Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 211. Sitzung des Deutschen Bundestags und bitte den Herrn Schriftführer, die Namen der entschuldigten Abgeordneten bekanntzugeben.
Es sucht für längere Zeit um Urlaub nach der Abgeordnete Fürst zu Oettingen-Wallerstein für fünf Wochen wegen Krankheit. Der Präsident hat Urlaub erteilt für drei Tage den Abgeordneten Goetzendorff, Wagner, Dr. Schröder , Vesper, Reimann, Frau Dr. Gröwel und Wackerzapp, für zwei Tage den Abgeordneten Neumann, Lausen und Franke. Entschuldigt fehlen die Abgeordneten Etzenbach, Dr. Dorls, Schmücker, Schuler, Hoppe und Dr. Veit.
Meine Damen und Herren! Ich habe zunächst den als Nachfolger des verstorbenen Herrn Abgeordneten Knothe in den Bundestag eingetretenen Herrn Abgeordneten Moosdorf zu begrüßen und ihm eine erfolgreiche Arbeit in unserem Hause zu wünschen.
Ich heiße Herrn Abgeordneten Bazille, der nach mehrmonatiger Krankheit auf Grund eines Unfalles wieder an den Sitzungen teilnimmt, herzlich willkommen.
Ich habe weiter mitzuteilen, daß der Abgeordnete Wittmann mir unter dem 9. Mai mitgeteilt hat, daß er aus der Gruppe der Deutschen Partei Bayerns ausgetreten und somit aus der Fraktion der DP/DPB ausgeschieden ist. Herr Abgeordneter Wittmann gehört dem Hause fraktionslos an.
Da ich gerade die Stimme des Herrn Abgeordneten Loritz höre, darf ich darauf hinweisen, daß sein Einspruch gegen den Ordnungsruf verteilt wird. Wir werden nach der Verteilung dieses Einspruchs darauf zurückkommen.
— Ein Teil der Abgeordneten hat ihn noch nicht; oder haben alle Abgeordneten ihn erhalten?
— Ist er überall verteilt? — Herr Abgeordneter Loritz legt Wert darauf, daß er auch gelesen wird, wie er mir eben sagte.
— Ist geschehen? — Meine Damen und Herren, dann darf ich den Einspruch des Herrn Abgeordneten Loritz mit Ihrem Einverständnis auf die Tagesordnung setzen.
Ich habe weiter mitzuteilen, daß Herr Vizepräsident Dr. Schäfer mir mitgeteilt hat, daß er aus der deutschen Delegation zur Beratenden Versammlung des Europarats ausscheide. Die Fraktion der FDP hat an seiner Stelle den Herrn Abgeordneten Dr. Freiherrn von Rechenberg benannt. Ist das Haus damit einverstanden, daß im Hinblick auf die Ende Mai beginnende Sitzungsperiode die Ersatzwahl, die vom Bundestag vorgenommen werden muß, heute vorgenommen wird?
— Dann darf ich auch diesen Punkt auf die Tagesordnung setzen.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden wie üblich ohne Verlesung ins Stenographische Protokoll aufgenommen:
Der Deutsche Bundesrat hat in seiner Sitzung am 9. Mai 1952 beschlossen, zum Gesetz zur Änderung des Zollgesetzes und der Verbrauchsteuergesetze einen Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen.
Zum Gesetz über die Aufhebung einiger Polizeiverordnungen auf dem Gebiet des Verkehrs mit Arzneimitteln und zum Gesetz über die In-
anspruchnahme eines Teils der Einkommen- und der Körperschaftsteuer durch den Bund im Rechnungsjahr 1952 hat er beschlossen, zu verlangen, daß der Vermittlungsausschuß einberufen wird.
Auf Grund des Beschlusses des Deutschen Bundestages in seiner 164. Sitzung hat der Herr Bundesminister der Justiz über die Angelegenheit des tschechoslowakischen Staatsangehörigen Frantisek Kroupa berichtet. Sein Schreiben vom 6. Mai 1952 wird als Drucksache Nr. 3368 verteilt werden.
Auf Grund des Beschlusses des Deutschen Bundestages in seiner 166. Sitzung hat der Herr Bundeskanzler über den Ausbau der Bundesstraßen 51 und 54 berichtet. Sein Schreiben vom 6. Mai 1952 wird als Drucksache Nr. 3357 verteilt werden.
Auf Grund des Beschlusses des Deutschen Bundestages in seiner 185. Sitzung hat der Herr Bundeskanzler über das Freiburger Flugplatzprojekt berichtet. Sein Schreiben vom 6. Mai 1952 wird als Drucksache Nr. 3358 verteilt werden.
Auf Grund der in der 195. Sitzung des Deutschen Bundestages angenommenen Entschließung über die Tätigkeit von Deutschen bei den Besatzungsmächten hat der Herr Bundeskanzler mit Schreiben vom 7. Mai 1952 einen Zwischenbescheid gegeben, der als Drucksache Nr. 3359 verteilt werden wird.
Der Herr Bundesminister für Arbeit hat unter dem 5. Mai 1952 weitere ergänzende Ausführungen über die Möglichkeiten der Einberufung einer europäischen Regionalkonferenz der Internationalen Arbeitsorganisation gemacht, die mit Anfrage Nr. 231 der Fraktion der SPD verlangt wurde. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 3366 verteilt werden.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat mit Schreiben vom 11. Mai 1952 die Kleine Anfrage Nr. 260 der Fraktion der CDU/CSU betreffend Maßnahmen gegen Besatzungsnotstände in Bad Oeynhausen beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 3367 verteilt werden.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat weiter die Kleine Anfrage Nr. 263 der Abgeordneten Dr. Dr. Nöll von der Nahmer und Genossen betreffend Wertpapierbereinigung beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 3361 verteilt werden.
Dann habe ich zur heutigen Tagesordnung ein Schreiben erhalten. Darin teilt mir Herr Abgeordneter Kunze im Auftrage der Fraktionen der CDU/ CSU, FDP und DP/DPB mit, daß in den Fraktionen noch Besprechungen für die heute angesetzte dritte Lesung des Lastenausgleichsgesetzes stattzufinden hätten und gebeten wird, erst um 14 Uhr in die Beratung der dritten Lesung einzutreten. Herr Abgeordneter Kunze schlägt vor, daß die Punkte Teuerungszulagengesetz und der Entwurf eines Gesetzes zur Einbringung eines Art. 121 a in das Grundgesetz erledigt werden. Er hat aber, wie ich unterrichtet bin, dann den Wunsch ausgesprochen, diese Punkte nicht erst auf die Tagesordnung vom Freitag, sondern mindestens auf die morgige Tagesordnung zu setzen. Sind Sie damit einverstanden? — Also ich bitte, unter Umständen noch ein Einverständnis darüber herbeizuführen. Oder kann ich das Einverständnis des Hauses unterstellen?
— Offenbar.
Ist das Haus damit einverstanden, daß wir nach Erledigung der Punkte 1 bis 3 der Tagesordnung die Sitzung unterbrechen und sie erst um 14 Uhr wieder beginnen lassen? — Das ist offenbar der Fall.
Zur heutigen Tagesordnung wünscht Herr Abgeordneter Renner einen Antrag zu stellen. Bitte, Herr Abgeordneter!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte, auf die heutige Tagesordnung den Punkt zu setzen: Bildung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses nach Art. 44 des Grundgesetzes, der die Aufgabe haben soll, die blutigen Vorgänge am Sonntag in Essen und die Beteiligung der Bundesregierung an der Verantwortung für diese Bluttaten zu überprüfen.
Es ist allgemein bekannt, daß der Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen — einige Tage nachdem das Verbot dieser Kundgebung auf Anregung der Bundesregierung durch den Innenminister und gleichzeitigen Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen am 8. Mai ausgesprochen worden war — auf dieses Verbot einen maßgeblichen Einfluß genommen hat.
Herr Abgeordneter Renner, es geht augenblicklich nicht um die Begründung des Antrags auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, sondern um den Antrag, einen Punkt auf die Tagesordnung zu setzen. Ich kann im Augenblick nur die Frage der Aufsetzung dieses Punktes zur Debatte stellen.
Was ist in Essen geschehen? In Essen haben friedliche junge Menschen
demonstriert für den Frieden, — —
Herr Abgeordneter Renner, es geht — —
— gegen die Adenauersche Kriegspolitik.
Herr Abgeordneter Renner, ich muß Sie zum zweitenmal unterbrechen. Wenn Sie zur Begründung der Tatsache, diesen Punkt heute auf die Tagesordnung zu setzen, nichts weiter sagen wollen, bitte ich Sie, nicht auf die sachlichen Ausführungen einzugehen.
In Essen ist ein junger Mensch im Alter von 21 Jahren ermordet worden,
weil er in durchaus friedlicher Absicht protestieren wollte gegen die Politik dieser Adenauer-Regierung. In Essen — —
Herr Abgeordneter Renner, ich unterbreche Sie zum drittenmal. Sie begründen ständig den Antrag auf Einsetzung — —
Ich will den Antrag begründen, weil ich der Auffassung bin — —
Herr Abgeordneter Renner, das Wort zur Geschäftsordnung — —
Ich will den Antrag begründen, weil ich der Auffassung bin, daß hier das Volk wissen muß, — —
Das Wort — —
— was in Essen geschehen ist. Ich will herausstellen, daß die Mordtat in Essen zurückfällt auf die Bundesregierung.
Herr Abgeordneter Renner!
Ich entziehe Ihnen das Wort, Herr Abgeordneter Renner!
Ich will herausstellen, daß der Mörder — —
Herr Abgeordneter Renner, ich rufe Sie zur Ordnung!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich will herausstellen, daß der Mörder Lehr heißt.
Herr Abgeordneter Renner, ich verweise Sie wegen grober Ungebührlichkeit aus dem Saal. Ich bitte Sie, den Saal zu verlassen.
Ich will herausstellen, daß in Essen ein junger Mensch ermordet worden ist im Auftrag der amerikanischen Kriegstreiber.
Herr Abgeordneter Renner, ich bitte Sie, mich nicht in die Lage zu bringen, Sie durch den Hausordnungsdienst aus dem Saal bringen zu lassen.
Sie können mich bitten, was Sie wollen, Sie werden die Stimme unseres Volkes
nicht unterdrücken, das den Frieden und die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands will und erkämpfen wird.
Ich unterbreche die Sitzung.
Die Sitzung wird um 9 Uhr 24 Minuten durch den Präsidenten Dr. Ehlers wieder eröffnet.
Meine Damen und Herren, Ich eröffne die unterbrochene Sitzung wieder. Ich habe zu fragen, ob dem vorhin gestellten Antrag, den Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses auf die heutige Tagesordnung zu setzen, widersprochen wird. — Das ist der Fall. Damit kann dieser Punkt nicht auf die Tagesordnung gesetzt werden.
Wir haben den
Einspruch des Herrn Abgeordneten Loritz gegen den ihm in der 210. Sitzung erteilten Ordnungsruf
auf die Tagesordnung gesetzt. Wünschen Sie, ihn zuerst zu erledigen? — Das ist offenbar der Fall. Ich darf also zunächst vor der Berichterstattung zu Punkt 1 den Einspruch des Herrn Abgeordneten Loritz, Umdruck Nr. 520, erledigen. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Einspruch gegen
den Ordnungsruf, der dem Herrn Abgeordneten Loritz erteilt worden ist, stattzugeben wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Dieser Einspruch ist mit großer Mehrheit zurückgewiesen worden.
Ich rufe auf den Punkt 1 der heutigen Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Aufnahme eines Kredits durch den Bund im Rahmen der von den Vereinigten Staaten gewährten Wirtschaftshilfe ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für ERP-Fragen (Nr. 3345 der Drucksachen).
Im Einvernehmen mit dem Ältestenrat schlage ich Ihnen eine Aussprachezeit für die allgemeine Besprechung der dritten Beratung von 40 Minuten vor. — Das Haus ist damit einverstanden.
Ich habe darauf hinzuweisen, daß nach einer Vereinbarung, die nach meiner Unterrichtung getroffen worden ist, der Bericht nicht vom ERP-Ausschuß, wie auf der Tagesordnung vermerkt, sondern vom Ausschuß für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten erstattet wird. Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Dr. Semler. Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Vorlage ist vom Finanzausschuß, vom ERP-Ausschuß und vom Auswärtigen Ausschuß beraten worden. Es handelt sich um den Abschluß eines Kreditvertrags zwischen der Export-Import-Bank in Washington und der Bundesrepublik über einen Anleihebetrag von 16,9 Millionen Dollar. Dieser Betrag stellt einen Teil der Wirtschaftshilfe dar, den die Bundesrepublik im Marshallplan-Fiskaljahr 1951/52 erhält. Die Gesamthilfe von 106 Millionen Dollar ist aufgeteilt in einen Anteil, der der Bundesrepublik als Schenkung zugewiesen ist in Höhe von 89,1 Millionen und in den vorgenannten Restbetrag, der der Bundesrepublik als Anleihe zur Verfügung gestellt werden soll. Diese Anleihe von 16,9 Millionen wird mit 2 1/2 % verzinslich sein und ist langfristig in Jahresraten tilgbar.
Angesichts dieser Bedingung der Anleihe haben der Finanzausschuß und der ERP-Ausschuß gegen den Abschluß eines entsprechenden Anleiheabkommens keine Bedenken und empfehlen dem Hohen Hause, dem Inhalt des Abkommens zuzustimmen.
Der Auswärtige Ausschuß hatte eine weitere Frage zu prüfen, und zwar die Frage, ob durch eine Genehmigung dieses Kreditvertrages der Notenwechsel zwischen dem amerikanischen Hohen Kommissar — in seiner Eigenschaft als Sonderbevollmächtigter für die ECA in Deutschland — und der Bundesrepublik etwa zunächst der Ratifikation bedürfte, bevor dieses Kreditabkommen geschlossen werden könnte oder ob die Bewilligung dieses Kreditabkommens für die später vorzunehmende Ratifikation dieses Notenwechsels in irgendeiner Weise präjudizierlich sein könnte.
Hierzu ist zu bemerken, daß nach den Ausführungen der Bundesregierung im Auswärtigen Ausschuß die Grundlage für diese Kreditbewilligung in dem Kongreßgesetz zu suchen ist, das als Mutual Security Act bekannt ist. Bei den Bedingungen für die Gewährung von Hilfe nach diesem Gesetz hat man zwei verschiedene Tatbestände zu
unterscheiden. In § 511 des Gesetzes finden sich im Abs. a die Bedingungen für militärische, wirtschaftliche oder technische Hilfe an andere Nationen. Die Gewährung dieser Hilfe ist an eine ganze Reihe von Voraussetzungen geknüpft. In dem Abs. b dieses Gesetzes ist gesagt, daß technische oder wirtschaftliche Hilfe anderen Nationen unter gewissen Umständen gewährt werden darf, und zwar, wenn der Präsident feststellt, daß die Gewährung einer solchen Hilfe die Sicherheit der Vereinigten Staaten stärkt und den Weltfrieden fördert, und wenn das Empfangsland sich bereit erklärt hat, an der internationalen Verständigung zur Aufrechterhaltung des Weltfriedens mitzuarbeiten und diejenigen Maßnahmen zu ergreifen, die wechselseitig vereinbart werden, um die Ursachen internationaler Spannungen zu beseitigen.
Der Ausschuß hat die Frage geprüft, ob unter diesen Voraussetzungen das vorliegende Kreditabkommen in diesem Hause genehmigt werden kann, ohne daß vorher der Notenwechsel ratifiziert worden ist. Die Mehrheit des Ausschusses ist der Auffassung, daß in der Tat der Genehmigung des Kreditabkommens nichts im Wege steht, da es auf § 511 b, den ich soeben dem Hause bekanntgegeben habe, gestützt wird und vermutlich — das konnte uns die Bundesregierung nicht eindeutig sagen, aber man darf es vermuten — auch die Mittel aus Fonds stammen, die nicht etwa für militärische und ähnliche Hilfe an andere Staaten im amerikanischen Kongreß bewilligt sind. Immerhin, da diese Frage nicht ganz zweifelsfrei geklärt werden konnte, hat der Auswärtige Ausschuß einstimmig festgestellt, daß durch die Zustimmung zu dem vorliegenden Gesetzentwurf keine Entscheidung über die Ratifikationsbedürftigkeit des Notenwechsels zwischen dem Sondervertreter der ECA, dem amerikanischen Hohen Kommissar, vom 19. Dezember 1951 und dem Bundeskanzler vom 28. Dezember 1951 vorweggenommen werden soll.
Der Auswärtige Ausschuß hat mich beauftragt, Ihnen diese Entschließung ausdrücklich als seine Auffassung bekanntzugeben.
In dem Anleiheabkommen ist ferner vorgesehen, daß der Bundesjustizminister eine Erklärung über die Ordnungsmäßigkeit des für die Bewilligung notwendigen deutschen Verfahrens abgibt. Diese Bestimmung entspricht ähnlichen Bestimmungen, wie sie in internationalen Anleiheverträgen häufig zu finden sind. Immerhin legt der Auswärtige Ausschuß Wert darauf, festzustellen, daß durch das in Ziffer 5 b des dem Gesetzentwurf anliegenden Abkommens vorgesehene Gutachten des Bundesjustizministeriums keine authentische Interpretation des Grundgesetzes hinsichtlich der Ratifikationsbedürftigkeit des oben bezeichneten Notenwechsels gegeben wird.
Wenn das Hohe Haus dieser Auffassung des Auswärtigen Ausschusses zustimmt, die ich soeben in diesen beiden Punkten bekanntgegeben habe, empfiehlt auch der Auswärtige Ausschuß:
Der Bundestag wolle beschließen, dem Entwurf eines Gesetzes über die Aufnahme eines Kredits durch den Bund im Rahmen der von den Vereinigten Staaten gewährten Wirtschaftshilfe unverändert nach der Vorlage zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Meine Damen und Herren, wir treten in die zweite Beratung des Gesetzes — Drucksache
Nr. 3333 — ein. Ich rufe auf § 1, — § 2, — Einleitung und Überschrift. — Herr Abgeordneter Wehner, Sie wünschen das Wort zu nehmen? — Es liegen keine Wortmeldungen vor. Ich schließe die Einzelbesprechung der zweiten Beratung. Ich bitte die Damen und Herren, die den §§ 1 und 2, der Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; die aufgerufenen Paragraphen, Einleitung und Überschrift sind mit Mehrheit angenommen.
Ich komme zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Besprechung. Herr Abgeordneter Wehner, bitte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion vermag der Empfehlung des Herrn Ausschußberichterstatters nicht zu folgen. Das Gesetz über die Aufnahme eines Kredits durch den Bund im Rahmen der von den Vereinigten Staaten gewährten Wirtschaftshilfe steht, wie wir im Bericht gehört haben, materiell im Zusammenhang mit dem Abkommen über gegenseitige Sicherheit, zu dem der Bundestag bisher seine Zustimmung nicht gegeben hat. Durch den Notenwechsel zwischen dem amerikanischen Hohen Kommissar und dem Herrn Bundeskanzler vom 19. Dezember bzw. 28. Dezember vergangenen Jahres ist der Übergang vom Abkommen über wirtschaftliche Zusammenarbeit vom 15. Dezember 1949, das der Bundestag ratifizierte, zu einem Abkommen über gegenseitige Sicherheit vorgenommen worden. Art und Zweckbestimmung des Gesetzes über gegenseitige Sicherheit verleihen diesem Gesetz eine weitertragende und auch materiell andere Bedeutung als die eines Bewilligungsgesetzes von der Art des Gesetzes über wirtschaftliche Zusammenarbeit, dem der Bundestag im Rahmen des Abkommens vom Dezember 1949 seine Zustimmung gegeben hat.
Das in der Note des Herrn Bundeskanzlers vom 28. Dezember vergangenen Jahres ausgesprochene ausdrückliche Bekenntnis zur Zweckerklärung des Gesetzes über gegenseitige Sicherheit — eines amerikanischen Gesetzes -- kann nicht als eine bloße Zusatzvereinbarung zum Abkommen vom Dezember 1949 angesehen werden. Es handelt sich unserer Auffassung nach dabei um eine politische Willenserklärung der Bundesregierung, die durch die Ratifikation des Abkommens vom 15. Dezember 1949 nicht gedeckt wird. Das Bekenntnis zum Zweck des Gesetzes über gegenseitige Sicherheit umschließt ausdrücklich ein Bekenntnis zur Stärkung der Außenpolitik und Sicherheit der Vereinigten Staaten, und es steht für uns außer Zweifel, daß der Notenwechsel vom Dezember 1951 ratifikationsbedürftig ist. Es bedarf also eines Bundesgesetzes. Bevor der Bundestag über dieses Ratifikationsgesetz entschieden hat, kann nach Ansicht der sozialdemokratischen Fraktion kein Gesetz beschlossen werden, das materiell auf dem Abkommen über gegenseitige Sicherheit fußt, wie es in diesem Gesetz, das uns in Drucksache Nr. 3333 vorgelegt wurde, der Fall ist. Eine vorherige Beschlußfassung über ein Gesetz, das sich aus dem Abkommen über gegenseitige Sicherheit herleitet, könnte als eine Art von Anerkennung des erwähnten Notenwechsels angesehen werden, ohne daß die gesetzgebende Körperschaft diesen Notenwechsel ausdrücklich und in der notwendigen Form anerkannt hätte. Einem solchen Mißverständnis darf
sich der Bundestag nach unserer Meinung um so weniger aussetzen, als bei Stellen der Bundesregierung die Auffassung vorhanden war, als ob dieser Notenwechsel keiner Ratifikation bedürfe.
Daß auch die Mehrheit des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten Wert darauf legt, nicht den Eindruck aufkommen zu lassen, als würde die Beschlußfassung über das jetzt hier vorgelegte Kreditgesetz eine Ratifikation sozusagen vorwegnehmen oder präjudizieren, zeigt ja, daß es in dieser Beziehung auch bei der Mehrheit erhebliche Bedenken gibt. Wir können uns aber mit diesen Bedenken allein nicht zufriedengeben; daher stimmt die sozialdemokratische Fraktion gegen dieses Gesetz.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die allgemeine Besprechung. Eine Einzelbesprechung entfällt, da Änderungsanträge zum Gesetz nicht gestellt sind. Ich komme zur Schlußabstimmung über das Gesetz über die Aufnahme eines Kredits durch den Bund im Rahmen der von den Vereinigten Staaten gewährten Wirtschaftshilfe. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Gesetz in seiner Gesamtheit zuzustimmen wünschen, sich von den Plätzen zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit. Das Gesetz ist in der Schlußabstimmung angenommen.
Meine Damen und Herren! Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP, DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über die einstweilige Gewährung einer Teuerungszulage zur Abgeltung von Preiserhöhungen bei Grundnahrungsmitteln (Teuerungszulagenänderungsgesetz — TZÄndG —) (Nr. 3217 der Drucksachen);
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik (Nr. 3337 der Drucksachen).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Meyer . Es wird Ihnen vorgeschlagen, hier ebenfalls eine allgemeine Aussprachezeit von 40 Minuten in der dritten Beratung vorzusehen. Das Haus ist damit einverstanden. Ich darf bitten, Herr Abgeordneter!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der 161. Sitzung am 12. Juli 1951 wurde — kurz vor den Ferien — das sogenannte Teuerungszulagengesetz in zweiter und dritter Beratung angenommen. In der Zwischenzeit konnte dieses Gesetz jedoch nur von den Trägern der Krankenversicherung, der Unfallversicherung und den Arbeitsämtern durchgeführt werden. Nicht durchgeführt wurde es von den Rentenversicherungsträgern und den Versorgungsämtern. Die Rentenversicherungsträger machten bereits 14 Tage nach Verkündigung des Gesetzes durch ihren „Ständigen Ausschuß" die Gesetzgebung auf die Notwendigkeit aufmerksam, das Gesetz zu ändern, da es für die Rentenversicherungsträger wesensfremd sei, die Einkommensverhältnisse der Antragsteller zu prüfen und zu überwachen. Diesen Bedenken wurde jetzt im Änderungsgesetz dadurch Rechnung getragen, daß die Einkommensprüfung von den Fürsorgeämtern durchgeführt wird. Darüber hinaus konnten die erforderlichen Verwaltungsvorschriften nicht in Übereinstimmung mit den Auffassungen des Bundesrats gebracht werden.
Durch das sogenannte Soforthilfe-Anpassungsgesetz, das von uns am 25. Oktober 1951 beschlossen wurde, trat eine Verbesserung für die Kreise ein, die seinerzeit durch das Teuerungszulagengesetz erfaßt werden sollten. Nach Annahme des Unfallrentenzulagengesetzes greift auch dieses Gesetz in die angesprochene Materie ein, da besonders § 7 Abs. 2 dieses Gesetzes noch nachträgliche Erhöhungen für solche Kreise bringt, die seinerzeit in das Teuerungszulagengesetz durch die Anwendung der Ruhensbestimmungen sehr benachteiligt wurden.
Ich will diese Materie hier nicht ansprechen, sondern nur die Regierung bei dieser Gelegenheit darauf aufmerksam machen, damit zu diesem wichtigen § 7 Abs. 2 nun sehr schnell Ausführungsbestimmungen erlassen werden. Die einzelnen Gesetze, insbesondere in der Sozialversicherung, sind stark miteinander verzahnt. Obwohl es sich lohnen würde, diese Dinge gemeinsam zu betrachten, möchte ich als Berichterstatter jedoch davon absehen.
In Vorbesprechungen zu diesem Gesetz, an denen auch Vertreter des Bundesrats und der Bundesregierung teilnahmen, und nach eingehenden Ausschußberatungen glaubt der Sozialpolitische Ausschuß, nun die Grundsätze des Gesetzes so geklärt zu wissen, daß er Ihnen die Annahme empfehlen kann.
Wichtig erscheint zunächst die Frage, welche Kreise in Zukunft von der Teuerungszulage ausgenommen werden. Es sind dies erstens die Empfänger von Familiengeld der Unfallversicherung, zweitens die Empfänger von Krankengeld der Unfallversicherung sowie Kranken- und Hausgeld der Krankenversicherung, drittens die Empfänger von Kranken- und Hausgeld nach dem Bundesversorgungsgesetz. Diese drei Gruppen fallen also in Zukunft nicht mehr unter das Teuerungszulagengesetz.
Für die Soforthilfeempfänger waren die Teuerungszulagen nach dem Teuerungszulagengesetz bereits mit Wirkung vom 1. Oktober 1951 weggefallen, weil die Unterhaltshilfe durch das Soforthilfe-Anpassungsgesetz erhöht worden ist. Für die voraufgegangenen drei Monate haben mich diese Kreise die Teuerungszulage erhalten.
Geklärt wurde auch, daß bei Bezug mehrerer Sozialleistungen die Teuerungszulage zu den in der Reihenfolge des § 1 Abs. 1 jeweils erstgenannten Sozialleistungen gewährt und beim Zusammentreffen mehrerer Sozialversicherungsrenten zu der h ö c h s t en Sozialversicherungsrente gewährt wird.
Bei den Betrachtungen hat auch eine Rolle gespielt. ob man für die Empfänger von Arbeitslosenfürsorgeunterstützung die Höchstgrenzen aufheben soll. Der Ausschuß glaubt aus grundsätzlichen Erwägungen diesen Anregungen nicht folgen zu können. § 3 Abs. 2.
Weiter ist es die Pflicht des Berichterstatters, darauf hinzuweisen, daß der Sozialpolitische Ausschuß nahezu einstimmig der Auffassung war, daß die bisherige Einteilung der Wohngemeinden in Ortsklassen, die auch in diesem Gesetz in § 4 herangezogen wird, überholt ist und dringend eine Neufassung, wenn nicht gar Beseitigung, notwendig
macht. Wegen der Dringlichkeit dieses Gesetzes mußte jedoch von einer anderen Regelung Abstand genommen werden.
In § 5 Abs. 1 wird gesagt, daß die Teuerungszulage grundsätzlich mit der Sozialleistung gezahlt wird. Maßgebend 'ist stets nach § 5 Abs. 2 das Einkommen des letzten Kalendermonats, bei veränderlichem Einkommen das Durchschnittseinkommen der letzten drei Kalendermonate.
Bereits in Anpassung an das zu erwartende Gesetz zur Änderung und Ergänzung fürsorgerechtlicher Bestimmungen wird ergänzt:
Als Einkommen gelten alle Einkünfte; abzusetzen sind Aufwendungen für Steuern, Beiträge zur Sozialversicherung, Arbeitslosenversicherung und privaten Versicherung oder ähnlichen Einrichtungen in angemessenem Umfange sowie die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben.
In § 4 Abs. 4, der einige Bedeutung hat, heißt es weiter:
Von der Grundrente für 'Beschädigte nach § 31 des Bundesversorgungsgesetzes bleiben die Hälfte, mindestens aber 10 DM je Monat, außer Ansatz.
Nach einer längeren Aussprache bleibt es bei der ursprünglich vorgelegten Fassung des Gesetzes, die besagt:
Die Träger der Rentenversicherung können sich bei der Prüfung, ob hinsichtlich der Einkommensverhältnisse die Voraussetzungen des § 4 erfüllt sind, der Verwaltungshilfe der Fürsorgeverbände bedienen.
Krankengeldempfänger erhalten in zur Zeit laufenden Fällen die Teuerungszulage, solange ihnen ein Krankengeldanspruch zusteht. Im übrigen fallen Teuerungszulagen, die nach dem Änderungsgesetz nicht mehr zu gewähren sind, spätestens mit dem Ende des auf die Verkündung dieses Gesetzes folgenden Kalendermonats weg.
Auch dieses Gesetz tritt mit Wirkung vom 1. Juli 1951 in Kraft.
Ich habe die Ehre, Sie im Namen des Sozialpolitischen Ausschusses zu bitten, das Gesetz in der nunmehr vorliegenden Form anzunehmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich komme zur Einzelbesprechung der zweiten Beratung. Ich rufe auf Art. 1, — Art. 2, — Art. 3, — Einleitung und Überschrift. — Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Besprechung. Ich bitte die Damen und Herren, die den Artikeln 1, —2, — 3,— der Einleitung und der Überschrift in der Fassung der Drucksache Nr. 3337 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Diese Bestimmungen sind einstimmig angenommen worden.
Ich komme zur
dritten Beratung.
Die Einzelbesprechung entfällt, da keine Änderungsanträge gestellt worden sind. Ich komme zur Schlußabstimmung über das Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über die einstweilige Gewährung einer Teuerungszulage zur Abgeltung von Preiserhöhungen bei Grundnahrungsmitteln (Teuerungszulagenänderungsgesetz). Ich bitte die Damen und Herren, die dem Gesetz in seiner Gesamtheit zuzustimmen wünschen, sich von ihren Plätzen zu erheben. — Bei offenbar einer Gegenstimme — oder Enthaltung? —
— bei einer Enthaltung ist das Gesetz angenommen.
Ich rufe auf den Punkt 3 der Tagesordnung: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität betreffend Änderung der Gemeinsamen Geschäftsordnung des Bundestages und des Bundesrates für den Ausschuß nach Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) (Nr. 3354 der Drucksachen).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Ritzel. Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Das Hohe Haus hat am 19. April 1951 der gemeinsamen Geschäftsordnung des Bundestags und des Bundesrats für den Vermittlungsausschuß nach Art. 77 des Grundgesetzes zugestimmt.
Der § 1 dieser Geschäftsordnung lautet:
Ständige Mitglieder
Bundestag und Bundesrat entsenden je zwölf ihrer Mitglieder, die den ständigen Vermittlungsausschuß bilden.
Die Wahl der Zahl zwölf beruhte auf der Erwägung, die bei der Vorberatung eine entscheidende Rolle spielte, daß jedem der zwölf deutschen Bundesländer eine Vertretung gegeben werden möge. Daraufhin kam auch eine Vertretung des Bundestags mit zwölf Mitgliedern des Hohen Hauses zustande. Auf Grund der Entwicklung, die zur Bildung des Südweststaates geführt hat, kam an den Herrn Präsidenten des Deutschen Bundestags ein Schreiben des Herrn Präsidenten des Bundesrats, in dem es heißt, daß der Bundesrat in seiner 84. Sitzung vom 9. Mai 1952 folgendes beschlossen hat:
1. Entsprechend der durch die Bildung des südwestdeutschen Bundeslandes eingetretenen Verminderung der Zahl der Länder in der Bundesrepublik von zwölf auf zehn soll in § 1 der gemeinsamen Geschäftsordnung des Bundestags und des Bundesrats für den Ausschuß nach Art. 77 des Grundgesetzes die Zahl zwölf durch die Zahl zehn ersetzt werden.
Punkt 2 ist in dem Zusammenhange nicht von entscheidender Bedeutung.
Der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität hat sich in zwei Sitzungen mit der Angelegenheit befaßt und empfiehlt dem 'Bundestag, zu beschließen:
1. In § 1 der Geschäftsordnung des Vermittlungsausschusses vom 19. April 1951 ist die Zahl 12 durch die Zahl 10 zu ersetzen.
2. Der Stellenanteil der Fraktionen des Bundestags für die zehn Mitglieder des Bundestags im Vermittlungsausschuß wird nach dem Verfahren d'Hondt errechnet. Hierzu sind die Fraktionsstärken vom Tage dieses Beschlusses für die Berechnung zugrunde zu legen.
Zu Ihrer Information darf ich sagen, daß damit entfallen würden auf die Fraktion der CDU/CSU fünf Mitglieder im Vermittlungsausschuß, auf die Fraktion der SPD vier, auf die Fraktion der FDP ein Mitglied.
In der Zwischenzeit ging noch ein Schreiben des Vorsitzenden des Vermittlungsausschusses, des Herrn Kollegen Kiesinger, hier ein, in dem es heißt:
Wie ich erfahre, hat der Bundesrat in seiner 84. Sitzung am 9. Mai 1952 bereits den Eventualbeschluß gefaßt, einem Beschluß des Bundestags, wie er vom Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität beantragt worden ist, zuzustimmen. Beschließt daher der Bundestag antragsgemäß, so wird die Änderung der Geschäftsordnung sofort wirksam. Die dem Vermittlungsausschuß vorliegenden Anträge des Bundesrats verlangen die unverzügliche Einberufung des Vermittlungsausschusses. Voraussetzung hierfür ist die Kenntnis der von beiden Häusern entsandten Persönlichkeiten. Die Änderung der Geschäftsordnung macht eine neue Benennung zumindest einiger vom Bundestag zu entsendender Mitglieder erforderlich. Ich wäre dankbar, wenn Sie die Fraktionen des Bundestags zweckmäßigerweise unmittelbar nach Verabschiedung des eingangs bezeichneten Antrags veranlaßten, sie in den Stand zu setzen, dem Vorsitzenden des Vermittlungsausschusses die vom Bundestag zu entsendenden Mitglieder des Vermittlungsausschusses bis Donnerstag, den 15. Mai, 12 Uhr, zu benennen.
Ich kann diesen Vorschlag nur unterstützen. Es ist bei den Vorberatungen im Geschäftsordnungsausschuß genügend klargeworden, daß es eine eilige Angelegenheit ist. Das Hohe Haus wird also gebeten — sowohl vom Bundesrat als auch vom Ausschuß für Geschäftsordnung —, der beantragten Änderung im § 1 der Satzungen des Vermittlungsausschusses zuzustimmen, die Zahl 12 auf die Zahl 10 herabzusetzen. Zudem wünscht der Herr Vorsitzende des Vermittlungsausschusses, daß die Personlichkeiten, die künftig als zehn Vertreter des Bundes tags in den Vermittlungsausschuß entsandt werden, bis morgen nachmittag 12 Uhr benannt werden möchten.
Da bisher die Anwendung des d'Hondtschen Systems für den Vermittlungsausschuß zwar praktisch geübt, aber nicht durch Beschluß festgelegt worden ist, wird zusätzlich gebeten, entsprechend Ziffer 2 des Antrags des Ausschusses zu beschließen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter, insbesondere auch dafür, daß er die Liebenswürdigkeit hatte, den an mich gerichteten Brief des Herrn Abgeordneten Kiesinger zu verlesen.
Ich möchte natürlich im übrigen nicht die Frage präjudiziert haben, ob 12 Uhr vormittags, mittags oder nachmittags ist.
Herr Abgeordneter Ritzel meinte: nachmittags.
Wird zu dem Bericht das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag des Geschäftsordnungsausschusses Drucksache Nr. 3354 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei einigen Gegenstimmen und einigen Enthaltungen angenommen. Ich darf entsprechend dem Wunsche des Herrn Vorsitzenden des Vermittlungsausschusses, den Herr Abgeordneter Ritzel bekanntgegeben hat, die beteiligten drei Fraktionen bitten, die von ihnen zu entsendenden Mitglieder mir bis morgen mittag 12 Uhr zu benennen.
Meine Damen und Herren, ich darf entsprechend der zu Beginn der Sitzung vorgenommenen Erweiterung der Tagesordnung bitten, die Frage der Ersatzwahl für die deutsche Delegation zur Beratenden Versammlung des Europarats jetzt noch zu erledigen. Die Fraktion der FDP schlägt vor, an Stelle des ausscheidenden Herrn Vizepräsidenten Dr. Schäfer den Herrn Abgeordneten Dr. Freiherrn von Rechenberg zu wählen. Ich bitte die Damen und Herren, die dieser Wahl zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit. Damit ist die Wahl erfolgt.
Es war vorgesehen, daß die Beratung des Lastenausgleichsgesetzes um 14 Uhr beginnt, und zwar mit Rücksicht auf den Wunsch einiger Fraktionen, vorher noch Beratungen abzuhalten.
Die Fraktion der FDP hat mich gebeten, mitzuteilen, daß ihre Fraktionssitzung um 11 Uhr beginnt. Sollen noch weitere Sitzungen bekanntgegeben werden? — Das ist nicht der Fall. Dann unterbreche ich die Sitzung bis 14 Uhr.
Die Sitzung wird um 14 Uhr 5 Minuten durch den Vizepräsidenten Dr. Schmid wieder eröffnet.
Meine Damen und Herren, wir fahren in der heute vormittag unterbrochenen Sitzung fort.
Punkt 4 der Tagesordnung:
Dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über einen Allgemeinen Lastenausgleich ;
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Schütz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Vertreter der drei Koalitionsparteien sind zur Zeit immer noch bei den Beratungen mit dem Herrn Bundeskanzler. Ich darf deshalb im Namen der drei Koalitionsparteien und im Einverständnis mit der Fraktion der SPD beantragen, die Sitzung noch für eine Stunde zu unterbrechen.
Wird zu diesem Antrag das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich stelle fest, daß das Haus mit diesem Antrag einverstanden ist.
Wir unterbrechen die 211. Sitzung ein zweites Mal. Das Haus wird sich um 15 Uhr wieder versammeln.
Die Sitzung wird um 15 Uhr 1 Minute durch den Vizepräsidenten Dr. Schmid wieder eröffnet.
Meine Damen und Herren! Wir fahren in der 211. Sitzung fort, und zwar bei der Behandlung des Punktes 4 der Tagesordnung:
Dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über einen Allgemeinen Lastenausgleich ;
Zusammenstellung der Beschlüsse in zweiter Beratung .
Wir treten ein in die allgemeine Aussprache. Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Gesamtredezeit von 180 Minuten vor. — Es erhebt sich kein Widerspruch.
Das Wort hat der Abgeordnete Ollenhauer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir stehen vor der entscheidenden und abschließenden dritten Lesung des Gesetzes über einen allgemeinen Lastenausgleich. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion will daher noch einmal ihren Standpunkt zu der Frage des Lastenausgleichs und zu dem jetzt hier zur Beratung stehenden Gesetzentwurf kurz darstellen.
Die Regelung des Lastenausgleichs ist nach unserer Auffassung die Bewährungsprobe der neuen deutschen Demokratie.
Vor sieben Jahren standen wir vor der größten nationalen Katastrophe unseres Volkes seit Jahrhunderten. Der Wahnwitz des totalen Krieges der nationalsozialstischen Gewalthaber führte zu einem totalen Zusammenbruch. Die bedingungslose Kapitulation raubte dem deutschen Volke alle Möglichkeiten der Entscheidung über sein inneres und äußeres Schicksal. Eine der schwerwiegendsten Folgen dieser Ereignisse war die völlige Umwälzung unserer inneren sozialen Ordnung. Sie brachte über viele Millionen Deutsche unsagbares Elend. Als Vertriebene, Ausgebombte, Kriegssachgeschädigte, Evakuierte, Kriegsopfer, Kriegshinterbliebene und Kriegsgefangene fiel auf sie durch den Verlust ihrer Existenz, ihrer Gesundheit, ihrer Wohnung, ihrer Arbeitsmöglichkeiten die volle Last einer Not, die die Geschichte dem ganzen deutschen Volke als Gesamtschicksal auferlegt hat. Seit den Maitagen 1945 mußte jedem verantwortungsbewußten Deutschen klar sein, daß die Neugestaltung unseres nationalen und staatlichen Lebens ohne eine umfassende, sozial gerechte Verteilung der Lasten des verlorenen Krieges auf alle Teile des deutschen Volkes auf die Dauer scheitern muß. Das um so mehr, als jede demokratische Ordnung in unserer Zeit damit steht und fällt, daß sie ihren Bürgern nicht nur die Rechte der persönlichen und politischen Freiheit sichert, sondern ihnen auch ein Minimum von sozialer Sicherheit garantiert.
Wir waren in den ersten Jahren der Besatzung in der Gestaltung unserer inneren Angelegenheiten nicht frei, und das Besatzungsregime hat in dieser entscheidenden Zeit die ihm zugemuteten politisch-pädagogischen Aufgaben in der Richtung einer demokratischen und sozialen Erneuerung in Deutschland in keiner Weise erfüllt. Aber seit 1947, seit der Bildung des Vereinigten Wirtschaftsgebiets beginnt unsere klare eigene Verantwortung. Wir sind ihr nicht gerecht geworden; im Gegenteil: in dieser Zeit begann die Politik der sogenannten sozialen Marktwirtschaft, die in Wirklichkeit die Politik der Besitzerhaltung und der
Besitzvermehrung des deutschen Großbesitzes ist.
Was im Frankfurter Wirtschaftsrat zunächst zögernd und schrittweise begonnen wurde, das ist in der Bundesrepublik seit 1949 von der Mehrheit dieses Hauses konsequent und rücksichtslos fortgesetzt und vollendet worden.
Seit 1949 hat sich in der Bundesrepublik ein umgekehrter Lastenausgleich vollzogen.
Es ist nichts Entscheidendes geschehen, um den sozialen Erdrutsch des Jahres 1945, der Millionen von deutschen Menschen zu erdrücken sucht, zu beseitigen; aber auf der andern Seite wurden Besitz und Vermögen einer kleinen Minderheit unseres Volkes in empörender Weise und ohne jedes soziale Empfinden gestützt und gestärkt. Das alles geschah planmäßig und bewußt. Das ganze System der Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik der Regierungsmehrheit diente diesem Zweck. Das Resultat dieser Politik ist, daß es heute in keinem der kriegführenden Länder in Westeuropa einen so aufreizenden Gegensatz zwischen größtem Luxus und erbarmungswürdiger Armut gibt wie hier in der Bundesrepublik.
Das jetzt zur Entscheidung stehende Gesetz, meine Damen und Herren, ist nur dem Namen nach ein Lastenausgleichsgesetz. Es ist in Wirklichkeit die Krönung dieser Politik der Bevorzugung des großen Privatbesitzes.
Da, wo eine nationale Aufgabe von lebenswichtiger Bedeutung zu lösen war, hat man Interessen entscheiden lassen,
und zwar die Interessen derjenigen, die im Falle eines echten und effektiven Lastenausgleichs Opfer aus der Substanz hätten bringen müssen.
Es ist eine bemerkenswerte Tatsache selbst in diesem Bundestag, daß die Mehrheit dieses Hauses in der Vertretung der Besitzinteressen noch über den ursprünglichen Gesetzentwurf ihrer eigenen Regierung hinausgegangen ist.
Die Mehrheit dieses Hauses hat den Schutz des großen Besitzes nicht nur bei der Aufbringung der Mittel betrieben; sie hat darüber hinaus noch durchgesetzt, daß auch die Leistungen aus dem Lastenausgleich unter Vernachlässigung der sozialen Notwendigkeiten nach dem früheren Vermögensstand über 150 000 RM hinaus bestimmt werden sollen.
Wir Sozialdemokraten sind dafür, daß nach Erfüllung der unerläßlichen sozialen Leistungen bei der endgültigen Regelung der Ansprüche aus diesem Gesetz auch frühere Vermögensverhältnisse berücksichtigt werden sollen. Aber wenn wir nicht von vornherein den sozialen Lastenausgleich für die große Masse derjenigen, für die die Wiederherstellung eines menschenwürdigen Daseins von einem solchen Lastenausgleich abhängt, unmöglich
machen wollen, dann muß bei der Anrechnung des früheren Vermögens eine Grenze gesetzt werden. Man kann nicht für 50 000 Vertriebene eine Milliarde Mark reservieren, die dann für die sozialen Leistungen an die erdrückende Mehrheit der Flüchtlinge fehlen.
Eine weitere Illustration der reinen Besitzinteressenpolitik der Mehrheit dieses Hauses ist die von ihr so hartnäckig geforderte und durchgesetzte Heranziehung des Vermögens der öffentlichen Hand. Hier offenbart sich von neuem der prinzipielle Unterschied zwischen der Sozialdemokratie und der Regierungsmehrheit in dieser Frage.
Für uns ist der Lastenausgleich eine Regelung, die einen gerechten Ausgleich zwischen den Vermögens- und Lebensverhältnissen aller Bürger der Bundesrepublik anstrebt. Die Regierungsmehrheit weigert sich, einen solchen echten Ausgleich, der natürlich nicht ohne Eingriffe in die Substanz möglich ist, zu vollziehen.
Da sie aber den Schein einer Politik der sozialen Gerechtigkeit gegenüber den Geschädigten wahren möchte, läßt sie die Geschädigten durch die Belastung der öffentlichen Hand ihren Lastenausgleich mit bezahlen.
Wir können Sie in diesem Hause nicht hindern, einen solchen Lastenausgleich durchzusetzen; aber Sie können uns auch nicht hindern, den Geist, der Sie dabei bestimmt, vor dem ganzen deutschen Volk aufzuzeigen.
Es hilft Ihnen auch nichts, wenn Sie den Flüchtlingsvertretern in Ihren Reihen das Recht zugestehen, hier im Plenum von Ihrer Haltung abweichende Anträge zu vertreten, die Sie dann bei der Abstimmung niederstimmen.
Hier kommt es nicht auf die Musik an; hier entscheiden die Handlungen!
Meine Damen und Herren von der Mehrheit in diesem Hause, Ihr Verhalten in der zweiten Lesung dieses Gesetzes war nicht nur für die Vertriebenen und Geschädigten, sondern für das ganze deutsche Volk ein sehr eindrucksvoller Anschauungsunterricht.
Wir werden Ihnen in der dritten Lesung Gelegenheit geben, entweder dieses Versagen gegenüber einem der großen sozialen Anliegen unseres Volkes zu korrigieren oder es noch einmal zu unterstreichen.
Das Lastenausgleichsgesetz ist neben den großen außenpolitischen Entscheidungen, vor denen wir demnächst hier stehen werden, von zentraler Bedeutung für Geist und Inhalt unserer Demokratie. Es gehört zu den Grundgesetzen unseres neuen staatlichen Daseins. Das Grundgesetz, unsere Verfassung, ist unter Bedingungen zustande gekommen, unter denen seine demokratischen Bekenntnisse und Grundsätze nicht von vornherein als Ausdruck unseres eigenen Willens und unserer staatlichen Wirklichkeit empfunden werden konnten. Es war eine der entscheidenden Aufgaben dieses ersten Bundestages, diese Schwäche unserer Demokratie zu überwinden.
Es geht hier nicht um ein soziales Gesetz wie in hundert anderen Fällen, in denen Leistungen und Verpflichtungen peinlichst genau gegeneinander abgewogen werden. Es ist das Gesetz der Liquidierung unserer inneren Kriegsschuld gegenüber Millionen unserer eigenen Volksgenossen.
Diese Liquidierung erfolgt durch dieses Gesetz nicht. Sie wird im Grunde verweigert. Das ist ein nationales Unglück der deutschen Demokratie.
Meine Damen und Herren von der Mehrheit dieses Hauses, täuschen Sie sich nicht!
Sie können die menschliche und soziale Liquidierung der Katastrophe des Jahres 1945 vertagen, Sie können ihr ausweichen wie mit diesem Gesetz; aber Sie entgehen ihr nicht.
Verweigern Sie sich heute, dann kommt morgen oder übermorgen das Problem erneut auf uns zu. Dann aber erscheint es nicht mehr als die Erbschaft des Vergangenen, dann erscheint es als Anklage gegen das demokratische Dasein unseres Volkes,
dessen Existenz heute die Frage von Leben und Tod für das ganze deutsche Volk ist.
Man spricht heute so viel von der Notwendigkeit der Verteidigung der Demokratie.
Wir werden die eigentliche Wehrdebatte später und gründlicher haben.
Unsere Haltung in dieser Frage ist bekannt; aber
im Zusammenhang mit dieser Debatte ist die Feststellung wichtig, daß die. erste Voraussetzung für
die erfolgreiche Verteidigung einer Demokratie der Verteidigungswille eines Volkes ist.
Dieser Verteidigungswille wird nicht entwickelt durch Ansprachen und Beschwörungen, sondern — —
— Ich verstehe, daß es Ihnen peinlich ist; ich würde Ihnen aber empfehlen, auch den zweiten Teil dieses Satzes anzuhören.
Er wird nicht entwickelt durch Ansprachen und Beschwörungen,
sondern durch die Realitäten des Alltags.
Die Menschen müssen aus ihrer täglichen und persönlichen Erfahrung wissen, daß es einen Sinn hat, die Demokratie als eine gerechtere und menschlichere Form des Zusammenlebens in einem Gemeinwesen zu verteidigen.
Das Entscheidende in unserer heutigen Situation ist, daß es die Ärmsten und die durch den Krieg am meisten Geschlagenen wissen müssen. In keinem Land in Westeuropa gilt das mehr als in der Bundesrepublik Deutschland. Für unser Volk ist der Aufbau einer gerechten sozialen Ordnung die erste Voraussetzung für die Erhaltung und Sicherung der Demokratie.
Meine Damen und Herren, am Beginn der Debatte über dieses Gesetz in der vorigen Woche hätte gerade in diesem Augenblick eine Erklärung des Bundeskanzlers stehen müssen,
daß die notwendigen Leistungen für einen sozialen Lastenausgleich in der Bundesrepublik in den Verhandlungen über die Verteidigung von Freiheit und Demokratie in Europa im deutschen und europäischen Interesse als Verteidigungsbeitrag voll anerkannt worden seien.
Wir haben diese Erklärung des Bundeskanzlers nicht gehört, wir haben ihn nicht einmal hier gesehen.
Auch das ist ein Symptom.
Auch das ist ein Symptom,
ein bezeichnendes und schmerzliches Symptom zugleich.
— Meine Damen und Herren, der ist jedenfalls nicht in den Verhandlungen mit den Hohen Kommissaren.
— Meine Damen und Herren, Ihr freudiger Beifall über das Erscheinen des Herrn Bundeskanzlers beweist, wie berechtigt meine Kritik über seine bisherige Abwesenheit gewesen ist.
Die Mehrheit dieses Hauses hat es jetzt noch in der Hand, ihr Verantwortungsbewußtsein gegenüber dem Ganzen unter Beweis zu stellen. Wenn Sie auch in der dritten Lesung alle unsere Anträge ablehnen, wenn Sie den Gesetzentwurf in der jetzt vorliegenden Fassung annehmen, dann haben Sie nach unserer Auffassung gegenüber der gegebenen geschichtlichen Situation versagt, versagt vor allem gegenüber dem einfachen und un-diskutablen Grundsatz der nationalen Solidarität in Zeiten gemeinsamer nationaler Not.
Sie können uns hier überstimmen; aber wir bleiben an der Seite der Vertriebenen und der anderen Opfer des Krieges!
Wir werden immer für ihre Sache kämpfen, (anhaltende Zurufe von den Regierungsparteien — Zuruf von der Mitte: Das
haben wir gemerkt!)
weil es ein Gebot der Menschlichkeit und der sozialen Gerechtigkeit ist.
Wir werden aber auch für sie kämpfen, weil nach unserer Überzeugung die großen demokratischen Ideen unseres Grundgesetzes nur dann Blut und Inhalt bekommen werden,
wenn wir durch die Tat beweisen, daß es in der neuen deutschen Demokratie auch eine neue echte Solidarität des ganzen deutschen Volkes gibt.
Das Wort hat der Abgeordnete Kriedemann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie haben soeben in ernsten und gewichtigen Worten gehört,
in welchen großen Zusammenhang wir den Lastenausgleich hineingestellt sehen, welche zentrale Bedeutung wir ihm zuerkennen.
Meine Damen und Herren, die ernste Arbeit im Ausschuß, auf die wir uns berufen können, schützt uns gegen den Vorwurf, hier bloß große Worte als Ersatz für Taten zu gebrauchen. Wir haben nämlich über der grundsätzlichen Bedeutung niemals die praktischen Einzelheiten vergessen, auf die es schließlich hier ankommt und deren vernünftige Regelung im Gesetz zum Schluß die großen Worte rechtfertigt.
Nachdem wir uns in jahrelanger Arbeit mit dem Problem vertraut gemacht hatten, war es uns leicht, die Tatsachen und die Notwendigkeiten schon zu einer Zeit sprechen zu lassen, in der andere in diesem Hause noch an ihren Wünschen klebten und nicht wußten, wie sie diese Wünsche nun mit einem Gesetzentwurf in Einklang bringen konnten. Ich spreche wahrlich niemandem das ernste und ehrliche Bemühen ab, wenn ich sage, daß sich Mehrheit und Minderheit im Ausschuß in allen entscheidenden Fragen als Vertreter sehr verschiedener Standpunkte und Interessen gegenüberstanden. Ich habe den Eindruck, meine Damen und Herren, daß auf Ihrer Seite die Ausschuß- arbeit vielleicht zu sehr oder zu lange denjenigen überlassen wurde, die sich als Sachverständige oder als Interessenvertreter fühlten, weil sie so oft über den Lastenausgleich geredet hatten oder so besonders genau über die vielen Wünsche unterrichtet waren, die sich mit diesem Problem entwickelt haben. Mir scheint, daß darunter die allgemein politischen, aber auch die allgemein wirtschaftspolitischen Gesichtspunkte sehr erheblich gelitten haben; denn es geht hier eben nicht um die Erfüllung von Wünschen, um das Einlösen von Versprechungen ohne jede reale Basis, sondern es geht auch hier — und vielleicht nirgendwo so sehr wie hier — um eine politische Entscheidung.
Meine Damen und Herren, gerade aus der letzten Überlegung werden Sie begreifen, daß wir die dritte Lesung benutzen, um Ihnen noch einmal unsere entscheidenden Anträge zur Abstimmung vorzulegen, werden Sie begreifen, daß wir an das Plenum appellieren, nachdem wir uns im Ausschuß einer — entschuldigen Sie das — oft unbelehrbaren Mehrheit gegenüber gesehen haben,
einer Mehrheit, von der wir nicht glauben, daß es ihr an Einsicht gefehlt hat, wohl aber an Beweglichkeit und Entscheidungsfreiheit.
Dem Plenum wollen wir die letzte Entscheidung in dieser Frage überlassen, und hier wollen wir, gerade weil wir im Lastenausgleich sehr viel mehr sehen als bloß so ein Gesetz, das nun endlich auch einmal erledigt werden muß, die letzten Chancen wahrnehmen, um zu einer Entscheidung zu kommen, die für uns alle tragbar ist.
Das, um was es wirklich geht, ist durch viele Monate hindurch hinter Schlagworten und Prinzipienerklärungen versteckt geblieben, mindestens für den Außenstehenden. Man kann einem erheblichen Teil derjenigen, die hier über den Lastenausgleich geredet haben, den Vorwurf nicht ersparen, daß sie dieses Versteckspielen über Gebühr hinausgezogen und zu einer Zeit noch mit Redensarten und leeren Versprechungen gearbeitet haben, als sie auf Grund der Beratungen und an Hand der uns zur Verfügung stehenden Unterlagen schon wissen mußten, daß sie da etwas Unerreichbares, etwas Unreales und in vielen Fällen sogar etwas Unreelles wollten.
— Ja, natürlich, wird alles noch kommen, gewiß doch!
Man hat den Leuten einzureden versucht, daß es hier um große weltanschauliche Gegensätze ginge. Man hat vorn kollektivistischen Lastenausgleich gesprochen und ihm die sehr viel vornehmere
Form des individuellen Lastenausgleichs gegenübergestellt. Man hat unseren Vorstellungen — mit dem Ausdruck sozialer Lastenausgleich von uns selbst gekennzeichnet — den quotalen Lastenausgleich gegenübergestellt, der zugleich auch ein Lastenausgleich der Gerechtigkeit zu sein für sich in Anspruch genommen hat, wie j a überhaupt die Begriffe Recht und Gerechtigkeit in diesem Zusammenhang ganz besonders strapaziert worden sind, — bis zur Karikatur hin zur Begründung eines Antrags, mit dessen Annahme für fünfzigtausend aus dem Millionenheer der Geschädigten rund eine Milliarde an Entschädigung und an Zinsen gesichert worden ist.
Wir, meine Damen und Herren, haben nach dieser Sorte von Gerechtigkeit nie gesucht. Es kam uns auf die Gerechtigkeit an, die ein Volk erhöht, und nicht auf eine Gerechtigkeit, die einige wenige Leute zufriedenstellt und die man viel besser mit Rechthaberei bezeichnet.
Für uns war der Lastenausgleich — der soziale Lastenausgleich — kein starres Prinzip. Wir stellten das bei aller Eindeutigkeit, mit der wir unseren Standpunkt umschrieben, unter Beweis, als wir dem Vorschlag zustimmten, auf die sogenannte Sockelrente nun eine quotale Spitze aufzusetzen. Es kam uns in erster Linie darauf an, all denen, die zu alt oder zu krank sind, um noch einmal von vorne anfangen zu können, das Minimum an Lebenssicherheit zu geben, das sie mit der Vertreibung oder mit der Ausbombung verloren haben. Wir konnten nicht anerkennen, daß dieses Minimum unter ganz anderen Gesichtspunkten bemessen werden sollte, unter den Gesichtspunkten, die z. B. dem, Entwurf der Bundesregierung zugrunde lagen, wo ja — das wurde in der zweiten Lesung mehrfach dargestellt — auf der letzten Seite mit einer durch nichts zu übertreffenden Deutlichkeit klargemacht wurde, was quo-taler Lastenausgleich heißt, wo das, was heute jeder bekommt, weil es eben das Existenzminimum ist, nur noch derjenige erhalten sollte, der zu den Begüterten der oberen Kategorie gehörte, nur noch derjenige, der über 150 000 Mark Vermögen verloren hatte. Unser Anliegen ist schließlich nach heftigen Auseinandersetzungen im Ausschuß von der Mehrheit akzeptiert worden, wobei es mir völlig egal ist, ob das aus spät gewachsener Einsicht oder aus der Erkenntnis der Unmöglichkeit, diesen Regierungsentwurf in der Öffentlichkeit zu vertreten, geschehen ist. Als wir für alle alten und arbeitsunfähigen Geschädigten diese Mindestrente wieder gesichert hatten, haben wir ohne weiteres zugestimmt, daß bei denen, die ein größeres Vermögen verloren haben, eine quotale Spitze aufgestockt werden konnte.
Ebenso haben wir niemals der Hauptentschädigung im Prinzip widersprochen. Die Behauptung, daß in unseren Forderungen nach dem unbedingten Vorrang der sogenannten sozialen Leistungen ein Beweis für unsere grundsätzliche Gegnerschaft gegen das Eigentum zu erkennen sei, haben wir niemals anders bewertet als eine Agitationsrede irgendwelcher Leute, denen zur Verteidiung ihrer eigenen Standpunkte Gescheiteres nicht einfällt.
Wir haben immer nur eine Tatsache nicht übersehen, eine Tatsache, die sonst leider sehr weitgehend übersehen worden ist, daß es nämlich unter den Geschädigten aller Kategorien einschließlich
der Vertriebenen nun einmal eine sehr große Mehrheit gibt, die Vermögen im eigentlichen Sinne nicht verloren hat und der deshalb mit den Rechtsansprüchen nicht geholfen werden kann, auf denen diejenigen so nachdrücklich herumreiten, die Vermögen verloren haben und die glauben, daß das Recht um so größer ist, je größer einmal das Vermögen war.
Wir wollen nur keinen Rechtsanspruch anerkennen, der mit seinen Folgewirkungen notwendigerweise die Rechte kränkt, die mit jedem Menschen neu geboren werden.
Lassen Sie mich an einem Beispiel klarmachen, auf was es mir hier ankommt, am Beispiel der. Renten, am Beispiel der Hilfe, die der Lastenausgleich auf Grund unseres Antrags entgegen den Bestimmungen des Regierungsentwurfs nun für alle Alten und Kranken vorsieht, am Beispiel dieser Sockelrente. Als das damals beschlossen wurde, hat man daraus die Konsequenz gezogen, die dadurch gegenüber der Bilanz des Regierungsentwurfs entstehenden Mehrkosten aus öffentlichen Mitteln einzukassieren. Man motivierte diese Abwälzung des Lastenausgleichs auf die Steuerzahler mit der Notwendigkeit, endlich einmal die Grundsätze des Fürsorgerechts wiederherzustellen, die mit der Einrichtung dieser Rente durch das Soforthilfegesetz verlassen worden seien.
Meine Damen und Herren, als wir in Frankfurt das Soforthilfegesetz berieten, kam keiner auf die Idee, daß wir hier dem Bund — pardon, den gab es damals noch gar nicht —, den Ländern oder den Gemeinden irgendwelche Gelder ersparen wollten.
Wir haben es damals in den Mittelpunkt und sogar an den Anfang unserer Beratungen gestellt, zunächst einmal denen mit einem Rechtsanspruch zu helfen, die auf den Fürsorgeämtern herumsaßen, auf Wohlfahrtsunterstützung angewiesen waren und durch keine andere Ursache in diese trostlose Lage gekommen waren als durch die Vertreibung aus ihrer Heimat.
Es war damals keine Rede davon, die Gemeinden zu entlasten. Es ging uns allen damals nur darum, diese Menschen von dem seelischen Druck zu entlasten, dem sie dadurch ausgesetzt waren, daß sie sich auf diese Weise am Leben zu erhalten versuchen mußten.
Wenn nun hier von einem Sprecher der Koalitionsparteien unter ausdrücklichem Bezug auf diese Rente gesagt worden ist, daß es in diesem Gesetz überhaupt schon übertriebene soziale Leistungen gebe — und das kann j a doch nur auf dieses kleine Restchen von sozialem Lastenausgleich gemünzt sein, das den alten Leuten zugute kommt —, dann, meine Damen und Herren — das ist nicht nur eine Frage der Weltanschauung oder eine Frage der Grundsätze, sondern eine Frage der innersten menschlichen Gesinnung —, ist das eine Gesinnung, mit der wir uns nicht identifizieren möchten.
Wenn Sie nun diese Rente im Gesetz stehen haben, sie aber zu einem erheblichen Teil wenigstens aus öffentlichen Mitteln rückfinanzieren wollen, dann machen Sie die Leute doch praktisch zu Wohlfahrtsempfängern. Darin kommt eben die schlechte Gesinnung zum Ausdruck, die wir um jeden Preis aus dem Lastenausgleich herausschaffen möchten, nicht weil wir es so wollen, weil wir uns das nun einmal so vorgenommen haben, sondern weil das geradezu mit der letzten Deutlichkeit darüber entscheidet, ob das nun ein Lastenausgleich ist, den wir wirklich als eine Grundlage unserer neuen deutschen Ordnung, den wir wirklich als ein Stück sozialen Grundgesetzes proklamieren und den wir alle vertreten können, oder nicht. Und weil ein negativer Beweis in diesem Zusammenhang ganz besonders unerträglich ist, darum, meine Damen und Herren, kämpfen wir hier mit solcher Leidenschaft und werden das anläßlich der Behandlung unserer Anträge noch einmal näher ausführen.
Ich bin mir sicher, daß man auch in der dritten Lesung noch wieder oft an die großen und von uns allen respektierten Begriffe appellieren wird. Lassen Sie uns doch nicht in den Verdacht kommen und möge sich doch niemand in den Verdacht bringen, daß es hier so eine Art Shylock-Gerechtigkeit gibt, bei der jemand, der einen Schein hat, nun darauf besteht, daß ihm dieser Anspruch auch erfüllt werde, egal um welchen Preis. Überlegen Sie bitte ganz genau, ob Sie mit der sogenannten Hauptentschädigung in der Form, wie sie bis jetzt in diesem Gesetz steht, nicht solche Scheine in großen Massen ausstellen werden. Es kann doch gar kein Zweifel daran sein, daß der Schaden sich um so leichter nachweisen lassen wird, je größer er ist. Es gibt ja heute schon Leute, die ein Geschäft damit zu machen versuchen, daß sie sich als Besitzer eines alten Güteradreßbuches annoncieren und gegen eine kleine Gebühr bereit sind, daraus einen Auszug zu machen. Und da steht dann ja einiges drin, soweit es sich um ein Vermögen handelt, das in die größere Kategorie hineingehört. Diese Sorte von Schäden wird zuerst festgestellt werden. Diese Sorte von Schäden, der Sie ja mit Ihrer Vorstellung von Hauptentschädigung schon mit diesem Gesetz einen ausgesprochenen Rechtsanspruch einräumen wollen, wird mit allem Nachdruck präsentiert werden.
In der Erfüllung dieser Ansprüche — auch wenn es sich nur um eine teilweise Erfüllung dieser Ansprüche handeln kann — liegt die Gefährdung all der anderen Vorhaben, die von uns im allgemeinen als unbedingt vordringlich anerkannt werden. Gerade weil ich davon überzeugt bin, daß es in diesem Hause eine Mehrheit gibt, der es auf die Eingliederung der arbeitsfähigen Menschen und damit auf die Steigerung unseres Sozialprodukts durch produktive Arbeit sehr viel mehr ankommt als auf alles andere, darum mache ich Sie an dieser Stelle und in diesem Zusammenhang noch einmal auf die Gefahr aufmerksam, die Sie hoffentlich alle sehen wollen und der wir leicht begegnen können, ohne daß wir irgendeinen Rechtsanspruch, gegründet auf ein früheres Vermögen, kränken, indem wir eben die Eingliederungsmaßnahmen unabhängig von der Untersuchung über den früheren Vermögensschaden durchführen, indem wir eingliedern nach Maßgabe der sozialen Dringlichkeit und der volkswirtschaftlichen Zweckmäßigkeit und indem wir die Frage der Auseinanderrechnung über Vermögensschäden zu einem Zeitpunkt vornehmen, in dem wir es wirklich mit gutem Gewissen tun können, in dem Augenblick nämlich, in dem uns die wirklich reellen Unterlagen über das, was da ist, und das, was damit getan werden soll, zur Verfügung stehen. Dann, meine Damen und Herren, werden wir Rechtsansprüche nicht nur proklamieren, sondern auch honorieren können, und darauf kommt es bei den
Rechtsansprüchen doch vielleicht am meisten an. Aber darüber soll, wie gesagt, geredet werden, wenn wir unsere Anträge hier noch einmal zu vertreten haben; ich will das jetzt nicht vorwegnehmen.
Nun noch einmal: seien Sie sich bitte darüber klar, in welcher Gefahr wir stehen, wenn hier so beschlossen wird, wie es die Mehrheit in der zweiten Lesung getan hat. Denken Sie bitte an die Auswirkungen dieser Sorte von einkassierbarem Recht auf alle anderen Hilfeleistungen, die ausnahmslos für diejenigen interessant sind, die, weil sie zu den 75 % der nicht Vermögen Besitzenden gehören, eben auf Hausratentschädigung, auf Eingliederung und nicht zuletzt auf den Wohnungsbau angewiesen sind. Sagen Sie nicht, das liege an der Bilanz, man könne nicht anders! Wir haben es heute noch in der Hand, und heute und morgen muß versucht werden — und hoffentlich mit Ihrer aller Mitarbeit versucht werden —, das einigermaßen hinzubringen.
Ich möchte auch noch eine allgemeine Bemerkung zur Abgabeseite machen. Auch hier hat es zwei Standpunkte gegeben, die sich in allen entscheidenden Fragen bis zum letzten Augenblick unversöhnt gegenübergestanden haben. Auf der einen Seite waren das die Interessen des privaten Vermögens. Sie sind — das kann nicht bestritten werden — mit aller Zähigkeit vertreten worden, und ich mache niemandem daraus einen Vorwurf.
Auf der andern Seite waren aber auch die öffentlichen Interessen zu vertreten, und ich hoffe, Sie werden mir zugeben, daß wir sie mit der gleichen Zähigkeit zu vertreten versucht haben. Ich hoffe darüber hinaus, daß Sie auch uns daraus keinen Vorwurf machen, denn schließlich ist auch das öffentliche Interesse eine Vertretung wert. Insbesondere im Parlament sollte man sich eigentlich keinerlei Vorwürfen aussetzen, Vorwürfen recht unangenehmer Färbung, wenn man darauf hinweist, daß es auch so etwas wie öffentliche Haushalte gibt, wenn man darauf hinweist, aus welchen Quellen denn die Steuern in ihrer Masse stammen, und wenn man darauf hinweist, daß die Mehrheit unseres Volkes auf alle die Leistungen angewiesen ist, die aus den öffentlichen Haushalten finanziert werden. Nicht nur unter den Geschädigten, sondern auch unter den anderen Kreisen unseres Volkes ist eben die große Mehrheit mangels eines eigenen Vermögens darauf angewiesen, die notwendigen Hilfen aus dem öffentlichen Vermögen zu empfangen. Wir haben manchmal — ich denke z. B. an die Diskussion über die Formen und die Durchführung der Wohnraumhilfe oder über die Freistellung bestimmter Vermögensträger von der Vermögensabgabe — eine Feindschaft gegen, sagen wir einmal, die Wohnungsbaugenossenschaften gehört, eine Feindschaft gegen das Gemeineigentum, die schon nicht mehr ernst zu nehmen war und in der sich keineswegs die Sorge auftat, daß hier vielleicht die Grundlagen unserer abendländischen Kultur in Gefahr seien, sondern in der eine geradezu spießbürgerliche Enge der Gesichtspunkte zum Ausdruck kam. Es wäre ausgezeichnet und ein sehr wertvoller Beitrag zur auch ideellen Neuordnung unserer Verhältnisse in Deutschland, wenn auch das in der dritten Lesung korrigiert werden könnte.
Schließlich — ich brauche hier nicht das zu wiederholen, was Herr Ollenhauer eben ausgeführt hat — kommt es doch darauf an, die Basis zu verbreitern, auf der unser neues deutsches Haus gebaut werden wird. Wir hätten es uns als Opposition sehr leicht machen können, mehr zu fordern. Das Verfahren der Abgabe und die Höhe der Sätze, die sich auch unserer Meinung nach im großen und ganzen aus der Lage der Dinge zwangsläufig ergeben, sind vorzüglich geeignet für eine populär verständliche Demonstration. Sie werden uns keinen einzigen Fall nachweisen, in dem wir uns derart primitiver Argumente bedient hätten, in dem wir auf eine so billige Weise versucht hätten, für unseren Standpunkt oder nur für uns und gegen andere Auffassungen Stimmung zu machen. Wir haben uns dabei von Marktplatzschreiern aller Sorten sehr sorgfältig abgegrenzt, was auch nicht jeder von sich sagen kann.
— Nein, meine Herren, ich kann mich nicht erinnern, daß einer von uns einmal auf Marktplätzen solche Geschichten verbreitet hätte!
Nicht verzichten können wir aber darauf, die Opfer im Gesetz festzulegen, die zugemutet werden können, und sei es im einzelnen Fall auch nur aus psychologischen Gründen. So hoffen wir jetzt, meine Damen und Herren, auf eine günstigere Entscheidung über unsere Anträge, soweit diese sich — um es mal ganz dürr zu sagen — nicht mit irgendwelchen Grundsätzen des Einkommensteuerrechts usw. befassen, sondern einfach mit dem Problem: soll man und kann man und wieviel kann man von der sogenannten Vermögensabgabe abwälzen.
Wir müssen schließlich glaubhaft machen können, daß es sich hier wirklich um einen Lastenausgleich handelt, der zweifellos nicht der Idealvorstellung entspricht, die man sich irgendwo in einem Wolkenkuckucksheim oder in einer finanzwissenschaftlichen Studierstube als Lastenausgleich so typenrein ausdenken kann, daß es sich dann aber wenigstens um einen Lastenausgleich handelt, wie er unter unseren Verhältnissen möglich ist. Es wird ohnehin sehr schwer sein, das glaubhaft und verständlich zu machen. Wenn weiter so verfahren wird, wie mit unseren Änderungsanträgen in puncto Vermögensteuer, in puncto Einkommensteuer usw. usw. verfahren worden ist, dann werden Sie das niemandem glaubhaft machen können, und niemand wird im Ernst und mit gutem Gewissen denen widerstreiten können, die dann sagen, daß es sich im Grunde doch nur um eine Farce handelt.
Meine Damen und Herren! Es ist unserer Meinung nach der Sinn der dritten Lesung, die bisher gefaßten Beschlüssen sorgsam zu überprüfen.
Es ist der Sinn der dritten Lesung, das, was inzwischen neu an Gesichtspunkten aufgetaucht sein mag, noch einmal auf die Waage der Verantwortung zu legen. Der Umstand, daß die dritte Beratung heute hier zweimal vertagt worden ist, weil noch Beratungen im Gange waren, gibt uns eine kleine Hoffnung darauf und rechtfertigt noch einmal unser Bemühen, diese dritte Lesung so ausführlich wie nur irgendwie möglich zu machen, die entscheidenden Punkte nochmals so deutlich und hell wie möglich zu beleuchten in der Hoffnung, daß wir dann zu einer Entscheidung kommen, die sich deckt mit den großen Worten, mit den Zielen, Behauptungen und Grundsatzerklärungen, die in
reichem Maße von allen Seiten vorgetragen worden sind und die nun endlich mit einem Gesetz Buchstabe an Buchstabe und Zahl an Zahl honoriert werden müssen. Diesem Zweck dienen unsere Anträge, und ich bitte Sie, unbeschadet der Begründung im einzelnen, sie sich mit allem Ernst :loch einmal anzusehen.
Das Wort hat der Abgeordnete Kunze.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin sehr froh, daß Herr Kollege Ollenhauer als erster an dieser Stelle gestanden und unter Beweis gestellt hat, daß die Opposition in allem Opposition zu machen bereit ist, indem er bestimmte Dinge der gesamten Politik unter Kritik stellt und dabei bewußt Tatbestände verschweigt, die das Ergebnis dieser Politik sind.
Sie haben, Herr Kollege Ollenhauer, die soziale Marktwirtschaft angegriffen. Sie haben dabei nicht gesagt, daß durch diese Politik 3 1/2 Millionen Arbeitsplätze geschaffen worden sind,
und Sie haben — verzeihen Sie, wenn ich Ihnen das ganz persönlich sage — mir zum großen Schmerz etwas getan, was sich nicht gehört. Sie haben in dem Wissen, daß der Herr Bundeskanzler krank war, seine Abwesenheit hier mit Bedauern als eine politisch begründete Abwesenheit festgestellt. So sollten wir nicht verfahren.
Nun erlauben Sie mir, daß ich mich im Namen meiner Freunde grundsätzlich mit den Gedanken auseinandersetze und die Linien aufzeige, die uns bei den Beratungen bis zur letzten Stunde bewegt haben. Wir haben Ihnen am Anfang der Beratung der zweiten Lesung erklärt, daß wir die Anträge der Opposition mit der gleichen Sorgfalt prüfen würden wie die unserer eigenen Freunde:
Wenn wir das Ergebnis dieser Prüfungen jetzt im Zuge der dritten Lesung Punkt für Punkt aufzeigen, dann werden Sie sehen, daß wir zu ganz bestimmten Entscheidungen gekommen sind, die beweisen, daß es uns und unseren Freunden ernst ist um die Lösung dieses von Ihnen ganz richtig gekennzeichneten, für die Demokratie entscheidenden und sozial wichtigen Gesetzes über den Lastenausgleich.
Wir sind mit Ihnen der Meinung, daß ohne soziale Befriedung die Bereitschaft eines Volkes, um seine Existenz zu kämpfen und in die Verteidigung der freien Welt einzutreten, nicht erwartet werden kann. Wir sind aber ebenso der Überzeugung, daß wir auf dem Weg, den wir gegangen sind, genau den Dienst tun, der von uns gefordert wird, und daß Ihre Erklärung: „Wir stehen auf der Seite der Vertriebenen" eine Erklärung ist, die zum mindesten an die Grenze der Geschmacklosigkeit reicht.
Denn wir haben gemeinsam in 15monatiger Arbeit bewiesen, daß es uns allen, Ihnen und uns, großer Ernst ist, das berechtigte Anliegen der Vertriebenen und der Kriegssachgeschädigten in den Grenzen des Möglichen zu erkennen und zu befriedigen.
Ich darf Ihnen eine einzige Zahl nennen, während im übrigen mein Kollege Schütz zu dieser Frage Stellung nehmen wird. Sie haben sich jetzt durch Ihre Anträge in bezug auf den Punkt Hauptentschädigung entscheidend zur Regierungsvorlage bekannt. Diese Regierungsvorlage nimmt in ihrer Auswirkung für die Hauptentschädigung einen Betrag von 10 Milliarden in Anspruch. Was meine politischen Freunde darüber hinaus getan haben, nimmt 650 Millionen in Anspruch, also 6 1/2 % mehr!
Man kann sich durchaus darüber unterhalten,
ob diese Frage so in der idealsten Weise gelöst ist.
Aber man kann sich nicht darüber unterhalten, daß wir gemeinsam auf dem Boden gestanden haben, die soziale Befriedung müsse der Anfang sein. Vergessen Sie doch bitte nicht — Sie und auch der Herr Kollege Kriedemann haben sich da in einer für mich unverständlichen Weise geäußert —: Wir waren uns doch schon in der ersten Lesung darin eins, daß der Vorschlag der Bundesregierung für die Lösung der Kriegsschadenrente nicht der richtige war. Bitte, verschweigen Sie das nicht. Ich will es darum laut und deutlich sagen, damit nicht hinterher die Propaganda ins Volk hinausgeht, daß Sie alleinige Hüter sozialer Belange seien und wir alleinige Verteidiger und Verfechter kapitalistischer Interessengruppen.
Wir werden Ihnen und der Öffentlichkeit zu gegebener Stunde einmal die Ergebnisse der Beratungen vor Augen führen, damit die Offentlichkeit erkennt, daß wir in den entscheidenden sozialen Fragen völlig übereingestimmt haben und daß die Ausschußvorlage in diesen Punkten das Ergebnis gemeinsamer Beratungen und gemeinsamer Verantwortung gewesen ist. Aber es ist sehr gefährlich, wenn Sie hingehen und Methoden anwenden, die zum Teil klassenkämpferischen Geist atmen.
Bei der Beratung der Gesetzesvorlage über den Lastenausgleich sollte man so nicht prozedieren, und ich habe nicht die Absicht, hier in der gleichen Form zu polemisieren.
Worauf kommt es uns hier an? In der Erkenntnis, daß Eigentum verpflichtet, sind wir in der Belastung des Eigentums bis an die Grenzen des von uns Vertretbaren gegangen.
Sie, Herr Kollege Kriedemann, haben selber erklärt — und Sie haben das auch in den Ausschußberatungen mit uns so beschlossen —, daß unter den gegenwärtigen gesamtwirtschaftlichen Verhältnissen wesentlich anderes nicht hätte gemacht werden können.
Darüber waren wir uns doch eins. Wir sollten doch
hier mit einem letzten Ernst in der Verantwortung
miteinander stehen, auch da, wo wir einmal Gegensätze haben. Man sollte doch jetzt nicht so tun,
als ob wir kapitalschonend handelten und uns den
Verpflichtungen gegenüber den Vertriebenen und
Kriegssachgeschädigten entziehen wollten. Wir
haben auf der Entschädigungsseite, über die mein Kollege Schütz gleich sprechen wird, die entscheidenden Dinge gemeinsam geordnet. Wenn Sie jetzt hingehen und die Regierungsvorlage verteidigen, dann ist das für uns immerhin ein beachtlicher Erfolg, weil Sie am Anfang der Beratungen meilenweit davon entfernt waren.
Ein zweites: Wir glauben, daß unsere Haltung in bezug auf die Berücksichtigung der Kriegsschäden, die in § 38 des Gesetzes ihren Niederschlag gefunden hat, wesentlich mehr den Interessen der Kriegssachgeschädigten gerecht wird als die Anträge, die Sie dazu gestellt haben.
— Es wird keinen Menschen geben, der ernsthaft beansprucht, Entschädigung für etwas zu bekommen, was er nie verloren hat, weil er es nie besessen hat.
Aber darüber waren wir uns eins.
Wir wissen genau, daß das Problem der Eingliederung derjenigen Menschen, denen das Schicksal die Existenzgrundlage genommen hat, die wichtigste und zentralste Frage ist. So wollen Sie gütigst auch die Regierungspolitik und die von uns vertretene soziale Marktwirtschaft mit in den Kreis Ihrer Überlegungen einbeziehen, wenn Sie jetzt fragen: Was habt ihr getan? Was wir getan haben, werden wir vor dem deutschen Volk und vor der Weltöffentlichkeit zu verantworten wissen.
Wenn Sie, Herr Kollege Ollenhauer, davon sprechen, daß es sich hier um eine der entscheidenden Grundlagen der Demokratie handelt, dann antworte ich: Ja. Diese Demokratie darf aber nicht dazu führen, den Eigentumsbegriff in einer untragbaren Weise zu nivellieren. Ich bin auch, das sage ich ganz offen, kein Freund davon, Millionen-Vermögen mit Millionen wiederherzustellen. Aber unbeschadet der Konzeption des § 269 kann man doch nun wirklich nicht sagen, daß, wenn jemand von einem Vermögen von soundsoviel Millionen 2 °/o bekommt, das ein kapitalistisches Unternehmen sei, das wir auf Kosten der sozialen Belange machen müßten, zumal Sie genau wissen, daß diese Dinge alle nach Dringlichkeitsstufen zum Zuge kommen. Wir haben mit Ihnen gemeinsam für die ersten Jahre die Eingliederung in der Form der Darlehen vorgesehen, um dann erst in den späteren Jahren Zug um Zug zu der Herstellung des Eigentums in den Grenzen des Möglichen und Notwendigen zu kommen.
Noch ein Wort zur Frage der Behandlung der öffentlichen Hand. Sie wird uns j a zweifellos beschäftigen, wenn wir zur Beratung Ihrer Anträge kommen. Herr Kollege Kriedemann, ich bin in der Lage, Ihnen morgen eine Unterlage des Statistischen Bundesamts auf den Tisch zu legen und den Nachweis zu erbringen, daß die öffentliche Hand, Bund, Länder und Gemeinden, die von uns vorgesehenen 250 Millionen DM echt erspart hat.
— Verzeihen Sie, der Lastenausgleich ist nicht dazu da, die öffentliche Hand zu entlasten. Der Lastenausgleich ist dazu da, die öffentliche Hand genau so zu belasten, wie sie bisher nach fürsorgerechtlichen Bestimmungen belastet war,
und im übrigen die Geschädigten zu ihrem Recht
kommen zu lassen. Es ist eine durchaus falsche
Politik, wenn man uns immer wieder vorwirft, —
— Ich glaube, Herr Kollege Mellies, daß ich davon auch etwas verstehe.
Wenn Sie bedenken wollen, daß wir in der Frage der Abwälzung auf den kleinen Mann doch nicht so simplifizieren sollten, kann ich Ihnen an zwei Beispielen beweisen, daß solche Simplifikationsmethoden falsch sind.
Erstens: Die Steuergesetzgebung, und zwar in erster Linie die Lohn- und Einkommensteuergesetzgebung, die die Regierungsparteien und die von ihr getragene Regierung dem Hause vorgelegt haben und die von uns verabschiedet worden ist, ist eine echte soziale Lösung dieser Frage.
Bitte sehen Sie sich doch einfach die Einkommensteuerentwicklung an, gehen Sie auf 1926 zurück und bis zum heutigen Tage, dann werden Sie sehen, daß wir diese Einkommensteuerpolitik verantworten können.
Zum zweiten, meine Damen und Herren: Wenn Sie den § 15 genau studieren, dann sehen Sie, daß wir nach sorgfältigen Beratungen mit den zuständigen Sachverständigen des Bundesrats jede Notwendigkeit einer Erhöhung der Tarife für die Allgemeinheit der Verbraucher vermieden haben; denn wir haben, insoweit die allgemeinen Verbraucher, sei es von Energie, sei es von Wasser, sei es von sonstigen Dingen, die in Frage kommen, die Befreiung eingeführt und haben nur gesagt: insoweit die Wirtschaft Abnehmer ist, soll die Wirtschaft die Belastung tragen. Das zieht sich doch wie ein roter Faden und meiner Meinung nach in klarer Logik durch dieses Gesetz auf seiner Abgabenseite hindurch. Wir fragen nach dem Zweck des Vermögens und seiner Verwendung und prüfen von da aus die Belastung in ihrer sachlichen Notwendigkeit, in der sachlichen Begrenzungsnotwendigkeit und in der wirtschaftlichen Tragbarkeit. Während Sie — man nennt Sie j a im Scherz hier im Hause die Partei der Oberbürgermeister
— sich von rein kommunalpolitischen Interessen leiten lassen, haben wir den Mut zu sagen: wir vertreten diese kommunalpolitischen Interessen genau so wie Sie, aber wir glauben, daß wir sie in der zwingenden Logik dieses Gesetzes besser vertreten.
Und ein Letztes, meine Damen und Herren. Es gehört zur simplen Weisheit eines Nationalökonomen, daß es drei Faktoren gibt: den Faktor Boden, den Faktor Kapital und den Faktor Arbeit. Sollen wir hingehen und den notwendigen Faktor Kapital fortgesetzt weiter zerstören? Wir machen keinen Versuch mit, diesen Faktor auf dem Wege der Sozialisierungspolitik zu zerstören,
um des Volkes willen.
Sollen wir den Faktor Boden dadurch gefähr-
den, daß wir der Landwirtschaft Belastungen auferlegen, von denen wir wissen, daß sie nicht tragbar sind?
— Der Arbeiter wird nicht belastet!
Was der Arbeiter an Belastung bekommt, ist mit Ihren Fraktionskollegen im Ausschuß genau beschlossen worden. -
Es ist sehr leicht, Herr Kollege Heiland, solche Sätze ins Plenum zu schleudern, wenn man von keinerlei Sachkenntnis getrübt ist
und die Protokolle dieses Ausschusses nicht genügend studiert hat.
Denn Sie wissen, daß wir den kleinen Leuten aus sozialen Gründen mit den Freigrenzen das gegeben haben, was sie mit Recht fordern.
Aber wir haben zugleich daran gedacht, daß der Arbeiter oder der kleine Mann, der aus dem Osten, aus der Heimat vertrieben wurde und der dort sein kleines Häuschen hatte, nun auch an uns fragend herantritt: „Wenn ihr den schont, was macht ihr mit mir?", und wir haben uns redlich bemüht, das Gleichgewicht der beiden Seiten in den Grenzen des Möglichen herzustellen.
Darf ich zum Schluß noch einen entscheidenden Grundsatz proklamieren, den meine Freunde und ich zu vertreten gewillt sind. Wir haben die Auffassung, daß es von entscheidender Wichtigkeit ist, dieses Gesetz so schnell wie möglich zu verabschieden und in Kraft zu setzen, damit der Anfang gemacht wird zur Lösung einer Frage, die ganz sicher — das wird auch von Ihnen nicht bestritten werden —
auf einmal nicht in hundertprozentiger Richtigkeit gelöst werden kann in einer Zeit, in der das Tempo der Entwicklung derart ist, daß man fast Angst und Schrecken kriegen kann, wenn man heute eine Gesetzesvorlage im Ausschuß verabschiedet, ob sie nach einem Vierteljahr überhaupt noch möglich ist. Wir sind der Meinung, wir wollen jetzt den Anfang machen, und glauben, das, was wir an Grundsätzen proklamiert und was wir an Abgaben auf der Abgabeseite festgestellt haben, ist das, was — bis auf gewisse Ihnen noch zugehende Änderungsvorschläge — die Grenzen dessen erreicht, was die deutsche Wirtschaft im Interesse des arbeitenden Volkes, um das Ziel der Eingliederung zu erreichen, zu tragen imstande ist.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Schütz .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieses Haus hat in seiner nun fast dreijährigen Arbeit manches Gesetz in einer Zeit verabschiedet und verabschieden müssen, die einen Bruchteil von der Zeit ausmacht, in der man in den sogenannten normalen Zeiten gleich bedeutungsvolle Gesetze zu verabschieden pflegte. Wenn das Lastenausgleichsgesetz, das wir heute in dritter Beratung zu verabschieden beginnen, unvoreingenommen betrachtet wird, wenn es einmal in Geltung sein sollte, dann wird es im Bereich der Bundesrepublik nur ein einziges Gesetz geben, das man mit diesem Gesetz vergleichen kann, nämlich das Bürgerliche Gesetzbuch,
was Umfang und Tiefenwirkung betrifft. Daran aber haben unsere Großväter volle 22 Jahre gearbeitet.
Meine Damen und Herren, ich darf alle Beteiligten, auch diejenigen draußen im Lande, bitten, einmal an die bitteren Vorwürfe zu denken, die man diesem Hause gemacht hat — diesem Hause ohne Unterschied der Fraktionen —, weil es etwa 15 Monate dazu gebraucht hat, dieses Gesetz zu verabschieden. Nein! Diese Generation ohne Unterschied der politischen Richtung ist nicht um so viel gescheiter und um so viel gelenker, als es unsere Großväter waren. Ich will gar nicht für uns in Anspruch nehmen, daß unser Gesetz, das heute zur Diskussion steht, etwa so fein ausgearbeitet ist wie das Bürgerliche Gesetzbuch. Aber ich bitte, auch zu vergleichen, daß zwischen 15 Monaten und 22 Jahren auch in der deutschen Bundesrepublik 1951 etliche Unterschiede bestehen.
— Es sind nicht alle so gescheit wie die anderen
Leute. —
Wir wissen es: 2560 Tage warten die Betroffenen, oft in einer unvorstellbaren Notlage, auf diesen Lastenausgleich.
Aber dieser Bundestag ist erst rund 950 Tage überhaupt am Leben.
Er ist nicht dafür verantwortlich, daß eine Diskrepanz zwischen 2500 Tagen und den 950 Tagen entstanden ist.
Die ungeduldig Wartenden haben recht mit ihrer Ungeduld. Aber die Männer und Frauen dieses Hauses — und ich darf sagen, trotz der spöttischen Zwischenrufe, ohne Unterschied der politischen Richtung — haben mit der Hingabe ihrer ganzen Persönlichkeit in diesen 15 Monaten an der Gesetzwerdung und an der Fertigstellung gearbeitet.
Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf, der heute diesem Hause zur dritten Beratung vorliegt, ist — davon sind wir überzeugt — nicht der Weisheit letzter Schluß. Dieses Gesetz wird die deutsche Bevölkerung in drei Teile einteilen: in solche, die etwas abzugeben haben;
in solche, die etwas zu empfangen hoffen;
und in solche, die weder — noch!
— Enttäuscht werden sie alle sein; das steht außer Zweifel.
— Meine Damen und Herren von dort drüben , wir hätten der Bevölkerung diese Enttäuschung ersparen können, wenn Sie nicht dieses Unglück veranlaßt hätten!
Wo die letzte Grenze für die möglichen Belastungen liegt, das kann mit einer absoluten Sicherheit weder auf dieser Seite noch auf jener Seite jemand bis ins letzte sicher behaupten. Auf beiden Seiten kann nur mit der größten Vorsicht geschätzt und angenommen werden. Aus diesen beiderseitigen Schätzungen, Überlegungen und Annahmen ist das Ergebnis, wie es dieser Entwurf enthält, zustande gekommen. Wesentliche Differenzen über das Ausmaß der Belastungen und der Belastungsmöglichkeiten sind während der 15monatigen Beratungen im Ausschuß nicht aufgetreten.
Soweit sie vorhanden waren, hat die Spezialdebatte in der zweiten Beratung die deutsche Öffentlichkeit darüber unterrichtet.
Dagegen gab es von Anfang an über die sogenannte Verteilerseite grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten. Auch sie sind in den letzten Monaten in der Öffentlichkeit eingehend diskutiert worden. Im wesentlichen standen einander zwei Auffassungen gegenüber. Einmal sagte man, man solle bei der Verteilung nicht nach rückwärts schauen; man solle die Mittel nach dem Zustand der Geschädigten, wie er hier und heute gegeben ist, nach den sozialen und wirtschaftlichen Bedürfnissen verteilen. Unter allen anderen grundsätzlichen Einwendungen schienen uns — d. h. meinen politischen Freunden — aber für eine solche Entscheidung die letzten objektiven Maßstäbe zu fehlen. Wer entscheidet denn darüber, wo die sozialen und wirtschaftlichen Bedürfnisse im einzelnen beginnen? Daher entschied sich meine Fraktion und mit ihr die Mehrheit im Ausschuß dafür, daß der tatsächliche Verlust an land- und forstwirtschaftlichem Vermögen, an Hausbesitz, an Betriebsvermögen sowie an Gegenständen zur Berufsausbildung der Ausgangspunkt für die Entschädigung sein sollten. Für diese Entscheidung plädierten ohne Ausnahme auch alle Geschädigtenverbände, sowohl die der Heimatvertriebenen als auch die der Kriegssachgeschädigten.
Was also die prinzipielle Frage der Verteilerseite betrifft, so befindet sich die Mehrheit dieses Hauses und die Mehrheit des Ausschusses im Einvernehmen und in Übereinstimmung mit den beiden großen Geschädigtengruppen bzw. ihren Repräsentanten. Daß darüber hinaus auch den dringendsten sozialen Erfordernissen Rechnung zu tragen versucht wurde, beweisen die im Gesetz vorhandenen Lösungen.
Lassen Sie mich mit ein paar Zahlen darauf eingehen! Von den etwa 45 Milliarden DM, die aufzubringen sind, entfallen auf die Kriegsschadenrente rund 10 Milliarden DM, auf die Hauptentschädigung mit Zinsen rund 18 Milliarden DM, auf die Hausratentschädigung 7 Milliarden DM, auf die Wohnraumhilfe rund 3 Milliarden DM, auf den Härtefonds 1 Milliarde DM und auf die sonstigen
Förderungsmaßnahmen rund 2 Milliarden DM. Wenn Sie diese Summen jetzt auseinanderlegen, dann werden Sie, ohne daß Sie es vielleicht beabsichtigen, feststellen, daß rund 21 Milliarden DM — nämlich die 10 Milliarden DM für die Kriegsschadenrente und die Summen für die Wohnraumhilfe, den Härtefonds und die Hausratentschädigung
— auf den sozialen Sektor entfallen.
— Wenn Sie die Hausrathilfe auf die Entschädigungsseite nehmen, dann bleiben auf beiden Seiten 21 Milliarden, sowohl auf der Entschädigungsseite
— nämlich die 18 plus 3 für die Hausratentschädigung — als auch auf der anderen, der sozialen Seite.
Meine Damen und Herren, aus diesen Zahlen ist ersichtlich, daß hier niemand sagen kann, daß es ein einseitiger, nur nach der Hauptentschädigung, also nach den ehemaligen Besitzbürgern hinneigender Lastenausgleich wäre.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit aber noch einmal wiederholen, was der Kollege Kunze schon ausgesprochen hat. Herr Kollege Kriedemann, Sie werden es nicht bestreiten können, daß bei der ersten Lesung, wo das Thema „Unterhaltshilfe" angesprochen wurde, überhaupt niemand im Ausschuß dagewesen ist, der nicht damit übereingestimmt hätte, an der Lösung der Unterhaltshilfe, wie sie das Soforthilfegesetz vorsah, zum mindesten nach unten hin nicht zu rütteln.
Darauf hat von Anfang an die ganze Arbeit gefußt.
Nun lassen Sie mich ein Wort zu der Hauptentschädigung sagen! Der Kollege Kriedemann hat dankenswerterweise gar nicht bestritten, daß sich die Kollegen von seiner Fraktion im Grundsatz für eine Hauptentschädigung ausgesprochen haben. Ich stimme mit dem Kollegen Kunze und vielleicht auch — auch wenn Sie manchmal ein spöttisches Wort über die kleinen Geister haben —
mit Ihnen überein, daß man über die Höhe streiten kann Das ist die Wahrheit. Aber ich glaube, Sie werden mit mir übereinstimmen, daß es in der Demokratie eine Spielregel gibt: Wenn sich eine Mehrheit für ein System ausgesprochen hat, dann ist eben durch diese Majorität eine Autorität gesetzt, und wer diese Spielregel lächerlich macht, der macht die Demokratie lächerlich!
Es ist wahr — und Sie brauchen uns davon nicht zu überzeugen —, daß man mit einer Majorität nicht immer Wahrheit finden und setzen kann.
Aber in der Demokratie ist uns keine andere Spielregel gesetzt als die, durch eine Mehrheit eine Autorität zu setzen.
— Herr Kollege Ollenhauer. ich habe nicht die Absicht. mit Ihnen in der gleichen Art zu diskutieren wie Sie mit uns! Ich darf Ihnen sagen, es war ein Schmerz
— jawohl! —, bei diesem Anlaß die Töne — um mit Ihrem Wort zu sprechen: die Musik — in der
Art feststellen zu müssen, wie wir das bei Ihren Ausführungen erlebt und gehört haben. Ich möchte es mit dem großen Sozialisten Ignazio Silone halten, an dessen Buch „Brot und Wein" sich in der schlimmen Zeit der Diktatur mancher aus Ihren Kreisen erbaut und aufgerichtet hat. Er sagt:
Die wahre Demokratie, der ehrliche politische Kampf kann nur auf Toleranz, dem friedlichen Beisammenleben und der gegenseitigen Achtung aller Bürger, welcher verschiedenen Anschauung sie auch sein mögen, begründet sein.
Aber ein paar Worte möchte ich doch dazu sagen. Man hat hier gesagt, dieses Lastenausgleichsgesetz sei einfach ein Glied in der Kette einer sehr abscheulichen Politik, die in den letzten Jahren abgelaufen ist. Selbstverständlich gibt es in der Politik — auch in der Wirtschaftspolitik — keine Dogmen; da kann man sowohl — als auch denken. Aber wenn wir uns heute fragen, ob sie wirklich so verwerflich war nach all dem, was seit 1949 seit dieses Haus angetreten ist, geschah,
dann möchte ich doch sagen, daß diese Politik vor der Geschichte unseres Volkes durchaus bestehen kann.
Als wir 1949 die Regierung Adenauer bildeten, da gab es 20 Millionen Menschen in diesem Staate, die Löhne, Gehälter, Unternehmergewinne, Für-
;) sorge oder Renten oder Pensionen empfingen. 1948 lag bei fast 7 Millionen dieser 20 Millionen — das ist mehr als jeder Dritte — das monatliche Durchschnittseinkommen unter 100 DM. Heute sind es 22 Millionen Menschen, die Löhne, Gehälter oder andere Einkommen haben. Von diesen 22 Millionen Menschen sind — Gott sei es geklagt — noch 3 Millionen in der gleichen armseligen sozialen Lage wie die 7 Millionen, die 1948 in dieser Lage waren.
Sie können nun sagen: das ist eine Schande, daß es noch die 3 Millionen gibt. Ich darf aber sagen: Es ist ein Verdienst, daß es 4 Millionen weniger geworden sind!
Es ließe sich aber auch noch ein anderes Wort sagen, Herr Kollege Mellies, z. B. folgendes: In diesem Raum, in dem es heute 47 Millionen Menschen gibt, gab es 1938 36 Millionen Menschen. In den letzten Kriegsjahren und in den ersten Nachkriegsjahren sind durch den Bombenhagel und
die Demontagen rund 50 vom Hundert aller industriellen Arbeitsplätze zerstört worden. Wir beschäftigen heute an den restlichen 50 % der Arbeitsplätze dreieinhalb Millionen Menschen mehr als in Hitlers größtem Aufrüstungsmonat, dem Oktober 1936.
Das ist nicht allein das Verdienst der Regierung
Adenauer, ganz gewiß nicht. Aber das ist auch
ein Verdienst dieser Regierung Adenauer,
und so schlecht war die Wirtschaftspolitik, wie Sie sie hier darzustellen versuchten, nicht.
Sie haben mit Recht gesagt, daß sich der grüßte Teil der Geschädigten aus den kleinen Leuten, den Arbeitnehmern rekrutiere. Wer dazu einen Beitrag geleistet hat, diesen kleinen Leuten einen Arbeitsplatz zu verschaffen, der hat wahrlich auch einen Beitrag zum Lastenausgleich geleistet.
Dieser Lastenausgleich — ich sagte es schon — wird auf beiden Seiten keine Begeisterung auslösen; dessen sind sich alle, die daran mitgearbeitet haben, voll bewußt. Aber dieser Lastenausgleich will ein Beitrag sein auf dem Wege zur Schaffung einer neuen sozialen Ordnung in diesem armen Deutschland.
Ich möchte noch ein Wort nach der andern Seite sagen. Es gibt viele Leute — auch auf dieser Seite —, die es gerne gesehen hätten, wenn es möglich gewesen wäre, daß für dieses Gesetz eine Mehrheit hätte geschaffen werden können, die weit über die sogenannte Regierungsmehrheit hinaus geht.
— Jawohl, wir geben die Hoffnung noch nicht auf.
Lassen Sie mich nur ein Wort sagen. Von 1884 bis zur Jahrhundertwende ist in diesem Deutschland kein Sozialversicherungsgesetz beschlossen worden, für das diese Seite ja gesagt hätte.
— Jawohl, bis zur Jahrhundertwende habe ich gesagt, Frau Schroeder. Es hat aber nicht lange gedauert nach der Jahrhundertwende, da war man sich nicht nur bei den Vätern dieser Seite , sondern auch bei den Vätern dieser Seite (links) darüber einig, daß es eine klassische deutsche Sozialgesetzgebung gewesen sei, die damals begonnen worden ist.
Vielleicht gibt die Entwicklung auch den paar unverbesserlichen Optimisten dieses Hauses recht, daß selbst in den Kreisen, die sich heute nicht entschließen können, einmal die Stunde reift, in der man sagt: es ist etwas Ordentliches daraus geworden.
Dazu wollten wir heute mit dieser dritten Lesung den ersten Grundstein legen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kather.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Anläßlich der dritten Lesung dieses Gesetzes erscheint es mir angebracht, noch einmal auf einen Punkt hinzuweisen, der auch in der Präambel angesprochen ist, nämlich darauf, daß I das Lastenausgleichsgesetz und der damit erstrebte
Zweck, die Eingliederung der Vertriebenen, in keinem Widerspruch steht zu unserm Anspruch und unserm Recht auf die Heimat. Im Gegenteil, wir sind der Überzeugung, daß die Rücksiedlung, wenn wir sie eines Tages vornehmen können, mit Erfolg nur durchgeführt werden kann, wenn die körperliche, seelische und auch die wirtschaftliche Substanz der Vertriebenen erhalten geblieben ist,
und das kann nur geschehen, wenn sie in die westdeutsche Wirtschaft eingegliedert werden.
In der Präambel ist auch das Wort von dem Anspruch enthalten und das Wort „Rechtsanspruch" vermieden. Ich möchte diese Gelegenheit nicht vorübergehen lassen und möchte mich auch durch keine Kritik davon abhalten lassen, noch einmal herauszustellen, daß wir einen Rechtsanspruch auf eine gerechte Verteilung der Kriegs- und Kriegsfolgelasten zu haben glauben. Wir sind durchaus für die Ausgestaltung des Lastenausgleichs nach sozialen Gesichtspunkten und haben uns diesen Anforderungen auch nicht verschlossen; aber es darf nicht in die Umkehr gegangen werden, als ob der Rechtsanspruch überhaupt nur noch etwas ist, das ganz hinten rangiert und auf das angewiesen ist, was übrigbleibt. Ich habe schon neulich gesagt, daß gerade die Höchstgrenze, die Entschädigung von 15.000 DM, uns eine Negation nicht nur des Rechtsanspruchs, sondern auch des Begriffs vom Privateigentum zu sein schiene, auch wenn man da nur an mittlere Vermögen dachte. Herr Kriedemann hat heute vorgetragen, daß für 50 000 oder 52 000 Menschen eine Milliarde aufgewendet werden solle. Ich glaube, die Zahl ist etwas zu hoch gegriffen. Aber, meine Damen und Herren, wenn man von dem Gesamtaufkommen von 60 Milliarden ausgeht und dann zu der Konsequenz kommt, daß davon 59 Milliarden für kleine und mittlere Vermögen Verwendung finden sollen und eine Milliarde für größere Vermögen, dann scheint mir das auch kein sicherer Beweis für eine asoziale Haltung zu sein.
Meine Damen und Herren, der Lastenausgleich nach unseren Begriffen schließt die Forderung nach einer echten Vermögensumschichtung, nach einem Eingriff in die Substanz ein; denn sonst kann man nicht von einer Neuverteilung des Zufallsbesitzes, wie ihn der Krieg übriggelassen hat, sprechen. Es ist festzustellen, daß im Gesetz, wie es uns jetzt in der Fassung der zweiten Lesung vorliegt, davon nichts zu finden ist. Der von uns gestellte Antrag, daß gewisse Abgabepflichtige eine anderthalbfache statt der einfachen Annuität zahlen sollen — das war das letzte, was man als direkten Eingriff in die Substanz wohl ansehen konnte —, ist abgelehnt worden. Man hat die Form der Vermögensteuer gewählt und hat die Abgabe auf 30 Jahre verrentet. Wir stehen damit vor der Tatsache, daß der Lastenausgleich von einer falschen Grundkonzeption ausgeht, nämlich von der Verrentung auf 30 Jahre, und dann doch für die Abgabe ein Stichtagvermögen zugrunde lest. Das ist -bei so langer Zeitdauer nicht sinnvoll. Es ist unzweifelhaft, daß nach 30 Jahren — schon ein sehr viel kürzerer Zeitraum wird das erweisen — diese Vermögen sich fast ganz oder zum großen Teil verflüchtigt haben werden. Deshalb ist für die Vertriebenen nach meiner Auffassung diese Konzeption, die sich in diesem Stadium leider nicht mehr mit Aussicht auf Erfolg angreifen läßt, nur tragbar, wenn diese Mängel durch eine starke Vorfinanzierung ausgeglichen werden und dadurch der Bedarf für die ersten Jahre sichergestellt wird.
Wir haben diesen Bedarf für die ersten Jahre — ich brauche das hier nicht zu sagen —, sonst kommt für allzu viele die Hilfe zu spät.
Die Bilanz sieht traurig aus; daran ist kein Zweifel möglich. Darüber wollen wir aber nicht verschweigen oder_ übersehen, daß dieses Gesetz auch wesentliche Verbesserungen bringt. Ich nenne nur zwei: die Kriegsschadenrente und die Hausratentschädigung. Die Hausratentschädigung ist natürlich für die Forderungen, die von unseren Leuten gerade in dieser Hinsicht erhoben werden, auch dann unbefriedigend, wenn 500 Millionen im' Jahr dafür zur Verfügung gestellt werden. Aber vergleicht man diese Zahl mit dem, was bisher gegeben worden ist, so ist fraglos ein Fortschritt festzustellen.
Schlechter sieht die Situation für eines unserer ersten Anliegen aus, nämlich für die produktive Eingliederung der Vertriebenen. Auch darüber brauche ich nichts mehr zu sagen, nachdem ich neulich auf die Notlage der Bauern, der Gewerbetreibenden usw. hingewiesen habe, die endlich wieder einen Start machen wollen. Nach der Rechnung, die uns aufgemacht ist, haben wir im ersten Jahre 200 Millionen für die Eingliederungshilfe. Diese 200 Millionen sind wegen der Übergangsschwierigkeiten noch mit einem kleinen Fragezeichen versehen. Ich glaube aber, daß sich das kassenmäßig überwinden lassen wird. Damit ist jedoch der Bedarf, den wir auf eine Milliarde pro Jahr in den ersten drei Jahren beziffert haben, nicht gedeckt. Er kann nur auf zwei Wegen gedeckt werden: durch Erhöhung der Abgabe und Vorfinanzierung.
In der Frage der Heranziehung der öffentlichen Hand können wir uns der Auffassung der Sozialdemokratischen Partei nicht anschließen, einfach aus der Tatsache heraus, daß wir jetzt schon zu wenig Gelder haben.
— Ja, Herr Kriedemann, wir können es nicht machen wie der Bundesrat, der auf der einen Seite durch Erhöhung der Ausgaben um 300 Millionen den Topf geschmälert und auf der anderen Seite — um das „auszugleichen" — die Einnahmen um 300 Millionen gekürzt hat.
Ich glaube aber auch — ich sagte das heute schon —, daß ein Grund vorliegt, die öffentliche Hand insoweit heranzuziehen, denn sie hat echte Ersparnisse. Kein Vertriebener wird meiner Auffassung nach das Gefühl haben, daß er nun doch Wohlfahrtsempfänger ist, wenn die öffentliche Hand diese 250 Millionen zurückgibt. Denen ist das vollkommen egal; Hauptsache, daß sie selbst nichts mit dem Wohlfahrtsamt zu tun haben und daß sie einen Rechtsanspruch haben.
Wir haben in der zweiten Lesung vier Vorschläge zur Erhöhung des Aufkommens gemacht: Vermögensteuer, Erhöhung der Abgabe bei Landwirtschaft und Hausbesitz um 1 %, Heranziehung des Hausratsvermögens und des Kirchenvermögens. Den Antrag auf Heranziehung des Hausratsver-
mögen haben wir in zweiter Lesung zurückgezogen. Ich möchte den Grund dafür angeben: wir haben diese Forderung, die wir für gerechtfertigt halten, nicht aufgegeben; wir wollten aber, nachdem feststand, daß die Mehrheitsparteien und die Opposition diesen Antrag nicht unterstützen, das Haus nicht damit aufhalten. Wenn ich jedoch Unterstützung bekomme, dann könnten wir darüber reden.
Wir haben Vorschläge für die Vorfinanzierung gemacht. Im Gesetz haben wir den Bonus. Es ist uns zugesagt worden — allerdings bisher nicht in verbindlicher Form —, daß der Weg über den 7 d gegangen werden soll. Unser Antrag sieht weiter eineinhalbfache Annuitäten, steuerliche Vergünstigungen und die Möglichkeiten von Anleihen vor. Man braucht nicht alle diese Wege zu gehen, aber man sollte sie doch insoweit gehen, daß unser Rechtsanspruch und das Bedürfnis für die ersten Jahre wenigstens annähernd gedeckt wird.
Meine Damen und Herren von der Koalition, wäre es nicht eine reizvolle Angelegenheit, Herrn Kriedemann einmal den Nachweis zu erbringen, daß es doch manchmal ganz gut ist, wenn sich einer auf dem Marktplatz hinstellt und schreit?
— Ich bin nicht davon heiser geworden, denn ich habe letzten Sonntag den Marktplatz ängstlich gemieden.
Ich habe auf diesen beiden Kundgebungen eine
Vorfinanzierung von etwa 3 Milliarden für die
ersten drei Jahre gefordert. Es wäre doch sehr
schön, wenn sich bei dieser Gelegenheit im Bundestag herausstellte, daß ich damit nichts Unmögliches
gefordert habe, und wenn Sie diese Forderung uns
wenigstens in etwa bewilligten. Herrn Kriedemann
muß ich aber sagen, daß das echte Anliegen und
die echte Not, die uns zu dieser Demonstration gezwungen haben, mit derartigen Vokabeln kaum
richtig gewürdigt und von den Vertriebenen — —
— Tun Sie das ruhig, Herr Kriedemann; aber Sie tun sich damit keinen Dienst.
Der Vergleich der Leistungen aus dem Lastenausgleich mit den Leistungen zum Wehrbeitrag drängt sich geradezu zwangsläufig auf. Es wird immer so sein, daß die Vertriebenen und die anderen Geschädigten sagen: Dort ist in einem Jahr mehr da als für uns in drei Jahren! Oder man wird sagen: Die eine Milliarde, die wir für die produktive Eingliederung haben wollen, bekommen wir nicht, aber für den Wehrbeitrag ist fast die gleiche Summe in einem Monat zu zahlen! Meine Damen und Herren, der Zusammenhang kann auch gar nicht in Abrede gestellt werden. In der Begründung zu diesem Gesetzentwurf ist ausdrücklich gesagt, daß jede Leistung aus dem Lastenausgleich einen echten Beitrag zur Verteidigung darstellt. Der Herr Bundeskanzler hat das von dieser Stelle am 7. Februar betont und sogar von einem Vorrang der sozialen Leistungen gesprochen. Ich glaube auch, daß die Erkenntnis, daß das eine ohne das andere — und das gilt für beide — wenig sinnvoll ist, Allgemeingut und unbestritten ist.
Deshalb sollten wir die Relationen und Vergleiche
der Größenordnungen sehr ernst nehmen. Denn die
Leute, die auf den Lastenausgleich warten, werden
diese Vergleiche anstellen und sie werden das alles sehr ernst nehmen. Ich glaube, daß die Bundesregierung gerade diesem Gesichtspunkt in den Verhandlungen mit den Westmächten eine besondere Bedeutung und eine besondere Aufmerksamkeit beimessen sollte. Nur wenn wir den sozialen Frieden durch dieses Gesetz gewinnen, hat ein Verteidigungsbeitrag Sinn und Zweck.
Die Vertriebenen haben — das ist ebenfalls nicht zu bestreiten — einen großen Anteil an dem Aufbau der westdeutschen Wirtschaft.
Leider ist auch nicht zu bestreiten, daß dieser Anteil größer an der Arbeit war als am Gewinn. Wir sollten auch eines nicht außer acht lassen; auch was aus dem Lastenausgleich den Geschädigten zugute kommen wird, wird letzten Endes wieder der gesamtdeutschen Volkswirtschaft zugute kommen. Wir dürfen gerade in dieser Stunde die Gesamthaftung des deutschen Volkes — das ist heute schon einmal angedeutet worden — für einen gemeinsam geführten und verlorenen Krieg nicht außer acht lassen. Wenn man aber diesen Gesichtspunkt wirklich bewertet und berücksichtigt, dann kann man nicht zu dem Ergebnis kommen, hier sei etwas ex caritate zu bewilligen. Hier ist vielmehr ein echter Anspruch auf Entschädigung festzustellen, das wollen wir nicht außer acht lassen. Der Deutsche Bundestag darf gerade bei dieser Frage nicht versagen. Ich bitte doch einmal zu überlegen, ob es nicht möglich ist, durch eine Erhöhung des Aufkommens, z. B. durch die Heranziehung des Stichtagvermögens zur Vermögensteuer und durch ins Gewicht fallende Vorfinanzierungsmaßnahmen, den Geschädigten wenigstens für die ersten drei Jahre den Betrag zu geben, den sie zur Eingliederung ihrer Schicksalsgenossen brauchen und den ja auch das ganze deutsche Volk braucht. Denn letzten Endes ist nichts so teuer wie das Geld, das für Arbeitslose dahingegeben wird.
Mit Deklamationen und der Aussicht auf Novellen können wir uns allerdings nicht abfinden. Es müßten dann schon konkrete Vorschläge hierzu gemacht werden. Es geht hier schließlich um mehr als Geld und Geldeswert.
Meine Damen und Herren, ich habe die herzliche Bitte gerade an die Mehrheit des Hauses — denn sie ist kraft ihrer Mehrheit für das Gesetz verantwortlich —: prüfen Sie, wie das heute schon von anderer Seite gefordert wurde, noch einmal ernsthaft die Situation! Prüfen Sie wirklich ernsthaft die Möglichkeiten, die die deutsche Wirtschaft hat, und geben Sie uns einen Lastenausgleich, zu dem auch wir ja sagen können!
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Keller, BHE.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was mir in dieser Debatte zu sagen zufällt, entspringt einer besonderen Situation. Was ich darin gemeinsam auch für die leider verhinderten Kollegen Tichi und Fröhlich zu sagen habe, steht nicht nur für die Stimme eines heute allein vor Ihnen stehenden Mitglieds dieses Hohen Hauses, sondern es hat auch für diejenigen zu
stehen, die draußen heute schon in fünf Länderparlamenten nicht unwesentlich in Erscheinung
getreten sind, die heute schon in vier Landesregierungen Verantwortung übernommen haben und
seit geraumer Zeit tragen und denen lediglich im
Jahre 1949 ein dem Grundgesetz einwandfrei
widersprechender Lizenzzwang von äußerer Seite
verwehrt hat, so in Erscheinung zu treten, wie es
nach demokratischen Grundsätzen ihr Recht und
— wie sie meinen — ihre Pflicht gewesen wäre.
In diesem Sinne darf ich Ihnen für den BHE, den Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten, die Meinung dieser Gruppe unterbreiten.
Ich möchte vorausschicken, daß der BHE in dem uns vorliegenden Gesetzentwurf, wie er sich im Augenblick darstellt, nicht einen wirklichen und nicht einen echten Lastenausgleich erblicken kann und daß selbst bei dem Bemühen, die Dinge vollkommen objektiv zu betrachten, wir den Eindruck einer — wie es hier einmal dargestellt worden ist — ungeheuren Finanztransaktion nicht teilen können. Gerade, wenn man neu in dieses Haus tritt, drängt sich einem unwillkürlich der Eindruck einer ungeheuren Finanzmanipulation auf, bei der unter zunächst äußerst eindrucksvollen großen Zahlen im Effekt doch nicht erreicht wird, was, wie oft erklärt worden ist, allen Gutwilligen hier vorgeschwebt hat. Der Bundesvorsitzende des BHE, Minister Waldemar K r a f t, hat die Dinge einmal in eine, wie ich meine, sehr einfache und treffende Formulierung gekleidet, indem er gesagt hat, daß ein gemeinsam verlorener Krieg, der gemeinsam geführt und gemeinsam verloren worden ist, nun auch in seinen Folgen gemeinsam getragen werden müßte. Er hat das Wort von der gemeinsamen Zeche gebraucht, die gemeinsam bezahlt werden sollte.
Der Entwurf, der vor uns liegt, wird diesen Dingen in keiner Weise gerecht. Um einige Einzelheiten herauszugreifen: von der schnellen Hilfe, von der gleichfalls hier schon oft gesprochen worden ist, kann nicht die Rede sein. Gerade bei den Sparten, die einer besonders schnellen Hilfe bedürfen, auf dem Gebiet der produktiven Eingliederung, die neue Werte mit schaffen helfen soll, auf dem Gebiet der Hausratsentschädigung — dem Dringendsten und Notwendigsten vielleicht wird der Entwurf den Erfordernissen nicht gerecht und verlagert darüber hinaus ganz allgemeine soziale Aufgaben, die der öffentlichen Hand auch ohne einen Lastenausgleich nun einmal zugefallen wären und ihr obgelegen hätten, auf den Lastenausgleich, wobei ich besonders etwa an die Fragen der Wohnraumbeschaffung und der Arbeitsplatzbeschaffung denke — allgemeine Probleme, die noch zu allen Zeiten immanent gewesen sind und vor uns gestanden haben.
Wir erblicken weiter einen wesentlichen Mangel dieses Entwurfs darin, daß in diesem Gesetz bei der vollkommen willkürlichen Festsetzung eines Stichtages ganz übersehen worden ist, daß seit diesem Stichtag Milliarden, ungezählte Milliarden von Investitionen sich neu im Volksvermögen ergeben haben, nicht nur geschöpft und beileibe nicht nur allein geschöpft aus der Hilfe des Auslandes, sondern, wie es heute bereits Statistiken einwandfrei ausweisen, geschöpft aus der deutschen Wirtschaftssubstanz selbst und nicht zuletzt geschöpft aus den summierten und dann doch ein Großes gebenden unzähligen Pfennigen des Konsumenten, die dazu beigetragen haben, daß neue erhebliche Investitionen getätigt werden konnten. Der Entwurf macht nach unserer Auffassung zu seiner wesentlichen Grundaufgabe eine scheinbare Vermögensabgabe, die in Wirklichkeit doch nur eine sehr milde und noch dazu vom verwaltungsmäßigen und finanzwirtschaftlichen Standpunkt aus gesehen manchmal geradezu unsinnig anmutende Vermögensteuer darstellt. Letzten Endes läßt er in der Erfassung und Berechnung des zu erhebenden Aufkommens Möglichkeiten zu, daß das Aufkommen nicht so eingeht, wie es sich uns von den Statistiken her präsentiert. Auf der andern Seite, wenn es z. B. darum geht, daß der kleine Arbeiter mit der Lohnsteuer seinen Tribut an die Gesamtheit leistet, pflegt man die Erhebung ganz anders zu handhaben.
Meine sehr verehrten Kollegen und Kolleginnen, man sollte nicht sagen, daß es nicht anders ginge. Es gibt, Gott sei Dank, möchte ich sagen, heute schon Beispiele — nicht weit von uns — in der Welt dafür, daß es wirklich anders geht, wenn man wirklich anders will. Ich glaube sagen zu dürfen, daß das Beispiel der kleinen, tapferen und klugen Nation der Finnen im Norden unseres Erdteils heute schon dafür steht, wie man einen Lastenausgleich vollziehen kann, wenn man die Notwendigkeit dazu erkennt. Ich möchte sagen, daß Finnland nach dem Jahre 1945 im wesentlichen vor derselben Titanenaufgabe gestanden hat wie wir in Deutschland leider auch. Dort hat man aber die Dinge ernster genommen. In Finnland hat man nachweisbar heute schon jedem Geschädigten gerade in den untersten Grenzen — ich sage das, um auch einmal den sozialen Wünschen eines Teils dieses Hauses das Wort zu reden — volle Entschädigung bis zum Vergleichswert von 42 000 DM gewährt. Finnland .ist an diesen Dingen nicht zugrunde gegangen, sondern Finnland lebt und scheint einer wirtschaftlichen Gesundung entgegenzugehen.
Man sollte in Deutschland nicht glauben, der Situation, die Finnland offensichtlich zu diesen Anstrengungen und Opfern beflügelt hat, entgangen zu sein. Ich glaube, wir können nicht sagen, daß wir in Deutschland gegen die Situation, die Finnland zu diesen Schritten bewegt hat, heute schon so gefeit wären, daß es entsprechender Anstrengungen nicht bedürfte.
Eines, meine sehr Verehrten, wird dieses Gesetz wohl schaffen: es wird Klarheit schaffen. Wenn das Gesetz so über die Bühne geht, wie es im Augenblick den Anschein hat, wird man — den Eindruck habe ich — wissen, daß ein echtes Opfer zunächst an die eine Seite nicht herantritt, und daß auf der anderen Seite, auf der Seite derer, die seit Jahren auf diesen Tag gewartet haben, selbst bescheidene Hoffnungen zunächst vergeblich gewesen sind.
Man hat die immer so disziplinierten Demonstrationen der Vertriebenen und Geschädigten auf dem Marktplatz in Bonn als einen Ausdruck der Straße abzutun versucht; aber ich möchte meinen, daß draußen auf der Straße und im Lande, wo das Volk lebt und arbeitet, die Dinge manchmal etwas richtiger erkannt werden als an grünen Tischen und grünen Pulten, wo immer sie stehen mögen. Hier muß ich zu meinem Leidwesen eines erwähnen. Der Herr Bundesfinanzminister hat
geglaubt, in seiner berühmt gewordenen Rede von Tuntenhausen den vielleicht durch die Jahre geretteten und geschonten oder mit saurer Muhe neu erworbenen Anzug dieses oder jenes der Demonstranten, der sich nun aus der grauen Not dieser Masse herausgehoben hat, bemangeln und beanstanden zu mussen. Ich muß dabei lebhaft an das Wort denken: Das war kein Meisterstuck, Oktavio. — Ich möchte meinen, daß zum mindesten im Effekt — ob bewußt oder unbewußt — diese Auffassung geradezu einer Provokation derer gleichkommt, die nun Jahr und Tag bewiesen haben, daß sie in Geduld auf eine Lösung des Rechts zu warten gewillt sind. Ich bedaure, daß diese Menschen, die immer wieder sittliche Geduld und Ausdauer bewiesen haben, über die man nicht hinweggehen und nicht hinwegsehen kann, diese Taktlosigkeit hinnehmen mußten.
Es geht hier nicht allein um die materiellen Dinge, die in den Änderungsanträgen und Entwürfen immer wieder die Rolle spielen und immer wieder diskutiert werden. Ich glaube, wir dürfen hier nicht vergessen, daß hier ein ideelles Band zwischen den glücklicher Gebliebenen und den zunächst Betroffenen geschlungen werden soll, das unser Volk in dieser Zeit gerade dringendst braucht. Es wird vielleicht noch zu wenig betont, daß dieser Lastenausgleich letzten Endes eine moralische, sittliche und rechtliche Pflicht unseres . Volkes ist. Jedem in diesem Land muß das Gefühl zurückgegeben werden — denn es besteht im Augenblick nicht mehr, dieses Gefühl —, daß das Volk für die letzten seiner unschuldig in Not Geratenen das zu tun gewillt ist, was unter Anspannung aller Kräfte in seiner Macht steht. Jedem muß das Gefühl zurückgegeben werden, daß der einzelne Glied dieses Volkes geworden ist mit allen Rechten und Pflichten, auf die man gerade in der nächsten Zukunft hofft.
Es ist mir für die innere Haltung dieser Vertriebenen und Geschädigten bezeichnend gewesen, daß das Lied eines Bekenntnisses zu Deutschland, das nicht etwa ein Lied gewesen ist, das erst das „Dritte Reich" gebracht hat, sondern — —
Ihre Redezeit ist abgelaufen, Herr Abgeordneter.
Der Herr Präsident hat mir zwölf Minuten zugebilligt.
Der BHE ist ja doch keine Gruppe mehr. Bitte kommen Sie zum Schluß; denn Sie bilden keine Gruppe mehr. Für Sie gilt die Redezeit für Fraktionslose von fünf Minuten. Bitte nehmen Sie es zur Kenntnis. Da ist ein Irrtum passiert, weil nicht berücksichtigt worden ist, daß bei Ihnen keine Gruppenstärke mehr vorhanden ist.
Ich bedauere den Irrtum, für den ich nicht verantwortlich bin. Ich hoffe, daß ich oder andere Kollegen im nächsten Bundestag etwas länger reden können!
Es geht also nicht allein um die materiellen Dinge, sondern auch um das Ideelle. Ich sagte vorhin, es mag bezeichnend sein, daß gerade das Lied eines Bekenntnisses zu Deutschland immer wieder zuerst von denen gesungen worden ist, die wegen ihres Bekenntnisses zu diesem Volk und der Zugehörigkeit zu diesem Volkstum die größten Opfer haben bringen müssen. Jedenfalls wird man die
Masse derer, die schuldlos besitzlos geworden sind, nur dann annähernd für eine Verteidigung interessieren können, wenn man ihnen auf Kosten derer, die noch etwas besitzen, Dinge gibt, die ihnen das Leben erst verteidigungswert machen.
Es ist in diesem Hause von Novellen gesprochen worden. Die Opposition hat geglaubt, sie als Romane glossieren zu können. Ich glaube, wir stehen in Gefahr — ich hoffe nicht, damit recht zu behalten —, eines Tages ein Drama zu erleben, wenn die Dinge so weiterlaufen, wie es im Augenblick aussieht. Deswegen möchte ich meinen, daß der Lastenausgleich mit diesem Gesetz nicht abgeschlossen werden kann, und daß in einem anderen Geist, als er bisher obgewaltet hat, ein neuer Lastenausgleich versucht werden muß, wenn Deutschland bestehen soll!
Das Wort hat Herr Abgeordneter Rische.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die kommunistische Bundestagsfraktion
stellt an die Spitze ihrer Stellungnahme zu diesem Lastenausgleichsgesetz das klare Bekenntnis zu einem politisch und sozial gerechten Lastenausgleich. Die Opfer des zweiten Weltkrieges, des Zusammenbruchs und der unsozialen Währungsreform
müssen ausschließlich auf Kosten der Schuldigen des zweiten Weltkriegs, der Kriegs- und Währungsgewinnler gerecht entschädigt werden.
Selbst bei der wohlwollendsten Betrachtung ist dieser sogenannte Lastenausgleich nicht geeignet, die Hoffnungen der Geschädigten auch nur annähernd zu befriedigen.
Im Gegenteil, dieses Gesetz ist nichts anderes als ein großangelegter Versuch, den Massen ein großes soziales Werk vorzutäuschen, um damit ihre Zustimmung zu der verderblichen Politik der Wiederaufrüstung und des Krieges zu erkaufen.
Sieben Jahre lang haben Millionen von Menschen vergeblich auf die Einlösung eines Versprechens gewartet. Am Tage der Währungsreform wurde das Versprechen eines sozialen Lastenausgleichs sogar in verbindlicher Form gegeben und seine Einlösung spätestens bis zum 31. Dezember 1948 in Aussicht gestellt. Vier Jahre lang wurden seitdem Sitzungen abgehalten, wurden Paragraphen gedrechselt und Aktenstöße gewendet. Aber es geschah nichts.
Es ist bezeichnend, daß diese Lastenausgleichsdebatte ausgerechnet zu dem Zeitpunkt aufgezogen wurde, in dem Adenauer hinter dem Rücken dieses Bundestags im forcierten Eiltempo die letzten Vorbereitungen für die Unterzeichnung eines Vertrages trifft. der für unser deutsches Volk eine Entscheidung im Sinne ungeheuerlicher wirtschaft-
licher und politischer Tribute, eine Entscheidung über Leben und Tod bedeuten würde.
Es erfüllt uns mit großer Sorge, daß dieses Gesetz
im Zeichen des Generalvertrags und, wie es in der
Regierungserklärung des Herrn Vizekanzlers
Blücher heißt, der unmittelbaren militärischen
Ziele der Regierungspolitik steht. Wir stellen darum fest, daß bei der in Bonn betriebenen Politik
der Aufrüstung und Kriegsreifmachung jede
Sozialpolitik über kurz oder lang unmöglich wird.
Die Lasten und die Folgen des zweiten Weltkriegs können nicht behoben werden, wenn im Zeichen des Generalvertrags der großen Masse der Bevölkerung unerhörte neue Lasten zur Vorbereitung des dritten Weltkrieges aufgebürdet werden. Der Generalvertrag wird in seinen finanziellen und finanzpolitischen Verpflichtungen dem ganzen deutschen Volke neue Milliardentribute auferlegen und das wirtschaftliche und soziale Geschehen rücksichtslos verändern. Alle gemachten Vorschläge, jede ernstgemeinte Politik der sozialen Sicherung unseres Volkes muß im Zeichen des Generalkriegsvertrags und seiner Auswirkungen letztlich unmöglich werden.
Flüchtlingsminister Dr. Lukaschek hat die Konsequenzen der Bonner Politik und somit auch dieses Gesetzes am Montagabend in Köln in einer eindeutigen Weise erläutert. Er forderte die Flüchtlinge auf, heute wieder bereit zu sein, Deutschland vor den slawischen Völkern zu schützen,
so wie es die deutschen Landsmannschaften 700 Jahre hindurch mit Erfolg getan hätten.
Er fügte hinzu, die Flüchtlinge sollten ihre Verteidigungsbereitschaft und ihren Pioniergeist einsetzen.
Das ist die neueste regierungsamtliche Erläuterung der von Hallstein bereits formulierten Eroberungspolitik bis zum Ural.
Das ist eine erneute offene Aufforderung zum Revanchekrieg. Wir sagen ganz klar: wer den Revanchekrieg predigt, Aufrüstungsmaßnahmen empfiehlt oder durchführt, kann keinen Ausgleich. der Lasten des letzten Krieges schaffen, sondern nur neue Lasten für den neuen Krieg.
Das zeigen schon Geist und Buchstabe des Gesetzes selbst. Es ist eindeutig darauf gerichtet, die wirklich Besitzenden, die Aktienbesitzer, die Kriegs- und Währungsgewinnler zu schonen. Fast zur Hälfte stammt das echte Aufkommen aus der öffentlichen Hand.
Was man jedoch der öffentlichen Hand nimmt, muß sich in Form neuer Belastungen in den Gemeinden, Kreisen und Städten zuungunsten der sozial Schwachen und somit der Masse der Geschädigten auswirken.
Dagegen ist die Belastung für die Großbesitzer bei diesem Gesetz viel niedriger als beim Soforthilfegesetz. Während die große Masse der Geschädigten mit geringen Almosen abgespeist wird, erhalten ca. 12 000 große Vermögensbesitzer, darunter die Besitzer von Vermögenswerten der oberschlesischen Schwerindustrie, weit über 400 Millionen DM aus diesem Lastenausgleichsfonds. Ich möchte für diese Feststellung die „Frankfurter Rundschau", eine angesehene bürgerliche Zeitung, zitieren:
Wer kein Vermögen an Geld, Wertpapieren oder Grundbesitz besaß, bekommt nichts, auch wenn er durch den Krieg Wohnsitz oder Existenz verlor, die früher ihn und seine Familie ernährten. Eine klägliche Hausratentschädigung ist der einzige, wenn auch kümmerliche soziale Lichtblick im herzlosen Dunkel der materiellen Quote.
Damit ist der unsoziale Geist dieses Gesetzes am besten charakterisiert.
Die kommunistische Bundestagsfraktion steht ausdrücklich zu ihren in der zweiten Lesung eingebrachten Anträgen.
Unsere Forderungen entsprechen den Wünschen
der Geschädigten wie auch den berechtigten Sorgen
der großen Masse der durch dieses Gesetz zu belastenden kleinen Besitzer. Ich möchte hier eindeutig erklären, daß die von uns aufgestellte Belastungshöchstgrenze von 40 000 DM im Hinblick
auf die gesamte Belastungspolitik gerechtfertigt ist.
Die Vermögensheranziehung, gestaffelt nach den Gesichtspunkten der stärkeren Belastung des großen Besitzes, ist die einzige sozial vertretbare Konsequenz überhaupt.
Das vorliegende Gesetz belastet jedoch die kleinen Besitzer, die Eigentümer von Siedlungshäusern, darunter Bergarbeiter, ferner Handwerksbetriebe, Winzer und Bauern mit ihren Grundstücken, also Menschen, die im Zeichen der Kriegsvorbereitungen unter der Last der Steuern, Abgaben und Zölle bereits sehr schwer stöhnen, während durch die Investitionspolitik die Urheber des zweiten und die Vorbereiter des dritten Weltkrieges ausdrücklich mit Milliardenbeträgen belohnt werden.
Man hat im Verlauf der Debatte unsere Vorschläge und unsere guten Argumente durch Hinweise auf die Lösung des Flüchtlingsproblems in der Deutschen Demokratischen Republik
zu entkräften versucht. In der Deutschen Demokratischen Republik wurden allein 95 000 Flüchtlinge und insgesamt 500 000 sonstige landlose Menschen mit Grund und Boden versorgt.
Eine Reihe von Gesetzen der Regierung sieht darüber hinaus die politische und soziale Gleichstellung der Ausgesiedelten mit allen Bürgern vor. Diese Gleichstellung ist heute — nach einigen Schwierigkeiten der Nachkriegszeit — vollends erreicht.
Ja, es ist heute so, daß die Menschen der Deutschen Demokratischen Republik ihren Grund und Boden, ihre erworbene Gleichstellung, ihren individuellen und ihren volkseigenen Besitz gegen alle
Angriffe, woher sie auch kommen mögen, mit Entschlossenheit verteidigen werden.
Die stärksten Stützen der demokratischen Ordnung sowie der politischen und sozialen Gesetzlichkeit sind die ehemaligen Flüchtlinge, Bauern und Arbeiter, die sich gegen die Expansionsbestrebungen reaktionärer militaristischer Kreise der Bundesrepublik und gegen jeden Anschlag auf ihre errungene soziale Ordnung mit a 11 e n Mitteln zur Wehr setzen werden. Niemand sollte sich darum wundern, wenn das Volk in der Deutschen Demokratischen Republik die notwendigen Maßnahmen zur Verteidigung der demokratischen Ordnung ergreift.
Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß die besten Voraussetzungen für einen sozial gerechten Ausgleich aller Schäden in einem friedlichen, wiedervereinigten demokratischen Deutschland gegeben sind.
Wir sagen ganz klar, daß die Geburtsurkunde eines wirklichen Lastenausgleichs die Urkunde über einen gerechten Frieden für unser ganzes Volk in Ost- und Westdeutschland sein würde.
Gerade in dieser Stunde müssen darum alle Versuche unternommen werden, über die Durchführung freier Wahlen zu einer deutschen Nationalversammlung
eine deutsche Regierung als Vertragskontrahenten zu schaffen. Wenn man ernstlich will, gibt es überhaupt keine Schwierigkeit, dies morgen schon zu verwirklichen; dazu bedarf es keines umständlichen Notenkrieges. Die Konsequenz bleibt aber auch: der Generalvertrag darf nicht unterzeichnet werden! Wir Kommunisten freuen uns ehrlich auf den Tag, an dem wir in einem friedlichen wiedervereinigten Deutschland nach Abschluß eines gerechten Friedensvertrages mit allen demokratischen Kräften unseres Volkes ein großzügiges Programm des Wiederaufbaus durchführen können. Im Rahmen eines friedlichen Wiederaufbaus, im Rahmen eines ungehinderten Einsatzes unserer friedlichen Wirtschaftskräfte im Export sowie im innerdeutschen Handel ergeben sich alle Möglichkeiten, um unsere Industrie auf volle Touren zu bringen. Statt Stahl für Panzer
den Friedensstahl für den sozialen Wohnungsbau, um den Wiederaufbau unserer Städte und Kulturstätten in Angriff zu nehmen! Dieses Deutschland wird blühen, wird fruchtbare Acker und blühende Gemeinwesen haben
und damit zu gleicher Zeit die gesündeste Grundlage abgeben für soziale Sicherheit, für die Eingliederung der Opfer des zweiten Weltkrieges in ein gesundes, soziales und demokratisches Staatswesen.
Uns hat es auch sehr befremdet, daß die sozialdemokratische Fraktion im Rahmen der Debatte über dieses Gesetz in vielen kleinen und großen Fragen, die sich ergaben, dieses große gemeinsame Grundprinzip aller kleinen Leute und aller wahrhaften Deutschen nicht konsequent zum Ausdruck brachte.
Jegliche Tolerierung der von Bonn aus betriebenen verderblichen Politik muß sich verderblich auch auf die deutsche Sozialdemokratie auswirken.
Dies gilt sowohl für das Lastenausgleichsgesetz als auch für das angedrohte Wahl-, Parteien- und Versammlungsgesetz, ganz zu schweigen von dem Betriebsverfassungsgesetz,
das auf den kampfentschlossenen Willen der Arbeiterschaft stößt. Die deutsche Sozialdemokratie steht an einem geschichtlichen Wendepunkt.
Sie muß sich heute in den kleinen wie in den großen Schicksalsfragen
eindeutig bekennen gegen Bonn, gegen Adenauer, aber kämpfen für Deutschland und für den Frieden.
Geredet, möchte ich sagen, ist auf seiten der Sozialdemokratie heute genug. Die Mitglieder der Sozialdemokratie und die Mitglieder der Gewerkschaften verlangen aber von dieser Sozialdemokratischen Partei entscheidende Taten.
Man hat von seiten der Regierungskoalition gesagt, man beabsichtige, dieses Gesetz später durch Novellen zu verbessern. Wir erklären schon heute, daß mit der Unterzeichnung des Generalkriegsvertrages diese hier geöffnete Tür nichts anderes bedeutet, als die kläglichen Bestimmungen auch dieses Gesetzes im gegebenen Zeitpunkt noch weiter zu verschlechtern.
Die kommunistische Fraktion sieht sich darum nicht in der Lage, die Verantwortung für ein solches Gesetzgebungswerk zu übernehmen. Wir lehnen dieses Gesetz ab,
werden aber, soweit es sich um einzelne positive Bestimmungen handelt, diese mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln mit der Masse der Geschädigten gegen unweigerlich kommende Angriffe verteidigen.
Wir sagen aber allen klipp und klar: der gerechteste Lastenausgleich
ist der Friedensvertrag. Die gesündeste Grundlage
für soziale Gleichstellung und sozialen Wohlstand
ist ein friedliches, wiedervereinigtes Deutschland.
Ein gerechter Lastenausgleich — jawohl, aber Sicherung durch einen Friedensvertrag in einem wiedervereinigten demokratischen 'Deutschland.
— Warum denn unter kommunistischer Führung? Machen Sie doch mit!
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Atzenroth.
Meine Damen und Herren! Da ich das Pech habe, gerade an dieser Stelle auf der Rednerliste zu stehen, ist es meine Aufgabe, zu versuchen, die Debatte wieder in eine sachliche Form zu bringen.
Gerade dieses Gesetz, das so große Opfer fordert
und entsprechend große Hilfen bringen soll, hätte von Anfang an nur mit rein sachlichen Argumenten behandelt werden dürfen. Denn es steht unter der Tragik, daß jede Lösung der Aufgabe, einen Lastenausgleich zu schaffen, als weitgehend unbefriedigend empfunden wird. Bei einem solchen Gesetz ist es leicht, Dinge herauszuzerren, an denen sich propagandistische Angriffe aufhängen lassen. Ich bedauere es daher außerordentlich, daß der Herr Kollege Ollenhauer in seiner Rede den Anfang zu solchem Verfahren gemacht hat.
Wir haben im Ausschuß sachlich miteinander verhandelt und dabei auch viele Kompromisse gefunden. Daß wir in bestimmten Fällen nicht einig werden konnten, liegt an der grundsätzlichen Verschiedenheit unserer Auffassung. Wir wollten eine gerechte Lösung dieser uns gestellten Aufgabe unter Berücksichtigung der erlittenen Schäden. Sie haben von Anfang an erklärt, man dürfe nicht zurückblicken, sondern müsse sich damit begnügen, die vorhandenen sozialen Mängel und Schäden zu beseitigen. Wenn aber Herr Ollenhauer jetzt plötzlich erklärt, seine Fraktion habe so ungefähr allein das Interesse der Flüchtlinge vertreten, so übersteigt das doch schon das Maß des Erträglichen.
Wir haben in ehrlichem Bemühen, unserem Volke zu helfen, diese Aufgabe angepackt und sind in der Belastung des erhalten gebliebenen Vermögens bis an die äußerste Grenze gegangen. Diese Tatsache ist zwar bestritten worden, sie wird aber leider schon in kurzer Zeit an manchen Stellen of fen-kundig werden. Wenn aus dem deutschen Volksvermogen zur gleichen Zeit Milliardenleistungen für Besatzungskosten und soziale Aufgaben, Investitionshilfe usw. erbracht werden, so ist das nur unter schärfster Anziehung der Steuerschraube möglich. Kommen dazu noch jährlich fast 2 Milliarden Abgabe für den Lastenausgleich, so ist damit in vielen Fällen die Grenze des Tragbaren bereits überschritten. Die bisherigen Leistungen konnten überhaupt nur dadurch erbracht werden, daß unsere Wirtschaftspolitik diese Erfolge aufgewiesen hat. Hinzu kommt, daß es auch in der Binnenwirtschaft eine Art von Transferproblem gibt, und niemand von uns kann heute schon voraussehen, welche Wirkungen sich aus dieser gewaltigen Eigentumsübertragung — der Vertreter des BHE hat das zwar bestritten, es handelt sich aber tatsächlich um eine gewaltige Eigentumsübertragung — für unsere Volkswirtschaft und für unser nationales Arbeits- und Sozialsystem ergeben werden.
Die Vermögensabgabe, die hier vorgesehen ist, ist insbesondere bei dem ertraglosen Hausbesitz schon über das erträgliche Maß hinaus gesteigert worden. Die Vorwürfe, daß die Abgabesätze zu niedrig seien, entkräften sich selbst durch die Tatsache, daß in Grenzfällen den Abgabepflichtigen nur noch 40 % ihres Vermögens verbleiben, während die Empfangsberechtigten nach dem jetzigen Entwurf — ebenfalls in Grenzfällen natürlich — Entschädigung bis zur Höhe von 75 % erhalten. Der Ausgleich der Lasten ist hier also fast schon übersteigert.
Diese Abgabe vom erhalten gebliebenen Vermögen war ja ursprünglich dazu bestimmt, einen Ausgleich für verlorenes Vermögen zu schaffen. Nach der jetzigen Fassung des Gesetzes wird aber ein erheblicher Teil der aus dem Vermögen kommenden Mittel als Hilfe für Bedürftige verwandt, also in den sozialen Teil der Leistungen geleitet. Wir haben diese Regelung von Anfang an unterstützt, und zwar nicht erst nach heftigen Auseinandersetzungen, Herr Kriedemann, wie Sie behauptet haben.
Wir nehmen daraus aber die Berechtigung zu unserer Forderung, daß zusätzlich auch Mittel aus der öffentlichen nand gegeben werden. Die Linderung von Not, wie sie aus dem verlorenen Krieg entstanden ist, ist Aufgabe des gesamten Volkes, also der Gesamtheit der Steuerzahler, die sich in der öffentlichen Hand zusammenfinden. Die soziale Staffelung ist hierbei durch unser sehr progressives Steuersystem eingebaut. Auch die Heranziehung der Vermögensteuer zum Lastenausgleich ist aus dem Gedanken einer breiteren Streuung des Kreises der Abgabepflichtigen entstanden. Auch die nächste Generation, die in dem jetzt vor uns liegenden Menschenalter zu Vermögen kommt, soll ihren Anteil an der Gesamtlast mittragen.
Ein Wort noch zur Währungsgewinnabgabe. Es wird beanstandet, daß die sogenannten Währungsgewinne nicht restlos erfaßt werden. Hier liegt nach unserer Meinung ein Versäumnis bei der Währungsreform vor. Was damals voll und ganz zur Verfügung gestanden hätte, wäre heute nur noch unter schweren volkswirtschaftlichen Erschütterungen erfaßbar. Übrigens wird die Hypothekengewinnabgabe in Anlehnung an die Regelung der Umstellungsgrundschulden immer in eine enge Verbindung mit dem Wohnungsbau gebracht, meiner Ansicht nach zu Unrecht. Bei dieser Abgabe handelt es sich um eine sehr harte Maßnahme gegen die Gläubiger, nicht etwa gegen die Hypothekenschuldner. Man sollt vielmehr auf die enge Verbindung dieser Abgabe mit dem Altsparerproblem hinweisen, und wir haben die feste Absicht, uns dieses Problems mit aller Entschlossenheit anzunehmen.
Wenn unsere Ansichten über den Umfang der Mittel, die für die Wohnraumhilfe eingesetzt werden sollen, auseinandergehen, so darf ich noch darauf hinweisen, daß auch von der Wirtschaft in erheblichem Umfang Wohnraum für Geschädigte geschaffen worden ist. Diese Hilfe sollte man in jeder Weise weiterfördern und stützen.
Wir alle, die wir eine quotale Entschädigung, also die Hauptentschädigung, begrüßen, bedauern es, daß für diesen wichtigen Zweck gerade in den ersten Jahren so geringe Mittel zur Verfügung stehen. Deshalb drängt sich die Frage auf, ob nicht ein Teil der für Förderungsmaßnahmen vorgesehenen Beträge für eine echte Eingliederung verwendet werden sollte. Wir werden vor allem alle Maßnahmen unterstützen, die dazu dienen, Mittel durch eine Vorfinanzierung zu beschaffen. Im übrigen aber werden wir in der dritten Lesung jeden der Anträge, die uns hier vorgelegt werden, ehrlich prüfen. Wir werden überprüfen, ob wir diesen Gedankengängen zustimmen können.
— Wir haben nicht die Absicht, Herr Kollege Seuffert — wie uns einmal bei einer Gelegenheit vorgeworfen worden ist —, rücksichtslos alle Anträge der Opposition mit Mehrheit niederzustimmen. Wir haben nur dann von unserer Mehrheit Gebrauch gemacht, wenn wir uns von den Argumenten, die uns vorgetragen worden sind, nicht haben überzeugen lassen können. Dann werden Sie uns das Recht, von der Mehrheit Gebrauch zu machen, nicht streitig machen können.
Der Lastenausgleich muß jetzt endlich Wirklichkeit werden, selbst wenn wir noch einzelne Mängel an diesem Gesetz feststellen. Wir werden diesem Gesetz auf jeden Fall zustimmen. Deswegen rufe ich dem Bundestag zu: Fangen wir an!
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Nöll von der Nahmer.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schon einmal stand das Parlament unseres deutschen Volkes vor einer Lage, die der heutigen ähnlich ist — der Präsident des damaligen Reichstages sitzt ja noch unter uns —, als im Hochsommer 1925 von dem Deutschen Reichstag die Aufwertungsgesetzgebung beschlossen werden mußte. Während der schweren Ausschußverhandlungen habe ich manchmal nächtlicherweile die Protokolle gelesen. Auch die damaligen Kollegen, wenn ich so sagen darf, hatten oft die Sorge, ob die damaligen Probleme überhaupt lösbar seien. Oft scheinen gute, berühmte Männer, auch der Bürokratie, an der Aufgabe zu verzweifeln. Das Gesetz ist dann schließlich doch zustande gekommen. Aber die gestellte Aufgabe ist damals leider nur sehr unvollkommen gelöst worden. Viele enttäuschte Sparer verloren den Glauben an die Demokratie und an die Weimarer Verfassung. Die Söhne dieser enteigneten Familien sind dann in die braunen Bataillone gegangen und haben mitgeholfen, den 30. Januar 1933 herbeizuführen. Ein gnädiges Geschick möge uns vor einer Wiederholung einer solchen Entwicklung bewahren!
In dieser Stunde müssen wir ruhig und sachlich das Pro und das Kontra der Vorlage prüfen, so wie sie jetzt für die dritte Lesung vorliegt und voraussichtlich Gesetz werden wird. Es ist leicht, draußen unsere Arbeit zu kritisieren. Es ist leicht, scheinbar selbstverständliche Forderungen zu erheben, die leider anderen, die zustimmen müssen, nicht selbstverständlich sind. Ich gebe Herrn Kollegen Kriedemann recht: es ist schon ein Unterschied, ob man ein solches Problem in der Stille der Studierstube löst oder hier steht und sich im Vordergrund aller Erwägungen immer die Frage erhebt: Wie bekomme ich eine Mehrheit, welche Ideen haben Aussicht, daß andere mitziehen? Das ist die Schwierigkeit, die auch von unseren Mitbürgern draußen gesehen werden muß. Wir müssen uns alle darüber klar sein — und ich glaube, meine Freunde haben es auch im Ausschuß bewiesen —, daß wir eben Kompromisse schließen und uns zusammenfinden müssen, um eine tragbare Basis für das Gesetz zu bekommen.
In meiner Fraktion sind viele Kollegen in Sorge, ob dieses Gesetz durchzuführen und ob es volkswirtschaftlich und vom Standpunkt der Geschädigten aus einigermaßen vertretbar ist. Die Einwendungen gegen das Gesetz — um damit anzufangen — liegen auf der Hand. Zunächst die lange
Laufzeit von 30 Jahren! Ich gehe noch einmal in die Vergangenheit, in das Jahr 1925, zurück. Die damals ausgegebene Altbesitzanleihe des Reiches lief auch 30 Jahre. In drei Jahren — 1955 — hätte sie abgelaufen sein sollen. Was ist aus dieser Altbesitzanleihe geworden, aus jenem Versuch, das riesenhafte Unrecht der Inflation etwas zu mäßigen! Bei einer solch langen Laufzeit weiß niemand, wie sich der Tauschwert der Währung entwickeln wird. Für die Auswirkung des Gesetzes ist es sehr wesentlich, ob der Tauschwert bleibt, wie er heute ist, ob er sich womöglich steigert oder ob er weiter sinkt. Dadurch kann das Gesetz in seinen Auswirkungen vollständig geändert werden. Ein weiterer großer Einwand ist die Unzulänglichkeit der Entschädigungsleistungen, die wir ja hier oft diskutiert haben und die uns besonders kraß beim Hausrat entgegentritt, also gerade der Entschädigung, die für die Masse der Betroffenen die entscheidende ist. In einer großen Anzahl von Punkten fühlt sich das dem Menschen angeborene Rechtsgefühl verletzt. Wie soll man es draußen verteidigen, wenn der Hauseigentümer seine Hypothekenschuld nicht mit seinen Geldverlusten bei der Währungsreform kompensieren kann, während umgekehrt bei der Kreditgewinnabgabe diese Saldierungsmöglichkeiten in großem Umfang gewährt werden. Ein weiteres Problem, das uns ja gerade auch in der zweiten Lesung viel Sorge gemacht hat, ist der § 38, die Saldierung der Verluste mit erhalten gebliebenem Vermögen. Der Mann draußen, der vielleicht ein Vielfaches des geretteten Vermögens im Bombenhagel oder als Ostflüchtling verloren hat, versteht es nicht recht, wenn er nun von dem Rest seines Vermögens noch eine Abgabe leisten muß und nur in bescheidenem Umfang Abgabeerleichterungen bekommt, die aber nachher wieder auf seine Entschädigung angerechnet werden. Wir wissen, daß dieser Regelung ein bestimmtes System zugrunde liegt, das schon die Regierungsvorlage enthielt und das wir auch während der Ausschußberatungen nicht mehr einfach ändern konnten. Diese Regelung belastet das ganze Gesetz und steht auf der negativen Seite.
Aber neben diesen negativen Punkten, die klar herausgestellt werden müssen, stehen doch unzweifelhaft positive. Denjenigen, die abgeben müssen, kann man klar und deutlich nachweisen, daß gegenüber der Abgabenregelung im Soforthilfegesetz eine gerechtere Bemessung der Abgaben erfolgt ist, insbesondere dadurch, daß der Schuldenabzug zugelassen wird. Als zweiter Pluspunkt ist zu erwähnen, was schon Herr Kollege Atzenroth angedeutet hat: jetzt kommt wenigstens eine Heranziehung der Währungsgewinne! Die Tatsache, daß bei der Währungsreform 1948 große Gewinne gemacht worden sind, belastet das Rechtsgefühl jedes einzelnen von uns. Hier wird nun, wenn auch in einem durch die volkswirtschaftlichen Notwendigkeiten eingeschränkten Umfang, zugegriffen.
Nun zur Entschädigungsseite. Gering sind die Hausratentschädigungen; aber sie sind doch sehr viel besser, als sie bisher waren. Das ist immerhin etwas, was erreicht worden ist.
Wir schätzen es hoch ein, daß wir jetzt wenigstens einen klaren Rechtsanspruch auf die Hauptentschädigung haben, diese Hauptentschädigung, die sicherlich nicht, wie es, glaube ich, hier angedeutet worden ist, als Ausfluß einer kapitalistischen Haltung bezeichnet werden kann. Ach, meine Damen und Herren, lesen Sie doch die Prozentsätze der Entschädigung im § 269! Vielleicht wäre es
besser gewesen, man hätte im § 269 nicht gesagt, wieviel Prozent noch entschädigt werden, sondern hätte umgekehrt gesagt, daß die großen Vermögen zu 98 % enteignet bleiben und nicht entschädigt werden.
So sehen doch die Zahlen praktisch aus. Aber es ist wenigstens der Wille dokumentiert, den Rechtsanspruch zu gewähren und im Rahmen des Möglichen hier zu entschädigen.
Wir halten es endlich für begrüßenswert, daß sich gerade auf dem Gebiete des Wohnungsbaus demjenigen, der sein Haus verloren hat, wieder eine gewisse Aussicht eröffnet, daß er auch Darlehen bekommt und auch wieder zu einem Eigenheim gelangen kann. Die entsprechenden Bestimmungen sind ja gerade in der zweiten Lesung eingeführt. An Stelle der bisherigen Ruinen soll wieder neues Hauseigentum entstehen.
Wenn man so das Pro und Kontra abwägt, kommt man leider noch nicht zu einem zuverlässigen Ergebnis, weil wir noch mit einer Reihe von Unbekannten rechnen müssen, die für die Auswirkung und die Beurteilung des Gesetzes von schlechthin entscheidender Bedeutung sind. Da ist einmal das Problem der Vorfinanzierung. Es ist dazu schon von anderer Seite gesprochen worden; ich brauche hierzu nichts mehr zu sagen. Es ist ausschlaggebend, ob eine Vorfinanzierung in einem volkswirtschaftlich vertretbaren Ausmaß gelingt oder ob wir auf die unzulänglichen Mittel gerade jetzt in den entscheidenden Anfangsjahren angewiesen bleiben. Leider war es nicht mehr möglich, etwa beabsichtigte Novellen zu § 7 d des Einkommensteuergesetzes schon jetzt hier vorzulegen.
Dann soll man eines nicht unterschätzen. Man soll früher gesagt haben, in Preußen seien die Gesetze schlecht, aber die Verwaltung gut, und das sei praktisch das Wesentlichere. Ich komme auch auf Grund meiner parlamentarischen Erfahrungen immer mehr zu der Überzeugung, daß die Auswirkung der Gesetze weitgehend von der Verwaltung abhängt, die die Gesetze durchführt. Diesen Punkt soll man nicht gering schätzen. Einer meiner Fraktionskollegen, der besonders sorgfältig arbeitet, hat sich die Mühe gemacht, festzustellen, daß in dem Buch, das dieses Gesetz darstellt, nicht weniger als 51 Rechtsverordnungen vorbehalten sind.
Ich freue mich für unseren juristischen Nachwuchs, der später in den Ministerien sitzen und der jedenfalls ein großes Betätigungsfeld finden wird.
— Das ist eine andere Frage, Herr Kollege Seuffert!
Es ist weiter entscheidend, ob es gelingen wird, die Veranlagung der neuen Abgaben möglichst rasch durchzuziehen. Hier sind Sorgen am Platze. Wir wissen, daß unsere Finanzämter jetzt schon überlastet sind. Die neuen Abgaben müssen so rasch wie möglich veranlagt werden, damit die Gelder dann auch eingehen. Wir haben hier die Bitte an die Bundesfinanzverwaltung, zusammen mit den Länderfinanzverwaltungen alles zu tun, was möglich ist, um die Finanzämter in die Lage zu versetzen, diese Aufgaben durchzuführen.
Endlich ein Wort der Sorge an die vierzig oder fünfzig Männer in Deutschland, die als Länderminister praktisch die Mehrheit des Bundesrats darstellen und die nun nach der Verfassung innerhalb von zwei Wochen zu diesem von uns beschlossenen Gesetz Stellung nehmen müssen.
— Sie müssen zustimmen, jawohl. Wir können hier nur den Appell an diese Männer richten — die ja doch auch, wie wir, meistens Parlamentarier sind — und sie bitten, sich der Tatsache bewußt zu sein, daß es hier um grundsätzliche politische Fragen des ganzen deutschen Volkes geht. Niemand nimmt diesen Männern übel und niemand verwehrt ihnen ihr gutes Recht, wenn sie die unmittelbaren Landesinteressen im Bundesrat wahrnehmen und vertreten. Dafür ist der Bundesrat da. Aber wir haben Sorgen, wenn der Bundesrat seine bisherige Politik weiter fortsetzt und über die Wahrnehmung der unmittelbaren Länderaufgaben hinaus immer mehr und mehr Einfluß auf die allgemeine Bundespolitik ausübt. Auf der einen Seite stehen etwa fünfzig Länderminister und auf der anderen die 402 gewählten Abgeordneten ,des Volkes. Die Machtbefugnisse scheinen doch wohl in der Praxis nicht ganz klar ausbalanciert zu sein! Wir haben nur die Bitte und den Wunsch an die verantwortlichen Länderminister, daß sie bei den Bundesratsverhandlungen alles tun, um dieses Gesetz so rasch wie möglich — —
— Ja, Herr Kollege Seuffert, — —
— Das heißt nicht, daß wir die Verantwortung abschieben wollen. Sie können doch nicht leugnen, daß diese Männer nach der Verfassung zu diesem Gesetz Stellung nehmen und zustimmen müssen
und daß wir ohne die Mitarbeit dieser Männer gar nichts erreichen können.
Wenn dieses Gesetz in Kraft treten wird — und hoffentlich sehr bald —, werden wir auch für unsere deutsche Volkswirtschaft ganz allgemein von diesem Gesetz weitere Auftriebskräfte erwarten können und dürfen. Je mehr wir die Geschädigten wieder eingliedern, je mehr neue Unternehmungen entstehen, je mehr auch das Gefühl wächst, daß hier versucht worden ist 'zu helfen, und je mehr das bedrückende Gefühl schwindet, daß keinerlei berechtigte Wünsche erfüllt sind, desto mehr können wir hoffen, daß die Produktivität und die Arbeitskraft unseres Volkes vermehrt werden und daß wir damit auch durch dieses Gesetz, so unvollkommen es ist, wieder einen Schritt vorwärtskommen.
Wir haben eine Erbschaft übernommen, über deren Schwere wir uns täglich mehr klarwerden müssen. Die über uns hereingebrochene Katastrophe ist nicht rasch zu überwinden. Das wird Zeit erfordern und eine ungeheure, ständig steigende Kraftanstrengung nötig machen. Aber ich glaube mit meinen Freunden, daß dieses Gesetz trotz aller Mängel bei einem Vergleich der negativen und positiven Punkte doch positiv zu bewerten ist und daß es auf die Dauer auch eine gute Auswirkung innerhalb unserer gesamten Volkswirtschaft und in unserem gesamten Volkskörper zeitigen wird.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Vertriebene.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren! Das Hohe Haus beginnt mit der dritten Beratung des Lastenausgleichsgesetzes. Alle Parteien sind sich der ganz großen Tragweite dieses Gesetzes für die Bundesrepublik und für die Vertriebenen bewußt. Darüber brauche ich kein Wort zu sagen. Ich will vom Standpunkt der Vertriebenen, aber auch vom Standpunkt der Bundesrepublik sprechen. Wir Vertriebenen sind hier und haben aus dem Osten, aus Ostdeutschland, alle unsere Traditionen mitgebracht. Da möchte ich vorausschicken, daß die höchste Tradition und das höchste Lob für die Bewohner Ostdeutschlands war, daß sie durch sieben Jahrhunderte Deutschland decken konnten, so daß Deutschland und besonders der Westen ihre Kultur in Ruhe aufbauen konnten. Wenn wir nun hierher gekommen sind, dann ist für uns die einzige Möglichkeit des Lebens, daß die Bundesrepublik von uns mit aufgebaut wird. Denn ohne den Aufbau der Bundesrepublik und der deutschen Wirtschaft gibt es auch kein Leben für die Vertriebenen.
Dazu gehört auch die Übernahme all der Traditionspflichten, die wir von Hause mitgebracht haben, einschließlich der Verteidigungspflicht.
Ich möchte weiter ein Wort zu dem Junktim sagen, das hier herumgaukelt. Es gibt für uns kein Junktim der Art, daß etwa die Vorwegnahme des Lastenausgleichs eine Bedingung für die Annahme einer Verteidigungspflicht wäre. Es ist nur ein sachliches Junktim vorhanden. Denn wenn die Heimatvertriebenen nicht in sozialer Beziehung wieder dazu in die Lage versetzt werden — wenn sie nichts zu essen haben —, dann ist praktisch an eine Verteidigung in genügendem Umfang nicht zu denken. Insoweit besteht ein Junktim, nicht aber in einem andern Sinne.
Die große Frage ist nun: Ist dieses Gesetz so, wie es vorliegt, geeignet, eine Befriedigung zu bringen? Es ist von mir bekannt, daß ich stets darauf hingewiesen habe, daß es nicht befriedigend sei. Ich glaube, es gibt keine Seite dieses Hauses, die nicht in irgendeiner, dieser oder jener Beziehung auch sagt: Es ist nicht befriedigend! — Aber die Zeit, in der wir leben, erlaubt uns nicht, aus diesem, Unbefriedigtsein die radikale Forderung zu ziehen. Wir müssen prüfen, welche Lösung die befriedigendere ist und ob nicht die jetzt vorliegende Lösung überhaupt für uns eine Notwendigkeit bedeutet, sie anzunehmen.
Unbefriedigend ist, wie Sie wissen, zunächst einmal das nicht genügende Aufkommen, daß insbesondere nicht genug übrig bleibt, um das Wichtigste dieses Lastenausgleichsgesetzes, nämlich den Existenzaufbau für die Vertriebenen, zu ermöglichen. Denn die optimal bei dieser Situation bleibenden 650 Millionen DM sind eben ganz ungenügend. Wir brauchten anderthalb Milliarden DM.
Aber eines ist das Große an diesem Gesetz: daß von keiner Seite dieses Hauses und auch von keiner Seite der Bevölkerung die Notwendigkeit des Lastenausgleichs bestritten wird. Das ist vor zwei Jahren noch nicht so klar ausgesprochen worden, und das müssen wir hier hervorheben. Bei dem Streit, der geführt wird, handelt es sich doch nur um die Grenzen dessen, was wirtschaftlich als Belastung möglich ist. Diese Grenzen heute mit ganz klarer Sicht zu zeichnen, ist sehr, sehr schwer, wahrscheinlich unmöglich. Deshalb kann man( daraus nur die Folgerung ziehen, daß wir erst aus der Erfahrung sehen müssen, inwieweit man die Belastung heraufsetzen kann. Es ist doch wirklich ein allererster Versuch, der in dieser Beziehung in der Welt gemacht wird. Gewiß, ich kenne Finnland und ich kenne die finnischen Lösungen. Ich verhehle nicht, daß wir mit ganz großer Ehrfurcht und mit ganz großen Gewissenserforschungen an diese Dinge herangegangen sind.
Aber vergessen Sie hierbei nicht: als Finnland diese Gesetze schuf, schuf es sie in dem großen nationalen Schock und in einer Zeit, in der dort ein staatlicher Zusammenhang vorhanden war, und gerade diesen hatten wir in den Jahren 1945 bis 1949 eben nicht. Alles andere will ich nicht nennen, auch nicht, daß in Finnland eine etwas glückselige Inflation zu Hilfe kam.
— Die Bodenfrage, alles das will ich nicht anführen. Lassen Sie mich nur sagen, daß die finnische Delegation, die kürzlich hier war, uns gegenüber ihre absolute Anerkennung geäußert und den Hut vor der großen Leistung gezogen hat, die die Bundesrepublik bisher fertiggebracht hat.
Die Finnen sind also viel, viel ehrlicher und viel, viel anerkennender als wir. Aber um so mehr müssen wir für die Zukunft daraus lernen.
Wenn wir also das Negative des Entwurfs betrachten, so stoßen wir darauf, daß zu wenig für die produktive Eingliederung und für den Hausrat getan wird, daß eine zu lange Laufzeit vorgesehen, daß der allgemeine Unsicherheitsfaktor darin enthalten ist und daß nur für einen ganz geringen Bruchteil des verlorenen Vermögens Ersatz geleistet wird; denn es ist wirklich nur ein ganz geringer Bruchteil, der außerdem erst nach Jahren zur Auszahlung kommt.
Wenn ich mir demgegenüber nun aber das Positive des Entwurfs ansehe, so sehe ich erstens einmal die Sicherung der Unterhaltshilfe über die gegenwärtigen Sätze hinaus, zweitens die Aufstockung der Entschädigungsrente, drittens die Verstärkung der Hausrathilfe, ferner die Verrechnung von Existenzaufbaudarlehen auf die Hauptentschädigung, dann den Zahlungsbeginn für die Sparguthaben und auch den Härtefonds für die Sowjetzonenflüchtlinge. Sie wissen, meine Damen und Herren, die Sowjetzone mit diesem Problem liegt uns außerordentlich am Herzen. Die ständig träufelnde Wunde der grünen Grenze und das Hereinkommen von im Augenblick gegenüber unseren Heimatvertriebenen noch schwerer Leidenden, ist für uns ein ganz großes Problem. Wir haben auch beim Lastenausgleich sehr darüber debattiert, ob wir eine ähnliche Regelung für die Sowjetzonenflüchtlinge einsetzen müßten oder könnten. Das hat sich jedoch auf Grund der politischen und der sonstigen Dinge, die dazwischengekommen sind, nicht machen lassen.
Nun, meine Damen und Herren, komme ich zu dem Ziele, Sie herzlich zu bitten: Nehmen Sie dieses Gesetz mit möglichster Beschleunigung an; dann ist eine Grundlage für das Weitere geschaffen. Die Bundesregierung hat von Novellen gesprochen. Ich nehme das Wort vollinhaltlich auf, und ich kann es, weil sich alle Fraktionen — besonders die der Koalitionsparteien — darüber klar waren, daß hier
mit Novellen gearbeitet werden muß. Herr Seuffert , Sie sagten, es ginge schon ins Romanhafte. Sehr verehrter Herr Seuffert, ich liebe einen Roman noch mehr als eine Novelle, insbesondere wenn er den Titel „Soll und Haben" aus schlesischer Erinnerung trägt.
Es muß der ernsthafte Wille vorhanden sein, und er ist vorhanden, wie ich aus allen Gesprächen weiß.
Hier lassen Sie mich bitte eine ganz, ganz herzliche Bitte an die Opposition richten! Ich stehe nicht an, zu erklären, daß ich alle Veranlassung habe, für die hilfreiche Unterstützung der Sozialdemokratischen Partei in allen Angelegenheiten der Vertriebenen zu danken.
Das erkenne ich gern an, und ich werde es immer gern öffentlich anerkennen! Aber nun bitte ich Sie: Bringen Sie auch einmal Opfer um der Sache willen; denn es ist eine Sache, die einer ganz großen Mehrheit bedarf, nämlich dieses Riesengesetz dem deutschen Volke vorzulegen. Denken Sie an die Autorität, die der Bundestag dann — Sie haben ja die Gefahren, die beim Bundesrat und beim Verfassungsgericht drohen, in zweiter Lesung genügend vorgeführt — gegenüber dem Bundesrat hat; ich glaube, dann kann der Bundesrat das Gesetz trotz mancher Erwägungen nicht ablehnen. Es i s t notwendig, daß dieses Gesetz möglichst bald angenommen wird, denn wenn wir es durch Monate hindurch treiben lassen, wissen wir nicht, was daraus wird. Wir brauchen aber huh_ und einen Abschluß, und wir brauchen das Gesetz schon, um die notwendige Vorfinanzierung zu sichern. Eine Vorfinanzierung bekommen wir doch überhaupt nicht, wenn nur Hoffnungen bestehen; die bekommen wir im Inland erst, wenn eine ganz sichere Basis für die Ermächtigung zu der Anleihe von 5 Milliarden DM gegeben ist.
Vom Ausland ist überhaupt erst zu sprechen, wenn eine Sicherung da ist.
Unter diesen Umständen ist es sehr, sehr viel besser, heute nicht das Minus zu sehen, sondern das Plus zu sehen und anzunehmen. Ich möchte noch einmal darauf hinweisen: Dieses Gesetz und der Wille des Bundestags und des Volkes, überhaupt einen Lastenausgleich zu gewähren, ist das Große. Man sollte es nicht an den Grenzen, an dem Minus, scheitern lassen.
Wenn wir in einem sozialen Umbruch sind — und der Lastenausgleich ist ein Teil des großen sozialen Umbruchs, den das deutsche Volk, und zwar in Gemeinsamkeit mit den Heimatvertriebenen, die dabei führend sein müssen, durchmacht —, dann gilt der Satz: Für die Besitzenden Verzicht und Opfer und für die, die fordern, Verantwortungsbewußtsein und Geduld. Ich weiß, daß das schwerste Geduld ist. Dabei kommt nicht die Geduld des Daumendrehens in Frage, sondern die sittlich gespannte Geduld, auf den Augenblick zu warten, in dem wir das Größere leisten können. Der Augenblick wird kommen, und er wird auch mit der Unterstützung der ganzen Welt kommen, wenn die Welt sieht, daß wir bis an die Grenze des Möglichen gegangen sind.
Deshalb bitte ich als Vertriebenenminister den Bundestag aus ganzem Herzen, diesem Gesetz trotz aller Mängel, die keiner leugnet, die Zustimmung zu geben, weil es der Anfang für ein Weiterarbeiten ist.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Thadden, fraktionslos.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Anbetracht der kurzen Redezeit nur folgende Bemerkungen: Diejenigen, die nach diesem Gesetz etwas abgeben sollen, erklären, daß die Funktionsfähigkeit der deutschen Wirtschaft ernstlich in Frage gestellt sei, wenn der derzeitige Entwurf hinsichtlich der Abgabenhöhe wesentlich geändert würde. Die Millionenzahl der Geschädigten dagegen erklärt, daß von einem Lastenausgleich nicht gesprochen werden könne, daß man vor allen Dingen von einer wirksamen Eingliederung überhaupt nicht reden könne. Ich hoffe, daß der vorliegende Gesetzentwurf in der dritten Lesung — die entsprechenden Anträge dazu liegen vor — noch einige Änderungen erfahren wird, die sich vor allen Dingen auf die Aufkommensseite günstig auswirken müssen.
Ich glaube, man kann weiter sagen, daß es einer der größten bisher gemachten Fehler war, daß das Lastenausgleichsgesetz nicht gleichzeitig mit dem Währungsgesetz verkündet wurde, wozu die entsprechenden Entwürfe und Möglichkeiten damals bestanden. Es besteht beinahe der Eindruck, daß die Alliierten es damals nicht wollten, um einen zweckmäßigen Grund für eine dauernde Spaltung im deutschen Volk zu erhalten und offenzulassen.
Im einzelnen folgendes: Die erhöhten Jahresabgabesätze wurden in der zweiten Lesung abgelehnt. Ich hoffe, daß sich das durch die entsprechenden Anträge in der dritten Lesung noch ändern wird. Es gibt ja die Möglichkeit, daß derjenige, der den erhöhten Betrag nicht aufbringen kann, freigestellt wird; es gibt aber auf der andern Seite — auch das muß einmal gesagt werden — in Deutschland ganz erheblich viel Geld, und die ständig steigende Zahl deutscher und amerikanischer Luxusautomobile beweist das durchaus.
Wir sind darüber hinaus der Auffassung, daß Versprechungen, auf die sich Herr Kunze in seinem Bericht bezieht, die der Wirtschaftsrat irgendwann einmal gemacht haben soll, für den Deutschen Bundestag keinerlei verbindliche Wirkungen haben. Darüber hinaus, wie Landwirtschaften mit einem Betrag von 15 000 DM begründet werden sollen, ist bisher noch nicht gesagt worden, und wir hoffen, daß in der nun anstehenden Lesung die 15 000-
Mark-Grenze dahin geändert wird, daß auch höhere Beträge für die so besonders dringliche Seßhaftmachung ostvertriebener Landwirte bereitgestellt werden können.
Zu § 315 sagte die Sozialdemokratie, daß eine Heranziehung der öffentlichen Hand im vorgesehenen Umfang nichts anderes als eine Abwälzung des Lastenausgleichs auf den Steuerzahler sei. Das mag in gewissem Umfang zutreffen; aber es träfe nicht zu, wenn einmal bei der öffentlichen Hand angefangen würde, gewisse Auswüchse des Apparats einzudämmen. Ich erinnere mich an eine Rede, die Herr Professor Höpker-Aschoff hier vor etwa einem Jahr in diesem Hause gehalten hat, worin er uns nachwies — und er ist sicher ein guter Fachkenner —, daß allein eine Umstellung unserer Finanzverwaltung einen Einsparungsbetrag erbringen könnte, der wesentlich höher als der von
der öffentlichen Hand im Augenblick geforderte Betrag liegt.
Man hat es Herrn Dr. Kather zum Vorwurf gemacht, daß die Versammlung auf dem Bonner Marktplatz unter dem Motto stand: „Ohne Lastenausgleich kein Verteidigungsbeitrag". Diese These ist in ihrem Kern sicherlich richtig; denn wenn jemand etwas verteidigen soll, dann muß er erst einmal etwas haben, was wert ist, von ihm verteidigt zu werden.
— Herr Dr. Becker, ich habe auch ein Vaterland; aber es gehört etwas mehr dazu, wenn man für die Verteidigung von irgend etwas schießen soll, als eine Pseudofreiheit à la Generalvertrag zu verteidigen und ansonsten nur einen Strohsack zu haben, eine löcherige Baracke und eine abgetragene umgefärbte Wehrmachtuniform! Das ist bei zahlreichen Vertriebenen leider Gottes heute noch der Fall.
Sicher, ein Lastenausgleich, eine Vertriebeneneingliederung ohne eine entsprechende Sicherung wären wertlos. Aber 11,25 Milliarden sollen wir für Verteidigungszwecke ausgeben. 6,4 Milliarden sollen davon für die luxuriösen Bedürfnisse der Besatzungsmächte und künftigen „Verbündeten" verwendet werden. Diesen sei aber eines gesagt: Wenn sie hier in Deutschland stationiert sind, dann verteidigen sie nicht uns — wir haben sowieso das denkbar geringste Zutrauen zu ihnen —, sondern sich selbst, und sie haben dafür selbst zu bezahlen. Wenn wir die Milliarden, die für die Alliierten vorgesehen sind — ich spreche nicht von den Milliarden aus den 11,25 Milliarden, die für den deutschen Anteil vorgesehen sind —, die Milliarden, die für die überflüssigen Ausgaben der Alliierten vorgesehen sind, zur Erhöhung des Lastenausgleichsstocks verwenden würden, dann kämen wir auf einen Betrag, mit dem sich sicherlich sehr viel anfangen ließe. Man könnte zumindest in den ersten Jahren bei der so dringend notwendigen wirtschaftlichen Eingliederung der Vertriebenen das leisten, was die Vertriebenen erwarten. Und daß diese Gelder aufgebracht werden können, dafür hat ja Herr Finanzminister Schäffer gutgesagt.
— Bitte?
— Es ist keine Demagogie, Herr Gerstenmaier, wenn ich hier erkläre, daß es für die gesamte Verteidigung des Westens wesentlicher ist, daß die Vertriebenen, die hier eingegliedert werden sollen, wissen, warum und wofür sie hier sich für irgendeine Verteidigung einsetzen sollen. Dafür sehen sie aber, daß alliierte Unteroffiziere in riesenhaften Villen wohnen, die der deutsche Steuerzahler bezahlen kann, der deswegen nicht die Möglichkeit hat, die nun einmal erforderliche Wirtschaftshilfe denen zu geben, die die eigene Kraft nicht dazu haben, sich hier eine neue Existenz aufzubauen.
Die vorliegende Fassung des Gesetzes über den Lastenausgleich verdient diesen Namen unseres Erachtens
— ich bin gleich fertig — nicht ganz. Meine Damen und Herren, nicht durch Novellen, sondern
nur durch sofortige Maßnahmen kann einer drohenden Radikalisierung gesteuert werden. 1932 waren es die Arbeitslosen, die das Gefüge des Staates ins Wanken gebracht haben, und wir wollen nicht hoffen, daß die Vertriebenen, denen fünf Jahre lang Versprechungen am laufenden Band gemacht worden sind, in eine ähnliche Lage gedrückt werden, in der die Arbeitslosen von 1932 gewirkt haben. Bisher haben sich die Vertriebenen gegenüber den Sirenenklängen des Kommunismus noch als absolut immun erwiesen. Dies sollte man auch dem Ausland sagen — und da möchte ich noch mit einem Satz auf das kommen, was Herr Minister Lukaschek eben angesprochen hat —, wenn es darum geht, vom Ausland eine Hilfe für die Eingliederung unserer Vertriebenen zu erbitten, in diesem Falle vom westlichen Ausland, das — hier wird so viel über den Kreml im Zusammenhang mit den Vertriebenen geredet — für die Vertreibung und für die Existenz der Oder-Neiße-Linie — meine Damen und Herren, erinnern Sie sich! — zumindest genau so verantwortlich ist.
Ihre Redezeit ist nun wirklich zu Ende. Ich habe wiederholt schon Klingelzeichen gegeben.
Meine Damen und Herren, ich hoffe, daß die Änderungsanträge, die für die dritte Lesung eingebracht worden sind, Ihre Zustimmung finden; denn ich glaube, daß das Gesetz für die Vertriebenen dann eher annehmbar sein wird, als es bei der vorliegenden Fassung der Fall ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Reismann, Föderalistische Union.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Vertriebenenminister Lukaschek hat soeben von gewissen Komplimenten und Vorschußlorbeeren gesprochen, die Besucher aus Finnland ihm und damit dem deutschen Volke oder seiner Regierung gemacht hätten. Ich glaube, wir dürfen nicht in den Fehler verfallen, Komplimente für Argumente und für Beweise hinzunehmen. Im Gegenteil, es mag ein wohlgemeinter Ausdruck ihrer Freundschaft oder ihrer freundlichen Gesinnung gewesen sein, aber auch nicht mehr.
Schon schwerer wiegt das Wort, das Herr Minister Lukaschek dann gesagt hat: In Finnland hat man unter dem Eindruck des nationalen Schocks ein Gesetz zuwege gebracht, das uns Bewunderung abringt. Das ist ein gewisser Unterschied gegenüber dem Zustand hier. Der nationale Schock ist längst verklungen, und die Währungsreform liegt jetzt vier Jahre zurück. Ich glaube, das Gesetz, vor allen Dingen das Anliegen des Gesetzes würde bei der Regierung, bei den Regierungsparteien und bei der Opposition auf mehr Verständnis stoßen, wenn man sich noch an die Situation erinnerte, da wir in tage-, nächte-, wochen- und monatelangen pausenlosen Angriffen in Bunkern unter der Erde saßen und alle miteinander nicht wußten, ob man das lebend überstehen würde, ob man am nächsten Tag, ob man in der nächsten Minute noch leben würde. Wenn damals die Frage an einen herangetreten wäre: „Bist du bereit, dein Scherflein für die Augebombten, für die Vertriebenen, für die Opfer dieses Krieges beizusteuern, wenn du selber alles lebend überstehst?", dann würde sicherlich denen, die sich heute gegen die Abgabe so sperren, mancher Entschluß leichter geworden sein.
Aber wir müssen, wenn wir jetzt über die Dinge reden, sie mit den Augen derer betrachten, die das Gesetz trifft. Das sind nicht bloß die Vertriebenen. Viel weniger hat man schon von den Bombengeschädigten gesprochen. Wir müssen aber auch an die Gefühle derer denken, die aufbringen müssen und die doppelt getroffen sind, indem sie erstens selber Schäden erlitten haben und zweitens jetzt außerdem noch Geld aufbringen sollen, und die das — gerade weil sie doppelt getroffen sind —, als eine himmelschreiende Ungerechtigkeit empfinden, und dann wird man weniger mit dem Entwurf und dem bisherigen Gang der Verhandlungen zufrieden sein, als Herr Kollege Schütz und als der Herr Vertriebenenminister es eben zum Ausdruck gebracht haben.
Das einzige, was etwa geeignet ist, uns mit dem Gesetz, wenn noch gewisse Änderungen vorgenommen werden, vielleicht abzufinden, könnte der Gedanke sein, daß es eben erst der Anfang, der erste Versuch ist, und zwar ein schwacher Versuch, worüber wir uns klar sein müssen, der Situation gerecht zu werden, und daß dann weitere folgen müssen. Aber ich weiß nicht, woher die Mehrheit, die das Gesetz bisher getragen hat, den Mut nimmt, zu glauben, daß die bisher überfahrenen Teile dieses Hauses, daß die Opposition mit dem einverstanden sein werde, was hinterher zur Schlußabstimmung vorgelegt werden wird, wenn man — darauf weise ich ausdrücklich hin — so weiter verfährt wie bisher und erklärt: Wesentliche Änderungen an dem, was wir bisher beschlossen haben, lassen wir nicht zu.
Der Lastenausgleich, der uns — ich will nicht sagen, woran es liegt; es ist müßig, darüber zu reden — sozusagen mit reichlicher Ladehemmung und Verspätung jetzt vorgelegt wird, ist das innenpolitische Problem Nummer eins, das seit langen Jahren auf der Bundesrepublik als Hypothek lastet. Aber er ist auch eine internationale Angelegenheit; denn schließlich ist die Vertriebenenfrage in Deutschland — ebenso wie die Vertriebenenfrage in der Welt sonst — eine Angelegenheit, die nicht von Deutschland allein geregelt werden kann. Wenn man sich auf internationalen Konferenzen einmal über die Größenordnungen unterhält, die bezüglich des Vertriebenenproblems in der ganzen Welt eine Rolle spielen, so muß man leider feststellen, daß gerade die Vertreter derjenigen Länder, in denen auch noch Vertriebene zu berücksichtigen sind, über die ungeheuer große Zahl der Vertriebenen in Deutschland überrascht sind. Mit allem Nachdruck in diesem Sinne aufklärend zu wirken, ist daher eine unserer wichtigsten Verpflichtungen in der Außenpolitik und überhaupt in der Vertretung unseres Volkes.
Wir müssen aus der Solidarität der freiheitlichen Länder und Völker die Konsequenz ziehen, daß wir auch ihre Hilfe in Anspruch nehmen, und zwar in doppeltem Sinne, einmal dahin, daß wir das, was wir selber aufzubringen gewillt sind, mit ihrer Hilfe vorfinanzieren, daß wir die Geschädigten nicht 30 Jahre lang auf das Abstottern warten lassen — die 30 Jahre, die wir selber nötig haben, um das Geld aufzubringen —, dann aber auch in dem Sinne, daß wir die Lasten, die wir zu tragen haben, energischer, als das bisher der Fall zu sein scheint, zur Berücksichtigung bei den Verteidigungslasten anmelden. Wir haben ja nicht allzu viel über die Verhandlungen erfahren, und während über die Verhandlungen über die Verträge, den Generalvertrag und den Verteidigungsbeitrag, die
Koalitionsfraktionen in aller Form unterrichtet worden sind, waren wir darauf angewiesen, darüber aus schweizerischen Zeitungen oder durch Mitglieder des französischen Parlaments etwas zu erfahren. Aber das scheint sicher: wenn man inzwischen in der Weltöffentlichkeit gewußt hätte, welche Milliardenlast den deutschen Staat drückt, die bisher nicht näher in Erscheinung getreten ist, dann wäre man sicherlich geneigt gewesen, diese innere Schuld, die, um die Voraussetzungen für den Verteidigungswillen zu schaffen, abgetragen werden muß, mehr zu berücksichtigen, als das bisher der Fall war.
Sehen wir uns einmal die Größenordnung an. Es sollen 2,25 Milliarden im Jahre für den Lastenausgleich aufgebracht werden und 11,25 Milliarden im Jahre für den Verteidigungsbeitrag. Wenn man gegen die in der Nazizeit erlassenen Kriegssachschädenverordnungen heute einwendet: Ja, die kann man nicht ernst nehmen, weil sie den Durchhaltewillen stärken sollten und man deshalb alles mögliche tat, — so muß man doch dabei eines berücksichtigen. Heute stehen wir vor der Frage des Verteidigungswillens. Die Situation ist keineswegs weniger ernst. Wenn man die Trümmer nicht aufräumt und den Geschädigten nicht einmal den guten Willen deutlich zeigt, dann ist doch die große Gefahr, daß angesichts der so schlecht honorierten Opfer an Gut, Blut und Leben nach dem noch in frischester Erinnerung befindlichen letzten Kriege niemand Lust haben wird, den Kopf hinzuhalten. Dann wird jeder sagen: Nach den Erfahrungen der Geschädigten, da zeigt ihr, die Führer der Nation, einmal, daß ihr willens seid, mit dem Verteidigungsbeitrag diesmal selber voranzugehen. Wenn man an uns als Nation appelliert und wenn wir innerhalb der Nation an die Jugend appellieren, einzustehen für die Sicherheit des Westens, dann muß man die Not- und Gefahrengemeinschaft, die man für die Zukunft verlangt, zunächst einmal für die Vergangenheit deutlich zutage treten lassen.
Das oberste Prinzip bei diesem Gesetz sollte das der Gerechtigkeit sein und nicht das der Opportunität und politischen Überlegung. Es ist schon öfter das Wort des Psalmisten zitiert worden, das der Herr Bundespräsident von dieser Stelle aus bei seinem Amtsantritt gesprochen hat, daß die Gerechtigkeit ein Volk erhöht. Ich will lieber den heiligen Augustinus nicht zitieren — weil er oder ich sonst einen Ordnungsruf bekommen könnte —
über den Staat, der sich nicht nach der Gerechtigkeit orientiert.
— Ich hatte gedacht, Sie hätten „Sehr richtig" gerufen, Frau Weber.
Das also ist sicher, daß er als die einzige Rechtfertigung des Zwanges, über den der Staat verfügt, die Gerechtigkeit anerkennt und nichts weiter. Das Prinzip der Gerechtigkeit scheint uns aber gerade bei diesem Entwurf an mehreren Stellen fundamental verletzt. Es ist hier ein Kampf um die einzelnen Bestimmungen dieses Gesetzes entbrannt. Der Bund versucht die Last abzuwälzen, die ihn in erster Linie treffen sollte, der Bund als der Rechtsnachfolger des Deutschen Reichs, j a, als identisch mit dem früheren Reich. Das Reich hat den Schaden verursacht, und das Reich hätte dafür
aufzukommen, infolgedessen in erster Linie der Bund; und wir bemühen uns hier in diesem Hohen Hause, die Lasten des Bundes auf andere abzuwälzen, auf die Länder, auf die Gemeinden — die Gemeinden, die selber sehr stark angeschlagen und mitgenommen sind und kaum wissen, wovon sie ihre Lasten wieder ausgleichen sollen — und damit indirekt wieder auf die Bürger! Wir wälzen es vor allen Dingen immer auf die Bürger ab, durch die besondere Abgabe, die man vorgesehen hat, die Lastenausgleichsabgabe, und die besondere Vermögensteuer. Jawohl, auch wenn der Bund für irgend etwas aufkommen muß, so sind es die Bürger, die das durch Steuern aufzubringen haben. Aber es ist festzustellen, daß man eine besondere Solidarität vom Besitz für den Besitz verlangt. Es läßt sich noch ertragen, wenn man sagt, daß der Besitz den abhanden gekommenen Besitz entschädigen solle. Aber aus dem Lastenausgleichstopf werden nicht bloß die Besitzverluste des Besitzes beglichen, sondern darüber hinaus auch Entschädigungen für immaterielle Güter. Man muß diese Dinge sehr kritisch betrachten. Wir behalten uns vor, bei Einzelheiten darauf zurückzukommen. Ich weise aber darauf hin, daß wir gerade für die Notlage der Gemeinden und der Körperschaften, die nichts als öffentliche Aufgaben haben, in weitestem Maße Verständnis entgegengebracht haben. Ich weise auf den Antrag unserer bayerischen Freunde hin bezüglich der für die dortige Gegend lebenswichtigen Gesellschaften für die Verbindung des Südens des Bundesstaates mit dem Westen, mit dem Rhein, der Neckar-AG., der Rhein-Main-DonauAG. und auf den Schutz des gemeindlichen Vermögens.
Die Ungerechtigkeit, von der ich eben sprach, wirkt sich vor allen Dingen in der Ungleichheit der Behandlung der beiden verschiedenen Kategorien von Geschädigten aus. Es könnte fast den Anschein haben, als sei man bei der ersten Konzeption des Gesetzes, die leider nicht geändert worden ist, bemüht gewesen, diese beiden Gruppen gegeneinander auszuspielen. Es liegt mir völlig fern, bei den Vertriebenen angesichts ihrer Notlage auch nur das Geringste abstreichen zu wollen. Aber soweit es sich um die materiellen Schäden handelt, handelt es sich um Verluste, die gleich zu werten sind. Die Schäden mögen bei dem einen größer, bei dem andern kleiner sein; aber soweit sie festgestellt sind, vertragen sie keine unterschiedliche Behandlung. Die aber ist erfolgt, und zwar in drei Punkten. Zunächst — und ich weise darauf hin, daß damit der Verfassungsgrundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz verletzt worden ist — ist es bei der Hypothekenanrechnung geschehen. Wenn ein Vertriebener — ich habe neulich schon eingehend und nachdrücklichst darauf hingewiesen — seinen Vermögensschaden geltend macht, so wird ihm nur die Hälfte seiner Schulden angerechnet; anders aber bei dem Einheimischen. Ihnen wird die ganze Schuld abgezogen. Ich will mir an dieser Stelle Näheres darüber ersparen; wir kommen später darauf zurück.
Bei einem zweiten Punkt hat man aufs gröblichste gegen diesen Grundsatz der Gleichheit verstoßen, indem man nämlich den Erwerb in der Zeit von 1945 bis zur Währungsreform nicht berücksichtigt hat bei den Vertriebenen, wohl aber berücksichtigt hat bei den Einheimischen. Es ist nicht einzusehen, weswegen der Fleiß der einen belohnt und der der anderen bestraft werden soll. Ich verlange keineswegs, daß man die Vertriebenen schlechter stellt, als der Entwurf es vorsieht. Aber es ist dringend erforderlich, die Einheimischen nicht schlechter zu stellen als die Vertriebenen.
Drittens ist ein Unterschied von großer Tragweite festzustellen hinsichtlich der Behandlung der beiden Kategorien bei der Unterhaltshilfe auf Lebenszeit. Für die Gewährung der Unterhaltshilfe gilt der Tatbestand der Vertreibung als ausreichender Nachweis, ohne Rücksicht darauf, wie groß der Schaden am Vermögen des einzelnen Vertriebenen ist, den er nachweisen kann und den er tatsächlich gehabt hat. Ganz anders bei den Einheimischen. Da wird ein Existenzverlust erst angenommen, wenn er mit dem Verlust eines Vermögens im Werte von 10 000 DM verbunden ist.
Eine weitere Ungerechtigkeit erblicken wir in der bis jetzt vorgesehenen Berücksichtigung der eigenen Schäden; ich habe das eben schon anklingen lassen. Die Geschädigten, die mehr als 100 % ihres Restvermögens verloren haben, die Geschädigten, die das Doppelte und Dreifache ihres Stichtagvermögens verloren haben, müssen selber noch zum Lastenausgleich zahlen. Nicht bloß, daß es ihnen erschwert wird, ihr zerstörtes Vermögen, das doch im allgemeinen entweder die Versorgung für ihr Alter oder die Existenzgrundlage für ihren Beruf darstellte, durch Steuervergünstigungen wieder aufzubauen, sondern man zwingt sie noch selber zu Abgaben, die sie daran hindern, wieder auf die Beine zu kommen. Das halten wir für eine unerträgliche Ungerechtigkeit.
Wenn man sagt, eine weitergehende Berücksichtigung sei nicht möglich — also ein fiskalischer Gesichtspunkt, der mit dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit nicht das geringste zu tun hat —, so muß ich darauf hinweisen, daß bei aller Billigung der Berücksichtigung größerer Vermögen und der Berücksichtigung größerer eigener Schäden, die in die Millionen gehen, die Freistellung der zu 100 % des Restvermögens Geschädigten den Vorrang verdient und daß man dann eher die Milliardenausgaben für die großen Vermögen ersparen muß, als daß man die Doppelbelastung der schon über 100 % Geschädigten hinnehmen darf.
Wir vermissen ferner einen Besserungsschein. Der Bund befindet sich zur Zeit in der Lage eines Gemeinschuldners, der Konkurs gemacht hat und der erklärt, daß er jetzt seine Verhältnisse bezüglich seiner alten Gläubiger endgültig regeln wolle, damit er munter neue Schulden aufnehmen kann. Wir alle hoffen, daß es doch wieder mit unserer Wirtschaft bergauf geht, daß es bergauf geht mit unserem Nationaleinkommen und daß es damit bergauf geht mit der Leistungsfähigkeit. Dazu wird es schon einfach deswegen kommen, weil die sozialen Folgelasten des Krieges, die direkten wie die indirekten, weil auch die besonderen Aufgaben des Wiederaufbaus unseres Landes von Jahr zu Jahr weniger werden und damit steigend Verbesserungen unserer Staatsleistung möglich werden, die dem Lastenausgleichsfonds zugeführt werden müssen. Das ist durchaus möglich, ohne daß die Bürger dadurch in ihrer Steuerkraft mehr als bisher bedrückt werden müssen. Ein Schuldner, der eine ungünstige Situation benutzen will, um abzustoßen, was er an Verbindlichkeiten hat, kann nicht Anspruch darauf erheben, als ein getreuer Schuldner angesehen zu werden. Das schadet unserem Kredit im Auslande und nutzt ihm nichts. Ich erinnere auch hier an das Beispiel des finnischen Volkes, das in der ganzen Welt wegen der
Treue seiner Vertragserfüllung, wegen des getreuen Einstehens für seine Verbindlichkeiten den denkbar größten Kredit genießt.
Ich will es mir versagen, alle in der zweiten Lesung gestellten Anträge an dieser Stelle und an diesem Ort noch einmal zu wiederholen.
Kommen Sie zum Schluß, Herr Abgeordneter!
Gestatten Sie mir bitte die Endausführungen. — Wir haben bei einem Teil dieser Anträge, und zwar gerade bei jenen, bei denen es sich um die Frage, um die prinzipiellste Frage der Gerechtigkeit, nämlich um die der Gleichberechtigung handelt, erfreulicherweise die Unterstützung eines erheblichen Teiles der Koalition und — worauf ich besonders hinweisen möchte — die Unterstützung aus Kreisen der Vertriebenen gefunden, so daß hier die Solidarität der Geschädigten erfreulich in Erscheinung tritt.
Die übrigen Anträge liegen uns aber darum nicht weniger am Herzen, auch wenn ich sie nicht wiederhole. Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß von der Behandlung dieser Grundfrage die Entscheidung meiner Fraktionsfreunde in ihrer Stellungnahme zu diesem Gesetz abhängen wird. Es handelt sich um wertvollste Schichten des deutschen Volkes, die hier um ihr Recht ringen. Sie zu vernachlässigen, über sie hinwegzugehen als Quantité négligeable, in der Hoffnung, durch längeres Liegenlassen werde sich die Sache von selbst erledigen, würde einen gewaltigen Schaden des Ansehens unserer jungen Bundesrepublik, unserer jungen Demokratie und des Vertrauens in ihren guten Willen bedeuten. Es handelt sich nicht um die Bitte von Bittstellern, sondern es handelt sich um ein Recht, um ein verbrieftes Recht. Denn was man auch immer sonst zu der Nazi-Gesetzgebung sagen möge, der Grundgedanke der Entschädigungsgesetze und der -verordnungen aber, die während des Krieges erlassen worden sind, sind Gedanken der Gerechtigkeit und nicht nationalsozialistische Gedanken. Sie sind alles andere als nationalssozialistische Gedanken; der Gedanke der Gerechtigkeit war selbst damals so stark, daß man ihn nicht umgehen konnte. Man versuchte ihn als Propagandamittel einzuspannen und auszunutzen, und damit übertrieb man vielleicht zur anderen Seite hin. Aber es handelte sich damals um echte begründete Rechte. Die Ausführung und Erfüllung der Verpflichtung mag suspendiert sein, nicht aufgehoben aber sind die Rechte selbst. Sie abzuschaffen, entschädigungslos abzuschaffen, würde bedeuten, gegen das Grundgesetz zu verstoßen und das Gesetz, das wir uns jetzt mühsam zustande zu bringen bemühen, in seinen Grundfesten zu erschüttern, so daß die Arbeit vergeblich gewesen wäre.
Herr Abgeordneter, ich muß Sie bitten, nun abzubrechen. Sie haben Ihre Redezeit schon erheblich überschritten.
Herr Präsident, es tut mir leid, daß Sie mir damit das Wort zum Abschluß genommen haben. Ich bin am Ende.
Sie haben inzwischen schon angefangen, in die Einzelberatung einzutreten. Ich glaube, das können Sie alles in der Einzelberatung vortragen.
Da mir eine weitere Redezeit nicht zur Verfügung steht, bin ich darauf angewiesen, das Weitere in der Einzelberatung zu den Paragraphen noch vorzutragen, was ich mir ausdrücklich vorbehalte.
Das Wort hat der Abgeordnete Loritz.
Meine Damen und Herren! Für dieses Gesetz ist die Überschrift „Lastenausgleichsgesetz" völlig falsch; Sie sollten es Lastenvermehrungs Besetz heißen oder so ähnlich. Dieses Gesetz ist eine unerhörte und geradezu ungeheuerlich ungerechte Neubelastung und Mehrbelastung weitester Schichten der Bevölkerung, die bei den heutigen drückenden Steuerlasten schon kaum mehr wissen, wie sie ihren kleinen Betrieb, wie sie ihr Geschäft usw. noch halten und weiterführen können. Dieses Gesetz sucht Milliardenbeträge dort, wo sie nicht mehr gesucht werden dürfen und können: bei den wirtschaftlich Schwachen; diese bringen nach diesem Gesetzentwurf den weitaus größten Teilbetrag auf, der zum Lastenausgleichsfonds zur Verfügung gestellt wird.
— Da täuschen Sie sich aber sehr, Herr Stücklen!
Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen kurz eines mit aller Klarheit herausstellen: Sie haben d i e Kreise belastet, die Sie niemals hätten belasten dürfen, und Sie haben die Kreise geschont, die Sie in weitaus viel größerem Umfang hätten heranziehen können und müssen, nämlich die Kreise der Großaktionäre, die Kreise der Großindustriellen, die Kreise derer, die seit 1948, seit der Währungsreform, unerhörte und unverschämte Gewinne auf Kosten der breiten Volksschichten gemacht haben. D i e haben Sie fast nicht herangezogen, sondern den kleinen Mittelstand; den richten Sie noch vollends zugrunde mit diesem sogenannten Lastenausgleichsgesetz.
Ich habe Ihnen Vorschläge genug gemacht, wo Sie das Geld für einen wirklich umfangreichen Lastenausgleich hätten hernehmen können und müssen.
Wir haben Ihnen schon seit langem, schon bei der ersten Lesung herinnen in diesem Hause gesagt, daß Sie die Großaktionäre hätten heranziehen und ihnen die unerhörten Gewinne hätten nehmen müssen, die sie seit 1948 durch die sensationellen Kurssteigerungen der Aktien an den Börsen gemacht haben.
Das haben Sie alles nicht gemacht. Zuerst wollten Sie die Aktionäre gar nicht heranziehen; dann haben Sie sie mit dem Hälftewert der Aktien herangezogen. Und wie haben Sie sie herangezogen? Mit dem Hälftewert, den die Aktien im Sommer 1948 an der Börse notierten. Das heißt praktisch, daß Sie diese selben Aktien, die heute auf über 200 stehen, zum Lastenausgleich mit einem Kurse heranziehen, der sich ungefähr auf 5 bis 8 pro Aktie beläuft. Diese selben Aktien standen nämlich im Sommer 1948 auf 10 oder 15 das Stück. Mit der Hälfte davon, mit 50 %, also mit 5 bis 8 werden sie herangezogen, noch dazu verteilt auf dreißig Jahre. Die Kursmakler an den Börsen lachen ja bereits
über diese Pseudobelastung der Aktien. Die Börsen haben deswegen auch gar nicht oder so gut wie gar nicht reagiert, als Sie diese halbe Belastung der Aktien vor wenigen Tagen hier beschlossen haben. Die Großaktionäre werden die unerhörten Gewinne, die sie gemacht haben, beibehalten dürfen.
Dasselbe gilt für die riesigen Exportgewinne der Großindustrien. Auch hier werden dadurch, daß Sie den Stichtag vom Sommer 1948 statt jetzt vom Frühjahr 1952 genommen haben, alle die von diesen Herrschaften erzielten Riesengewinne weiterhin konserviert. Das, was die zum Lastenausgleich abgeben müssen, ist ein Butterbrot und nichts anderes. Das, was jedoch der Mittelstand abgeben muß, wird zu großen Teilen seine Existenz gefährden, zu weiteren Teilen sogar vernichten.
Und was bekommen die Heimatvertriebenen? Oder was bekommen die einheimischen Ausgebombten und Kriegsgeschädigten, von denen leider so wenig gesprochen wird? So gut wie nichts! Eine Phantasmagorie hat man ihnen vorgemacht. Auf dreißig Jahre hinaus sollen sie etwas bekommen, zur Zeit aber nichts oder so gut wie nichts.
Und was ist aus der Hausrathilfe geworden? Mit den Sätzen, die Sie ihnen als Hausrathilfe zugebilligt haben, können sich die Kriegsgeschädigten und Heimatvertriebenen, wie ich schon das letzte Mal hier herinnen ausgeführt habe, nicht einmal ein einziges Zimmer einrichten, geschweige denn sich wieder eine Existenz gründen.
Die Sätze, die Sie auf Grund dieses Pseudolastenausgleichsgesetzes geben, sind nicht viel mehr als eine Wohlfahrtsunterstützung, sind nichts anderes als ein paar Bettelpfennige, die man den Ärmsten der Armen hinwirft, damit sie weiterhin zusehen können, wie auf der anderen Seite Riesengewinne eingescheffelt werden.
Warum schweigt man denn beharrlich davon, daß es gerade die Millionen der Heimatvertriebenen und auch der einheimischen Kriegsgeschädigten waren, die durch ihre mühselige Arbeit und ihre Entbehrungen seit 1945 es der Großindustrie und den Großaktionären erst ermöglicht haben,
heute wiederum so unerhörte Gewinne für ihre Unternehmungen zu machen?
— Ich muß hier feststellen, Herr Präsident, daß ein fraktionsloser Redner heute 15 Minuten Redezeit bewilligt bekommen hat und daß es schon deshalb der Gerechtigkeit entspricht, daß ich ebenfalls 15 Minuten erhalte.
Wer war das, Herr Abgeordneter Loritz?
Das war der Abgeordnete Dr. Keller, und das ist sogar protokollarisch festgestellt. Ich gönne dem Herrn Dr. Keller seine 15 Minuten Redezeit übrigens durchaus!
Er hat keine 15 Minuten gesprochen, Herr Abgeordneter Loritz.
Dann hat er 12 gesprochen.
Nein, er hat 10 gesprochen.
Dann hat er immerhin 10 Minuten gesprochen,
was ich nicht glaube. Meiner Uhr nach, die nicht schlecht geht,
hat er länger als 10 Minuten gesprochen. Ich gönne ihm das durchaus. Ich würde ihm wünschen, daß er viel länger hätte reden können; aber dasselbe Recht beanspruche ich ebenfalls für mich, Herr Präsident!
Also ich gebe Ihnen noch 3 Minuten, Herr Abgeordneter Loritz.
Es ist ja schlimm genug, daß in diesem Parlament, was in keinem andern Parlament eines demokratischen Staates der Fall ist, die Redezeit für gewisse Abgeordnete auf fünf Minuten festgesetzt ist. Das gibt es sonst nirgends in demokratischen Ländern!
Herr Abgeordneter, ich empfehle Ihnen, zur Sache zu sprechen und nicht über die Praxis demokratischer Länder.
Meine Damen und Herren, Sie geben in der Praxis den Lastenausgleichsberechtigten nichts.
Nachdem ich vom Präsidenten wieder einmal unterbrochen wurde, möchte ich fortfahren: Die Hausrathilfe genügt nicht einmal, um sich den nötigen Hausrat anzuschaffen. Was Sie sonst hergeben an Wohnraumbeihilfe usw., ist ebenfalls nichts anderes als eine Augenauswischerei, wie man so schön auf österreichisch sagt; sonst wird es zur Zeit nichts geben außer schönen Darlehen für gewisse Firmen, die gute Beziehungen zu Leuten in gewissen Ämtern drinnen haben; die Möglichkeiten dazu sind ja in diesem Gesetz vorhanden und in dieses Gesetz eingebaut worden.
Sie könnten allein durch die Erfassung der Riesengewinne der Großaktionäre und der Exportgewinne in den letzten Jahren s of o r t mehrere Milliarden für die Heimatvertriebenen fällig machen. Sie können weitere zusätzliche Milliarden sofort zur Verfügung stellen, wenn Sie der Regierung auf die Finger klopfen und dafür sorgen, daß sie nicht 11 Milliarden DM pro Jahr an sogegenannten Verteidigungsbeiträgen, wie man das Ding heißt,
ausgibt oder aber an Beiträgen für die Einrichtung von Luxuszügen der Besatzungstruppen ins Hochland hinauf oder für andere solche Zwecke. Wenn Sie diese Beträge streichen,
dann haben Sie die ganze Bevölkerung auf Ihrer
Seit e! Das aber tun Sie nicht. Aber den Heimatvertriebenen und den einheimischen Kriegsgeschädigten, denen streicht man so gut wie alle Verbesserungen, die hier herinnen, in diesem Hause
beantragt worden sind; denen streicht man vom
letzten Bettelpfennig noch die Hälfte ab und verteilt den Rest dann auf einige Jahre. Das ist das
Charakteristikum für diesen sogenannten Lastenausgleichsentwurf, den Sie, meine Herren von den
Regierungsparteien und der Regierung, erst jetzt,
nachdem Sie schon Jahre im Amte sind, dem Volke vorzulegen sich bemüßigt gefühlt haben.
Für jeden, der sich die Mühe nimmt, diese 400 Paragraphen durchzulesen, ist es klar, daß die Zahl der Paragraphen in diametralem Gegensatz zu dem steht, was dabei herauskommt. Für dieses Bröcklein, daß Sie an die Kriegsgeschädigten und Heimatvertriebenen verteilen, hätten Sie nicht 400 Paragraphen gebraucht, das hätten Sie mit 50 oder mit 20 Paragraphen auch abmachen können. Dann allerdings hätten Sie darauf verzichten müssen, so nebulose Versprechungen zu machen wie die von den angeblichen 50 Milliarden DM, die für die Heimatvertriebenen zur Verfügung gestellt werden, hinausgeschoben bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag, auf 30 Jahre, also eine Zeit, zu der die meisten der Heimatvertriebenen und einheimischen Kriegsgeschädigten gar nicht mehr am Leben sind! Warum kommen Sie mit solchen Dingen? Die Heimatvertriebenen brauchen j e t z t die nötigen Geldbeträge, um sich Hausrat kaufen und eine Existenz gründen zu können!
Herr Abgeordneter Loritz, jetzt ist aber auch Ihre „Aufbesserungsquote" verbraucht.
Das gleiche gilt für die einheimischen Ausgebombten. Und deswegen gibt es für jeden, der volkswirtschaftlich denken kann
und der als Jurist und menschlich ein Herz für die Geschädigten hat, nur eines: diesen unerhörten sogenannten Lastenausgleichsgesetzentwurf schärfstens abzulehnen und das Volk draußen aufzufordern, dieser Regierungsmehrheit demnächst die Quittung zu geben
für ihr välliges Versagen auf dem Gebiete der sozialen und moralischen Gerechtigkeit.
Das Wort hat' der Abgeordnete Farke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Erklärung der Regierungsparteien vor Beginn der zweiten Lesung dieses Gesetzes ist darauf hingewiesen worden, daß es schon in dem Augenblick, in dem eine deutsche Instanz dazu in der Lage war, versucht wurde, die Frage eines Lastenausgleichs in der Form des Soforthilfegesetzes zu lösen. Dieser Versuch des Soforthilfegesetzes stellte in seiner Konzeption die absolute Form einer sozialen Hilfe dar. Die Vertriebenen und Kriegssachgeschädigten haben diese Hilfe anerkannt, aber nur als Hilfe. Sie haben diese Hilfe niemals als Lastenausgleich empfunden oder angesehen.
Als wir 1949 in den Bundestag kamen, da war uns die Aufgabe gestellt, gemäß dem wirklichen Inhalt des Begriffes Lastenausgleich dieses reine Hilfesystem in ein Entschädigungssystem fortzuentwickeln. Das war eigentlich die Aufgabe, die wir innerhalb der letzten Jahre bei der Arbeit an dem vorliegenden Entwurf zu erfüllen hatten. Selbstverständlich konnte man dieses Hilfesystem, für das ein Apparat bis unten herangebildet war, nicht mit einem Male in ein Entschädigungssystem umwandeln. Jetzt ist die Frage: wie weit ist es uns gelungen, das bestehende Hilfegesetz gemäß dem wahren Willen der Kriegssachgeschädigten und Vertriebenen zu erweitern und in ein Entschädigungsgesetz umzuwandeln. Das ist die entscheidende Frage vor allen Dingen für meine Fraktion Ich glaube, daß muß aber auch für die Mehrheit des Hauses die entscheidende Frage sein.
Hier muß ich nun feststellen, daß dieses Entschädigungsprinzip nur in einem kleinen Ausmaß zur Durchführung gekommen ist. In weitem Maße — und davon haben wir uns auch überzeugen lassen — mußte im Augenblick noch das Hilfesystem aufrechterhalten werden. Wenn man aber jetzt in den Anträgen, vor allen Dingen der Opposition, dieses Hilfesystem wieder verstärken oder beinahe ganz wieder herbeiführen will — und das ist aus den Anträgen zu sehen; etwas anderes können wir daraus nicht erkennen —, dann müssen wir uns diesen Anträgen entgegenstellen.
Noch ein Zweites ist festzustellen. Ich habe dieses Gesetz als eine Fortentwicklung bezeichnet und damit auch zum Ausdruck gebracht, daß es noch nicht etwas Absolutes darstellt, sondern in Zukunft weiter fortentwickelt werden muß. Man sollte das Wort Novelle darum nicht so glossieren, daß es als lächerlich empfunden wird. Ich glaube kaum, daß irgendein Vertreter hier im Hause, der mitgearbeitet hat, sich anmaßt, er könne hier für 30 Jahre etwas Fertiges und Absolutes schaffen. Es ist für uns selbstverständlich, daß die jetzt vorliegende Fassung im Laufe der nächsten Jahre noch verbessert werden muß.
Kollege Ollenhauer hat erklärt, dieses Gesetz sei ein Grundgesetz dieses Staates. Jawohl, wir sehen es als ein Grundgesetz in seiner vollen Bedeutung. Aber wir folgern daraus, daß es auch den politischen und sittlichen Charakter haben muß, der für uns heute maßgebend ist, der deutsch in westeuropäischer Interpretation sein muß.
Im Mittelpunkt des Lastenausgleichs steht für uns der Eigentumsbegriff, unter dem sowohl die Abgabe- wie die Entschädigungsseite zu sehen ist. Auf der Abgabeseite haben wir darauf zu achten — gerade von diesem Grundgesetz-Prinzip aus —, daß wir das Privateigentum nicht in Gefahr bringen oder gar zerstören. Wir müssen es im Interesse des Ausgleichs heranziehen, dürfen aber nicht darüber hinausgehen und es zerstören. Das wäre nach unserer politischen und geistigen Grundauffassung unverantwortlich.
Aber auch für die Entschädigung muß der Eigentumsbegriff den Ausgangspunkt bilden. Denn das ist es gerade, was die Menschen, die alles verloren haben und sich wurzellos fühlen, nicht verwinden können: daß ihnen dieser Eigentumsbegriff genommen ist, daß sie praktisch größtenteils noch ohne Eigentum dastehen. Wir haben deshalb von ihrem Eigentum auszugehen — denn daran denken sie und davon sprechen sie — und demgemäß aus diesem Eigentumsbegriff die Entschädigung zu entwickeln. Wenn Herr Kollege Kriedemann im Laufe der Debatte einmal sagte, 25 % der Vertriebenen hätten Vermögen im Sinne dieses Begriffes gehabt, so hat er damit recht. Ich habe das auch gesagt. Aber die übrigen 75 % waren deswegen nicht vermögenslos, denn sie besaßen Hausrat, das war ihr Vermögen. Darum haben besonders meine Freunde und ich, aber auch nahezu alle Vertreter im Ausschuß darum gekämpft, daß dieser Vermögensbegriff Geltung für alle bekommt
und daß als Wichtigstes die Hausratentschädigung in dieses Gesetz eingebaut wurde, was ja auch geschehen ist, und, soweit es die Möglichkeiten des Alltags erlauben, auch durchgeführt wird. Ebenso wichtig ist es, das Gesetz unter dem Gesichtspunkt der neuen Eigentumsentwicklung zu sehen. Davon ist freilich bei der jetzigen Struktur des Gesetzes reichlich wenig übriggeblieben.
Meine Fraktion wird dem Gesetz zustimmen, aber nur unter der Voraussetzung, daß an der jetzt herbeigeführten Struktur sowohl auf der Abgabeseite wie auf der Entschädigungsseite durch Annahme von Anträgen nichts Entscheidendes geändert wird.
Wir sind bei der Abgabeseite schon bis an die Grenze des Möglichen gegangen,
und es wird niemand die Verantwortung dafür
übernehmen können, darüber hinauszugehen. Ich
möchte daran erinnern, daß wir die Abgabesätze
im vorigen Jahr festgesetzt haben, als wir uns in
einer Konjunktur des Wirtschaftslebens befanden.
Eine solche Zeit durchleben wir im Augenblick nicht. Es ist aber zu hoffen, daß sie wiederkommt. Es ist das nicht mit Sicherheit anzunehmen. Darum müssen wir, um das Aufkommen nicht zu gefährden, im Interesse der Vertriebenen auf der Abgabeseite außerordentlich vorsichtig zu Werke gehen. Ich glaube feststellen zu müssen, daß wir ohnehin schon weit über das hinausgegangen sind, was wir, wenn wir wirtschaftlich denken, verantworten können.
Dasselbe muß ich auch für die Entschädigungsseite sagen, auch sie muß unter dem Gesichtspunkt des Eigentumsprinzips gesehen werden. Wir werden alles ablehnen, was hier irgendwelche Beschränkungen auferlegen will. Eine soziale Aufgliederung ist bei jeder Materie durchgeführt, auch bei der Hauptentschädigung, wenn wir z. B. die kleinen Vermögen zu 75 % vergüten bzw. 75 % ersetzen. Aber grundsätzlich alles zu negieren, was über den Begriffen „klein" oder „mittel" liegt, ist vom europäischen und vom wirklich deutschen Standpunkt aus einfach unmöglich. Wir werden dem nicht zustimmen, sondern unsere Zustimmung zu dem Gesetz als Ganzem davon abhängig machen, inwieweit es in seiner Struktur eine Änderung erfährt.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Ott.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Recht schafft man nicht mit Leidenschaft und Vorurteilen, sondern mit Vernunft und Einsicht. Die Heimatvertriebenen und Kriegsgeschädigten haben es an dieser Einsicht und an dieser Vernunft nie fehlen lassen. Das beweisen allein die Kundgebungen in Stadt und Land, wo es keine Toten und keine eingeschlagenen Fensterscheiben gibt, sondern wo sich diese Menschen, obwohl sie ihre Heimat und alles, was eben die Heimat zur Heimat gemacht hat, allen Besitz und alles verloren haben, immer noch zu ihrem Vaterland, zu ihrem Volk, zu ihrer Heimat bekennen. Sie haben besonders hier auf dem Bonner Marktplatz — das haben Sie ja selber miterleben können — mit einer inneren Begeisterung das Lied „Deutschland, Deutschland über alles" gesungen. Selbst Einheimische haben mir gesagt, wie sehr sie gerührt waren ob dieses heimatlichen Idealismus und dieses gesunden Volksbewußtseins dieser 75 000 Menschen.
Diese Kriegsgeschädigten, diese Heimatvertriebenen sind es auch, die gerade bei dem Problem Lastenausgleich Einsicht und Vernunft walten lassen. So mancher Redner, der hier gesprochen hat — mir kam es manchmal vor, als ob man sich schon im Wahlkampf der kommenden Bundestagswahl befände —, hat es an dieser Einsicht und Vernunft oft fehlen lassen; das sei hier festgestellt.
Die Heimatvertriebenen und Kriegsgeschädigten wissen ganz genau, was sie nach 1945 von dem verbliebenen Wirtschaftspotential hatten. Ihm verdanken sie es, daß sie überhaupt leben konnten. Sie wissen auch genau, daß dieses verbliebene Wirtschaftspotential es war, das vielen schnell wieder zu Reichtum und ebenfalls wieder zu Gut und Eigentum verholfen hat. Sie wollen heute nicht eine Verneinung des Eigentumsbegriffs oder irgendwie eine Auslöschung dieses Potentials, sondern sie wollen eben einen gewissen Lastenausgleich haben, nicht ein Almosen, sondern wirklich einen harten Eingriff, der aber nicht eine Verneinung des Eigentumsbegriffs und nicht Streichung dieses Potentials bedeutet, sondern sie fordern wirklich die Einsicht auch von der andern Seite, daß wir Deutschen alle diesen Krieg verloren haben. Wer sich zum deutschen Volke bekennt und wem die Begriffe Eltern, Vaterhaus, Vaterland, Volk noch Worte mit Lebensinhalt sind, der muß wissen, daß eben das gesamte deutsche Volk den Krieg verloren und damit auch die Lasten des verlorengegangenen Krieges, verteilt auf die Schultern aller Deutschen, zu tragen hat. Wer den Lastenausgleich verneint, ist ein Totengräber des deutschen Volkes und verneint das Weiterleben der deutschen Nation. Auch wenn der Lastenausgleich durchgeführt sein wird, werden alle Heimatvertriebenen, Flieger- und Kriegsgeschädigten die größten Bezahler und Lastenträger dieses verlorengegangenen Krieges sein.
In diesem Hause ist nicht einmal, sondern sehr oft das Christentum apostrophiert worden. Ich glaube, gerade die beiden Konfessionen, die Kirchen, brauchen sich in dieser Richtung nicht zu schämen. Denn sie haben nach 1945 in der Tat bewiesen, was ihre Aufgabe ist, und sie haben auch durch ihre Rundschreiben, durch ihre Hirtenbriefe usw. immer wieder das Volk aufgefordert, hier Einsicht und Vernunft walten zu lassen. Ich möchte mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten nur einige Sätze zitieren. So heißt es z. B. in einem Rundschreiben des Bischöflichen Ordinariats Rottenburg vom 1. April 1950:
Wir wissen, daß Westdeutschland in materieller Hinsicht die Flüchtlingsfrage aus eigenen Kräften hinreichend nicht lösen kann. Wir sind aber davon überzeugt, daß die Flüchtlingsfrage im tiefsten eine geistige und sittlich-religiöse Aufgabe ist, die Gottes Vorsehung Einheimischen und Vertriebenen gestellt hat und die Westdeutschland mit den Kräften des Geistes und des Herzens lösen kann und lösen muß, wenn es daran nicht zugrunde gehen will.
Die besitzenden Kreise in Stadt und Land müßten aber doch erkennen, daß die Vertriebenen mit den übrigen Kriegsopfern bisher die schwerste Last eines Krieges und seiner
Folgen tragen mußten, an dem sie nicht mehr schuld waren als alle anderen. Alle Not der Nachkriegszeit, Hunger, Wohnungselend, Arbeitslosigkeit trifft sie stärker als selbst die ärmsten Schichten der einheimischen Bevölkerung. Sie können und wollen sich darum nicht ohne weiteres mit ihrem Schicksal abfinden und fordern die Linderung der äußersten Notstände und die Schaffung wirtschaftlicher Möglichkeiten, damit sie mit ihrer Hände Arbeit sich wieder eine Existenz aufbauen können.
Und noch ein paar Sätze:
Die schwerste Aufgabe . . ., die mit dem Einströmen der Vertriebenen in jedes Dorf notwendig geworden ist, ist wohl die Erziehung der besitzenden Bevölkerung zu sozialem Denken und Handeln, das die Voraussetzung für einen friedlichen Lastenausgleich ist. Alle, die aus der Kriegs- und Nachkriegszeit ihre Habe retten konnten, müssen einsehen lernen, in welchem Maß ihr Eigentum mit einer sozialen Hypothek belastet ist. Bis jetzt haben die meisten solche Gedanken noch gar nicht in ihr sittliches 'Bewußtsein aufgenommen und wehren sich gegen ein dementsprechendes Gesetz, das doch lediglich eine bereits bestehende sittliche Verpflichtung im einzelnen festlegen soll.
Meine Damen und Herren! Ein gerechter sozialer Lastenausgleich ist der Prüfstein für das christliche und nationale Gewissen unseres Volkes. Die Erfüllung der Forderung aller Kriegsgeschädigten, insbesondere der Heimatvertriebenen, ist aber auch der beste Verteidigungsbeitrag für die freie Welt im Kampf gegen Unfreiheit und Untermenschentum. Ich betone nochmals: der sozial gerechte Lastenausgleich ist ein Gebot der Stunde, ist eine sittliche Aufforderung. Wir haben uns hier in dieser Stunde im wahrsten Sinne des Wortes zu bewähren, wenn wir überhaupt als Nation, als Volk weiterleben wollen. Deshalb ist meine Ansicht die: der uns vorliegende Lastenausgleich wird mit Annahme verschiedener Zusatzanträge, insbesondere der Anträge des Herrn Dr. Kather, die ich mit unterschrieben habe, dem Lastenausgleich das Gesicht geben, zu dem man ein freudiges Ja sprechen kann.
Das Wort hat der Abgeordnete Kriedemann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist offenbar unvermeidlich, daß hier bei einer solchen Gelegenheit lange und vor allen Dingen laute Reden gehalten werden, von denen einige den Charakter von Deklamationen haben, obwohl es doch um eine sehr nüchterne Angelegenheit geht, um Tatsachen, die genau umschrieben sind. Aber abgesehen von der Zeit, die das kostet, und abgesehen von der Zumutung, die das an die Geduld aller Zuhörer stellt, ist es wahrscheinlich immer noch besser als die Ruhe eines Kirchhofes, wie sie überall da herrscht, wo es kein Parlament und kein solches Verfahren gibt.
Es ist eine Reihe von Bemerkungen gemacht worden, auf die ich nur mit einem Satz eingehen will, um den Rest meiner Zeit auf die Auseinandersetzung mit ein paar Behauptungen zu verwenden, die mir das wert zu sein scheinen.
Zunächst mal eins: Die Beratungen über den Lastenausgleich scheinen mir die allerschlechteste Gelegenheit zu einer Geschichtsklitterung zu sein, um nicht zu sagen einer Geschichtsfälschung. Es kann doch gar kein Zweifel darüber sein, daß die Ursache des Elends, mit dem wir uns hier auseinanderzusetzen haben, da liegt, wo die Nazis und alle, die so dumm oder so schlecht waren, mit ihnen mitzuhalten, zu schreien anfingen, wir seien ein Volk ohne Raum, und das s o lange, bis wir wirklich ein Volk ohne Raum geworden sind.
Wer nicht imstande ist und nicht den Mut oder die Intelligenz hat, das einzusehen, der schneidet uns den Weg ab, aus den Fehlern unserer Geschichte etwas zu lernen. Das ist das größte Verbrechen, das man am eigenen Volke begehen kann.
In der gleichen Preislage bewegen sich diejenigen, die uns hier immer wieder das finnische Beispiel vor Augen halten zu können glauben. Die möchten doch wenigstens das eine von denen lernen, die in Finnland gewesen sind: darüber nicht mehr zu reden. Es hat sich nämlich bei der Lokalbesichtigung herausgestellt, daß davon keine Rede sein kann, die Finnen hätten das gleiche Problem schon gelöst, das wir noch nicht gelöst haben. Wer wirklich weiß, worum es sich da handelt, weiß auch, daß sich das eine mit dem andern nicht vergleichen läßt. Und man muß uns dann schon bessere Vorschläge machen, als immer wieder um das finnische Vorbild herumzureden. Das mag sich in Versammlungen gut machen. Aber wenn man die Tatsache kennt, kann man sich damit höchstens blamieren.
Eine andere Angelegenheit. Ich habe jedenfalls nicht gesagt, das, was am letzten Sonntag und bei einigen anderen Gelegenheiten an Demonstrationen passiert ist, sei mit der bitteren abweisenden Kritik erledigt, das sei so die Stimme der Straße. Nein, meine Damen und Herren! Es wird auf der Straße mitunter ganz was Gescheites geredet, und schon deshalb würde ich das nicht sagen. Meine Kritik an solchen Veranstaltungen richtet sich nicht gegen die Teilnehmer, sondern gegen die Veranstalter. Ich bin mit Herrn Kather nur in einem einig: tatsächlich ist mit den Vokabeln, mit denen da herumgeworfen worden ist, dem Problem nicht zu Leibe zu rücken. Ich möchte mir wahrlich nicht die Bemerkung zu eigen machen, mit der der Herr Bundesfinanzminister dort aufgewartet hat. Aber mir scheint die Replik, die wir heute darauf gehört haben, daß dort nur ein Mann mit einem guten Anzug gewesen sei, der aus der grauen Masse hervorgestochen habe, mindestens nur von gleicher Überzeugungskraft zu sein.
Nun zu ein paar Dingen, die wahrscheinlich wichtiger sind. Wenn hier der Appell losgelassen wird, man möge doch dieses schwerwiegende Problem rein sachlich behandeln, dann steckt dahinter im Grunde doch immer der Wunsch, das Problem aus den Zusammenhängen herauszulösen. Aus den Zusammenhängen kann es aber nicht herausgelöst werden, und diejenigen, die imstande sind, politische Argumentationen von Demagogie oder reiner Propaganda zu unterscheiden, werden meinem Freund Ollenhauer nicht den Vorwurf machen können, daß er zu diesem Thema nicht sachlich geredet hat.
Auf der andern Seite mußte sich manch einer sagen lassen, daß die vielen, vielen schönen Worte, die hier gefallen sind, mit dem Thema Lastenausgleich wahrhaftig nichts zu tun haben.
Dann würde ich dringend empfehlen, nicht immer mit der sozialen Marktwirtschaft als positivem Beweis zu operieren. Denn das, was aus dieser sozialen Marktwirtschaft am meisten ins Auge fällt und was den Beifall derjenigen am meisten heraufbeschwört, die an dieser Marktwirtschaft am meisten profitieren, ist gerade das, was den Vertriebenen und den übrigen Kriegssachgeschädigten mit besonderem Nachdruck unter die Nase reibt, wie sehr sie hinten heruntergerutscht sind. Man soll sich nicht nur über die vielen Arbeitsplätze freuen, die gewonnen worden sind. Das ist sehr viel. Ob das von der Leistung der Regierung abhängt, wollen wir im Augenblick nicht diskutieren. Manche Leute haben ja die Neigung, sogar die Tatsache, daß es im Sommer wärmer ist als im Winter, dem Bundeswirtschaftsminister, der die Kohlen zu verteilen hat, zuzuschieben.
Wir haben das auch von ihm selber schon einmal gehört.
Also vertiefen wir das bitte nicht und verlassen wir nicht den Rahmen, um den es sich handelt, sondern machen wir es, wie es Herr Kollege Kunze vorgeschlagen hat, Punkt für Punkt. Ich würde zunächst einmal dringend vorschlagen, daß wir alle miteinander aufhören, diese Rechenkunststückchen mit der Gesamtbilanz zu machen, diese 60 Milliarden da herumzuschieben und dann zu sagen: Diese 600 Millionen, die von uns — den besonderen Trägern des Gerechtigkeitsprinzips — reserviert worden sind, spielen dabei gar keine Rolle. Wir wissen doch alle miteinander, daß es sich gar nicht um die 60 Milliarden und um die Gesamtbilanz handelt, sondern das es sich nur um das handelt, was in den nächsten Jahren zu erwarten ist, und um den Einsatz dieses Aufkommens in den nächsten Jahren für die Aufgaben, die in den nächsten Jahren vordringlich sind. Und da sage ich Ihnen noch einmal: nicht im Laufe der 30 Jahre und nicht bezogen auf die 60 Milliarden sind diese Sonderleistungen, die über den Regierungsentwurf hinausgehen, für die berühmten 50 000 Menschen — das sind ja Zahlen, die Sie genau so gut kennen wie ich — so aufregend. Sie sind deshalb aufregend, weil — ich wiederhole mich hier — die größten Schäden am schnellsten festgestellt werden und weil die von Ihnen in dieses Gesetz hineingeschriebenen Rechtsansprüche dann gerade von den Leuten mit besonderem Nachdruck geltend gemacht werden. Das wird sich nicht auf 30 Jahre verteilen, das wird Ihnen viel schneller über den Hals kommen. Das wird Ihnen viel schneller präsentiert werden, als es Ihnen, Herr Kunze, selber lieb ist. Darum unser Bemühen, das Verfahren zu ändern und diese Gefahr zu beseitigen.
Ich habe auch nicht recht verstehen können, warum Sie gesagt haben, wir seien uns doch einmal darin einig gewesen, daß der Regierungsentwurf in der Angelegenheit der Hauptentschädigung unzweckmäßig sei, und nun seien wir auf den Regierungsentwurf zurückgefallen. Herr Kunze, wir waren uns darüber einig, daß das kein vernünftiger Vorschlag war, alle aus ganz verschiedenen Motiven. Den einen war es nicht genug, weil sie sich auch zugunsten der 50 000 noch für das Prinzip der Gerechtigkeit einsetzen wollten. Uns waren die 15 Schadensgruppen zuviel, weil es ein zu umständliches Verfahren ist. Wenn wir Ihnen jetzt vorschlagen, auf den Regierungsentwurf zurückzugehen, dann ist das von uns ein Kompromißangebot, und — ich habe es Ihnen vorhin zugerufen — es wäre vielleicht schön, wenn Sie sich auch darauf zurückziehen könnten. Dann wäre das mindestens noch ein erträgliches Übel. Dann könnte man die Auswirkungen davon noch einigermaßen übersehen, während Sie überhaupt nichts mehr übersehen können, wenn Sie hier, sowohl bei der Anrechnung der erlittenen Kriegsschäden bei erhalten gebliebenem Vermögen wie auch bei der Regulierung von Schäden in Form einer Hauptentschädigung, alle Grenzen fallenlassen. Also, bitte, wollen wir doch die Dinge nicht so darstellen, als wären wir zunächst einer Meinung gewesen und als wären wir zurückgefallen. Wir möchten Ihnen nur entgegenkommen und hoffen, daß sich das hier auszahlt.
Ich habe alles Verständnis dafür, daß man stolz darauf ist, wenn in irgendeinem deutschen Parlament einmal so ein Werk wie das BGB gemacht worden ist. Ich glaube allerdings nicht, daß das eine Entschuldigung dafür ist, daß der Lastenausgleich so lange gedauert hat. Denn die unterschiedliche Bedeutung liegt nicht in der Zahl der Paragraphen, sondern in der Materie, um die es sich handelt; und s o kompliziert ist der Lastenausgleich nun auch wieder nicht wie die Regelung der Fragen, die im BGB geregelt werden, Herr Kollege Kunze.
— Sehr kompliziert, aber doch nicht s o kompliziert, Frau Kollegin Weber! Wir haben es ja immerhin verstanden; und ich glaube nicht, daß jeder das vom BGB für sich in Anspruch nehmen kann.
— Na ja, Sie können vielleicht beides! Mir reicht der Lastenausgleich, muß ich sagen.
Man fordert uns immer wieder auf, nachdem es so lange gedauert hat, es doch mit der Richtigkeit nicht mehr so genau zu nehmen und uns dafür mit der Fixigkeit zu trösten.
Meine Damen und Herren, diese Fixigkeit ist mehr eine Fixigkeit des schlechten Gewissens. Man will die Sache losschaffen, und wir werden über Novellen aus diesem Hause heraus, das ist meine Überzeugung, ganz sicher nicht mehr reden, es sei denn, daß rechtzeitig vor dem nächsten Wahlkampf solche Gesetzentwürfe eingereicht werden, mit denen man dann draußen das sehr üble Spiel der Versprechungen, der Verheißungen und im Grunde doch nur der Täuschungen fortsetzt, das sich durch soundso viel Wahlkämpfe ja schon dahin ausgewirkt hat, daß in die Parlamente Mehrheiten gekommen sind, die für sich nicht in Anspruch nehmen können, auch die Mehrheit der Bevölkerung zu vertreten, sondern die eine Minderheit vertreten.
Deswegen, meine Damen und Herren, mag es zu den Spielregeln der Demokratie zweifellos gehören, daß die Mehrheit — —
— Ja, das sage ich auch: die armen Wähler! Was
die sich so zusammengewählt haben, Herr Schütz!
Davon haben wir ja heute hier wieder einige Kostproben gehabt, wer sich alles darauf berufen kann, gewählt zu werden. Wenn die Leute zugleich auch die Argumente sagen würden, die sie damals vorgetragen haben und auf Grund deren sie gewählt worden sind, und wenn man sie mit ihrem hiesigen Verhalten dann daran messen könnte, dann wäre es vielleicht noch lehrreich für die Wähler.
Ich möchte zu Ende kommen, denn wir werden im Laufe der Debatte ja noch einige Anträge zu begründen haben, und ich möchte nicht alles hier vorwegnehmen. Nur noch soviel:
Herr Kollege Farke, es war gar nicht nötig, daß Sie wie ein Löwe um den Hausrat kämpfen mußten. Die Hausratentschädigung stand schon im Gesetz drin. Ich bin Ihnen nur dankbar, daß Sie nicht widersprochen haben, als meine Freunde den Vorschlag machten, die von der Mehrheit schon gewählte Regelung abzukürzen und ein Verfahren zu wählen, das einer größeren Zahl von Geschädigten einen größeren Haushaltsschadenersatz gibt, als es noch vorher in der zweiten Beratung vorgesehen war. Dafür sind wir dankbar, und das erkennen wir gern an. Wir möchten uns auch in Zukunft, wie gesagt, bemühen, derartige Verbesserungen noch in letzter Minute durchzusetzen.
Eines möchte ich Ihnen noch als Warnung bzw. als Erinnerung sagen: Seien wir nicht zu stolz darauf und berufen wir uns nicht so viel — und vor allen Dingen nicht von allen Seiten — darauf, daß wir nun noch gemeinsam diese Rente geschaffen haben. Wenn es eine Bandaufnahme aus den Ausschußberatungen gäbe, dann würden auf diesem Band mehrere vorkommen, die es ausdrücklich bedauert haben, daß man in Frankfurt damals diese Tatsachen geschaffen hat, von denen man nicht wußte, wie man davon herunterkommen sollte.
Nun, meine Damen und Herren, lassen wir es dabei. Diese Rechtsansprüche sind keine bedauerlichen Tatsachen! Es ist sogar ausgezeichnet, daß wir es gemacht haben. Lassen Sie uns das als ein Stück wirklich guter und unter Beweis gestellter Gesinnung einen Grundsatz auch für die endgültigen Beratungen in diesem Hause sein: Versuchen Sie einmal, daß wir hier aus der gleichen mutigen Bereitschaft zum Schluß mit diesem Gesetz so fertig werden, wie wir in Frankfurt — einige von uns waren ja dabei — gerade in der letzten Lesung damit fertig geworden sind, ohne Rücksicht darauf, daß darüber Freundschaften — politische Freundschaften — in die Brüche gegangen sind, die wahrscheinlich auch sonst nicht sehr viel inneren Wert haben.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die allgemeine Besprechung der dritten Beratung. Mir ist mitgeteilt worden, daß unter den Fraktionen eine Verständigung darüber erzielt worden ist, daß es nicht erwünscht ist, heute noch in die Einzelberatung einzutreten.
Ich darf also vorschlagen, daß wir die Einzelberatung morgen früh beginnen.
Es bleibt mir noch die Aufgabe, mit Rücksicht auf die Vorfälle bei der Eröffnung der Sitzung bekanntzugeben, daß ich Herrn Abgeordneten Renner wegen gröblicher Verletzung der Ordnung für 20 Sitzungstage ausschließe.
Ich habe bekanntzugeben, daß die FDP-Fraktion um 20 Uhr eine Fraktionssitzung abhält.
Ich berufe die 212. Sitzung des Deutschen Bundestags auf Donnerstag, den 15. Mai, 9 Uhr, und schließe die 211. Sitzung des Deutschen Bundestags.