Meine Damen und Herren! Das Hohe Haus beginnt mit der dritten Beratung des Lastenausgleichsgesetzes. Alle Parteien sind sich der ganz großen Tragweite dieses Gesetzes für die Bundesrepublik und für die Vertriebenen bewußt. Darüber brauche ich kein Wort zu sagen. Ich will vom Standpunkt der Vertriebenen, aber auch vom Standpunkt der Bundesrepublik sprechen. Wir Vertriebenen sind hier und haben aus dem Osten, aus Ostdeutschland, alle unsere Traditionen mitgebracht. Da möchte ich vorausschicken, daß die höchste Tradition und das höchste Lob für die Bewohner Ostdeutschlands war, daß sie durch sieben Jahrhunderte Deutschland decken konnten, so daß Deutschland und besonders der Westen ihre Kultur in Ruhe aufbauen konnten. Wenn wir nun hierher gekommen sind, dann ist für uns die einzige Möglichkeit des Lebens, daß die Bundesrepublik von uns mit aufgebaut wird. Denn ohne den Aufbau der Bundesrepublik und der deutschen Wirtschaft gibt es auch kein Leben für die Vertriebenen.
Dazu gehört auch die Übernahme all der Traditionspflichten, die wir von Hause mitgebracht haben, einschließlich der Verteidigungspflicht.
Ich möchte weiter ein Wort zu dem Junktim sagen, das hier herumgaukelt. Es gibt für uns kein Junktim der Art, daß etwa die Vorwegnahme des Lastenausgleichs eine Bedingung für die Annahme einer Verteidigungspflicht wäre. Es ist nur ein sachliches Junktim vorhanden. Denn wenn die Heimatvertriebenen nicht in sozialer Beziehung wieder dazu in die Lage versetzt werden — wenn sie nichts zu essen haben —, dann ist praktisch an eine Verteidigung in genügendem Umfang nicht zu denken. Insoweit besteht ein Junktim, nicht aber in einem andern Sinne.
Die große Frage ist nun: Ist dieses Gesetz so, wie es vorliegt, geeignet, eine Befriedigung zu bringen? Es ist von mir bekannt, daß ich stets darauf hingewiesen habe, daß es nicht befriedigend sei. Ich glaube, es gibt keine Seite dieses Hauses, die nicht in irgendeiner, dieser oder jener Beziehung auch sagt: Es ist nicht befriedigend! — Aber die Zeit, in der wir leben, erlaubt uns nicht, aus diesem, Unbefriedigtsein die radikale Forderung zu ziehen. Wir müssen prüfen, welche Lösung die befriedigendere ist und ob nicht die jetzt vorliegende Lösung überhaupt für uns eine Notwendigkeit bedeutet, sie anzunehmen.
Unbefriedigend ist, wie Sie wissen, zunächst einmal das nicht genügende Aufkommen, daß insbesondere nicht genug übrig bleibt, um das Wichtigste dieses Lastenausgleichsgesetzes, nämlich den Existenzaufbau für die Vertriebenen, zu ermöglichen. Denn die optimal bei dieser Situation bleibenden 650 Millionen DM sind eben ganz ungenügend. Wir brauchten anderthalb Milliarden DM.
Aber eines ist das Große an diesem Gesetz: daß von keiner Seite dieses Hauses und auch von keiner Seite der Bevölkerung die Notwendigkeit des Lastenausgleichs bestritten wird. Das ist vor zwei Jahren noch nicht so klar ausgesprochen worden, und das müssen wir hier hervorheben. Bei dem Streit, der geführt wird, handelt es sich doch nur um die Grenzen dessen, was wirtschaftlich als Belastung möglich ist. Diese Grenzen heute mit ganz klarer Sicht zu zeichnen, ist sehr, sehr schwer, wahrscheinlich unmöglich. Deshalb kann man( daraus nur die Folgerung ziehen, daß wir erst aus der Erfahrung sehen müssen, inwieweit man die Belastung heraufsetzen kann. Es ist doch wirklich ein allererster Versuch, der in dieser Beziehung in der Welt gemacht wird. Gewiß, ich kenne Finnland und ich kenne die finnischen Lösungen. Ich verhehle nicht, daß wir mit ganz großer Ehrfurcht und mit ganz großen Gewissenserforschungen an diese Dinge herangegangen sind.
Aber vergessen Sie hierbei nicht: als Finnland diese Gesetze schuf, schuf es sie in dem großen nationalen Schock und in einer Zeit, in der dort ein staatlicher Zusammenhang vorhanden war, und gerade diesen hatten wir in den Jahren 1945 bis 1949 eben nicht. Alles andere will ich nicht nennen, auch nicht, daß in Finnland eine etwas glückselige Inflation zu Hilfe kam.
— Die Bodenfrage, alles das will ich nicht anführen. Lassen Sie mich nur sagen, daß die finnische Delegation, die kürzlich hier war, uns gegenüber ihre absolute Anerkennung geäußert und den Hut vor der großen Leistung gezogen hat, die die Bundesrepublik bisher fertiggebracht hat.
Die Finnen sind also viel, viel ehrlicher und viel, viel anerkennender als wir. Aber um so mehr müssen wir für die Zukunft daraus lernen.
Wenn wir also das Negative des Entwurfs betrachten, so stoßen wir darauf, daß zu wenig für die produktive Eingliederung und für den Hausrat getan wird, daß eine zu lange Laufzeit vorgesehen, daß der allgemeine Unsicherheitsfaktor darin enthalten ist und daß nur für einen ganz geringen Bruchteil des verlorenen Vermögens Ersatz geleistet wird; denn es ist wirklich nur ein ganz geringer Bruchteil, der außerdem erst nach Jahren zur Auszahlung kommt.
Wenn ich mir demgegenüber nun aber das Positive des Entwurfs ansehe, so sehe ich erstens einmal die Sicherung der Unterhaltshilfe über die gegenwärtigen Sätze hinaus, zweitens die Aufstockung der Entschädigungsrente, drittens die Verstärkung der Hausrathilfe, ferner die Verrechnung von Existenzaufbaudarlehen auf die Hauptentschädigung, dann den Zahlungsbeginn für die Sparguthaben und auch den Härtefonds für die Sowjetzonenflüchtlinge. Sie wissen, meine Damen und Herren, die Sowjetzone mit diesem Problem liegt uns außerordentlich am Herzen. Die ständig träufelnde Wunde der grünen Grenze und das Hereinkommen von im Augenblick gegenüber unseren Heimatvertriebenen noch schwerer Leidenden, ist für uns ein ganz großes Problem. Wir haben auch beim Lastenausgleich sehr darüber debattiert, ob wir eine ähnliche Regelung für die Sowjetzonenflüchtlinge einsetzen müßten oder könnten. Das hat sich jedoch auf Grund der politischen und der sonstigen Dinge, die dazwischengekommen sind, nicht machen lassen.
Nun, meine Damen und Herren, komme ich zu dem Ziele, Sie herzlich zu bitten: Nehmen Sie dieses Gesetz mit möglichster Beschleunigung an; dann ist eine Grundlage für das Weitere geschaffen. Die Bundesregierung hat von Novellen gesprochen. Ich nehme das Wort vollinhaltlich auf, und ich kann es, weil sich alle Fraktionen — besonders die der Koalitionsparteien — darüber klar waren, daß hier
mit Novellen gearbeitet werden muß. Herr Seuffert , Sie sagten, es ginge schon ins Romanhafte. Sehr verehrter Herr Seuffert, ich liebe einen Roman noch mehr als eine Novelle, insbesondere wenn er den Titel „Soll und Haben" aus schlesischer Erinnerung trägt.
Es muß der ernsthafte Wille vorhanden sein, und er ist vorhanden, wie ich aus allen Gesprächen weiß.
Hier lassen Sie mich bitte eine ganz, ganz herzliche Bitte an die Opposition richten! Ich stehe nicht an, zu erklären, daß ich alle Veranlassung habe, für die hilfreiche Unterstützung der Sozialdemokratischen Partei in allen Angelegenheiten der Vertriebenen zu danken.
Das erkenne ich gern an, und ich werde es immer gern öffentlich anerkennen! Aber nun bitte ich Sie: Bringen Sie auch einmal Opfer um der Sache willen; denn es ist eine Sache, die einer ganz großen Mehrheit bedarf, nämlich dieses Riesengesetz dem deutschen Volke vorzulegen. Denken Sie an die Autorität, die der Bundestag dann — Sie haben ja die Gefahren, die beim Bundesrat und beim Verfassungsgericht drohen, in zweiter Lesung genügend vorgeführt — gegenüber dem Bundesrat hat; ich glaube, dann kann der Bundesrat das Gesetz trotz mancher Erwägungen nicht ablehnen. Es i s t notwendig, daß dieses Gesetz möglichst bald angenommen wird, denn wenn wir es durch Monate hindurch treiben lassen, wissen wir nicht, was daraus wird. Wir brauchen aber huh_ und einen Abschluß, und wir brauchen das Gesetz schon, um die notwendige Vorfinanzierung zu sichern. Eine Vorfinanzierung bekommen wir doch überhaupt nicht, wenn nur Hoffnungen bestehen; die bekommen wir im Inland erst, wenn eine ganz sichere Basis für die Ermächtigung zu der Anleihe von 5 Milliarden DM gegeben ist.
Vom Ausland ist überhaupt erst zu sprechen, wenn eine Sicherung da ist.
Unter diesen Umständen ist es sehr, sehr viel besser, heute nicht das Minus zu sehen, sondern das Plus zu sehen und anzunehmen. Ich möchte noch einmal darauf hinweisen: Dieses Gesetz und der Wille des Bundestags und des Volkes, überhaupt einen Lastenausgleich zu gewähren, ist das Große. Man sollte es nicht an den Grenzen, an dem Minus, scheitern lassen.
Wenn wir in einem sozialen Umbruch sind — und der Lastenausgleich ist ein Teil des großen sozialen Umbruchs, den das deutsche Volk, und zwar in Gemeinsamkeit mit den Heimatvertriebenen, die dabei führend sein müssen, durchmacht —, dann gilt der Satz: Für die Besitzenden Verzicht und Opfer und für die, die fordern, Verantwortungsbewußtsein und Geduld. Ich weiß, daß das schwerste Geduld ist. Dabei kommt nicht die Geduld des Daumendrehens in Frage, sondern die sittlich gespannte Geduld, auf den Augenblick zu warten, in dem wir das Größere leisten können. Der Augenblick wird kommen, und er wird auch mit der Unterstützung der ganzen Welt kommen, wenn die Welt sieht, daß wir bis an die Grenze des Möglichen gegangen sind.
Deshalb bitte ich als Vertriebenenminister den Bundestag aus ganzem Herzen, diesem Gesetz trotz aller Mängel, die keiner leugnet, die Zustimmung zu geben, weil es der Anfang für ein Weiterarbeiten ist.