Gesamtes Protokol
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 68. Sitzung des Deutschen Bundestages.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Müntefering, Conradi, Amling, Dr. Böhme , Erler, Großmann, Frau Hämmerle, Dr. Hauchler, Huonker, Menzel, Dr. Niese, Oesinghaus, Reschke, Scherrer, Weiermann, Lohmann (Witten), Nehm, Schmidt (Salzgitter), Dr. Sperling, Wartenberg (Berlin), Jahn (Marburg), Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Die Wohnungsgemeinnützigkeit erhalten und stärken
- Drucksache 11/1389 -
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
Finanzausschuß
Haushaltsausschuß
Nach Vereinbarung des Ältestenrats sind für die Beratung 90 Minuten vorgesehen.
Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Müntefering.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beraten ein Gesetz, bei dem Herr Stoltenberg federführend ist. Herr Stoltenberg ist nicht hier.
Wir beraten unter Protest hier weiter. Ich stelle noch einmal klar: Wir lassen uns in unserer parlamentarischen Arbeit nicht aufhalten. Doch es ist nicht in Ordnung, daß der Finanzminister, der dieses Gesetz, in dem wohnungs- und sozialpolitischer Sprengstoff sondergleichen steckt, angeleiert hat, nicht hier ist, wenn es im Parlament beraten wird.
Man kann nur hoffen, daß er die Botschaft noch hört und hierherkommt solange hier noch debattiert wird.Die Millionen Mieter draußen, die davon betroffen sind, werden ja registrieren, wie wenig Herr Stoltenberg an dem interessiert ist, was er im Deutschen Bundestag beschließen lassen will.
Es geht bei diesem Aspekt des Steuerpakets darum, daß der Bundesfinanzminister den gemeinnützigen Wohnungsunternehmen und einem großen Teil der Genossenschaften ihren Status nehmen will. Das bedeutet, daß acht Millionen Mieter in ihrem Mieterschutz sofort oder mittelfristig beschränkt werden. Das bedeutet, daß Mieten steigen.
Das bedeutet, daß die Versorgung der sozial Schwachen in den großen Städten noch weniger als bisher gewährleistet ist.Das ist der Gegenstand dieser Debatte. Deshalb gehört der Herr Bundesfinanzminister hierher.
Was der Herr Finanzminister Stoltenberg plant, ist ein Affront gegen dieses Parlament. Wir haben vor knapp einem Jahr den Bericht des 3. Untersuchungsausschusses zur Kenntnis genommen und einvernehmlich festgestellt: Die Wohnungsgemeinnützigkeit ist ein wichtiges Gut; sie bleibt erforderlich; sie soll erhalten und novelliert werden. — Wenn ein Finanzminister ein knappes halbes Jahr, nachdem das Parlament dies festgestellt hat, das Aus für die Wohnungsgemeinnützigkeit in ein neues Gesetz schreibt, ist auch das ein Affront gegen dieses Haus. Und Sie stimmen dabei mit.
Was Herr Stoltenberg, der Finanzminister, kühl plant, ist ein Wortbruch dieser Regierung und der Union. Der zuständige Bauminister und die CDU- und CSU-Landesregierungen und viele von Ihnen haben immer wieder den Fortbestand und die Weiterentwicklung der Gemeinnützigkeit gefordert. Herr Dr. Schneider, Herr Echternach, Herr Kansy und dieMetadaten/Kopzeile:
4628 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988
MünteferingHerren Diepgen und Strauß und Späth, alle haben sich bis in die letzten Tage immer mit der festen und richtigen Überzeugung gemeldet: Wir brauchen die Gemeinnützigkeit weiterhin. Herr Dr. Schneider hat das besonders deutlich am 6. Oktober 1987 gesagt. Ich will das zitieren, was er da gesagt hat, weil es gut und richtig ist:
Eine rein fiskalische Beurteilung der Wohnungsgemeinnützigkeit greift zu kurz.Nun kommt ein Satz, den Herr Häfele für Herrn Stoltenberg sicher mitnimmt:Hier scheint es mir häufig bei den Kritikern der Steuerbefreiung an der nötigen Sachkunde über die Strukturen der Wohnungsmärkte zu fehlen.Das sagt der Bundesbauminister: Der Bundesfinanzminister weiß da wohl nicht so richtig Bescheid. Der Bundesbauminister hat ja recht.Was Herr Stoltenberg plant, ist in diesem Hause und auch in den Ländern und im Lande insgesamt bei Sachkennern nicht mehrheitsfähig. Der Bundesfinanzminister erzwingt, erpreßt in dem Steuerpaket, daß auch die hier im Hause, die es besser wissen — Herr Schneider, Herr Echternach, Herr Kansy und all die anderen — für die Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit stimmen. Er erpreßt das. Es ist nicht Ihre Überzeugung, da bin ich sicher. Sie sollten aufstehen und dagegen Sturm laufen!
Was Herr Stoltenberg plant, ist ein Schlag gegen die Mieter. Fast eine Million der betroffenen Wohnungen unterliegen schon heute nur noch der gemeinnützigkeitsrechtlichen Bindung. Diese Wohnungen werden mit der Entscheidung gegen die Wohnungsgemeinnützigkeit in den freien Markt überführt, wie Sie das zu nennen belieben.Im Lande Nordrhein-Westfalen sind die Spielräume für Mieterhöhungen erfragt worden. Im Durchschnitt ist eine Mieterhöhung um 1 DM pro m2 pro Monat möglich. Der Erhöhungsspielraum zwischen den immer noch niedrigen Mieten der sozial- und gemeinnützigkeitsrechtlich gebundenen Wohnungen und den Mieten der Wohnungen auf dem freien Markt reicht von 1 DM bis zu 2, 89 DM. 1 DM bis 2, 89 DM Mieterhöhungsmöglichkeiten! Im ersten Jahr, meine Damen und Herren, kann um 30 % erhöht werden. Im vierten Jahr kann noch einmal um 30 % erhöht werden bis hin zur Vergleichsmiete. Das bedeutet: Es wird Mieterhöhungssprünge hohen Ausmaßes geben. Die Gefahr ist da. Sie verursachen sie mit diesem Gesetz.Was Herr Stoltenberg plant, ist unverantwortlich gegenüber den Städten; denn in den Bedarfsschwerpunkten ist die Versorgung, insbesondere der sozial Schwachen, längst noch nicht gewährleistet. Wenn die Möglichkeit des Zusammenwirkens, wie sie heute besteht, zwischen Städten und gemeinnützigen Unternehmen und Genossenschaften nicht mehr gegeben ist, wird die Versorgung noch schlechter werden. Sehen Sie sich an, was in München dazu gesagt worden ist. 80 000 Wohnungen sind von dem Gesetz betroffen. Das wird Mieterhöhungen bedeuten. Das wirdaber auch bedeuten, daß insbesondere die sozial Schwachen noch schwerer als bisher in bedarfsgerechte Wohnungen zu vermitteln sind.Was Herr Stoltenberg plant, ist eine Frechheit gegenüber den Genossenschaften. Angeblich — so liest man es ja zunächst — sind die Genossenschaften von dieser Neuregelung ausgenommen. Aber dann kommt der Nachsatz: Sie sind nur insoweit ausgenommen, als sie nur Vermietungsgenossenschaften sind. Genossenschaften sind aber von ihrer Tradition her immer auch Wohnungsbaugenossenschaften. So hat die Wohnungsgenossenschaft einmal angefangen. Der ganze Gedanke beruht auf dem Neubau.
Deshalb ist es ganz wichtig, daß die Genossenschaften die Möglichkeit behalten, als Bauträger tätig zu bleiben. Deshalb ist es unredlich, wenn hier so getan wird, als ob die Genossenschaften ausgenommen seien. Auch die Genossenschaften und ihre Mieter sind von dem betroffen, was Herr Stoltenberg Ihnen unterschiebt.Was Herr Stoltenberg plant, ist eine Verschleuderung von Sozialvermögen. Das Bruttoanlagevermögen der betroffenen Unternehmen liegt bei 480 Milliarden DM. Das sind Wohnungen und alles, was dazugehört. Das ist quasi ein Stiftungsvermögen. Das ist ein Vermögen, das nur für Wohnen und für alles, was damit zusammenhängt, eingesetzt werden darf. Nun wird es freigegeben, wie Sie sagen. Das ist eine schöne „Freiheit". Es wird aus allen Bindungen freigegeben. Auch deshalb muß man gegen dieses Gesetz sein.Die Unternehmen werden die Mieten massiv erhöhen müssen,
weil sie überleben wollen. Denn wenn zustande kommt, was in dem Gesetz steht, daß beim Übergang in die neue Struktur, in die gemeinnützigkeitsfreie Zeit, der Buchwert besteuert wird, werden die Unternehmen, wenn sie überleben wollen, Mieten erhöhen. Sie werden überleben wollen. Damit werden die Mieter erneut zur Kasse gebeten werden.Wenn Ihnen nun all die gemeinnützigkeitsrechtlichen, die wohnungspolitischen und sozialpolitischen Argumente nicht eingehen, Herr Häfele und Herr Stoltenberg, dann ist auch noch festzustellen: Das, was Sie hier vorlegen, was Sie hier planen, ist eine Milchmädchenrechnung. Das ist ja nun wirklich das letzte, was einem Finanzminister passieren sollte. Es steht in dem Gesetz: Das bringt uns 100 Millionen DM, wenn die Steuerfreiheit entfällt. Es mag ja sein, daß es 100 Millionen DM bringt. Aber welche neuen Möglichkeiten für diese Unternehmen ergeben sich denn, wenn sie anschließend als freie Unternehmen alle steuerlichen Möglichkeiten wahrnehmen, bis hin zu der Berücksichtigung von Verlusten aus Vermietung und Verpachtung? Es wird beim Bund draufgezahlt, und es wird nicht gewonnen. Auch das wissen Sie. Deshalb ist es falsch, zu behaupten, das seiMetadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988 4629
Münteferingein Punkt, an dem die Steuerreform nun unbedingt festhalten müsse.
Herr Stoltenberg hat wirklich Pech mit seinem Steuerpaket. Es ist nicht nur schlimm in seinen Konsequenzen, sondern es ist auch schlecht vorbereitet. Das hat ihm vorgestern der bayerische Ministerpräsident schriftlich gegeben. Der Ministerrat des Freistaates Bayern hat vorgestern festgestellt, „wegen der bei den Koalitionsverhandlungen nicht aufgezeigten, aber jetzt zutage getretenen Probleme" sei mindestens eine Verfahrensänderung erforderlich. Man erinnert sich: Das hatten wir in Sachen Quellensteuer ja schon einmal. Die bayerische Regierung bescheinigt dem Bundesfinanzminister, daß er bei den Koalitionsverhandlungen offensichtlich nicht ausreichend informiert hat und die Probleme, die mit dem verbunden sind, was er nun hier vorschlägt, nicht deutlich gemacht hat. Ich finde, das ist eine richtige Bewertung.Nun kommt die bayerische Staatsregierung zu dem Ergebnis:Die Streichung der Steuervergünstigung der Gemeinnützigen Wohnungsunternehmen und die Aufhebung des Wohnungsgemeinnützigkeits-rechts sollen zumindest aus dem Paket der Steuerreform 1990 herausgenommen werden.Gut so. Wörtlich heißt es weiter:Damit würden alle Beteiligten Zeit gewinnen, das Für und Wider einer Aufhebung des Wohnungs-gemeinnützigkeitsrechts einerseits und seiner Fortsetzung und Reform andererseits ohne Zeitdruck abzuwägen.
Das Land Bayern sagt: Bundesregierung und Finanzminister, nehmt dieses Stück Wohnungspolitik aus diesem Gesetz heraus; es gehört nicht dahin. Dann werden die Fachleute, die etwas von Woh-nungs- und Städtebau und von Sozialpolitik verstehen, getrennt darüber reden, wie man mit diesem Thema weiter verfahren soll.Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt den Beschluß des Landes Bayern. Wir sind bereit, mit denen, die guten Willens sind, an einer Novellierung der Wohnungsgemeinnützigkeit und an deren Fortbestand und deren Stärkung zu arbeiten. Denn es ist im Interesse der betroffenen Menschen, der Mieter und aller sonstigen Betroffenen, erforderlich, daß wir die gemeinnützige Wohnungswirtschaft als Teil unserer Sozialpolitik und unserer Wohnungspolitik auch für die Zukunft behalten.Das ist nun die Einladung an Herrn Häfele, wenn schon Herr Stoltenberg nicht da ist: Er möge hierhinkommen und erklären: Jawohl, wir sind bereit; wir nehmen das heraus. — Dann werden wir von vorne anfangen, zu diskutieren, und sinnvolle Lösungen suchen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kansy.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst einmal bin ich dem Kollegen Jahn dankbar. Wir hatten als Wohnungsbaupolitiker noch nie so ein schönes Auditorium wie heute,
wenn ich auch eigentlich geglaubt habe, wir redeten über den SPD-Antrag „Die Wohnungsgemeinnützigkeit erhalten und stärken" und würden nicht eine polemische Wiederauflage der Mietendebatte des Winters 1982/83 veranstalten.
Meine Damen und Herren von der SPD, wenn Sie sagen, das gemeinnützige Verhalten der Wohnungsunternehmen sei in Gefahr, erwidere ich: Keiner hindert ja die Unternehmen, künftig weiter gemeinnütziges Verhalten zu zeigen.Richtig ist: Die Gemeinnützigkeit war in ihrer hundertjährigen Geschichte nie so sehr in Gefahr wie in der Zeit, in der Ihre Genossen im Aufsichtsrat und Vorstand der Neuen Heimat 300 000 Wohnungen an einen Bäcker namens Schiesser verscherbelt haben.
Deswegen, glaube ich, ist es schon ein starkes Stück, wenn ausgerechnet Sie sich hier zum Kritiker gemeinnütziger Unternehmen machen wollen, die eine neue Zukunft suchen.Meine Damen und Herren, die Diskussion um die Wohnungsgemeinnützigkeit ist viel älter als die Diskussion um die Steuerreform. Dies ist auch verständlich, denn die Ursprünge der Wohnungsgemeinnützigkeit liegen bereits ein ganzes und die gesetzlichen Grundlagen ein halbes Jahrhundert zurück.Während die ursprünglichen Ideen des gemeinschaftlichen Wohnens heute durchaus noch aktuelle Bedeutung haben, hat sich die Unternehmensstruktur vielfach so geändert, daß sie den ursprünglichen Ansätzen und auch den gesetzlichen Regelungen nicht mehr voll gerecht wird. Deswegen, Herr Kollege Müntefering, ist es doch nicht verwunderlich, daß es keine einzige politische Kraft — auch nicht die Sozialdemokraten im Fachausschuß —, keinen einzigen Fachgutachter und keinen einzigen Verband gibt, die die Auffassung vertreten würden, der Status quo könne oder müsse erhalten werden.
Das einzige, worüber wir streiten, ist die Gestaltung von Änderungen. Es geht also nicht um das Ob, sondern es geht um das Wie. Deswegen geht das, was Sie hier vorgetragen haben, an der Sachdiskussion vorbei.Wir hatten zunächst die Bund-Länder-Kommission „Wohnungsgemeinnützigkeit" der Bauminister. Diese hat, Herr Dr. Schneider, eine Beibehaltung der Wohnungsgemeinnützigkeit nach Novellierung empfohlen.Dann hatten wir vom Bundesfinanzminister eingesetzt Herr Staatssekretär Häfele, die Hofbauer-Kom-Metadaten/Kopzeile:
4630 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988
Dr. -Ing. Kansymission. Diese hat eine Aufhebung der Wohnungsgemeinnützigkeit empfohlen.Dann hatten wir den Untersuchungsausschuß „Neue Heimat" — tatsächlich, Herr Müntefering —, der die Beibehaltung empfohlen hat, aber nach den schlimmen Erfahrungen mit der Neuen Heimat wesentliche Veränderungen des Gemeinnützigkeitsrechtes gefordert hat, insbesondere stärkere Kontrollen und stärkere Bindungen. Das ist wiederum von der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft selber als Status quo minus, also negativ in die Diskussion eingeführt worden.Nun sind tatsächlich die Ministerpräsidenten der Bundesländer einschließlich des Freistaates Bayern aus unterschiedlichen Gründen teils für, teils gegen die Wohnungsgemeinnützigkeit. Dann hat die gemeinnützige Wohnungswirtschaft selber mit der Vorlage eines Positionspapiers, genannt „Der lange Weg", ihrerseits eine Bestandsaufnahme gemacht und dabei nicht pro und kontra WGG-Novellierung Stellung genommen, sondern einige Eckpunkte aufgeführt. Um die Diskussion als Sachdebatte fortzuführen und nicht als polemische Auseinandersetzung, möchte ich Sie bitten, sich diese Eckpunkte vor Augen zu führen.Erstens — ich zitiere — sagt die gemeinnützige Wohnungswirtschaft:Wir fühlen uns keinen abstrakten Regelungen verpflichtet, die oft genug gar nicht sinnvoll und praktikabel sind, sondern den Menschen, denen wir Wohnung geben, sei es zur Miete, sei es zum Eigentum.
Zweites Zitat: Die gemeinnützige Wohnungswirtschaft sagt, Herr Jahn:Die langfristige Vermietbarkeit unserer Wohnungsbestände ist unser erstes Interesse. Ihrer Erhaltung, Modernisierung und ständigen Verbesserung gilt in Zukunft ein Großteil unserer Anstrengung.Drittes Zitat:Wenn es zu einer Novellierung der Wohnungsgemeinnützigkeit kommt, sorgen Sie bitte dafür, daß die gesetzlichen Regelungen nicht zu einer Garrotte werden, die uns die Luft nimmt, die wir brauchen, unsere Aufgaben verantwortbar zu erfüllen.
Nun muß ich ganz ehrlich bekennen: Ich wußte nicht, was eine Garrotte ist. Ich habe einmal in den Duden geguckt. Da steht, daß es aus dem Spanischen kommt und ein würgeschraubähnliches Halseisen bedeutet, mit dem in Spanien die Todesstrafe durch Erwürgen vollstreckt wurde.Welche Option haben wir als Politiker nun vor diesem Hintergrund? Wir können zunächst einmal den Vorstellungen der Bund-Länder-Kommission und des Untersuchungsausschusses „Neue Heimat" folgen und eine Novellierung vornehmen. Das ist eine reale Möglichkeit.Aber dies bedeutet u. a.: Erstens. Der heutige Wohnungsbestand der gemeinnützigen Gesellschaften wird alleinige Wohnungsreserve für Problemgruppen in der Zukunft mit der Gefahr einer Gettobildung, die wir in vielen Großstadtsiedlungen heute bereits beobachten können. Zweitens. Die Kommunen erhalten weitgehende Belegungsrechte, ohne letztlich unternehmerische Verantwortung übernehmen zu müssen. Drittens. Die Unternehmen dürfen künftig nur ein räumlich begrenztes Gebiet beackern und müssen gemeinnützige und nicht gemeinnützige Tätigkeiten trennen. In der Realität würde das für die heutigen Unternehmen eine Zerschlagung von Aufgaben bedeuten, die heute sinnvoll zusammengewachsen sind. Von zusätzlichen Kontroll- und Sanktionsmechanismen möchte ich gar nicht reden.Meine Damen und Herren, alles dies soll vor dem Hintergrund passieren, daß — was wohl allgemeiner Konsens ist — die Kostenmietenregelung bestehen bleibt und Nachsubventionierung nicht in Sicht ist, da sich der Bund auf Wunsch der Länder aus dem sozialen Wohnungsbau zurückzieht und auch keine Rechtsverpflichtung zur weiteren Mitwirkung hat, die Länder bisher nicht zu erkennen geben, daß sie zur Nachsubventionierung bereit sind, und für die Kommunen die Angelegenheit eine Kragenweite zu groß ist.Meine Damen und Herren, dies bedeutet betriebswirtschaftlich nichts anderes als einen programmierten Substanzverzehr bei den Unternehmen mit dem Ergebnis, daß sie ihre erklärten Ziele, angemessene Wohnungen zu angemessenen Preisen zu schaffen, nicht mehr wahrnehmen können. Genau das ist das System „Garrotte", wenn wir so weitermachen wie bisher, ohne uns der neuen Situation zu stellen.Was ist nun die andere Option? Die andere Option ist, den gemeinnützigen Wohnungsunternehmen mehr wirtschaftlichen Handlungsspielraum und damit allerdings auch Verantwortung zu übertragen. Sie können in die Lage versetzt werden, aktiver am Markt zu operieren und durch Befreiung von ursprünglich sinnvollen, heute hemmenden überbürokratischen Einflußnahmen auch wohnungspolitisch vernünftiger und sozial gerechter zu handeln, als das heute teilweise möglich ist.Dies bedeutet tatsächlich auch Steuerpflicht, aber, Herr Kollege Müntefering, überhaupt nicht automatisch Mieterhöhung.
Denn die Höhe der Steuern hängt z. B. davon ab, wieviel in Neubau, Modernisierung und Erhaltung steuermindernd investiert wird. Dies ist jedoch auch im unmittelbaren Interesse der Mieter: je mehr Investitionen, je bessere Wohnqualität, um so niedriger die Steuern, um so besser für die Menschen, die in diesen Wohnungen wohnen.
Ob allerdings die Rechnungen der Beamten im Bundesfinanzministerium richtig sind, wird die Zukunft erweisen. Keiner kann diese Rechnungen so oder so verifizieren. Sollte es jedoch stimmen, daßMetadaten/Kopzeile:
1990Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988 4631
Dr. -Ing. Kansy30 Millionen DM — am Ende eines längeren Prozesses vielleicht sogar 100 Millionen DM — Steuern zu zahlen wären — jetzt hören Sie einmal genau zu, Herr Kollege Jahn, mit Ihren wüsten Beschuldigungen: Mietsteigerungen in Höhe von 1 DM pro Quadratmeter! — Wir haben derzeit 3, 4 Millionen Wohnungen bei den gemeinnützigen Wohnungsunternehmen. Wenn das mit den 30 Millionen DM mehr Steuern im Jahre 1990 stimmt, dann bedeutet das bei 3, 4 Millionen Mietwohnungen im Schnitt eine Mieterhöhung von 74 Pfennig pro Wohnung und Monat — ich sage ausdrücklich: im Schnitt — bzw. 1, 2 Pfennig pro Quadratmeter und Monat.
Ich sage noch einmal: Falls dies mit diesen 30 Millionen DM stimmt. Wir aber müssen uns hier diese Polemik bezüglich unverantwortlicher Mieterhöhungen auf Grund dieser angeblichen Gesetzgebung anhören, obwohl bisher nur ein Referentenentwurf vorliegt.
Es ist noch nicht einmal eine Kabinettsvorlage, schon gar nicht eine, die das Parlament passiert hat.
Meine Damen und Herren; ich bedauere wirklich sehr, daß Ihnen in dieser schwierigen Diskussion eine notwendige Änderung der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft zu gestalten nichts anderes einfällt, als wiederum den Mietern Angst zu machen.
Ich habe es bereits vorhin gesagt: Sie haben damit wirklich eine üble Tradition aufgenommen, die Sie im Winter 1982/83 hier schon einmal praktiziert haben. Damals ist Ihre Mietenlüge wie ein roter Ballon zerplatzt, und sie wird auch diesmal zerplatzen, wenn wir handeln und uns von Ihnen nicht ins Bockshorn jagen lassen.
Gemeinnützige Wohnungswirtschaft ist weder eine Erfindung der Sozialdemokraten noch der CDU, noch einer anderen Partei, noch einer Bundesregierung. Gemeinnützige Wohnungsunternehmen gab es lange, bevor sich der Staat der Gemeinnützigkeit annahm, bevor er Steuerbefreiung gewährte und damit die Tätigkeit dieser Unternehmen auch staatlich honorierte.Ich frage mich wirklich: Wie kommen Sie vor diesem Hintergrund eigentlich dazu, diesen Unternehmen und Unternehmensführungen zu unterstellen, sie würden plötzlich aus wohnungspolitischen Wohltätern zu Mietenhaien, die nichts anderes im Sinn haben, als künftig die Mieter auszupressen? Das ist eine Verunglimpfung von 1 800 gemeinnützigen Wohnungsunternehmen,
die bis auf ein paar schräge Vögel — und der schrägste von allen war die Neue Heimat — über Jahrzehnte, ja ein ganzes Jahrhundert in diesem Lande wohltätig gewirkt haben.
Die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen selbst schreiben in ihrer Positionsbeschreibung „Der lange Weg" — ich zitiere —:Die Genossenschaften— und das sind immerhin 1 200 von 1 800 Unternehmen —haben keine Mieter, sondern Mitglieder und Nutzer. Die industrieverbundenen Wohnungsunternehmen haben mit Stiftungskapital für Werksangehörige Wohnungen gebaut und vermietet.— Ich zitiere jetzt nur die gemeinnützige Wohnungswirtschaft.Bei ihnen spielt die Mitbestimmung der Betriebsräte und Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten bei der Vergabe und Mietpreisgestaltung eine erhebliche Rolle.— Ich zitiere immer noch:Die kommunalen Wohnungsunternehmen haben mit Stiftungsmitteln der Kommunen einen Versorgungsauftrag auf dieser Ebene zu erfüllen.Unsere Kollegen in den Kommunalparlamenten haben auch diesen Versorgungsauftrag zu erfüllen und brauchen nicht unbedingt bundesgesetzliche Regelungen, um dort vor Ort sozial zu sein.
Herr Abgeordneter Kansy, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Conradi.
Noch einen Satz, Herr Präsident; dann gerne eine Zwischenfrage, wenn Sie die Uhr anhalten.
Die kirchlichen Wohnungsunternehmen — und das sind viele — sind mit ihrem Verständnis für familiengerechtes Wohnen auf dem Fundament der christlichen Soziallehre mit starkem Engagement der Wohnraumversorgung verpflichtet und brauchen nicht Ihre gesetzlichen Regelungen dafür, Herr Kollege Müntefering.
Bitte schön, Herr Conradi.
Herr Kollege Dr. Kansy, stehen Sie noch zu Ihrem Brief vom 20. Januar dieses Jahres an die Mitglieder der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, in dem es am Schluß heißt:Die Wohnungspolitiker der CDU/CSU in Bund und Ländern bitten Sie— Ihre Fraktion —heute, dringend zu helfen, eine politische DummheitMetadaten/Kopzeile:
4632 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988
Conradi— das bezieht sich auf die Abschaffung des Woh-nungsgemeinnützigkeitsrechts —zu vermeiden?So haben Sie damals geschrieben. Stehen Sie noch dazu?
Herr Conradi, Sie sind ein — auch fachpolitisch — sehr erfahrener Kollege. Es ist immer schlecht, unvollständig zu zitieren.
— Nein, ich kann Ihnen aber das Wesentliche sagen.
— Ich gebe den Damen und Herren, die das möchten
— der Presse, Ihnen allen —, den Brief gern einmal zur Kenntnis. Ich habe gesagt, es kommt bei dieser Regelung auf die Konditionen an. Das steht da in diesem Brief.
Und ich habe gesagt, daß wir die Sorgen der Verbände verstehen, die sie bei der Anhörung äußern, nämlich daß der Ansatz von Buchwerten statt von Teilwerten im Referentenentwurf die Unternehmen in ihrer Absicht hindern könnte — darin steht übrigens auch ein Konjunktiv; falls Sie den überlesen haben —, sowohl unternehmerisch vernünftig als auch sozialverträglich verantwortlich zu handeln. Dies ist der Kritikpunkt — jawohl — unserer Fraktion über den Bereich des Wohnungsbaus hinaus an dem Referentenentwurf. Darüber werden wir uns mit dieser Bundesregierung unterhalten. Die ersten eineinhalb Seiten dieses Briefes bestehen aus den Darlegungen, die ich eben hier gemacht habe. Versuchen Sie nicht, hier irgendwelche Verfälschungen vorzunehmen.
Herr Abgeordneter Kansy, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jahn?
Herr Präsident, Sie hatten die Uhr etwas ungünstig für mich gestoppt. Wenn Sie jetzt etwas großzügiger sind, werde ich dem Kollegen Jahn auch noch eine Zwischenfrage gestatten.
— Bitte schön.
Herr Kollege Dr. Kansy, halten Sie die Auffassung in Ihrem Brief, den der Kollege Conradi eben schon zitiert hat, aufrecht, wonach Sie gesagt haben — ich zitiere einen ganzen Absatz vollständig —: „Leider wird der Referentenentwurf des BMF durch wohnungspolitisch bedenkliche und politisch unakzeptable Übergangsbestimmungen den Anforderungen nicht gerecht, einen gleichermaßen unternehmerisch vernünftigen wie sozial verantwortlich neuen Anfang zu machen"?
Herr Kollege Jahn, das habe ich gerade ausgeführt.
Da wir in diesen Jahren gemerkt haben, daß hier eine tatsächliche Opposition nicht stattfindet, haben wir das als Fraktion gleich vorweggenommen.
Es sind noch einige andere Anmerkungen zu machen. Da sind z. B. die Fragen der Behandlung der Einengung des Geschäftsbereichs der Genossenschaften nur auf Vermietung, des Sparwesens innerhalb der Gemeinnützigkeit. Über alles das werden wir uns noch unterhalten.
Frau Präsident, ich stehe zwar kurz vor dem Schlußsatz, aber damit der Kollege Faltlhauser noch seine Zwischenfrage stellen kann, unterbreche ich noch einmal kurz.
Herr Abgeordneter Faltlhauser, bitte.
Herr Kollege Kansy, würden Sie es für angenehm halten, wenn Sie auf diese Weise den fragenden Kollegen mitteilen könnten, daß es Ihr Brief war, der die Finanzpolitiker veranlaßt hat — auf Grund Ihrer fachkundigen Ausführungen —, diese Teilwertforderung durchaus zu akzeptieren und in den Regierungsentwurf zu übernehmen?
Ich bedanke mich, Herr Kollege Faltlhauser.
Ich weiß nur nicht, was die anschließenden Redner der Opposition dann heute noch sagen wollen.
Mein letzter Appell. Ich möchte jetzt nicht unbedingt auf Lafontaine zurückgreifen, der ja jetzt immer zitiert wird. Aber in einem hat er natürlich recht: Wer nicht den Mut hat zu neuem Denken, meine Damen und Herren, der wird politisch ein Dinosaurier. Das gilt auch in Fragen der Wohnungsgemeinnützigkeit.
Ausnahmsweise gestatte ich mir heute einmal ein Zitat. Der Minister möge es mir verzeihen; denn sonst ist es ihm ja vorbehalten, hier klassisch zu zitieren, meist auf lateinisch, manchmal auf griechisch. Ich will es einmal auf deutsch machen und, indem ich Schiller zitiere, einen Appell an die Kolleginnen und Kollegen der Sozialdemokraten richten:
Nicht was lebendig kraftvoll sich verkündigt,
— auch nicht meine Briefe übrigens —
ist das gefährlich Furchtbare. Das ganz Gemeine ist das ewig Gestrige, was immer war und wiederkehrt und morgen gilt, was heute hat gegolten.
Vielen Dank.
Wir sind gestern im Ausschuß leider nicht mehr dazu gekommen, über das Thema „Wohnen im Alter" zu reden, aber ich kann Ihnen sagen: Von 12 Millionen alten Menschen, die in der Bundesrepublik leben, haben 2, 3 Millionen ein Einkommen, das weit unter 800 DM liegt. Die meisten davon sind natürlich Frauen. Wie sollte es auch anders sein? Bei diesen Menschen nimmt die Miete natürlich einen ganz erheblichen Teil des Einkommens ein, und es ist nicht ein Anteil von bloß 10 bis 20 %, von dem in dem Jubelbericht der Bundesregierung zu der Lage der Nation die Rede ist. Davon kann bei diesen Menschen keineswegs die Rede sein.
Von 5 Millionen Haushalten älterer Menschen leben 2 Millionen in Wohnungen ohne Sammelheizungen oder ohne Bad oder mit WC auf dem Flur.
Das ist die Wohnungssituation.
In dieser Situation die Wohnungsgemeinnützigkeit abschaffen zu wollen, das heißt nichts anderes, als 8 Millionen Mieterinnen und Mietern in den Rücken
zu fallen, sie dem sogenannten freien Wohnungsmarkt auszuliefern, wo sie Mieterhöhungen, Käufen oder Kündigungen ausgesetzt sein werden.
— Meine Rede ist ähnlich, weil sich an der Situation überhaupt nichts geändert hat, und dazu haben Sie kräftig mit beigetragen, Frau Rönsch.
Die Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit ist allerdings nicht der erste Schlag der bundesrepublikanischen Wohnungspolitik gegen Mieterinnen und Mieter. Mit der Einführung der steuerlichen Gleichstellung von Neubauten und Käufen aus dem Altbaubestand, die 1976 — wohlgemerkt — schon von der SPD-Regierung eingeführt wurde, und mit der erneuten Begünstigung dieser Käufe durch die Novellierung der Abschreibung nach § 7b bzw. nach § 10e ab 1986 begann ein regelrechter Umwandlungsboom. Allein in Stuttgart sind innerhalb von zehn Jahren 10 400 Altbaumietwohnungen durch Umwandlungen verlorengegangen.
— Sie sind wahnsinnig niveaulos, aber ich wundere mich nicht darüber.
Durch den völligen Rückzug von Bund und Ländern aus dem sozialen Wohnungsbau und durch den Ablauf der Bindungen gibt es von Jahr zu Jahr weniger Sozialwohnungen, und die, die übriggeblieben sind, sind durch das degressive Förderungssystem mit der Zeit so teuer geworden — Herr Möller, das sage ich auch zu Ihnen — daß sie nur noch von Besserverdienenden oder von solchen Menschen bewohnt werden können, deren Miete vom Sozialamt übernommen wird.
Kolleginnen und Kollegen, die Abschaffung der Steuerfreiheit für gemeinnützige Wohnungsunternehmen wird dem Staat die 100 Millionen DM, die Stoltenberg uns davon verspricht, nicht einbringen. Ich sage extra: Er verspricht sie uns. Selber kann er gar nicht so naiv sein, daran zu glauben. Was Stoltenberg hier macht,
das nennt man im besten Fall eine Milchbübchenrechnung.
Kolleginnen und Kollegen, ich komme langsam zum Schluß.
Unsere Fraktion steht den gemeinnützigen Wohnungsunternehmen nicht unkritisch gegenüber. Wir wissen, daß die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen die Angriffe, denen sie heute ausgesetzt sind, teilweise selbst verschuldet haben. Wir wissen, daß die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen in der Vergangenheit teilweise eine Geschäftspolitik betrieben haben, die den Mieterinnen und Mietern ganz erheblichen Schaden zugefügt hat. Wir wissen auch, daß die Gemeinnützigkeit nicht so bleiben kann, wie sie jetzt ist. Dennoch sehen wir in dem Erhalt der Wohnungsgemeinnützigkeit den einzigen Hebel, mit dessen Hilfe die Sozialbindung bei Millionen von Wohnungen, die mit immens hohen öffentlichen Mitteln gebaut worden sind, für einkommensschwache und benachteiligte Bevölkerungsschichten erhalten werden kann.
Wir meinen, daß es sich lohnt, an einem Konzept zu arbeiten, mit dessen Hilfe die Gemeinnützigkeit zu ihren ursprünglichen Werten zurückgeführt werden kann. Wir arbeiten an einem entsprechenden Gesetzentwurf, und wir werden diesen zu gegebener Zeit hier vorlegen.
Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Grünbeck.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich glaube, daß der SPD-Antrag an den Realitäten des Wohnungsmarktes völlig vorbeigeht. Die Entwicklung der Gemeinnützigkeit hat mein Kollege Kansy aufgezeigt. Ich will sie nicht noch einmal wiederholen. Ich will Ihnen nur sagen, daß ein Großteil — man kann darüber streiten, ob es der größere Teil ist — der gemeinnützigen Wohnungsbauunternehmen ein vitales Interesse an der Veränderung der Wohnungsgemeinnützigkeitsge-setzgebung hat.
Ich glaube, daß wir zur Kenntnis nehmen müssen, Frau Kollegin Oesterle-Schwerin, daß wir nicht von einem gesättigten Wohnungsmarkt reden, sondern davon, daß sich Angebot und Nachfrage ausgleichen. Wir haben im Bundesgebiet mehr Wohnungen als Haushalte.
Wenn das keine ausgeglichene Wohnungsmarktlage ist, kann ich Ihnen nicht helfen.Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988 4635
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müntefering?
Ich würde Sie bitten, mir erst einmal eine gewisse Redezeit zu geben und Ihre Frage bis dahin zurückzustellen, Herr Kollege. — Aber, bitte, wenn Sie solchen Wert darauf legen? —
Herr Müntefering zu einer Zwischenfrage.
Herr Kollege Grünbeck, ich wollte Sie wegen Ihrer Einführung nur fragen: Ist der primäre Gesichtspunkt für Sie der des Interesses der gemeinnützigen Wohnungsunternehmen oder der des Interesses der betroffenen Mieterinnen und Mieter?
Hier steht die Wohnungsgemein -nützigkeitsgesetzgebung und nicht das Mietrecht oder der Kündigungsschutz oder Mieterhöhungen zur Diskussion.
Auf das, was Sie machen wollen, komme ich noch zurück.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jahn ?
Ich möchte keine Zwischenfragen mehr gestatten.
Gut.
Es geht Ihnen ja — und das ist der Hauptpunkt — heute um etwas ganz anderes. Wer Ihren Antrag genau liest, der wird feststellen, daß es Ihnen weder um die Gemeinnützigkeit noch um die Mieter oder sonst etwas geht. Ihnen geht es vielmehr um den Wahlkampf in Schleswig-Holstein, den Sie führen wollen, indem Sie den Minister Stoltenberg auf das Korn nehmen, und nicht etwa um eine Analyse der Wohnungsgemeinnützigkeit. Die haben doch in dem Antrag geschrieben, daß der Herr Stoltenberg das Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz auslaufen lassen wolle. Das stimmt nicht. Die Koalition hat mit der Zustimmung aller Fraktionen und aller Parteivorsitzenden auf der Grundlage der Ergebnisse der Hofbauer-Kommission beschlossen, die Wohnungsgemeinnützigkeit mit der Steuerbefreiung zu beenden. Damit möchte ich mich beschäftigen.
Sie in der SPD machen für meine Begriffe einen Fehler. Sie stellen sich den Veränderungen nicht. Wenn Sie die Veränderungen im Markt nicht beobachten und nicht darauf reagieren, sondern immer nur auf das Bestehende verweisen, dann kann ich nur sagen: Ändern Sie den Titel Ihrer Zeitschrift! Ich habe neulich mal Ihren „Vorwärts" gelesen. Man müßte den umtaufen in „Rückwärts".
des „Vorwärts". Das ist die Problematik, die wir zu besprechen haben.
Was sagt das Hofbauer-Gutachten? Es sagt erstens: Die steuerliche, die steuerpolitische, die wirtschaftspolitische und die wettbewerbspolitische Bedeutung müssen neu überprüft werden.
Zweitens. Die Unternehmen unterhegen Beschränkungen in der Preisgestaltung und im Geschäftsbereich. Sie können ihrer Aufgabe nicht voll gerecht werden. Wir, die Freien Demokraten, wollen, daß sie sich voll in den Markt stellen, verwalten, nutzen, bauen, verkaufen, betreuen, sanieren, modernisieren und Eigentumsmaßnahmen mit bauen und finanzieren können.
Drittens. Die Steuerbefreiung betrifft die Körperschaftsteuer, die Vermögensteuer und die Gewerbesteuer. Das führt zu Vergünstigungen, die an die Mieter weitergegeben werden sollen. Natürlich haben wir im Bericht des Untersuchungsausschusses Neue Heimat festgestellt, daß dies nicht immer geschehen ist und zu Verzerrungen geführt hat.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in dieser Stunde noch etwas sagen: Ich möchte nicht, daß aus dem Bericht des Untersuchungsausschusses Neue Heimat Allgemeinschlüsse gegen die großartigen Leistungen der gemeinnützigen Wohnungsgesellschaften gezogen werden.
Wir sollten die Fehlbelegungen vermeiden. Da kann ich Ihnen nur eines sagen: Wenn wir dem Hofbauer-Gutachten folgen, werden Sie feststellen, daß stille Reserven aus den gemeinnützigen Vermögen aktiviert und mobilisiert werden und wieder in den Wohnungsmarkt fließen. Das heißt, daß mehr Wohnungen gebaut werden. Und wie wollen Sie eigentlich eine bessere Stabilisierung der Mieten erreichen als durch ein verstärktes Angebot? Das ist eine uralte Regel, die sich dann bewahrheitet.
Die Körperschaftsteuerpflicht braucht nicht geändert zu werden. Eine Gesetzesänderung ist insoweit nicht erforderlich.
Weitere Abgrenzungen sind über die Einkommenshöhe möglich. Meine Damen und Herren, Problemgruppen — was immer das auch sein mag — sind schwierig zu beschreiben und abzugrenzen, und der kommunale Spielraum ist groß. Solange die Kommunen sozial vermieten wollen, können sie das machen. Da müssen wir nur noch die Rechtslage klären, aber das ist Sache unserer Juristen.
Der gemeinnützige Wohnungsbauverband hat mir am 27. November einen Brief geschrieben, und darin kommt eigentlich zum Ausdruck, daß er den Änderungen des Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetzes einschließlich der Aufhebung der Steuerbefreiung zu-4636 Deutscher Bundestag — 11. Wahlpenode — 68. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988
Grünbeck
stimmt, wenn wir bestimmte Konditionen erfüllen. Ich glaube, wir stimmen doch — zumindest in der Koalition — darin überein, daß wir uns einmal darüber unterhalten sollten, was denn diese Konditionen sind.
— Ich komme noch darauf zurück. Herr Müntefering, ich bleibe doch auf keine Frage, die Ihnen auf dem Herzen brennt, die Antwort schuldig.
— Das hebe ich mir für den Schluß auf.
Die Wahlmöglichkeiten zu eröffnen, halte ich für gefährlich, weil Wahlmöglichkeiten natürlich nach den kritischen Parametern, die wir ansetzen müssen, sehr schwer zu differenzieren sind. Die Gefahr der Nachversteuerung haben wir erkannt. Darüber wollen wir mit den Betroffenen reden. Ich glaube, daß wir die Gefahr der Nachversteuerung bei der Ansetzung niedrigster Buchwerte erkannt haben und daß wir zu einer modifizierten Teilwerteregelung kommen. Die FDP denkt darüber nach, eine Übergangsregelung zu schaffen, die möglicherweise — das darf ich im Auftrage meines Freundes Hans Gattermann mit verkünden — eine Zwischenlösung als eine fiktive Lösung nach dem allgemeinen Bewertungsrecht und nach § 13 des Körperschaftsteuergesetzes darstellt.
Man muß dabei wissen, wie die Ausgangslage der Unternehmen ist. Es wird Unternehmen geben, die mehr oder weniger auf die Bestandssicherung ausgerichtet sind; die werden andere Interessen haben als die Unternehmen, die sich über die Aktivierung ihrer stillen Reserven neue Chancen auf dem Wohnungsmarkt errechnen. Ich bitte Sie herzlich: Denken Sie einmal darüber nach, was es bedeutet, wenn wir massive Aktivierungen der stillen Reserven erreichen und neue Kapitalinvestitionen in den Wohnungsmarkt leiten. Das hat Bedeutung für die Beschäftigungspolitik im Baugewerbe. Das wollen Sie immer haben, aber dann bringen Sie immer die falschen Vorschläge!
— Nein, nein, das müssen Sie mir überlassen, wann ich über Bayern rede.
Markenschutz, Bestandsschutz für Spareinlagen und Anwendung der Bauträgerverordnung, das sind Dinge, über die wir mit den Gemeinnützigen reden werden. Wir sind auch für den Vertrauensschutz der Organisation insbesondere im Interesse der Mitarbeiter. Hier haben wir bei der Neuen Heimat, wo eine Gewerkschaft Inhaber war, die übelsten Erfahrungen gemacht, nicht nur im Umgang mit den Mietern,
sondern auch im Umfang mit den eigenen Beschäftigten. Das muß man einmal feststellen.
Meine Damen und Herren, ich darf vielleicht noch eines sagen: Die FDP fühlt sich eigentlich durch das Hofbauer-Gutachten und auch durch die Vorstellun-
gen der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft in ihrer Wohnungspolitik bestätigt. Bei uns können Sie in den Osnabrücker Beschlüssen von 1980, von vor beinahe acht Jahren, das nachlesen, was die Hofbauer-Kom-mission eigentlich bestätigt hat.
Wir sind sehr froh darüber, daß wir in dieser Frage eine sachliche Kontinuität entwickelt haben. Alle, aber auch wirklich alle Sachverständigen haben in den Stellungnahmen unsere Positionen positiv beurteilt, bis hin zur Hofbauer-Kommission.
Ich möchte deshalb darum bitten, daß wir zu diesem Koalitionsbeschluß stehen. Die FDP steht dazu, daß wir diesen Koalitionsbeschluß ausführen. Der Herr Strauß war daran beteiligt, und ich finde es nicht gut, wenn er im bayerischen Ministerrat seine Meinung geändert hat. Ich appelliere auch an den württembergischen Ministerpräsidenten
— nein, nein —,
an diesem Koalitionsbeschluß festzuhalten.
Denn eines muß man wissen: Die Fortentwicklung unseres Wohnungsmarktes liegt doch uns allen am Herzen, und im Interesse der Mieter, aber auch im Interesse einer aktiven Beschäftigungspolitik werden wir zu diesem Koalitionsbeschluß stehen und die Bundesregierung dabei unterstützen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Jahn .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Die Reserven sind verbraucht. Für die steigende Nachfrage müssen neue Wohnungen gebaut werden"; so Bauminister Schneider am 19. Januar 1988. „Das Wort von der Sättigung der Wohnungsmärkte ist eine vorschnelle Verallgemeinerung gewesen"; so Herr Schneider am 18. Februar 1988. Er ist der für den Wohnungsbau Verantwortliche in dieser Regierung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
„Die entspannte Lage auf dem Wohnungsmarkt zeigt", das Ziel, „preiswerten Wohnraum für breite Schichten der Bevölkerung zur Verfügung zu stellen", ist „weitgehend erreicht". „Der Neubau von Mietwohnungen ist nicht mehr dringlich."Die können es nicht länger leugnen, meine Damen und Herren: Diese Regierung spricht mit zwei Zun-Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988 4637
Jahn
gen. Schöne, aber falsche Worte für die Mieter, tatsächlich aber Entscheidungen gegen die Mieter.
Der Bauminister hat zwar manchmal richtige Einsichten, aber der Finanzminister hat das Sagen. Er hat den jüngsten Anschlag der Bundesregierung auf einen Eckpfeiler sozialer Wohnungs- und Mietenpolitik zu verantworten: Er will unter dem Deckmantel der angeblichen Wohltat der Steuerreform die Wohnungsgemeinnützigkeit zerschlagen. Das ist Politik gegen die Mieter durch die Hintertür.Noch vor einem Jahr haben alle Fraktionen des Deutschen Bundestages im Schlußbericht des Neue-Heimat-Untersuchungsausschusses festgestellt, auch CDU/CSU und FDP: Die Gemeinnützigkeit besitzt „sowohl objektiv als auch subjektiv eine ,Garantie-funktion' für den Mieter". Der Grundsatz der gemeinnützigen Vermögensbindung „behält eine Bedeutung auch in einer Zeit entspannter und im wesentlichen ausgeglichener Wohnungsmärkte".Noch am 6. Oktober verkündete Bauminister Schneider: „Gemeinnützige Wohnungswirtschaft ist für einen sozialen Wohnungsmarkt unverzichtbar."
Drei Tage später war dieses Bekenntnis als Täuschung entlarvt. Die Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit als Teil der Steuerreform war beschlossen. Und nun machte sich der Bauminister eilends zum Erfüllungsgehilfen des Finanzministers. Er verharmloste und sagte, einschneidende wohnungs- und mietenpolitische Folgen seien nicht zu befürchten. Er erwarte, daß sich die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen auch nach Streichung der Steuerbefreiung und nach Aufhebung des Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetzes freiwillig gemeinnützig verhielten. Mieterhöhungen seien „theoretisch" bei höchstens 200 000 Wohnungen zu erwarten.Kläglicher hat sich ein Bundeswohnungsbaumini-ster noch nie aus der Wohnungspolitik verabschiedet.
Und das zu einer Zeit, in der der Wohnungsneubau einen seit 1949 einmaligen Tiefstand erreicht hat,
obwohl uns erst vor fünf Jahren die Bundesregierung mit dem Gesetz zur Erhöhung des Angebots an Mietwohnungen das Gegenteil versprochen hat.Preiswerter Wohnraum für Durchschnittsbürger und Bezieher niedriger Einkommen wird zur Mangelware. In den Ballungsräumen steigen die Mieten. Am 10. Februar hat der Deutsche Städtetag Alarm geschlagen und gesagt:In den meisten Städten ist der Mangel an Sozialwohnungen so groß, daß keine nennenswerten Leerstände mehr zu verzeichnen sind. Die Leer-standsquote tendiert gegen Null. Für die steigende Zahl der Sozialwohnungsberechtigten mit einem hohen Anteil an Minderverdienenden stehen immer weniger Wohnungen zur Verfügung.In den kommenden Jahren wird sich das Angebot sogar noch stark vermindern...Wer in dieser Lage die Wohnungsgemeinnützigkeit aufheben und die Steuerbefreiung für gemeinnützige Wohnungsunternehmen streichen will, handelt verantwortungslos gegenüber den Mietern,
gegenüber den Wohnungssuchenden und gegenüber den Kommunen, denen die Last der Wohnungsversorgung ihrer Bürger überlassen bleibt.
Die Leidtragenden werden die Mieter sein. Das sind 3, 4 Millionen Haushalte; das sind mindestens 8 Millionen Menschen. Für sie hat die Wohnungsgemeinnützigkeit „Garantiefunktion". Mit der Aufhebung dieser „Garantie" entfällt die soziale Mietpreisbindung, die Verpflichtung, staatlich genehmigte Musterverträge zu verwenden, mit einem Mieterschutz, der über den gesetzlichen hinausgeht, und der Schutz vor spekulativer Verwertung z. B. durch Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen.Die Privatisierung der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft bedeutet: Die Stellung der Mieter wird verschlechtert.Das Darmstädter Institut „Wohnen und Umwelt" hat in einem Gutachten den „Wert" der gemeinnützigkeitsrechtlichen Mietpreisbindung mit etwa 80 Pf pro Qudratmeter und Monat berechnet. So groß ist der Abstand zwischen den Mieten gemeinnütziger Wohnungsunternehmen und den freien Marktmieten. Das eröffnet in den ersten fünf Jahren nach Aufhebung der Wohnungsgemeinnützigkeit einen Spielraum für Mieterhöhungen in Höhe von 1, 3 Milliarden DM. Für den einzelnen Mieter heißt das 50 DM bis 70 DM Mieterhöhung im Monat.
Mieterhöhungen sind für die knapp 1 Million nichtöffentlich geförderter Wohnungen, die nur den Bindungen der Gemeinnützigkeit unterliegen, ab 1990 möglich. Weitere 1, 5 Millionen Wohnungen unterliegen zur Zeit noch den Bindungen des sozialen Wohnungsbaus. Sie fallen bis 1995 aus den Bindungen heraus. Das Ergebnis ist: Die Regierung hat nicht nur die Mieter getäuscht; sie läßt die Mieter auch noch die Steuerreform bezahlen.
Angeblich weniger Steuern, mit Sicherheit aber höhere Mieten: Das ist das wahre Gesicht dieser Regierung.
Die Koalition will das Ende der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft. Wenn sich gemeinnützige Wohnungsunternehmen in Zukunft dem WettbewerbMetadaten/Kopzeile:
4638 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988
Jahn
stellen müssen, dann müssen sie den Gesetzen des Marktes folgen. Der aber ist sozial blind.
Den gemeinnützigen Wohnungsunternehmen werden neue finanzielle Belastungen entstehen — aus der Steuerpflicht und wenn man sie zwingt, die Probleme der teuren, degressiv geförderten Mietwohnungen alleine zu lösen.Und schließlich: Bei den gemeinnützigen Baugesellschaften, denen 2, 4 Millionen Wohnungen gehören, werden wirtschaftliche Entscheidungen künftig nicht nur von der Unternehmensleitung, sondern auch von den Kapitaleignern getroffen.Die Eigentümer werden ihre gemeinnützigen Tochtergesellschaften als Finanz- und Ertragsquelle einsetzen. Heute können sie das nicht. Ihrer Begehrlichkeit ist ein gesetzlicher Riegel vorgeschoben.
Weder die öffentliche Hand noch die Kirchen als Eigentümer gemeinnütziger Wohnungsunternehmen können sich freiwillig gemeinnützig verhalten. Im Gegenteil: Unter dem Diktat der leeren Kassen werden sie jede Möglichkeit nutzen müssen, ihre Einnahmen aufzubessern. Gemeinden und Kirchen tragen einen so großen Teil der Steuerausfälle durch die Steuerreform, daß sie, selbst wenn sie wollten, hier keinen Ausgleich schaffen können.
Damit ist klar: Die Steuerreform bedeutet für die Mieter gemeinnütziger Wohnungsunternehmen finanzielle Mehrbelastungen in Milliardenhöhe. Undwenn die gemeinnützigen Bestände am freien Markt verwertet werden, droht auch noch der Verlust der Wohnungen. Die Aufhebung der Gemeinnützigkeit bedeutet Preisgabe der letzten Wohnraumreserve zur Versorgung der Menschen, die — aus welchen Gründen auch immer — am freien Wohnungsmarkt keine Chance haben.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte.
Könnten Sie uns bitte einmal erklären, in welcher Weise die Kirchen die Steuerreform finanzieren?
in einer sie auf das äußerste belastenden Art sinken werden infolge ihrer Bindung an die Höhe der Einkommensteuer.
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Meine Ausführungen sind realitätsbezogen und nicht wunschbezogen.
Meine Damen und Herren, Steuern zahlt in Zukunft — ich sage einen wichtigen Satz, Herr Kollege Jahn —, wer mehr als kostendeckende Mieten verlangt. Wer sich gemeinnützig verhält und lediglich die Erstattung der Kosten verlangt, zahlt auch in Zukunft keine Steuern.
Wegen der Steuerpflicht muß keine einzige Miete erhöht werden. Die Steuerpflicht verringert den Anreiz, Mieten zu erhöhen; denn künftig muß mehr als die Hälfte der Mehreinnahmen an den Staat abgeführt werden, sobald die Kostendeckung erreicht ist. Das ist Realität für jeden, der von Wohnungswirtschaft etwas versteht.
Die Verantwortung für die Mieten liegt heute vielfach bei der öffentlichen Hand, bei Staat, Bund, Land, Gemeinden. In Zukunft bilden die Unternehmer zunehmend selber die Mieten im Rahmen ihrer sozialen und wirtschaftlichen Verantwortung. Die Unterstellung, jetzt würden die Mieter ausgequetscht, ist eine beleidigende Diskriminierung der gesamten gemeinnützigen Wohnungswirtschaft,
die mein volles Vertrauen besitzt, und eine bewußte Mißachtung einer über Jahrzehnte bewährten Tradition. — Herr Kollege Jahn, Sie wissen sehr gut, daß das, was ich sage, richtig ist.
Die Unternehmenspolitik wird bestimmt von verantwortungsvollen und mündigen Vorständen und Geschäftsführern und — was hinzu kommt — von sozial engagierten Betriebsräten und Stadträten sowie von den Vertretern der Kirchen. Ob zum Beispiel in München die Mieten der städtischen gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften erhöht werden, hat also der Oberbürgermeister mit seinen Stadträten allein zu verantworten und sonst niemand,
nicht Herr Stoltenberg und nicht die Bundesregierung.
Im übrigen gibt es gemeinnütziges Verhalten nicht nur in der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft. Auch in der freien Wohnungswirtschaft gibt es viele Vermieter, die vorbildliche soziale Leistungen erbringen und ein ungetrübtes partnerschaftliches Verhältnis zu ihren Mietern haben. Das erkenne ich in diesem Zusammenhang ausdrücklich an.
Die Mietverhältnisse bei den über 11 Millionen Haushaltungen, die in Wohnungen der freien Wohnungswirtschaft leben, sind durch sozialen Frieden zwischen Mieter und Vermieter gekennzeichnet.
Die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen haben beharrlich immer wieder mehr wirtschaftliche und unternehmerische Gestaltungsfreiheit gefordert. Darum haben wir ja gerungen, bis im Rahmen der Koalitionsverhandlungen über die Steuerreform dieser Beschluß gefaßt worden ist. Wir waren noch lange nicht am Ende, ihnen die geforderte wirtschaftliche und unternehmerische Gestaltungsfreiheit in dem Maße zu geben. Es ging nämlich um die Frage nach dem sozialen Äquivalent für die Steuerfreiheit. Die Antwort war noch nicht gefunden. Das sage ich ausdrücklich.
Selbstverständlich übernehmen die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen künftig das volle unternehmerische Risiko und eben auch die volle soziale Verantwortung. Ich bin überzeugt: Sie werden sich dieser Verantwortung würdig zeigen. Das wird die Unternehmen zwingen, sich darum zu bemühen, noch wirtschaftlicher zu arbeiten und die Kosten zu dek-ken.
Sie werden den Wettbewerb auf dem Wohnungsmarkt verschärfen. Sie werden sowohl ihre Bestände verbessern als auch im Neubau investieren, um die steuerlichen Absetzungsmöglichkeiten auszuschöpfen. Der zusätzliche Wettbewerb und das zusätzliche Angebot kommen letztlich den Mietern zugute. Dieses Gesetz ist ein mieterfreundliches Gesetz. Ich sage das aus Überzeugung.
— Was den Beschluß des bayerischen Ministerrats angeht, habe ich Grund zu der Annahme,
daß er unter der Voraussetzung gefaßt worden ist, es bleibe, wie im Referentenentwurf vorgesehen, in der Eröffnungsbilanz bei den Buchwerten.
Da aber die Buchwerte dank der parlamentarischen Unterstützung und dank der politischen Entscheidung des Herrn Bundesfinanzministers der Vergangenheit angehören,
ist die Geschäftsgrundlage für einen Protest gegen den Wegfall der Steuerfreiheit entfallen.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Conradi.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister, aus Ihrer Rede hat man so richtig die Begeisterung gespürt, mit der Sie diesen Gesetzentwurf vertreten.
Daß Sie so tun, als sei das alles aus Ihrem Haus gekommen, als hätten Sie das von Anfang an gewollt, finde ich bedauerlich. Sie sollten den Kakao, durch den der Bundesfinanzminister Sie gezogen hat, hier nicht auch nocht trinken.
Wir haben diese Debatte über die von der Bundesregierung geplante Abschaffung der Gemeinnützigkeit gegen die Koalitionsfraktion erzwungen, weil wir befürchten müssen, daß die Zeitnot der parlamentarischen Beratung des Steuerpakets uns nicht erlaubt, ernsthaft und sachlich über die geplante Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit zu diskutieren. Die kurze Zeit, die Sie dem Parlament geben wollen, über dieses große Steuerpaket zu beraten, ist in Wirklichkeit eine Beleidigung, eine Herabwürdigung des Parlaments. Sie sollten darauf verzichten, mit Ihrer Mehrheit beim Steuerpaket das Parlament zur willfährigen Magd der Regierung zu machen. Unsere Forderung ist: Nehmen Sie die Wohnungsgemeinnützigkeit aus dem Steuerpaket heraus! Lassen Sie uns im Herbst in Ruhe und sachkundig darüber reden! Aber peitschen Sie das jetzt nicht durch, das wäre dieses Parlaments nicht würdig!
Wir fragen uns: Warum wollen Sie eigentlich die steuerliche Wohnungsgemeinnützigkeit abschaffen? Als ersten Grund führen Sie an: Steuergerechtigkeit. Das ist der blanke Hohn bei einer Koalition, die die Nachtarbeit der Krankenschwester besteuert, um den Spitzensteuersatz des Chefarztes herabzusetzen. Da ist das Argument Steuergerechtigkeit eher komisch.
Aber auch wohnungspolitisch schaffen Sie keine Steuergerechtigkeit. — Ja, Herr Bötsch, das ärgert Sie, und deswegen sind Sie so unruhig.
Die steuerliche Förderung des Wohnungseigentums wird 1988 auf 2, 1 Milliarden DM geschätzt. Die Wohnungsgemeinnützigkeit wird mit einem Achtel davon gefördert. Wenn Sie von Steuergerechtigkeit reden, dann wird einem übel.
— Bitte, Herr Kollege.
Herr Kollege Faltlhauser, bitte.
Herr Kollege Conradi, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß die Krankenschwester mit Sicherheit nicht befürchten muß, daß irgendeine Mark, die sie nachts mit ihrer Arbeit verdient, jetzt versteuert wird, auf Grund der im § 3b des Einkommensteuergesetzes vorhandenen Grenzen?
Wir werden es sehen, Herr Kollege. Sie hatten vor, die Nachtarbeitszuschläge zu besteuern. Das wird sich dann bei der Gesetzesberatung ja zeigen.
Sie haben als zweites Argument — das haben Sie, Herr Grünbeck, hier angeführt — gesagt: Die Subvention sei eigentlich nicht mehr erforderlich, so dieMetadaten/Kopzeile:
4642 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988
ConradiHofbauer-Kommission, diese famose Stoltenberg-Kommission,
weil der Gemeinwohlzweck des Wohnungsgemein-nützigkeitsrechts durch das Zweite Wohnungsbaugesetz gesichert sei. Dies ist nun wirklich eine Verhöhnung des Publikums; denn nach dem Zweiten Wohnungsbaugesetz fördern Sie überhaupt keine Mietwohnungen mehr. Sie haben die Wohnungsbauförderung dort auf die Hälfte reduziert, Mietwohnungen werden gar nicht mehr gefördert. Hier wird auf ein Gesetz verwiesen, das die Bundesregierung im Mietwohnungsbau nicht mehr anwendet.
Dann kommt Ihr drittes Argument: 100 Millionen DM Steuermehreinnahmen. Nun wissen Sie ganz genau, daß die Mietsteigerungen, die kommen werden, höheres Wohngeld erfordern. Da sind die 100 Millionen DM, auf die sich der Finanzminister vielleicht freut, schnell weg. Wenn man einmal die steuerlichen Verluste aus Vemietung und Verpachtung vergleicht, dann stellt man fest: Sie betrugen 1983 — das sind die letzten verfügbaren Zahlen — 14 Milliarden DM, das 140fache dessen, was Sie hier einsparen wollen. Wenn nur ein Prozent der 3, 5 Millionen Wohnungen, die Sie aus der steuerlichen Gemeinnützigkeit entlassen wollen, verkauft werden, ist Ihre ganze Steuermehreinnahme perdu.Alle Fachleute sagen: Sie werden mit erheblichen Steuerausfällen rechnen müssen, weil die Unternehmen die Gestaltungsspielräume des Steuerrechts voll ausnutzen werden.
Auch der Finanzminister weiß das. Wenn Herr Stoltenberg ein ehrlicher Mann wäre, dann würde er das sagen.
Tatsächlich haben Sie ganz andere Beweggründe. Ein Teil der gemeinnützigen Wohnungsunternehmen sind Werkswohnungsunternehmen, die in Jahrzehnten für ihre Arbeitnehmer mit Steuermitteln Wohnungen gebaut haben. Die wollen jetzt Kasse machen und die stillen Reserven realisieren. Lothar Späth, der zuerst gegen die Aufhebung der Gemeinnützigkeit war, ist inzwischen umgefallen so wie der Bundesbauminister. Das sind diese Helden, die erst groß reden, sie seien dagegen, und dann umfallen. Späth verlangt jetzt nur noch, daß die stillen Reserven auf keinen Fall nachversteuert werden dürfen. So war er schon als Geschäftsführer der Neuen Heimat. Bei denen waren auch die Kapitalinteressen wichtiger als die Interessen der Menschen, die dort wohnen. Hier soll den Aktionären der Werkswohnungsunternehmen ermöglicht werden, die ganzen Steuervorteile der vergangenen Jahrzehnte zu realisieren, d. h. Kasse zu machen. Dagegen wird sich der Betriebsrat kaum wehren können, wenn etwa Arbeitsplätze geltend gemacht werden.Der zweite, gewichtigere Grund, Herr Grünbeck— und das kommt ja vor allem aus Ihrer Ecke — ist: Am Wohnungsmarkt sollen die lästige Konkurrenz der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft und ihre soziale Mietpolitik verschwinden; das wollen Sie nicht mehr.
Das ist den gewerblichen Wohnungsvermietern einDorn im Auge. Die Banken und die Versicherungen befürchten nämlich, daß sie ausgangs des Jahrhunderts ihre Wohnungen auf Grund des Bevölkerungsrückgangs nicht mehr so gut vermieten können.Von Herrn Lambsdorff, der hier — so sagt er selbst — „als Abgeordneter mit privatwirtschaftlichen Interessen" tätig ist — ich höre, auch für die Spielautomatenhersteller; wahrscheinlich bekommt er da gelegentlich drei Freispiele —, kann man ja wohl annehmen, daß er die Interessen der Versicherungen, ihre Wohnungsbestände gut zu nutzen, massiv vertreten hat.
Es geht hier um eine rüde Interessenpolitik. Die gemeinnützige Wohnungswirtschaft stört Sie, weil sie billiger vermietet als andere. Die müssen vom Markt; bei denen müssen die Mieten hochgebracht werden, damit man besser absahnen kann.
Die Vermutung--
— Herr Grünbeck, gleich. Ich darf den Satz noch zu Ende führen.Die Vermutung ist ja so abwegig nicht, daß Herr Lambsdorff jetzt für seine Dienste bei der freien Wohnungswirtschaft kassiert, so wie er auch damals bei Flick, als er über die Steuerbefreiung zu entscheiden hatte, kassiert hat.Jetzt sind Sie dran.
Herr Abgeordneter Grünbeck, bitte.
Herr Kollege Conradi, wenn Sie in der Sache überhaupt noch recht behalten wollen, dann darf ich Sie einmal fragen, warum die wohnungsgemeinnützigen Verbände zu uns sagen, sie würden uns bei der Abschaffung der Gemeinnützigkeit einschließlich der Steuerbefreiung zustimmen, wenn wir bestimmte Konditionen erfüllten? Wie kommen Sie denn dann zu der Behauptung, daß wir die wohnungsgemeinnützigen Verbände aus ihrer Vermietertätigkeit verdrängen wollen? Das widerspricht sich doch.
Nein, Sie wollen die Wohnungsgemeinnützigkeit abschaffen, Herr Grünbeck. Natürlich sind die Werkswohnungsunternehmen — das habeMetadaten/Kopzeile:
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Conradiich ja gesagt — dafür, weil es für sie lukrativ ist. Aber der große Rest der wohnungsgemeinnützigen Unternehmen will genau das nicht.
Sie wollen nämlich weiterhin nicht allein nach Markt -und Kapitalgrundsätzen vermieten, sondern nach gemeinnützigen. Aber wenn Sie ihnen die Steuerbefreiung wegnehmen, dann werden sie das nicht mehr tun.Was sind die Folgen? Wer wird in Zukunft den schwächeren Mietern, wer wird denn den Arbeitslosen — wir waren doch in Köln; wir waren doch in Hamburg; wir haben doch dort mit den Mietern geredet —, wer wird der alleinerziehenden Frau, wer wird dem alten Rentnerpaar, das eine geringe Rente hat, wer wird den Behinderten, wer wird denen in Zukunft eine Wohnung geben?
Die gemeinnützige Wohnungswirtschaft, Herr Dr. Kansy, hat ja nicht nur einen Beitrag zur Wohnungsversorgung geleistet; sie hat einen Beitrag zum sozialen Frieden in dieser Republik geleistet.
Dieser Beitrag ist gerade jetzt in wirtschaftlich schwierigen Zeiten notwendig. Denn wenn die zweieinhalb Millionen Arbeitslosen — und es werden ja wahrscheinlich mehr — zukünftig nicht nur ihren Arbeitsplatz, sondern auch ihre Wohnung verlieren, dann wird der soziale Friede in dieser Republik beschädigt.
Sie räumen hier mit einem Prinzip rücksichtslos auf, das nach dem verlorenen Krieg in allen Parteien unumstritten war. Damals waren alle der Auffassung, die Wohnung sei nicht eine Ware, die beliebig zu wechseln und zu veräußern ist, sondern die Wohnung sei der Lebensmittelpunkt der Menschen und Wohnungspolitik sei auch Politik für Lebenskultur. Für Sie gibt es diesen Begriff nicht mehr. Die Möglichkeit des sozial sicheren, des nicht allein an Kapitalinteressen orientierten Wohnens soll verschwinden.Sie zerschlagen die große Tradition der deutschen Baugenossenschaften. Nur noch die Vermietungsgenossenschaften sollen steuerfrei bleiben.
Die Vermietungsgenossenschaften werden nach der Regelung, die Sie beschließen werden — das ist zu befürchten —, ihre Wohnungen ebenfalls privatisieren. Die bauenden Genossenschaften werden genauso steuerpflichtig werden wie andere Unternehmen. Wer sich an die reformerischen Beiträge erinnert, die die deutschen Baugenossenschaften vor allem in der Weimarer Zeit zur Wohnkultur und zur Lebenskultur geleistet haben, der sieht mit Schrek-ken, daß hier auch ein Stück lebendiger deutscher Bau- und Sozialgeschichte ausradiert werden soll.
Aber der Bundeskanzler baut in Berlin ein Geschichtsmuseum. Dort können unsere Enkel dann sehen, was Wohnungsgemeinnützigkeit einmal war.
Wir Sozialdemokraten werden bis zum Schluß gegen Ihre Absicht Sturm laufen, die Wohnungsgemeinnützigkeit abzuschaffen. Wir wollen nicht die Abschaffung, sondern wir wollen die Stärkung, die Reform, die Weiterentwicklung der Wohnungsgemeinnützigkeit, nicht wegen des abstrakten Prinzips, sondern wegen der Menschen, die dort wohnen, und wegen der Millionen anderer Mieter, die auch etwas davon haben, daß es am Wohnungsmarkt bis heute einen Bereich gibt, wo nicht allein das Geld bestimmt, was Sache ist. Ihnen geht es nur ums Geld, um nichts anderes. Bei Ihnen zählt allein, was gezahlt wird, auch in der Wohnungspolitik. Uns geht es um die Menschen. Denen wollen wir erhalten, was aus Mitteln der Gemeinschaft an gemeinnützigen, sozial verpflichteten Wohnungen geschaffen worden ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Schulhoff.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren. Die Opposition hat heute wieder einmal gezeigt, nach welchem Strickmuster sie hier vorgeht. Anstatt mit sachlichen Argumenten zu kommen, appelliert sie nur an die Neid- und Angstgefühle der Menschen, mal mehr, mal weniger,
hier wieder an die Angstgefühle der Menschen.
Gerade Sie, Herr Jahn, hätten doch schweigen sollen. Ich erinnere an die Jahre 1982 und 1983: Was haben Sie da gesagt? Sie haben damals einen besonderen Beinamen bekommen, den ich hier aber nicht nennen kann, sonst müßte die Frau Präsidentin mich rügen. Was alles haben Sie prophezeit, auch in Hamburg? Sie haben an die Wand gemalt: Mietsteigerungen um 30 %! Was ist letztlich eingetreten? Wir haben in den letzten Jahren die geringsten Mietsteigerungen, seitdem es eine Mietenstatistik gibt.
— Lassen Sie mich diesen Punkt erst einmal behandeln; Sie können gleich fragen. — Sie haben eben auch den Bereich der Ballungsräume angesprochen. Ich kann mich erinnern, daß wir gerade in München, einem Ballungsraum, eine Mietsteigerung von nur einem Prozent haben. — So, bitte schön, aber das wird mir von der Zeit nicht abgezogen?
Nein, auf keinen Fall.— Herr Abgeordneter Jahn, Ihre Zwischenfrage, bitte schön.Metadaten/Kopzeile:
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Herr Kollege Schulhoff, erinnern Sie sich noch daran, daß dieser Bundeswoh-nungsbauminister hier versprochen hat, daß die Mieten auf Grund Ihres Mieterhöhungsgesetzes nicht mehr als die Lebenshaltungskosten steigen werden? Wollen Sie nun endlich einmal zur Kenntnis nehmen, daß seit der Abgabe dieses Versprechens von Statistik zu Statistik die Mieten doppelt so hoch gestiegen sind wie die Lebenshaltungskosten? Alles, was Ihnen zugute gekommen ist, ist lediglich die Tatsache, daß Sie zeitweise geringe Lebenshaltungskostensteigerungen gehabt haben.
Herr Kollege Jahn, das ist doch wieder die bekannte übliche Polemik. Ich habe Ihnen eben doch deutlich gesagt, daß wir in der Bundesrepublik noch nie so geringe Mietsteigerungen gehabt haben wie zur heutigen Zeit.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, Herr Kollege Schulhoff?
Bitte schön.
Haben Sie sich einmal mit der Frage befaßt, Herr Kollege Schulhoff, wie stark bei Durchschnittsverdienern und bei Menschen, die noch weniger haben, der Anteil an Belastung für Miete in den letzten Jahren gestiegen ist, nämlich teilweise auf über 30, 35 und mehr Prozent?
Ich habe mich, Herr Kollege Jahn, damit befaßt und kann hier deutlich sagen, daß die Belastung heute geringer ist als zu Ihrer Zeit.
Auch Sie, Herr Kollege Conradi, haben bei Ihrem Rundumschlag die Katze aus dem Sack gelassen. Ihnen ging es hier nicht um die Gemeinnützigkeit, sondern Ihnen ging es leider um billige Polemik, wobei Sie hier auch den Finanzminister in schändlicher Form diffamiert haben.
Herr Kollege Schulhoff, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Grünbeck?
Bitte schön.
Herr Kollege Schulhoff, würden Sie mir zustimmen, daß die Lebenshaltungskosten auf Grund der Stabilitätspolitik der Bundesregierung wirklich nur um 0, 7 % und die Mieten dadurch nur um 1, 8 % gestiegen sind und daß die Mietsteigerungsrate vorwiegend daraus besteht, daß der Wohnraum selbst um etwa 30 % in der Fläche zugenommen hat?
Natürlich. Ich stimme Ihnen gern zu. Ich wundere mich nur, daß Herr Jahn das nicht weiß.
Lassen Sie mich bitte noch einige finanzpolitische Aspekte hinzufügen. Finanzhilfen und Steuervergünstigungen müssen ständig daraufhin überprüft werden, ob die mit der Subventionierung verfolgten Ziele überhaupt noch bestehen. Dies ist nicht nur ein Gebot verantwortungsbewußter Haushaltsführung, sondern gleichzeitig eine ordnungs-, Wachstums- und finanzpolitische Daueraufgabe. Ich gebe zu: zweifellos keine einfache Aufgabe.So waren auch die Erfolge in der Vergangenheit nur mäßig. Obwohl man seit Jahren aus allen Bereichen der Bevölkerung den Ruf nach Subventionsabbau hört, wird es sehr still, wenn man sich selbst betroffen fühlt.
Deshalb hat es jede Regierung auf diesem Gebiet sehr schwer; denn es ist immer leichter, etwas zu geben, als etwas zu nehmen, insbesondere wenn man sich längst an die Wohltaten gewöhnt hat. Um Privilegien handelt es sich nämlich immer nur bei den anderen. Wir sehen das zur Zeit bei der Diskussion um die Steuerreform. Dabei tragen Sie auch einen großen Teil zur Verunsicherung bei.
Aber bei der Diskussion über den Subventionsabbau vergißt man leider auch allzuoft, daß der Abbau von Subventionen auch unter dem Gesichtspunkt der steuerlichen Gleichbehandlung gleichgerichteter Tätigkeiten, und zwar aus wettbewerbspolitischen und verfassungsrechtlichen Gründen, zu erfolgen hat. Letztlich, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist das auch eine Frage der Steuergerechtigkeit.Wenn man jetzt diese Kriterien zur Beurteilung der Steuervergünstigung für gemeinnützige Wohnungsund Siedlungsunternehmen sowie für Organe der staatlichen Wohnungspolitik heranzieht, drängt sich die Frage auf, ob die mit der Steuerfreiheit verfolgten Ziele nicht längst erreicht sind und ob nicht gerade durch Beibehaltung der Subventionen der Wettbewerb mit anderen Unternehmen verfälscht wird.
Dabei wird die Frage der Mißwirtschaft und der Verschleuderung von Milliarden an Steuergeldern durch die verantwortlichen Funktionäre der Neuen Heimat außer acht gelassen. Gerade zu Herrn Jahn drängt sich mir dabei die Frage auf: Wo war er zu dieser Zeit als oberster Mieterschützer in unserer Republik?Die große Aufbauleistung — darauf hat Kollege Grünbeck zu Recht hingewiesen — der Mehrzahl der gemeinnützigen Wohnungsunternehmen soll nicht durch das unternehmerische Fehlverhalten einiger weniger geschmälert werden. Darum geht es auch nicht. Denn die Diskussion über den Abbau der Steuervergünstigungen setzte schon vor dem Neue-Heimat-Skandal ein. Wir wurden eben darauf hingewiesen, daß es die Hofbauer-Kommission gibt, die das Gutachten erstellt hat — eine unabhängige Kommission, Herr Conradi. Ich brauche nicht im einzelnen auf deren Ergebnisse einzugehen. Wir haben das gehört.Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988 4645
SchulhoffDurch die Befreiung von Steuern sollte ursprünglich die Investitionstätigkeit der gemeinnützigen Wohnungsunternehmen gestärkt und ein Anreiz geschaffen werden, preiswerten Wohnraum für breite Schichten der Bevölkerung zur Verfügung zu stellen.
Die entspannte Lage auf dem Wohnungsmarkt zeigt jedoch, daß diese Ziele weitgehend erreicht sind.
Wir brauchen uns darüber nicht gegenseitig aufzuklären. Jeder weiß doch, was auf dem Markt ist. Ich gebe zu, daß es in einigen Bereichen noch Engpässe gibt. Aber das rechtfertigt doch nicht insgesamt die Beibehaltung der Steuerfreiheit.Hinzu kommt, daß die Mieter bereits durch den Mieterschutz, die Mietpreisbegrenzung für Sozialwohnungen sowie durch das Wohngeld vor wirtschaftlich unzumutbaren Belastungen geschützt sind. Einer zusätzlichen Fördermaßnahme in Form einer Steuerbefreiung für gemeinnützige Wohnungsunternehmen bedarf es meiner Ansicht nach nicht mehr.
Ist also die Steuerbefreiung sachlich nicht mehr gerechtfertigt, so muß die aufgehoben werden. Eine Ausnahme sollte — wie von der unabhängigen Sachverständigenkommission vorgeschlagen — für Wohnungsbaugenossenschaften und -vereine vorgesehen werden, die sich darauf beschränken, Wohnungen zur Vermietung an ihre Mitglieder zu errichten. Eine Steuerbefreiung für Wohnungsbaugenossenschaften und -vereine ist deshalb gerechtfertigt, weil es sich bei ihnen um reine Selbsthilfeeinrichtungen handelt.
Entsprechend den genossenschaftsrechtlichen Fördergedanken nimmt die Genossenschaft eine wirtschaftliche Hilfsfunktion für ihre Mitglieder wahr. Da der Nutzungswert der Wohnung im eigenen Haus nicht mehr zu versteuern ist, wäre es nicht überzeugend, nur deshalb eine Steuer auf das Einkommen zu erheben, weil sich mehrere Interessenten zu einer Wohnungsgenossenschaft zusammenschließen. Was jetzt vorgeschlagen wird, ist meiner Ansicht nach auch steuersystematisch der richtige Weg.Die Hofbauer-Kommission hat aber auch vorgeschlagen — wir haben das eben gehört —, die stillen Reserven zu besteuern. In diesem Punkt kann ich, können meine Freunde und konnte Herr Kansy dem Entwurf nicht folgen. Vielmehr haben wir immer vorgeschlagen — wir haben heute zum Glück von dem Herrn Minister gehört, daß--
— Teilwert! Ja, ich bitte um Entschuldigung. Die Hofbauer-Kommission hat vorgeschlagen, den Teilwert heranzuziehen, und dem ist die Regierung nicht gefolgt. Aber ich höre gerade von Herrn Schneider, daß sie dem folgen und die Teilwerte anrechnen wird. Ichglaube, hier haben wir eine gute Möglichkeit, auch gemeinsam den Weg weiterzugehen; denn damit ist ein ganz wichtiger Kritikpunkt weggefallen. Ich danke auch Herrn Kansy, daß er immer so vehement dafür eingetreten ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, zusammenfassend möchte ich sagen: Die Abschaffung der Steuerbefreiung ist aus sachlichen und aus ordnungspolitischen Gründen gerechtfertigt und sogar geboten. Sie trägt zu mehr Steuergerechtigkeit bei, und kein Mieter braucht Angst zu haben.Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Das Wort nach § 30 der Geschäftsordnung hat Herr Abgeordneter Mischnick.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Abgeordnete Conradi hat hier gesagt, der Abgeordnete Graf Lambsdorff habe Flick steuerbefreit und anschließend dafür kassiert.
Ich weise diese unverschämte Behauptung zurück.
Für mich ist ein Abgeordneter, der Kollegen so diffamiert, kein Kollege mehr.
Meine Damen und Herren, nach demselben Paragraphen, nach § 30 der Geschäftsordnung, hat Herr Abgeordneter Conradi das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe das sorgfältig formuliert. Wir können es im Protokoll nachlesen. Ich habe gesagt: „So wie er als Bundeswirtschaftsminister von Flick Geld in Empfang nahm, als er über eine Steuerbefreiung für Flick zu entscheiden hatte." — Dieser Sachverhalt ist bisher von niemandem bestritten worden, und er entspricht auch den Tatsachen.
Meine Damen und Herren, wir haben noch den Antrag der Fraktion der SPD zu überweisen. Der Vorschlag liegt Ihnen mit der Tagesordnung vor. Gibt es dagegen Widerspruch? — Dann ist das so beschlossen.Wir kommen jetzt noch einmal auf den Tagesordnungspunkt 8 zurück, zu dem Vertragsgesetz mit der Republik Griechenland, Drucksachen 11/1611 und 11/1951, das sich auf das auf vertragliche Schuldver-Metadaten/Kopzeile:
4646 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988
Vizepräsident Frau Rengerhältnisse anzuwendende Recht bezieht, weil hierüber noch nicht abgestimmt worden ist. *) Der Ausschuß empfiehlt einstimmig — bei einer Stimmenthaltung aus der Fraktion DIE GRÜNEN —, den Gesetzentwurf anzunehmen.Ich rufe jetzt den Gesetzentwurf mit seinen Artikeln 1 bis 3, Einleitung und Überschrift, auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen so angenommen!Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 23 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Dr. Vollmer, Frau Olms und der Fraktion DIE GRÜNEN Übernahme des Berliner Document Centers für NS-Akten durch die Bundesrepublik Deutschland- Drucksache 11/1926 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß Auswärtiger Ausschuß Rechtsausschuß HaushaltsausschußIm Ältestenrat sind für die Beratung bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Das ist so beschlossen, weil dagegen kein Widerspruch erhoben wird.Das Wort hat die Frau Abgeordnete Olms.
Meine Damen und Herren! Erst in diesen Wochen, 55 Jahre nach der Machtübergabe an das nationalsozialistische Regime in Deutschland, geriet das Berliner Document Center in die öffentlichen Schlagzeilen. In Berlin-Zehlendorf befindet sich eine wahre Fundstätte mit über 100 Millionen Aktenblättern, Mitgliederkarteien der NSDAP, der SS, der SA, des Rasse- und Siedlungshauptamtes, ein Reichsärzteverzeichnis, die sogenannten Ariernachweise, Verfahren am berüchtigten Volksgerichtshof, unzählige Korrespondenzen und allerlei Ehrerbietungen prominenter Künstler an die damaligen faschistischen Machthaber.
Es ist bezeichnend für den Umgang mit der jüngsten deutschen Geschichte, daß nicht etwa aus den Akten aufgespürte Täter und Komplizen des NS-Regimes den Aktenstaub der letzten Zeit aufwirbelten, sondern Schieber und Hehler, vielleicht auch eine mafiaähnliche Geheimorganisation, wie die „Berliner Morgenpost" mutmaßte, aber nicht nachweisen konnte. Das ist deshalb bezeichnend, weil es offensichtlich leichter war, mit der Gewalt des Geldes Teile dieser Akten aus dem Document Center herauszuholen, als an die Akten heranzukommen. Bezeichnend ist das aber vor allem, weil das Berliner Document Center die enorme kollektive Verdrängungsleistung von Schuld über die Verbrechen des Nazi-Regimes symbolisiert. Das Document Center ist gewissermaßen ein schlummernder Außenzeuge, ein riesiger Entsorgungspark für die jüngste deutsche Geschichte.
*) Aufruf dieses Punktes: 67. Sitzung, Seite 4602 A
Mit Ausnahme der Originalakten über Adolf Eichmann wurden keine weiteren Täter und Komplizen des NS-Regimes aus dem reichen Aktenberge zutage gefördert. Än den dort lagernden „heißen Kartoffeln", wie der amerikanische Leiter des Archivs Simon die brisanten Materialien bezeichnete, hat sich bis heute niemand verbrennen können und auch nicht sollen. Daß uns, der bundesdeutschen und der internationalen Öffentlichkeit der Spiegel der eigenen Vergangenheit vorenthalten wird, daran haben viele, allzu viele Menschen in diesem Land, aber auch die Regierenden in den USA ein gemeinsames Interesse.
Der stillschweigende und dumpfe Konsens darüber, die vergilbenden „heißen Kartoffeln" in den Kellern des Document Center einer öffentlichen und systematischen Auswertung zu entziehen, beruht zum einen darauf, nach dem Kriege nicht diejenigen mit ihrer eigenen Vergangenheit zu kompromitieren, die in Politik und Wirtschaftsunternehmen führende Positionen besetzt hatten. Denn „brächte man ihre Namen in Verbindung mit ihren Aktivitäten" in der NS-Zeit „so würden sie und die deutsche Regierung in Schwierigkeiten kommen", wie der Leiter des Document Center in einer BBC-Sendung vor zehn Jahren freimütig bekannte.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Penner?
Ja.
Frau Kollegin, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß es seit Gründung der Zentralstelle zur Verfolgung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen im Jahre 1958 überhaupt keine Schwierigkeiten für die Mitarbeiter dieser Dienststelle gegeben hat, die Dokumente des Document Center auszuwerten?
Herr Kollege, ich habe mit sehr vielen Wissenschaftlern gesprochen, die versucht haben, an bestimmte Akten heranzukommen, und denen es sehr schwer gemacht wurde. Ich kann hier auch einige Namen nennen.
Ich möchte jetzt fortfahren. Diese genannten Schwierigkeiten liegen in der Historie der Bundesrepublik Deutschland begründet: Auf der einen Seite markiert dieser Staat einen Bruch gegenüber dem Faschismus, auf der anderen Seite aber auch eine Kontinuität, denn wir wissen, daß viele Beamte aus dem NS-Regime, viele Unternehmer und eine Reihe von Politikern, also die Globkes, Lübkes und Filbin-gers dies symbolisierten.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Hirsch?
Ja.
Frau Kollegin, da Sie uns eben erfreulicherweise angeboten haben, daß Sie uns die Namen der Wissenschaftler nennen wollen, die nachMetadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988 4647
Dr. HirschIhren Informationen enorme Schwierigkeiten gehabt haben, an die Unterlagen zu kommen, möchte ich Sie bitten, uns liebenswürdigerweise zu sagen, um wen es sich dabei handelt.
Ja. Ein Name ist Götz Ali, ein Historiker aus Berlin.
— Ich habe die Namen jetzt nicht parat, aber ich kann Sie Ihnen nachreichen. Einen Namen habe ich ja genannt.Die jahrzehntelange deutsch-amerikansiche Komplizenschaft in Sachen Document Center gründet sich zweitens auf die neue kollektive Nachkriegsidentität der westlichen Wertegemeinschaft, gekoppelt mit einer kollektiven Projektion von Schuld in Gestalt des alten und neuen Antikommunismus: Wirtschaftswunder und Kalter Krieg räumten die tatsächliche Auseinandersetzungen mit der jüngsten Geschichte beiseite. Wen wundert es da, daß die damalige Bundesregierung und die USA vor genau 30 Jahren vereinbarten, eine kritische Durchleuchtung der Vergangenheit zeitgenössischer Politiker, Unternehmer oder Künstler auszuschließen, daß nur Behörden und Gerichte Zugang zum Document Center hatten, „sofern ein rechtliches Interesse glaubhaft gemacht wird", so Hans-Jürgen Wischnewski am 2. März 1978? So ließen sich leichter Rentenansprüche von ehemaligen Mitgliedern der NSDAP oder der SS ermitteln, als daß noch lebendige Persönlichkeiten mit ihrer Vergangenheit kompromittiert würden.
Nach 1967 wollten sich die USA des Document Centers entledigen, aber die bundesdeutschen Regierungen wollten nicht. Warum nicht, das enthüllten die SPD-Politiker Brandt und Dr. Vogel in erstaunenswerter Offenheit. Als die britische BBC vor zehn Jahren eine Sendung über das Document Center ausstrahlte und zu dem Schluß kam, daß ein Teil von Kriegsverbrechern im westdeutschen Nachkriegsstaat bis dato in ihren gesellschaftlichen Positionen unbehelligt geblieben sind, und als daraufhin der ehemalige SPD-Abgeordnete Karl-Heinz Hansen endlich den freien Zugang zu den Aktenbergen im Document Center forderte, trat der damalige SPD-Parteivorsitzende Willy Brandt auf die Bremse:Wir wären von allen guten Geistern verlassen, wenn wir jetzt anfangen würden, das, was vor 35 Jahren ein gewisses Ende gehabt hat, noch mal aufrollen zu wollen.Herr Vogel wollte damals den Behauptungen der BBC-Sendung „in sachlicher Form entgegentreten", und zwar „schon wegen der verheerenden internationalen Wirkungen, von den nationalen ganz zu schweigen", wie er von seinem ehemaligen Fraktionskollegen Hansen zitiert wird.So werden die Opfer des Faschismus, vor allem die über 6 Millionen europäischen Juden, zu nochmaligen Opfern gemacht: zunächst in den Vernichtungslagern des NS-Regimes, dann als Opfer der westdeutschen Staatsraison, wobei die internationale Reputier-lichkeit und der nationale Konsens des „Schwamm drüber" allemal wichtiger waren als die gesellschaftliche Auseinandersetzung und Durcharbeitung der Schuld.Durch die jüngsten Enthüllungen in der „Berliner Morgenpost" wissen wir, daß das Berliner Document Center ganz bewußt nie einer wissenschaftlichen systematischen Auswertung aller Unterlagen zugänglich gemacht wurde. Dafür haben sich andere dubiose Gestalten, Kaufleute und Schieber, vielleicht sogar eine Geheimorganisation, mit ein bißchen Geld bedienen können. Ein Londener Militaria-Händler aus der rechtsradikalen Szene bietet Orginalpapiere aus dem militärisch gut bewachten Document Center an. Deutsche Faschisten wie der Verleger Dr. Frey versuchten über den britischen Historiker David Irving und andere Personen, Unterlagen aus den Archiven des Document Center über bekannte Politiker dieses Landes zu beschaffen, um damit gegebenenfalls zu erpressen.Was alles aus diesen Archiven verschwunden ist, ließe sich jedoch rasch aufklären. Denn nach den Versicherungen des amerikanischen Außenministers Shultz und des US-Gesandten Gilmore sind alle gestohlenen Akten bereits auf Mikrofilm gespeichert. Wenn dem so ist, dann ließe sich rekonstruieren, also exakt feststellen, welche Akten gestohlen und verschoben wurden und ob sich darunter tatsächlich auch politisch höchst brisantes Material befindet. In diesem Zusammenhang ist es ein Skandal, daß die Staatsanwaltschaft nicht wegen Erpressung ermittelt. Denn das Volumen der Akten deutet in der Tat auf ein groß angelegtes Unternehmen, wie das ja unter anderem auch der stellvertretende US-Chefankläger im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozeß, Kempner, vermutet.Ich frage mich, warum nun auf einmal, nachdem die „Berliner Morgenpost" die Debatte um das Berliner Document Center angeschubst hatte, die Bundesregierung als Reaktion darauf prompt antwortete, man sei sich mit den amerikanischen Stellen über alle wesentlichen Fragen bei der Übergabe des Document Center in deutsche Hände einig. Dabei geht es nicht um das Gerangel um die angeblich noch nicht fertiggestellte Mikroverfilmung der Akten. Im Kern geht es um die Frage, wie das Document Center in aller Stille in deutsche Hand überführt werden kann, ohne daß es in vollem Umfang einer breiten Öffentlichkeit für Forschungszwecke zugänglich gemacht werden muß.Genau dieses Problem, die Sicherheitsverwahrung brisanter Akten zu gewährleisten, damit die Sicherheitsverwahrung für diejenigen erspart bleibt, die sie verdient hätten — so sinngemäß Karl-Heinz Hansen —, scheint nunmehr gelöst. Eine zentrale Rolle kommt dabei dem neuen Bundesarchivgesetz zu, das der notwendigen Transparenz bei der öffentlichen Zugänglichmachung der Akten aus dem Document Center Einhalt gebietet. Allzu Neugierige werden durch folgende Passage aus diesem Gesetz abgeschirmt:Die Benutzung ist nicht zulässig, soweit Grund zur Annahme besteht, daß das Wohl der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder ge-Metadaten/Kopzeile:
4648 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988
Frau Olmsfährdet würde oder schutzwürdige Belange Dritter entgegenstehen...Außerdem wird der Bundesinnenminister im Einvernehmen mit dem Bundesverteidigungsminister ermächtigt, eine Benutzungsverordnung zu erlassen, die eine weitere Restriktion des freien Zugangs bedeuten würde.Für uns ist solch eine klammheimliche Entsorgung der jüngsten deutschen Geschichte nicht hinnehmbar. Die Übergabe des Berlin Document Center an deutsche Stellen, die wir befürworten, muß endlich, 43 Jahre nach dem Krieg, eine lückenlose Aufklärung über die NS-Gewaltherrschaft und die begangenen Verbrechen ermöglichen. Da darf es keine Einschränkungen und keine Tabus geben. Das ist das mindeste, was wir den Opfern des Naziterrors schuldig sind.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Neumann .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist schon eine erstaunliche Leistung, wie es Ihnen gelingt, Frau Kollegin Olms, innerhalb von zehn Minuten so viele wahrheitswidrige Dinge hier vom Podium aus zu verkünden.
Ich hoffe nur, Sie haben sich das nicht selbst erarbeitet, sondern es sich aufschreiben lassen.
Das, was Sie hier vorgetragen haben — ich werde das an einzelnen Dingen beweisen —, stimmt hinten und vorne nicht.Es ist sicherlich unbestritten, daß die 27 Millionen Akten aus der NS-Zeit, die seit dem Kriege im Document Center in Berlin unter Obhut der Amerikaner verwaltet werden, ein umfangreiches zusätzliches historisch wertvolles Quellenmaterial darstellen, das der weiteren Erforschung der Nazi-Zeit dient und dienen kann.Es ist auch eindeutig, daß dieses Material deutsches Archivgut im Sinne von § 2 Abs. 8 Bundesarchivgesetz ist und normalerweise unter die deutsche Obhut gehört. Deshalb fordert die CDU/CSU-Fraktion seit vielen Jahren, daß die Übergabe dieser Unterlagen von den Amerikanern an die deutschen Stellen erfolgt. Die Diskussion darüber ist alt und lang. Ich habe mir mal die Mühe gemacht, nachzuforschen und nachzufragen, warum, mit welchen Motiven, es jeweils zu keiner Übergabe kam.Das geht los im Jahre 1967. Da kamen Viermächteverhandlungen dazwischen, die das störten. Dann kündigte 1979 der damalige Innenminister Baum an, die Übergabe werde 1981 vollzogen. Die USA weigerten sich dann wieder. Es gelang auch nicht. Dann gab es eine Diskussion 1979/80. Es wurde sogar ein Entwurf eines Abkommens für die Übergabe vorgelegt, welcher heute im übrigen noch Gegenstand der Diskussion ist. Dann kamen finanzielle Argumente — wer soll die Kopien bezahlen? — dazu, mit dem Ergebnis, daß wir das Material heute immer noch nicht unter deutscher Obhut haben. Gott sei Danksieht es aber nach dem neuesten Stand so aus, als könne dies bald passieren.Es ist geklärt, daß die Amerikaner wohl dazu bereit sind, diese Unterlagen zu übergeben. Sie behalten sich vor, von allen diesen Dokumenten, Kopien, Mikrofilme, zu behalten. Das Material ist bisher zu etwa 60% verfilmt; 40% stehen noch aus. Die Finanzierungsfrage ist geklärt. Das übernimmt die Bundesrepublik. Normalerweise könnte es jetzt losgehen. Die Verfilmung dauert aber angeblich noch weitere drei bis vier Jahre, so daß man realistisch davon ausgehen könnte, daß im Jahre 1992/93 die endgültige Übergabe erfolgt. Ich hoffe, daß das Argument der Amerikaner, man wolle sich mit den anderen Alliierten konsultieren, nicht ein Vorwand ist, dies erneut zu verzögern.Aus all dem geht, wenn man sich damit befaßt, Frau Kollegin Olms, hervor, daß, so sehr diese Verzögerung zu bedauern ist, sie keiner der bisherigen Bundesregierungen anzulasten ist und deshalb auch für parteipolitische Zwecke nicht verwertbar ist.
Die Vorwürfe, die Bundesregierungen — da waren ja mehrere beteiligt — seien an den Unterlagen aus dem amerikanischen Document Center über NSDAP-Mitglieder nicht interessiert und wollten, wie Sie auch gesagt haben, womöglich Personen des öffentlichen Lebens decken, die ehemalige Nazis waren, sind schon allein deshalb abwegig.Dieser Vorwurf ist auch aus einem anderen Grunde abwegig. Entgegen dem, was Sie gesagt haben — und ich komme gleich auf den entsprechenden Professor, den Sie genannt haben; da haben Sie den falschen gegriffen —, ist dieses Document Center seit Jahren für Wissenschaft und Forschung sowie behördliche Zwecke fast uneingeschränkt zugänglich.
Die Genehmigung für die ausländischen Bürger erfolgt durch die US-Seite. Es ist bekannt, daß das seit Jahren völlig problemlos erfolgt.
Insbesondere was die Amerikaner betrifft, ist es so, daß die Experten aus dem Simon-Wiesenthal-Center in Los Angeles, die daran natürlich interessiert sind, uneingeschränkten Zugang haben. In West-Berlin erfolgt die Genehmigung durch den Innensenator. Was die Mehrheit der interessierten deutschen Nutzer betrifft, erfolgt die Genehmigung auf Empfehlung des Bundesarchivs.Hier hat es — das ist nachweisbar — bei all den Begehren deutscher Wissenschaftler und Forscher, bei all den Begehren von deutscher Seite, Zugang zu bekommen, nie ernsthaft einen Problemfall gegeben, so daß praktisch immer auf Anforderung der Zugang genehmigt wurde. Allein im letzten Jahr, im Jahre 1987, sind 140 Wissenschaftler als Nutzer in Document Center in Berlin gewesen.Auch für die strafrechtliche Verfolgung — das klang ja bei Ihnen auch an —, für die Verfolgung strafrechtlich relevanter Momente ist das Document Cen-Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Marz 1988 4649Neumann
ter uneingeschränkt zugänglich. Herr Penner hat das durch eine Zwischenfrage angemerkt. Die Zentralstelle zur Erfassung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg hat seit Jahren uneingeschränkten Zugang und hat das Material durchforstet. Die Äußerungen des jetzigen Leitenden Oberstaatsanwalts gehen dahin, daß für Ludwigsburg, weil alles durchgesehen worden ist, nichts mehr drin ist. In den 60er Jahren sind dort im Document Center reihenweise Gruppen von Staatsanwälten aus der Bundesrepublik gewesen und haben die Akten durchgesehen.Der Kollege Hirsch hat gesagt, Sie mögen einmal jemanden nennen, der Schwierigkeiten gehabt hat. Da nannten Sie in Ihrer Argumentationsnot — deswegen nehme ich an, daß Sie sich das nicht selbst erarbeitet haben, sondern haben aufschreiben lassen — einen Ihnen sehr nahestehenden Professor namens Götz Ali. Ich entnehme der „taz", die ja nicht der CDU nahesteht, vom 17. Februar 1988 unter der Überschrift „Der Zugang spielt nur am Rande eine Rolle" ein Zitat dieses Götz Ali, den Sie hier als Kronzeugen genannt haben. Er sagt:Die Schwierigkeiten des Zugangs des Berliner Document Center spielen nur am Rande eine Rolle. Das Problem ist: Es wird viel zu wenig genutzt, und das liegt auch an der Faulheit der Historiker.
Meine Damen und Herren, hier wird vor der deutschen Öffentlichkeit unter Hinweis auf einen solchen Professor ein Eindruck erweckt, der sich schon im Ansatz als falsch erweist. Sie sollten sich schämen, hier vor der Öffentlichkeit solche Darstellungen zu geben!
Das Fazit: Die von Ihnen vielfach — auch jetzt — erzeugte geheimnisumwitterte Legende, die bisherigen Zugangsregelungen hätten das Aufdecken von Verstrickungen führender Persönlichkeiten des heutigen öffentlichen Lebens oder gar von Straftaten unmöglich gemacht, ist unzutreffend. Die nach einer Übernahme des Document Center in deutsche Obhut geltenden Kriterien des Bundesarchivgesetzes werden ja heute praktisch schon angewandt.
Trotzdem sollte, so finden wir, die Übernahme des Document Center vorangetrieben werden. Die kürzlichen Schlagzeilen über den Diebstahl von angeblich mehreren 10 000 Originaldokumenten aus dem DC machen deutlich, was möglich ist, wenn solch wertvolles Archivgut nicht professionell, sondern unzureichend betreut wird. Deutschen Stellen hierbei einen Vorwurf zu machen, ist nun wirklich völlig abwegig. Es ist nachweisbar, daß immer dann, wenn Verdachtsmomente aufkamen — und die kamen in der Regel beim Bundesarchiv auf —, dies sofort dem Innenministerium gemeldet wurde, das das ans Außenministerium weiterleitete, was wiederum dazu führte, daß über die Amerikaner die Staatsanwaltschaften in Berlin eingeschaltet wurden. Das ist nachweisbar. Da gibt es also überhaupt keine Vorwürfe, die den Vertreternder bundesdeutschen Behörden und der Bundesregierung zu machen wären.Auch ich finde diesen Diebstahl schlimm. Im Grunde ist es eine Schande, daß mit dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte solche Geschäfte gemacht werden.
Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Berlin, Heinz Galinski, ist nicht ohne Grund beim amerikanischen Außenminister George Shultz und beim US-Botschafter Burt vorstellig geworden. Deshalb ist eine rückhaltlose Aufklärung des Falles unumgänglich.Lassen Sie mich unsere Position, die der CDU/CSU, zusammenfassen. Die CDU/CSU tritt für eine alsbaldige Übernahme der Akten des Document Center in deutsche Obhut ein, damit die dort lagernden umfangreichen Bestände professionell archiviert werden, um sie für Wissenschaft und Forschung sachverständig aufzubereiten und zu erhalten.Es ist sinnvoll, daß die Akten weiterhin in Berlin bleiben. Die Zuordnung dieses Archivs zum Bundesverwaltungsamt ist — lassen Sie mich das im Augenblick als meine persönliche Meinung hinzufügen — unter fachlichen Gesichtspunkten mit Fragezeichen zu versehen. Zweifelsfrei sind es Unterlagen, die dem Bundesarchiv gehören, das ja bereits Tausende von Akten aus der NS-Zeit hat, auch die Akten, die früher das Document Center hatte, die nicht personenbezogen waren. Wir wissen, daß dies keine sachpolitische Frage, sondern eine berlinpolitische Frage ist. Ich hoffe, daß wir, wenn der Antrag an den Innenausschuß überwiesen wird, noch einmal darüber reden können.Meine Damen und Herren, für die zu übernehmenden Akten gelten dann selbstverständlich die Kriterien, die das gerade verabschiedete Bundesarchivgesetz ausmachen, das die Urteile des Bundesverfassungsgerichts im Hinblick auf Daten- und Personenschutz optimal berücksichtigt. Die Forderung der GRÜNEN, diese Punkte für die Akten des Document Center rechtswidrig außer Kraft zu setzen, ist mir unverständlich, insbesondere wenn man bedenkt, meine Damen von den GRÜNEN, daß die GRÜNEN selbst bei der Verfolgung von Terroristen peinlich genau dem Datenschutz den Vorrang geben. Die im Document Center gespeicherten Millionen von Menschen, die zum Teil nicht mehr leben, waren nicht alle Nazi-Verbrecher, sondern vielfach auch einfache Mitläufer, Mitglieder von NS-Zwangsorganisationen, z. B. von Kammern und berufsständischen Verbänden. Von diesen Menschen sind in diesen Akten auch zum Teil sehr persönliche Fakten, was Gesundheit und andere Dinge betrifft, enthalten. Ich darf sagen, daß diese Fakten in dem Falle natürlich nicht von öffentlichem Interesse sind und des Persönlichkeitsschutzes bedürfen. Wir haben überhaupt kein Interesse, der Vertuschung von Schuld das Wort zu reden. Aber, meine Damen und Herren, es gibt nicht zweierlei Recht. Das neue Bundesarchivgesetz trägt den wichtigen grundrechtlichen Maximen ausgewogen Rechnung. Deshalb wird es auch auf die Akten des Document Center, die wir hoffentlich bald übernehmen, Anwendung finden.Metadaten/Kopzeile:
4650 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988
Neumann
Vielen Dank.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Hämmerle.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN begehrt in seinem ersten Absatz die Übernahme des Document Center in Berlin durch die Bundesrepublik Deutschland. Liebe Frau Kollegin Olms, wir stimmen diesem Teil des Antrags zu. Ich möchte mich hier nun nicht, wie Sie es getan haben, mit Behauptungen und auch mit Legenden und Mutmaßungen, die ich nicht beweisen kann, beschäftigen, sondern ich möchte mich auf Ihren Antrag beziehen.
Das Document Center untersteht bis heute — das wissen wir — dem amerikanischen Außenministerium und wurde — ich rufe dies in Erinnerung — 1947 in einer ehemaligen Abhörzentrale der Gestapo in Berlin-Zehlendorf eingerichtet. Es enthält — es ist wichtig, auch dies immer wieder zu sagen, weil man daran erkennen kann, wie hochinteressant und brisant dieses Material in der Tat ist — rund 30 Millionen Akten aus dem Dritten Reich, darunter etwa 60% der Personalakten der SS und der Waffen-SS. Dies allein sind schon insgesamt 600 000 Stück.
Den größten Teil der Unterlagen macht mit 10, 7 Millionen Akten die fast komplette Mitgliederkartei der NSDAP aus, die bei Kriegsende von amerikanischen Truppen in einer Papiermühle bei München gefunden wurde. Außerdem gibt es zahlreiche andere Akten über NS-Organisationen, die hier bereits angesprochen wurden. Ich möchte sie wegen der Kürze der Zeit nicht alle noch einmal aufführen.
Unsere Zustimmung zur Übernahme hat nicht nur damit etwas zu tun, daß im Februar dieses Jahres die ungeheuerliche Tatsache bekannt wurde, daß etwa 80 000 Akten aus dem Dokument Center verschwunden sind. Unsere Zustimmung zur Übernahme hängt auch damit zusammen, daß durch das am 6. Januar 1988 in Kraft getretene Bundesarchivgesetz die gesetzlichen Voraussetzungen zur Archivierung und Benutzung von Archivgut geschaffen wurden.
Frühere Verhandlungen zur Übernahme sind an allem möglichen gescheitert — das wissen wir —, aber nach meiner Information nicht zuletzt auch daran, daß die Amerikaner darauf bestanden und bestehen, alle Unterlagen auf Mikrofilme zu übertragen und dieses Unterfangen erst abschließen wollen. Es ist nicht abgeschlossen, und ich möchte hier an dieser Stelle sagen, daß die Bundesrepublik den USA bei einer Übernahme zusichern muß, daß sie auch unter deutscher Verwaltung des Archivguts die weitere Übernahme auf Mikrofilme durchführen können. Das Archiv wäre in der Verwaltung des Bundesarchivs endlich in adäquaten Händen. Die Akten sind nach dem jetzigen Stand nicht durchnumeriert. Jüngere Materialien werden ungekennzeichnet zu älteren dazugegeben. Wir versprechen uns von den Grundsätzen des Bundesarchivs und seiner Verwaltung sowie des Bundesarchivgesetzes hier doch auch eine wesentliche Ver-
besserung der äußeren Bedingungen, auch der Benutzungsbedingungen dieses Archivs.
Eine geordnete und übersichtliche Verwaltung
— davon bin ich überzeugt — würde auch dem skandalösen Verschwinden von Akten Einhalt gebieten, und es könnte nach meiner Ansicht so etwas nicht mehr vorkommen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Frau Kollegin?
Ja, bitte.
Frau Oesterle-Schwerin.
Frau Kollegin, kann es sein, daß die Weigerung der damaligen SPD-Regierung, das Document Center zu übernehmen --
— Kann es sein, daß die Weigerung der damaligen SPD/FDP-Koalition, das Document Center zu übernehmen, auch etwas damit zu tun hat, daß in diesem Document Center die Akte von Helmut Schmidt gelagert ist?
Frau Kollegin, ich kann Ihnen nur sagen: Dem, was in der damaligen Diskussion, die Sie jetzt hier aufrühren wollen, von unserer Seite gesagt worden ist, habe ich nichts hinzuzufügen.
Das Verschwinden der Unterlagen aus dem Document Center erinnerte in weiten Teilen an eine böse Groteske. Da aber der Umgang mit der Nazi-Vergangenheit nicht dazu, nämlich zu einer Groteske, verkommen darf, ist die Übernahme der Akten ein richtiger Weg. Sachgemäße historische Forschung darf nicht von Geschäftemacherei, Vertuschung und möglicher Erpressung abgelöst werden.
Das Document Center — bitte, hören Sie mir einmalZU;
das ist eine wichtige politische Aussage auch für Sie — muß auf eine transparente und politisch kontrollierbare Weise in deutsche Verwaltung übergehen.
Daß die Bestände ganz zweifelsfrei unter das Bundesarchivgesetz fallen, hat der Herr Kollege Neumann schon ausgeführt. Denn im Bundesarchivgesetz steht, daß Archivgut, Unterlagen im Sinne des Geset-Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988 4651
Frau Hämmerlezes auch Unterlagen des Deutschen Reiches sind, was hier zweifellos der Fall ist.In einem weiteren Teil Ihres Antrags fordern Sie, daß die Schutzfristen des Bundesarchivgesetzes zurBenutzung von Archivgut für das Document Center nicht gelten sollen. Diesem Passus Ihres Antrags können wir nicht folgen. Das Bundesarchivgesetz, das gegen Ihre Stimmen verabschiedet wurde, sieht Schutzfristen vor, die ich ganz kurz noch einmal in Erinnerung rufen möchte: Archivgut darf erst 30 Jahre nach dem Tod des Betroffenen oder, wenn das Todesdatum nicht festgestellt werden kann, 110 Jahre nach der Geburt des Betroffenen benutzt werden. Und jetzt, Frau Olms: Wenn diese Sperrfristen, so wie ich sie jetzt noch einmal vorgelesen habe, zementiert so dastünden und nicht durch Sonderregelungen eingeschränkt wären, dann würde ich Ihnen zustimmen und sofort sagen: Jawohl, man muß diese Fristen ändern, um das aufzuklären, was, so denke ich, unser gemeinsames Anliegen ist.Sie haben nun aber ausgeführt, daß diese Sonderregelungen Ihr Anliegen gerade unterlaufen. Und ich sage Ihnen: Die Sonderregelungen ermöglichen eine Nutzung der Archivunterlagen des Document Centers. Denn es steht in diesen Sonderregelungen geschrieben: Bei der Benutzung für ein wissenschaftliches Forschungsvorhaben oder zur Wahrnehmung berechtigter Belange können die Schutzfristen geändert werden. Ich sage Ihnen nach Rücksprache mit den Experten: Sie können sogar auf Null heruntergebracht werden.
Und diese Sonderregelungen — und das ist für uns politisch wichtig, und darum haben wir auch zugestimmt; wir sind ja im gleichen Ausschuß, Sie wissen dies — bedürfen nicht — nicht! — der Einwilligung des Betroffenen. Dies erscheint mir wichtig.
Wir sind aber ganz bereit, Frau Olms und meine Kolleginnen von den GRÜNEN, alle Punkte Ihres Antrages im Innenausschuß zu beraten.Meine Damen und Herren, am Montag dieser Woche wurde bekannt, daß aus der äußersten rechten Ecke — Sie haben das schon angesprochen —, von Gerhard Frey und dem britischen Schriftsteller David Irving, ein Ansinnen an das Document Center gerichtet wurde. Eine Liste mit 700 Namen von Personen mit nationalsozialistischer Vergangenheit wurde eingereicht und Auskunft begehrt. Wenn man sich vorstellt — ich denke, das können wir alle —, zu welchem Zweck solche Vorstöße aus dieser Ecke kommen, dann bin ich froh, daß das Document Center dieses Ansinnen mit Hinweis auf die geltenden Schutz- und Sperrfristen zurückgewiesen hat.
Meine Damen und Herren, es ist uns Sozialdemokraten
— und -innen; ich sage das ganz bewußt auch wegen Ihrer Zwischenfrage, Frau Kollegin Oesterle-Schwe-rin — ein großes Anliegen — das wissen Sie so gut wie ich —, die Zeit der Nazidiktatur weiter zu erhellen. Es ist uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten eine Verpflichtung, die aus unserer 125jährigen Geschichte und nicht zuletzt aus der Verfolgung unserer Genossinnen und Genossen in jener Zeit erwächst, keine Übertünchungen und Vertuschungen der NS-Zeit zuzulassen.Wir stimmen deshalb der Überweisung Ihres Antrags an den Innenausschuß zu. Ich versichere Ihnen: Wir werden dort alle Punkte — auch die, die ich hier nicht ausdrücklich genannt habe — einer ausführlichen und verantwortungsbewußten Prüfung unterziehen.
Das Wort hat der Abgeordnete Lüder.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Berliner Document Center enthält eine wichtige und in seiner Massierung und Zusammensetzung umfassende Dokumentation über Mitgliedschaften in nationalsozialistischen und nationalsozialistisch beeinflußten Organisationen, wie sie nur durch den deutschen Perfektionismus, der sich auch durch die Maßstäbe nationalsozialistischer Perversion nicht provozieren ließ, erstellt werden konnte. Man muß einmal gesehen haben, was dort alles festgehalten worden ist, was auf den einzelnen Bögen steht.Es handelt sich deswegen um eine historisch wichtige Sammlung, die gerade wir Deutschen brauchen, um unsere eigene Geschichte aufzuarbeiten. Die Unterlagen dieses Document Centers aber sollen, dürfen und können keine Ermittlungsgrundlagen für eine Neuauflage der Entnazifizierung sein. Sosehr die unmittelbar nach dem Krieg durchgeführte Entnazifizierung mit Fehlern behaftet war, sosehr gilt doch auch der Grundsatz, daß mehr als 40 Jahre danach nicht der Versuch einer Wiederholung unternommen werden kann und darf, wenn man nicht gegen den Grundsatz der Wahrung des Rechtsfriedens verstoßen will.Ein Täterschutz ist hier überhaupt nicht hinterfragt, weil dort nicht Täter, sondern Mitgliedschaften festgehalten sind. Es sind wichtige Unterlagen, die die Staatsanwaltschaften brauchten. Es ist dargelegt worden, daß sie dazu auch genutzt worden sind. Mehr nicht. Es ist nirgendwo ein Strafverfahren dadurch behindert worden, daß die Amerikaner dieses Center unter ihrer Verantwortung haben.
Aber wir brauchen das Berliner Document Center für die wissenschaftliche Arbeit. Wir brauchen es, weil die wissenschaftliche Auswertung der Daten uns helfen wird, unsere eigene Vergangenheit aufzuarbeiten, gegebenenfalls besser aufzuarbeiten als bisher. Deswegen ist die FDP stets dafür eingetreten, daß das Berliner Document Center in deutsche Verantwortung übertragen wird. Wir haben die Bundesre-Metadaten/Kopzeile:
4652 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988
Lüdergierung — in welcher Koalition auch immer — gedrängt, die Verhandlungen mit unseren Alliierten voranzubringen und zu einem festen Datum der Übergabe in deutsche Verantwortung zu kommen.Wir müssen zwar feststellen, daß es nicht dazu gekommen ist. Aber wir stellen gleichzeitig fest, daß es nicht an der Bundesregierung lag, wie immer sie zusammengesetzt war. Ich empfinde es nachgerade als unverschämt, die Frage nach Helmut Schmidt in diesem Haus zu stellen.
Wir sind einen anderen Umgang miteinander gewöhnt.Meine Damen und Herren, wir ermuntern die Bundesregierung und wir bitten die Alliierten, nunmehr zügig eine datumsmäßige Konkretisierung der Übergabe des Center an die deutschen Behörden festzulegen. Ich stimme den Überlegungen des Kollegen Neumann zu, daß wir dieses Center auch in Berlin belassen sollten. Es sind neue Formen der Organisation denkbar. Ich will zur Überlegung stellen, etwa eine Nebenstelle des Bundesverwaltungsamts dort zu institutionalisieren — dafür braucht man kein neues Personal —, so daß man die sachliche und fachliche Beratung durch das Bundesverwaltungsamt hat und trotzdem das Center in Berlin beläßt, denn Berlin, das Zentrum, von dem vieles im Dritten Reich ausging und in dem viele Dokumente aufbewahrt sind, sollte auch die Aufarbeitung der Geschichte mit leisten können.Meine Damen und Herren, wenn ich sage, daß dieses Center in deutsche Verantwortung übergehen soll, so sage ich aber auch gleich: Wir wollen nicht neue Tätergruppen klassifizieren. Wir wollen, Frau Kollegin Hämmerle, wie Sie, daß der Übergang transparent geschieht und daß er auch politisch kontrolliert verläuft. Hier soll nichts verdeckt werden, hier soll das Center in den Gepflogenheiten des demokratischen Staates in deutsche Verantwortung übergehen.
Aber wir sind uns auch darin einig, daß es beim Datenschutz keine Doppelzüngigkeit geben darf. Datenschutz ist Persönlichkeitsschutz, und dieses Persönlichkeitsschutzrecht, daß wir dem — ich will einmal so sagen — normalen Kriminellen zugestehen, werden wir auch dem häufig nicht einmal kriminell gewordenen Mitglied nationalsozialistischer Organisationen gewähren. Datenschutz darf nicht von politischer Richtung abhängig gemacht werden. Das Recht dient dem Schutz der Person, aber dann eben auch jeder Person.Meine Damen und Herren, diejenigen, die in den Dokumenten vermerkt sind, haben in gleichem Maße Anspruch auf Datenschutz, als wenn sie in anderen deutschen Archiven vermerkt wären. Ich glaube, diejenigen, die sich ein bißchen mehr mit dem Archivgesetz befassen — Frau Kollegin Hämmerle hat da schon auf einiges hingewiesen —, werden sehen, daß der Schutz der Persönlichkeit letztlich nur dem einfachen Mitbürger zukommt, der sich strafrechtlich nichts hat zuschulden kommen lassen und der, aus welchen Gründen auch immer, irgendeiner Nebenorganisationim Dritten Reich angehörte. Es kommt doch darauf an, daß wir sicherstellen — und das hat das Archivgesetz sichergestellt —, daß wir über Persönlichkeiten und auch über wichtige Funktionsträger unserer Republik Auskünfte erhalten. Dem steht kein Schutz des Archivgesetzes entgegen. Wir können alles, wir konnten alles, und selbst unter alliierter Verantwortung konnten die Strafverfahren abgewickelt werden und konnten, wie hier schon ausgeführt worden ist, die Staatsanwaltschaften hineingehen und die Archive auswerten. Bloß, wenn Sie jetzt kommen und nachschauen wollen, offenbar nach dem Motto: „Wer ist denn was und wo gewesen, und wo sammeln wir noch einmal schnell ein paar Daten, z. B., was können wir denn aus der Persönlichkeitsakte Helmut Schmidts noch einmal in diesem Bundestag bringen, oder was können wir über andere berichten?", dazu soll es nicht dienen. Es darf kein doppeltes Recht und keine Doppelbödigkeit im Datenschutz geben.Mit dieser demokratisch legitimierten, aber auch demokratisch verantworteten Maßgabe wollen wir die Bundesregierung ermuntern, die Alliierten zu drängen, dieses wichtige Center schnell in deutsche Verantwortung zu übergeben.
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Waffenschmidt.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu dem Thema „Berlin Document Center" möchte ich für die Bundesregierung gerne noch an Hand folgender Punkte einiges ausführen.Erstens. Wir hörten schon, daß dieses Center bis heute der US-Mission in Berlin und damit dem Auswärtigen Amt der USA untersteht. Es ist eindeutige Meinung der Bundesregierung, daß dies nicht so bleiben soll. Das Center soll in deutsche Verwaltung kommen. Seit Jahren ist die Bundesregierung um die Übernahme der Bestände des Berlin Document Center intensiv bemüht. Ich möchte hier ausdrücklich für diese Bundesregierung, aber auch für die Vorgängerregierungen angesichts der Verdächtigungen, die völlig unbegründeterweise leider auch heute wieder einmal von den GRÜNEN ausgesprochen wurden, sagen: Die Bundesregierungen haben sich um die Übernahme bemüht, sowohl diese Bundesregierung als auch ihre Vorgängerinnen, und es besteht kein Anlaß, Verdächtigungen, wie sie auch in der Anfrage im Hinblick auf den früheren Bundeskanzler Schmidt hier ausgesprochen wurden, auszusprechen. Ich weise für die Bundesregierung die Verdächtigungen der GRÜNEN in diesem Zusammenhang nachdrücklich zurück.
Die Verhandlungen unter Federführung des Auswärtigen Amts waren schwierig und langwierig. Eine Vielzahl von Problemen mußte gelöst werden. Zum Beispiel ging es um den Zugang zu den Kopien und Mikrofilmen. Schon 1979 und 1980 wurde mit denMetadaten/Kopzeile:
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Parl. Staatssekretär Dr. WaffenschmidtAmerikanern ein Entwurf eines Regierungsabkommens ausgehandelt. Den USA wurde ein vollständiger Satz der Dokumente auf Mikrofilm zugesagt. Er soll in die Bestände des Nationalarchivs in Washington übergehen.Es ist jetzt nach weiteren intensiven Verhandlungen mit der amerikanischen Seite Anfang 1988 gelungen, die noch offenen technischen Fragen zu lösen. Diese Einigung wird durch eine entsprechende Verbalnote der Amerikanischen Botschaft vom 23. Februar 1988 bestätigt. Demnach werden die Amerikaner zunächst von den noch nicht verfilmten Unterlagen des BDC Mikrofilme anfertigen. Die dafür erforderlichen Kosten gehen zu Lasten des Bundeshaushalts. Die Bundesregierung geht von einem Gesamtbetrag von 5 bis 6 Millionen DM aus.Wie schon seit Jahren — das betone ich ausdrücklich, weil da ein breiter Konsens hier im Hause bestanden hat und besteht — hat die Bundesregierung vorsorglich auch im Haushalt 1988 des Innenministers die für die Mikroverfilmung erforderlichen Mittel bereitgestellt. Sie können noch 1988 in Anspruch genommen werden. Die restlichen Mittel sind in der Finanzplanung der nächsten Jahre berücksichtigt.Aus alldem ist zu ersehen, daß Verdächtigungen, diese Bundesregierung oder frühere Bundesregierungen hätten die Übernahme des BDC in die deutsche Verwaltung nicht vorangetrieben, falsch sind. Es wird Nebelwerferpolitik betrieben, wenn man solche Verdächtigungen ausspricht. Ich weise sie ausdrücklich zurück. Ganz im Gegenteil: Die Bundesregierung hat seit Jahren alle erforderlichen fachlichen, organisatorischen und auch haushaltsmäßigen Voraussetzungen dafür geschaffen, daß das BDC in deutsche Verwaltung kommen kann. Sie geht davon aus, daß auch die noch erforderlichen Konsultationen der Amerikaner mit den anderen Alliierten die Übernahme nicht verzögern werden.Lassen Sie mich, weil dies wohl für die Gesamtbewertung wichtig ist, einige Bemerkungen zur bisherigen und künftigen Nutzung der Bestände des BDC machen. Die Archivalien des BDC stehen schon seit Jahrzehnten der wissenschaftlichen Forschung zur Verfügung. Seit Mitte der 60er Jahre besteht eine ganz enge Zusammenarbeit zwischen dem Bundesarchiv und dem BDC. Die Kollegen, die sich damit näher befaßt haben, haben ja schon darauf hingewiesen.Bei der Benutzung seiner Archivalien bedient sich das BDC des Bundesarchivs. Die Entscheidung über die Benutzung kommt gemeinsam zustande. Dabei werden die Bestimmungen des Bundesarchivgesetzes entsprechend angewendet. Ich verweise auch für die Regierung ausdrücklich auf § 5 des Bundesarchivgesetzes.Ich glaube, wir dürfen hier auch aus diesem Anlaß noch einmal feststellen: Nach mühevoller Arbeit haben wir hier — zwar nicht mit Ihren Stimmen von den GRÜNEN, aber die anderen Fraktionen — ein sehr gutes Gesetz verabschiedet, das sich auch bei dieser Sache bewähren wird. Ich glaube, das können wir deutlich aussprechen. Die Regelung des § 5 des Bundesarchivgesetzes stellt weitestgehend sicher — wirklich weitestgehend; das wurde hier im einzel-nen ausgeführt —, daß die wissenschaftliche Nutzung schon vor Ablauf der Regelschutzfristen bei nachgewiesenem Interesse jederzeit möglich ist.Ich weise vor allem auf dies hin: Auch die Nutzung der Bestände des BDC zur Verfolgung von Straftatenwar und ist heute jederzeit zulässig. Das ist deutlich zu sagen, damit hier Legendenbildung entgegengetreten wird. Ich weise auf eine besondere Zusammenarbeit hin. So hat die Ludwigsburger Zentrale Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen die Berliner Archivalien bereits seit den 60er Jahren ständig benutzt. Ich glaube, es ist wichtig, dies festzustellen. Der Kollege Penner hat soeben schon auf diese Zusammenarbeit hingewiesen.Lassen Sie mich noch kurz auf das von den GRÜNEN beantragte Großforschungszentrum zur Erforschung der Geschichte und der Grundlagen des Nationalsozialismus eingehen. Offensichtlich ist den GRÜNEN entgangen, daß eigens zu diesem Zweck Bund und Länder in großer Übereinstimmung schon in den 50er Jahren das Institut für Zeitgeschichte in München gegründet haben. Es befaßt sich eingehend und auf anerkanntem wissenschaftlichen Niveau nur mit diesen Fragen. Außerdem gibt es an unseren Universitäten zahlreiche Lehrstühle für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte, die sich diesem wichtigen Thema zusätzlich widmen. Auch die Bundeszentrale für politische Bildung, die zum Geschäftsbereich des Innenministeriums gehört, hat hier intensive Aufklärungsarbeit über Jahrzehnte geleistet. Selbstverständlich wird auch im Haus der Geschichte und im Historischen Museum, wie die Bundesregierung wiederholt erklärt hat, diese Zeit nicht ausgeklammert werden, sondern sie wird bearbeitet und aufgearbeitet werden. Bei dieser Fülle von Aktivitäten besteht für ein weiteres neues Großforschungszentrum wahrlich nicht das geringste Bedürfnis.Ich stelle also fest, meine Damen und Herren, gerade auch gegenüber diesen unverantwortlichen Verdächtigungen, die ja heute eingangs der Debatte ausgesprochen wurden: Diese Bundesregierung und auch die Vorgängerinnen haben sachgerecht an dieser schwierigen Materie gearbeitet und werden dies weiter tun mit der Zielsetzung, die hier quer durch die Fraktionen vertreten wird, daß das BDC in guter, sachgerechter Weise in die deutsche Verwaltung kommt und dann nach den guten Regeln des Bundesarchivgesetzes verwaltet wird. Damit ist allen sachgerechten Gesichtspunkten Rechnung getragen. So sollten wir in der Sache arbeiten.Herzlichen Dank.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Weiter ist interfraktionell vereinbart worden, die Vorlage zusätzlich zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuß und den Haushaltsausschuß zu überweisen. — Das Haus ist damit einverstanden.Metadaten/Kopzeile:
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Vizepräsident Frau RengerIch rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Teubner, Frau Oesterle-Schwerin und der Fraktion DIE GRÜNENMaßnahmen zur Einpassung der Einzelhandelsnutzung in das übergeordnete Gesamtsystem der städtischen Entwicklung- Drucksache 11/1645 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Wirtschaft
Im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Ich sehe keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Teubner.
Es ist heute ja wieder eine etwas merkwürdige Themenmischung. Ich hoffe doch sehr, daß die Parlamentsreform auch einmal ein bißchen bessere inhaltliche Strukturen in solche Debatten an einem Tag bringt.Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Tante Emma schlägt zurück" — dieses Motto, Herr Kollege Kansy, für meine heutige Rede habe ich mir nicht ausgedacht. „Tante Emma schlägt zurück" — ich wiederhole es gerne —, so lautete die Schlagzeile eines Kommentars, in dem sich der Herausgeber des westdeutschen Kapitalistensprachrohrs „Wirtschaftswoche" — kennen Sie ja wohl auch —, Herr Wolfram Engels, im Oktober letzten Jahres einige entlarvende Gedanken über die Bedeutung der seit mehreren Monaten in der Koalition tobenden Kartellrechtskontroverse machte. Entlarvende Gedanken insofern, als Herr Engels in diesem Kommentar sehr deutlich machte, in welche Widersprüche konservative Politik sich hierzulande verstricken kann, wenn sie es möglichst vielen unterschiedlichen Kapitalinteressen gleichzeitig recht machen will.Worum geht es? Seit Mitte der 60er Jahre hat — mit einiger zeitlicher Verzögerung gegenüber ähnlichen Prozessen in der Industrie — eine gigantische Konzentrationswelle den Einzelhandel erfaßt. Riesige Verbrauchermärkte entstanden in den Randzonen der Städte auf der sogenannten grünen Wiese. Tausende kleinere Betriebe verschwanden in den Dörfern und Kleinstädten, aber auch in den Kerngebieten und Vorstädten großer Gemeinden, in deren Fußgängerzonen sich die Monotonie der überall gleich gestalteten Boutiquen, Parfümerien und ja auch der Spielotheken ausbreitet.Egal, ob Sie in Köln über die Hohe Straße, in Frankfurt über die Zeil oder in Stuttgart über die Königstraße flanieren, alles kommt Ihnen irgendwie bekannt vor: Benetton ist überall, parfümiert mit einem Hauch von Douglas.
Für einen Metzgerladen oder ein Milchgeschäft laufen Sie meilenweit.Haben Sie das Pech — oder das Glück, je nachdem —, im zur Zeit ja so vielfältig gelobten ländlichen Raum zu wohnen, dann sind Sie ziemlich aufgeschmissen, was Ihre Versorgung mit den Gütern des täglichen Bedarfs angeht. Es sei denn, Sie sind so privilegiert, ein Auto zu besitzen. Es ist immer noch ein Privileg; denn viele Bevölkerungsgruppen, z. B. Frauen mit Kindern, sozial Schwache, alte Leute, Behinderte haben immer noch kein Auto.
Wenn Sie also eines haben, dann haben Sie natürlich keine Probleme mit dem Einkauf; denn den erledigen Sie im Supermarkt auf der großen grünen Wiese. „Erzwungene Mobilität" nennt man so etwas. Das Verkehrsaufkommen wächst dadurch, und die Trennung der Bereiche Wohnen und Arbeiten und Sich-Versor-gen wird immer weiter verschärft.Nochmals erheblich verschärft hat sich gerade auch in den letzten Monaten die Konzentration im Handel, wie die „Wirtschaftswoche" vor zirka drei Wochen in einer Titelgeschichte verdeutlichte. Ich zitiere daraus:Die Listen über Beteiligungen und Tochtergesellschaften in den Geschäftsberichten der Großen werden immer länger. Besonders die aktuellen Zahlen sprechen für sich. Von August 1986 bis Ende vergangenen Jahres erreichte die Konzentrationswelle im Einzelhandel einen vorläufigen Höhepunkt. Gut 24 Milliarden Umsatz, errechnete das Bundeskartellamt, schluckten die Verkaufsflächenkönige.— Und das in knapp einem Jahr. —Im Vergleich zu dieser gigantischen Summe zählten die Wettbewerbshüter von 1980 bis 1984 den Aufkauf von gerade 16 Milliarden DM.— So weit die „Wirtschaftswoche".Allein — um noch ein Beispiel zu nennen — im ba-den-württembergischen Einzelhandel hat sich der Unternehmensbestand von 1968 bis 1982 um 40% verringert. Auf der Strecke bei diesem großen Fressen bleiben die kleinen, die nicht organisierten Händler, denen nicht einmal mehr die Wahl zwischen Wachsen oder Weichen bleibt, die gegenüber Riesen von 10 Milliarden DM Jahresumsatz wie Coop oder gar 18 Milliarden DM wie Aldi wie kleine Flöhe wirken.Mit ihnen auf der Strecke bleibt eine sichere Grundversorgung in vielen Stadtteilen und vor allem in den ländlichen Räumen. Auf der Strecke bleiben die Kaufmannsläden als Orte, wo man ja nicht nur einkauft, sondern wo oft notwendige soziale Kommunikation stattfindet. Auf der Strecke bleiben auch Zehntausende einigermaßen qualifizierte und dementsprechend besser bezahlte Arbeits- und Ausbildungsplätze.In Baden-Württemberg ist bei einer Umsatzsteigerung von 27, 6% zwischen 1979 und 1985 die Zahl der Beschäftigten im Einzelhandel um 1, 1% zurückgegangen. Die Zahl der Konkurse in diesem Bundesland steigerte sich vom Jahre 1985 auf 1986 um 35%.Dadurch sind neben den sogenannten distanzempfindlichen Bevölkerungsgruppen, die eben keine lan-Metadaten/Kopzeile:
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Frau Teubnergen Wege zurücklegen können, um sich zu versorgen, und neben den Einzelhändlern selber die Verkäuferinnen die eigentlichen Opfer des Ladensterbens.Denn in der Hauptsache sind es Fachverkäuferinnen mit relativ höherem Verdienst, die ihren Arbeitsplatz durch diesen Prozeß verlieren.Der Anteil der schlechter verdienenden angelernten Kräfte steigt ebenso an wie der Anteil der Teilzeitkräfte mit extrem niedrigem Lohn und extrem schlechten Arbeitsbedingungen. 97 % der Teilzeitkräfte in diesen Supermärkten sind weiblich, und es gibt kaum eine Variante von Teilzeitarbeit, die in den großen Einzelhandelsmärkten noch nicht durchprobiert worden wäre.Wenn jetzt natürlich der Hinweis auf die Ladenschlußdebatte kommt oder zumindest in manchen Köpfen vorhanden ist, möchte ich hier ganz deutlich sagen, daß diese üblen Bedingungen für die Verkäuferinnen nicht durch die in der Ladenschlußdiskussion angestrebte Ausdehnung der Arbeitszeit auf 22 Uhr verbessert werden, sondern im Gegenteil: Sie werden nur noch weiter verschlechtert.
Deswegen ist diese Debatte auch völlig ungeeignet, sie hier als Argument anzuführen, um die Existenz der kleinen Läden zu sichern. Da muß man sich etwas entschieden anderes einfallen lassen als die Erweiterung der Öffnungszeiten.
Es bedarf einschneidender Maßnahmen — diese schlagen wir in unserem Antrag vor —, z. B. im Kartellrecht, im Bauplanungsrecht oder im Mietrecht. Wir haben, um die Nachfragemacht der Unternehmen zu brechen, beispielsweise vorgeschlagen: Es geht nicht an, daß ein großes Handelsunternehmen bei seinen Lieferanten wie ein Monopolist auftreten und die Lieferbedingungen diktieren kann.Es geht weiterhin nicht an, daß der Verkauf unter Selbstkostenpreis zur Behinderung von schwächeren Mitbewerbern nicht endlich klar verboten wird.Kleine und mittlere Unternehmen, z. B. auch Unternehmen im Alternativbereich, müssen vereinfachte Möglichkeiten zur Kooperation bekommen.Ein weiterer Vorschlag von uns bezieht sich auf den Bereich der Städtebauförderung und sieht vor, daß diese Mittel einerseits erhöht werden und zur Existenzsicherung oder auch zur Existenzgründung von mittelständischen Einzelhändlern einsetzbar sein müssen. Schließlich kann man sich nicht auf der einen Seite damit rühmen — wie es Herr Schneider immer wieder macht —, daß mit großem staatlichen finanziellen Aufwand die Sanierung von Dorfgebieten und Stadtkernen vorangetrieben wird und daß man auf der anderen Seite einfach dabei zusieht, daß der Erfolg dieser Maßnahmen durch Großvertriebsformen des Handels auf der grünen Wiese wieder zerstört wird.Wir sind allerdings ziemlich gespannt, wie sich die Kapitalfraktion in diesem Hause, die hier ja immer noch, wenn auch nur mager, vertreten ist
— allerdings vermisse ich einen Kollegen, der sich da schon ziemlich herausgehängt hat, und das ist der Herr Wissmann; aber der fühlt sich wahrscheinlich heute abend nicht so zuständig —, aus dieser Zwickmühle herausreden und -retten wird. Denn angeblich wollen auch Sie den kleinen Händlern helfen, ohne aber dabei den großen weh zu tun. Ich wette, am Ende wird es doch für die großen ausgehen.Zwar hat der Vorstandsvorsitzende der Firma Baden-Württemberg AG, Lothar Späth, höchstselbst im Bundesrat einen einigermaßen löblichen Vorstoß in Sachen Kartellrechtsnovellierung unternommen. Herr Wissmann, von dem ich eben sagte, daß ich ihn vermisse, hat im September noch groß tönend — das war in der „Zeit" zu lesen — eine schnelle Befassung des Bundestages mit dem Thema versprochen, indem er sagte: „Wir müssen allen Zögerern Feuer unter dem Stuhl machen", was die Kartellrechtsnovelle angeht.Am Ende wird aber wohl Herr Engels recht behalten, wenn er unter der bereits zitierten Überschrift „Tante Emma schlägt zurück" zunächst analysiert — ich zitiere ihn noch einmal —:Der Durchbruch des Wettbewerbsprinzips ist eine gewaltige Kulturleistung.Das hat er u. a. mit folgendem Beispiel bewiesen— ich zitiere noch einmal Herrn Engels —:Wer in dieser Gesellschaft Bundeskanzler oder Vorstand der Deutschen Bank wird, entscheidet sich im Wettbewerb.Wie schön.
Er warnte dann davor, daß mit der Einzelhandelskontroverse das Prinzip des Wettbewerbs selbst angegriffen wird. Der Herr Engels meinte natürlich die „Tante Emma", die den Wettbewerb kaputtmacht; wir meinen allerdings, daß das von den anderen Fraktionen ausgeht. Wir können uns wohl denken, daß die Herrschaften von Aldi, von Asko, von Allkauf das natürlich niemals zulassen werden. Wenn in diesem Land jemand den Wettbewerb bedroht, dann erledigen die großen Konzerne das Geschäft immer noch am effizientesten selbst.Wir sind gespannt, wie Sie — hier spreche ich vor allen Dingen die Koalitionsfraktionen an — mit diesem Zwiespalt umgehen werden.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Oswald.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Überlegung, mit gesetzlichen und anderen staatlichen MaßnahmenMetadaten/Kopzeile:
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Oswalddie Existenz und die Rentabilität kleiner Dienstleistungsbetriebe und Einzelhandelsläden insbesondere im ländlichen Raum zu sichern, ist nicht neu, Dahinter steht die Hoffnung, auf diese Weise die wohnungsnahe Grundversorgung der Bevölkerung zu gewährleisten. Dieser Gedanke mag ohne Zweifel vordergründig bestechen. Bei näherer Betrachtung begegnet ein solches Vorhaben aber einer ganzen Reihe von Fragezeichen, die man bei einer solchen Diskussion nicht außer acht lassen darf.Sicher ist es ein ganz wichtiges Anliegen, in Stadt und Land, gut strukturierte Einkaufsmöglichkeiten mit einem vielfältigen Warenangebot zu erhalten und eine möglichst verbrauchernahe Versorgung zu sichern.Aber das Einkaufsverhalten der Verbraucher— das kann man einfach nicht wegwischen — hat sich geändert. Die Bürger in unserem Lande sind mobiler geworden und nutzen diese Mobilität gerne, um Einkaufsgelegenheiten mit einem breitgefächerten preiswerten Angebot von Waren aufzusuchen. Für die kleinen örtlichen Geschäfte bleibt oft nur die Deckung des Restbedarfs.Wir können das Einkaufsverhalten der Verbraucher auch auf dem Lande nicht kanalisieren. Wir können die Kaufleute nicht verpflichten, unrentable Läden offenzuhalten. Es kommt auf verbrauchergerechte Lösungen im Rahmen unserer sozialen Marktwirtschaft an und nicht auf ein Ansteuern gegen die Marktkräfte. Aus der Tatsache, daß „der tiefgreifende Strukturwandel im Einzelhandel auch heute noch nicht zu Ende gekommen ist" — diese Formulierung steht so in Ihrem Antrag —, ergibt sich weder eine politische Notwendigkeit noch eine Rechtfertigung, um so schwerwiegend — ich zitiere aus Ihrem Antrag — mitdifferenzierten Instrumenten steuernd in diesen Entwicklungsprozeß mit seinen vielfältigen gesellschaftlichen Implikationen einzugreifen.— So Ihr Zitat.
Strukturwandel muß und wird in der Marktwirtschaft ständig stattfinden. Strukturkonservierende Maßnahmen schlagen letztlich auf die Erzeuger und die Verbraucher gleichermaßen negativ zurück. Bester Steuerungsmechanismus ist und bleibt der Wettbewerb im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft.Die Koalition hat zur Sicherung des Wettbewerbs und der Wettbewerbsfähigkeit auch der kleinen und mittleren Betriebe eine Überprüfung der kartellrechtlichen Vorschriften beschlossen. Das haben Sie hier auch zur Kenntnis genommen. CDU und CSU haben Ihre Forderungen — auch der Kollege Wissmann, den Sie zitiert haben — hierzu auf den Tisch gelegt.Meine Damen und Herren, es geht uns nicht darum, einen Schutzzaun um den Einzelhandel zu bauen oder den Strukturwandel zu steuern, sondern darum, Wettbewerbsmißbräuche — das scheint mir das Entscheidende zu sein — einzudämmen und den Wettbewerb zu sichern. Wir erwarten ja in Kürze aus dem Bundeswirtschaftsministerium eine konkrete Vorlage zur Novellierung des Kartellrechtes. Der Herr Staatssekretärist ja anwesend und wird sicher auch dazu etwas sagen.
Der Vorschlag der GRÜNEN zur Änderung der Baunutzungsverordnung schießt über das Ziel hinaus— wie manches natürlich, was Sie gesagt haben. Mit dem neuen Baugesetzbuch sind für die Kommunen bereits die planungsrechtlichen Voraussetzungen verbessert worden.
— Das ist doch so.Das Baugesetzbuch betont jetzt die Aufgaben der Gemeinden, beim Einsatz ihrer bauleitplanerischen Mittel auch die möglichen negativen Folgen großer Einzelhandelsbetriebe für die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung zu bedenken.Der Antrag — so steht es darin — auf Streichung des § 11 Abs, 3 der Baunutzungsverordnung würde in der Konsequenz bedeuten, daß großflächige Einzelhandelsbetriebe wieder wie vor 1968 in den meisten Baugebieten sogar einen Rechtsanspruch auf Zulassung hätten. Die bisherigen baurechtlichen Restriktionen, die zu einer deutlichen Verlangsamung des Wachstums dieser Betriebsformen geführt haben— das wird wohl niemand bezweifeln —, würden entfallen.Ich darf in diesem Zusammenhang natürlich auch an die in unserem föderativen Staatswesen zuständigen Ländern und ihre Verantwortung erinnern. Sie haben gerade im Rahmen ihrer Landesplanung Verantwortung und Verpflichtung,
der Versorgung des ländlichen Raumes Rechnung zu tragen, und sie tun dies natürlich auch.Die Forderung der Antragsteller nach einem verbesserten Mieter- und Kündigungsschutz — als nächstes Thema — ist nicht neu.
Durch eine sehr vage Formulierung — wenn man das nachliest —
werden die Risiken verschleiert, die mit solchen Forderungen verbunden sind. Verschärfter Mieterschutz kann allenfalls zu einer insgesamt geringfügigen Verzögerung eines solchen Prozesses im Einzelfall, nicht aber zu einer Verhinderung — wie man sagt: des „Ausmietens" alteingesessener Geschäftsinhaber — führen,Ein Widerspruchsrecht — auch das taucht auf — der gewerblichen Mieter und eine zwingend ausgestaltete Verlängerung der Kündigungsfristen wäre ein sehr schwerwiegender Eingriff in die Vertragsfreiheit. Dies begegnet rechtspolitischen Bedenken und widerspricht dem Bemühen, staatliche Reglementierungen für die Wirtschaft abzubauen. Das ist ja unser gemeinsames Ziel.Wie die Erfahrungen im Wohnungsbau gezeigt haben, könnte ein überzogener Mieterschutz längerfri-Metadaten/Kopzeile:
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Oswaldstig die notwendige Flexibilität im Mietmarkt hemmen und die notwendige Neubau- und Sanierungstätigkeit beeinträchtigen. Die dann eintretende allgemeine Verknappung und Verteuerung geeigneter Geschäftsräume würde letztlich zu Lasten der Geschäftsleute und damit auch wieder der Verbraucher gehen. Nach meinen Informationen hat auch keiner der interessierten Verbände einen materiellen Kündigungsschutz im Sinne eines Widerspruchsrechts des Mieters oder gar einer Beschränkung der Kündigungsmöglichkeit auf bestimmte Fallgruppen gefordert.Auch für einen verbesserten Schutz der Mieter bei der Vollstreckung von Räumungstiteln über Geschäftsräume wollten sich die angehörten Verbände nicht aussprechen, daß sich der Einzelhändler im Ernstfall — diese Frage muß man einfach bedenken — auf einen für ihn unter Umständen kostspieligen und arbeitsaufwendigen Prozeß einlassen müßte. Deshalb halte ich persönlich derzeit Initiativen für eine Änderung des geltenden Geschäftsraummietrechts nicht für dringlich. Aber ich schließe nicht aus, daß sich auf Grund eingehender Erhebungen, die ja bundesweit durch den Bundesminister der Justiz in Abstimmung mit den Verbänden durchzuführen sind, weiterführende Gesichtspunkte ergeben.
— Immer. Das sollte grundsätzlich gelten.
Auch der Vorschlag, Kleinläden auf dem Land dadurch zu halten, daß zusätzliche private oder staatliche Dienste angeboten werden — z. B. Rezepte sammeln, Post aufgeben usw. —, wird kleine ländliche Geschäfte mit unzureichendem Lebensmittelumsatz nur schwerlich betriebswirtschaftlich rentabel machen. Solche Zusatzdienste werden bei hoher Nachfrage personal- und kostenintensiv, andernfalls aber kaum ertragreich.Meine Damen und Herren, diese Skepsis soll uns nicht daran hindern, alle in unserer marktwirtschaftlichen Ordnung sinnvollen staatlichen Einflußmöglichkeiten zugunsten der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der kleinen und mittleren Betriebe und zur Sicherung der Versorgung des ländlichen Raumes auszuschöpfen.
Dazu zählt auch die heute schon angebotene staatliche Hilfe zur Selbsthilfe durch die Förderung von Existenzgründungen oder von Investitionen zur Erweiterung, Rationalisierung und Modernisierung kleinerer und mittlerer Unternehmen, die eine betriebswirtschaftliche Rentabilität erwarten lassen. Der Erfolg hängt meines Erachtens sehr von der persönlichen Eignung und von der persönlichen Einsatzbereitschaft der Ladenbetreiber auch mit ab.Die ortsnahe Versorgung aller Bevölkerungsschichten, auch der älteren und sozial schwachen Mitbürger, mit Waren und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs ist ganz sicher ein unverzichtbares Element der Lebensqualität im ländlichen Raum. Ergänzende Versorgungsfunktionen zum stationären Handel kön-nen auch mobile Verkaufsstellen mit übernehmen. Man sollte die Bedeutung dieses Bereichs nicht unterschätzen.
Daneben gibt es glücklicherweise auch in unseren Dörfern immer noch eine gut funktionierende Familien- und Nachbarschaftshilfe. Es gehört auch dazu, daß man dies erwähnt.Meine Damen und Herren, weder die Politik noch die Wirtschaft sind aber letztlich in der Lage, dort, wo die notwendige Nachfrage fehlt, defizitäre Kleinstläden mit staatlicher Hilfe aufrechtzuerhalten. Dies wäre ein teurer Irrweg. Nutzen wir jetzt also die kommenden detaillierten Ausschußberatungen, um den Dialog in dieser Frage weiter zu vertiefen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Scherrer.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, heute zum Antrag betreffend Maßnahmen zur Einpassung der Einzelhandelsnutzung in das übergeordnete Gesamtsystem der städtischen Entwicklung der Kolleginnen und Kollegen der Fraktion DIE GRÜNEN sprechen zu können. Ich tue dies aus zwei Gründen. Einmal bestätigt der Antrag die Vermutung, daß Menschen doch lernfähige Wesen sind. Zum anderen gibt dieser Antrag der SPD-Fraktion Gelegenheit, noch einmal ausführlich unsere Vorstellungen zum Wettbewerb im Handel darzustellen, Vorstellungen und Forderungen hier vorzutragen, denen sich z. B. auch die Kollegen von der Mittelstandsvereinigung der CDU inzwischen angeschlossen haben, die gleichwohl von den Koalitionsfraktionen dieses Hauses, wie ich meine, um des lieben Koalitionsfriedens willen bislang aber abgeblockt worden sind.Ich möchte zunächst einmal festhalten, daß die sozialdemokratische Bundestagsfraktion der Analyse, die dem Antrag der GRÜNEN zugrunde liegt, voll und ganz zustimmt. Der Verdrängungswettbewerb im Handel hat mittlerweile Ausmaße erreicht, die unsere schlimmsten Befürchtungen bestätigen. Die anhaltende Konzentration wirtschaftlicher Macht im Einzelhandel vernichtet selbständige Existenzen und Arbeitsplätze, sie gefährdet funktionsfähige wettbewerbliche Marktstrukturen und damit auf längere Sicht auch Verbraucherinteressen.Die Verdrängung selbständiger Einzelhändler beeinträchtigt darüber hinaus die Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs, vor allem in ländlichen Gebieten. Betroffen davon sind insbesondere alte und sozial schwache Bürger. Die Auswirkungen dieses Vernichtungswettbewerbs sind nicht nur im Einzelhandel spürbar, sondern sie verstärken auch auf der Herstellerstufe den Trend zur Konzentration mit der Folge, daß auch hier selbständige Existenzen und weitere Arbeitsplätze vernichtet werden.Dies, meine Damen und Herren, steht in einem Antrag meiner Fraktion, der überschrieben war „Zum Wettbewerb und Verbraucherschutz im Einzelhandel" und vom 4. Februar 1986 datiert. Nach AngabenMetadaten/Kopzeile:
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Scherrerdes Hauptverbandes des Deutschen Einzelhandels vom Juli vergangenen Jahres hat sich daran nichts gebessert. Immer noch macht 1 % der Unternehmen des Einzelhandels bereits 51, 2% des Umsatzes, die 0, 1% größten Unternehmen gar 36, 6% des Umsatzes.Besonders dramatisch ist die Situation im Lebensmitteleinzelhandel. 1 % der Unternehmen des Lebensmitteleinzelhandels hielten 1984 insgesamt 65, 3% des Umsatzes der gesamten Branche, und die 10 größten Konzerne des Lebensmitteleinzelhandels vereinigten 1986 48, 6% des Umsatzes auf sich. Die Zahl der Unternehmen im Lebensmitteleinzelhandel nahm von 1968 bis 1985 um 88 000 ab, die der Arbeitsstätten um 85 000, die Zahl der Beschäftigten um 40 000. Die Liste ließe sich fast durch alle Branchen des Handels fortsetzen. Die Machtkonzentration in diesem Bereich setzt sich aber ungebrochen fort. Der Zusammenschluß — Frau Kollegin Teubner hat darauf hingewiesen — der Handelsgiganten Asko und der Verbrauchermarktkette Massa, die Übernahme von Wandmaker und Werhahn durch Coop, der BLV, Bayerische Lagerversorgung, durch Metro, dies sind nur die herausragendsten Beispiele der jüngsten Zeit.Die Fraktion DIE GRÜNEN stellt in ihrem Antrag einige Forderungen, die geeignet sein können, diesen Prozeß in Zukunft zu steuern. Sie fordert einen Gesetzentwurf zum verbesserten Mieterschutz von Gewerbetreibenden im Handel, Handwerk und Gewerbe, eine Forderung — das muß ich hier sagen —, die die SPD-Fraktion bereits vor zwei Jahren in ihrem Antrag erhoben hat. Die GRÜNEN fordern weiter eine Novellierung der Baunutzungsverordnung, die die Fraktionen ebenfalls in dem eben erwähnten Antrag bereits angesprochen haben, und das Saarland hat auch dazu im Bundesrat schon eine Initiative ergriffen.Ihnen, meine Damen und Herren, dürfte ebenfalls bekannt sein, daß wir eine Novellierung des Kartellrechts bereits Anfang Februar 1985 in unserem Antrag „Wettbewerb und Verbraucherschutz im Einzelhandel" vertreten haben.Sie, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, haben es gegenüber dem Einzelhandel bei Sonntagsreden und wohlfeilen Deklarationen bisher bewenden lassen.
Wenn es zum Schwur kam — es gilt, das hier mit aller Deutlichkeit herauszustellen —, wenn es galt, konkrete Verbesserungen an der Wettbewerbsfähigkeit im Einzelhandel vorzunehmen, dann beschränkten Sie sich auf Unverbindlichkeiten.Mittlerweile scheinen aber auch Sie zu spüren, daß es fünf vor zwölf ist. Hohe Wahlverluste gerade im mittelständischen Bereich scheinen Ihnen, den Kolleginnen und Kollegen von der CDU, hier offensichtlich jetzt Beine zu machen. Ich befürchte allerdings, daß sich in der Sache wenig bewegen wird. Es ist typisch, daß die Mittelstandsvereinigung der CDU z. B. in Nordrhein-Westfalen großspurig Initiativen zur Novellierung des Kartellrechts mit Blick auf die kleinenund mittleren Einzelhändler und Handwerker ankündigt,
während gleichzeitig der Vorsitzende der CDU in Nordrhein-Westfalen — immerhin ist dies ja der Bundesarbeitsminister Dr. Norbert Blüm — in einem „Handelsblatt"-Interview praktisch die nächste Kartellnovelle, die die Wettbewerbschancen kleiner und mittlerer Unternehmen stärken soll, sie praktisch bereits abschreibt. Die Kartellnovelle sei dermaßen in Gefahr, daß man eigentlich SOS funken müßte. Bedenkenträger komplizierten das Gesetzesvorhaben immer mehr, um es am Ende ganz zu verhindern. Das gehe nach dem Motto: Zwar grundsätzlich ja sagen, im Detail aber dann emsig neue Schwierigkeiten aufbauen. So Norbert Blüm im „Handelsblatt" vom 8. Februar 1988.Liebe Kolleginnen und Kollegen, die SPD-Bundestagsfraktion wird in der nächsten Zeit ihrerseits einen Antrag zur Novellierung des Kartellrechts einbringen. Lassen Sie mich dazu einige wenige Schwerpunkte nennen. Wir wollen Einkaufskooperationen sichern und stärken.
Für dringend erforderlich halten wir eine Änderung des § 37 a Abs. 3 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, wonach ein Unternehmen, das gegenüber kleinen und mittleren Wettbewerbern über eine überlegene Marktmacht verfügt, diese Wettbewerber nicht durch Einsatz seiner Marktmacht unmittelbar oder mittelbar unbillig behindern darf.
Die Gesetzespraxis dazu hat gezeigt, daß diese Regelung auf Grund der vielen unbestimmten Rechtsbegriffe und der schwierigen Beweislage nicht greift. Wir wollen deshalb klare Bestimmungen und eine Beweislastumkehr im Zusammenhang mit nicht gerechtfertigtem Rabatt und mit Konditionsdiskriminierungen, wenn der Beschwerdeführer zuvor alle zumutbaren Beweisanstrengungen unternommen hat. Wir halten auch eine Stärkung der Befugnisse der Kartellbehörden, die sicherstellen soll, daß die Ermittlungsbefugnisse der Kartellbehörden nicht am Geheimhaltungsgebot scheitern, für zwingend.Lassen Sie mich aber dies hinzufügen: Es genügt nicht, eine Erkrankung zu kurieren, wenn man dabei den Gesamtzustand des Patienten außer acht läßt. Wir Sozialdemokraten halten es dafür für dringend geboten, daß im Handel wieder faire Wettbewerbsbedingungen eintreten, daß Machtmißbrauch und Konzentration ein Ende finden. Lassen Sie mich auch das sagen: Nur eine Fülle selbständiger Existenzen gerade im Handel sorgen doch für einen funktionierenden Wettbewerb, machen die Attraktivität unserer Innenstädte aus.Meine Damen und Herren, wir müssen aber weiter sehen, daß durch gezielte Maßnahmen die Leistungskraft der kleinen und mittleren Selbständigen in Handel und Handwerk erhalten und verbessert wird. Wir brauchen dazu — das haben wir heute morgenMetadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988 4659
Scherrerschon vorgetragen — eine steuerstundende Investitionsrücklage, um mittlere Betriebe zu fördern, damit sie existieren und Arbeits- und Ausbildungsplätze erhalten können. Wir brauchen gezielte finanzielle Hilfeleistungen, um Nachteile ausgleichen zu können. Ich halte es jedenfalls für verheerend, daß die Bundesregierung die Mittelstandsförderung über die Hälfte bis 1991 — konkret: von 1, 1 Milliarden DM auf 485 Millionen DM — kürzen will. Das führt zu einem Kahlschlag gerade in der Forschungsförderung und bei der Existenzförderung.
Herr Abgeordneter, ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie Ihre Redezeit deutlich überschritten haben.
Ich bitte, Herr Präsident, um Nachsicht: noch einen Satz.
Meine Damen und Herren der Koalition, Sie haben die große Chance bei den Ausschußberatungen, mit uns zusammen Korrekturen vorzunehmen.
Ich danke Ihnen zunächst für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Grünbeck.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Den Titel des Antrags der GRÜNEN muß man sich erst einmal auf der Zunge zergehen lassen:Maßnahmen zur Einpassung der Einzelhandelsnutzung in das übergeordnete Gesamtsystem derstädtischen Entwicklung.Bis ich das begriffen habe, habe ich es dreimal lesen müssen. Dann habe ich den Unfug gelesen, den Sie da hineingeschrieben haben. Man muß wirklich einmal darüber nachdenken, was so eine grüne Irrlehre eigentlich alles an sprachlichen Seifenblasen produzieren kann.
Darf ich Ihnen ein paar Beispiele bringen? Sie behaupten, daß Fachleute — ich weiß nicht, welche Fachleute das sind —,
heute eine drohende Unterversorgung mit Waren und Dienstleistungen im ländlichen Raum feststellen.
— Wer denn? Ich habe noch keinen gefunden, der sich im ländlichen Raum auskennt--
— Ich nehme an, daß Sie da gar nicht leben, daß Sie noch nichts von einem funktionierenden Familieneinkauf gehört haben. Gehen Sie denn eigentlich noch zu Tante Emma?
— Das ist lobenswert.Die meisten Leute reden ja über die Tante-Emma-Läden, aber sie gehen nicht hinein, weil sie natürlich Anspruch auf eine Versorgung erheben, der weit über das hinausgeht, was heute von der qualifizierten Leistung eines Lebensmitteleinzelhandelsbetriebes erwartet wird. Wir alle wissen ganz genau, daß ich heute, wenn ich das Lebensmittelüberangebot dem Kunden überhaupt noch sortiert zur Verfügung stellen will, mindestens eine Verkaufsfläche von 200 qm brauche.
— Jetzt hätte ich ja fast etwas gesagt, Frau Kollegin. Wenn Sie doppelt so viel ausgeben, wie Sie eigentlich brauchen, dann... Lassen wir das mal sein.
Sie verlangen einen besseren Mieterschutz und Kündigungsschutz. Wissen Sie denn eigentlich, daß die meisten Lebensmitteleinzelhändler im ländlichen Raum Eigentümer der Häuser sind, in denen sie ihre Läden haben?
Sie wissen gar nicht, wovon Sie reden, aber Sie fordern einfach Dinge, die in der Praxis gar nicht mehr realistisch sind. Das war hochinteressant: Mietverträge wollen Sie gesellschaftspolitischen Kriterien bei Wahrung aller Arbeitnehmerinteressen unterwerfen. Sie wollen eine Eingriffsschwelle bei Zusammenschlüssen, und Sie wollen Nutzungsgebote und -verböte. Wissen Sie, was Sie überhaupt nicht wollen? Sie wollen überhaupt keinen Eigentumsschutz mehr, weil Sie mit dem Eigentum nichts mehr am Hut haben.
Sie wollen alles vergesellschaften und enteignen. Dazu erwarten wir einmal ein ehrliches Wort. Sagen Sie doch einmal, daß Sie die Enteignung wollen, was Sie unter „Vergesellschaftung" verstehen.
Was ist denn bei Ihnen „Vergesellschaftung"? Vergesellschaftung ist doch der Zugriff auf das Eigentum anderer. Das ist Ihre Philosophie. Wenn man Ihnen das sagt, dann verletzt man Sie wahrscheinlich.
Ich habe einen besseren Vorschlag, meine Damen und Herren: Wir sollten vielleicht der grünen Fraktion einmal einen Haushaltstitel für eine Bildungsreise in die staatlich-dirigistischen Systeme des Ostens ein-Metadaten/Kopzeile:
4660 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988
Grünbeckräumen. Da könnten Sie einmal sehen, daß all das, was Sie in diesem Antrag wollen, dort Realität ist.
Dann könnten Sie einmal prüfen, wie groß dort die Versorgungssicherheit, wie groß dort die Versorgungsqualität und wie groß der Frust der Anbieter und der Kunden sind.
Ich möchte noch ein Wort, Herr Kollege Scherrer, zum Einstandspreis sagen. Auch Sie fordern ja die Kontrolle, daß nicht unter Einstandspreis verkauft wird. Ich warte noch darauf, daß mir jemand definiert, was der Einstandspreis denn eigentlich ist. Ist das der Einkaufspreis plus Nebenkosten? Ist das die Rabatt-spreizung in 60 oder 70 Einzelstrukturen? Ist das überhaupt definierbar? Wenn ich es definiere, muß ich natürlich hinzufügen, daß ich zur Kontrolle des Einstandspreises eine neue Behörde, eine Preisüberwachungsbehörde, brauche. Das wollen wir Liberalen nicht. Wir wollen keine neuen Behörden zur Kontrolle schaffen, um nicht die Freiheit des Angebotes und der Nachfrage einzuschränken.
- Die GRÜNEN.Ich möchte noch ein Wort zu Ihnen sagen: Sie fordern ja sogenannte Kleinstläden. Diese Kleinstläden sind nicht näher definiert, Aber Sie wollen sie koppeln— das ist eine tolle Romantik — mit Dienstleistungsgeschäften wie beispielsweise der Post. Vielleicht unterhalten Sie sich einmal mit der Postgewerkschaft, wie sie dazu stünde, wenn Sie der Post Dienstleistungsgeschäfte abnähmen.Dann wollen Sie eine Rezeptsammelstelle — ich weiß nicht, wofür Sie Rezepte brauchen — und ähnliche Dinge mehr.
Wir bleiben dabei: Das Baurecht haben wir im Baugesetzbuch geordnet. Über die Baunutzungsverordnung werden wir uns unterhalten. Aber ich warne vor Illusionen, daß wir über das Baurecht wirtschaftliche Entwicklungen neu ordnen könnten.
Das ist ein falscher Weg.Die Kommunen haben nach dem Baugesetzbuch mehr Möglchkeiten der freien Gestaltung, aber natürlich auch mehr Verantwortung.Wir glauben, daß der Bericht des Wirtschaftsministeriums über das Kartellrecht im Frühjahr abgeliefert werden wird. Wir haben klare Vorstellungen von einer verstärkten Kooperation wo auch immer, im Einkauf, in der Werbung oder in anderen Bereichen.Wir wissen auch, wie schwer es sein wird, die Fusionskontrolle neu zu strukturieren, weil ja bei jeder Fusion zweierlei Dinge anstehen: Der, der veräußern will, hat einen ganz anderen Status als der, der die Fusion betreibt, weil er Unternehmen aufkaufen will. Der eine will möglichst einen hohen Preis erzielen; der Große kann möglicherweise mehr bezahlen. Wir müssen die regionale Machtausübung über die Fusionskontrolle in den Griff bekommen. In der Frage, wie das zu machen ist, haben wir große Sorgen. Es ist sehr schwer, eine rechtliche Regelung zu finden, die der wünschenswerten Entwicklung gerecht wird.Wir Freien Demokraten werden die Vorschläge des Bundeswirtschaftsministers sorgfältig beraten. Wir werden dann zu einer Entscheidung kommen, aber solchen Anträgen wie diesem hier können wir nicht zustimmen. Wir werden den Antrag deshalb ablehnen.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr, Riedl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der vorliegende Antrag der Fraktion der GRÜNEN wird vor allem mit den Folgen des anhaltenden Konzentrationsprozesses im Einzelhandel begründet. Auch die Bundesregierung beobachtet die Konzentrationsentwicklung im Einzelhandel mit erheblicher Sorge. Auf der einen Seite ist diese Entwicklung durch einen Abschmelzprozeß in der Zahl der Einzelhandelsunternehmen gekennzeichnet, insbesondere im Lebensmitteleinzelhandel. Seine Ursache ist die geringe Wettbewerbsfähigkeit der kleinen Unternehmen.
Auf der anderen Seite konnten mit dem Ausscheiden zahlreicher Handelsunternehmen die Großunternehmen ihre Anteile am Gesamtumsatz stetig steigern.
Diese Entwicklung hat insgesamt erhebliche Strukturveränderungen im Einzelhandel zur Folge gehabt. Hinzu kommen sicherlich auch gesellschaftliche Auswirkungen. Diese werden in dem Antrag der GRÜNEN realtiv stark herausgestellt, ohne daß sie sich allerdings bisher ausreichend nachweisen bzw. bewerten lassen.Das, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Fraktion der GRÜNEN, sind Sie leider schuldig geblieben. Es drängt sich deshalb der Verdacht auf, daß die Hervorhebung in Ihrem Antrag eher der Untermauerung Ihrer politischen Thesen dient als einer wirklichkeitsgemäßen Darstellung.
Nicht nachgewiesen — darf ich es Ihnen einmal erklären, wenn Sie mir Gelegenheit geben — werdenDeutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Marz 1988 4661Pari. Staatssekretär Dr. Riedlkonnte z. B. Ihre These von einer drohenden Unterversorgung im ländlichen Raum. Sie ist, wie eine Untersuchung der Forschungsstelle für den Handel, Berlin, von 1985 ergab, selbst in absehbarer Zukunft nicht zu erwarten. Danach wären, selbst wenn in den strukturschwachen ländlichen Gebieten in den nächsten fünf Jahren 20 % der Lebensmittelgeschäfte ausscheiden würden, nur weniger als 1 % der Haushalte von Versorgungsschwierigkeiten betroffen.Darf ich nun zu den vorgeschlagenen Maßnahmen im Bereich des Einzelhandels einige Bemerkungen machen. Eindeutig abzulehnen ist die grundsätzliche Forderung nach Steuerung des Strukturwandels im Einzelhandel durch dirigistische Eingriffe. Der Strukturwandel muß in erster Linie das Ergebnis eines dynamischen Wettbewerbsprozesses sein.
Dirigistische Eingriffe würden sich auch zu Lasten der Verbraucher und der Gesamtversorgung auswirken.
Der vorliegende Antrag enthält darüber hinaus einen ganzen Katalog von Maßnahmen zur Verschärfung des Kartellrechts. Das Kartellgesetz ist aber kein Antikonzentrationsgesetz, mit dem bestehende Branchenstrukturen festgeschrieben werden könnten, sondern ein Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen zum Schutz des Wettbewerbs.Bei der geforderten Absenkung der Eingriffsschwelle zur Verschärfung der Fusionskontrolle wird auf einen angeblichen entsprechenden Vorschlag der Monopolkommission verwiesen. Diese hat aber eine Absenkung lediglich zur Diskussion gestellt und sie ausdrücklich davon abhängig gemacht, daß der Gesetzgeber einen Handlungsbedarf im Lebensmittelhandel bejaht; sie selbst hat einen solchen verneint.Hinzu kommt, daß der Wirtschaftsausschuß des Deutschen Bundestages erst im Jahre 1986 eine Abkopplung der Fusionskontrolle vom Kriterium der Marktbeherrschung unter Hinweis auf die Gefahr kartellbehördlichen Strukturdirigismus abgelehnt hat. Dies ist auch die Meinung der Bundesregierung.Auch gegen die vorgeschlagene Entflechtungsregelung sprechen schwerwiegende Bedenken. Eine solche Regelung wirft grundlegende wettbewerbspolitische, gesellschaftspolitische sowie Steuer- und verfassungsrechtliche Fragen auf.
— Gnädige Frau, Sie verwechseln — wie schon oft in Ihrem Leben, so leider auch heute abend wieder — in der Tat Äpfel und Birnen.
— Da täuschen Sie sich leider ganz gewaltig. — Auch der Wirtschaftsausschuß hält sie daher für ein kaum praktikables Instrument. Frau Abgeordnete Vennegerts, das ist die Antwort auf Ihre Zwischenbemerkung.Im Antrag wird des weiteren gefordert, den Verkauf unter Selbstkosten — das muß man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: Verkauf unter Selbstkosten — als Regelbeispiel in das erweiterte Behinderungsverbot des § 37 a Abs. 3 GWB aufzunehmen. Eine solche Regelung würde zu einer völlig unvertretbaren Regulierung führen und kleine und mittlere Unternehmen ebenso in ihrer Kalkulationsfreiheit beeinträchtigen wie die großen. Die Forderung nach einer eigenständigen Definition der Marktbeherrschung für die Nachfragemacht würde zu einer Aufsplitterung des Kartellrechts nach einzelnen Sektoren der Wirtschaft führen. Im Bundeswirtschaftsministerium wird zur Zeit überlegt, ob durch gesetzgeberische Hinweise mit dem Ziel der Berücksichtigung auch vertikaler Aspekte das Problem der Nachfragemacht besser erfaßt werden kann.Weitgehend unproblematisch sind hingegen die Ausgestaltung des § 37 a Abs. 3 GWB und die gesetzliche Freistellung der Einkaufskooperationen vom Kartellrecht.Die Bundesregierung lehnt auch die vorgeschlagenen Maßnahmen im Bereich des Mieterschutzes ab.Eine Verschärfung des gesetzlichen Mieterschutzes bei Geschäftsräumen ist überflüssig. Gerade die mittelständische Wirtschaft hat immer wieder die Zurücknahme entbehrlicher staatlicher Reglementierungen gefordert. Die Bundesregierung sieht daher keinen Anlaß, Reglementierungen zu schaffen, die von den angeblich zu Schützenden selbst nicht gefordert werden. Ein weiterer Aspekt kommt hinzu: Die angestrebte Regelung würde eine Spaltung des Mietrechts für Geschäftsräume bedeuten. Ein Sonderrecht mit besonderen Schutzbestimmungen für kleinere und mittlere Betriebe würde deren Position gegenüber den Großbetrieben auf dem Markt für Geschäftsräume verschlechtern und damit das Gegenteil dessen erreichen, was die Antragsteller wollen.In dem Antrag wird zudem die Aufstockung der Städtebauförderungsmittel im Jahre 1988 um 40 Millionen DM gefordert. Auch die Bundesregierung ist der Ansicht, daß Maßnahmen der Stadt- und Dorferneuerung ein wirksames Instrument sind, um kleinen Einzelhandelsunternehmen bei ihrer Existenzsicherung zu helfen. Besonders die Gemeinden sind hier aufgerufen, den Problembereich des mittelständischen Einzelhandels in ihre Sanierungskonzepte ein-zubeziehen. Die Bundesregierung hat mit der Verabschiedung des Baugesetzbuches und der Bereitstellung von Städtebauförderungsmitteln die notwendigen Rahmenbedingungen gesetzt. Die Städebauför-derungsmittel wurden für die Programmjahre 1988 bis 1990 gegenüber 1982 auf jährlich 660 Millionen DM verdreifacht.Meine Damen und Herren von den GRÜNEN, Sie haben diese Haushaltsansätze hier im Deutschen Bundestag samt und sonders abgelehnt, und jetzt fordern Sie die Einführung solcher Mittel. Dies ist doch wirklich ein Beispiel politischer Schizophrenie, das nicht zu überbieten ist.
Zusammen mit Landes- und Gemeindemitteln stehen für die nächsten Jahre rund 2 Milliarden DM zur Verfügung. Eine Programmaufstockung mit der ge-Metadaten/Kopzeile:
4662 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988
Pari. Staatssekretär Dr. Riedlwünschten speziellen Zielsetzung ist jedoch nicht beabsichtigt.Der Antrag enthält schließlich Vorschläge für eine restriktivere Fassung der Baunutzungsverordnung. Die Bundesregierung nimmt zur Zeit eine Gesamtüberprüfung der Baunutzungsverordnung vor. Dabei muß jedoch vermieden werden, daß neue strukturkonservierende oder wirtschaftslenkende Vorstellungen in das Bauplanungsrecht Eingang finden.Im Gesamtergebnis zielen die vorgeschlagenen Maßnahmen ganz überwiegend auf eine staatliche Struktursteuerung im Handel ab. Sie werden von der Bundesregierung weder als notwendig noch als hilfreich angesehen, um den Folgen des Strukturwandels zu begegnen. Die Bundesregierung verkennt dabei keineswegs die sich aus dem Strukturwandel im Einzelhandel ergebenden Probleme, insbesondere aus der Konzentrationsentwicklung. Sie hat deshalb die Überprüfung des Kartellrechts veranlaßt. Herr Abgeordneter Grünbeck, der Bundeswirtschaftsminister wird im Laufe des Frühjahrs 1988 einen Bericht vorlegen. Danach wird die Bundesregierung über eine Kartellnovelle entscheiden. Wir bedanken uns beim Deutschen Bundestag und bitten, uns bei der Verwirklichung dieser Vorstellungen zu helfen.Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/1645.
Wir haben unterschiedliche Überweisungsvorschläge. Die Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP wünschen, daß der Antrag — abweichend vom Überweisungsvorschlag des Ältestenrates — wie folgt zu überweisen ist: zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Wirtschaft und zur Mitberatung an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. Die Fraktion der GRÜNEN wünscht dagegen eine Überweisung des Antrags, wie es in der Tagesordnung ausgedruckt worden ist.
Ich muß also darüber abstimmen lassen.
Wer stimmt für den Überweisungsvorschlag der SPD, CDU/CSU und FDP? - Wer stimmt dagegen? - Ich nehme an, daß die Fraktion DIE GRÜNEN Verständnis dafür hat, daß es sich erübrigt, nunmehr über ihren Überweisungsantrag abstimmen zu lassen.
Damit ist das also im Sinne der Fraktionen der CDU/ CSU, SPD und FDP beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Frau Dr. Däubler-Gmelin, Bachmaier, Klein , Dr. Pick, Schmidt (München), Schütz, Singer, Stiegler, Wiefelspütz, Dr. de With, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung (§ 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO)
- Drucksache 11/816 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
- Drucksache 11/1933 -
Berichterstatter: Abgeordnete Eylmann Singer
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Nickels und der Fraktion DIE GRÜNEN
Keine Zwangsverteidiger für Blinde
- Drucksachen 11/624, 11/1933 -
Berichterstatter: Abgeordnete Eylmann Singer
Meine Damen und Herren, nach Vereinbarung des Ältestenrats ist für die Beratung dieses Tagesordnungspunktes ein Beitrag — und das unterstreiche ich jetzt — von bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Wie mir mitgeteilt worden ist, ist eine gewisse Selbstbeschränkung der Redner vorgesehen. Ich darf appellieren, sich daran zu halten.
Das Wort hat der Abgeordnete Singer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir werden heute die Änderung einer Gesetzesänderung herbeiführen, zu der es bei sorgfältiger Vorbereitung und Beratung des Strafverfahrensänderungsgesetzes 1987 nicht hätte kommen müssen. Der Vorgang ist ein Lehrbeispiel dafür, wie einem benachteiligten Personenkreis mit übertriebener Fürsorge eine vermeintliche Wohltat erwiesen werden sollte, die von den Betroffenen tatsächlich als diskriminierend und schädlich empfunden worden ist.
Das Strafverfahrensänderungsgesetz 1987 hat mit seiner Ergänzung des § 140 Abs. 1 der Strafprozeßordnung, also bei der Pflichtverteidigung, den blinden Beschuldigten dem Tauben oder Stummen gleichgestellt und dazu geführt, daß sich Blinde nach der jetzt geltenden Rechtslage grundsätzlich, selbst wenn sie Juristen sind oder über forensische Erfahrung verfügen, nicht mehr selbst verteidigen können. Diese Regelung wirkt sich über § 60 des Ordnungswidrigkeitengesetzes auch auf das Bußgeldverfahren aus und hat neben ihrer diskriminierenden Wirkung die Folge, daß der verurteilte Beschuldigte mit den Kosten des Verfahrens, auch mit den Kosten der Verteidigung belastet wird, selbst wenn er sich, wie ich soeben schon sagte, bei Bagatelldelikten oder auf Grund eigener juristischer Erfahrungen ohne weiteres selbst hätte verteidigen können.Einer der Gründe, warum es zu der von den Betroffenen abgelehnten Gesetzesänderung überhaupt gekommen ist, liegt offenbar in der unterbliebenen Anhörung der Fachverbände, die vom Rechtsausschuß und vom Bundestag seinerzeit wohl als selbstverständlich vorausgesetzt worden ist. Jetzt haben wir uns im Rechtsausschuß gar nicht mehr lange streitenMetadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988 4663
Singermüssen, um zu der einmütigen Erkenntnis zu gelangen,
daß die Gesetzesänderung rückgängig zu machen ist.In dem ganzen Vorgang sehe ich allerdings auch ein Gutes: Nicht nur den mit der Sache befaßten Parlamentariern, sondern — wie ich hoffe — auch der Öffentlichkeit ist deutlich geworden, daß blinde Mitbürger gerade in den juristischen Berufen seit Jahrzehnten mit großem Erfolg tätig sind und bemerkenswerte Karrieren, zum Teil bis in die obersten Bundesgerichte, gemacht haben.
Um so unverständlicher muß es für die Betroffenen gewesen sein, daß der Gesetzgeber mit der Einführung der notwendigen Verteidigung für Blinde plötzlich Zweifel an ihren Fähigkeiten, sich selbst zu verteidigen, geweckt hat. Der Rechtsausschuß geht davon aus, daß die geltende Regelung der notwendigen Verteidigung für Blinde in ihrer Fürsorgefunktion zu weit gegangen ist. Die geltende Regelung erscheint auch deshalb nicht erforderlich, weil über die Generalklausel des § 140 Abs. 2 der Strafprozeßordnung eine sich jeweils im Einzelfall doch einmal als notwendig erweisende Verteidigung ohnehin angeordnet werden kann.Während der Beratungen sind wir darauf aufmerksam gemacht worden, daß auch die vom Gesetz seit eh und je vorgeschriebene notwendige Verteidigung für Gehörlose, Spätertaubte und Stumme kritisch hinterfragt werden muß. Da das Gesetz durch die in § 186 des Gerichtsverfassungsgesetzes vorgesehene Bestellung von Gebärdendolmetschern für diesen Kreis behinderter Personen auf ihre besonderen Schwierigkeiten ohnehin Rücksicht nimmt, erschien es uns in der Tat nicht einsichtig, die bisherige Regelung auch für diese Gruppen beizubehalten.Bevor wir allerdings den Ihnen jetzt vorliegenden Vorschlag beschlossen haben, haben wir uns vergewissert, ob auch insoweit die betroffenen Fachverbände angehört worden sind. Das konnte von der Bundesregierung bestätigt werden. Die Fachverbände sind allerdings davon unterrichtet, daß wir eine nicht unwesentliche Abweichung von der Regelung für die Blinden beschlossen haben. In § 140 Abs. 2 StPO wird folgender Satz 2 angefügt: „Dem Antrag eines tauben oder stummen Beschuldigten ist zu entsprechen. " Das heißt, es wird nicht weiter geprüft, ob das nun notwendig ist oder nicht. Wenn der Taube oder Stumme im Einzelfall beantragt: Ich möchte einen Pflichtverteidiger, dann bekommt er ihn ohne langes Beraten oder Prüfen.Ich meine, daß die Ihnen jetzt vorliegende einstimmige Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses eine sachgerechte Regelung enthält und auch die von der Sache her gebotene Differenzierung vorsieht.Ich habe mich bemüht, mich kurz zu fassen.Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Diesem Dank schließt sich das Präsidium an.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Eylmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will versuchen, den Kollegen Singer noch zu übertreffen, was die Kürze angeht. Er hat den Sachverhalt eigentlich schon erschöpfend vorgetragen. Wir reparieren eine Panne. Dabei hatten wir uns das doch alles so schön ausgedacht. Wir meinten damals alle im Rechtsausschuß, wir würden den blinden Mitbürgerinnen und Mitbürgern, die einmal straffällig geworden sind, eine Wohltat erweisen. Wir fielen aus allen Wolken, als dann der geharnischte Protest der Verbände kam.
Die Lehre, die daraus zu ziehen ist, hat der Kollege Singer auch schon kundgetan. Wir sollten uns häufiger fragen — auch bei anderen Gelegenheiten —, ob wir mit unserem Bemühen, in allen möglichen Wechselfällen des Lebens Fürsorge zu gewähren, nicht manchmal etwas zu weit gehen. Es gibt andere Gebiete. Unsere Gesellschaft geht insbesondere mit älteren Mitbürgern zuweilen in einer Weise um, die die Menschenwürde zu tangieren Gefahr läuft.
Eine weitere Lehre, die wir aus dieser kleinen Panne vielleicht ziehen sollten, ist die, daß das Anhören von Verbänden zuweilen zwar lästig und auch zeitraubend, aber, wie dieser Fall zeigt, unverzichtbar ist. Hätten wir in diesem Falle die Verbände rechtzeitig angehört, könnten wir uns die Reparatur dieses Gesetzes ersparen.
Eine Schlußbemerkung: Ich möchte allseits Dank sagen dafür, daß es uns in so kurzer Zeit und vor allen Dingen in so guter Atmosphäre gelungen ist, diese Reparatur durchzuführen. Die Oppositionsparteien sind, wie es ihre Aufgabe ist, mit einem Änderungsentwurf vorgeprescht. Wir haben darüber, wie es den Regierungsparteien ziemt, noch etwas intensiver nachgedacht. Das hat dazu geführt, daß wir auch noch eine Regelung für unsere stummen und tauben Mitbürgerinnen und Mitbürger bei dieser Gelegenheit beschlossen haben. Die Diskussion hat nie irgendwelche Schwierigkeiten bereitet.
Bliebe noch die Frage: Woran hat es eigentlich gelegen, daß das so gut geklappt hat? Vielleicht daran, daß wir uns streng an der Sache orientiert haben und Erwägungen, die wir häufig leichthin als politische zu bezeichnen pflegen, außer acht gelassen haben. Zuweilen habe ich den Eindruck, daß wir dann, wenn wir in Diskussionen davon sprechen, etwas müsse auch politisch gesehen und gewertet werden, das Wort „politisch" als Synonym für „nicht an der Sache orientiert" benutzen.
Vielen Dank.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Nickels.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Singer von der SPD hat denMetadaten/Kopzeile:
4664 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988
Frau NickelsSachverhalt noch einmal dargestellt. Ich brauche das nicht zu wiederholen, sondern ich möchte eigentlich gern etwas zu dem sagen, was mir an dem Verfahren im Rechtsausschuß sehr gut gefallen hat.Es ist so gewesen, daß wir tatsächlich einen Gesetzentwurf erarbeitet hatten, mit der besten Absicht, eine Hilfestellung zu leisten. Durch die Betroffenen sind wir erst darauf aufmerksam gemacht worden, daß die von uns erarbeitete Lösung nicht sachgerecht war, sondern eher einer Diskriminierung entsprach. Um dieser Diskriminierung abzuhelfen, hat dann die SPD im September 1987 einen Gesetzentwurf eingebracht; wir hatten im Juli einen Antrag vorgelegt. Für mich war es schon ein bißchen spaßig, daß man mir ans Herz legte, doch lieber einen Gesetzentwurf vorzulegen — wir waren etwas eher daran als Sie, Herr Singer —, denn so ein Antrag sei doch reichlich unelegant; man brauche doch nur ganz kurz und knapp einen Gesetzentwurf zu verfassen, das sei doch viel sachgerechter. Ich bin nachträglich froh, daß ich diesen etwas uneleganten Auftrag aufrechterhalten habe, weil wir darin einen Vorschlag unterbreitet hatten, der weitergehend war.Wir haben gesagt, es müsse in dem Verfahren sichergestellt werden, daß diese Diskriminierung von sehr vielen blinden Menschen zurückgenommen wird, aber man müsse auch prüfen, ob diese Bestimmung, bezogen auf Gehörlose, Spätertaubte und Stumme, eigentlich sachgerecht gewesen sei. Wir haben uns nicht angemaßt, als GRÜNE hier schon im voraus wieder über die Köpfe der Betroffenen hinweg etwas zu erklären, sondern wir haben gesagt: Das können wir gar nicht, man muß diese Gruppen erst einmal anhören. — Das war der Sinn des Antrags.Herr Eylmann, wenn Sie sagen, die Koalitionsfraktionen hätten dann, weil sie bedachter gewesen seien, eine sachgerechtere Regelung nachgeschoben, dann möchte ich dazu folgendes sagen: Das lag auch daran, daß die Regierung sehr schnell gearbeitet hat und sehr flott, als beide Vorlagen auf dem Tisch lagen, die Anhörung intern vorgenommen hat. Man hat die Verbände angesprochen, hat Rückantworten bekommen, und Sie haben als Koalitionsfraktionen dankenswerterweise die Erfahrungen, welche die Regierung bei den Anfragen gemacht hat, aufbereitet und in den Rechtsausschuß eingebracht. Das hat mich gefreut, und darum konnten wir auch zustimmen, weil im Grunde genommen das, was wir mit unserem Antrag bezweckt haben, schon während des Verfahrens — was außergewöhnlich ist — mit berücksichtigt worden ist und wir so einvernehmlich zu einer sehr guten Lösung kommen konnten. Dabei hat man nicht nur eine unsachgerechte Diskriminierung zurückgenommen, sondern, wie Sie das eben dargestellt haben, Herr Singer, auch anderen betroffenen Gruppen, nämlich den Gehörlosen, Spätertaubten und Stummen, eine adäquatere und vernünftigere Lösung angeboten.
Das Wort hat der Abgeordnete Detlef Kleinert.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach dem, was die Damen und Herren Vorredner schon gesagt haben, kann man nun wirklich nicht mehr sehr viel hinzufügen. Es ist einfach sehr bemerkenswert, meine ich, insbesondere aus liberaler Sicht, ohne anderen nahetreten zu wollen, daß eine zu begünstigende Gruppe sich gegen diese unglaubliche Fürsorglichkeit gewehrt hat, die in unserer Republik so modisch zelebriert wird, und daß die Damen und Herren zu uns gekommen sind und gesagt haben: Moment mal, wir sehen ja ein, daß das auch materielle Vorteile mit sich bringt, wenn man automatisch einen Pflichtverteidiger bekommt und wenn automatisch die Kosten dafür von der Staatskasse übernommen werden — das war ja Ziel und Sinn der ganzen Maßnahme —, aber das brauchen wir gar nicht; wir können uns selber helfen. — Daß das in einer Gruppe wie dieser besser akzentuiert wird als in vielen anderen Gruppen, ist aus psychologischen Gründen sehr gut verständlich. Der Vorgang läßt sich aber, wie ich meine, verallgemeinern. Hier wird sehr häufig Wohltat mit Vormundschaft verwechselt, hier wird sehr häufig Wohltat ausgestreut, von wem auch immer — ich will da zwischen Regierung und Parlament jetzt gar keinen Unterschied machen —, und hinterher stellt man fest: Die zu Begünstigenden haben das ein wenig anders gesehen. Wir haben das alle gemeinsam verstanden. Es gibt überhaupt keinen Anlaß, das zwischen den Fraktionen unterschiedlich zu akzentuieren. Wir haben daraus, meine ich, nur eine Lehre zu ziehen, nämlich diese: Fangen wir doch einmal damit an — das ist auch ein Beweislastproblem, das hier neuerdings immer wieder, insbesondere angesprochen von Leuten, die nicht genau wissen, was damit im Zusammenhang unseres Prozeßrechts gemeint ist, durch die Gegend geistert —, erst einmal zu unterstellen, daß jeder für sich selbst verantwortlich ist und insbesondere sehr dringlich gefragt werden muß, ob man ihm etwa eine Hilfe gewähren soll, bevor man ihm eine solche Hilfe andient und Menschen unselbständig macht, die sehr selbständig sind und darauf Wert legen — das war ja wohl der Kern dieses Mißverständnisses zwischen Gesetzgeber und angeblich zu Begünstigenden.Wenn wir das als Lehre zu uns genommen haben, können wir über einen kleinen anderen Punkt in diesem Zusammenhang nachdenken, nämlich: Wem wollen wir denn die nächsten Vergünstigungen zugute kommen lassen?
Wollen wir nicht vielleicht vorher — das haben mehrere Vorredner schon erwähnt — noch mehr Möglichkeiten nutzen, nicht nur in offiziellen Anhörungen, sondern auch im ganz persönlichen Gespräch, herauszufinden, ob derartige angebliche Vergünstigungen, die dann auch von den Betroffenen peinlicherweise und — wie ich es als Liberaler sehe — beglückender-weise als Benachteiligung empfunden werden, angedient werden sollen. Hüten wir uns vor Wiederholungen und seien wir denen dankbar, die uns dazu gebracht haben, dies in so rascher Zeit zu korrigieren!Dank gebührt allerdings auch dem Bundesminister der Justiz, der dafür gesorgt hat, daß die Sache nicht andersherum einfach vom Tisch gewischt worden ist,Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988 4665
Kleinert
sondern daß das gut Gemeinte erhalten geblieben ist, nämlich: Auf Antrag kann nunmehr ohne Nachprüfung jeder die Pflichtverteidigung in Anspruch nehmen. Das hat das Bundesjustizministerium mit den Verbänden der Betroffenen herausgearbeitet, und das ist über den Antrag der mit dem Vorgang befaßten Parteien hinausgegangen. Dafür danken wir dem Bundesminister der Justiz.Ich hoffe, daß wir wirklich etwas daraus lernen und daß sich das nicht heute abend nur so nett anhört.Danke schön.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz, Engelhard.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! An diesem Entwurf, der uns heute hier zusammengeführt hat, ist deutlich geworden, daß auch in einem System, das auf Sorgfalt und Ordnung — den guten Willen auch des Gesetzgebers eingeschlossen — bedacht ist, Fehler gemacht werden, Fehler in diesem Fall in einem ungemein sensiblen Bereich. Aber es ist auch deutlich geworden, daß nicht nur die Fähigkeit, sondern auch der Wille und die Möglichkeit bestehen, gemachte Fehler binnen einer sehr absehbaren Zeit zu korrigieren.
Als das Strafverfahrensänderungsgesetz am 1. April 1987 in Kraft trat, ging — verständlicherweise — zunächst eine Reihe von Monaten ins Land, bis der betroffene Personenkreis überhaupt Kenntnis von dem erhielt, was sich in dieser Gesetzesänderung getan hatte. Die Blindenverbände sind dann sofort tätig geworden. Wir haben uns am 16. Juni 1987 im Bundesministerium der Justiz zusammengesetzt. Ich habe bei dieser Gelegenheit gesagt, daß ich mit großem Nachdruck und auch mit Beschleunigung alles, aber auch alles tun werde, um hier eine Korrektur herbeizuführen.
Daß es jetzt nicht noch schneller gegangen ist, liegt daran, daß wir aus verständlichem und gutem Grund bemüht waren, nun auch mit den Verbänden der Gehörlosen und Stummen Kontakt aufzunehmen, um sie einzubeziehen, mit ihnen zu sprechen und ihre Wünsche zu kennen. So ist es hier jetzt auch geschehen.
Ich möchte dem Rechtsausschuß und seinen Mitgliedern danken, daß, sobald diese Abstimmungen mit den Verbänden vorgenommen waren und wir eine Formulierungshilfe gefertigt hatten, die Sache sofort
auf die Tagesordnung kam, beraten und einstimmig verabschiedet wurde, so daß heute abend — wie ich meine — Gelegenheit sein wird, auch hier zu einem einstimmigen Votum zu kommen.
Besten Dank.
Meine Damen und Herren, wir kommen zunächst zur Einzelberatung und Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD zur Änderung der Strafprozeßordnung.
Der Ausschuß empfiehlt einstimmig unter Buchstabe a auf der Drucksache 11/1933, diesen Gesetzentwurf in der Ausschußfassung anzunehmen.
Ich rufe nunmehr die Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Damit sind die aufgerufenen Vorschriften angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Es stimmen offensichtlich alle dafür, so daß sich alles andere erübrigt.
Wir kommen nunmehr zum Tagesordnungspunkt 25b. Der Rechtsausschuß empfiehlt unter Buchstabe b auf der Drucksache 11/1933, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — So ist auch diese Beschlußempfehlung einstimmig angenommen worden.
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich wünsche Ihnen für den Rest des Abends viel Vergnügen und berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 11. März 1988, um 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.