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ID0121103900

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag — 211. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Mai 1952 9255 211. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 14. Mai 1952 Geschäftliche Mitteilungen . . . . 9256B, 9262C Eintritt des Abg. Moosdorf in den Bundestag 9256C Begrüßung des Abg. Bazille nach seiner Genesung 9256C Austritt des Abg. Wittmann aus der Fraktion der DP/DPB 9256C Einspruch des Abg. Loritz gegen den ihm in der 210. Sitzung erteilten Ordnungsruf (Umdruck Nr. 520) 9256C, 9258B Beschlußfassung 9258C Ausscheiden des Abg. Dr. Schäfer aus der deutschen Delegation zur Beratenden Versammlung des Europarats und Zuwahl des Abg. Dr. Freiherrn von Rechenberg 9256D, 9262C Beschlußfassung des Deutschen Bundesrats zum Gesetz zur Änderung des Zollgesetzes und der Verbrauchsteuergesetze 9256D Gesetz über die Aufhebung einiger Polizeiverordnungen auf dem Gebiet des Verkehrs mit Arzneimitteln 9256D Gesetz über die Inanspruchnahme eines Teils der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer durch den Bund im Rechnungsjahr 1952 9257A Bericht des Bundesministers der Justiz über die Angelegenheit des tschechoslowakischen Staatsangehörigen Frantisek Kroupa (Nr. 3368 der Drucksachen) 9257A Bericht des Bundeskanzlers über den Ausbau der Bundesstraßen 51 und 54 (Nr. 3357 der Drucksachen) 9257A Bericht des Bundeskanzlers über das Freiburger Flugplatzprojekt (Nr. 3358 der Drucksachen) 9257A Zwischenbericht des Bundeskanzlers über die Tätigkeit von Deutschen bei den Besatzungsmächten (Nr. 3359 der Drucksachen) 9257A Ergänzende Stellungnahme des Bundesministers für Arbeit zur Anfrage Nr. 231 der Fraktion der SPD betr. Möglichkeiten der Einberufung einer europäischen Regionalkonferenz der Internationalen Arbeitsorganisation (Nrn. 2826, 2895, 3046, 3366 der Drucksachen) 9257A Kleine Anfrage Nr. 260 der Fraktion der CDU/CSU betr. Maßnahmen gegen Besatzungsnotstände in Bad Oeynhausen (Nrn. 3299, 3367 der Drucksachen) . . . . 9257B Kleine Anfrage Nr. 263 der Abg. Dr. Dr. Nöll von der Nahmer u. Gen. betr. Wertpapierbereinigung (Nrn. 3309, 3361 der Drucksachen) 9257B Zur Tagesordnung 9257B Antrag der Gruppe der KPD auf Aufsetzung eines Antrags auf Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses betr. Überprüfung der Vorgänge in Essen am 11. Mai 1952 auf die Tagesordnung . 9257C Renner (KPD) 9257C Unterbrechung der Sitzung . . . 9258B Widerspruch gegen Aufsetzung 9258B Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Aufnahme eines Kredits durch den Bund im Rahmen der von den Vereinigten Staaten gewährten Wirtschaftshilfe (Nr. 3333 der Drucksachen); Mündlicher Bericht des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten (7. Ausschuß) (Nr. 3345 der Drucksachen) 9258C Dr. Semler (CSU), Berichterstatter . 9258C Wehner (SPD) ' 9259C Abstimmungen 9259C, 9260A Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP, DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über die einstweilige Gewährung einer Teuerungszulage zur Abgeltung von Preiserhöhungen bei Grundnahrungsmitteln (Teuerungszulagengesetz) (Teuerungszulagenänderungsgesetz — TZAndG —) (Nr. 3217 der Drucksachen); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik (21. Ausschuß) (Nr. 3337 der Drucksachen) 9260A Meyer (Hagen) (SPD), Berichterstatter 9260B Abstimmungen 9261B Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität (3. Ausschuß) betr. Änderung der Gemeinsamen Geschäftsordnung des Bundestages und des Bundesrates für den Ausschuß nach Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) (Nr. 3354 der Drucksachen) 9261C Ritzel (SPD), Berichterstatter . . . 9261C Beschlußfassung 9262B Unterbrechung der Sitzung . . . 9262C Dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über einen Allgemeinen Lastenausgleich (Nr. 1800, z u 1800, 3300, z u 3300 der Drucksachen, Umdruck Nr. 490); Zusammenstellung der Beschlüsse in zweiter Beratung (Umdruck Nr. 515; Änderungsanträge Umdrucke Nrn. 516 bis 519, 521 bis 534) 9262D Zur Geschäftsordnung: Schütz (CSU) 9262D Unterbrechungen der Sitzung . . 9262D Allgemeine Beratung: Ollenhauer (SPD) 9263A Kriedemann (SPD) 9265D, 9292B Kunze (SPD) 9269A Schütz (CSU) .9271B Dr. Kather (CDU) 9273D Dr. Keller (Fraktionslos) 9275D Rische (KPD) 9277C Dr. Atzenroth (FDP) 9280A Dr. Dr. Nöll von der Nahmer (FDP) 9281A Dr. Lukaschek, Bundesminister für Vertriebene 9283A von Thadden (Fraktionslos) 9284C Dr. Reismann (FU) 9285D Loritz (Fraktionslos) 9288C Farke (DP) 9290B Dr. Ott (DP-Gast) 9291B Weiterberatung vertagt 9292C Ausschluß des Abg. Renner für 20 Sitzungstage 9292C Nächste Sitzung 9292D Die Sitzung wird um 9 Uhr 5 Minuten durch den Präsidenten Dr. Ehlers eröffnet.
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    Rede von Erich Ollenhauer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir stehen vor der entscheidenden und abschließenden dritten Lesung des Gesetzes über einen allgemeinen Lastenausgleich. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion will daher noch einmal ihren Standpunkt zu der Frage des Lastenausgleichs und zu dem jetzt hier zur Beratung stehenden Gesetzentwurf kurz darstellen.
    Die Regelung des Lastenausgleichs ist nach unserer Auffassung die Bewährungsprobe der neuen deutschen Demokratie.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Vor sieben Jahren standen wir vor der größten nationalen Katastrophe unseres Volkes seit Jahrhunderten. Der Wahnwitz des totalen Krieges der nationalsozialstischen Gewalthaber führte zu einem totalen Zusammenbruch. Die bedingungslose Kapitulation raubte dem deutschen Volke alle Möglichkeiten der Entscheidung über sein inneres und äußeres Schicksal. Eine der schwerwiegendsten Folgen dieser Ereignisse war die völlige Umwälzung unserer inneren sozialen Ordnung. Sie brachte über viele Millionen Deutsche unsagbares Elend. Als Vertriebene, Ausgebombte, Kriegssachgeschädigte, Evakuierte, Kriegsopfer, Kriegshinterbliebene und Kriegsgefangene fiel auf sie durch den Verlust ihrer Existenz, ihrer Gesundheit, ihrer Wohnung, ihrer Arbeitsmöglichkeiten die volle Last einer Not, die die Geschichte dem ganzen deutschen Volke als Gesamtschicksal auferlegt hat. Seit den Maitagen 1945 mußte jedem verantwortungsbewußten Deutschen klar sein, daß die Neugestaltung unseres nationalen und staatlichen Lebens ohne eine umfassende, sozial gerechte Verteilung der Lasten des verlorenen Krieges auf alle Teile des deutschen Volkes auf die Dauer scheitern muß. Das um so mehr, als jede demokratische Ordnung in unserer Zeit damit steht und fällt, daß sie ihren Bürgern nicht nur die Rechte der persönlichen und politischen Freiheit sichert, sondern ihnen auch ein Minimum von sozialer Sicherheit garantiert.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir waren in den ersten Jahren der Besatzung in der Gestaltung unserer inneren Angelegenheiten nicht frei, und das Besatzungsregime hat in dieser entscheidenden Zeit die ihm zugemuteten politisch-pädagogischen Aufgaben in der Richtung einer demokratischen und sozialen Erneuerung in Deutschland in keiner Weise erfüllt. Aber seit 1947, seit der Bildung des Vereinigten Wirtschaftsgebiets beginnt unsere klare eigene Verantwortung. Wir sind ihr nicht gerecht geworden; im Gegenteil: in dieser Zeit begann die Politik der sogenannten sozialen Marktwirtschaft, die in Wirklichkeit die Politik der Besitzerhaltung und der
    Besitzvermehrung des deutschen Großbesitzes ist.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Was im Frankfurter Wirtschaftsrat zunächst zögernd und schrittweise begonnen wurde, das ist in der Bundesrepublik seit 1949 von der Mehrheit dieses Hauses konsequent und rücksichtslos fortgesetzt und vollendet worden.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Seit 1949 hat sich in der Bundesrepublik ein umgekehrter Lastenausgleich vollzogen.

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)

    Es ist nichts Entscheidendes geschehen, um den sozialen Erdrutsch des Jahres 1945, der Millionen von deutschen Menschen zu erdrücken sucht, zu beseitigen; aber auf der andern Seite wurden Besitz und Vermögen einer kleinen Minderheit unseres Volkes in empörender Weise und ohne jedes soziale Empfinden gestützt und gestärkt. Das alles geschah planmäßig und bewußt. Das ganze System der Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik der Regierungsmehrheit diente diesem Zweck. Das Resultat dieser Politik ist, daß es heute in keinem der kriegführenden Länder in Westeuropa einen so aufreizenden Gegensatz zwischen größtem Luxus und erbarmungswürdiger Armut gibt wie hier in der Bundesrepublik.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD. — Zurufe in der Mitte und rechts.)

    Das jetzt zur Entscheidung stehende Gesetz, meine Damen und Herren, ist nur dem Namen nach ein Lastenausgleichsgesetz. Es ist in Wirklichkeit die Krönung dieser Politik der Bevorzugung des großen Privatbesitzes.

    (Sehr wahr! Sehr richtig! bei der SPD.)

    Da, wo eine nationale Aufgabe von lebenswichtiger Bedeutung zu lösen war, hat man Interessen entscheiden lassen,

    (Beifall bei der SPD)

    und zwar die Interessen derjenigen, die im Falle eines echten und effektiven Lastenausgleichs Opfer aus der Substanz hätten bringen müssen.

    (Zuruf rechts: Aha!)

    Es ist eine bemerkenswerte Tatsache selbst in diesem Bundestag, daß die Mehrheit dieses Hauses in der Vertretung der Besitzinteressen noch über den ursprünglichen Gesetzentwurf ihrer eigenen Regierung hinausgegangen ist.

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)

    Die Mehrheit dieses Hauses hat den Schutz des großen Besitzes nicht nur bei der Aufbringung der Mittel betrieben; sie hat darüber hinaus noch durchgesetzt, daß auch die Leistungen aus dem Lastenausgleich unter Vernachlässigung der sozialen Notwendigkeiten nach dem früheren Vermögensstand über 150 000 RM hinaus bestimmt werden sollen.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Wir Sozialdemokraten sind dafür, daß nach Erfüllung der unerläßlichen sozialen Leistungen bei der endgültigen Regelung der Ansprüche aus diesem Gesetz auch frühere Vermögensverhältnisse berücksichtigt werden sollen. Aber wenn wir nicht von vornherein den sozialen Lastenausgleich für die große Masse derjenigen, für die die Wiederherstellung eines menschenwürdigen Daseins von einem solchen Lastenausgleich abhängt, unmöglich


    (Ollenhauer)

    machen wollen, dann muß bei der Anrechnung des früheren Vermögens eine Grenze gesetzt werden. Man kann nicht für 50 000 Vertriebene eine Milliarde Mark reservieren, die dann für die sozialen Leistungen an die erdrückende Mehrheit der Flüchtlinge fehlen.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Eine weitere Illustration der reinen Besitzinteressenpolitik der Mehrheit dieses Hauses ist die von ihr so hartnäckig geforderte und durchgesetzte Heranziehung des Vermögens der öffentlichen Hand. Hier offenbart sich von neuem der prinzipielle Unterschied zwischen der Sozialdemokratie und der Regierungsmehrheit in dieser Frage.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Für uns ist der Lastenausgleich eine Regelung, die einen gerechten Ausgleich zwischen den Vermögens- und Lebensverhältnissen aller Bürger der Bundesrepublik anstrebt. Die Regierungsmehrheit weigert sich, einen solchen echten Ausgleich, der natürlich nicht ohne Eingriffe in die Substanz möglich ist, zu vollziehen.

    (Widerspruch bei den Regierungsparteien.)

    Da sie aber den Schein einer Politik der sozialen Gerechtigkeit gegenüber den Geschädigten wahren möchte, läßt sie die Geschädigten durch die Belastung der öffentlichen Hand ihren Lastenausgleich mit bezahlen.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Wir können Sie in diesem Hause nicht hindern, einen solchen Lastenausgleich durchzusetzen; aber Sie können uns auch nicht hindern, den Geist, der Sie dabei bestimmt, vor dem ganzen deutschen Volk aufzuzeigen.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Es hilft Ihnen auch nichts, wenn Sie den Flüchtlingsvertretern in Ihren Reihen das Recht zugestehen, hier im Plenum von Ihrer Haltung abweichende Anträge zu vertreten, die Sie dann bei der Abstimmung niederstimmen.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Hier kommt es nicht auf die Musik an; hier entscheiden die Handlungen!

    (Erneuter Beifall bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren von der Mehrheit in diesem Hause, Ihr Verhalten in der zweiten Lesung dieses Gesetzes war nicht nur für die Vertriebenen und Geschädigten, sondern für das ganze deutsche Volk ein sehr eindrucksvoller Anschauungsunterricht.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Wir werden Ihnen in der dritten Lesung Gelegenheit geben, entweder dieses Versagen gegenüber einem der großen sozialen Anliegen unseres Volkes zu korrigieren oder es noch einmal zu unterstreichen.
    Das Lastenausgleichsgesetz ist neben den großen außenpolitischen Entscheidungen, vor denen wir demnächst hier stehen werden, von zentraler Bedeutung für Geist und Inhalt unserer Demokratie. Es gehört zu den Grundgesetzen unseres neuen staatlichen Daseins. Das Grundgesetz, unsere Verfassung, ist unter Bedingungen zustande gekommen, unter denen seine demokratischen Bekenntnisse und Grundsätze nicht von vornherein als Ausdruck unseres eigenen Willens und unserer staatlichen Wirklichkeit empfunden werden konnten. Es war eine der entscheidenden Aufgaben dieses ersten Bundestages, diese Schwäche unserer Demokratie zu überwinden.

    (Abg. Dr. Becker Es hätte geschehen müssen durch einen gesetzgeberischen Akt, der, allein aus unserem freien Willen geboren, den Menschen in Deutschland und in der Welt die Überzeugung gegeben hätte, daß hier ein neuer Beginn in der Geschichte eines Volkes ist, das durch Irrungen und Wirrungen, durch Fehler und Schuld sich selbst und andere Völker in große Not gestürzt hat. Dieser gesetzgeberische Akt mußte die Bereinigung der Erbschaft des Hitlerregimes und des zweiten Weltkriegs in unserem eigenen Hause sein. Hier hätte sich der neue Geist aus menschlichen und aus politischen Gründen offenbaren müssen. In diesem Sinn ist das Lastenausgleichsgesetz ein zweites Grundgesetz. Viele Millionen von Deutschen werden nach seinem Inhalt Wert und Ernstheftigkeit der Grundgedanken unserer Verfassung einschätzen. In dem vorliegenden Entwurf ist nicht ein Hauch von dem Begreifen dieser besonderen Bedeutung des Gesetzes zu spüren. (Zuruf von der CDU: Das ist ein bißchen übertrieben!)


    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Es geht hier nicht um ein soziales Gesetz wie in hundert anderen Fällen, in denen Leistungen und Verpflichtungen peinlichst genau gegeneinander abgewogen werden. Es ist das Gesetz der Liquidierung unserer inneren Kriegsschuld gegenüber Millionen unserer eigenen Volksgenossen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Diese Liquidierung erfolgt durch dieses Gesetz nicht. Sie wird im Grunde verweigert. Das ist ein nationales Unglück der deutschen Demokratie.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren von der Mehrheit dieses Hauses, täuschen Sie sich nicht!

    (Zuruf rechts: Sie aber auch nicht!)

    Sie können die menschliche und soziale Liquidierung der Katastrophe des Jahres 1945 vertagen, Sie können ihr ausweichen wie mit diesem Gesetz; aber Sie entgehen ihr nicht.

    (Beifall bei der SPD. — Erneuter Zuruf rechts: Sie auch nicht!)

    Verweigern Sie sich heute, dann kommt morgen oder übermorgen das Problem erneut auf uns zu. Dann aber erscheint es nicht mehr als die Erbschaft des Vergangenen, dann erscheint es als Anklage gegen das demokratische Dasein unseres Volkes,

    (Sehr gut! bei der SPD)

    dessen Existenz heute die Frage von Leben und Tod für das ganze deutsche Volk ist.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD. — Zurufe von den Regierungsparteien.)

    Man spricht heute so viel von der Notwendigkeit der Verteidigung der Demokratie.

    (Zuruf von der Mitte: Allerdings!)

    Wir werden die eigentliche Wehrdebatte später und gründlicher haben.

    (Zurufe von der Mitte und rechts. — Abg. Rische: Lieber nicht!)

    Unsere Haltung in dieser Frage ist bekannt; aber
    im Zusammenhang mit dieser Debatte ist die Feststellung wichtig, daß die. erste Voraussetzung für


    (Ollenhauer)

    die erfolgreiche Verteidigung einer Demokratie der Verteidigungswille eines Volkes ist.

    (Sehr gut! bei der SPD. — Sehr richtig! in der Mitte.)

    Dieser Verteidigungswille wird nicht entwickelt durch Ansprachen und Beschwörungen, sondern — —

    (Lebhafte Zustimmung, Händeklatschen und Lachen bei den Regierungsparteien.)

    — Ich verstehe, daß es Ihnen peinlich ist; ich würde Ihnen aber empfehlen, auch den zweiten Teil dieses Satzes anzuhören.

    (Zurufe von den Regierungsparteien. — Gegenrufe von der SPD.)

    Er wird nicht entwickelt durch Ansprachen und Beschwörungen,

    (erneute Zurufe von den Regierungsparteien) sondern durch die Realitäten des Alltags.


    (Lebhafter Beifall bei der SPD. — Händeklatschen bei den Regierungsparteien.)

    Die Menschen müssen aus ihrer täglichen und persönlichen Erfahrung wissen, daß es einen Sinn hat, die Demokratie als eine gerechtere und menschlichere Form des Zusammenlebens in einem Gemeinwesen zu verteidigen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Das Entscheidende in unserer heutigen Situation ist, daß es die Ärmsten und die durch den Krieg am meisten Geschlagenen wissen müssen. In keinem Land in Westeuropa gilt das mehr als in der Bundesrepublik Deutschland. Für unser Volk ist der Aufbau einer gerechten sozialen Ordnung die erste Voraussetzung für die Erhaltung und Sicherung der Demokratie.
    Meine Damen und Herren, am Beginn der Debatte über dieses Gesetz in der vorigen Woche hätte gerade in diesem Augenblick eine Erklärung des Bundeskanzlers stehen müssen,

    (Zuruf rechts: War doch krank!)

    daß die notwendigen Leistungen für einen sozialen Lastenausgleich in der Bundesrepublik in den Verhandlungen über die Verteidigung von Freiheit und Demokratie in Europa im deutschen und europäischen Interesse als Verteidigungsbeitrag voll anerkannt worden seien.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Wir haben diese Erklärung des Bundeskanzlers nicht gehört, wir haben ihn nicht einmal hier gesehen.

    (Lebhafte Zurufe von der Mitte und rechts: Er war doch krank!)

    Auch das ist ein Symptom.

    (Lebhafter Widerspruch bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der Mitte: Das ist aber sehr billig!)

    Auch das ist ein Symptom,

    (Zuruf von der Mitte: Schumacher?! — weitere Zurufe von den Regierungsparteien)

    ein bezeichnendes und schmerzliches Symptom zugleich.

    (Zurufe von den Regierungsparteien: Wo ist denn der Herr Schumacher?)

    — Meine Damen und Herren, der ist jedenfalls nicht in den Verhandlungen mit den Hohen Kommissaren.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD. — Zurufe von den Regierungsparteien. — Bewegung. — Bundeskanzler Dr. Adenauer betritt den Saal und begibt sich zu seinem Platz auf der Regierungsbank. — Langanhaltender lebhafter Beifall der Regierungsparteien.)

    — Meine Damen und Herren, Ihr freudiger Beifall über das Erscheinen des Herrn Bundeskanzlers beweist, wie berechtigt meine Kritik über seine bisherige Abwesenheit gewesen ist.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Kunze: Pfui! — Weitere Zurufe von den Regierungsparteien: Völlig daneben! — Wir haben schon Besseres gehört! — Lachen in der Mitte.)

    Die Mehrheit dieses Hauses hat es jetzt noch in der Hand, ihr Verantwortungsbewußtsein gegenüber dem Ganzen unter Beweis zu stellen. Wenn Sie auch in der dritten Lesung alle unsere Anträge ablehnen, wenn Sie den Gesetzentwurf in der jetzt vorliegenden Fassung annehmen, dann haben Sie nach unserer Auffassung gegenüber der gegebenen geschichtlichen Situation versagt, versagt vor allem gegenüber dem einfachen und un-diskutablen Grundsatz der nationalen Solidarität in Zeiten gemeinsamer nationaler Not.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Wuermeling: Das müssen Sie sagen!)

    Sie können uns hier überstimmen; aber wir bleiben an der Seite der Vertriebenen und der anderen Opfer des Krieges!

    (Beifall bei der SPD. — Oho-Rufe und Lachen bei den Regierungsparteien.)

    Wir werden immer für ihre Sache kämpfen, (anhaltende Zurufe von den Regierungsparteien — Zuruf von der Mitte: Das
    haben wir gemerkt!)
    weil es ein Gebot der Menschlichkeit und der sozialen Gerechtigkeit ist.

    (Erneuter Beifall bei der SPD.)

    Wir werden aber auch für sie kämpfen, weil nach unserer Überzeugung die großen demokratischen Ideen unseres Grundgesetzes nur dann Blut und Inhalt bekommen werden,

    (Lachen bei den Regierungsparteien — Zurufe: „Blut und Boden"?!)

    wenn wir durch die Tat beweisen, daß es in der neuen deutschen Demokratie auch eine neue echte Solidarität des ganzen deutschen Volkes gibt.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD.)



Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Kriedemann.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Herbert Kriedemann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie haben soeben in ernsten und gewichtigen Worten gehört,

    (Zuruf von der FDP: Anpöbeleien!)

    in welchen großen Zusammenhang wir den Lastenausgleich hineingestellt sehen, welche zentrale Bedeutung wir ihm zuerkennen.

    (Abg. Dr. Wuermeling: Wir auch! — Weitere Zurufe von der Mitte.)

    Meine Damen und Herren, die ernste Arbeit im Ausschuß, auf die wir uns berufen können, schützt uns gegen den Vorwurf, hier bloß große Worte als Ersatz für Taten zu gebrauchen. Wir haben nämlich über der grundsätzlichen Bedeutung niemals die praktischen Einzelheiten vergessen, auf die es schließlich hier ankommt und deren vernünftige Regelung im Gesetz zum Schluß die großen Worte rechtfertigt.


    (Kriedemann)

    Nachdem wir uns in jahrelanger Arbeit mit dem Problem vertraut gemacht hatten, war es uns leicht, die Tatsachen und die Notwendigkeiten schon zu einer Zeit sprechen zu lassen, in der andere in diesem Hause noch an ihren Wünschen klebten und nicht wußten, wie sie diese Wünsche nun mit einem Gesetzentwurf in Einklang bringen konnten. Ich spreche wahrlich niemandem das ernste und ehrliche Bemühen ab, wenn ich sage, daß sich Mehrheit und Minderheit im Ausschuß in allen entscheidenden Fragen als Vertreter sehr verschiedener Standpunkte und Interessen gegenüberstanden. Ich habe den Eindruck, meine Damen und Herren, daß auf Ihrer Seite die Ausschuß- arbeit vielleicht zu sehr oder zu lange denjenigen überlassen wurde, die sich als Sachverständige oder als Interessenvertreter fühlten, weil sie so oft über den Lastenausgleich geredet hatten oder so besonders genau über die vielen Wünsche unterrichtet waren, die sich mit diesem Problem entwickelt haben. Mir scheint, daß darunter die allgemein politischen, aber auch die allgemein wirtschaftspolitischen Gesichtspunkte sehr erheblich gelitten haben; denn es geht hier eben nicht um die Erfüllung von Wünschen, um das Einlösen von Versprechungen ohne jede reale Basis, sondern es geht auch hier — und vielleicht nirgendwo so sehr wie hier — um eine politische Entscheidung.

    (Zuruf rechts: Und um die Möglichkeit!)

    Meine Damen und Herren, gerade aus der letzten Überlegung werden Sie begreifen, daß wir die dritte Lesung benutzen, um Ihnen noch einmal unsere entscheidenden Anträge zur Abstimmung vorzulegen, werden Sie begreifen, daß wir an das Plenum appellieren, nachdem wir uns im Ausschuß einer — entschuldigen Sie das — oft unbelehrbaren Mehrheit gegenüber gesehen haben,

    (Lachen bei den Regierungsparteien)

    einer Mehrheit, von der wir nicht glauben, daß es ihr an Einsicht gefehlt hat, wohl aber an Beweglichkeit und Entscheidungsfreiheit.

    (Zuruf von der Mitte: Auch bei Ihnen!) Dem Plenum wollen wir die letzte Entscheidung in dieser Frage überlassen, und hier wollen wir, gerade weil wir im Lastenausgleich sehr viel mehr sehen als bloß so ein Gesetz, das nun endlich auch einmal erledigt werden muß, die letzten Chancen wahrnehmen, um zu einer Entscheidung zu kommen, die für uns alle tragbar ist.

    Das, um was es wirklich geht, ist durch viele Monate hindurch hinter Schlagworten und Prinzipienerklärungen versteckt geblieben, mindestens für den Außenstehenden. Man kann einem erheblichen Teil derjenigen, die hier über den Lastenausgleich geredet haben, den Vorwurf nicht ersparen, daß sie dieses Versteckspielen über Gebühr hinausgezogen und zu einer Zeit noch mit Redensarten und leeren Versprechungen gearbeitet haben, als sie auf Grund der Beratungen und an Hand der uns zur Verfügung stehenden Unterlagen schon wissen mußten, daß sie da etwas Unerreichbares, etwas Unreales und in vielen Fällen sogar etwas Unreelles wollten.

    (Abg. Dr. Wuermeling: Beweisen! — Abg. Schütz: Unreell?!)

    — Ja, natürlich, wird alles noch kommen, gewiß doch!
    Man hat den Leuten einzureden versucht, daß es hier um große weltanschauliche Gegensätze ginge. Man hat vorn kollektivistischen Lastenausgleich gesprochen und ihm die sehr viel vornehmere
    Form des individuellen Lastenausgleichs gegenübergestellt. Man hat unseren Vorstellungen — mit dem Ausdruck sozialer Lastenausgleich von uns selbst gekennzeichnet — den quotalen Lastenausgleich gegenübergestellt, der zugleich auch ein Lastenausgleich der Gerechtigkeit zu sein für sich in Anspruch genommen hat, wie j a überhaupt die Begriffe Recht und Gerechtigkeit in diesem Zusammenhang ganz besonders strapaziert worden sind, — bis zur Karikatur hin zur Begründung eines Antrags, mit dessen Annahme für fünfzigtausend aus dem Millionenheer der Geschädigten rund eine Milliarde an Entschädigung und an Zinsen gesichert worden ist.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Wir, meine Damen und Herren, haben nach dieser Sorte von Gerechtigkeit nie gesucht. Es kam uns auf die Gerechtigkeit an, die ein Volk erhöht, und nicht auf eine Gerechtigkeit, die einige wenige Leute zufriedenstellt und die man viel besser mit Rechthaberei bezeichnet.

    (Beifall bei der SPD.)

    Für uns war der Lastenausgleich — der soziale Lastenausgleich — kein starres Prinzip. Wir stellten das bei aller Eindeutigkeit, mit der wir unseren Standpunkt umschrieben, unter Beweis, als wir dem Vorschlag zustimmten, auf die sogenannte Sockelrente nun eine quotale Spitze aufzusetzen. Es kam uns in erster Linie darauf an, all denen, die zu alt oder zu krank sind, um noch einmal von vorne anfangen zu können, das Minimum an Lebenssicherheit zu geben, das sie mit der Vertreibung oder mit der Ausbombung verloren haben. Wir konnten nicht anerkennen, daß dieses Minimum unter ganz anderen Gesichtspunkten bemessen werden sollte, unter den Gesichtspunkten, die z. B. dem, Entwurf der Bundesregierung zugrunde lagen, wo ja — das wurde in der zweiten Lesung mehrfach dargestellt — auf der letzten Seite mit einer durch nichts zu übertreffenden Deutlichkeit klargemacht wurde, was quo-taler Lastenausgleich heißt, wo das, was heute jeder bekommt, weil es eben das Existenzminimum ist, nur noch derjenige erhalten sollte, der zu den Begüterten der oberen Kategorie gehörte, nur noch derjenige, der über 150 000 Mark Vermögen verloren hatte. Unser Anliegen ist schließlich nach heftigen Auseinandersetzungen im Ausschuß von der Mehrheit akzeptiert worden, wobei es mir völlig egal ist, ob das aus spät gewachsener Einsicht oder aus der Erkenntnis der Unmöglichkeit, diesen Regierungsentwurf in der Öffentlichkeit zu vertreten, geschehen ist. Als wir für alle alten und arbeitsunfähigen Geschädigten diese Mindestrente wieder gesichert hatten, haben wir ohne weiteres zugestimmt, daß bei denen, die ein größeres Vermögen verloren haben, eine quotale Spitze aufgestockt werden konnte.
    Ebenso haben wir niemals der Hauptentschädigung im Prinzip widersprochen. Die Behauptung, daß in unseren Forderungen nach dem unbedingten Vorrang der sogenannten sozialen Leistungen ein Beweis für unsere grundsätzliche Gegnerschaft gegen das Eigentum zu erkennen sei, haben wir niemals anders bewertet als eine Agitationsrede irgendwelcher Leute, denen zur Verteidiung ihrer eigenen Standpunkte Gescheiteres nicht einfällt.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir haben immer nur eine Tatsache nicht übersehen, eine Tatsache, die sonst leider sehr weitgehend übersehen worden ist, daß es nämlich unter den Geschädigten aller Kategorien einschließlich


    (Kriedemann)

    der Vertriebenen nun einmal eine sehr große Mehrheit gibt, die Vermögen im eigentlichen Sinne nicht verloren hat und der deshalb mit den Rechtsansprüchen nicht geholfen werden kann, auf denen diejenigen so nachdrücklich herumreiten, die Vermögen verloren haben und die glauben, daß das Recht um so größer ist, je größer einmal das Vermögen war.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Wir wollen nur keinen Rechtsanspruch anerkennen, der mit seinen Folgewirkungen notwendigerweise die Rechte kränkt, die mit jedem Menschen neu geboren werden.
    Lassen Sie mich an einem Beispiel klarmachen, auf was es mir hier ankommt, am Beispiel der. Renten, am Beispiel der Hilfe, die der Lastenausgleich auf Grund unseres Antrags entgegen den Bestimmungen des Regierungsentwurfs nun für alle Alten und Kranken vorsieht, am Beispiel dieser Sockelrente. Als das damals beschlossen wurde, hat man daraus die Konsequenz gezogen, die dadurch gegenüber der Bilanz des Regierungsentwurfs entstehenden Mehrkosten aus öffentlichen Mitteln einzukassieren. Man motivierte diese Abwälzung des Lastenausgleichs auf die Steuerzahler mit der Notwendigkeit, endlich einmal die Grundsätze des Fürsorgerechts wiederherzustellen, die mit der Einrichtung dieser Rente durch das Soforthilfegesetz verlassen worden seien.
    Meine Damen und Herren, als wir in Frankfurt das Soforthilfegesetz berieten, kam keiner auf die Idee, daß wir hier dem Bund — pardon, den gab es damals noch gar nicht —, den Ländern oder den Gemeinden irgendwelche Gelder ersparen wollten.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Wir haben es damals in den Mittelpunkt und sogar an den Anfang unserer Beratungen gestellt, zunächst einmal denen mit einem Rechtsanspruch zu helfen, die auf den Fürsorgeämtern herumsaßen, auf Wohlfahrtsunterstützung angewiesen waren und durch keine andere Ursache in diese trostlose Lage gekommen waren als durch die Vertreibung aus ihrer Heimat.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Es war damals keine Rede davon, die Gemeinden zu entlasten. Es ging uns allen damals nur darum, diese Menschen von dem seelischen Druck zu entlasten, dem sie dadurch ausgesetzt waren, daß sie sich auf diese Weise am Leben zu erhalten versuchen mußten.
    Wenn nun hier von einem Sprecher der Koalitionsparteien unter ausdrücklichem Bezug auf diese Rente gesagt worden ist, daß es in diesem Gesetz überhaupt schon übertriebene soziale Leistungen gebe — und das kann j a doch nur auf dieses kleine Restchen von sozialem Lastenausgleich gemünzt sein, das den alten Leuten zugute kommt —, dann, meine Damen und Herren — das ist nicht nur eine Frage der Weltanschauung oder eine Frage der Grundsätze, sondern eine Frage der innersten menschlichen Gesinnung —, ist das eine Gesinnung, mit der wir uns nicht identifizieren möchten.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Wenn Sie nun diese Rente im Gesetz stehen haben, sie aber zu einem erheblichen Teil wenigstens aus öffentlichen Mitteln rückfinanzieren wollen, dann machen Sie die Leute doch praktisch zu Wohlfahrtsempfängern. Darin kommt eben die schlechte Gesinnung zum Ausdruck, die wir um jeden Preis aus dem Lastenausgleich herausschaffen möchten, nicht weil wir es so wollen, weil wir uns das nun einmal so vorgenommen haben, sondern weil das geradezu mit der letzten Deutlichkeit darüber entscheidet, ob das nun ein Lastenausgleich ist, den wir wirklich als eine Grundlage unserer neuen deutschen Ordnung, den wir wirklich als ein Stück sozialen Grundgesetzes proklamieren und den wir alle vertreten können, oder nicht. Und weil ein negativer Beweis in diesem Zusammenhang ganz besonders unerträglich ist, darum, meine Damen und Herren, kämpfen wir hier mit solcher Leidenschaft und werden das anläßlich der Behandlung unserer Anträge noch einmal näher ausführen.
    Ich bin mir sicher, daß man auch in der dritten Lesung noch wieder oft an die großen und von uns allen respektierten Begriffe appellieren wird. Lassen Sie uns doch nicht in den Verdacht kommen und möge sich doch niemand in den Verdacht bringen, daß es hier so eine Art Shylock-Gerechtigkeit gibt, bei der jemand, der einen Schein hat, nun darauf besteht, daß ihm dieser Anspruch auch erfüllt werde, egal um welchen Preis. Überlegen Sie bitte ganz genau, ob Sie mit der sogenannten Hauptentschädigung in der Form, wie sie bis jetzt in diesem Gesetz steht, nicht solche Scheine in großen Massen ausstellen werden. Es kann doch gar kein Zweifel daran sein, daß der Schaden sich um so leichter nachweisen lassen wird, je größer er ist. Es gibt ja heute schon Leute, die ein Geschäft damit zu machen versuchen, daß sie sich als Besitzer eines alten Güteradreßbuches annoncieren und gegen eine kleine Gebühr bereit sind, daraus einen Auszug zu machen. Und da steht dann ja einiges drin, soweit es sich um ein Vermögen handelt, das in die größere Kategorie hineingehört. Diese Sorte von Schäden wird zuerst festgestellt werden. Diese Sorte von Schäden, der Sie ja mit Ihrer Vorstellung von Hauptentschädigung schon mit diesem Gesetz einen ausgesprochenen Rechtsanspruch einräumen wollen, wird mit allem Nachdruck präsentiert werden.
    In der Erfüllung dieser Ansprüche — auch wenn es sich nur um eine teilweise Erfüllung dieser Ansprüche handeln kann — liegt die Gefährdung all der anderen Vorhaben, die von uns im allgemeinen als unbedingt vordringlich anerkannt werden. Gerade weil ich davon überzeugt bin, daß es in diesem Hause eine Mehrheit gibt, der es auf die Eingliederung der arbeitsfähigen Menschen und damit auf die Steigerung unseres Sozialprodukts durch produktive Arbeit sehr viel mehr ankommt als auf alles andere, darum mache ich Sie an dieser Stelle und in diesem Zusammenhang noch einmal auf die Gefahr aufmerksam, die Sie hoffentlich alle sehen wollen und der wir leicht begegnen können, ohne daß wir irgendeinen Rechtsanspruch, gegründet auf ein früheres Vermögen, kränken, indem wir eben die Eingliederungsmaßnahmen unabhängig von der Untersuchung über den früheren Vermögensschaden durchführen, indem wir eingliedern nach Maßgabe der sozialen Dringlichkeit und der volkswirtschaftlichen Zweckmäßigkeit und indem wir die Frage der Auseinanderrechnung über Vermögensschäden zu einem Zeitpunkt vornehmen, in dem wir es wirklich mit gutem Gewissen tun können, in dem Augenblick nämlich, in dem uns die wirklich reellen Unterlagen über das, was da ist, und das, was damit getan werden soll, zur Verfügung stehen. Dann, meine Damen und Herren, werden wir Rechtsansprüche nicht nur proklamieren, sondern auch honorieren können, und darauf kommt es bei den


    (Kriedemann)

    Rechtsansprüchen doch vielleicht am meisten an. Aber darüber soll, wie gesagt, geredet werden, wenn wir unsere Anträge hier noch einmal zu vertreten haben; ich will das jetzt nicht vorwegnehmen.
    Nun noch einmal: seien Sie sich bitte darüber klar, in welcher Gefahr wir stehen, wenn hier so beschlossen wird, wie es die Mehrheit in der zweiten Lesung getan hat. Denken Sie bitte an die Auswirkungen dieser Sorte von einkassierbarem Recht auf alle anderen Hilfeleistungen, die ausnahmslos für diejenigen interessant sind, die, weil sie zu den 75 % der nicht Vermögen Besitzenden gehören, eben auf Hausratentschädigung, auf Eingliederung und nicht zuletzt auf den Wohnungsbau angewiesen sind. Sagen Sie nicht, das liege an der Bilanz, man könne nicht anders! Wir haben es heute noch in der Hand, und heute und morgen muß versucht werden — und hoffentlich mit Ihrer aller Mitarbeit versucht werden —, das einigermaßen hinzubringen.
    Ich möchte auch noch eine allgemeine Bemerkung zur Abgabeseite machen. Auch hier hat es zwei Standpunkte gegeben, die sich in allen entscheidenden Fragen bis zum letzten Augenblick unversöhnt gegenübergestanden haben. Auf der einen Seite waren das die Interessen des privaten Vermögens. Sie sind — das kann nicht bestritten werden — mit aller Zähigkeit vertreten worden, und ich mache niemandem daraus einen Vorwurf.

    (Zuruf von der Mitte: Ach nee!)

    Auf der andern Seite waren aber auch die öffentlichen Interessen zu vertreten, und ich hoffe, Sie werden mir zugeben, daß wir sie mit der gleichen Zähigkeit zu vertreten versucht haben. Ich hoffe darüber hinaus, daß Sie auch uns daraus keinen Vorwurf machen, denn schließlich ist auch das öffentliche Interesse eine Vertretung wert. Insbesondere im Parlament sollte man sich eigentlich keinerlei Vorwürfen aussetzen, Vorwürfen recht unangenehmer Färbung, wenn man darauf hinweist, daß es auch so etwas wie öffentliche Haushalte gibt, wenn man darauf hinweist, aus welchen Quellen denn die Steuern in ihrer Masse stammen, und wenn man darauf hinweist, daß die Mehrheit unseres Volkes auf alle die Leistungen angewiesen ist, die aus den öffentlichen Haushalten finanziert werden. Nicht nur unter den Geschädigten, sondern auch unter den anderen Kreisen unseres Volkes ist eben die große Mehrheit mangels eines eigenen Vermögens darauf angewiesen, die notwendigen Hilfen aus dem öffentlichen Vermögen zu empfangen. Wir haben manchmal — ich denke z. B. an die Diskussion über die Formen und die Durchführung der Wohnraumhilfe oder über die Freistellung bestimmter Vermögensträger von der Vermögensabgabe — eine Feindschaft gegen, sagen wir einmal, die Wohnungsbaugenossenschaften gehört, eine Feindschaft gegen das Gemeineigentum, die schon nicht mehr ernst zu nehmen war und in der sich keineswegs die Sorge auftat, daß hier vielleicht die Grundlagen unserer abendländischen Kultur in Gefahr seien, sondern in der eine geradezu spießbürgerliche Enge der Gesichtspunkte zum Ausdruck kam. Es wäre ausgezeichnet und ein sehr wertvoller Beitrag zur auch ideellen Neuordnung unserer Verhältnisse in Deutschland, wenn auch das in der dritten Lesung korrigiert werden könnte.
    Schließlich — ich brauche hier nicht das zu wiederholen, was Herr Ollenhauer eben ausgeführt hat — kommt es doch darauf an, die Basis zu verbreitern, auf der unser neues deutsches Haus gebaut werden wird. Wir hätten es uns als Opposition sehr leicht machen können, mehr zu fordern. Das Verfahren der Abgabe und die Höhe der Sätze, die sich auch unserer Meinung nach im großen und ganzen aus der Lage der Dinge zwangsläufig ergeben, sind vorzüglich geeignet für eine populär verständliche Demonstration. Sie werden uns keinen einzigen Fall nachweisen, in dem wir uns derart primitiver Argumente bedient hätten, in dem wir auf eine so billige Weise versucht hätten, für unseren Standpunkt oder nur für uns und gegen andere Auffassungen Stimmung zu machen. Wir haben uns dabei von Marktplatzschreiern aller Sorten sehr sorgfältig abgegrenzt, was auch nicht jeder von sich sagen kann.

    (Sehr gut! bei der SPD. — Zurufe von der Mitte.)

    — Nein, meine Herren, ich kann mich nicht erinnern, daß einer von uns einmal auf Marktplätzen solche Geschichten verbreitet hätte!

    (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der Mitte und rechts.)

    Nicht verzichten können wir aber darauf, die Opfer im Gesetz festzulegen, die zugemutet werden können, und sei es im einzelnen Fall auch nur aus psychologischen Gründen. So hoffen wir jetzt, meine Damen und Herren, auf eine günstigere Entscheidung über unsere Anträge, soweit diese sich — um es mal ganz dürr zu sagen — nicht mit irgendwelchen Grundsätzen des Einkommensteuerrechts usw. befassen, sondern einfach mit dem Problem: soll man und kann man und wieviel kann man von der sogenannten Vermögensabgabe abwälzen.
    Wir müssen schließlich glaubhaft machen können, daß es sich hier wirklich um einen Lastenausgleich handelt, der zweifellos nicht der Idealvorstellung entspricht, die man sich irgendwo in einem Wolkenkuckucksheim oder in einer finanzwissenschaftlichen Studierstube als Lastenausgleich so typenrein ausdenken kann, daß es sich dann aber wenigstens um einen Lastenausgleich handelt, wie er unter unseren Verhältnissen möglich ist. Es wird ohnehin sehr schwer sein, das glaubhaft und verständlich zu machen. Wenn weiter so verfahren wird, wie mit unseren Änderungsanträgen in puncto Vermögensteuer, in puncto Einkommensteuer usw. usw. verfahren worden ist, dann werden Sie das niemandem glaubhaft machen können, und niemand wird im Ernst und mit gutem Gewissen denen widerstreiten können, die dann sagen, daß es sich im Grunde doch nur um eine Farce handelt.
    Meine Damen und Herren! Es ist unserer Meinung nach der Sinn der dritten Lesung, die bisher gefaßten Beschlüssen sorgsam zu überprüfen.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Es ist der Sinn der dritten Lesung, das, was inzwischen neu an Gesichtspunkten aufgetaucht sein mag, noch einmal auf die Waage der Verantwortung zu legen. Der Umstand, daß die dritte Beratung heute hier zweimal vertagt worden ist, weil noch Beratungen im Gange waren, gibt uns eine kleine Hoffnung darauf und rechtfertigt noch einmal unser Bemühen, diese dritte Lesung so ausführlich wie nur irgendwie möglich zu machen, die entscheidenden Punkte nochmals so deutlich und hell wie möglich zu beleuchten in der Hoffnung, daß wir dann zu einer Entscheidung kommen, die sich deckt mit den großen Worten, mit den Zielen, Behauptungen und Grundsatzerklärungen, die in


    (Kriedemann)

    reichem Maße von allen Seiten vorgetragen worden sind und die nun endlich mit einem Gesetz Buchstabe an Buchstabe und Zahl an Zahl honoriert werden müssen. Diesem Zweck dienen unsere Anträge, und ich bitte Sie, unbeschadet der Begründung im einzelnen, sie sich mit allem Ernst :loch einmal anzusehen.

    (Beifall bei der SPD.)