Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schon einmal stand das Parlament unseres deutschen Volkes vor einer Lage, die der heutigen ähnlich ist — der Präsident des damaligen Reichstages sitzt ja noch unter uns —, als im Hochsommer 1925 von dem Deutschen Reichstag die Aufwertungsgesetzgebung beschlossen werden mußte. Während der schweren Ausschußverhandlungen habe ich manchmal nächtlicherweile die Protokolle gelesen. Auch die damaligen Kollegen, wenn ich so sagen darf, hatten oft die Sorge, ob die damaligen Probleme überhaupt lösbar seien. Oft scheinen gute, berühmte Männer, auch der Bürokratie, an der Aufgabe zu verzweifeln. Das Gesetz ist dann schließlich doch zustande gekommen. Aber die gestellte Aufgabe ist damals leider nur sehr unvollkommen gelöst worden. Viele enttäuschte Sparer verloren den Glauben an die Demokratie und an die Weimarer Verfassung. Die Söhne dieser enteigneten Familien sind dann in die braunen Bataillone gegangen und haben mitgeholfen, den 30. Januar 1933 herbeizuführen. Ein gnädiges Geschick möge uns vor einer Wiederholung einer solchen Entwicklung bewahren!
In dieser Stunde müssen wir ruhig und sachlich das Pro und das Kontra der Vorlage prüfen, so wie sie jetzt für die dritte Lesung vorliegt und voraussichtlich Gesetz werden wird. Es ist leicht, draußen unsere Arbeit zu kritisieren. Es ist leicht, scheinbar selbstverständliche Forderungen zu erheben, die leider anderen, die zustimmen müssen, nicht selbstverständlich sind. Ich gebe Herrn Kollegen Kriedemann recht: es ist schon ein Unterschied, ob man ein solches Problem in der Stille der Studierstube löst oder hier steht und sich im Vordergrund aller Erwägungen immer die Frage erhebt: Wie bekomme ich eine Mehrheit, welche Ideen haben Aussicht, daß andere mitziehen? Das ist die Schwierigkeit, die auch von unseren Mitbürgern draußen gesehen werden muß. Wir müssen uns alle darüber klar sein — und ich glaube, meine Freunde haben es auch im Ausschuß bewiesen —, daß wir eben Kompromisse schließen und uns zusammenfinden müssen, um eine tragbare Basis für das Gesetz zu bekommen.
In meiner Fraktion sind viele Kollegen in Sorge, ob dieses Gesetz durchzuführen und ob es volkswirtschaftlich und vom Standpunkt der Geschädigten aus einigermaßen vertretbar ist. Die Einwendungen gegen das Gesetz — um damit anzufangen — liegen auf der Hand. Zunächst die lange
Laufzeit von 30 Jahren! Ich gehe noch einmal in die Vergangenheit, in das Jahr 1925, zurück. Die damals ausgegebene Altbesitzanleihe des Reiches lief auch 30 Jahre. In drei Jahren — 1955 — hätte sie abgelaufen sein sollen. Was ist aus dieser Altbesitzanleihe geworden, aus jenem Versuch, das riesenhafte Unrecht der Inflation etwas zu mäßigen! Bei einer solch langen Laufzeit weiß niemand, wie sich der Tauschwert der Währung entwickeln wird. Für die Auswirkung des Gesetzes ist es sehr wesentlich, ob der Tauschwert bleibt, wie er heute ist, ob er sich womöglich steigert oder ob er weiter sinkt. Dadurch kann das Gesetz in seinen Auswirkungen vollständig geändert werden. Ein weiterer großer Einwand ist die Unzulänglichkeit der Entschädigungsleistungen, die wir ja hier oft diskutiert haben und die uns besonders kraß beim Hausrat entgegentritt, also gerade der Entschädigung, die für die Masse der Betroffenen die entscheidende ist. In einer großen Anzahl von Punkten fühlt sich das dem Menschen angeborene Rechtsgefühl verletzt. Wie soll man es draußen verteidigen, wenn der Hauseigentümer seine Hypothekenschuld nicht mit seinen Geldverlusten bei der Währungsreform kompensieren kann, während umgekehrt bei der Kreditgewinnabgabe diese Saldierungsmöglichkeiten in großem Umfang gewährt werden. Ein weiteres Problem, das uns ja gerade auch in der zweiten Lesung viel Sorge gemacht hat, ist der § 38, die Saldierung der Verluste mit erhalten gebliebenem Vermögen. Der Mann draußen, der vielleicht ein Vielfaches des geretteten Vermögens im Bombenhagel oder als Ostflüchtling verloren hat, versteht es nicht recht, wenn er nun von dem Rest seines Vermögens noch eine Abgabe leisten muß und nur in bescheidenem Umfang Abgabeerleichterungen bekommt, die aber nachher wieder auf seine Entschädigung angerechnet werden. Wir wissen, daß dieser Regelung ein bestimmtes System zugrunde liegt, das schon die Regierungsvorlage enthielt und das wir auch während der Ausschußberatungen nicht mehr einfach ändern konnten. Diese Regelung belastet das ganze Gesetz und steht auf der negativen Seite.
Aber neben diesen negativen Punkten, die klar herausgestellt werden müssen, stehen doch unzweifelhaft positive. Denjenigen, die abgeben müssen, kann man klar und deutlich nachweisen, daß gegenüber der Abgabenregelung im Soforthilfegesetz eine gerechtere Bemessung der Abgaben erfolgt ist, insbesondere dadurch, daß der Schuldenabzug zugelassen wird. Als zweiter Pluspunkt ist zu erwähnen, was schon Herr Kollege Atzenroth angedeutet hat: jetzt kommt wenigstens eine Heranziehung der Währungsgewinne! Die Tatsache, daß bei der Währungsreform 1948 große Gewinne gemacht worden sind, belastet das Rechtsgefühl jedes einzelnen von uns. Hier wird nun, wenn auch in einem durch die volkswirtschaftlichen Notwendigkeiten eingeschränkten Umfang, zugegriffen.
Nun zur Entschädigungsseite. Gering sind die Hausratentschädigungen; aber sie sind doch sehr viel besser, als sie bisher waren. Das ist immerhin etwas, was erreicht worden ist.
Wir schätzen es hoch ein, daß wir jetzt wenigstens einen klaren Rechtsanspruch auf die Hauptentschädigung haben, diese Hauptentschädigung, die sicherlich nicht, wie es, glaube ich, hier angedeutet worden ist, als Ausfluß einer kapitalistischen Haltung bezeichnet werden kann. Ach, meine Damen und Herren, lesen Sie doch die Prozentsätze der Entschädigung im § 269! Vielleicht wäre es
besser gewesen, man hätte im § 269 nicht gesagt, wieviel Prozent noch entschädigt werden, sondern hätte umgekehrt gesagt, daß die großen Vermögen zu 98 % enteignet bleiben und nicht entschädigt werden.
So sehen doch die Zahlen praktisch aus. Aber es ist wenigstens der Wille dokumentiert, den Rechtsanspruch zu gewähren und im Rahmen des Möglichen hier zu entschädigen.
Wir halten es endlich für begrüßenswert, daß sich gerade auf dem Gebiete des Wohnungsbaus demjenigen, der sein Haus verloren hat, wieder eine gewisse Aussicht eröffnet, daß er auch Darlehen bekommt und auch wieder zu einem Eigenheim gelangen kann. Die entsprechenden Bestimmungen sind ja gerade in der zweiten Lesung eingeführt. An Stelle der bisherigen Ruinen soll wieder neues Hauseigentum entstehen.
Wenn man so das Pro und Kontra abwägt, kommt man leider noch nicht zu einem zuverlässigen Ergebnis, weil wir noch mit einer Reihe von Unbekannten rechnen müssen, die für die Auswirkung und die Beurteilung des Gesetzes von schlechthin entscheidender Bedeutung sind. Da ist einmal das Problem der Vorfinanzierung. Es ist dazu schon von anderer Seite gesprochen worden; ich brauche hierzu nichts mehr zu sagen. Es ist ausschlaggebend, ob eine Vorfinanzierung in einem volkswirtschaftlich vertretbaren Ausmaß gelingt oder ob wir auf die unzulänglichen Mittel gerade jetzt in den entscheidenden Anfangsjahren angewiesen bleiben. Leider war es nicht mehr möglich, etwa beabsichtigte Novellen zu § 7 d des Einkommensteuergesetzes schon jetzt hier vorzulegen.
Dann soll man eines nicht unterschätzen. Man soll früher gesagt haben, in Preußen seien die Gesetze schlecht, aber die Verwaltung gut, und das sei praktisch das Wesentlichere. Ich komme auch auf Grund meiner parlamentarischen Erfahrungen immer mehr zu der Überzeugung, daß die Auswirkung der Gesetze weitgehend von der Verwaltung abhängt, die die Gesetze durchführt. Diesen Punkt soll man nicht gering schätzen. Einer meiner Fraktionskollegen, der besonders sorgfältig arbeitet, hat sich die Mühe gemacht, festzustellen, daß in dem Buch, das dieses Gesetz darstellt, nicht weniger als 51 Rechtsverordnungen vorbehalten sind.
Ich freue mich für unseren juristischen Nachwuchs, der später in den Ministerien sitzen und der jedenfalls ein großes Betätigungsfeld finden wird.
— Das ist eine andere Frage, Herr Kollege Seuffert!
Es ist weiter entscheidend, ob es gelingen wird, die Veranlagung der neuen Abgaben möglichst rasch durchzuziehen. Hier sind Sorgen am Platze. Wir wissen, daß unsere Finanzämter jetzt schon überlastet sind. Die neuen Abgaben müssen so rasch wie möglich veranlagt werden, damit die Gelder dann auch eingehen. Wir haben hier die Bitte an die Bundesfinanzverwaltung, zusammen mit den Länderfinanzverwaltungen alles zu tun, was möglich ist, um die Finanzämter in die Lage zu versetzen, diese Aufgaben durchzuführen.
Endlich ein Wort der Sorge an die vierzig oder fünfzig Männer in Deutschland, die als Länderminister praktisch die Mehrheit des Bundesrats darstellen und die nun nach der Verfassung innerhalb von zwei Wochen zu diesem von uns beschlossenen Gesetz Stellung nehmen müssen.
— Sie müssen zustimmen, jawohl. Wir können hier nur den Appell an diese Männer richten — die ja doch auch, wie wir, meistens Parlamentarier sind — und sie bitten, sich der Tatsache bewußt zu sein, daß es hier um grundsätzliche politische Fragen des ganzen deutschen Volkes geht. Niemand nimmt diesen Männern übel und niemand verwehrt ihnen ihr gutes Recht, wenn sie die unmittelbaren Landesinteressen im Bundesrat wahrnehmen und vertreten. Dafür ist der Bundesrat da. Aber wir haben Sorgen, wenn der Bundesrat seine bisherige Politik weiter fortsetzt und über die Wahrnehmung der unmittelbaren Länderaufgaben hinaus immer mehr und mehr Einfluß auf die allgemeine Bundespolitik ausübt. Auf der einen Seite stehen etwa fünfzig Länderminister und auf der anderen die 402 gewählten Abgeordneten ,des Volkes. Die Machtbefugnisse scheinen doch wohl in der Praxis nicht ganz klar ausbalanciert zu sein! Wir haben nur die Bitte und den Wunsch an die verantwortlichen Länderminister, daß sie bei den Bundesratsverhandlungen alles tun, um dieses Gesetz so rasch wie möglich — —
— Ja, Herr Kollege Seuffert, — —
— Das heißt nicht, daß wir die Verantwortung abschieben wollen. Sie können doch nicht leugnen, daß diese Männer nach der Verfassung zu diesem Gesetz Stellung nehmen und zustimmen müssen
und daß wir ohne die Mitarbeit dieser Männer gar nichts erreichen können.
Wenn dieses Gesetz in Kraft treten wird — und hoffentlich sehr bald —, werden wir auch für unsere deutsche Volkswirtschaft ganz allgemein von diesem Gesetz weitere Auftriebskräfte erwarten können und dürfen. Je mehr wir die Geschädigten wieder eingliedern, je mehr neue Unternehmungen entstehen, je mehr auch das Gefühl wächst, daß hier versucht worden ist 'zu helfen, und je mehr das bedrückende Gefühl schwindet, daß keinerlei berechtigte Wünsche erfüllt sind, desto mehr können wir hoffen, daß die Produktivität und die Arbeitskraft unseres Volkes vermehrt werden und daß wir damit auch durch dieses Gesetz, so unvollkommen es ist, wieder einen Schritt vorwärtskommen.
Wir haben eine Erbschaft übernommen, über deren Schwere wir uns täglich mehr klarwerden müssen. Die über uns hereingebrochene Katastrophe ist nicht rasch zu überwinden. Das wird Zeit erfordern und eine ungeheure, ständig steigende Kraftanstrengung nötig machen. Aber ich glaube mit meinen Freunden, daß dieses Gesetz trotz aller Mängel bei einem Vergleich der negativen und positiven Punkte doch positiv zu bewerten ist und daß es auf die Dauer auch eine gute Auswirkung innerhalb unserer gesamten Volkswirtschaft und in unserem gesamten Volkskörper zeitigen wird.