Rede von
Ernst August
Farke
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Erklärung der Regierungsparteien vor Beginn der zweiten Lesung dieses Gesetzes ist darauf hingewiesen worden, daß es schon in dem Augenblick, in dem eine deutsche Instanz dazu in der Lage war, versucht wurde, die Frage eines Lastenausgleichs in der Form des Soforthilfegesetzes zu lösen. Dieser Versuch des Soforthilfegesetzes stellte in seiner Konzeption die absolute Form einer sozialen Hilfe dar. Die Vertriebenen und Kriegssachgeschädigten haben diese Hilfe anerkannt, aber nur als Hilfe. Sie haben diese Hilfe niemals als Lastenausgleich empfunden oder angesehen.
Als wir 1949 in den Bundestag kamen, da war uns die Aufgabe gestellt, gemäß dem wirklichen Inhalt des Begriffes Lastenausgleich dieses reine Hilfesystem in ein Entschädigungssystem fortzuentwickeln. Das war eigentlich die Aufgabe, die wir innerhalb der letzten Jahre bei der Arbeit an dem vorliegenden Entwurf zu erfüllen hatten. Selbstverständlich konnte man dieses Hilfesystem, für das ein Apparat bis unten herangebildet war, nicht mit einem Male in ein Entschädigungssystem umwandeln. Jetzt ist die Frage: wie weit ist es uns gelungen, das bestehende Hilfegesetz gemäß dem wahren Willen der Kriegssachgeschädigten und Vertriebenen zu erweitern und in ein Entschädigungsgesetz umzuwandeln. Das ist die entscheidende Frage vor allen Dingen für meine Fraktion Ich glaube, daß muß aber auch für die Mehrheit des Hauses die entscheidende Frage sein.
Hier muß ich nun feststellen, daß dieses Entschädigungsprinzip nur in einem kleinen Ausmaß zur Durchführung gekommen ist. In weitem Maße — und davon haben wir uns auch überzeugen lassen — mußte im Augenblick noch das Hilfesystem aufrechterhalten werden. Wenn man aber jetzt in den Anträgen, vor allen Dingen der Opposition, dieses Hilfesystem wieder verstärken oder beinahe ganz wieder herbeiführen will — und das ist aus den Anträgen zu sehen; etwas anderes können wir daraus nicht erkennen —, dann müssen wir uns diesen Anträgen entgegenstellen.
Noch ein Zweites ist festzustellen. Ich habe dieses Gesetz als eine Fortentwicklung bezeichnet und damit auch zum Ausdruck gebracht, daß es noch nicht etwas Absolutes darstellt, sondern in Zukunft weiter fortentwickelt werden muß. Man sollte das Wort Novelle darum nicht so glossieren, daß es als lächerlich empfunden wird. Ich glaube kaum, daß irgendein Vertreter hier im Hause, der mitgearbeitet hat, sich anmaßt, er könne hier für 30 Jahre etwas Fertiges und Absolutes schaffen. Es ist für uns selbstverständlich, daß die jetzt vorliegende Fassung im Laufe der nächsten Jahre noch verbessert werden muß.
Kollege Ollenhauer hat erklärt, dieses Gesetz sei ein Grundgesetz dieses Staates. Jawohl, wir sehen es als ein Grundgesetz in seiner vollen Bedeutung. Aber wir folgern daraus, daß es auch den politischen und sittlichen Charakter haben muß, der für uns heute maßgebend ist, der deutsch in westeuropäischer Interpretation sein muß.
Im Mittelpunkt des Lastenausgleichs steht für uns der Eigentumsbegriff, unter dem sowohl die Abgabe- wie die Entschädigungsseite zu sehen ist. Auf der Abgabeseite haben wir darauf zu achten — gerade von diesem Grundgesetz-Prinzip aus —, daß wir das Privateigentum nicht in Gefahr bringen oder gar zerstören. Wir müssen es im Interesse des Ausgleichs heranziehen, dürfen aber nicht darüber hinausgehen und es zerstören. Das wäre nach unserer politischen und geistigen Grundauffassung unverantwortlich.
Aber auch für die Entschädigung muß der Eigentumsbegriff den Ausgangspunkt bilden. Denn das ist es gerade, was die Menschen, die alles verloren haben und sich wurzellos fühlen, nicht verwinden können: daß ihnen dieser Eigentumsbegriff genommen ist, daß sie praktisch größtenteils noch ohne Eigentum dastehen. Wir haben deshalb von ihrem Eigentum auszugehen — denn daran denken sie und davon sprechen sie — und demgemäß aus diesem Eigentumsbegriff die Entschädigung zu entwickeln. Wenn Herr Kollege Kriedemann im Laufe der Debatte einmal sagte, 25 % der Vertriebenen hätten Vermögen im Sinne dieses Begriffes gehabt, so hat er damit recht. Ich habe das auch gesagt. Aber die übrigen 75 % waren deswegen nicht vermögenslos, denn sie besaßen Hausrat, das war ihr Vermögen. Darum haben besonders meine Freunde und ich, aber auch nahezu alle Vertreter im Ausschuß darum gekämpft, daß dieser Vermögensbegriff Geltung für alle bekommt
und daß als Wichtigstes die Hausratentschädigung in dieses Gesetz eingebaut wurde, was ja auch geschehen ist, und, soweit es die Möglichkeiten des Alltags erlauben, auch durchgeführt wird. Ebenso wichtig ist es, das Gesetz unter dem Gesichtspunkt der neuen Eigentumsentwicklung zu sehen. Davon ist freilich bei der jetzigen Struktur des Gesetzes reichlich wenig übriggeblieben.
Meine Fraktion wird dem Gesetz zustimmen, aber nur unter der Voraussetzung, daß an der jetzt herbeigeführten Struktur sowohl auf der Abgabeseite wie auf der Entschädigungsseite durch Annahme von Anträgen nichts Entscheidendes geändert wird.
Wir sind bei der Abgabeseite schon bis an die Grenze des Möglichen gegangen,
und es wird niemand die Verantwortung dafür
übernehmen können, darüber hinauszugehen. Ich
möchte daran erinnern, daß wir die Abgabesätze
im vorigen Jahr festgesetzt haben, als wir uns in
einer Konjunktur des Wirtschaftslebens befanden.
Eine solche Zeit durchleben wir im Augenblick nicht. Es ist aber zu hoffen, daß sie wiederkommt. Es ist das nicht mit Sicherheit anzunehmen. Darum müssen wir, um das Aufkommen nicht zu gefährden, im Interesse der Vertriebenen auf der Abgabeseite außerordentlich vorsichtig zu Werke gehen. Ich glaube feststellen zu müssen, daß wir ohnehin schon weit über das hinausgegangen sind, was wir, wenn wir wirtschaftlich denken, verantworten können.
Dasselbe muß ich auch für die Entschädigungsseite sagen, auch sie muß unter dem Gesichtspunkt des Eigentumsprinzips gesehen werden. Wir werden alles ablehnen, was hier irgendwelche Beschränkungen auferlegen will. Eine soziale Aufgliederung ist bei jeder Materie durchgeführt, auch bei der Hauptentschädigung, wenn wir z. B. die kleinen Vermögen zu 75 % vergüten bzw. 75 % ersetzen. Aber grundsätzlich alles zu negieren, was über den Begriffen „klein" oder „mittel" liegt, ist vom europäischen und vom wirklich deutschen Standpunkt aus einfach unmöglich. Wir werden dem nicht zustimmen, sondern unsere Zustimmung zu dem Gesetz als Ganzem davon abhängig machen, inwieweit es in seiner Struktur eine Änderung erfährt.