Rede von
Hans
Schütz
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieses Haus hat in seiner nun fast dreijährigen Arbeit manches Gesetz in einer Zeit verabschiedet und verabschieden müssen, die einen Bruchteil von der Zeit ausmacht, in der man in den sogenannten normalen Zeiten gleich bedeutungsvolle Gesetze zu verabschieden pflegte. Wenn das Lastenausgleichsgesetz, das wir heute in dritter Beratung zu verabschieden beginnen, unvoreingenommen betrachtet wird, wenn es einmal in Geltung sein sollte, dann wird es im Bereich der Bundesrepublik nur ein einziges Gesetz geben, das man mit diesem Gesetz vergleichen kann, nämlich das Bürgerliche Gesetzbuch,
was Umfang und Tiefenwirkung betrifft. Daran aber haben unsere Großväter volle 22 Jahre gearbeitet.
Meine Damen und Herren, ich darf alle Beteiligten, auch diejenigen draußen im Lande, bitten, einmal an die bitteren Vorwürfe zu denken, die man diesem Hause gemacht hat — diesem Hause ohne Unterschied der Fraktionen —, weil es etwa 15 Monate dazu gebraucht hat, dieses Gesetz zu verabschieden. Nein! Diese Generation ohne Unterschied der politischen Richtung ist nicht um so viel gescheiter und um so viel gelenker, als es unsere Großväter waren. Ich will gar nicht für uns in Anspruch nehmen, daß unser Gesetz, das heute zur Diskussion steht, etwa so fein ausgearbeitet ist wie das Bürgerliche Gesetzbuch. Aber ich bitte, auch zu vergleichen, daß zwischen 15 Monaten und 22 Jahren auch in der deutschen Bundesrepublik 1951 etliche Unterschiede bestehen.
— Es sind nicht alle so gescheit wie die anderen
Leute. —
Wir wissen es: 2560 Tage warten die Betroffenen, oft in einer unvorstellbaren Notlage, auf diesen Lastenausgleich.
Aber dieser Bundestag ist erst rund 950 Tage überhaupt am Leben.
Er ist nicht dafür verantwortlich, daß eine Diskrepanz zwischen 2500 Tagen und den 950 Tagen entstanden ist.
Die ungeduldig Wartenden haben recht mit ihrer Ungeduld. Aber die Männer und Frauen dieses Hauses — und ich darf sagen, trotz der spöttischen Zwischenrufe, ohne Unterschied der politischen Richtung — haben mit der Hingabe ihrer ganzen Persönlichkeit in diesen 15 Monaten an der Gesetzwerdung und an der Fertigstellung gearbeitet.
Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf, der heute diesem Hause zur dritten Beratung vorliegt, ist — davon sind wir überzeugt — nicht der Weisheit letzter Schluß. Dieses Gesetz wird die deutsche Bevölkerung in drei Teile einteilen: in solche, die etwas abzugeben haben;
in solche, die etwas zu empfangen hoffen;
und in solche, die weder — noch!
— Enttäuscht werden sie alle sein; das steht außer Zweifel.
— Meine Damen und Herren von dort drüben , wir hätten der Bevölkerung diese Enttäuschung ersparen können, wenn Sie nicht dieses Unglück veranlaßt hätten!
Wo die letzte Grenze für die möglichen Belastungen liegt, das kann mit einer absoluten Sicherheit weder auf dieser Seite noch auf jener Seite jemand bis ins letzte sicher behaupten. Auf beiden Seiten kann nur mit der größten Vorsicht geschätzt und angenommen werden. Aus diesen beiderseitigen Schätzungen, Überlegungen und Annahmen ist das Ergebnis, wie es dieser Entwurf enthält, zustande gekommen. Wesentliche Differenzen über das Ausmaß der Belastungen und der Belastungsmöglichkeiten sind während der 15monatigen Beratungen im Ausschuß nicht aufgetreten.
Soweit sie vorhanden waren, hat die Spezialdebatte in der zweiten Beratung die deutsche Öffentlichkeit darüber unterrichtet.
Dagegen gab es von Anfang an über die sogenannte Verteilerseite grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten. Auch sie sind in den letzten Monaten in der Öffentlichkeit eingehend diskutiert worden. Im wesentlichen standen einander zwei Auffassungen gegenüber. Einmal sagte man, man solle bei der Verteilung nicht nach rückwärts schauen; man solle die Mittel nach dem Zustand der Geschädigten, wie er hier und heute gegeben ist, nach den sozialen und wirtschaftlichen Bedürfnissen verteilen. Unter allen anderen grundsätzlichen Einwendungen schienen uns — d. h. meinen politischen Freunden — aber für eine solche Entscheidung die letzten objektiven Maßstäbe zu fehlen. Wer entscheidet denn darüber, wo die sozialen und wirtschaftlichen Bedürfnisse im einzelnen beginnen? Daher entschied sich meine Fraktion und mit ihr die Mehrheit im Ausschuß dafür, daß der tatsächliche Verlust an land- und forstwirtschaftlichem Vermögen, an Hausbesitz, an Betriebsvermögen sowie an Gegenständen zur Berufsausbildung der Ausgangspunkt für die Entschädigung sein sollten. Für diese Entscheidung plädierten ohne Ausnahme auch alle Geschädigtenverbände, sowohl die der Heimatvertriebenen als auch die der Kriegssachgeschädigten.
Was also die prinzipielle Frage der Verteilerseite betrifft, so befindet sich die Mehrheit dieses Hauses und die Mehrheit des Ausschusses im Einvernehmen und in Übereinstimmung mit den beiden großen Geschädigtengruppen bzw. ihren Repräsentanten. Daß darüber hinaus auch den dringendsten sozialen Erfordernissen Rechnung zu tragen versucht wurde, beweisen die im Gesetz vorhandenen Lösungen.
Lassen Sie mich mit ein paar Zahlen darauf eingehen! Von den etwa 45 Milliarden DM, die aufzubringen sind, entfallen auf die Kriegsschadenrente rund 10 Milliarden DM, auf die Hauptentschädigung mit Zinsen rund 18 Milliarden DM, auf die Hausratentschädigung 7 Milliarden DM, auf die Wohnraumhilfe rund 3 Milliarden DM, auf den Härtefonds 1 Milliarde DM und auf die sonstigen
Förderungsmaßnahmen rund 2 Milliarden DM. Wenn Sie diese Summen jetzt auseinanderlegen, dann werden Sie, ohne daß Sie es vielleicht beabsichtigen, feststellen, daß rund 21 Milliarden DM — nämlich die 10 Milliarden DM für die Kriegsschadenrente und die Summen für die Wohnraumhilfe, den Härtefonds und die Hausratentschädigung
— auf den sozialen Sektor entfallen.
— Wenn Sie die Hausrathilfe auf die Entschädigungsseite nehmen, dann bleiben auf beiden Seiten 21 Milliarden, sowohl auf der Entschädigungsseite
— nämlich die 18 plus 3 für die Hausratentschädigung — als auch auf der anderen, der sozialen Seite.
Meine Damen und Herren, aus diesen Zahlen ist ersichtlich, daß hier niemand sagen kann, daß es ein einseitiger, nur nach der Hauptentschädigung, also nach den ehemaligen Besitzbürgern hinneigender Lastenausgleich wäre.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit aber noch einmal wiederholen, was der Kollege Kunze schon ausgesprochen hat. Herr Kollege Kriedemann, Sie werden es nicht bestreiten können, daß bei der ersten Lesung, wo das Thema „Unterhaltshilfe" angesprochen wurde, überhaupt niemand im Ausschuß dagewesen ist, der nicht damit übereingestimmt hätte, an der Lösung der Unterhaltshilfe, wie sie das Soforthilfegesetz vorsah, zum mindesten nach unten hin nicht zu rütteln.
Darauf hat von Anfang an die ganze Arbeit gefußt.
Nun lassen Sie mich ein Wort zu der Hauptentschädigung sagen! Der Kollege Kriedemann hat dankenswerterweise gar nicht bestritten, daß sich die Kollegen von seiner Fraktion im Grundsatz für eine Hauptentschädigung ausgesprochen haben. Ich stimme mit dem Kollegen Kunze und vielleicht auch — auch wenn Sie manchmal ein spöttisches Wort über die kleinen Geister haben —
mit Ihnen überein, daß man über die Höhe streiten kann Das ist die Wahrheit. Aber ich glaube, Sie werden mit mir übereinstimmen, daß es in der Demokratie eine Spielregel gibt: Wenn sich eine Mehrheit für ein System ausgesprochen hat, dann ist eben durch diese Majorität eine Autorität gesetzt, und wer diese Spielregel lächerlich macht, der macht die Demokratie lächerlich!
Es ist wahr — und Sie brauchen uns davon nicht zu überzeugen —, daß man mit einer Majorität nicht immer Wahrheit finden und setzen kann.
Aber in der Demokratie ist uns keine andere Spielregel gesetzt als die, durch eine Mehrheit eine Autorität zu setzen.
— Herr Kollege Ollenhauer. ich habe nicht die Absicht. mit Ihnen in der gleichen Art zu diskutieren wie Sie mit uns! Ich darf Ihnen sagen, es war ein Schmerz
— jawohl! —, bei diesem Anlaß die Töne — um mit Ihrem Wort zu sprechen: die Musik — in der
Art feststellen zu müssen, wie wir das bei Ihren Ausführungen erlebt und gehört haben. Ich möchte es mit dem großen Sozialisten Ignazio Silone halten, an dessen Buch „Brot und Wein" sich in der schlimmen Zeit der Diktatur mancher aus Ihren Kreisen erbaut und aufgerichtet hat. Er sagt:
Die wahre Demokratie, der ehrliche politische Kampf kann nur auf Toleranz, dem friedlichen Beisammenleben und der gegenseitigen Achtung aller Bürger, welcher verschiedenen Anschauung sie auch sein mögen, begründet sein.
Aber ein paar Worte möchte ich doch dazu sagen. Man hat hier gesagt, dieses Lastenausgleichsgesetz sei einfach ein Glied in der Kette einer sehr abscheulichen Politik, die in den letzten Jahren abgelaufen ist. Selbstverständlich gibt es in der Politik — auch in der Wirtschaftspolitik — keine Dogmen; da kann man sowohl — als auch denken. Aber wenn wir uns heute fragen, ob sie wirklich so verwerflich war nach all dem, was seit 1949 seit dieses Haus angetreten ist, geschah,
dann möchte ich doch sagen, daß diese Politik vor der Geschichte unseres Volkes durchaus bestehen kann.
Als wir 1949 die Regierung Adenauer bildeten, da gab es 20 Millionen Menschen in diesem Staate, die Löhne, Gehälter, Unternehmergewinne, Für-
;) sorge oder Renten oder Pensionen empfingen. 1948 lag bei fast 7 Millionen dieser 20 Millionen — das ist mehr als jeder Dritte — das monatliche Durchschnittseinkommen unter 100 DM. Heute sind es 22 Millionen Menschen, die Löhne, Gehälter oder andere Einkommen haben. Von diesen 22 Millionen Menschen sind — Gott sei es geklagt — noch 3 Millionen in der gleichen armseligen sozialen Lage wie die 7 Millionen, die 1948 in dieser Lage waren.
Sie können nun sagen: das ist eine Schande, daß es noch die 3 Millionen gibt. Ich darf aber sagen: Es ist ein Verdienst, daß es 4 Millionen weniger geworden sind!
Es ließe sich aber auch noch ein anderes Wort sagen, Herr Kollege Mellies, z. B. folgendes: In diesem Raum, in dem es heute 47 Millionen Menschen gibt, gab es 1938 36 Millionen Menschen. In den letzten Kriegsjahren und in den ersten Nachkriegsjahren sind durch den Bombenhagel und
die Demontagen rund 50 vom Hundert aller industriellen Arbeitsplätze zerstört worden. Wir beschäftigen heute an den restlichen 50 % der Arbeitsplätze dreieinhalb Millionen Menschen mehr als in Hitlers größtem Aufrüstungsmonat, dem Oktober 1936.
Das ist nicht allein das Verdienst der Regierung
Adenauer, ganz gewiß nicht. Aber das ist auch
ein Verdienst dieser Regierung Adenauer,
und so schlecht war die Wirtschaftspolitik, wie Sie sie hier darzustellen versuchten, nicht.
Sie haben mit Recht gesagt, daß sich der grüßte Teil der Geschädigten aus den kleinen Leuten, den Arbeitnehmern rekrutiere. Wer dazu einen Beitrag geleistet hat, diesen kleinen Leuten einen Arbeitsplatz zu verschaffen, der hat wahrlich auch einen Beitrag zum Lastenausgleich geleistet.
Dieser Lastenausgleich — ich sagte es schon — wird auf beiden Seiten keine Begeisterung auslösen; dessen sind sich alle, die daran mitgearbeitet haben, voll bewußt. Aber dieser Lastenausgleich will ein Beitrag sein auf dem Wege zur Schaffung einer neuen sozialen Ordnung in diesem armen Deutschland.
Ich möchte noch ein Wort nach der andern Seite sagen. Es gibt viele Leute — auch auf dieser Seite —, die es gerne gesehen hätten, wenn es möglich gewesen wäre, daß für dieses Gesetz eine Mehrheit hätte geschaffen werden können, die weit über die sogenannte Regierungsmehrheit hinaus geht.
— Jawohl, wir geben die Hoffnung noch nicht auf.
Lassen Sie mich nur ein Wort sagen. Von 1884 bis zur Jahrhundertwende ist in diesem Deutschland kein Sozialversicherungsgesetz beschlossen worden, für das diese Seite ja gesagt hätte.
— Jawohl, bis zur Jahrhundertwende habe ich gesagt, Frau Schroeder. Es hat aber nicht lange gedauert nach der Jahrhundertwende, da war man sich nicht nur bei den Vätern dieser Seite , sondern auch bei den Vätern dieser Seite (links) darüber einig, daß es eine klassische deutsche Sozialgesetzgebung gewesen sei, die damals begonnen worden ist.
Vielleicht gibt die Entwicklung auch den paar unverbesserlichen Optimisten dieses Hauses recht, daß selbst in den Kreisen, die sich heute nicht entschließen können, einmal die Stunde reift, in der man sagt: es ist etwas Ordentliches daraus geworden.
Dazu wollten wir heute mit dieser dritten Lesung den ersten Grundstein legen.