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ID1106809000

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    Plenarprotokoll 11/68 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 68. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988 Inhalt: Tagesordnungspunkt 22: Beratung des Antrags der Abgeordneten Müntefering, Conradi, Amling, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Die Wohnungsgemeinnützigkeit erhalten und stärken (Drucksache 11/1389) Müntefering SPD ......................4627 B Dr. -Ing. Kansy CDU/CSU................4629 C Frau Oesterle-Schwerin GRÜNE..........4633 A Grünbeck FDP..........................4634 D Jahn (Marburg) SPD....................4636 D Dr. Schneider, Bundesminister BMBau.. 4638 D Conradi SPD ..........................4641B Schulhoff CDU/CSU ....................4643 C Mischnick FDP (Erklärung nach § 30 GO) 4645 C Conradi SPD (Erklärung nach § 30 GO). 4645 D Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 8: Gesetz zu dem Übereinkommen vom 10. April 1984 über den Beitritt der Republik Griechenland zu dem am 19. Juni 1980 in Rom zur Unterzeichnung aufgelegten Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Drucksachen 11/1611, 11/1951).............4646 A Tagesordnungspunkt 23: Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Dr. Vollmer, Frau Olms und der Fraktion DIE GRÜNEN: Übernahme des Berliner Document Centers für NS-Akten durch die Bundesrepublik Deutschland (Drucksache 11/1926) Frau Olms GRÜNE......................4646 B Neumann (Bremen) CDU/CSU ..........4648 A Frau Hämmerle SPD....................4650 A Lüder FDP ............................4651C Dr. Waffenschmidt, Pari. Staatssekretär BMI ................. 4652 C Tagesordnungspunkt 24: Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Teubner, Frau Oesterle-Schwerin und der Fraktion DIE GRÜNEN: Maßnahmen zur Einpassung der Einzelhandelsnutzung in das übergeordnete Gesamtsystem der städtischen Entwicklung (Drucksache 11/1645) Frau Teubner GRÜNE ..................4654 A Oswald CDU/CSU......................4655 D Scherrer SPD ..........................4657 C Grünbeck FDP..........................4659 B Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär BMWi... 4660 C Tagesordnungspunkt 25: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Frau Dr. Däubler-Gmelin, Bachmaier, Klein (Dieburg), Dr. Pick, Schmidt (München), Schütz, Singer, Stiegler, Wiefelspütz, Dr. de With, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung (§140 Abs. 1 Nr. 4 StPO) (Drucksachen 11/816, 11/1933)II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988 b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Nickels und der Fraktion DIE GRÜNEN: Keine Zwangsverteidiger für Blinde (Drucksachen 11/624, 11/1933) Singer SPD .............. 4662 C Eylmann CDU/CSU .......... 4663 C Frau Nickels GRÜNE.......... 4663 D Kleinert (Hannover) FDP ................4664 C Engelhard, Bundesminister BMJ..........4665 A Nächste Sitzung........................4665 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten.. 4666* ADeutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988 4627 68. Sitzung Bonn, den 10. März 1988 Beginn: 17. 30 Uhr
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    4666* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. März 1988 Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 11. 3. Andres 10. 3. Antretter * 10. 3. Bahr 11. 3. Becker (Nienberge) 11. 3. Dr. Blank 10. 3. Böhm (Melsungen) * * 10. 3. Frau Brahmst-Rock 11. 3. Buschhom 11. 3. Buschfort 11. 3. Dr. Dregger 10. 3. Frau Fuchs (Köln) 11. 3. Dr. Glotz 11. 3. Dr. Hauff 11. 3. Dr. Haussmann 11. 3. Frau Hensel 11. 3. Ibrügger 11. 3. Frau Karwatzki 10. 3. Frau Kelly 11. 3. Kiechle 11. 3. Klein (Dieburg) 11. 3. Klein (München) 11. 3. Koschnick * * * 11. 3. Lenzer * * 10. 3. Lintner 11. 3. Dr. Mertens (Bottrop) 10. 3. Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Meyer 11. 3. Möllemann 10. 3. Müller (Schweinfurt) 11. 3. Oostergetelo 11. 3. Reddemann * 10. 3. Reimann 11. 3. Repnik 11. 3. Sauer (Salzgitter) * * * 11. 3. Seehofer 11. 3. Frau Schilling 11. 3. Schmidt (München) * * 10. 3. von Schmude 11. 3. Schreiber * * * 11. 3. Frau Simonis 11. 3. Dr. Spöri 11. 3. Frau Trenz 11. 3. Dr. Voss 10. 3. Dr. Waigel 11. 3. Wieczorek (Duisburg) 11. 3. Wilz 11. 3. Wischnewski 11. 3. Dr. de With 11. 3. Frau Wollny 11. 3. Dr. Zimmermann 11. 3. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union * * * für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Maria Luise Teubner


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90)

    Es ist heute ja wieder eine etwas merkwürdige Themenmischung. Ich hoffe doch sehr, daß die Parlamentsreform auch einmal ein bißchen bessere inhaltliche Strukturen in solche Debatten an einem Tag bringt.

    Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Tante Emma schlägt zurück" — dieses Motto, Herr Kollege Kansy, für meine heutige Rede habe ich mir nicht ausgedacht. „Tante Emma schlägt zurück" — ich wiederhole es gerne —, so lautete die Schlagzeile eines Kommentars, in dem sich der Herausgeber des westdeutschen Kapitalistensprachrohrs „Wirtschaftswoche" — kennen Sie ja wohl auch —, Herr Wolfram Engels, im Oktober letzten Jahres einige entlarvende Gedanken über die Bedeutung der seit mehreren Monaten in der Koalition tobenden Kartellrechtskontroverse machte. Entlarvende Gedanken insofern, als Herr Engels in diesem Kommentar sehr deutlich machte, in welche Widersprüche konservative Politik sich hierzulande verstricken kann, wenn sie es möglichst vielen unterschiedlichen Kapitalinteressen gleichzeitig recht machen will.

    Worum geht es? Seit Mitte der 60er Jahre hat — mit einiger zeitlicher Verzögerung gegenüber ähnlichen Prozessen in der Industrie — eine gigantische Konzentrationswelle den Einzelhandel erfaßt. Riesige Verbrauchermärkte entstanden in den Randzonen der Städte auf der sogenannten grünen Wiese. Tausende kleinere Betriebe verschwanden in den Dörfern und Kleinstädten, aber auch in den Kerngebieten und Vorstädten großer Gemeinden, in deren Fußgängerzonen sich die Monotonie der überall gleich gestalteten Boutiquen, Parfümerien und ja auch der Spielotheken ausbreitet.

    Egal, ob Sie in Köln über die Hohe Straße, in Frankfurt über die Zeil oder in Stuttgart über die Königstraße flanieren, alles kommt Ihnen irgendwie bekannt vor: Benetton ist überall, parfümiert mit einem Hauch von Douglas.


    (Frau Hämmerle [SPD]: Das stimmt!)


    Für einen Metzgerladen oder ein Milchgeschäft laufen Sie meilenweit.

    Haben Sie das Pech — oder das Glück, je nachdem —, im zur Zeit ja so vielfältig gelobten ländlichen Raum zu wohnen, dann sind Sie ziemlich aufgeschmissen, was Ihre Versorgung mit den Gütern des täglichen Bedarfs angeht. Es sei denn, Sie sind so privilegiert, ein Auto zu besitzen. Es ist immer noch ein Privileg; denn viele Bevölkerungsgruppen, z. B. Frauen mit Kindern, sozial Schwache, alte Leute, Behinderte haben immer noch kein Auto.


    (Dr. -Ing. Kansy [CDU/CSU]: Das ist ein Schmarren!)


    Wenn Sie also eines haben, dann haben Sie natürlich keine Probleme mit dem Einkauf; denn den erledigen Sie im Supermarkt auf der großen grünen Wiese. „Erzwungene Mobilität" nennt man so etwas. Das Verkehrsaufkommen wächst dadurch, und die Trennung der Bereiche Wohnen und Arbeiten und Sich-Versor-gen wird immer weiter verschärft.

    Nochmals erheblich verschärft hat sich gerade auch in den letzten Monaten die Konzentration im Handel, wie die „Wirtschaftswoche" vor zirka drei Wochen in einer Titelgeschichte verdeutlichte. Ich zitiere daraus:

    Die Listen über Beteiligungen und Tochtergesellschaften in den Geschäftsberichten der Großen werden immer länger. Besonders die aktuellen Zahlen sprechen für sich. Von August 1986 bis Ende vergangenen Jahres erreichte die Konzentrationswelle im Einzelhandel einen vorläufigen Höhepunkt. Gut 24 Milliarden Umsatz, errechnete das Bundeskartellamt, schluckten die Verkaufsflächenkönige.

    — Und das in knapp einem Jahr. —

    Im Vergleich zu dieser gigantischen Summe zählten die Wettbewerbshüter von 1980 bis 1984 den Aufkauf von gerade 16 Milliarden DM.

    — So weit die „Wirtschaftswoche".

    Allein — um noch ein Beispiel zu nennen — im ba-den-württembergischen Einzelhandel hat sich der Unternehmensbestand von 1968 bis 1982 um 40% verringert. Auf der Strecke bei diesem großen Fressen bleiben die kleinen, die nicht organisierten Händler, denen nicht einmal mehr die Wahl zwischen Wachsen oder Weichen bleibt, die gegenüber Riesen von 10 Milliarden DM Jahresumsatz wie Coop oder gar 18 Milliarden DM wie Aldi wie kleine Flöhe wirken.

    Mit ihnen auf der Strecke bleibt eine sichere Grundversorgung in vielen Stadtteilen und vor allem in den ländlichen Räumen. Auf der Strecke bleiben die Kaufmannsläden als Orte, wo man ja nicht nur einkauft, sondern wo oft notwendige soziale Kommunikation stattfindet. Auf der Strecke bleiben auch Zehntausende einigermaßen qualifizierte und dementsprechend besser bezahlte Arbeits- und Ausbildungsplätze.

    In Baden-Württemberg ist bei einer Umsatzsteigerung von 27, 6% zwischen 1979 und 1985 die Zahl der Beschäftigten im Einzelhandel um 1, 1% zurückgegangen. Die Zahl der Konkurse in diesem Bundesland steigerte sich vom Jahre 1985 auf 1986 um 35%.

    Dadurch sind neben den sogenannten distanzempfindlichen Bevölkerungsgruppen, die eben keine lan-


    Frau Teubner

    gen Wege zurücklegen können, um sich zu versorgen, und neben den Einzelhändlern selber die Verkäuferinnen die eigentlichen Opfer des Ladensterbens.

    Denn in der Hauptsache sind es Fachverkäuferinnen mit relativ höherem Verdienst, die ihren Arbeitsplatz durch diesen Prozeß verlieren.

    Der Anteil der schlechter verdienenden angelernten Kräfte steigt ebenso an wie der Anteil der Teilzeitkräfte mit extrem niedrigem Lohn und extrem schlechten Arbeitsbedingungen. 97 % der Teilzeitkräfte in diesen Supermärkten sind weiblich, und es gibt kaum eine Variante von Teilzeitarbeit, die in den großen Einzelhandelsmärkten noch nicht durchprobiert worden wäre.

    Wenn jetzt natürlich der Hinweis auf die Ladenschlußdebatte kommt oder zumindest in manchen Köpfen vorhanden ist, möchte ich hier ganz deutlich sagen, daß diese üblen Bedingungen für die Verkäuferinnen nicht durch die in der Ladenschlußdiskussion angestrebte Ausdehnung der Arbeitszeit auf 22 Uhr verbessert werden, sondern im Gegenteil: Sie werden nur noch weiter verschlechtert.


    (Beifall bei den GRÜNEN)


    Deswegen ist diese Debatte auch völlig ungeeignet, sie hier als Argument anzuführen, um die Existenz der kleinen Läden zu sichern. Da muß man sich etwas entschieden anderes einfallen lassen als die Erweiterung der Öffnungszeiten.


    (Frau Traupe [SPD]: Das stimmt! Ja!)


    Es bedarf einschneidender Maßnahmen — diese schlagen wir in unserem Antrag vor —, z. B. im Kartellrecht, im Bauplanungsrecht oder im Mietrecht. Wir haben, um die Nachfragemacht der Unternehmen zu brechen, beispielsweise vorgeschlagen: Es geht nicht an, daß ein großes Handelsunternehmen bei seinen Lieferanten wie ein Monopolist auftreten und die Lieferbedingungen diktieren kann.

    Es geht weiterhin nicht an, daß der Verkauf unter Selbstkostenpreis zur Behinderung von schwächeren Mitbewerbern nicht endlich klar verboten wird.

    Kleine und mittlere Unternehmen, z. B. auch Unternehmen im Alternativbereich, müssen vereinfachte Möglichkeiten zur Kooperation bekommen.

    Ein weiterer Vorschlag von uns bezieht sich auf den Bereich der Städtebauförderung und sieht vor, daß diese Mittel einerseits erhöht werden und zur Existenzsicherung oder auch zur Existenzgründung von mittelständischen Einzelhändlern einsetzbar sein müssen. Schließlich kann man sich nicht auf der einen Seite damit rühmen — wie es Herr Schneider immer wieder macht —, daß mit großem staatlichen finanziellen Aufwand die Sanierung von Dorfgebieten und Stadtkernen vorangetrieben wird und daß man auf der anderen Seite einfach dabei zusieht, daß der Erfolg dieser Maßnahmen durch Großvertriebsformen des Handels auf der grünen Wiese wieder zerstört wird.

    Wir sind allerdings ziemlich gespannt, wie sich die Kapitalfraktion in diesem Hause, die hier ja immer noch, wenn auch nur mager, vertreten ist


    (Beckmann [FDP]: Wir werden länger hier bleiben als Sie!)


    — allerdings vermisse ich einen Kollegen, der sich da schon ziemlich herausgehängt hat, und das ist der Herr Wissmann; aber der fühlt sich wahrscheinlich heute abend nicht so zuständig —, aus dieser Zwickmühle herausreden und -retten wird. Denn angeblich wollen auch Sie den kleinen Händlern helfen, ohne aber dabei den großen weh zu tun. Ich wette, am Ende wird es doch für die großen ausgehen.

    Zwar hat der Vorstandsvorsitzende der Firma Baden-Württemberg AG, Lothar Späth, höchstselbst im Bundesrat einen einigermaßen löblichen Vorstoß in Sachen Kartellrechtsnovellierung unternommen. Herr Wissmann, von dem ich eben sagte, daß ich ihn vermisse, hat im September noch groß tönend — das war in der „Zeit" zu lesen — eine schnelle Befassung des Bundestages mit dem Thema versprochen, indem er sagte: „Wir müssen allen Zögerern Feuer unter dem Stuhl machen", was die Kartellrechtsnovelle angeht.

    Am Ende wird aber wohl Herr Engels (der von der „Wirtschaftswoche") recht behalten, wenn er unter der bereits zitierten Überschrift „Tante Emma schlägt zurück" zunächst analysiert — ich zitiere ihn noch einmal —:

    Der Durchbruch des Wettbewerbsprinzips ist eine gewaltige Kulturleistung.

    Das hat er u. a. mit folgendem Beispiel bewiesen

    — ich zitiere noch einmal Herrn Engels —:

    Wer in dieser Gesellschaft Bundeskanzler oder Vorstand der Deutschen Bank wird, entscheidet sich im Wettbewerb.

    Wie schön.


    (Lachen bei Abgeordneten der GRÜNEN und der SPD)


    Er warnte dann davor, daß mit der Einzelhandelskontroverse das Prinzip des Wettbewerbs selbst angegriffen wird. Der Herr Engels meinte natürlich die „Tante Emma", die den Wettbewerb kaputtmacht; wir meinen allerdings, daß das von den anderen Fraktionen ausgeht. Wir können uns wohl denken, daß die Herrschaften von Aldi, von Asko, von Allkauf das natürlich niemals zulassen werden. Wenn in diesem Land jemand den Wettbewerb bedroht, dann erledigen die großen Konzerne das Geschäft immer noch am effizientesten selbst.

    Wir sind gespannt, wie Sie — hier spreche ich vor allen Dingen die Koalitionsfraktionen an — mit diesem Zwiespalt umgehen werden.

    Vielen Dank.


    (Beifall bei den GRÜNEN)




Rede von Dieter-Julius Cronenberg
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat der Abgeordnete Oswald.


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Eduard Oswald


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Überlegung, mit gesetzlichen und anderen staatlichen Maßnahmen


    Oswald

    die Existenz und die Rentabilität kleiner Dienstleistungsbetriebe und Einzelhandelsläden insbesondere im ländlichen Raum zu sichern, ist nicht neu, Dahinter steht die Hoffnung, auf diese Weise die wohnungsnahe Grundversorgung der Bevölkerung zu gewährleisten. Dieser Gedanke mag ohne Zweifel vordergründig bestechen. Bei näherer Betrachtung begegnet ein solches Vorhaben aber einer ganzen Reihe von Fragezeichen, die man bei einer solchen Diskussion nicht außer acht lassen darf.

    Sicher ist es ein ganz wichtiges Anliegen, in Stadt und Land, gut strukturierte Einkaufsmöglichkeiten mit einem vielfältigen Warenangebot zu erhalten und eine möglichst verbrauchernahe Versorgung zu sichern.

    Aber das Einkaufsverhalten der Verbraucher

    — das kann man einfach nicht wegwischen — hat sich geändert. Die Bürger in unserem Lande sind mobiler geworden und nutzen diese Mobilität gerne, um Einkaufsgelegenheiten mit einem breitgefächerten preiswerten Angebot von Waren aufzusuchen. Für die kleinen örtlichen Geschäfte bleibt oft nur die Deckung des Restbedarfs.

    Wir können das Einkaufsverhalten der Verbraucher auch auf dem Lande nicht kanalisieren. Wir können die Kaufleute nicht verpflichten, unrentable Läden offenzuhalten. Es kommt auf verbrauchergerechte Lösungen im Rahmen unserer sozialen Marktwirtschaft an und nicht auf ein Ansteuern gegen die Marktkräfte. Aus der Tatsache, daß „der tiefgreifende Strukturwandel im Einzelhandel auch heute noch nicht zu Ende gekommen ist" — diese Formulierung steht so in Ihrem Antrag —, ergibt sich weder eine politische Notwendigkeit noch eine Rechtfertigung, um so schwerwiegend — ich zitiere aus Ihrem Antrag — mit

    differenzierten Instrumenten steuernd in diesen Entwicklungsprozeß mit seinen vielfältigen gesellschaftlichen Implikationen einzugreifen.

    — So Ihr Zitat.


    (Beifall bei der CDU/CSU)


    Strukturwandel muß und wird in der Marktwirtschaft ständig stattfinden. Strukturkonservierende Maßnahmen schlagen letztlich auf die Erzeuger und die Verbraucher gleichermaßen negativ zurück. Bester Steuerungsmechanismus ist und bleibt der Wettbewerb im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft.

    Die Koalition hat zur Sicherung des Wettbewerbs und der Wettbewerbsfähigkeit auch der kleinen und mittleren Betriebe eine Überprüfung der kartellrechtlichen Vorschriften beschlossen. Das haben Sie hier auch zur Kenntnis genommen. CDU und CSU haben Ihre Forderungen — auch der Kollege Wissmann, den Sie zitiert haben — hierzu auf den Tisch gelegt.

    Meine Damen und Herren, es geht uns nicht darum, einen Schutzzaun um den Einzelhandel zu bauen oder den Strukturwandel zu steuern, sondern darum, Wettbewerbsmißbräuche — das scheint mir das Entscheidende zu sein — einzudämmen und den Wettbewerb zu sichern. Wir erwarten ja in Kürze aus dem Bundeswirtschaftsministerium eine konkrete Vorlage zur Novellierung des Kartellrechtes. Der Herr Staatssekretär

    ist ja anwesend und wird sicher auch dazu etwas sagen.


    (Dr. -Ing. Kansy [CDU/CSU]: Schön!)


    Der Vorschlag der GRÜNEN zur Änderung der Baunutzungsverordnung schießt über das Ziel hinaus

    — wie manches natürlich, was Sie gesagt haben. Mit dem neuen Baugesetzbuch sind für die Kommunen bereits die planungsrechtlichen Voraussetzungen verbessert worden.


    (Dr. -Ing. Kansy [CDU/CSU]: Richtig! - Conradi [SPD]: Na, na!)


    — Das ist doch so.

    Das Baugesetzbuch betont jetzt die Aufgaben der Gemeinden, beim Einsatz ihrer bauleitplanerischen Mittel auch die möglichen negativen Folgen großer Einzelhandelsbetriebe für die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung zu bedenken.

    Der Antrag — so steht es darin — auf Streichung des § 11 Abs, 3 der Baunutzungsverordnung würde in der Konsequenz bedeuten, daß großflächige Einzelhandelsbetriebe wieder wie vor 1968 in den meisten Baugebieten sogar einen Rechtsanspruch auf Zulassung hätten. Die bisherigen baurechtlichen Restriktionen, die zu einer deutlichen Verlangsamung des Wachstums dieser Betriebsformen geführt haben

    — das wird wohl niemand bezweifeln —, würden entfallen.

    Ich darf in diesem Zusammenhang natürlich auch an die in unserem föderativen Staatswesen zuständigen Ländern und ihre Verantwortung erinnern. Sie haben gerade im Rahmen ihrer Landesplanung Verantwortung und Verpflichtung,


    (Dr. -Ing. Kansy [CDU/CSU]: Sehr gut!)


    der Versorgung des ländlichen Raumes Rechnung zu tragen, und sie tun dies natürlich auch.

    Die Forderung der Antragsteller nach einem verbesserten Mieter- und Kündigungsschutz — als nächstes Thema — ist nicht neu.


    (Müntefering [SPD]: Aber gut!)


    Durch eine sehr vage Formulierung — wenn man das nachliest —


    (Grünbeck [FDP]: Wer sagt das?)


    werden die Risiken verschleiert, die mit solchen Forderungen verbunden sind. Verschärfter Mieterschutz kann allenfalls zu einer insgesamt geringfügigen Verzögerung eines solchen Prozesses im Einzelfall, nicht aber zu einer Verhinderung — wie man sagt: des „Ausmietens" alteingesessener Geschäftsinhaber — führen,

    Ein Widerspruchsrecht — auch das taucht auf — der gewerblichen Mieter und eine zwingend ausgestaltete Verlängerung der Kündigungsfristen wäre ein sehr schwerwiegender Eingriff in die Vertragsfreiheit. Dies begegnet rechtspolitischen Bedenken und widerspricht dem Bemühen, staatliche Reglementierungen für die Wirtschaft abzubauen. Das ist ja unser gemeinsames Ziel.

    Wie die Erfahrungen im Wohnungsbau gezeigt haben, könnte ein überzogener Mieterschutz längerfri-


    Oswald

    stig die notwendige Flexibilität im Mietmarkt hemmen und die notwendige Neubau- und Sanierungstätigkeit beeinträchtigen. Die dann eintretende allgemeine Verknappung und Verteuerung geeigneter Geschäftsräume würde letztlich zu Lasten der Geschäftsleute und damit auch wieder der Verbraucher gehen. Nach meinen Informationen hat auch keiner der interessierten Verbände einen materiellen Kündigungsschutz im Sinne eines Widerspruchsrechts des Mieters oder gar einer Beschränkung der Kündigungsmöglichkeit auf bestimmte Fallgruppen gefordert.

    Auch für einen verbesserten Schutz der Mieter bei der Vollstreckung von Räumungstiteln über Geschäftsräume wollten sich die angehörten Verbände nicht aussprechen, daß sich der Einzelhändler im Ernstfall — diese Frage muß man einfach bedenken — auf einen für ihn unter Umständen kostspieligen und arbeitsaufwendigen Prozeß einlassen müßte. Deshalb halte ich persönlich derzeit Initiativen für eine Änderung des geltenden Geschäftsraummietrechts nicht für dringlich. Aber ich schließe nicht aus, daß sich auf Grund eingehender Erhebungen, die ja bundesweit durch den Bundesminister der Justiz in Abstimmung mit den Verbänden durchzuführen sind, weiterführende Gesichtspunkte ergeben.


    (Müntefering [SPD]: Ja, man kann ja klüger werden!)


    — Immer. Das sollte grundsätzlich gelten.


    (Beifall des Dr. -Ing. Kansy [CDU/CSU])


    Auch der Vorschlag, Kleinläden auf dem Land dadurch zu halten, daß zusätzliche private oder staatliche Dienste angeboten werden — z. B. Rezepte sammeln, Post aufgeben usw. —, wird kleine ländliche Geschäfte mit unzureichendem Lebensmittelumsatz nur schwerlich betriebswirtschaftlich rentabel machen. Solche Zusatzdienste werden bei hoher Nachfrage personal- und kostenintensiv, andernfalls aber kaum ertragreich.

    Meine Damen und Herren, diese Skepsis soll uns nicht daran hindern, alle in unserer marktwirtschaftlichen Ordnung sinnvollen staatlichen Einflußmöglichkeiten zugunsten der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der kleinen und mittleren Betriebe und zur Sicherung der Versorgung des ländlichen Raumes auszuschöpfen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Dazu zählt auch die heute schon angebotene staatliche Hilfe zur Selbsthilfe durch die Förderung von Existenzgründungen oder von Investitionen zur Erweiterung, Rationalisierung und Modernisierung kleinerer und mittlerer Unternehmen, die eine betriebswirtschaftliche Rentabilität erwarten lassen. Der Erfolg hängt meines Erachtens sehr von der persönlichen Eignung und von der persönlichen Einsatzbereitschaft der Ladenbetreiber auch mit ab.

    Die ortsnahe Versorgung aller Bevölkerungsschichten, auch der älteren und sozial schwachen Mitbürger, mit Waren und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs ist ganz sicher ein unverzichtbares Element der Lebensqualität im ländlichen Raum. Ergänzende Versorgungsfunktionen zum stationären Handel kön-

    nen auch mobile Verkaufsstellen mit übernehmen. Man sollte die Bedeutung dieses Bereichs nicht unterschätzen.


    (Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)


    Daneben gibt es glücklicherweise auch in unseren Dörfern immer noch eine gut funktionierende Familien- und Nachbarschaftshilfe. Es gehört auch dazu, daß man dies erwähnt.

    Meine Damen und Herren, weder die Politik noch die Wirtschaft sind aber letztlich in der Lage, dort, wo die notwendige Nachfrage fehlt, defizitäre Kleinstläden mit staatlicher Hilfe aufrechtzuerhalten. Dies wäre ein teurer Irrweg. Nutzen wir jetzt also die kommenden detaillierten Ausschußberatungen, um den Dialog in dieser Frage weiter zu vertiefen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)