Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Anläßlich der dritten Lesung dieses Gesetzes erscheint es mir angebracht, noch einmal auf einen Punkt hinzuweisen, der auch in der Präambel angesprochen ist, nämlich darauf, daß I das Lastenausgleichsgesetz und der damit erstrebte
Zweck, die Eingliederung der Vertriebenen, in keinem Widerspruch steht zu unserm Anspruch und unserm Recht auf die Heimat. Im Gegenteil, wir sind der Überzeugung, daß die Rücksiedlung, wenn wir sie eines Tages vornehmen können, mit Erfolg nur durchgeführt werden kann, wenn die körperliche, seelische und auch die wirtschaftliche Substanz der Vertriebenen erhalten geblieben ist,
und das kann nur geschehen, wenn sie in die westdeutsche Wirtschaft eingegliedert werden.
In der Präambel ist auch das Wort von dem Anspruch enthalten und das Wort „Rechtsanspruch" vermieden. Ich möchte diese Gelegenheit nicht vorübergehen lassen und möchte mich auch durch keine Kritik davon abhalten lassen, noch einmal herauszustellen, daß wir einen Rechtsanspruch auf eine gerechte Verteilung der Kriegs- und Kriegsfolgelasten zu haben glauben. Wir sind durchaus für die Ausgestaltung des Lastenausgleichs nach sozialen Gesichtspunkten und haben uns diesen Anforderungen auch nicht verschlossen; aber es darf nicht in die Umkehr gegangen werden, als ob der Rechtsanspruch überhaupt nur noch etwas ist, das ganz hinten rangiert und auf das angewiesen ist, was übrigbleibt. Ich habe schon neulich gesagt, daß gerade die Höchstgrenze, die Entschädigung von 15.000 DM, uns eine Negation nicht nur des Rechtsanspruchs, sondern auch des Begriffs vom Privateigentum zu sein schiene, auch wenn man da nur an mittlere Vermögen dachte. Herr Kriedemann hat heute vorgetragen, daß für 50 000 oder 52 000 Menschen eine Milliarde aufgewendet werden solle. Ich glaube, die Zahl ist etwas zu hoch gegriffen. Aber, meine Damen und Herren, wenn man von dem Gesamtaufkommen von 60 Milliarden ausgeht und dann zu der Konsequenz kommt, daß davon 59 Milliarden für kleine und mittlere Vermögen Verwendung finden sollen und eine Milliarde für größere Vermögen, dann scheint mir das auch kein sicherer Beweis für eine asoziale Haltung zu sein.
Meine Damen und Herren, der Lastenausgleich nach unseren Begriffen schließt die Forderung nach einer echten Vermögensumschichtung, nach einem Eingriff in die Substanz ein; denn sonst kann man nicht von einer Neuverteilung des Zufallsbesitzes, wie ihn der Krieg übriggelassen hat, sprechen. Es ist festzustellen, daß im Gesetz, wie es uns jetzt in der Fassung der zweiten Lesung vorliegt, davon nichts zu finden ist. Der von uns gestellte Antrag, daß gewisse Abgabepflichtige eine anderthalbfache statt der einfachen Annuität zahlen sollen — das war das letzte, was man als direkten Eingriff in die Substanz wohl ansehen konnte —, ist abgelehnt worden. Man hat die Form der Vermögensteuer gewählt und hat die Abgabe auf 30 Jahre verrentet. Wir stehen damit vor der Tatsache, daß der Lastenausgleich von einer falschen Grundkonzeption ausgeht, nämlich von der Verrentung auf 30 Jahre, und dann doch für die Abgabe ein Stichtagvermögen zugrunde lest. Das ist -bei so langer Zeitdauer nicht sinnvoll. Es ist unzweifelhaft, daß nach 30 Jahren — schon ein sehr viel kürzerer Zeitraum wird das erweisen — diese Vermögen sich fast ganz oder zum großen Teil verflüchtigt haben werden. Deshalb ist für die Vertriebenen nach meiner Auffassung diese Konzeption, die sich in diesem Stadium leider nicht mehr mit Aussicht auf Erfolg angreifen läßt, nur tragbar, wenn diese Mängel durch eine starke Vorfinanzierung ausgeglichen werden und dadurch der Bedarf für die ersten Jahre sichergestellt wird.
Wir haben diesen Bedarf für die ersten Jahre — ich brauche das hier nicht zu sagen —, sonst kommt für allzu viele die Hilfe zu spät.
Die Bilanz sieht traurig aus; daran ist kein Zweifel möglich. Darüber wollen wir aber nicht verschweigen oder_ übersehen, daß dieses Gesetz auch wesentliche Verbesserungen bringt. Ich nenne nur zwei: die Kriegsschadenrente und die Hausratentschädigung. Die Hausratentschädigung ist natürlich für die Forderungen, die von unseren Leuten gerade in dieser Hinsicht erhoben werden, auch dann unbefriedigend, wenn 500 Millionen im' Jahr dafür zur Verfügung gestellt werden. Aber vergleicht man diese Zahl mit dem, was bisher gegeben worden ist, so ist fraglos ein Fortschritt festzustellen.
Schlechter sieht die Situation für eines unserer ersten Anliegen aus, nämlich für die produktive Eingliederung der Vertriebenen. Auch darüber brauche ich nichts mehr zu sagen, nachdem ich neulich auf die Notlage der Bauern, der Gewerbetreibenden usw. hingewiesen habe, die endlich wieder einen Start machen wollen. Nach der Rechnung, die uns aufgemacht ist, haben wir im ersten Jahre 200 Millionen für die Eingliederungshilfe. Diese 200 Millionen sind wegen der Übergangsschwierigkeiten noch mit einem kleinen Fragezeichen versehen. Ich glaube aber, daß sich das kassenmäßig überwinden lassen wird. Damit ist jedoch der Bedarf, den wir auf eine Milliarde pro Jahr in den ersten drei Jahren beziffert haben, nicht gedeckt. Er kann nur auf zwei Wegen gedeckt werden: durch Erhöhung der Abgabe und Vorfinanzierung.
In der Frage der Heranziehung der öffentlichen Hand können wir uns der Auffassung der Sozialdemokratischen Partei nicht anschließen, einfach aus der Tatsache heraus, daß wir jetzt schon zu wenig Gelder haben.
— Ja, Herr Kriedemann, wir können es nicht machen wie der Bundesrat, der auf der einen Seite durch Erhöhung der Ausgaben um 300 Millionen den Topf geschmälert und auf der anderen Seite — um das „auszugleichen" — die Einnahmen um 300 Millionen gekürzt hat.
Ich glaube aber auch — ich sagte das heute schon —, daß ein Grund vorliegt, die öffentliche Hand insoweit heranzuziehen, denn sie hat echte Ersparnisse. Kein Vertriebener wird meiner Auffassung nach das Gefühl haben, daß er nun doch Wohlfahrtsempfänger ist, wenn die öffentliche Hand diese 250 Millionen zurückgibt. Denen ist das vollkommen egal; Hauptsache, daß sie selbst nichts mit dem Wohlfahrtsamt zu tun haben und daß sie einen Rechtsanspruch haben.
Wir haben in der zweiten Lesung vier Vorschläge zur Erhöhung des Aufkommens gemacht: Vermögensteuer, Erhöhung der Abgabe bei Landwirtschaft und Hausbesitz um 1 %, Heranziehung des Hausratsvermögens und des Kirchenvermögens. Den Antrag auf Heranziehung des Hausratsver-
mögen haben wir in zweiter Lesung zurückgezogen. Ich möchte den Grund dafür angeben: wir haben diese Forderung, die wir für gerechtfertigt halten, nicht aufgegeben; wir wollten aber, nachdem feststand, daß die Mehrheitsparteien und die Opposition diesen Antrag nicht unterstützen, das Haus nicht damit aufhalten. Wenn ich jedoch Unterstützung bekomme, dann könnten wir darüber reden.
Wir haben Vorschläge für die Vorfinanzierung gemacht. Im Gesetz haben wir den Bonus. Es ist uns zugesagt worden — allerdings bisher nicht in verbindlicher Form —, daß der Weg über den 7 d gegangen werden soll. Unser Antrag sieht weiter eineinhalbfache Annuitäten, steuerliche Vergünstigungen und die Möglichkeiten von Anleihen vor. Man braucht nicht alle diese Wege zu gehen, aber man sollte sie doch insoweit gehen, daß unser Rechtsanspruch und das Bedürfnis für die ersten Jahre wenigstens annähernd gedeckt wird.
Meine Damen und Herren von der Koalition, wäre es nicht eine reizvolle Angelegenheit, Herrn Kriedemann einmal den Nachweis zu erbringen, daß es doch manchmal ganz gut ist, wenn sich einer auf dem Marktplatz hinstellt und schreit?
— Ich bin nicht davon heiser geworden, denn ich habe letzten Sonntag den Marktplatz ängstlich gemieden.
Ich habe auf diesen beiden Kundgebungen eine
Vorfinanzierung von etwa 3 Milliarden für die
ersten drei Jahre gefordert. Es wäre doch sehr
schön, wenn sich bei dieser Gelegenheit im Bundestag herausstellte, daß ich damit nichts Unmögliches
gefordert habe, und wenn Sie diese Forderung uns
wenigstens in etwa bewilligten. Herrn Kriedemann
muß ich aber sagen, daß das echte Anliegen und
die echte Not, die uns zu dieser Demonstration gezwungen haben, mit derartigen Vokabeln kaum
richtig gewürdigt und von den Vertriebenen — —
— Tun Sie das ruhig, Herr Kriedemann; aber Sie tun sich damit keinen Dienst.
Der Vergleich der Leistungen aus dem Lastenausgleich mit den Leistungen zum Wehrbeitrag drängt sich geradezu zwangsläufig auf. Es wird immer so sein, daß die Vertriebenen und die anderen Geschädigten sagen: Dort ist in einem Jahr mehr da als für uns in drei Jahren! Oder man wird sagen: Die eine Milliarde, die wir für die produktive Eingliederung haben wollen, bekommen wir nicht, aber für den Wehrbeitrag ist fast die gleiche Summe in einem Monat zu zahlen! Meine Damen und Herren, der Zusammenhang kann auch gar nicht in Abrede gestellt werden. In der Begründung zu diesem Gesetzentwurf ist ausdrücklich gesagt, daß jede Leistung aus dem Lastenausgleich einen echten Beitrag zur Verteidigung darstellt. Der Herr Bundeskanzler hat das von dieser Stelle am 7. Februar betont und sogar von einem Vorrang der sozialen Leistungen gesprochen. Ich glaube auch, daß die Erkenntnis, daß das eine ohne das andere — und das gilt für beide — wenig sinnvoll ist, Allgemeingut und unbestritten ist.
Deshalb sollten wir die Relationen und Vergleiche
der Größenordnungen sehr ernst nehmen. Denn die
Leute, die auf den Lastenausgleich warten, werden
diese Vergleiche anstellen und sie werden das alles sehr ernst nehmen. Ich glaube, daß die Bundesregierung gerade diesem Gesichtspunkt in den Verhandlungen mit den Westmächten eine besondere Bedeutung und eine besondere Aufmerksamkeit beimessen sollte. Nur wenn wir den sozialen Frieden durch dieses Gesetz gewinnen, hat ein Verteidigungsbeitrag Sinn und Zweck.
Die Vertriebenen haben — das ist ebenfalls nicht zu bestreiten — einen großen Anteil an dem Aufbau der westdeutschen Wirtschaft.
Leider ist auch nicht zu bestreiten, daß dieser Anteil größer an der Arbeit war als am Gewinn. Wir sollten auch eines nicht außer acht lassen; auch was aus dem Lastenausgleich den Geschädigten zugute kommen wird, wird letzten Endes wieder der gesamtdeutschen Volkswirtschaft zugute kommen. Wir dürfen gerade in dieser Stunde die Gesamthaftung des deutschen Volkes — das ist heute schon einmal angedeutet worden — für einen gemeinsam geführten und verlorenen Krieg nicht außer acht lassen. Wenn man aber diesen Gesichtspunkt wirklich bewertet und berücksichtigt, dann kann man nicht zu dem Ergebnis kommen, hier sei etwas ex caritate zu bewilligen. Hier ist vielmehr ein echter Anspruch auf Entschädigung festzustellen, das wollen wir nicht außer acht lassen. Der Deutsche Bundestag darf gerade bei dieser Frage nicht versagen. Ich bitte doch einmal zu überlegen, ob es nicht möglich ist, durch eine Erhöhung des Aufkommens, z. B. durch die Heranziehung des Stichtagvermögens zur Vermögensteuer und durch ins Gewicht fallende Vorfinanzierungsmaßnahmen, den Geschädigten wenigstens für die ersten drei Jahre den Betrag zu geben, den sie zur Eingliederung ihrer Schicksalsgenossen brauchen und den ja auch das ganze deutsche Volk braucht. Denn letzten Endes ist nichts so teuer wie das Geld, das für Arbeitslose dahingegeben wird.
Mit Deklamationen und der Aussicht auf Novellen können wir uns allerdings nicht abfinden. Es müßten dann schon konkrete Vorschläge hierzu gemacht werden. Es geht hier schließlich um mehr als Geld und Geldeswert.
Meine Damen und Herren, ich habe die herzliche Bitte gerade an die Mehrheit des Hauses — denn sie ist kraft ihrer Mehrheit für das Gesetz verantwortlich —: prüfen Sie, wie das heute schon von anderer Seite gefordert wurde, noch einmal ernsthaft die Situation! Prüfen Sie wirklich ernsthaft die Möglichkeiten, die die deutsche Wirtschaft hat, und geben Sie uns einen Lastenausgleich, zu dem auch wir ja sagen können!