutsch-land wird seine selbstgesteckten Klimaschutzziele bis2020 deutlich verfehlen . Statt einer Reduktion der Treib-hausgase um 40 Prozent werden nur 32 Prozent erreichtwerden . Auch vor diesem Hintergrund auf den fossilenEnergieträger gefracktes Gas zu setzen, ist verantwor-tungslos;
denn es kommt dabei zu relevanten Emissionen vonTreibhausgasen . In diesem Zusammenhang sei nur dasMethangas erwähnt .Gerade nach Paris muss aber gelten: Statt die Kli-makrise zu verschärfen, muss der Ausbau der erneuer-baren Energien forciert werden . Die BGR hat ferner dasSchiefergaspotenzial in Deutschland deutlich nach untenkorrigieren müssen . Im Vergleich zur Potenzialstudie ausdem Jahr 2012 wurden die Gasmengen in der Tiefe zwi-schen 1 000 Metern und 5 000 Metern auf etwa die Hälftereduziert . Gefracktes Gas hat damit – im Gegensatz zuden Behauptungen von Frau Gundelach – bezüglich derEnergieversorgung keine Bedeutung .Lassen Sie mich daraus die Konsequenz ziehen: Esgibt lediglich ein betriebswirtschaftliches Interesse derGasindustrie an Fracking, aber kein gesellschaftliches .Auch wegen der katastrophalen Klimabilanz hat Fra-cking nichts mit einer nachhaltigen Energieversorgungzu tun . Fracking ist ein Roll-back zu fossilen Brennstof-fen . Wir fordern stattdessen eine Energiepolitik, die denWeg für erneuerbare Energien ebnet .
Die Linke ruft daher dazu auf, sich in den nächsten Wo-chen an den Aktionen der Antifracking-Initiativen zu be-
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teiligen . Die Bürgerinnen und Bürger fordern wie wir einFracking-Verbot ohne Ausnahmen .
Vielen Dank . – Als nächster Redner spricht Bernd
Westphal von der SPD-Fraktion .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine lieben Kollegen von den Grünen, Siekritisieren in Ihrem Gesetzentwurf, dass in diesem Par-lament über die von der Bundesregierung vorgelegtenGesetzentwürfe – es sind übrigens zwei – zum Frackingnoch keine Entscheidung getroffen wurde . Ich kann dazunur sagen: Es gibt Themen, bei denen man sich die De-tails genau anschauen muss .
Es sind ja eben von meinen Vorgängern durchaus Risikenskizziert worden, die man im Rahmen einer verantwor-tungsvollen Politik beobachten muss . Nur – wie in IhremGesetzentwurf gefordert – platt abzulehnen, ist nicht derAnspruch verantwortungsvoller Politik der SPD .
Die Bundesregierung hat, wie ich finde, ein sehr gutes Regelwerk vorgelegt, mit dem die Anforderungen an daskonventionelle Fracking deutlich verschärft werden . Essollen Regelungen geschaffen werden, nach denen dasunkonventionelle Fracking erforscht werden soll .
– Nein, das ist es eben nicht .
– Das ist genau das, Frau Verlinden, was Sie nicht ver-stehen .Oberstes Ziel ist und bleibt es, eben genau die höchs-ten Standards zu setzen, um Trinkwasser, Umwelt, Tiereund Menschen zu schützen . Deshalb ist das genau dieÜberschrift, die über diesem Gesetzentwurf steht . Unddarum ist das auch ein Punkt, über den wir weiter disku-tieren werden .Wir sprechen uns aber auch – und da unterscheiden wiruns von den Grünen – für eine technologische Weiterent-wicklung und Forschung aus . Wir wollen erforschen, obunkonventionelles Fracking irgendwann überhaupt eineOption sein kann .
Dies wollen wir aber nur unter weltweit strengsten Rah-menbedingungen machen . Deshalb sind die Beispiele ausdem Ausland, die immer angeführt werden, auch nichttragfähig .Ich erzähle Ihnen auch kein Geheimnis, wenn ich Ih-nen sage, dass wir als SPD in der Feinabstimmung dieDetails sehr verantwortungsvoll mit unserem Koalitions-partner diskutieren . Deshalb kann das ruhig ein bisschenlänger dauern .Bitte hören Sie auch damit auf, in der Debatte zu be-haupten, dass Erdgas- und Erdölförderung den Ausbauerneuerbarer Energien behindern . Genau das Gegenteilist der Fall . Wir brauchen für die Brücke in das Erneuer-bare-Energien-Zeitalter genau diese umweltfreundlichenEnergieträger wie Erdgas, damit die Energiewende ge-lingt . Außerdem ist Erdgas auch für die chemische Indus-trie ein wichtiger Rohstoff .
Es liegen diverse Gutachten vor – einige sind hiereben schon zitiert worden –, die sich mit dem Thema Fra-cking beschäftigen . Keines der Gutachten – auch nichtdie beiden vom Umweltbundesamt – kommt zu dem Er-gebnis, dass wir Fracking verbieten sollten . Jedes dieserGutachten kommt zu der Überzeugung, dass es sicherlichRisiken gibt, die aber nach heutigen Erkenntnissen be-herrschbar sind .
Das gilt auch für die aktuelle Studie der Bundesanstaltfür Geowissenschaften und Rohstoffe aus Hannover, derBGR, die mein Vorredner eben einige Male zitiert hat .Ich zitiere:Es erscheint angebracht, dass in einem ersten SchrittPilotprojekte durchgeführt werden . Dadurch könnenUnternehmen und Wissenschaft genauere Aussagenzu den Vorkommen und zur Wirtschaftlichkeit ei-ner möglichen Förderung treffen . Gleichzeitig kannFragen zur Umweltverträglichkeit nachgegangenund Wissen über den Aufbau und Zustand des geo-logischen Untergrunds vermittelt werden .Und weiter kommt die BGR zu dem Schluss: Ausgeowissenschaftlicher Sicht kann daher grundsätzlich,unter Einhaltung der gesetzlichen Regelungen und dererforderlichen technischen Standards, der Einsatz derFracking-Technologie kontrolliert und sicher erfolgen . –Das ist eine Aussage im BGR-Gutachten, die Sie, glau-be ich, überlesen haben . Ich empfehle Ihnen das einfachnoch einmal zur Lektüre .Ja, Technologie im Allgemeinen birgt immer Risi-ken, aber wir werden bei der Fracking-Technologie, diein Niedersachsen im konventionellen Bereich übrigensschon seit den 60er-Jahren angewandt wird, sicherlichauch eine Weiterentwicklung haben . Auch im unkonven-Hubertus Zdebel
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tionellen Bereich geht es nicht um Fracking um jedenPreis, sondern ganz im Gegenteil: Wir wollen strengeAuflagen und größtmögliche Transparenz, und wir wer-den jetzt Probebohrungen, die durch eine Expertenkom-mission begleitet werden, auf den Weg bringen . Erst aufder Grundlage der Ergebnisse dieser Probebohrungenkann dann eine Entscheidung für oder gegen eine kom-merzielle Anwendung dieser Technologie gefällt werden .Diese Offenheit gegenüber der Wirtschaft, der Um-welt und auch der sozialen Verantwortung unterscheidetuns von den Grünen, und deshalb lehnen wir Ihren Ge-setzentwurf ab .Herzlichen Dank und Glück auf!
Vielen Dank . – Als nächster Redner spricht Karsten
Möring von der CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Frau Verlinden, ich verstehe nicht, weshalb Sie es sobemängeln, dass wir noch keinen Gesetzentwurf verab-schiedet haben, obwohl Sie doch genau wissen, dass wiraufgrund von Vereinbarungen mit den Unternehmen, diefördern, und aufgrund von Vereinbarungen mit den ver-schiedenen Landesregierungen de facto seit Jahren nichtfracken .
Noch viel mehr wundert mich Folgendes: Sie habenvorhin sehr ausführlich dargelegt, welche schrecklichenEreignisse es in der jüngeren Vergangenheit – sprich: inden letzten ein, zwei Jahren – alles gegeben hat, die aufdas Fracking zurückzuführen sind . Da frage ich mich:Wie geht das? Seit Jahren wird nicht gefrackt,
aber aktuell soll es lauter Probleme geben, die durch dasFracken zustande gekommen sind .
– Nein . Liebe Frau Verlinden, es geht um etwas ganzanderes . Mit diesem Gesetzentwurf betreiben Sie, um eseinmal deutlich zu sagen, absoluten Etikettenschwindel,
und zwar ganz einfach aus folgendem Grund: Sie sagen,Sie folgen den Hauptempfehlungen der Ausschüsse desBundesrates, und die verlangen ein Fracking-Verbot .
Der Bundesrat verlangt das aber gar nicht . Er hat dif-ferenziert Stellung genommen und gesagt, welche Ver-besserungen er sich vorstellen kann . Das werden wir zueinem erheblichen Teil auch berücksichtigen und in denGesetzentwurf schreiben .
Wir werden aber kein Verbot regeln .
Sie haben dann gesagt, es gebe sehr viele Fragen, diebeantwortet werden müssen . Und dann schaffen Sie mitdrei wenigen Zeilen alle Probleme aus der Welt!Schauen wir uns das doch einmal genauer an:Erster Punkt . Sie sagen, Sie wollen kein Frackenzur Förderung von Kohlenwasserstoffen, weil Frackenschlimm ist . Fracken für Geothermie kommt bei Ihnenaber nicht vor . Es gibt also gutes und schlechtes Fracken .Das scheint mir nicht besonders konsequent zu sein .Zweiter Punkt . Wenn wir Ihrem Gesetzentwurf zu-stimmen würden, dann wäre die Folge, dass die Nie-dersächsische Landesregierung, an der Ihre grünen Par-teifreunde beteiligt sind, im Bundesrat dagegenstimmenmüsste;
denn die Niedersächsische Landesregierung legt größtenWert darauf, dass wir so bald wie möglich wieder mitder bisherigen Form des Frackings – wenn auch unterverschärften Bedingungen – beginnen können, damitdie Förderung von Gas nicht mehr auf das halbe Niveauzurückfallen kann, wie das vor ein paar Jahren gesche-hen ist, und damit der niedersächsische Haushalt einige100 Millionen Euro mehr an Konzessionsabgaben ver-einnahmen kann . Verkaufen die Grünen in Niedersach-sen ihre Vorstellungen für höhere Haushaltseinnahmen?
Oder sind sie wie wir der Meinung, dass die Risiken beidiesem Fracken beherrschbar sind? Ich glaube, das zwei-te ist der Fall .
Bernd Westphal
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Ansonsten müssten Sie Ihren Parteifreunden sagen, dasssie eine unverantwortliche Politik machen . Das tun Sieaber nicht .
– Auch wir machen Politik, Herr Krischer . Warten Siees ab .Der nächste Punkt in diesem Zusammenhang . Sieschreiben von zahlreichen Übeln und Problemen . Gehenwir sie einmal der Reihe nach durch: Krebsgefahr . Inepidemiologischen Studien ist das Krebsrisiko statistischerfasst . Keiner kann sagen: Gibt es einen Kausalzusam-menhang, oder woher kommt dieses Risiko?
Welche Konsequenz ergibt sich daraus? Das ist genaudas, was die niedersächsische Regierung und das Bun-desgesundheitsministerium machen . Sie gehen der Fra-ge nach: Gibt es einen Zusammenhang, oder wo ist dieQuelle einer solchen statistischen Häufung? Dazu kannman sagen, dass bei den Beschäftigten, die in der Öl- undGasförderung tätig sind, solche Erkrankungen nicht auf-getreten sind .
– Hören Sie auf! Natürlich wird das untersucht .
Glauben Sie nicht, dass jemand, der in diesem Bereichgearbeitet hat und bei dem Krebs diagnostiziert wird,auf die Idee kommt, einen Zusammenhang herzustellen,wenn das in der Öffentlichkeit diskutiert wird? Pardon,aber das ist blauäugig .
Der Witz ist aber nur: Das hat im Zweifelsfall mit derGasförderung zu tun, aber nicht mit Fracken . Sie abersagen: Fracken ist das Übel .Seismische Erschütterungen . Alle seismischen Er-schütterungen, die nennenswerte Bedeutung haben, sindentweder aufgetreten, ohne dass ein Frack-Vorgang vor-lag, zum Beispiel aufgrund von Druckentlastung in derLagerstätte, oder weil beim Verpressen von Lagerstätten-wasser mit zu hohem Druck gearbeitet worden ist oderSchwachstellen aufgetreten sind .
Daraus aber wollen Sie ein Fracking-Verbot herleiten .Daraus können Sie ein Verbot der Verpressung von La-gerstättenwasser herleiten, wenn Sie wollen, oder einVerbot der Förderung schlechthin .
Aber mit Fracken hat das nichts zu tun .
Nächster Punkt: Lagerstättenwasser . Es gibt belastetesLagerstättenwasser . Das kommt aber bei jeder Förderunghoch und hat ebenfalls mit Fracken nichts zu tun .
Warum sagen Sie denn, Sie wollen Fracken verbieten,wenn das, was Sie hier als Schäden anführen, nichts an-deres als das ist, was bei der Förderung schlechthin pas-siert?
Dann sagen Sie doch gleich: Wir wollen die Gasförde-rung einstellen . – Das wäre doch wesentlich ehrlicher .Aber auch das funktioniert nicht . Deswegen stürzen Siesich auf so etwas .Letzter Punkt in diesem Zusammenhang: Verunrei-nigung von Grundwasser . Frack-Fluid wird in Zukunftnicht giftig sein .
Das haben wir schon mehrfach gesagt, auch bei früherenDiskussionen . Die Problematik der Grundwasserverun-reinigung entsteht, wenn überhaupt, durch belastetes La-gerstättenwasser . Wie wir damit umgehen, werden wir inunserem Gesetzentwurf – das ist einer der schwierigstenPunkte – vernünftig regeln .
– Warten Sie doch noch ein bisschen . Ich will ja nicht denalten Satz bemühen, dass Gründlichkeit vor Schnelligkeitgeht . Aber Sie als Opposition haben einen Vorteil . Sie le-gen einen Antrag mit drei Sätzen vor . Wir aber werdeneinen Gesetzentwurf mit 20 oder 30 Seiten vorlegen, mitdenen Sie sich auseinandersetzen müssen . Darin werdendann nämlich Dinge geregelt, die Sie völlig ausblenden .
Sie benutzen das Thema Fracken, weil das so schönpraktisch ist . Darunter subsumieren Sie auch alles ande-re; denn Fracken passt so gut zu Schrecken . Damit kannman in der Öffentlichkeit richtig Aufregung produzieren .Karsten Möring
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Das tun Sie . Aber die sachlichen Punkte, um die es wirk-lich geht, kommen bei Ihnen nicht vor .
Wollen Sie vielleicht auch die Gefahrstofftransporteauf den Straßen verbieten? Was ist denn mit einem Tank-schiff auf dem Rhein oder auf der Elbe, in dem Tausendevon Litern problematischer Flüssigkeiten transportiertwerden, die bei einem Unfall ins Grundwasser geratenkönnten? Was ist mit Tankwagenunfällen auf der Auto-bahn?
Bei diesen Risiken sagen Sie: Okay, das ist Alltag . Dasmüssen wir hinnehmen . Diese Transporte haben ja auchVorteile . – Aber beim Thema Fracken heißt es bei Ihnen:Daumen runter . Fracken müssen wir verbieten . – Das istzu einfach . Das können wir uns als Industrieland über-haupt nicht leisten .
Sie schreiben am Schluss Ihres Gesetzentwurfs unterAlternativen: „Beibehaltung des unsicheren Zustandes . . .“, was Sie natürlich nicht wollen . Da haben Sie recht .Aber Ihre Alternative ist falsch . Denn die Alternative zuIhrem Gesetzentwurf ist ganz einfach ein ordentlichesGesetz, sorgfältig abgewogen und mit genauen Rege-lungen, wie wir die Risiken minimieren oder verhindern,und zwar gemäß dem, was wir im Koalitionsvertrag ver-einbart haben . Darin heißt es nämlich:Trinkwasser und Gesundheit haben für uns absolu-ten Vorrang … Den Einsatz umwelttoxischer Sub-stanzen … lehnen wir ab .Genau so werden wir den Gesetzentwurf machen, unddas werden Sie dann auch lesen müssen, von der erstenbis zur letzten Seite .Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende .
Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Hiltrud Lotze
von der SPD-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Dass der Gesetzentwurf zurRegelung der Fracking-Technologie hängt, ist unbefrie-digend . Das sage ich als Umweltpolitikerin ganz deut-lich .
Es gibt dafür Gründe, aber trotzdem ist es bedauerlich .Denn hätten wir das Gesetz so, wie es im Entwurf vor-liegt, schon, dann hätten wir bei Fracking-Vorhaben Um-weltverträglichkeitsprüfungen vorgeschrieben, und esgäbe eine ausreichende und gute Beteiligung von Kom-munen, Wasserbehörden und vor allen Dingen der Bevöl-kerung . Das fehlt nämlich im Moment .
In meiner Heimatregion Lüchow-Dannenberg/Lüne-burg sind bergrechtliche Aufsuchungserlaubnisse erteilt,und die Menschen dort machen sich natürlich Sorgen, obnicht eines Tages vor ihrer Haustür gebohrt oder gefracktwird . Ich muss ganz deutlich sagen: Dort sind keine Fra-cking-Genehmigungen erteilt .Es ist zwar in Niedersachsen seit 2011 nicht mehr ge-frackt worden, aber in der Region liegt auch Gorleben .Dort sind die Menschen einfach misstrauisch, was neueTechnologien angeht .
Deswegen brauchen wir ein Gesetz, das Fracking strengreguliert oder, wie ich persönlich sage, am besten un-möglich macht .
Mit dem vom Umwelt- und Wirtschaftsministeriumvorgelegten Gesetzentwurf soll genau das kommen: einesehr strenge Regulierung . Das ist auch längst überfällig;denn für uns als SPD steht der Schutz von Mensch undNatur natürlich im Vordergrund .
Der Schutz unseres Trinkwassers muss absoluten Vor-rang vor wirtschaftlichen Interessen haben .
Für mich als niedersächsische Abgeordnete ist eswichtig, dass die seit Jahrzehnten in unserem Bundes-land praktizierte Förderung von Erdöl und Erdgas künf-tig rechtlich streng reguliert wird und unter modernenund hohen Umweltstandards erfolgt . Die vorliegendenGesetzentwürfe aus den Häusern Hendricks und Gabrielwerden diesen Anforderungen gerecht .Fracking bei der sogenannten unkonventionellen Erd-gasförderung ist aber mit entsprechenden Risiken ver-bunden . Deswegen ist es aktuell, ohne dass wir mehrdarüber wissen, nicht zu verantworten . Deswegen ist un-Karsten Möring
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 159 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 26 . Februar 201615730
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sere Meinung, dass unkonventionelles Fracking zu wirt-schaftlichen Zwecken in Deutschland auf absehbare Zeitnicht stattfinden soll.
Auch aus energiepolitischer Sicht ist Fracking nicht derrichtige Weg .
Wir haben als SPD-Fraktion und als niedersächsischeLandesgruppe noch Änderungsbedarf in den vorliegen-den Gesetzentwürfen gesehen und entsprechende For-derungen formuliert, unter anderem, dass der DeutscheBundestag als demokratisch legitimiertes Organ über denkommerziellen Einsatz der Fracking-Technologie ent-scheiden muss statt eine Expertenkommission . Deswe-gen, liebe Kolleginnen und Kollegen aus der Union, leh-nen wir diese Expertenkommission ab . Das ist bekannt .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Weg zu einerEnergieversorgung aus erneuerbaren Energien ist vor-gezeichnet . Wir wollen diesen Weg konsequent gehen,aber nicht holterdiepolter, wie Sie es mit Ihrem vorlie-genden Gesetzesvorschlag vorhaben, sondern wir wollendas planvoll und strukturiert machen und Strukturbrüchein den Regionen vermeiden . Diese würde Ihr Gesetzent-wurf nämlich auslösen .Meine Zeit ist um . Ich wünsche allen ein schönes Wo-chenende .Vielen Dank .
Die Redezeit war um, genau . – Als nächster Redner
hat jetzt Johann Saathoff von der SPD-Fraktion das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Als Nie-dersachse ist mir wichtig, zu betonen, dass wir seit Jahr-zehnten in unserem Bundesland die Förderung von Erdölund Erdgas erfolgreich praktizieren und dass sie künftigmit modernen und hohen Umweltstandards sowie einertransparenten Bürgerbeteiligung weiterhin erfolgen soll .
Bei uns wird seit über 40 Jahren Erdgas gefördert, unddas wollen wir auch weiterhin tun, allerdings unter denverschärften Bedingungen der Umweltverträglichkeits-prüfung und sicherlich nicht in Wasserschutz- und Trink-wasserschutzgebieten . Als ehemaliger Bürgermeister ei-ner Gemeinde, in der Erdgas gefördert wird – allerdingskonventionell, ohne Fracking –, kann ich nicht verheh-len, dass Erdgasförderung für Gemeinden und damitauch für die Gemeinschaft gewisse finanzielle Vorteile hat . Diese sollen aber in der heutigen Debatte nicht imZentrum stehen .Von der konventionellen Förderung zu unterscheidenist die unkonventionelle Förderung; darüber haben wirheute schon gesprochen . Ich kann verstehen, dass Siemit Ihrem Gesetzentwurf rein ökologische Lösungenanbieten . Aber die Welt ist leider nicht so monokausal .Wir hingegen betrachten immer auch die Lage der Be-schäftigten und die notwendige Versorgung . Das bedeu-tet nicht, dass die Sorgen der Menschen nicht ernst ge-nommen werden . Im Gegenteil: Weil wir die Sorgen umUmwelt und Trinkwasser, aber auch die Sorgen um Ver-sorgungssicherheit und Versorgungsunabhängigkeit so-wie die Sorgen um die Umweltauswirkungen in anderenLändern ernst nehmen, sieht unsere Lösung nicht einfachaus . Aber sie wird eher den Menschen im Land gerecht .
Wir wollen durch höhere Standards und entsprechen-den technischen Fortschritt zum Beispiel bei der Lager-stättenwasserproblematik und bei der Entwicklung vonFrack-Fluiden ohne Auswirkungen auf die Umwelt dieRisiken der weltweiten Erdgasförderung verringern . Beiuns sagt man: De een Tied betahlt de anner ut . – Dasbedeutet, dass wir heute Grundlagen schaffen können,von denen unsere Kinder und Enkel profitieren sollen. Das gilt für die Energiewende generell; denn selbst wennwir Fracking in Deutschland verbieten würden, wird inanderen Teilen der Welt gefrackt, auch wenn es sich mo-mentan vielleicht wirtschaftlich nicht lohnt .
Das so geförderte Gas kommt auch nach Deutschland .Man kann nicht auf Erdgas setzen, für Deutschland un-konventionelles Fracking verbieten und sich nicht darumscheren, wie das importierte Gas produziert wurde . Dasswir noch einige Jahrzehnte auf Erdgas angewiesen seinwerden, ist kein Geheimnis . Gas ist bei vielen hier imHause die bevorzugte fossile Energiequelle, wenn es umden Übergang in das Zeitalter der erneuerbaren Energi-en geht . Es geht also nicht nur um die Gewinnung vonErdgas in Deutschland oder Europa, sondern weltweit .Wir wollen absolut keinen Freibrief für unkonven-tionelle Erdgasförderung . Wir wollen zunächst genauuntersuchen . Wir wollen Probebohrungen, bei denenwissenschaftliche Begleitung notwendig ist . Dabei kön-nen Erkenntnisse gewonnen werden, die weltweit vonBedeutung sind . Um es klar zu sagen: Fracking darf esnur geben, wenn Risiken ausgeschlossen werden können .Somit ist klar, dass es wegen der vorgelagerten Verfahrenin den nächsten Jahren kein Fracking geben wird . Ob esirgendwann kommerzielles Fracking geben wird, kannman heute noch nicht verbindlich sagen . Am Ende musssichergestellt sein, dass der Deutsche Bundestag überden kommerziellen Einsatz der unkonventionellen För-derung entscheidet .
Hiltrud Lotze
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Wir wollen also mit einem Gesetz einen Prozess vor-geben, an dessen Ende hier im Deutschen Bundestagaufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse eine fundierteEntscheidung getroffen werden kann .
Dafür brauchen wir ein Gesetz, das einen strengen Rah-men vorgibt . Das ist nicht die einfache Antwort, die Siegerne haben möchten, liebe Kolleginnen und Kollegenvon den Grünen . Aber eine einfache Antwort ist manch-mal nicht diejenige, die man in der Regierungsverant-wortung tatsächlich verantworten kann .Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Vielen Dank . – Damit schließe ich die Debatte .
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/7551 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es
anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall . Dann
ist das so beschlossen .
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 24:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Digita-
lisierung der Energiewende
Drucksache 18/7555
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss Digitale Agenda
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . Gibt es dazu
Widerspruch? – Das ist nicht der Fall . Dann ist das so
beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Als erste Rednerin in der
Aussprache hat die Parlamentarische Staatssekretärin Iris
Gleicke für die Bundesregierung das Wort .
I
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Liebe Kolleginnenund Kollegen! Meine Damen und Herren! Unsere Ener-giewirtschaft befindet sich in einem beispiellosen Wan-del . Neben der Reform des Strommarkts und dem Aus-bau der erneuerbaren Energien wollen wir rechtzeitig fürden Ausbau der notwendigen Infrastruktur sorgen .Mit dem Gesetzentwurf zur Digitalisierung der Ener-giewende werden wir verlässliche Rahmenbedingungenfür den Aufbau einer Kommunikationsinfrastruktur derZukunft schaffen . Wir wollen standardisierte Kommuni-kation, und zwar überall dort, wo sie erforderlich ist .Den Datenschutz haben wir dabei konsequent vonBeginn an mitgedacht . Zusammen mit dem Bundesamtfür Sicherheit in der Informationstechnik hat das Wirt-schaftsministerium in jahrelanger Arbeit und unter Ein-bindung aller Akteure sehr hohe technische Standardsund Vorgaben für Smart Meter Gateways entwickelt .Denn nur über ein Privacy-by-Design-Konzept, wie esjetzt im Gesetzentwurf vorgesehen ist, kann man die not-wendige Akzeptanz bei Bürgern und Unternehmen errei-chen .
Nur über echte Standards kann die Digitalisierung derEnergiewende zum Treiber für Innovationen werden .Meine Damen und Herren, Kern des Gesetzentwurfsist ein klares, transparentes Rollout-Konzept . Dabei gehtes um den Aufbau einer Infrastruktur und nicht um punk-tuelle Lösungen . Gesetzlich verankerte strikte Preisober-grenzen sorgen dafür, dass die Kosten beim Verbrauchernicht den Nutzen der neuen Technik übersteigen . Auchdas ist ein ganz entscheidender Punkt für uns . Auch dashat etwas mit der Akzeptanz zu tun .Wir nehmen den Datenschutz ernst .
Hier werden keine Daten nur zum Spaß gesammelt . Da-ten erhalten nur ausdrücklich Berechtigte und nur so weites erforderlich ist, damit das System funktioniert . DasRecht, Daten zu erhalten, folgt der energiewirtschaftli-chen Aufgabe – und nicht umgekehrt .Das neue System ist effizient und datensparsam, weil es Daten direkt an Berechtigte verteilt . Auf direktem Wegerhalten in Zukunft Verteilnetzbetreiber und Übertra-gungsnetzbetreiber alle notwendigen Daten, und sie wer-den bei allen wichtigen Aufgaben in der Energiewendeunterstützt .Daher trifft der Gesetzentwurf keine strukturpoliti-schen Weichenstellungen zugunsten bestimmter Netz-betreiber . Im Gegenteil: Der Gesetzentwurf verhält sichgegenüber großen und kleinen Verteilnetzbetreibern glei-chermaßen neutral . Für den Gesetzentwurf gibt es alsokeine Netzbetreiber erster und zweiter Klasse .Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Kern geht es da-rum, die Prozesse und Dienstleistungen weiterzuentwi-ckeln und die Möglichkeiten der Digitalisierung im Inte-resse der Bürgerinnen und Bürger sowie im Interesse derEnergiewende zu nutzen .Lassen Sie uns dieses Gesetzesvorhaben deshalb zü-gig und intensiv diskutieren und möglichst noch vor derSommerpause durch das parlamentarische Verfahrenbringen . Denn damit entsteht baldmöglichst Planungssi-cherheit für alle .Johann Saathoff
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Ich darf mich herzlich für die Zusammenarbeit bedan-ken, freue mich auf die Beratungen und wünsche auchIhnen ein gutes Wochenende .
Vielen Dank . – Ralph Lenkert von der Fraktion Die
Linke hat als nächster Redner das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen
und Kollegen! Der heute diskutierte Gesetzentwurf zur
Digitalisierung der Energiewende hat nichts, aber auch
gar nichts mit der Umstellung auf erneuerbare Energien
zu tun .
Konkret sollen in den nächsten Jahren bei allen Haus-
halten intelligente Zähler, Smart Meter genannt, einge-
baut werden – zunächst bei denen mit einem Jahresver-
brauch von über 6 000 Kilowattstunden, später dann auch
bei Haushalten mit geringerem Strombedarf . Diese Zäh-
ler erfassen dann 24 Stunden, also rund um die Uhr, wann
und wie viel Strom Sie verbrauchen und übermitteln dies
sofort dem Netzbetreiber . Wann Sie den PC einschalten,
sich Kaffee kochen, den Wecker stellen, den Kühlschrank
öffnen – all dies wird übertragen .
Die Mehrkosten für die Geräte sollen bei 60 Euro liegen .
20 Euro zahlen Sie jährlich für die Datenauswertung .
Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, Sie können dann
vielleicht eine momentane Verbrauchsanzeige an Ihrem
Zähler bewundern, oder Sie erhalten auf Antrag inner-
halb von 24 Stunden vom Netzbetreiber eine Mitteilung
über Ihren Stromverbrauch vom vorgestrigen Tag . Genau
das soll Sie motivieren, weniger Strom zu verbrauchen .
Übrigens, direkt live auf Ihren PC oder Ihr Smartphone
erhalten Sie die Verbrauchsdaten nicht . Das ist wohl aus
Datenschutzgründen nicht vorgesehen .
Wie bei allen Datenerfassungen besteht die Gefahr,
dass mit Ihren Daten Schindluder getrieben wird . Neue
Geschäftsmodelle werden bereits für Ihre zukünftigen
Daten entwickelt, und legaler bis illegaler Datenexport
wird explodieren . Zum Beispiel besteht ein gewisses In-
teresse bei Lebensversicherungen: Da läuft Ihr Fernseher
am Samstag zwölf Stunden, und außer den Stromspitzen
vom Kühlschrank ändert sich nichts . Schlussfolgerung:
Dieser Kunde sitzt essend und trinkend vor dem Fern-
seher; das gibt höhere Beiträge . Alle, die behaupten, die
Daten seien sicher, seien daran erinnert: Das Intranet des
Bundestages war zertifiziert, galt als sehr sicher, aber
2015 kamen die Hacker .
Es ginge auch anders . In der Schweiz entwickelte man
ein besseres System . Da gibt es variable Preise, je nach
Stromangebot und -nachfrage . Diese Preise sendet der
Stromlieferant an Ihren Zähler zusammen mit der Preis-
vorschau für die nächsten Stunden . Ihr Zähler schaltet
dann entsprechend der Programmierung Ihre Geräte so
zu, dass sie den günstigsten Strompreis nutzen können .
Das spart wirklich, und vor allem werden keine zusätz-
lichen Daten von Ihnen erfasst . Solch ein System würde
die Linke unterstützen .
Übrigens, liebe Bürgerinnen und Bürger, irgendwie
müssen die Daten natürlich aus den Kellern, aus den
Technikräumen und aus den Schaltschränken transpor-
tiert werden . Da gibt es drei Varianten: erstens eine neue
Funkstation in Ihren vier Wänden . Zweitens . Die Signale
werden dem Stromnetz aufmoduliert . Beides erhöht die
Belastung durch elektromagnetische Wellen; gesund ist
das nicht . Oder sollen wir uns – drittens –, liebe Koali-
tion, unsere private Übertragungsrate des Internets mit
dem Messstellenbetreiber teilen?
Sie schweigen zu diesem Thema . Die Union argu-
mentiert, wir brauchten jetzt Smart Meter, damit die
Versorgungssicherheit gewährleistet bleibe . Wann, liebe
Zuhörerinnen und Zuhörer, hatten Sie den letzten Strom-
ausfall? Durchschnittlich nur 2,2 Minuten fiel im Jahr
2015 bei lokalen, meist kommunalen Netzbetreibern der
Strom aus . Das ist Weltklasse . Das schafften die Stadt-
werke ganz ohne Smart Meter bei ihren Kunden .
Warum behauptet dann diese Bundesregierung, nur
mit Messen bei Endkunden und nur bei zentraler Erfas-
sung all unserer Daten durch die Übertragungsnetzbetrei-
ber würde das Stromnetz stabil bleiben? Netzstabilität ist
der Vorwand, mit dem diese Koalition den Herstellern
dieser Geräte ein neues Geschäft vermittelt . Diese Fir-
men äußern sich bereits zuversichtlich . Über 4 Millionen
zusätzlich zu verkaufende Smart Meter pro Jahr brin-
gen einen Umsatz von 240 Millionen Euro zulasten der
Stromkunden .
Ganz nebenbei nimmt die Koalition den kommuna-
len Stadtwerken das Geschäft mit der Stromabrechnung
weg und schiebt es den großen privaten Netzbetreibern
zu . Dass diese Koalition damit den Kommunen dringend
benötigtes Geld für Kitas und Infrastruktur stiehlt, ist un-
gehörig .
Ich fasse zusammen . Dieser Gesetzentwurf bringt
nichts für die Energiewende, aber alles für neue Profite
für Firmen und private Netzbetreiber . Dieser Gesetzent-
wurf ist ein weiterer Schritt hin zu gläsernen Bürgerinnen
und Bürgern . Die Linke schlägt Ihnen folgerichtig vor:
Vergessen Sie es .
Als nächster Redner hat Jens Koeppen von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .
Parl. Staatssekretärin Iris Gleicke
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Dass dieses Thema sehr ambivalent angegangen wird,
war klar . Die Staatssekretärin hat versucht, auf Vortei-
le und Nachteile hinzuweisen . Aber dass bei Ihnen alles
falsch war, ist wieder bezeichnend . Ich will einmal versu-
chen, mich der Sache realistisch zu nähern .
Man fragt immer: Können intelligente Systeme alle
Probleme lösen? Natürlich können sie nicht alle Proble-
me lösen . Für die einen ist die Digitalisierung Teufels-
zeug, und für die anderen ist sie der Heilsbringer .
Ich muss sagen: Nicht nur null und eins zählen oder
schwarz und weiß, sondern wir brauchen die entspre-
chenden Graustufen . Das ist doch ganz klar . Die einen
sagen: Das ist für uns das Thema, um die Energiewen-
de voranzubringen . – Die anderen sagen: Damit ist dem
Datenmissbrauch Tür und Tor geöffnet . Die einen sagen,
es ist transparent und verbraucherfreundlich; die ande-
ren sagen, es können Profile erstellt werden. Dann wird
natürlich gesagt: Es wird eine neue kritische Infrastruk-
tur aufgebaut . Aber es ist nicht wie bei Marc Elsberg in
Blackout, sondern hier geht es um eine Technologie, die
beherrschbar ist und die kommen soll .
Eins muss man auch sagen: Es geht um eine europä-
ische Richtlinie, die vereinbart wurde und in nationales
Recht umgesetzt werden muss . Jetzt müssen wir schau-
en: Wie bekommen wir das am besten hin, mit allen be-
stehenden Vorteilen? Ich möchte einmal versuchen, mich
den Möglichkeiten, den Chancen und dem Nutzen zu
nähern, um zu zeigen, was wir von dieser Technologie
haben .
Zunächst denke ich, dass – da sind wir uns mit allen
in der Branche einig, auch mit den Verbraucherschutz-
verbänden – ein transparenter Energieverbrauch möglich
ist, dass eine transparente Abrechnung möglich ist, dass
eine Visualisierung – da haben Sie vollkommen unrecht,
Herr Lenkert – möglich ist . Dadurch entsteht mehr Ener-
gieeffizienz. Ich kann in meinem Haushalt Stromfresser
ausfindig machen und dementsprechend ausschalten.
Und natürlich habe ich dadurch einen variablen
Stromverbrauch . Natürlich habe ich variable Tarife . Na-
türlich kann kundenbezogen, angebotsbezogen gearbei-
tet werden . Das ist alles nachgewiesen . Ich darf nur daran
erinnern: Wir hatten ja früher die Nachtspeicherheizung;
Sie werden sich daran erinnern, wir haben sie eigentlich
immer noch .
Da gab es eine analoge Uhr . Die hat man von 22 Uhr
bis 6 Uhr morgens eingeschaltet, und dann hat man das
Nachttal aufgefüllt . Die neue Technologie bietet dem-
gegenüber eine große Chance . In der Uckermark und in
Barnim zum Beispiel stehen 700 Windkraftanlagen . Aber
es gibt nicht genügend Netze, die den Strom angebotsbe-
zogen zum Verbraucher schaffen . Es könnte doch eine
Möglichkeit sein, dass, während ich hier mit Ihnen rede,
der intelligente Zähler sagt: Der Strom ist jetzt 20 Pro-
zent günstiger; also ist es jetzt sinnvoll, dass das Haus
geheizt wird oder der Supermarkt seine Klimaanlage an-
schaltet, was auch immer . Das ist immerhin besser, als
den Strom abzuschalten und trotzdem zu vergüten, wie
es zurzeit bei Redispatch möglich ist . Das wollen wir er-
reichen, meine Damen und Herren .
Und es ist auch möglich, Überproduktion bei einer gerin-
gen Nachfrage in nutzbare Energie zu verwandeln .
Natürlich ist die Direktvermarktung von erneuerbaren
Energien auch ein Thema bei Smart Metern, bei diesen
intelligenten Systemen . Wir bekommen die Volatilität,
die wir bei erneuerbaren Energien nun einmal haben, da-
durch ein bisschen besser in den Griff, dass der Strom
dann, wenn er – bei großer Windstärke oder starker Son-
neneinstrahlung – verfügbar ist, angebotsbezogen an die
Kunden geleitet wird . Und ich erreiche durch die Span-
nungsstabilität eine entsprechende Netzstabilität und
auch eine bessere Auslastung des Netzes . Wenn wir das
flächendeckend haben, können wir eventuell sogar auf
das eine oder andere Netz verzichten .
Aber wo es Licht gibt, gibt es auch Schatten, und da-
r
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir haben den weltweit kon-sequentesten Ansatz bei dieser Technologie; denn wir sa-gen: Wir lassen nur intelligente Zähler zu, die ein ganzklares Schutzprofil haben, vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik zertifiziert. Ohne dieses Zerti-fikat darf es keinen Zähler geben. Dieser Schutz der Ver-braucherdaten steht für uns an oberster Stelle . Das sehenSie auch an den Papieren vom Ministerium; erst danachkommen die Vorteile . Ich glaube, das ist der richtige An-satz .
Eins muss man auch klar sagen: Bis 10 000 Kilowatt-stunden – der Durchschnitt liegt bei 3 500 bis 4 000 –passiert überhaupt nichts . Da bekommen Sie wie bishereinmal im Jahr eine Abrechnung; einmal im Jahr werdendie Daten übermittelt,
wenn man nicht einen anderen Tarif haben möchte . Wennman bei dem Tarif bleiben möchte, gibt es eine einmaligeÜbertragung im Jahr, und damit ist es gut . Das könnenSie selbst entscheiden . Es gibt das Opt-in, es gibt dasOpt-out; man kann sagen, ob man das möchte oder nicht .Es gibt ganz klare und ganz strenge Löschvorschrif-ten. Es gibt keine detaillierten Nutzerprofile. Sie können keine Profile auslesen. Sie können keine Lebensgewohn-heiten, wie es eben gesagt wurde, auslesen . Sie werdennicht von Ihrem Kühlschrank ausspioniert . Denn die Da-ten werden aggregatisiert und anonymisiert abgegeben .Ich glaube, es ist wichtig, zu wissen, dass man, wennman keinen anderen Tarif wählt, das nutzen kann .Es gibt – das ist ganz klar – natürlich keinen hundert-prozentigen Schutz; den gibt es nirgendwo in der Welt .
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Aber sich daher zu verstecken und zu sagen: „Wir müs-sen das Ganze so lange regulieren, dass dieses Geschäfts-modell und die damit verbundenen Chancen nicht mehrmöglich sind“, halte ich für falsch .Ich möchte, auch mit Blick auf das Ministerium, nochauf einige Punkte in diesem Gesetzentwurf eingehen .Ich persönlich denke, dass das Rollout in Deutschlandzu lange dauert . Der Großteil des Rollouts besteht darin,dass wir erst 2020 mit der Installation der Zähler anfan-gen . Schon zuvor müssen bei einigen Großverbraucherndie neuen Zähler installiert werden; aber erst ab 2020geht es so richtig los . Dann werden viele Länder in Eu-ropa mit der Installation schon fertig sein . Wir hingegenwerden dann erst mit der Installation von 80 Prozent die-ser Anlagen beginnen . Ich weiß nicht, ob das so gut undob das dann noch wirtschaftlich ist . Wenn andere Länderbesser sind, verlieren wir auch hier den Anschluss undkönnen das, was wichtig und notwendig ist, nicht nutzen .Vielleicht sollten wir da ein bisschen zügiger vorange-hen .Ein weiterer Punkt ist – er bereitet mir ein bisschenBauchschmerzen –: Im Gesetzentwurf steht, dass dieDatenauswertung und die gesamte Bilanzierung bei denvier großen Übertragungsnetzbetreibern angesiedelt seinsollen . Das sollten wir überdenken .
Ich meine, dass es besser wäre, wenn die Daten ein Stadt-werk auswertet und nicht die vier großen Netzbetreiber .Ich glaube, das Vertrauen der Menschen in die Verteil-netzbetreiber ist größer als das in die Übertragungsnetz-betreiber . Ich stelle einfach einmal zur Überlegung, dasswir in der zweiten und dritten Lesung dieses Gesetzent-wurfs da noch eine Änderung zustande bringen . Ich hiel-te das für besser, insbesondere was die Akzeptanz durchdie Menschen angeht .
Bei der Auskömmlichkeit sollten wir vielleichtnoch ein paar Gedanken darüber verschwenden, ob diePreisobergrenzen den Brutto- oder den Nettowert ange-ben . Es geht dabei um all das, was eingepreist werdenmuss. Ich bin für flexible Preisobergrenzen. Viele An-bieter sagen nämlich: Es ist möglich, Preise unter denPreisobergrenzen, die jetzt gesetzt wurden, festzulegen .Vielleicht kann man das Ganze flexibler gestalten. Aber wir müssen überlegen – es wäre gut, bis zur nächsten Le-sung diesbezüglich noch ein paar Berechnungen zu be-kommen –: Geben die Preisobergrenzen den Brutto- oderden Nettowert an? Wie gestalten sich die Preisobergren-zen ganz genau? Darüber sollten wir in der Anhörungnoch einmal miteinander beraten .Meine Damen und Herren, Smart Meter, das ist keinSelbstzweck . Das ist eine große Innovationskraft, dieDeutschland nutzen sollte . Wir sind bei der Digitalisie-rung oft Vorreiter gewesen . Mittlerweile sind wir ausAngst vor der eigenen Courage aber selbst ein bisschenBremser . Wenn wir die Fragen offen angehen und letzt-endlich miteinander gut beraten, auch bei unserer bevor-stehenden Anhörung, können wir zu einem guten Ergeb-nis kommen . Das wünsche ich mir .Danke .
Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Oliver
Krischer von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das
Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Vielleicht sollten wir bei der Debatte über diesen Gesetz-entwurf feststellen: Es wäre angemessen gewesen, denTitel eine Nummer kleiner ausfallen zu lassen . Es gehtnämlich nicht um die Digitalisierung der Energiewende .Sie findet seit langem statt – trotz dieser Bundesregie-rung, trotz einer problematischen Gesetzgebung . Da tunsich Unternehmen zusammen, verbinden Anlagen, schaf-fen virtuelle Kraftwerke . Das läuft alles .Was Sie hier vorlegen, ist der Entwurf eines Gesetzes,das die rechtlichen Grundlagen dafür schafft, dass diedurch einen Stromzähler zu einem bestimmten Zeitpunkterfassten Daten über den Stromverbrauch übermitteltwerden . Das ist keineswegs trivial; aber es ist auch kei-ne Weltrevolution. Dergleichen findet in vielen anderen Ländern schon statt .Schon die letzte Große Koalition – ihre Regierungs-zeit ist schon länger her – hatte sich vorgenommen, einensolchen Gesetzentwurf zu verabschieden . Das ist dann ir-gendwie gescheitert . Schwarz-Gelb hatte die Verabschie-dung eines solchen Gesetzentwurfs großtönend im Koa-litionsvertrag angekündigt . Auch das ist gescheitert . Jetztist auch diese Koalition schon eher in der Endphase derWahlperiode, und nun kommt dieser Gesetzentwurf aufden Tisch . Wir haben ja eben in der Debatte über die Fra-cking-Technik gesehen: Gesetzentwürfe, die das Lichtder Welt erblicken, können irgendwie im Bundestag ver-sacken . Insofern ist der vorliegende Gesetzentwurf allesandere als eine Revolution .Kollege Lenkert, Ihre Position habe ich, ehrlich ge-sagt, ebenfalls nicht verstanden . Dass wir die Technikvon vor 100 Jahren beibehalten und an dieser Stelle ein-fach keine Innovationen wollen, kann auch keine Per-spektive sein .
Man darf jetzt auch nicht so tun, als werde alles amEnde automatisch gut; denn ein Grundproblem, das dieKollegen hier angesprochen haben, lösen Sie mit diesemGesetzentwurf nicht . Sie wollen den Menschen diesenZähler vorschreiben, aber Sie können den Menschen kei-nen wirklichen Benefit bieten. Das liegt einfach daran, dass Sie diesen Gesetzentwurf nicht mit Ihrer sonstigenGesetzgebung verknüpfen . Wir diskutieren hier auchüber ein Strommarktgesetz, aber die Verbindung diesesGesetzentwurfs zum Strommarktgesetz finde ich über-Jens Koeppen
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 159 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 26 . Februar 2016 15735
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haupt nicht . Ich habe das Gefühl, Frau Gleicke, dass beiIhnen im Ministerium unterschiedliche Abteilungen da-ran geschrieben haben, die gar nicht wussten, dass andereauch daran arbeiten . Da sehe ich ein Riesenproblem, fürdessen Lösung wir hoffentlich in der weiteren Debattedie Verknüpfungen hinkriegen .
Jetzt haben Sie Atem geholt . Ich möchte nämlich die
Frage an Sie stellen, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen .
Aber gern .
Kollege Krischer, vielen Dank, dass Sie die Zwischen-
frage gestatten . – Ich möchte Sie fragen, ob Ihnen be-
kannt ist, dass in der Schweiz das System Swiss Meter
entwickelt wird, das die heutigen Stromzähler ablösen
kann? Diesem intelligenten System werden die Daten der
Netzbetreiber und die Strompreise zur Verfügung gestellt .
Ihnen wird die Information zur Verfügung gestellt, wie
die Preisentwicklung in den nächsten Tagen und Stunden
sein wird . Das habe ich vorhin explizit erklärt und habe
gesagt, dass wir als Linke dieses System als technischen
Fortschritt durchaus begrüßen, weil es energiewirtschaft-
lich sinnvoll ist und Datenschutz berücksichtigt .
Ja, Herr Kollege Lenkert, das ist ja schön . Aber dannerwarte ich von Ihnen, dass Sie ein solches System vor-schlagen und sagen, wie man den vorliegenden Gesetz-entwurf an der Stelle tatsächlich verbessern kann . Icherwarte, dass Sie sich mit den Fragen konkret auseinan-dersetzen, damit das, was Sie da vielleicht richtigerweisewollen, entsprechend umgesetzt werden kann . Einfachnur zu sagen: „So ist es Mist, aber es gibt da irgendet-was anderes, das wollen wir dann vielleicht irgendwiemachen“, ohne zu erklären, wie es gehen soll, das finde ich – ehrlich gesagt – ein bisschen dünn . Da muss mandann schon etwas konkreter werden .
Aber ich will noch einmal auf den Benefit zurückkom-men . Sie können den Verbrauchern einfach keinen Bene-fit anbieten, weil es überhaupt keine lastabhängigen Tari-fe gibt, von denen die Verbraucher einen Nutzen hätten .
– Nein, die gibt es nicht . Denn Ihr Gesetzentwurf regeltnicht, dass dieser lastabhängige Tarif an den Smart Metergesendet werden kann . Da schaffen Sie überhaupt keineRegelung . Gucken Sie in Ihren eigenen Gesetzentwurfhinein! Deshalb führt das am Ende dazu, dass Sie alleherausnehmen, die unter 6 000 Kilowattstunden verbrau-chen – das finden wir im Prinzip richtig –, womit Sie Ausnahmen von der Ausnahme machen .Herr Koeppen, das, was Sie gesagt haben, stimmt ein-fach nicht . Der Oliver Krischer als Eigenheimbesitzerim Rheinland braucht nach Ihrem Gesetzentwurf keinenSmart Meter zu nehmen – der kann darauf verzichten;der könnte ihn freiwillig nehmen –, der Oliver Krischerin einer Mietwohnung in Berlin muss den Smart Meteraber nehmen, wenn der Vermieter das will .Das Gleiche gilt, wenn der Netzbetreiber den Smart Me-ter vorschreibt . – Das ist eine Ungleichbehandlung undeine Zwangsbeglückung .Ich sage Ihnen: Gerade mit Blick auf den Datenschutzwird das nicht funktionieren . Wenn Sie eine Zwangsbe-glückung vornehmen, können Sie nicht gleichzeitig auchnoch eine Ungleichbehandlung machen . Meine Damenund Herren, das zerstört die Akzeptanz, und dann werdenSie mit diesem Gesetzentwurf scheitern . Das sollten Siesich im weiteren Verfahren einmal sehr genau überlegen .
Dann gibt es ein weiteres Problem, auf das man hin-weisen muss . Das sind Eigenerzeuger, das sind Leute,die Photovoltaik- oder Kraft-Wärme-Kopplungsanlagenhaben . Die müssen dann ab 7 Kilowatt Leistung einenSmart Meter zwangsweise nehmen .Also ganz offen gesagt: Darunter sind viele, die daseher als Minusgeschäft betreiben, die daran überhauptnichts verdienen, die das aus Engagement für die Ener-giewende machen . Jetzt bürden wir denen wieder eineLast auf, ohne dass sie nur irgendetwas davon haben .
Meine Damen und Herren, das gefährdet die Akzep-tanz . So kommen wir bei der Photovoltaik und bei derKraft-Wärme-Kopplung – beides wollen wir ja; HerrPfeiffer sicherlich nicht, aber viele andere hier im Haus –nicht voran, dabei wollen wir sie ausbauen .Dann der letzte Punkt – da bin ich froh, dass die Kol-legen von der Union ihn angesprochen haben –: Ich ver-stehe überhaupt nicht, warum diese Daten an die Übertra-gungsnetzbetreiber geschickt werden sollen . Die gehörenin den Verteilnetzbetreiber . Denn wenn das Ganze einenSinn machen soll, dann brauchen wir Regelungen auf dermöglichst niedrigsten Ebene . Wir wollen, dass Verbrauchund Erzeugung im Stadtteilbereich, im Bereich der Stra-ße intelligent gesteuert werden können . Wenn die Datenein Verteilnetzbetreiber wie Tennet bekommt, der einNetz von Flensburg bis Oberammergau hat, ist es mir einvölliges Rätsel, wie das dezentral gesteuert werden soll .Ich finde also, da gibt es noch einiges nachzuarbeiten.Zusammenfassend: Sie legen einen Gesetzentwurfvor, der vom Thema her seit langem überfällig ist, deraber an vielen Stellen Probleme aufweist, der viele Da-tenschutzfragen nicht beantwortet, der eine Ungleichbe-handlung einführt, der in Teilen eine Zwangsbeglückungzur Folge hat . Ich hoffe, dass wir die Beratungen nutzenOliver Krischer
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(D)
können, um diesen Gesetzentwurf – ich habe auch beiIhnen ja die eine oder andere Kritik gehört – insgesamtzu verbessern, damit nachher etwas Gutes für die Ener-giewende herauskommt, damit der Verbraucher etwasdavon hat und damit die Fragen des Datenschutzes, dieganz wichtig sind, auch vernünftig geklärt werden .Herzlichen Dank, meine Damen und Herren .
Als nächster Redner hat Florian Post von der
SPD-Fraktion das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Zu Beginn meiner Rede möchte ich dich,
lieber Oliver Krischer, zu der Erkenntnis beglückwün-
schen, dass die Energiewende trotzdem stattfindet – mit
dieser Koalition, mit dieser Bundesregierung .
– Da haben wir ja schon ganz andere Worte und Aussa-
gen hier im Plenum gehört .
Das ist aber schon einmal ein Fortschritt . Da muss ich
also ausdrücklich zustimmen .
Digitalisierung betrifft mittlerweile immer mehr Le-
bensbereiche, geht vom Musikhören über das Einkaufen,
Kommunizieren bis hin zum Sport . Daten sind also längst
ein Rohstoff für ganze Industrien geworden . Der Fort-
schritt bei der digitalen Speicherung und Verarbeitung
von Daten birgt auch erhebliche Chancen für die Ener-
giewirtschaft . Da unser Stromsystem zunehmend dezen-
tral und volatil wird, wird natürlich auch eine intelligente
Netzsteuerung immer wichtiger, die einen Beitrag zur
Versorgungssicherheit und Stabilität dieser Netze leisten
kann . Der Einbau von Smart Metern wird hier ein erster
Schritt sein . Dabei kann natürlich dann auch der Netz-
ausbau auf Verteilnetzebene reduziert werden . Es gibt
aber auch weitere Effekte: Es wird mehr Transparenz
auf Verbraucherseite geschaffen und dadurch wiederum
die Möglichkeit zum Einsparen eröffnet . In Verbindung
mit variablen Tarifen kann darüber hinaus eine Steuerung
bzw. Beeinflussung des Verbraucherverhaltens erfolgen.
Das mit dem Gesetz geplante Rollout intelligenter
Messsysteme ist ein erster Schritt . Wir legen hiermit also
lediglich den Grundstein für tiefgreifende Veränderun-
gen in der Prozessorganisation der Energieversorgung .
Es gibt allerdings auch Spannungsfelder, die vom Kolle-
gen Koeppen, aber auch vom Kollegen Oliver Krischer
zu Recht angesprochen wurden . Wir haben Probleme
oder Diskussionspunkte beim Verbraucherschutz, bei
den Kosten und auch bei der Definition von Marktrol-
len, gerade auch das Spannungsfeld Verteilnetzbetreiber/
Übertragungsnetzbetreiber, zu berücksichtigen
Der vorliegende Gesetzentwurf soll die Marktrollen
zwischen Verteilnetzbetreibern und Übertragungsnetz-
betreibern verändern . In Zukunft soll demnach für die
Datenaggregation nicht mehr der Verteilnetzbetreiber
zuständig sein, sondern der Übertragungsnetzbetreiber,
der dann auch für die Bilanzierung dieser Daten zustän-
dig wäre . Das würde in der Tat eine Zentralisierung der
Datenhoheit bedeuten . Hier muss man sich ganz genau
anschauen, ob die Verteilnetzbetreiber in Zukunft die
Systemaufgaben, die sie bisher schon haben, überhaupt
noch erfüllen können, ob sie auf die Daten, die sie benö-
tigen, auch tatsächlich zugreifen können und ob sie ihrer
Systemverantwortung in einem zunehmend dezentral or-
ganisierten Markt gerecht werden können .
Vor diesem Hintergrund bin ich der Meinung – Kol-
lege Koeppen hat es ja angesprochen –, dass wir uns die
Vor- und Nachteile, die mit einer solchen Verlagerung
vom Verteilnetzbetreiber zum Übertragungsnetzbetreiber
verbunden sind, noch einmal in Ruhe anschauen und uns
fragen sollten, ob das wirklich so stattfinden soll. In der
Tat – Sie haben das Thema Akzeptanz angesprochen –
ist es ja doch so, dass die Bürger vor Ort ihrem lokalen
Energieversorger bzw . Verteilnetzbetreiber eine höhere
Akzeptanz entgegenbringen als einem anonymen Über-
tragungsnetzbetreiber . Daher ist es der richtige Weg, wie
von Staatssekretärin Gleicke aufgezeigt wurde, wenn
in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Sicherheit
in der Informationstechnik und der Bundesnetzagentur
hier Schutzstandards formuliert werden, die dem hohen
Datenschutzanspruch der Bürger gerecht werden . Das ist
auch ein Weg hin zu mehr Akzeptanz, und dieser Weg ist
von unserer Seite her zu begrüßen .
Die anderen Punkte werden wir in den nächsten Wo-
chen und Monaten sicherlich noch ausgiebig miteinander
diskutieren . In diesem Zusammenhang wünsche ich auch
von meiner Seite ein schönes und erholsames Wochen-
ende .
Danke schön .
Hansjörg Durz hat als Nächster das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion .
Vielen Dank . – Sehr geehrte Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damenund Herren! Verschiedene Redner haben unterschiedli-che Stellen im Gesetzesentwurf kritisiert und Verbesse-rungen vorgeschlagen . Das ist auch absolut nachvollzieh-bar . Herr Lenkert hat gemeint, dass das Thema insgesamtüberhaupt nichts mit der Energiewende zu tun hat . Dasverwundert mich schon ein klein wenig .Wir sind uns bei der Digitalen Agenda insgesamt ab-solut einig, dass die Digitalisierung ein ganz zentralerOliver Krischer
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 159 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 26 . Februar 2016 15737
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Baustein der Energiewende sein wird . Demnach sind wiruns bei der Digitalen Agenda über alle Fraktionen hin-weg einig, dass wir diesen Bereich voranbringen müssen .Ich werde versuchen, einmal zu erläutern, warum es docheinen Zusammenhang zwischen Energiewende und Digi-talisierung gibt .Bei der Energiewende, beim Ausbau der erneuerbarenEnergien kommen wir stetig voran . Im Jahr 2015 lag derAnteil der Erzeugung – das wissen Sie alle sehr gut – beietwa einem Drittel des Stromverbrauchs . Wir sind damitüber Plan . Damit erreichen die Erneuerbaren im Vergleichzum Jahr 2000, wo es noch ein Anteil von 7 Prozent war,mittlerweile einen Anteil von 33 Prozent . Während derAnteil der konventionellen Erzeugung stetig gesunkenist, hat sich der Anteil der Erneuerbaren mehr als ver-achtfacht. Ausfluss dessen ist, dass in Deutschland mitt-lerweile über 1,5 Millionen EEG-Anlagen in das Netzeinspeisen . Das zeigt sehr deutlich, dass die Transfor-mation des Energiesektors mit großen Schritten voran-kommt. Wir befinden uns in einer gigantischen Umbau-maßnahme des kompletten Energieversorgungssystems .Während in der alten Welt nur in eine Richtung Energiefloss, nämlich vom Erzeuger hin zum Verbraucher, ist das dezentrale Energieversorgungssystem der Zukunft durchbilaterale Energie- und damit auch Informationsflüsse gekennzeichnet .Mit der Zunahme der Zahl kleiner und dezentralerStromerzeuger nimmt auch der Anteil von Erzeugungs-einheiten zu, die fluktuierend in das Netz einspeisen. Sonne und Wind stehen im Jahresverlauf nicht immerplanbar und verlässlich zur Verfügung . Zudem erfolgt dieEinspeisung zumeist regional unterschiedlich und seltenüber das ganze Land verteilt einheitlich . Diese Volatilitätstellt uns vor enorme Herausforderungen . Diesen begeg-nen wir unter anderem durch den Ausbau der Netze, derÜbertragungs- und der Verteilnetze . Wir brauchen abernicht nur mehr Netze, sondern insbesondere intelligente-re Netze . Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf bietet unsdie Digitalisierung hier enorme Chancen .
Bei den Netzverbrauchern, den Netzbetreibern undden Erzeugern fallen riesige Mengen von Daten an, diebislang weitgehend brachliegen . Ziel des Gesetzentwurfsist, die Letztverbraucher in Deutschland mit sogenanntenintelligenten Messsystemen auszustatten, die zukünftigals Kommunikationsplattform im intelligenten Energie-netz dienen . Die intelligenten Messsysteme sind damitein zentraler Baustein der Energiewende . So werdenStromerzeuger und Verbraucher intelligent miteinanderverknüpft, damit Informationen über Erzeugung und Ver-brauch ausgetauscht werden können . Damit stehen denNetzbetreibern genauere Daten zur Verfügung, die ihnenhelfen, das Netz zu optimieren und den Ausbaubedarf ex-akter bewerten zu können . Das erhöht die Versorgungssi-cherheit und spart auch Kosten .Die Digitalisierung der Energiewende hat aber nichtnur Vorteile für die Integration der Erneuerbaren, sie istnicht nur für die Netzentwicklung von entscheidenderBedeutung, für die Energiewende insgesamt, sondern siebringt auch große Vorteile für die Bürger, was gelegent-lich ein bisschen angezweifelt wird .Zum einen wandelt sich die Rolle des Verbrauchersgrundlegend . Der ehemals inaktive Konsument kann sichmit Unterstützung von digitaler Infrastruktur zum – neu-deutsch – Prosumer entwickeln . Dieser partizipiert aktivam Energieversorgungssystem . Im einen Moment kannder Haushaltskunde Konsument sein und Strom vonseinem Anbieter beziehen, im nächsten Moment kanner als Produzent von Strom auftreten, indem er durchseine PV-Anlage oder seine Wärmepumpe seine eige-ne Energie umwandelt und diese in das Netz einspeist .Dies ist einer der Vorteile, der mit der Digitalisierung derEnergiewende verbunden ist . Er schafft die technischeVoraussetzung, dass der Bürger zum aktiven Akteur derEnergiewende werden kann .
Zum Zweiten kann es durch die intelligente Nutzungvon Daten außerdem gelingen, über Marktsignale Anrei-ze zu schaffen . Für den Stromkunden wäre es dank inno-vativer, flexibler Tarife möglich, genau dann Strom nach-zufragen, wenn dieser besonders reichlich zur Verfügungsteht und entsprechend günstig zu erwerben ist .
Andererseits besteht für Erzeuger die Möglichkeit, ihreAnlagen in Verbindung mit einem Speicher zum Beispielso zu steuern, dass sie ihren Strom dann anbieten, wenndieser besonders gefragt und entsprechend teuer ist .Gleichzeitig erhält der Verbraucher eine weitaus bes-sere Verbrauchsanalyse als heute, mit der er auf Grund-lage präziser Informationen sein Verbrauchsverhaltenauswerten kann . Praxiserfahrungen zeigen, dass bereitsVerbrauchstransparenz zu Verbrauchsreduktion führenkann .Bei allen Vorteilen, die mit der Digitalisierung derEnergiewende verbunden sind, werden wir bei der Aus-gestaltung auch die Risiken genauer in den Blick neh-men . Im Zuge der Digitalisierung müssen wir uns im-mer auch die Frage stellen: Was passiert mit den Daten?Mit der zunehmenden Vernetzung müssen die Fragendes Datenschutzes sowie der Datensicherheit mitge-dacht werden . Wir brauchen eine hochsichere Kommu-nikationsinfrastruktur für unser Energiesystem . Das vomBundesamt für Sicherheit in der Informationstechnikentwickelte Schutzprofil sowie die technischen Richtli-nien versprechen ein enorm hohes Schutzniveau; das istbereits mehrfach bei Kollegen angeklungen . Übrigenssprechen Experten sogar davon, dass wir hier ein Schutz-niveau erreichen, das über dem des Onlinebankings liegt .Daran sieht man auch: Sicherheit hat höchste Priorität .
Dennoch: Aufgrund des erhöhten Anfalls von Daten,die Aufschluss über das Verbrauchsverhalten von Haus-halten geben können, ist der Einbau datenrechtlich sensi-Hansjörg Durz
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bel . Daher werden wir Wert darauf legen, dass der KundeHerr über seine Daten bleibt und der notwendige Schutzsowie die erforderliche Sicherheit bei der Übermittlungder Daten gewährleistet werden . Zudem werden wir ein-gehend beraten, welcher Akteur wann auf welche Da-ten Zugriff haben muss . Hier geht es um das Verhältniszwischen Verteilnetzbetreibern und Übertragungsnetz-betreibern, das bereits mehrfach angesprochen wurde .Ein weiteres Argument, darüber zu reden, ist, dass keineParallelstrukturen aufgebaut werden sollen . Da nicht allezum Umstieg auf neue Messinstrumente gezwungen wer-den sollen, gibt es auch noch die alte Welt, und sie liegtin der Zuständigkeit der Verteilnetzbetreiber . Hier mussman aufpassen, dass keine Parallelstrukturen entstehen .Zudem unterstützen wir nachdrücklich den Ansatz,den Rollout zu angemessenen Kosten voranzutreiben,aber eben keinen Rollout um jeden Preis zu erzwingen .Im Gesetzentwurf ist deshalb vorgeschlagen, dass es beieinem Jahresverbrauch von weniger als 6 000 Kilowatt-stunden keine Einbaupflicht geben wird. Auf freiwilliger Basis kann aber ein Einbau erfolgen, wenn der Verbrauchdarunterliegt; auch das ist bereits angeklungen .Der mit intelligenten Messsystemen verbundeneNutzen wird von Verbraucherschützern gelegentlich inZweifel gezogen . Hier bedarf es einer noch besserenKommunikation der vielfältigen Vorteile, die mit derDigitalisierung einhergehen: Die Digitalisierung schafftbessere und effizientere Netze. Die Digitalisierung schafft mehr Transparenz für Verbraucher . Die Digita-lisierung schafft die Voraussetzung dafür, dass der Bür-ger zum aktiven Akteur der Energiewende werden kann .Lassen Sie uns in den nächsten Wochen darüber disku-tieren, wie wir einen guten Gesetzentwurf im parlamen-tarischen Verfahren noch besser machen und somit dieEnergiewende durch sichere Digitalisierung wieder einganzes Stück voranbringen können .
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . Auch ich wün-sche Ihnen ein schönes Wochenende .
Als nächster Redner hat Johann Saathoff von der
SPD-Fraktion das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Lieber Ralph Lenkert, ich weiß nicht, wo imGesetzentwurf stehen soll, dass Nutzer von Smartphoneskünftig keine Daten bekommen sollen .
Selbstverständlich bekommen sie diese Daten – das istüberhaupt keine Frage –, und sie bekommen sie auch on-line . Denn sie sind Herr ihrer Daten und können nachdiesem Gesetz entscheiden, wer die Daten wann bekom-men soll .
Zweitens . Ehrlich gesagt, weiß ich auch nicht, wie einKühlschrank aussieht, der in einem Haushalt plötzlichsolch eine Last erzeugt, wenn man ihn öffnet . Wenn man200-Watt-Birnen in seinem Kühlschrank hat, dann sollteman zunächst einmal über die Energiewende im eigenenKühlschrank nachdenken und erst anschließend übereine Energiewende im ganzen Haus .
Worum geht es, meine Damen und Herren? Es gehtdarum, dass in der Energiewende nicht nur in der Pro-duktion, sondern in der ganzen Welt dieser Energiewendegrundlegende Veränderungen notwendig sind, also auchbei den Nutzern, beim Verbraucherverhalten . Früher hat-ten wir die Situation, dass man die Produktionskurve andie Verbrauchskurve angepasst hat . Künftig werden wires so einfach nicht mehr regeln können; denn die Pro-duktion ist im Bereich der erneuerbaren Energien kaumregelbar . Das heißt, wir müssen ein Stück weit anstreben,die Verbrauchskurve an die Produktionskurve anzupas-sen . Darum geht es heute .Ich will an dieser Stelle nur andeuten, dass wir alleinim letzten Jahr Redispatch-Kosten in Höhe von 1 Mil-liarde Euro hatten . Das hat damit zu tun, dass wir dieVerbrauchskurve eben nicht an die Produktionskurveanpassen können . Um das zu können, reicht der über70 Jahre alte Ferraris-Zähler, der zu Hause hängt, längstnicht mehr aus . Dafür brauchen wir Smart Meter .Zunächst geht um die Abnehmer großer Strommen-gen, also um die „low hanging fruits“ ab 6 000 Kilo-wattstunden . Damit man versteht, wer eigentlich davonbetroffen ist: Ein durchschnittlicher Haushalt verbraucht3 500 Kilowattstunden . Die Regelung gilt übrigens auchfür Mieter; denn meines Wissens gehört der Zähler zurWohnung und nicht zum Haus .
– Darüber reden wir noch einmal miteinander .Es geht um Daten, und es geht um Datenschutz . Wieman in Ostfriesland sagt: „Up’n holten Ambold kannstdu keen lesen schkarpen“, mit anderen Worten: Manbraucht ein vernünftiges Werkzeug, um hier vorzugehen .Drei Jahre lang hat es eine Projektierung des Daten-schutzkonzeptes mit dem BSI gegeben . Das ist eine lan-ge Zeit – finde ich auch –, viele in der Branche finden: viel zu lange . Aber das jetzt vorliegende Konzept isteinmalig in Europa . Die Kritik der Verbraucherschützer,die wir gerade in diesen Tagen den Medien entnehmenHansjörg Durz
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können, ist für mich völlig unverständlich . Denn, – grobskizziert, – wird Folgendes geregelt: Die Daten bleibengenerell beim Verbraucher . Er entscheidet, wer die Datenbekommt . Nur wer sie unbedingt benötigt, bekommt dieDaten automatisch: Das sind die Netzbetreiber, der Ener-gieversorger und der Handel, für den sich der Verbrau-cher entschieden hat .Das Recht, Daten zu erhalten – das hat Frau Staats-sekretärin Gleicke schon gesagt –, folgt der energiewirt-schaftlichen Aufgabe, und nur dafür dürfen die Datenauch tatsächlich verwendet werden; also nicht, um ne-benbei noch Eis zu verkaufen . Der Kunde entscheidet amEnde, wer die Daten zusätzlich bekommen soll; und wirwissen, wie sich Kunden manchmal verhalten . Der Kö-nig beim Wettbewerb um die Daten ist also der Kunde,und gemäß diesem Konzept bleibt er das auch .Zur Kritik, dass es keine variablen Tarife gibt . Das istdoch eine klare Henne-Ei-Problematik; denn wenn wirdie Infrastruktur nicht haben, haben wir auch die Tarifenicht . Wir brauchen also zunächst erst einmal die Infra-struktur .Insgesamt profitieren alle Verbraucher in Deutschland davon, wenn die Netzbetreiber ihr Netz exakter steuernkönnen, und genau darum geht es . Die Besitzer von SmartMetern mit variablen Tarifen würden doppelt profitieren, und die Kosten für Smart Meter sind klar begrenzt .Es gibt eine Diskussion darüber, ob die Verteilnetz-betreiber oder die Übertragungsnetzbetreiber oder beideanschließend die Smart-Meter-Daten haben sollen . ImGesetzentwurf steht: Beide sollen die Daten bekom-men . – Darüber werden wir noch Gespräche zu führenhaben, und zwar mit folgenden Zielen: Erstes Ziel: Klei-ne VNBs sollen nicht vom Markt gedrängt oder benach-teiligt werden . Zweites Ziel: ÜNBs und VNBs sollen ihrNetz optimal betreuen können . Das dritte Ziel ist: DieNetzentgelte sollen gesenkt werden .Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende und be-danke mich für die Aufmerksamkeit .
Ich schließe die Aussprache . – Liebe Kolleginnen und
Kollegen, Sie können jetzt noch nicht ins Wochenende
gehen, wir müssen nämlich noch die Überweisung be-
schließen .
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/7555 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall .
Dann haben wir das beschlossen .
Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesord-
nung .
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Mittwoch, den 16 . März 2016, 13 Uhr, ein .
Die Sitzung ist geschlossen . Jetzt kann auch ich Ihnen
ein schönes Wochenende wünschen .