Rede von
Dr.
Franz
Ott
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(Plos)
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Recht schafft man nicht mit Leidenschaft und Vorurteilen, sondern mit Vernunft und Einsicht. Die Heimatvertriebenen und Kriegsgeschädigten haben es an dieser Einsicht und an dieser Vernunft nie fehlen lassen. Das beweisen allein die Kundgebungen in Stadt und Land, wo es keine Toten und keine eingeschlagenen Fensterscheiben gibt, sondern wo sich diese Menschen, obwohl sie ihre Heimat und alles, was eben die Heimat zur Heimat gemacht hat, allen Besitz und alles verloren haben, immer noch zu ihrem Vaterland, zu ihrem Volk, zu ihrer Heimat bekennen. Sie haben besonders hier auf dem Bonner Marktplatz — das haben Sie ja selber miterleben können — mit einer inneren Begeisterung das Lied „Deutschland, Deutschland über alles" gesungen. Selbst Einheimische haben mir gesagt, wie sehr sie gerührt waren ob dieses heimatlichen Idealismus und dieses gesunden Volksbewußtseins dieser 75 000 Menschen.
Diese Kriegsgeschädigten, diese Heimatvertriebenen sind es auch, die gerade bei dem Problem Lastenausgleich Einsicht und Vernunft walten lassen. So mancher Redner, der hier gesprochen hat — mir kam es manchmal vor, als ob man sich schon im Wahlkampf der kommenden Bundestagswahl befände —, hat es an dieser Einsicht und Vernunft oft fehlen lassen; das sei hier festgestellt.
Die Heimatvertriebenen und Kriegsgeschädigten wissen ganz genau, was sie nach 1945 von dem verbliebenen Wirtschaftspotential hatten. Ihm verdanken sie es, daß sie überhaupt leben konnten. Sie wissen auch genau, daß dieses verbliebene Wirtschaftspotential es war, das vielen schnell wieder zu Reichtum und ebenfalls wieder zu Gut und Eigentum verholfen hat. Sie wollen heute nicht eine Verneinung des Eigentumsbegriffs oder irgendwie eine Auslöschung dieses Potentials, sondern sie wollen eben einen gewissen Lastenausgleich haben, nicht ein Almosen, sondern wirklich einen harten Eingriff, der aber nicht eine Verneinung des Eigentumsbegriffs und nicht Streichung dieses Potentials bedeutet, sondern sie fordern wirklich die Einsicht auch von der andern Seite, daß wir Deutschen alle diesen Krieg verloren haben. Wer sich zum deutschen Volke bekennt und wem die Begriffe Eltern, Vaterhaus, Vaterland, Volk noch Worte mit Lebensinhalt sind, der muß wissen, daß eben das gesamte deutsche Volk den Krieg verloren und damit auch die Lasten des verlorengegangenen Krieges, verteilt auf die Schultern aller Deutschen, zu tragen hat. Wer den Lastenausgleich verneint, ist ein Totengräber des deutschen Volkes und verneint das Weiterleben der deutschen Nation. Auch wenn der Lastenausgleich durchgeführt sein wird, werden alle Heimatvertriebenen, Flieger- und Kriegsgeschädigten die größten Bezahler und Lastenträger dieses verlorengegangenen Krieges sein.
In diesem Hause ist nicht einmal, sondern sehr oft das Christentum apostrophiert worden. Ich glaube, gerade die beiden Konfessionen, die Kirchen, brauchen sich in dieser Richtung nicht zu schämen. Denn sie haben nach 1945 in der Tat bewiesen, was ihre Aufgabe ist, und sie haben auch durch ihre Rundschreiben, durch ihre Hirtenbriefe usw. immer wieder das Volk aufgefordert, hier Einsicht und Vernunft walten zu lassen. Ich möchte mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten nur einige Sätze zitieren. So heißt es z. B. in einem Rundschreiben des Bischöflichen Ordinariats Rottenburg vom 1. April 1950:
Wir wissen, daß Westdeutschland in materieller Hinsicht die Flüchtlingsfrage aus eigenen Kräften hinreichend nicht lösen kann. Wir sind aber davon überzeugt, daß die Flüchtlingsfrage im tiefsten eine geistige und sittlich-religiöse Aufgabe ist, die Gottes Vorsehung Einheimischen und Vertriebenen gestellt hat und die Westdeutschland mit den Kräften des Geistes und des Herzens lösen kann und lösen muß, wenn es daran nicht zugrunde gehen will.
Die besitzenden Kreise in Stadt und Land müßten aber doch erkennen, daß die Vertriebenen mit den übrigen Kriegsopfern bisher die schwerste Last eines Krieges und seiner
Folgen tragen mußten, an dem sie nicht mehr schuld waren als alle anderen. Alle Not der Nachkriegszeit, Hunger, Wohnungselend, Arbeitslosigkeit trifft sie stärker als selbst die ärmsten Schichten der einheimischen Bevölkerung. Sie können und wollen sich darum nicht ohne weiteres mit ihrem Schicksal abfinden und fordern die Linderung der äußersten Notstände und die Schaffung wirtschaftlicher Möglichkeiten, damit sie mit ihrer Hände Arbeit sich wieder eine Existenz aufbauen können.
Und noch ein paar Sätze:
Die schwerste Aufgabe . . ., die mit dem Einströmen der Vertriebenen in jedes Dorf notwendig geworden ist, ist wohl die Erziehung der besitzenden Bevölkerung zu sozialem Denken und Handeln, das die Voraussetzung für einen friedlichen Lastenausgleich ist. Alle, die aus der Kriegs- und Nachkriegszeit ihre Habe retten konnten, müssen einsehen lernen, in welchem Maß ihr Eigentum mit einer sozialen Hypothek belastet ist. Bis jetzt haben die meisten solche Gedanken noch gar nicht in ihr sittliches 'Bewußtsein aufgenommen und wehren sich gegen ein dementsprechendes Gesetz, das doch lediglich eine bereits bestehende sittliche Verpflichtung im einzelnen festlegen soll.
Meine Damen und Herren! Ein gerechter sozialer Lastenausgleich ist der Prüfstein für das christliche und nationale Gewissen unseres Volkes. Die Erfüllung der Forderung aller Kriegsgeschädigten, insbesondere der Heimatvertriebenen, ist aber auch der beste Verteidigungsbeitrag für die freie Welt im Kampf gegen Unfreiheit und Untermenschentum. Ich betone nochmals: der sozial gerechte Lastenausgleich ist ein Gebot der Stunde, ist eine sittliche Aufforderung. Wir haben uns hier in dieser Stunde im wahrsten Sinne des Wortes zu bewähren, wenn wir überhaupt als Nation, als Volk weiterleben wollen. Deshalb ist meine Ansicht die: der uns vorliegende Lastenausgleich wird mit Annahme verschiedener Zusatzanträge, insbesondere der Anträge des Herrn Dr. Kather, die ich mit unterschrieben habe, dem Lastenausgleich das Gesicht geben, zu dem man ein freudiges Ja sprechen kann.