Meine Damen und Herren! Erst in diesen Wochen, 55 Jahre nach der Machtübergabe an das nationalsozialistische Regime in Deutschland, geriet das Berliner Document Center in die öffentlichen Schlagzeilen. In Berlin-Zehlendorf befindet sich eine wahre Fundstätte mit über 100 Millionen Aktenblättern, Mitgliederkarteien der NSDAP, der SS, der SA, des Rasse- und Siedlungshauptamtes, ein Reichsärzteverzeichnis, die sogenannten Ariernachweise, Verfahren am berüchtigten Volksgerichtshof, unzählige Korrespondenzen und allerlei Ehrerbietungen prominenter Künstler an die damaligen faschistischen Machthaber.
Es ist bezeichnend für den Umgang mit der jüngsten deutschen Geschichte, daß nicht etwa aus den Akten aufgespürte Täter und Komplizen des NS-Regimes den Aktenstaub der letzten Zeit aufwirbelten, sondern Schieber und Hehler, vielleicht auch eine mafiaähnliche Geheimorganisation, wie die „Berliner Morgenpost" mutmaßte, aber nicht nachweisen konnte. Das ist deshalb bezeichnend, weil es offensichtlich leichter war, mit der Gewalt des Geldes Teile dieser Akten aus dem Document Center herauszuholen, als an die Akten heranzukommen. Bezeichnend ist das aber vor allem, weil das Berliner Document Center die enorme kollektive Verdrängungsleistung von Schuld über die Verbrechen des Nazi-Regimes symbolisiert. Das Document Center ist gewissermaßen ein schlummernder Außenzeuge, ein riesiger Entsorgungspark für die jüngste deutsche Geschichte.
*) Aufruf dieses Punktes: 67. Sitzung, Seite 4602 A
Mit Ausnahme der Originalakten über Adolf Eichmann wurden keine weiteren Täter und Komplizen des NS-Regimes aus dem reichen Aktenberge zutage gefördert. Än den dort lagernden „heißen Kartoffeln", wie der amerikanische Leiter des Archivs Simon die brisanten Materialien bezeichnete, hat sich bis heute niemand verbrennen können und auch nicht sollen. Daß uns, der bundesdeutschen und der internationalen Öffentlichkeit der Spiegel der eigenen Vergangenheit vorenthalten wird, daran haben viele, allzu viele Menschen in diesem Land, aber auch die Regierenden in den USA ein gemeinsames Interesse.
Der stillschweigende und dumpfe Konsens darüber, die vergilbenden „heißen Kartoffeln" in den Kellern des Document Center einer öffentlichen und systematischen Auswertung zu entziehen, beruht zum einen darauf, nach dem Kriege nicht diejenigen mit ihrer eigenen Vergangenheit zu kompromitieren, die in Politik und Wirtschaftsunternehmen führende Positionen besetzt hatten. Denn „brächte man ihre Namen in Verbindung mit ihren Aktivitäten" in der NS-Zeit „so würden sie und die deutsche Regierung in Schwierigkeiten kommen", wie der Leiter des Document Center in einer BBC-Sendung vor zehn Jahren freimütig bekannte.