Rede von
Dr.
Wilfried
Keller
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(Fraktionslos)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GB/BHE)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was mir in dieser Debatte zu sagen zufällt, entspringt einer besonderen Situation. Was ich darin gemeinsam auch für die leider verhinderten Kollegen Tichi und Fröhlich zu sagen habe, steht nicht nur für die Stimme eines heute allein vor Ihnen stehenden Mitglieds dieses Hohen Hauses, sondern es hat auch für diejenigen zu
stehen, die draußen heute schon in fünf Länderparlamenten nicht unwesentlich in Erscheinung
getreten sind, die heute schon in vier Landesregierungen Verantwortung übernommen haben und
seit geraumer Zeit tragen und denen lediglich im
Jahre 1949 ein dem Grundgesetz einwandfrei
widersprechender Lizenzzwang von äußerer Seite
verwehrt hat, so in Erscheinung zu treten, wie es
nach demokratischen Grundsätzen ihr Recht und
— wie sie meinen — ihre Pflicht gewesen wäre.
In diesem Sinne darf ich Ihnen für den BHE, den Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten, die Meinung dieser Gruppe unterbreiten.
Ich möchte vorausschicken, daß der BHE in dem uns vorliegenden Gesetzentwurf, wie er sich im Augenblick darstellt, nicht einen wirklichen und nicht einen echten Lastenausgleich erblicken kann und daß selbst bei dem Bemühen, die Dinge vollkommen objektiv zu betrachten, wir den Eindruck einer — wie es hier einmal dargestellt worden ist — ungeheuren Finanztransaktion nicht teilen können. Gerade, wenn man neu in dieses Haus tritt, drängt sich einem unwillkürlich der Eindruck einer ungeheuren Finanzmanipulation auf, bei der unter zunächst äußerst eindrucksvollen großen Zahlen im Effekt doch nicht erreicht wird, was, wie oft erklärt worden ist, allen Gutwilligen hier vorgeschwebt hat. Der Bundesvorsitzende des BHE, Minister Waldemar K r a f t, hat die Dinge einmal in eine, wie ich meine, sehr einfache und treffende Formulierung gekleidet, indem er gesagt hat, daß ein gemeinsam verlorener Krieg, der gemeinsam geführt und gemeinsam verloren worden ist, nun auch in seinen Folgen gemeinsam getragen werden müßte. Er hat das Wort von der gemeinsamen Zeche gebraucht, die gemeinsam bezahlt werden sollte.
Der Entwurf, der vor uns liegt, wird diesen Dingen in keiner Weise gerecht. Um einige Einzelheiten herauszugreifen: von der schnellen Hilfe, von der gleichfalls hier schon oft gesprochen worden ist, kann nicht die Rede sein. Gerade bei den Sparten, die einer besonders schnellen Hilfe bedürfen, auf dem Gebiet der produktiven Eingliederung, die neue Werte mit schaffen helfen soll, auf dem Gebiet der Hausratsentschädigung — dem Dringendsten und Notwendigsten vielleicht wird der Entwurf den Erfordernissen nicht gerecht und verlagert darüber hinaus ganz allgemeine soziale Aufgaben, die der öffentlichen Hand auch ohne einen Lastenausgleich nun einmal zugefallen wären und ihr obgelegen hätten, auf den Lastenausgleich, wobei ich besonders etwa an die Fragen der Wohnraumbeschaffung und der Arbeitsplatzbeschaffung denke — allgemeine Probleme, die noch zu allen Zeiten immanent gewesen sind und vor uns gestanden haben.
Wir erblicken weiter einen wesentlichen Mangel dieses Entwurfs darin, daß in diesem Gesetz bei der vollkommen willkürlichen Festsetzung eines Stichtages ganz übersehen worden ist, daß seit diesem Stichtag Milliarden, ungezählte Milliarden von Investitionen sich neu im Volksvermögen ergeben haben, nicht nur geschöpft und beileibe nicht nur allein geschöpft aus der Hilfe des Auslandes, sondern, wie es heute bereits Statistiken einwandfrei ausweisen, geschöpft aus der deutschen Wirtschaftssubstanz selbst und nicht zuletzt geschöpft aus den summierten und dann doch ein Großes gebenden unzähligen Pfennigen des Konsumenten, die dazu beigetragen haben, daß neue erhebliche Investitionen getätigt werden konnten. Der Entwurf macht nach unserer Auffassung zu seiner wesentlichen Grundaufgabe eine scheinbare Vermögensabgabe, die in Wirklichkeit doch nur eine sehr milde und noch dazu vom verwaltungsmäßigen und finanzwirtschaftlichen Standpunkt aus gesehen manchmal geradezu unsinnig anmutende Vermögensteuer darstellt. Letzten Endes läßt er in der Erfassung und Berechnung des zu erhebenden Aufkommens Möglichkeiten zu, daß das Aufkommen nicht so eingeht, wie es sich uns von den Statistiken her präsentiert. Auf der andern Seite, wenn es z. B. darum geht, daß der kleine Arbeiter mit der Lohnsteuer seinen Tribut an die Gesamtheit leistet, pflegt man die Erhebung ganz anders zu handhaben.
Meine sehr verehrten Kollegen und Kolleginnen, man sollte nicht sagen, daß es nicht anders ginge. Es gibt, Gott sei Dank, möchte ich sagen, heute schon Beispiele — nicht weit von uns — in der Welt dafür, daß es wirklich anders geht, wenn man wirklich anders will. Ich glaube sagen zu dürfen, daß das Beispiel der kleinen, tapferen und klugen Nation der Finnen im Norden unseres Erdteils heute schon dafür steht, wie man einen Lastenausgleich vollziehen kann, wenn man die Notwendigkeit dazu erkennt. Ich möchte sagen, daß Finnland nach dem Jahre 1945 im wesentlichen vor derselben Titanenaufgabe gestanden hat wie wir in Deutschland leider auch. Dort hat man aber die Dinge ernster genommen. In Finnland hat man nachweisbar heute schon jedem Geschädigten gerade in den untersten Grenzen — ich sage das, um auch einmal den sozialen Wünschen eines Teils dieses Hauses das Wort zu reden — volle Entschädigung bis zum Vergleichswert von 42 000 DM gewährt. Finnland .ist an diesen Dingen nicht zugrunde gegangen, sondern Finnland lebt und scheint einer wirtschaftlichen Gesundung entgegenzugehen.
Man sollte in Deutschland nicht glauben, der Situation, die Finnland offensichtlich zu diesen Anstrengungen und Opfern beflügelt hat, entgangen zu sein. Ich glaube, wir können nicht sagen, daß wir in Deutschland gegen die Situation, die Finnland zu diesen Schritten bewegt hat, heute schon so gefeit wären, daß es entsprechender Anstrengungen nicht bedürfte.
Eines, meine sehr Verehrten, wird dieses Gesetz wohl schaffen: es wird Klarheit schaffen. Wenn das Gesetz so über die Bühne geht, wie es im Augenblick den Anschein hat, wird man — den Eindruck habe ich — wissen, daß ein echtes Opfer zunächst an die eine Seite nicht herantritt, und daß auf der anderen Seite, auf der Seite derer, die seit Jahren auf diesen Tag gewartet haben, selbst bescheidene Hoffnungen zunächst vergeblich gewesen sind.
Man hat die immer so disziplinierten Demonstrationen der Vertriebenen und Geschädigten auf dem Marktplatz in Bonn als einen Ausdruck der Straße abzutun versucht; aber ich möchte meinen, daß draußen auf der Straße und im Lande, wo das Volk lebt und arbeitet, die Dinge manchmal etwas richtiger erkannt werden als an grünen Tischen und grünen Pulten, wo immer sie stehen mögen. Hier muß ich zu meinem Leidwesen eines erwähnen. Der Herr Bundesfinanzminister hat
geglaubt, in seiner berühmt gewordenen Rede von Tuntenhausen den vielleicht durch die Jahre geretteten und geschonten oder mit saurer Muhe neu erworbenen Anzug dieses oder jenes der Demonstranten, der sich nun aus der grauen Not dieser Masse herausgehoben hat, bemangeln und beanstanden zu mussen. Ich muß dabei lebhaft an das Wort denken: Das war kein Meisterstuck, Oktavio. — Ich möchte meinen, daß zum mindesten im Effekt — ob bewußt oder unbewußt — diese Auffassung geradezu einer Provokation derer gleichkommt, die nun Jahr und Tag bewiesen haben, daß sie in Geduld auf eine Lösung des Rechts zu warten gewillt sind. Ich bedaure, daß diese Menschen, die immer wieder sittliche Geduld und Ausdauer bewiesen haben, über die man nicht hinweggehen und nicht hinwegsehen kann, diese Taktlosigkeit hinnehmen mußten.
Es geht hier nicht allein um die materiellen Dinge, die in den Änderungsanträgen und Entwürfen immer wieder die Rolle spielen und immer wieder diskutiert werden. Ich glaube, wir dürfen hier nicht vergessen, daß hier ein ideelles Band zwischen den glücklicher Gebliebenen und den zunächst Betroffenen geschlungen werden soll, das unser Volk in dieser Zeit gerade dringendst braucht. Es wird vielleicht noch zu wenig betont, daß dieser Lastenausgleich letzten Endes eine moralische, sittliche und rechtliche Pflicht unseres . Volkes ist. Jedem in diesem Land muß das Gefühl zurückgegeben werden — denn es besteht im Augenblick nicht mehr, dieses Gefühl —, daß das Volk für die letzten seiner unschuldig in Not Geratenen das zu tun gewillt ist, was unter Anspannung aller Kräfte in seiner Macht steht. Jedem muß das Gefühl zurückgegeben werden, daß der einzelne Glied dieses Volkes geworden ist mit allen Rechten und Pflichten, auf die man gerade in der nächsten Zukunft hofft.
Es ist mir für die innere Haltung dieser Vertriebenen und Geschädigten bezeichnend gewesen, daß das Lied eines Bekenntnisses zu Deutschland, das nicht etwa ein Lied gewesen ist, das erst das „Dritte Reich" gebracht hat, sondern — —