Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Vertriebenenminister Lukaschek hat soeben von gewissen Komplimenten und Vorschußlorbeeren gesprochen, die Besucher aus Finnland ihm und damit dem deutschen Volke oder seiner Regierung gemacht hätten. Ich glaube, wir dürfen nicht in den Fehler verfallen, Komplimente für Argumente und für Beweise hinzunehmen. Im Gegenteil, es mag ein wohlgemeinter Ausdruck ihrer Freundschaft oder ihrer freundlichen Gesinnung gewesen sein, aber auch nicht mehr.
Schon schwerer wiegt das Wort, das Herr Minister Lukaschek dann gesagt hat: In Finnland hat man unter dem Eindruck des nationalen Schocks ein Gesetz zuwege gebracht, das uns Bewunderung abringt. Das ist ein gewisser Unterschied gegenüber dem Zustand hier. Der nationale Schock ist längst verklungen, und die Währungsreform liegt jetzt vier Jahre zurück. Ich glaube, das Gesetz, vor allen Dingen das Anliegen des Gesetzes würde bei der Regierung, bei den Regierungsparteien und bei der Opposition auf mehr Verständnis stoßen, wenn man sich noch an die Situation erinnerte, da wir in tage-, nächte-, wochen- und monatelangen pausenlosen Angriffen in Bunkern unter der Erde saßen und alle miteinander nicht wußten, ob man das lebend überstehen würde, ob man am nächsten Tag, ob man in der nächsten Minute noch leben würde. Wenn damals die Frage an einen herangetreten wäre: „Bist du bereit, dein Scherflein für die Augebombten, für die Vertriebenen, für die Opfer dieses Krieges beizusteuern, wenn du selber alles lebend überstehst?", dann würde sicherlich denen, die sich heute gegen die Abgabe so sperren, mancher Entschluß leichter geworden sein.
Aber wir müssen, wenn wir jetzt über die Dinge reden, sie mit den Augen derer betrachten, die das Gesetz trifft. Das sind nicht bloß die Vertriebenen. Viel weniger hat man schon von den Bombengeschädigten gesprochen. Wir müssen aber auch an die Gefühle derer denken, die aufbringen müssen und die doppelt getroffen sind, indem sie erstens selber Schäden erlitten haben und zweitens jetzt außerdem noch Geld aufbringen sollen, und die das — gerade weil sie doppelt getroffen sind —, als eine himmelschreiende Ungerechtigkeit empfinden, und dann wird man weniger mit dem Entwurf und dem bisherigen Gang der Verhandlungen zufrieden sein, als Herr Kollege Schütz und als der Herr Vertriebenenminister es eben zum Ausdruck gebracht haben.
Das einzige, was etwa geeignet ist, uns mit dem Gesetz, wenn noch gewisse Änderungen vorgenommen werden, vielleicht abzufinden, könnte der Gedanke sein, daß es eben erst der Anfang, der erste Versuch ist, und zwar ein schwacher Versuch, worüber wir uns klar sein müssen, der Situation gerecht zu werden, und daß dann weitere folgen müssen. Aber ich weiß nicht, woher die Mehrheit, die das Gesetz bisher getragen hat, den Mut nimmt, zu glauben, daß die bisher überfahrenen Teile dieses Hauses, daß die Opposition mit dem einverstanden sein werde, was hinterher zur Schlußabstimmung vorgelegt werden wird, wenn man — darauf weise ich ausdrücklich hin — so weiter verfährt wie bisher und erklärt: Wesentliche Änderungen an dem, was wir bisher beschlossen haben, lassen wir nicht zu.
Der Lastenausgleich, der uns — ich will nicht sagen, woran es liegt; es ist müßig, darüber zu reden — sozusagen mit reichlicher Ladehemmung und Verspätung jetzt vorgelegt wird, ist das innenpolitische Problem Nummer eins, das seit langen Jahren auf der Bundesrepublik als Hypothek lastet. Aber er ist auch eine internationale Angelegenheit; denn schließlich ist die Vertriebenenfrage in Deutschland — ebenso wie die Vertriebenenfrage in der Welt sonst — eine Angelegenheit, die nicht von Deutschland allein geregelt werden kann. Wenn man sich auf internationalen Konferenzen einmal über die Größenordnungen unterhält, die bezüglich des Vertriebenenproblems in der ganzen Welt eine Rolle spielen, so muß man leider feststellen, daß gerade die Vertreter derjenigen Länder, in denen auch noch Vertriebene zu berücksichtigen sind, über die ungeheuer große Zahl der Vertriebenen in Deutschland überrascht sind. Mit allem Nachdruck in diesem Sinne aufklärend zu wirken, ist daher eine unserer wichtigsten Verpflichtungen in der Außenpolitik und überhaupt in der Vertretung unseres Volkes.
Wir müssen aus der Solidarität der freiheitlichen Länder und Völker die Konsequenz ziehen, daß wir auch ihre Hilfe in Anspruch nehmen, und zwar in doppeltem Sinne, einmal dahin, daß wir das, was wir selber aufzubringen gewillt sind, mit ihrer Hilfe vorfinanzieren, daß wir die Geschädigten nicht 30 Jahre lang auf das Abstottern warten lassen — die 30 Jahre, die wir selber nötig haben, um das Geld aufzubringen —, dann aber auch in dem Sinne, daß wir die Lasten, die wir zu tragen haben, energischer, als das bisher der Fall zu sein scheint, zur Berücksichtigung bei den Verteidigungslasten anmelden. Wir haben ja nicht allzu viel über die Verhandlungen erfahren, und während über die Verhandlungen über die Verträge, den Generalvertrag und den Verteidigungsbeitrag, die
Koalitionsfraktionen in aller Form unterrichtet worden sind, waren wir darauf angewiesen, darüber aus schweizerischen Zeitungen oder durch Mitglieder des französischen Parlaments etwas zu erfahren. Aber das scheint sicher: wenn man inzwischen in der Weltöffentlichkeit gewußt hätte, welche Milliardenlast den deutschen Staat drückt, die bisher nicht näher in Erscheinung getreten ist, dann wäre man sicherlich geneigt gewesen, diese innere Schuld, die, um die Voraussetzungen für den Verteidigungswillen zu schaffen, abgetragen werden muß, mehr zu berücksichtigen, als das bisher der Fall war.
Sehen wir uns einmal die Größenordnung an. Es sollen 2,25 Milliarden im Jahre für den Lastenausgleich aufgebracht werden und 11,25 Milliarden im Jahre für den Verteidigungsbeitrag. Wenn man gegen die in der Nazizeit erlassenen Kriegssachschädenverordnungen heute einwendet: Ja, die kann man nicht ernst nehmen, weil sie den Durchhaltewillen stärken sollten und man deshalb alles mögliche tat, — so muß man doch dabei eines berücksichtigen. Heute stehen wir vor der Frage des Verteidigungswillens. Die Situation ist keineswegs weniger ernst. Wenn man die Trümmer nicht aufräumt und den Geschädigten nicht einmal den guten Willen deutlich zeigt, dann ist doch die große Gefahr, daß angesichts der so schlecht honorierten Opfer an Gut, Blut und Leben nach dem noch in frischester Erinnerung befindlichen letzten Kriege niemand Lust haben wird, den Kopf hinzuhalten. Dann wird jeder sagen: Nach den Erfahrungen der Geschädigten, da zeigt ihr, die Führer der Nation, einmal, daß ihr willens seid, mit dem Verteidigungsbeitrag diesmal selber voranzugehen. Wenn man an uns als Nation appelliert und wenn wir innerhalb der Nation an die Jugend appellieren, einzustehen für die Sicherheit des Westens, dann muß man die Not- und Gefahrengemeinschaft, die man für die Zukunft verlangt, zunächst einmal für die Vergangenheit deutlich zutage treten lassen.
Das oberste Prinzip bei diesem Gesetz sollte das der Gerechtigkeit sein und nicht das der Opportunität und politischen Überlegung. Es ist schon öfter das Wort des Psalmisten zitiert worden, das der Herr Bundespräsident von dieser Stelle aus bei seinem Amtsantritt gesprochen hat, daß die Gerechtigkeit ein Volk erhöht. Ich will lieber den heiligen Augustinus nicht zitieren — weil er oder ich sonst einen Ordnungsruf bekommen könnte —
über den Staat, der sich nicht nach der Gerechtigkeit orientiert.
— Ich hatte gedacht, Sie hätten „Sehr richtig" gerufen, Frau Weber.
Das also ist sicher, daß er als die einzige Rechtfertigung des Zwanges, über den der Staat verfügt, die Gerechtigkeit anerkennt und nichts weiter. Das Prinzip der Gerechtigkeit scheint uns aber gerade bei diesem Entwurf an mehreren Stellen fundamental verletzt. Es ist hier ein Kampf um die einzelnen Bestimmungen dieses Gesetzes entbrannt. Der Bund versucht die Last abzuwälzen, die ihn in erster Linie treffen sollte, der Bund als der Rechtsnachfolger des Deutschen Reichs, j a, als identisch mit dem früheren Reich. Das Reich hat den Schaden verursacht, und das Reich hätte dafür
aufzukommen, infolgedessen in erster Linie der Bund; und wir bemühen uns hier in diesem Hohen Hause, die Lasten des Bundes auf andere abzuwälzen, auf die Länder, auf die Gemeinden — die Gemeinden, die selber sehr stark angeschlagen und mitgenommen sind und kaum wissen, wovon sie ihre Lasten wieder ausgleichen sollen — und damit indirekt wieder auf die Bürger! Wir wälzen es vor allen Dingen immer auf die Bürger ab, durch die besondere Abgabe, die man vorgesehen hat, die Lastenausgleichsabgabe, und die besondere Vermögensteuer. Jawohl, auch wenn der Bund für irgend etwas aufkommen muß, so sind es die Bürger, die das durch Steuern aufzubringen haben. Aber es ist festzustellen, daß man eine besondere Solidarität vom Besitz für den Besitz verlangt. Es läßt sich noch ertragen, wenn man sagt, daß der Besitz den abhanden gekommenen Besitz entschädigen solle. Aber aus dem Lastenausgleichstopf werden nicht bloß die Besitzverluste des Besitzes beglichen, sondern darüber hinaus auch Entschädigungen für immaterielle Güter. Man muß diese Dinge sehr kritisch betrachten. Wir behalten uns vor, bei Einzelheiten darauf zurückzukommen. Ich weise aber darauf hin, daß wir gerade für die Notlage der Gemeinden und der Körperschaften, die nichts als öffentliche Aufgaben haben, in weitestem Maße Verständnis entgegengebracht haben. Ich weise auf den Antrag unserer bayerischen Freunde hin bezüglich der für die dortige Gegend lebenswichtigen Gesellschaften für die Verbindung des Südens des Bundesstaates mit dem Westen, mit dem Rhein, der Neckar-AG., der Rhein-Main-DonauAG. und auf den Schutz des gemeindlichen Vermögens.
Die Ungerechtigkeit, von der ich eben sprach, wirkt sich vor allen Dingen in der Ungleichheit der Behandlung der beiden verschiedenen Kategorien von Geschädigten aus. Es könnte fast den Anschein haben, als sei man bei der ersten Konzeption des Gesetzes, die leider nicht geändert worden ist, bemüht gewesen, diese beiden Gruppen gegeneinander auszuspielen. Es liegt mir völlig fern, bei den Vertriebenen angesichts ihrer Notlage auch nur das Geringste abstreichen zu wollen. Aber soweit es sich um die materiellen Schäden handelt, handelt es sich um Verluste, die gleich zu werten sind. Die Schäden mögen bei dem einen größer, bei dem andern kleiner sein; aber soweit sie festgestellt sind, vertragen sie keine unterschiedliche Behandlung. Die aber ist erfolgt, und zwar in drei Punkten. Zunächst — und ich weise darauf hin, daß damit der Verfassungsgrundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz verletzt worden ist — ist es bei der Hypothekenanrechnung geschehen. Wenn ein Vertriebener — ich habe neulich schon eingehend und nachdrücklichst darauf hingewiesen — seinen Vermögensschaden geltend macht, so wird ihm nur die Hälfte seiner Schulden angerechnet; anders aber bei dem Einheimischen. Ihnen wird die ganze Schuld abgezogen. Ich will mir an dieser Stelle Näheres darüber ersparen; wir kommen später darauf zurück.
Bei einem zweiten Punkt hat man aufs gröblichste gegen diesen Grundsatz der Gleichheit verstoßen, indem man nämlich den Erwerb in der Zeit von 1945 bis zur Währungsreform nicht berücksichtigt hat bei den Vertriebenen, wohl aber berücksichtigt hat bei den Einheimischen. Es ist nicht einzusehen, weswegen der Fleiß der einen belohnt und der der anderen bestraft werden soll. Ich verlange keineswegs, daß man die Vertriebenen schlechter stellt, als der Entwurf es vorsieht. Aber es ist dringend erforderlich, die Einheimischen nicht schlechter zu stellen als die Vertriebenen.
Drittens ist ein Unterschied von großer Tragweite festzustellen hinsichtlich der Behandlung der beiden Kategorien bei der Unterhaltshilfe auf Lebenszeit. Für die Gewährung der Unterhaltshilfe gilt der Tatbestand der Vertreibung als ausreichender Nachweis, ohne Rücksicht darauf, wie groß der Schaden am Vermögen des einzelnen Vertriebenen ist, den er nachweisen kann und den er tatsächlich gehabt hat. Ganz anders bei den Einheimischen. Da wird ein Existenzverlust erst angenommen, wenn er mit dem Verlust eines Vermögens im Werte von 10 000 DM verbunden ist.
Eine weitere Ungerechtigkeit erblicken wir in der bis jetzt vorgesehenen Berücksichtigung der eigenen Schäden; ich habe das eben schon anklingen lassen. Die Geschädigten, die mehr als 100 % ihres Restvermögens verloren haben, die Geschädigten, die das Doppelte und Dreifache ihres Stichtagvermögens verloren haben, müssen selber noch zum Lastenausgleich zahlen. Nicht bloß, daß es ihnen erschwert wird, ihr zerstörtes Vermögen, das doch im allgemeinen entweder die Versorgung für ihr Alter oder die Existenzgrundlage für ihren Beruf darstellte, durch Steuervergünstigungen wieder aufzubauen, sondern man zwingt sie noch selber zu Abgaben, die sie daran hindern, wieder auf die Beine zu kommen. Das halten wir für eine unerträgliche Ungerechtigkeit.
Wenn man sagt, eine weitergehende Berücksichtigung sei nicht möglich — also ein fiskalischer Gesichtspunkt, der mit dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit nicht das geringste zu tun hat —, so muß ich darauf hinweisen, daß bei aller Billigung der Berücksichtigung größerer Vermögen und der Berücksichtigung größerer eigener Schäden, die in die Millionen gehen, die Freistellung der zu 100 % des Restvermögens Geschädigten den Vorrang verdient und daß man dann eher die Milliardenausgaben für die großen Vermögen ersparen muß, als daß man die Doppelbelastung der schon über 100 % Geschädigten hinnehmen darf.
Wir vermissen ferner einen Besserungsschein. Der Bund befindet sich zur Zeit in der Lage eines Gemeinschuldners, der Konkurs gemacht hat und der erklärt, daß er jetzt seine Verhältnisse bezüglich seiner alten Gläubiger endgültig regeln wolle, damit er munter neue Schulden aufnehmen kann. Wir alle hoffen, daß es doch wieder mit unserer Wirtschaft bergauf geht, daß es bergauf geht mit unserem Nationaleinkommen und daß es damit bergauf geht mit der Leistungsfähigkeit. Dazu wird es schon einfach deswegen kommen, weil die sozialen Folgelasten des Krieges, die direkten wie die indirekten, weil auch die besonderen Aufgaben des Wiederaufbaus unseres Landes von Jahr zu Jahr weniger werden und damit steigend Verbesserungen unserer Staatsleistung möglich werden, die dem Lastenausgleichsfonds zugeführt werden müssen. Das ist durchaus möglich, ohne daß die Bürger dadurch in ihrer Steuerkraft mehr als bisher bedrückt werden müssen. Ein Schuldner, der eine ungünstige Situation benutzen will, um abzustoßen, was er an Verbindlichkeiten hat, kann nicht Anspruch darauf erheben, als ein getreuer Schuldner angesehen zu werden. Das schadet unserem Kredit im Auslande und nutzt ihm nichts. Ich erinnere auch hier an das Beispiel des finnischen Volkes, das in der ganzen Welt wegen der
Treue seiner Vertragserfüllung, wegen des getreuen Einstehens für seine Verbindlichkeiten den denkbar größten Kredit genießt.
Ich will es mir versagen, alle in der zweiten Lesung gestellten Anträge an dieser Stelle und an diesem Ort noch einmal zu wiederholen.