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ID0121103700

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag — 211. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Mai 1952 9255 211. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 14. Mai 1952 Geschäftliche Mitteilungen . . . . 9256B, 9262C Eintritt des Abg. Moosdorf in den Bundestag 9256C Begrüßung des Abg. Bazille nach seiner Genesung 9256C Austritt des Abg. Wittmann aus der Fraktion der DP/DPB 9256C Einspruch des Abg. Loritz gegen den ihm in der 210. Sitzung erteilten Ordnungsruf (Umdruck Nr. 520) 9256C, 9258B Beschlußfassung 9258C Ausscheiden des Abg. Dr. Schäfer aus der deutschen Delegation zur Beratenden Versammlung des Europarats und Zuwahl des Abg. Dr. Freiherrn von Rechenberg 9256D, 9262C Beschlußfassung des Deutschen Bundesrats zum Gesetz zur Änderung des Zollgesetzes und der Verbrauchsteuergesetze 9256D Gesetz über die Aufhebung einiger Polizeiverordnungen auf dem Gebiet des Verkehrs mit Arzneimitteln 9256D Gesetz über die Inanspruchnahme eines Teils der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer durch den Bund im Rechnungsjahr 1952 9257A Bericht des Bundesministers der Justiz über die Angelegenheit des tschechoslowakischen Staatsangehörigen Frantisek Kroupa (Nr. 3368 der Drucksachen) 9257A Bericht des Bundeskanzlers über den Ausbau der Bundesstraßen 51 und 54 (Nr. 3357 der Drucksachen) 9257A Bericht des Bundeskanzlers über das Freiburger Flugplatzprojekt (Nr. 3358 der Drucksachen) 9257A Zwischenbericht des Bundeskanzlers über die Tätigkeit von Deutschen bei den Besatzungsmächten (Nr. 3359 der Drucksachen) 9257A Ergänzende Stellungnahme des Bundesministers für Arbeit zur Anfrage Nr. 231 der Fraktion der SPD betr. Möglichkeiten der Einberufung einer europäischen Regionalkonferenz der Internationalen Arbeitsorganisation (Nrn. 2826, 2895, 3046, 3366 der Drucksachen) 9257A Kleine Anfrage Nr. 260 der Fraktion der CDU/CSU betr. Maßnahmen gegen Besatzungsnotstände in Bad Oeynhausen (Nrn. 3299, 3367 der Drucksachen) . . . . 9257B Kleine Anfrage Nr. 263 der Abg. Dr. Dr. Nöll von der Nahmer u. Gen. betr. Wertpapierbereinigung (Nrn. 3309, 3361 der Drucksachen) 9257B Zur Tagesordnung 9257B Antrag der Gruppe der KPD auf Aufsetzung eines Antrags auf Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses betr. Überprüfung der Vorgänge in Essen am 11. Mai 1952 auf die Tagesordnung . 9257C Renner (KPD) 9257C Unterbrechung der Sitzung . . . 9258B Widerspruch gegen Aufsetzung 9258B Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Aufnahme eines Kredits durch den Bund im Rahmen der von den Vereinigten Staaten gewährten Wirtschaftshilfe (Nr. 3333 der Drucksachen); Mündlicher Bericht des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten (7. Ausschuß) (Nr. 3345 der Drucksachen) 9258C Dr. Semler (CSU), Berichterstatter . 9258C Wehner (SPD) ' 9259C Abstimmungen 9259C, 9260A Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP, DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über die einstweilige Gewährung einer Teuerungszulage zur Abgeltung von Preiserhöhungen bei Grundnahrungsmitteln (Teuerungszulagengesetz) (Teuerungszulagenänderungsgesetz — TZAndG —) (Nr. 3217 der Drucksachen); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik (21. Ausschuß) (Nr. 3337 der Drucksachen) 9260A Meyer (Hagen) (SPD), Berichterstatter 9260B Abstimmungen 9261B Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität (3. Ausschuß) betr. Änderung der Gemeinsamen Geschäftsordnung des Bundestages und des Bundesrates für den Ausschuß nach Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) (Nr. 3354 der Drucksachen) 9261C Ritzel (SPD), Berichterstatter . . . 9261C Beschlußfassung 9262B Unterbrechung der Sitzung . . . 9262C Dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über einen Allgemeinen Lastenausgleich (Nr. 1800, z u 1800, 3300, z u 3300 der Drucksachen, Umdruck Nr. 490); Zusammenstellung der Beschlüsse in zweiter Beratung (Umdruck Nr. 515; Änderungsanträge Umdrucke Nrn. 516 bis 519, 521 bis 534) 9262D Zur Geschäftsordnung: Schütz (CSU) 9262D Unterbrechungen der Sitzung . . 9262D Allgemeine Beratung: Ollenhauer (SPD) 9263A Kriedemann (SPD) 9265D, 9292B Kunze (SPD) 9269A Schütz (CSU) .9271B Dr. Kather (CDU) 9273D Dr. Keller (Fraktionslos) 9275D Rische (KPD) 9277C Dr. Atzenroth (FDP) 9280A Dr. Dr. Nöll von der Nahmer (FDP) 9281A Dr. Lukaschek, Bundesminister für Vertriebene 9283A von Thadden (Fraktionslos) 9284C Dr. Reismann (FU) 9285D Loritz (Fraktionslos) 9288C Farke (DP) 9290B Dr. Ott (DP-Gast) 9291B Weiterberatung vertagt 9292C Ausschluß des Abg. Renner für 20 Sitzungstage 9292C Nächste Sitzung 9292D Die Sitzung wird um 9 Uhr 5 Minuten durch den Präsidenten Dr. Ehlers eröffnet.
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    Rede von Dr. Carlo Schmid


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Wird zu diesem Antrag das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich stelle fest, daß das Haus mit diesem Antrag einverstanden ist.
    Wir unterbrechen die 211. Sitzung ein zweites Mal. Das Haus wird sich um 15 Uhr wieder versammeln.

    (Unterbrechung der Sitzung: 14 Uhr 6 Minuten.)

    Die Sitzung wird um 15 Uhr 1 Minute durch den Vizepräsidenten Dr. Schmid wieder eröffnet.



Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! Wir fahren in der 211. Sitzung fort, und zwar bei der Behandlung des Punktes 4 der Tagesordnung:
Dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über einen Allgemeinen Lastenausgleich (Nrn. 1800, zu 1800, 3300, zu 3300 der Drucksachen, Umdruck Nr. 490);
Zusammenstellung der Beschlüsse in zweiter Beratung (Umdruck Nr. 515).
Wir treten ein in die allgemeine Aussprache. Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Gesamtredezeit von 180 Minuten vor. — Es erhebt sich kein Widerspruch.
Das Wort hat der Abgeordnete Ollenhauer.

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    Rede von Erich Ollenhauer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir stehen vor der entscheidenden und abschließenden dritten Lesung des Gesetzes über einen allgemeinen Lastenausgleich. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion will daher noch einmal ihren Standpunkt zu der Frage des Lastenausgleichs und zu dem jetzt hier zur Beratung stehenden Gesetzentwurf kurz darstellen.
    Die Regelung des Lastenausgleichs ist nach unserer Auffassung die Bewährungsprobe der neuen deutschen Demokratie.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Vor sieben Jahren standen wir vor der größten nationalen Katastrophe unseres Volkes seit Jahrhunderten. Der Wahnwitz des totalen Krieges der nationalsozialstischen Gewalthaber führte zu einem totalen Zusammenbruch. Die bedingungslose Kapitulation raubte dem deutschen Volke alle Möglichkeiten der Entscheidung über sein inneres und äußeres Schicksal. Eine der schwerwiegendsten Folgen dieser Ereignisse war die völlige Umwälzung unserer inneren sozialen Ordnung. Sie brachte über viele Millionen Deutsche unsagbares Elend. Als Vertriebene, Ausgebombte, Kriegssachgeschädigte, Evakuierte, Kriegsopfer, Kriegshinterbliebene und Kriegsgefangene fiel auf sie durch den Verlust ihrer Existenz, ihrer Gesundheit, ihrer Wohnung, ihrer Arbeitsmöglichkeiten die volle Last einer Not, die die Geschichte dem ganzen deutschen Volke als Gesamtschicksal auferlegt hat. Seit den Maitagen 1945 mußte jedem verantwortungsbewußten Deutschen klar sein, daß die Neugestaltung unseres nationalen und staatlichen Lebens ohne eine umfassende, sozial gerechte Verteilung der Lasten des verlorenen Krieges auf alle Teile des deutschen Volkes auf die Dauer scheitern muß. Das um so mehr, als jede demokratische Ordnung in unserer Zeit damit steht und fällt, daß sie ihren Bürgern nicht nur die Rechte der persönlichen und politischen Freiheit sichert, sondern ihnen auch ein Minimum von sozialer Sicherheit garantiert.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wir waren in den ersten Jahren der Besatzung in der Gestaltung unserer inneren Angelegenheiten nicht frei, und das Besatzungsregime hat in dieser entscheidenden Zeit die ihm zugemuteten politisch-pädagogischen Aufgaben in der Richtung einer demokratischen und sozialen Erneuerung in Deutschland in keiner Weise erfüllt. Aber seit 1947, seit der Bildung des Vereinigten Wirtschaftsgebiets beginnt unsere klare eigene Verantwortung. Wir sind ihr nicht gerecht geworden; im Gegenteil: in dieser Zeit begann die Politik der sogenannten sozialen Marktwirtschaft, die in Wirklichkeit die Politik der Besitzerhaltung und der
    Besitzvermehrung des deutschen Großbesitzes ist.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Was im Frankfurter Wirtschaftsrat zunächst zögernd und schrittweise begonnen wurde, das ist in der Bundesrepublik seit 1949 von der Mehrheit dieses Hauses konsequent und rücksichtslos fortgesetzt und vollendet worden.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Seit 1949 hat sich in der Bundesrepublik ein umgekehrter Lastenausgleich vollzogen.

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)

    Es ist nichts Entscheidendes geschehen, um den sozialen Erdrutsch des Jahres 1945, der Millionen von deutschen Menschen zu erdrücken sucht, zu beseitigen; aber auf der andern Seite wurden Besitz und Vermögen einer kleinen Minderheit unseres Volkes in empörender Weise und ohne jedes soziale Empfinden gestützt und gestärkt. Das alles geschah planmäßig und bewußt. Das ganze System der Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik der Regierungsmehrheit diente diesem Zweck. Das Resultat dieser Politik ist, daß es heute in keinem der kriegführenden Länder in Westeuropa einen so aufreizenden Gegensatz zwischen größtem Luxus und erbarmungswürdiger Armut gibt wie hier in der Bundesrepublik.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD. — Zurufe in der Mitte und rechts.)

    Das jetzt zur Entscheidung stehende Gesetz, meine Damen und Herren, ist nur dem Namen nach ein Lastenausgleichsgesetz. Es ist in Wirklichkeit die Krönung dieser Politik der Bevorzugung des großen Privatbesitzes.

    (Sehr wahr! Sehr richtig! bei der SPD.)

    Da, wo eine nationale Aufgabe von lebenswichtiger Bedeutung zu lösen war, hat man Interessen entscheiden lassen,

    (Beifall bei der SPD)

    und zwar die Interessen derjenigen, die im Falle eines echten und effektiven Lastenausgleichs Opfer aus der Substanz hätten bringen müssen.

    (Zuruf rechts: Aha!)

    Es ist eine bemerkenswerte Tatsache selbst in diesem Bundestag, daß die Mehrheit dieses Hauses in der Vertretung der Besitzinteressen noch über den ursprünglichen Gesetzentwurf ihrer eigenen Regierung hinausgegangen ist.

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)

    Die Mehrheit dieses Hauses hat den Schutz des großen Besitzes nicht nur bei der Aufbringung der Mittel betrieben; sie hat darüber hinaus noch durchgesetzt, daß auch die Leistungen aus dem Lastenausgleich unter Vernachlässigung der sozialen Notwendigkeiten nach dem früheren Vermögensstand über 150 000 RM hinaus bestimmt werden sollen.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Wir Sozialdemokraten sind dafür, daß nach Erfüllung der unerläßlichen sozialen Leistungen bei der endgültigen Regelung der Ansprüche aus diesem Gesetz auch frühere Vermögensverhältnisse berücksichtigt werden sollen. Aber wenn wir nicht von vornherein den sozialen Lastenausgleich für die große Masse derjenigen, für die die Wiederherstellung eines menschenwürdigen Daseins von einem solchen Lastenausgleich abhängt, unmöglich


    (Ollenhauer)

    machen wollen, dann muß bei der Anrechnung des früheren Vermögens eine Grenze gesetzt werden. Man kann nicht für 50 000 Vertriebene eine Milliarde Mark reservieren, die dann für die sozialen Leistungen an die erdrückende Mehrheit der Flüchtlinge fehlen.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Eine weitere Illustration der reinen Besitzinteressenpolitik der Mehrheit dieses Hauses ist die von ihr so hartnäckig geforderte und durchgesetzte Heranziehung des Vermögens der öffentlichen Hand. Hier offenbart sich von neuem der prinzipielle Unterschied zwischen der Sozialdemokratie und der Regierungsmehrheit in dieser Frage.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Für uns ist der Lastenausgleich eine Regelung, die einen gerechten Ausgleich zwischen den Vermögens- und Lebensverhältnissen aller Bürger der Bundesrepublik anstrebt. Die Regierungsmehrheit weigert sich, einen solchen echten Ausgleich, der natürlich nicht ohne Eingriffe in die Substanz möglich ist, zu vollziehen.

    (Widerspruch bei den Regierungsparteien.)

    Da sie aber den Schein einer Politik der sozialen Gerechtigkeit gegenüber den Geschädigten wahren möchte, läßt sie die Geschädigten durch die Belastung der öffentlichen Hand ihren Lastenausgleich mit bezahlen.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Wir können Sie in diesem Hause nicht hindern, einen solchen Lastenausgleich durchzusetzen; aber Sie können uns auch nicht hindern, den Geist, der Sie dabei bestimmt, vor dem ganzen deutschen Volk aufzuzeigen.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Es hilft Ihnen auch nichts, wenn Sie den Flüchtlingsvertretern in Ihren Reihen das Recht zugestehen, hier im Plenum von Ihrer Haltung abweichende Anträge zu vertreten, die Sie dann bei der Abstimmung niederstimmen.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Hier kommt es nicht auf die Musik an; hier entscheiden die Handlungen!

    (Erneuter Beifall bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren von der Mehrheit in diesem Hause, Ihr Verhalten in der zweiten Lesung dieses Gesetzes war nicht nur für die Vertriebenen und Geschädigten, sondern für das ganze deutsche Volk ein sehr eindrucksvoller Anschauungsunterricht.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Wir werden Ihnen in der dritten Lesung Gelegenheit geben, entweder dieses Versagen gegenüber einem der großen sozialen Anliegen unseres Volkes zu korrigieren oder es noch einmal zu unterstreichen.
    Das Lastenausgleichsgesetz ist neben den großen außenpolitischen Entscheidungen, vor denen wir demnächst hier stehen werden, von zentraler Bedeutung für Geist und Inhalt unserer Demokratie. Es gehört zu den Grundgesetzen unseres neuen staatlichen Daseins. Das Grundgesetz, unsere Verfassung, ist unter Bedingungen zustande gekommen, unter denen seine demokratischen Bekenntnisse und Grundsätze nicht von vornherein als Ausdruck unseres eigenen Willens und unserer staatlichen Wirklichkeit empfunden werden konnten. Es war eine der entscheidenden Aufgaben dieses ersten Bundestages, diese Schwäche unserer Demokratie zu überwinden.

    (Abg. Dr. Becker Es hätte geschehen müssen durch einen gesetzgeberischen Akt, der, allein aus unserem freien Willen geboren, den Menschen in Deutschland und in der Welt die Überzeugung gegeben hätte, daß hier ein neuer Beginn in der Geschichte eines Volkes ist, das durch Irrungen und Wirrungen, durch Fehler und Schuld sich selbst und andere Völker in große Not gestürzt hat. Dieser gesetzgeberische Akt mußte die Bereinigung der Erbschaft des Hitlerregimes und des zweiten Weltkriegs in unserem eigenen Hause sein. Hier hätte sich der neue Geist aus menschlichen und aus politischen Gründen offenbaren müssen. In diesem Sinn ist das Lastenausgleichsgesetz ein zweites Grundgesetz. Viele Millionen von Deutschen werden nach seinem Inhalt Wert und Ernstheftigkeit der Grundgedanken unserer Verfassung einschätzen. In dem vorliegenden Entwurf ist nicht ein Hauch von dem Begreifen dieser besonderen Bedeutung des Gesetzes zu spüren. (Zuruf von der CDU: Das ist ein bißchen übertrieben!)


    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Es geht hier nicht um ein soziales Gesetz wie in hundert anderen Fällen, in denen Leistungen und Verpflichtungen peinlichst genau gegeneinander abgewogen werden. Es ist das Gesetz der Liquidierung unserer inneren Kriegsschuld gegenüber Millionen unserer eigenen Volksgenossen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Diese Liquidierung erfolgt durch dieses Gesetz nicht. Sie wird im Grunde verweigert. Das ist ein nationales Unglück der deutschen Demokratie.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren von der Mehrheit dieses Hauses, täuschen Sie sich nicht!

    (Zuruf rechts: Sie aber auch nicht!)

    Sie können die menschliche und soziale Liquidierung der Katastrophe des Jahres 1945 vertagen, Sie können ihr ausweichen wie mit diesem Gesetz; aber Sie entgehen ihr nicht.

    (Beifall bei der SPD. — Erneuter Zuruf rechts: Sie auch nicht!)

    Verweigern Sie sich heute, dann kommt morgen oder übermorgen das Problem erneut auf uns zu. Dann aber erscheint es nicht mehr als die Erbschaft des Vergangenen, dann erscheint es als Anklage gegen das demokratische Dasein unseres Volkes,

    (Sehr gut! bei der SPD)

    dessen Existenz heute die Frage von Leben und Tod für das ganze deutsche Volk ist.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD. — Zurufe von den Regierungsparteien.)

    Man spricht heute so viel von der Notwendigkeit der Verteidigung der Demokratie.

    (Zuruf von der Mitte: Allerdings!)

    Wir werden die eigentliche Wehrdebatte später und gründlicher haben.

    (Zurufe von der Mitte und rechts. — Abg. Rische: Lieber nicht!)

    Unsere Haltung in dieser Frage ist bekannt; aber
    im Zusammenhang mit dieser Debatte ist die Feststellung wichtig, daß die. erste Voraussetzung für


    (Ollenhauer)

    die erfolgreiche Verteidigung einer Demokratie der Verteidigungswille eines Volkes ist.

    (Sehr gut! bei der SPD. — Sehr richtig! in der Mitte.)

    Dieser Verteidigungswille wird nicht entwickelt durch Ansprachen und Beschwörungen, sondern — —

    (Lebhafte Zustimmung, Händeklatschen und Lachen bei den Regierungsparteien.)

    — Ich verstehe, daß es Ihnen peinlich ist; ich würde Ihnen aber empfehlen, auch den zweiten Teil dieses Satzes anzuhören.

    (Zurufe von den Regierungsparteien. — Gegenrufe von der SPD.)

    Er wird nicht entwickelt durch Ansprachen und Beschwörungen,

    (erneute Zurufe von den Regierungsparteien) sondern durch die Realitäten des Alltags.


    (Lebhafter Beifall bei der SPD. — Händeklatschen bei den Regierungsparteien.)

    Die Menschen müssen aus ihrer täglichen und persönlichen Erfahrung wissen, daß es einen Sinn hat, die Demokratie als eine gerechtere und menschlichere Form des Zusammenlebens in einem Gemeinwesen zu verteidigen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Das Entscheidende in unserer heutigen Situation ist, daß es die Ärmsten und die durch den Krieg am meisten Geschlagenen wissen müssen. In keinem Land in Westeuropa gilt das mehr als in der Bundesrepublik Deutschland. Für unser Volk ist der Aufbau einer gerechten sozialen Ordnung die erste Voraussetzung für die Erhaltung und Sicherung der Demokratie.
    Meine Damen und Herren, am Beginn der Debatte über dieses Gesetz in der vorigen Woche hätte gerade in diesem Augenblick eine Erklärung des Bundeskanzlers stehen müssen,

    (Zuruf rechts: War doch krank!)

    daß die notwendigen Leistungen für einen sozialen Lastenausgleich in der Bundesrepublik in den Verhandlungen über die Verteidigung von Freiheit und Demokratie in Europa im deutschen und europäischen Interesse als Verteidigungsbeitrag voll anerkannt worden seien.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Wir haben diese Erklärung des Bundeskanzlers nicht gehört, wir haben ihn nicht einmal hier gesehen.

    (Lebhafte Zurufe von der Mitte und rechts: Er war doch krank!)

    Auch das ist ein Symptom.

    (Lebhafter Widerspruch bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der Mitte: Das ist aber sehr billig!)

    Auch das ist ein Symptom,

    (Zuruf von der Mitte: Schumacher?! — weitere Zurufe von den Regierungsparteien)

    ein bezeichnendes und schmerzliches Symptom zugleich.

    (Zurufe von den Regierungsparteien: Wo ist denn der Herr Schumacher?)

    — Meine Damen und Herren, der ist jedenfalls nicht in den Verhandlungen mit den Hohen Kommissaren.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD. — Zurufe von den Regierungsparteien. — Bewegung. — Bundeskanzler Dr. Adenauer betritt den Saal und begibt sich zu seinem Platz auf der Regierungsbank. — Langanhaltender lebhafter Beifall der Regierungsparteien.)

    — Meine Damen und Herren, Ihr freudiger Beifall über das Erscheinen des Herrn Bundeskanzlers beweist, wie berechtigt meine Kritik über seine bisherige Abwesenheit gewesen ist.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Kunze: Pfui! — Weitere Zurufe von den Regierungsparteien: Völlig daneben! — Wir haben schon Besseres gehört! — Lachen in der Mitte.)

    Die Mehrheit dieses Hauses hat es jetzt noch in der Hand, ihr Verantwortungsbewußtsein gegenüber dem Ganzen unter Beweis zu stellen. Wenn Sie auch in der dritten Lesung alle unsere Anträge ablehnen, wenn Sie den Gesetzentwurf in der jetzt vorliegenden Fassung annehmen, dann haben Sie nach unserer Auffassung gegenüber der gegebenen geschichtlichen Situation versagt, versagt vor allem gegenüber dem einfachen und un-diskutablen Grundsatz der nationalen Solidarität in Zeiten gemeinsamer nationaler Not.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Wuermeling: Das müssen Sie sagen!)

    Sie können uns hier überstimmen; aber wir bleiben an der Seite der Vertriebenen und der anderen Opfer des Krieges!

    (Beifall bei der SPD. — Oho-Rufe und Lachen bei den Regierungsparteien.)

    Wir werden immer für ihre Sache kämpfen, (anhaltende Zurufe von den Regierungsparteien — Zuruf von der Mitte: Das
    haben wir gemerkt!)
    weil es ein Gebot der Menschlichkeit und der sozialen Gerechtigkeit ist.

    (Erneuter Beifall bei der SPD.)

    Wir werden aber auch für sie kämpfen, weil nach unserer Überzeugung die großen demokratischen Ideen unseres Grundgesetzes nur dann Blut und Inhalt bekommen werden,

    (Lachen bei den Regierungsparteien — Zurufe: „Blut und Boden"?!)

    wenn wir durch die Tat beweisen, daß es in der neuen deutschen Demokratie auch eine neue echte Solidarität des ganzen deutschen Volkes gibt.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD.)