Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 74. Sitzung des Deutschen Bundestages und bitte den Schriftführer Herrn Abgeordneten Matthes, die Namen der fehlenden Mitglieder des Hauses bekanntzugeben.
Es fehlen wegen Erkrankung die Abgeordneten Frau Dr. Brökelschen, Morgenthaler, Even, Ritzel, von Campe, Hellwege, Wartner, Wittmann, Loritz, Dr. Richter , Dr. Bertram, Bettgenhäuser, Dr. Gülich, Mißmahl, Frau Albrecht, Meitmann. Entschuldigt fehlen die Abgeordneten Neuburger, Dr. Dr. Müller (Bonn), Hagge, Dr. Kopf, Naegel, Dr. Henle, Junglas, Stauch, Bromme, Frau Schroeder (Berlin), von Knoeringen, Görlinger, Freitag, Bielig, Reitzner, Kalbfell, Dr. Nowack (Rheinland-Pfalz), Dr. Middelhauve, Dr. Oellers, Dirscherl, Eickhoff, Aumer, Rahn, Wallner, Freudenberg, Gockeln, Dr. Baumgartner, Henßler. Außerdem fehlen die Abgeordneten Reimann, Renner, Rische, Vesper, Müller (Offenbach).
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren!
Ich habe folgende Mitteilung zu machen. Der Herr
Bundeskanzler hat an mich wie folgt geschrieben:
Ab 13. Juli werde ich mich für etwa drei bis
vier Wochen auf Erholungsurlaub begeben.
Während meiner Abwesenheit wird der Herr
Minister Blücher in meiner Vertretung die laufenden Geschäfte erledigen.
Ich bitte das Haus, davon Kenntnis zu nehmen.
Meine Damen und Herren! Wir haben nunmehr über eine Erhöhung der Zahl der Schriftführer zu beschließen, wie das im Ältestenrat besprochen war. Für die Wahl der Schriftführer ist § 17 der Geschäftsordnung maßgebend. Ich möchte die Sache vereinfachen, indem ich Ihnen die Namen der von den Fraktionen benannten neuen Schriftführer vorlese und Sie dann um Ihre Zustimmung bitte. Es handelt sich um folgende Mitglieder des Hauses: die Abgeordneten Nellen und Massoth , Matzner und Tenhagen (SPD), Dr. Hasemann (FDP), Dr. Decker (BP), Eickhoff (DP), Reindl (WAV), Frau Arnold (Z). Darf ich das Einverständnis des Hauses mit der Zuweisung der genannten Schriftführer zum Vorstand feststellen? — Ich höre keinen Widerspruch; es ist demgemäß beschlossen.
Ich habe weiter mitzuteilen: Der Herr Bundeskanzler hat unter dem 12. Juli 1950 die Anfrage Nr. 70 der Fraktion der Deutschen Partei, Drucksache Nr. 866, betreffend Hilfe für die Handwerksbetriebe in Schleswig-Holstein und Niedersachsen beantwortet. Die Antwort wird unter Drucksache Nr. 1142 vervielfältigt werden.
Wir treten damit in die Tagesordnung ein. Punkt 1 der Tagesordnung muß zunächst zurückgestellt werden, weil der Regierungsvertreter, Herr Staatssekretär Schalfejew, sich zur Zeit noch zu einer Besprechung auf dem Petersberg befindet. Nach seiner Rückkehr kann die Interpellation der SPD betreffend Hilfsmaßnahmen für das KupferSchiefer-Bergwerk in Sontra beantwortet werden.
Dann kommen wir zu Punkt 2 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung von Vorschriften des Verschollenheitsrechts .
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die schriftliche Begründung als gegeben anzunehmen, damit die erste Beratung als abgeschlossen zu betrachten
und die Drucksache Nr. 1100 an den zuständigen Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht zu überweisen. Darf ich Ihre Zustimmung dazu feststellen? — Ich höre keinen Widerspruch; es ist demgemäß beschlossen. Punkt 2 der Tagesordnung ist damit erledigt.
Wir kommen nunmehr zu Punkt 3 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Vertrieb jugendgefährdender Schriften .
Dazu macht Ihnen der Ältestenrat folgenden Vorschlag. Er appelliert eindringlich an den Herrn Bundesinnenminister, sich mit etwa 10 Minuten zu begnügen — wobei ich durchaus nicht kleinlich sein werde —, und empfiehlt, die Gesamtredezeit auf 60 Minuten festzusetzen. Darf ich zu diesem letzteren Vorschlag das Einverständnis des Hauses feststellen? — Ich höre keinen Widerspruch; es ist demgemäß beschlossen.
Ich erteile nunmehr zur Einbringung des Gesetzentwurfes Drucksache Nr. 1101 dem Herrn Bundesinnenminister das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch Gesetzgebungsmaterien haben ihre Jubiläen. Im Juni 1900, also vor 50 Jahren, erging die lex Heinze, d. h. der § 184a wurde in das Strafgesetzbuch eingefügt, durch den unzüchtige Schriften unter Strafe gestellt sind. In der damaligen Diskussion um diese lex Heinze ist das ganze Für und Wider der Argumente zu dieser Materie in Bewegung gekommen.
Etwa auf der Mitte der Zeitstrecke steht das Reichsgesetz zur Bewahrung der Jugend vor Schmutz- und Schundschriften vom 12. Dezember 1926. Auch bei dessen Behandlung kam abermals das ganze Für und Wider der Argumente zum Austrag. Das Gesetz von 1926 wurde 1935 von den Nazis aufgehoben und durch Maßnahmen der Schrifttumskammer ersetzt. Es ist also eine Lücke hinterblieben, die es nun durch diese Vorlage zu schließen gilt.
Wer die früheren Diskussionen aus der Zeit um 1900 oder aus der Zeit um 1926 kennt, der wird wissen, welche Prunkstücke der Argumentation auch heute alsbald wieder zur Hand sein werden. Es wird wahrscheinlich wieder zu sprechen sein von den Gemälden Michelangelos oder von den Elegien Goethes oder anderen besonders schönen Belegstücken. Ich möchte aber von vornherein sehr nachdrücklich darauf aufmerksam machen, daß vieles von dieser früheren Argumentation an dieser Vorlage vorbeigehen wird, weil sie sich von den früheren Problemstellungen wesentlich unterscheidet.
Folgende Einzelheiten sind aus dieser Vorlage kurz hervorzuheben. Die Vorlage enthält sich jeglicher Diskriminierung irgendwelcher Schriften. Die Prüfstellen sind keine Zensurstellen, sie geben also kein moralisches, sie geben auch kein ästhetisches Urteil ab, sie verfolgen ausschließlich ein erzieherisches Problem, indem sie feststellen, ob eine Schrift so geartet ist, daß sie die Jugend sittlich gefährden würde.
Diese Entscheidung der Prüfstellen beinhaltet keinerlei Auswirkungen hinsichtlich des Vertriebs einer solchen betroffenen Schrift an erwachsene Personen. Überhaupt nicht beanstandet werden dürfen Schriften wegen ihrer politischen, sozialen oder weltanschaulichen Zielsetzung. Auch muß alles unbeanstandet bleiben, was der Kunst, der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre dient
I oder was im öffentlichen Interesse publiziert wird. In allen diesen Fällen haben die genannten Gesichtspunkte den Vorrang vor dem Jugendschutz.
Auf der anderen Seite ist ein besonderes Wort über die Schriften zu sagen, die durch Bild für die Nacktkultur werben. Zunächst darf ich bemerken, daß der Bund für Freikörperkultur in Deutschland mit Bedauern festgestellt hat, daß kein Mitglied des Bundestages ihm angehört.
Wir sind also ganz unter uns, und so sehr es die parlamentarische Szenerie beleben würde, wenn wir einmal nach den Spielregeln dieses Freikörperbundes tagen würden,
so glaube ich doch, daß wir auch ohnedem kompetent sind, diesen Punkt zu behandeln.
Die Vorlage will Schriften, welche durch Bild für die Nacktkultur werben, ohne weiteres den Vertriebsbeschränkungen unterwerfen. Auch darin liegt keine Diskriminierung derartiger Bestrebungen überhaupt. Die Nacktkulturinteressenten können weiterhin ihre illustrierten Schriften herstellen, sie können weiterhin werben, aber sie sollen es nicht tun durch den öffentlichen Aushang solcher Schriften.
Hier soll der Schutz der Jugend den Vorrang haben.
Alles in allem also ist die Vorlage überaus zurückhaltend. Sie wird eher manche Erwartungen vom Standpunkt des Jugendschutzes enttäuschen, als daß sie diesen Schutz übertriebe. Sie kommt im Endergebnis darauf hinaus, daß wir künftig dreierlei Schrifttum haben werden, nämlich erstens den weitaus größten Kreis des nach wie vor völlig
freien Schrifttums, zweitens den recht engen Kreis
von jugendgefährdendem Schrifttum im Sinne dieser Vorlage, welches nicht an Jugendliche, wohl aber an Erwachsene vergeben werden darf, und endlich drittens das unzüchtige Schrifttum im Sinne der allgemeinen Strafgesetze und sonderlich der von mir eingangs erwähnten lex Heinze. Solches unzüchtige Schrifttum darf weder an Jugendliche noch an Erwachsene vertrieben werden.
Trotz aller dieser Zurückhaltung der Vorlage bleiben natürlich die grundsätzlichen Einwände, und dazu möchte ich folgendes sagen. Soweit die Einwände sich lediglich auf die Methode beziehen, mit der die Vorlage die jugendgefährdenden Schriften anfassen will, kann ihnen meines Erachtens sehr leicht begegnet werden. Es wird einmal vorgeschlagen, das Problem über das Steuerrecht zu lösen, derart, daß Schriften im Sinne der Vorlage durch eine Sondersteuer verteuert werden sollen. Dieser Weg, meine Damen und Herren, verbietet sich — von manchen anderen Gründen abgesehen — schon deshalb, weil die mit einer Sondersteuer zu belegenden Schriften ja auch durch Prüfstellen bezeichnet werden müßten. Da kommen wir also doch grundsätzlich nicht auf eine andere Linie.
Es wird zum anderen vorgeschlagen, das Problem ausschließlich durch das Strafgesetzbuch zu lösen. Eine nachträgliche Feststellung durch einen Strafrichter reicht aber nicht aus, um klare und sichere Verhältnisse zu schaffen. Gerade die Zeitschriftenhändler selbst müssen Wert darauf legen, von vornherein bündig zu wissen, was es mit einer Schrift auf sich hat. Irgendwann nachträglich ergehende Strafurteile, womöglich noch Strafurteile
verschiedenen Inhalts, bringen die Händler ja nur in Risiken und nehmen dem Jugendschutz obendrein seine Wirkung, weil die Schriften längst vertrieben sein werden, ehe ein Strafurteil ergeht. Ich bin also der Meinung, daß methodisch gegen die Vorlage nichts Rechtes gesagt werden kann.
Eine andere Frage wäre die der Selbstkontrolle der Verleger, eine Selbstkontrolle nach der Art, wie sie in der Filmindustrie etabliert worden ist und als durchaus wirksam angesehen werden kann. Es muß aber hier festgestellt werden, daß eine solche Selbstkontrolle der Verleger nicht zustande gekommen ist und wegen der überaus großen Zahl der Beteiligten wahrscheinlich auch nicht zustande kommen wird. Sollte aber einmal eine wirksame Selbstkontrolle der Verleger nachträglich entstehen, so kann ja überlegt werden, welche Forderungen der Gesetzgeber daraus ziehen will. Für eine Selbstkontrolle der Verleger bleibt über dieses Gesetz hinaus noch Betätigungsmöglichkeit genug, sonderlich auf dem weiten Feld der Schundliteratur.
Wesentlicher sind natürlich die Einwände, die sich darauf beziehen, daß jugendgefährdende Schriften überhaupt nicht gesetzgeberisch angefaßt werden sollen. Nun, diese Meinungsverschiedenheiten werden ja hier in der Debatte zu Tage treten und wahrscheinlich unüberbrückbar unter uns stehenbleiben, so daß letzten Endes eben eine Entscheidung gefällt werden muß. Von denen, die so grundsätzlich gegen eine gesetzgeberische Behandlung dieser Materie auftreten, wird gesagt, daß jeder Eingriff in die Meinungsfreiheit gefährlich sei; nur bei uneingeschränkter Freiheit könnten die Menschen ihre Kräfte völlig zum Wohle der Gesamtheit entfalten, und daran habe die Gesamtheit das entscheidende Interesse. Es wird gesagt, daß die Gefahren der Freiheit geringer wögen als die der Einschränkung.
Das alles sind, wie ich ausdrücklich hervorheben möchte, in diesem Falle nicht Argumentationen von Herrn Professor Erhard, sondern von Herrn Professor Carlo Schmid.
„Wer sicher gehen will, verarmt", sagt Professor Càrlo Schmid in einem seiner Zeitungsaufsätze wörtlich zu unserem Thema. Wir haben hier also eine seltsame Verlagerung der Fronten, nur daß Professor Erhard sich bei seinen Argumentationen für die Wirtschaftsfreiheit darauf berufen kann, daß die Konkurrenz in der gewerblichen Wirtschaft den Leistungsgrad der Produktion steigert, während sie hier den Gehalt eines gewissen Schrifttums nach unten drückt.
Auch kann man hier nicht sagen, daß der Kunde der beste und zuverlässigste Schiedsrichter gegenüber den konkurrierenden Produzenten sei.
In puncto Schmutzliteratur ist nämlich der Kunde nicht einwandfrei auf den geographischen Nordpol bester Qualität eingestellt, sondern sehr leicht auf den erotischen Nordpol der Abirrung vom guten Weg. Deshalb ist es geboten, im Bereiche des jugendgefährdenden Schrifttums nicht einfach in Liberalismus zu machen.
Sicher ist die Meinungsfreiheit ein Grundrecht. Aber sie ist zugleich auch ein Geschäft. Das Geschäft mit der Schamlosigkeit hat aber zumindest bei der Jugend aufzuhören. In diesem Sinne läßt Art. 5 Abs. 2 des Grundgesetzes eine Einschränkung der Meinungsfreiheit ausdrücklich zu.
Indem wir von dieser verfassungsmäßigen Möglichkeit Gebrauch machen, fangen wir durchaus nicht
an, die Freiheit abzubauen, sondern sie zu schützen.
Von Herrn Professor Carlo Schmid ist auch gesagt worden, daß der erste Schritt auf diesem Wege alsbald weitere Schritte nach sich ziehen würde. Ich vermag natürlich nicht zu prophezeien, was morgen sein wi rd. Ich halte es aber für gut möglich, daß die Regenten von morgen mit den Freiheiten von heute sehr böse umspringen. werden, wenn wir sie nicht vor Entartungen schützen.
Das sind die Gründe, meine Damen und Herren, weshalb Ihnen die Bundesregierung diese Vorlage unterbreitet und damit im übrigen einen Auftrag des Bundestages ausführt, der ihr am 16. Dezember des vergangenen Jahres mit einer überwältigenden Mehrheit hier erteilt worden ist. Im Hinblick darauf, daß der Ältestenrat nur eine kurze Einbringung wünscht, lasse ich alle sonstigen Dinge der Vorlage beiseite. Sie haben ja eine sehr ausführliche gedruckte Begründung zur Hand.
Ich möchte abschließend nur dieses sagen: Selbstverständlich ist die Bundesregierung nicht der Meinung, daß mit dieser Vorlage alles wesentliche für die Jugend getan sei. Die Jugend braucht positive Hilfen, nämlich Ausbildung, Arbeit, Wohnung, Sport, das gute Buch und manches andere. Wenn wir aber solches alles jetzt und heute nicht ausreichend geben können, so darf das nicht hindern, die Jugend vor dem zu schützen, was ihr schädlich ist, und das will diese Vorlage bewirken.
Meine Damen und Herren! Sie haben die Einbringungsausführungen des Herrn Bundesinnenministers gehört.
Wir beginnen die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Kemmer.
Meine Damen und Herren! Es bedarf wohl keines Beweises, daß die Schmutzflut, die heute durch jugendgefährdende Schriften über unsere Jugend hereingebrochen ist, wirklich zu einer ernsten Gefahr für unsere Jugend geworden ist. Den Verantwortlichen aller Kreise und aller Richtungen ist ebenfalls klar, daß die Jugend, insbesondere die Jugend unter 16 Jahren,- davor geschützt werden muß. Erst darüber, welche Maßnahmen getroffen werden müssen, um einen wirklichen Schutz zu erreichen, gehen die Meinungen auseinander.
Dor uns vorliegende Gesetzentwurf findet grundsätzlich die Zustimmung unserer Fraktion. Wir sind allerdings der Meinung, daß der Änderungsvorschlag des Bundesrates, der in § 1 nur Schriften aufnehmen will, die sittlich erheblich gefährden, das ganze Gesetz verwässert.
Hier muß einfach die Fassung des Regierungsentwurfs bleiben.
Welches sind nun die hauptsächlichen Gegenargumente, die gegen eine Einschränkung der Herstellung und des Vertriebs solcher Schriften überhaupt und gegen dieses Gesetz im besonderen immer wieder erhoben werden? Die Gründe sind im allgemeinen die gleichen, wie sie 1926 angeführt worden sind, als damals ein ähnliches Gesetz beschlossen wurde. Sie waren damals ebensowenig stichhaltig wie die düsteren Prophezeiungen, die man von interessierter Seite dem Gesetz mit auf
den Weg gegeben hat, die sich in der Praxis ebenfalls nicht erfüllt haben.
Meine Damen und Herren! Kein verantwortungsbewußter Erzieher kann in Fragen der Literatur und des Schrifttums den Jugendlichen dem Erwachsenen gleichstellen. Beim Jugendlichen liegen die Grenzen ganz anders als beim Erwachsenen. Dieser Grundsatz ist vom Grundgesetz anerkannt. Dieses Gesetz ist also keine ungebührliche Freiheitsbeschränkung, sondern jeder Mißbrauch der Freiheit führt einfach zu einem Zwang. Es gibt nur eine Möglichkeit, die Freiheit zu sichern; das ist: sie vor dem Mißbrauch, vor dem eigenen Mißbrauch zu schützen. Es geht also nicht um die Freiheit allein; es geht um die richtige Einheit von Freiheit und Ordnung.
Man sagt, das Gesetz bleibe wirkungslos, man treibe den Schmutz ins Dunkle und mache ihn dadurch noch gefährlicher. Ich bin überzeugt, daß schon die Tatsache der Hemmungen in diesem Gesetz allein die Leute, die mit dem Schmutz doch Geschäfte machen, d. h. Geld verdienen wollen, bei der Produktion viel vorsichtiger werden läßt, und ein Schwarzhandel mit derartigen Dingen wird nie ein gutes Geschäft werden. Darum aber geht es diesen Leuten doch zuerst.
Es ist richtig, daß jedes Verbot erst aufmerksam macht. Aber, meine Damen und Herren, das trifft im Einzelfall zu, wenn einmal ein einzelnes Buch verboten wird, während die Masse der verbotenen Dinge nicht gefragt wird. Im übrigen liegen die Listen ja nicht öffentlich auf, und die Propaganda oder die Werbung mit den Listen ist ja ebenfalls strafbar. Wenn diese Dinge einmal nicht mehr an den Kiosken und in Schaufenstern ausgestellt sind, werden sie nur noch selten gekauft werden, und daher kommt ja das ganze Geschrei von diesen Stellen. Ich weiß, daß der Buchhandel schwer zu ringen hat. Ich weiß auch, daß vor allem Verleger, Künstler und Journalisten sich gegen dieses Gesetz ausgesprochen haben. Aber warum haben sie denn nicht durch eine freiwillige Selbstkontrolle hier einen Riegel vorgeschoben? Trotz aller Bitten und Warnungen, trotz aller Aufrufe und Resolutionen namhafter Persönlichkeiten und Verbände war das nicht möglich. Mögen doch die Autoren, Buchhändler und Verleger das Gesetz dadurch überflüssig machen, daß sie gute und saubere Schriften auf den Markt bringen, die von der Jugend gern gelesen werden.
Wir bitten daher auch die Regierung inständig, kein Mittel unversucht zu lassen und kein Opfer zu scheuen, um diese Bestrebungen zu unterstützen; denn das ist ein weiterer und berechtigter Einwand: wir müssen positive Maßnahmen treffen, die negativen allein genügen nicht.
Man wendet gegen dies Gesetz insbesondere ein, daß die Prüfstellen ihre Kontrollbefugnisse mißbrauchen könnten und — das wäre das Allerschlimmste — daß eine Schrift, die von der Prüfstelle eines Landes auf die Liste gesetzt wird, damit im ganzen Bundesgebiet verboten ist. Dazu ist folgendes zu sagen. Erstens: Die Zusammensetzung der Länderprüfstellen ist so oder kann zumindest so gestaltet werden, daß die Gewähr gegeben ist, daß ein Mißbrauch ausgeschlossen ist. Zweitens: Gegen ein Fehlurteil ist sofort die Beschwerde bei der Bundesprüfstelle möglich. Drittens: Was ist aber nun durch ein Fehlurteil eines Landes bis zur Aufhebung dieses Fehlentscheides wirklich passiert? Wenn die Schrift dadurch für das ganze Bundes-
gebiet auf die Verbotsliste kommt, dann war sie eben für Jugendliche unter 16 Jahren — und darum geht es ja — für diesen kurzen Zeitraum verboten. Meine Damen und Herren, solange die Gesundheitspolizei nicht weiß, ob etwas Gift ist, darf sie es nicht freigeben. Stellt sich heraus, daß es kein Gift ist, kommt die Freigabe noch früh genug. So ist es auch hier. Ich bin allerdings der Meinung, daß entgegen der Begründung im Regierungsentwurf Vertreter der Jugendverbände mit in den Prüfstellen sein sollten. Erstens ist es gut, wenn die Jugend durch ihre Vertreter selber solche Schriften ablehnt, und zweitens ist die Begründung, daß die Vertreter der Jugendorganisationen nicht die nötige Reife und Erfahrung des Urteils hätten — wenn ich mir die führenden Leute vor allem der großen Jugendverbände heute ansehe —, schon eine sehr unberechtigte und auch unbillige Feststellung.
Die Hauptwaffe gegen dieses Gesetz - das ist eine alte Geschichte — ist natürlich Spott, Hohn und Ironie. Das beeindruckt uns aber gar nicht, wenn wir auch die Bitte aussprechen, wenigstens hier bei der Debatte davon keinen Gebrauch zu machen; denn nichts ist leichter und geistloser, als hierüber Witze zu machen.
Ich habe hier kein Material vorgelegt, und ich will auch nicht auf Einzelheiten zu sprechen kommen. Dazu ist im Ausschuß Zeit und Gelegenheit, und ich weiß aus der bisherigen Arbeit, daß vor allem im Ausschuß für Jugendfürsorge von den Mitgliedern aller Parteien gerade deshalb sehr sachlich und ernst auch an diesem Problem gearbeitet werden wird, weil dort wirklich alle nur das Wohl unserer Jugend vor Augen haben, und darum — und nur darum — geht es hier. Ich bitte das Hohe Haus, den Antrag dem Ausschuß für Jugendfürsorge als federführendem Ausschuß zu überweisen.
Als nächster hat das Wort Herr Abgeordneter Hennig. 12 Minuten bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich komme der Aufforderung meines Herrn Vorredners, hier auf jede Ironie zu verzichten, .um so lieber nach, als es gar nicht in unserer Tendenz gelegen hat, das zu tun, und als der Minister ja auch in seiner maßvollen Art der Darlegung erkennen ließ. daß von seiten der Urheber des Entwurfs keine Schärfen, Übertreibungen und Überspitzungen beabsichtigt sind, was wir desto lieber glauben, nachdem wir den Ernst gesehen haben, mit dem man in den Ausschüssen an die Dinge herangegangen ist.
Trotzdem muß ich im Namen der sozialdemokratischen Fraktion erklären, daß sie einmütig dieses Gesetz für unwirksam und für bedenklich hält, unwirksam deshalb, weil man, wenn man boshaft sein wollte, beinahe sagen könnte, daß in dem Gesetz die Umwege und Schlupfwinkel geradezu gezeigt werden, wie der Produzent von Schmutz- und Schundliteratur dennoch zum Ziele kommt.
Ich kann mir denken, daß die Besitzer von Zeitungskiosken über den Wortlaut des Gesetzes einigermaßen bestürzt sind; aber sicher sind es nicht die Produzenten dieses Schmutzes und Schundes, die von diesen Dingen den Hauptgewinn einstecken.
Wir halten das Gesetz aber auch für bedenklich, weil hier die klagbaren Grundrechte der Deutschen, wie sie im Grundgesetz verankert sind, zum erstenmal eingeschränkt werden.
- Nein, nicht zum Mißbrauch; ich komme darauf, meine Damen und Herren! — Natürlich ist es richtig, daß der Jugendschutz einen Grund zur Einschränkung bietet; aber es verhält sich hier ungefähr so — wenn Sie mir den Vergleich gestatten wollen — wie mit der Blockade im Krieg: eine Blokkade wird nur anerkannt, wenn sie effektiv ist; wenn sie nicht effektiv ist, wird sie nicht anerkannt. So gilt es auch hier, Wege zu finden, wie man zu einem effektiven Ergebnis kommt.
Dieses Gesetz ist nicht geeignet, zu einem solchen Ergebnis zu kommen. Es ist nach unserer Auffassung immer noch besser, die §§ 184 und 184a des Strafgesetzbuches auszunützen oder, wenn das nicht genügt, durch den Herrn Bundesminister der Justiz eine Novelle zu diesen Strafbestimmungen zu erbitten, wodurch die beiden Paragraphen erweitert und auf den vorliegenden Fall spezialisiert werden.
Ich will jetzt in aller Eile, zu der mich die 12 Minuten Redezeit drängen, einige kritische Randbemerkungen zum Inhalt des Gesetzes machen: Die rechtlichen Bedenken, die die Präambel betreffen, habe ich bereits angekündigt. Ich möchte den Vorschlag meines Herrn Vorredners erweitern, diesen Gesetzentwurf nicht nur dem Ausschuß für Fragen der Jugendfürsorge, der auch nach unserer Meinung federführend sein muß, sondern auch dem Ausschuß für Fragen der Presse, des Rundfunks und Films. in dem er, soviel ich weiß, angeregt worden ist, und schließlich auch dem Rechtsausschuß zu überweisen: denn die rechtlichen Bedenken dürfen hier nicht unterschätzt werden, weil der erste Fall vorliegt, in dem die Grundrechte eingeschränkt werden.
Ich habe bereits gesagt, daß wir in der Anerkennung des Übelstandes mit den Urhebern und Befürwortern des Gesetzes durchaus einer Meinung sind. Es fragt sich nur, welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind. Dieser langatmige Gesetzentwurf — verzeihen Sie, Herr Minister! — mit den vielen Lücken und unklaren Definitionen scheint uns nicht der rechte Weg zu sein. Es ist z. B. der strafbare Tatbestand überhaupt nicht definiert; es ist nicht definiert, was nun eigentlich Schriften sind, die Jugendliche sittlich gefährden. Der Herr Minister hat uns beruhigt und gesagt: die künstlerischen, wissenschaftlichen Belange haben unter allen Umständen Vorrang. Aber von diesem Vorrang ist auch in § 1 keine Rede.
Und dann, meine Damen und Herren, was soll das heißen: Jugendliche unter 18 bzw. 16 Jahren? Wir wissen doch, wie schwer es an einem Verkaufsstand oder in einem Laden ist, mit Geburtsscheinen zu arbeiten. Außerdem würde sich bald herumsprechen, wo der „Giftschrank" steht. Sie kennen den Ausdruck aus der nationalsozialistischen Zeit hinsichtlich politischer Literatur, und Sie wissen, daß man sich, wenn man Nazigegner war, dieser Giftschränke sehr wohl zu bedienen gewußt hat. Ich vermute, daß sehr bald auch hier diese Wege gekannt und gegangen werden, die zu solcher bedenklichen und verwerflichen Literatur führen.
Es ist nach § 5 untersagt, Reklame zu machen; aber es ist nicht untersagt, die Geschäfte auf irgendeine Weise zu kennzeichnen, die solche Schriften führen.
Der Herr Minister hat in humoristischer Weise auf die Nacktkulturverbände angespielt. Ich weiß nicht, ob nicht die Bezeichnung Nacktkultur etwas anspruchsvoll für so bescheidene Bestrebungen ist und ob es nötig ist, einen Verein zu gründen, wenn man eine Badehose ausziehen will.
Aber diese Leute sozusagen unter Ausnahmerecht zu stellen, das geht doch wohl zu weit. Wenn man ausdrücklich bescheinigt — und das geschieht ja in den §§ 5 und 6 —, daß die Bestrebungen des Vereins nicht unsittlich sind, dann weiß ich nicht, ob es verfassungsrechtlich möglich ist, die Publizierung seiner Bestrebungen auf solche Weise einzuschränken.
Nun komme ich aber zu den technischen Bedenken. Über die Aufnahme in die Liste entscheiden Landesprüfstellen. Über Beschwerden gegen deren Entscheidungen befindet die Bundesprüfstelle. Meine Damen und Herren, das bedeutet die Errichtung von zwölf Organisationen; und mit dem Bundesprüfamt sind es dreizehn. Das scheint ein reichlich übertriebener Auf wand zur Erreichung des angestrebten Zweckes zu sein. Diese zwölf oder dreizehn Prüfstellen vertreten ebensoviele Grade, Abstufungen, Gesichtswinkel und Standpunkte, und es ist wahrscheinlich, daß sie sich nicht gegenseitig ausgleichen und mildern, sondern in eine Art Leistungswettbewerb eintreten und die Tendenz haben, ihre Tätigkeit auch dann noch aufrechtzuerhalten, wenn einmal der Idealfall eintreten sollte, daß wir verwerfliche und bedenkliche Literatur nicht mehr hätten. Jede Organisation neigt dazu, sich zu verewigen. Deshalb würden wir es für dringend nötig halten, daß bei den Ausschußberatungen diese zwölf bzw. dreizehn Stellen auf eine einzige Bundesprüfstelle zusammengestrichen würden. Zwölf oder dreizehn kostspielige Apparate sind dann zuviel, wenn man es mit einem ebensogut oder noch besser machen kann.
Ebenso beanstanden wir, daß einem einzelnen Land Ausnahmebestimmungen zugestanden werden, d. h. Bestimmungen, die anderen versagt sind. Ich meine den Fall Rheinland-Pfalz.
Meine Damen und Herren, meine Redezeit geht zu Ende. Man kann in zwölf Minuten nur andeuten, was zu sagen wäre. Lassen Sie mich aber noch einen allgemeinen Gesichtspunkt in die Debatte werfen. Das Gesetz sollte eine nähere Bezeichnung, eine Definition dessen bringen, was als „unsittlich" angesprochen werden muß. Mit der bloßen Kennzeichnung der Nacktheit ist es nicht getan. In „Wilhelm Meister" finden wir ein wertvolles Wort:
Der Mensch ohne Hülle ist eigentlich d e r
Mensch. Der Bildhauer steht unmittelbar an
der Seite der Elohim, als sie den unförmigen
widerwärtigen Ton zu dem herrlichsten Gebilde umzuschaffen wußten. Solche göttlichen
Gedanken muß er hegen. Dem Reinen ist alles
rein. Warum nicht die unmittelbare Absicht
Gottes in der Natur?
Was macht Nacktheit zu Obszönität? Ich zitiere eine kirchliche Zeitschrift, „Das offene Wort", herausgegeben von der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien:
Nacktheit an sich ist gar nichts Schlechtes. Im Dampfbad nimmt niemand Anstoß daran. Nacktheit als solche ist — man nehme es ruhig zur Kenntnis — kein Anlaß, um Krawall zu schlagen. Nicht selten versteckt sich hinter derartigen Attacken weniger das empörte Feingefühl als ein verdrängter Komplex.
Aber es gibt einen Unterschied zwischen Nacktheit und Ausgezogenheit. Und das wollen wir treffen, diese Frivolität, die sich ausspricht in raffinierten Beleuchtungseffekten von Nacktaufnahmen, in peinlichen und zweideutigen Posen und Positionen und in Unterschriften und Gegenüberstellungen mit peinlichen Dingen wie Fleischerläden neben einem Menschenkörper. Das ist es, was wir treffen wollen; und darin werden wir uns weitgehend einigen können, wenn es gilt, diese Dinge zu bekämpfen mit den Mitteln, die nach unserer Meinung bereits ausreichend zur Verfügung stehen.
Aber ich habe von grundsätzlichen Bedenken gesprochen und will noch einen Moment beleuchten, wie wir das meinen. Es handelt sich hier um das Verhältnis zwischen Staat und Persönlichkeit. Der Staat kann natürlich keine uneingeschränkte Freiheit proklamieren. Die Freiheit wird immer eingeschränkt bleiben durch das Ordnungsbedürfnis der Gesellschaft. Sie wird am stärksten eingeschränkt sein in Verwaltung und allgemeinen Staatsfunktionen, zum Beispiel in der Justiz. Sie wird ebenfalls eingeschränkt sein in der Wirtschaft, obwohl man das gerade hier vielleicht bestreiten wird. Gerade da gilt es, die Gesichtspunkte der brüderlichen Ordnung durchzuhalten, auch unter Einschränkung der Freiheit.
Aber im Geistesleben kann die Freiheit nur durch einen einzigen Gesichtspunkt eingeschränkt werden: das ist die Verletzung der Gesetze der Menschlichkeit. Ich gestehe gern zu, daß die Herabwürdigung des menschlichen Leibes und daß die Ehrfurchtslosigkeit vor dem Geheimnis der Zeugung und der Quelle des Lebens eine solche Verletzung der Würde des Menschen darstellt. Aber das muß im Gesetz klar herausgearbeitet werden. Nur darauf hat sich der Staat zu beschränken. Wenn der Herr Minister auch die redliche Absicht hat — was ich selbstverständlich gern unterstelle —, daß hier alles andere beabsichtigt wird als eine Zensur: es läuft ja doch auf eine Zensurierung hinaus.
Das ist das Bedenkliche an diesem Gesetz.
Deshalb lassen Sie mich mit gütiger Erlaubnis
des Herrn Präsidenten zum Schluß .noch ein Zitat
eines Mannes anfügen, der 1926 als Parteifreund
des damaligen Innenministers Külz zwar für die
Annahme des Schmutz- und Schundgesetzes gesprochen hat, der aber als geist- und erkenntnisverpflichteter Mann glaubte, seinen Ausführungen eine
Präambel voranstellen zu müssen; die lautete:
Hat der Staat überhaupt das Recht, sich um die literarische Produktion zu kümmern? — Daß er sie fördert, wird heute von jedem verlangt; daß er sie irgendwie hemmt, wird verfemt. Die Tatsache ist immer kompliziert, wenn der Staat befehlend in Kunstfragen hineinreden will, weil er als ein Macht- und Gewaltsystem, als ein Verwaltungsapparat eine Kunstauffassung als solche nicht besitzt. Überall und immer, wenn der Staat mit seinen Polizeiorganen irgendeine Kunst oder Kunstrichtung kanonisierte oder disziplinierte, hat ihn eine spätere Zeit ausgelacht. Die Geschichte der Zensur ist eine Geschichte der Grotesken von Heine bis Wedekind.
Dieser Mann war Theodor Heuss; und wir haben
dem vorerst nichts weiter hinzuzufügen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Farke. Fünf Minuten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der Deutschen Partei hat gegenüber dem Entwurf des Gesetzes über den Vertrieb jugendgefährdender Schriften schwerwiegende Bedenken, da durch dieses Gesetz das Grundrecht der freien Meinungsäußerung, der Pressefreiheit, sowie die Unterrichtung aus allgemein zugänglichen Quellen eingeschränkt wird. Für das Verbot pornographischer und unzüchtiger Schriften reichen nach unserer Ansicht die strafgesetzlichen Bestimmungen aus. Der Vertrieb von unsittlichen Druckerzeugnissen kann bei Kiosken und den Bahnhofsbuchhandlungen auf dem Verordnungswege eingeschränkt oder ganz unterbunden werden.
Über den Begriff „jugendgefährdend" gehen die Meinungen sehr weit auseinander. In einer Begriffsfestlegung durch eine staatliche Behörde, auch wenn sie von 1926 bis 1935 zufriedenstellend gearbeitet haben soll, sehen wir keine Lösung des Problems, sondern eine Gefahr. Wir glauben auch nicht, daß die Gefährdung der Jugend in unserer heutigen Lage durch zweifelhafte Druckerzeugnisse allein hervorgerufen wird, da die Jugend kaum Mittel hat, sich solche Druckschriften zu kaufen. Sie würde sie sich aber besorgen, wenn ein staatliches Verbot sie auf diese Druckerzeugnisse erst aufmerksam machen würde.
Wenn man von einer sittlichen Gefährdung der Jugend spricht, so kann man sie nach unserer Ansicht nur im Zusammenhang mit den unerträglichen Wohnraumverhältnissen in den Flüchtlingsländern Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern sehen,
und es wäre für das Land Rheinland-Pfalz ruhmvoller gewesen, statt eines Gesetzes gegen jugendgefährdende Schriften eine umfassende Aufnahmebereitschaft für Flüchtlinge nachweisen zu können.
Wir könnten uns nur damit einverstanden erklären, daß ähnlich wie bei der Filmselbstkontrolle ein Selbstkontrollorgan für die Feststellung jugendgefährdender Schriften mit der Verlegerschaft und dem Buch- und Zeitschriftenhandel geschaffen wird und eine Gesetzesregelung nur auf dieses Kontrollorgan Bezug nimmt. Wenn sich bisher kein Selbstkontrollorgan gebildet hat, so ist damit noch nicht gesagt, daß es nicht noch entstehen kann. Wir hoffen, daß bei den Ausschußberatungen noch ausführlich zu dem einzelnen Stellung genommen werden kann, und hoffen auch, daß wir da zu irgendeiner vernünftigen und wünschenswerten Lösung kommen werden, wünschenswert in dem Sinne, wie ich es eben angedeutet habe.
Meine Fraktion ist dafür, daß federführend der Ausschuß für Jugendfürsorge mit dem Gesetz befaßt wird und daß zu gleicher Zeit die Vorlage dem Rechtsausschuß überwiesen wird.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gaul. 8 Minuten.
Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesinnenminister sagte eingangs seiner Begründung, daß er dieses Gesetz wesentlich als ein pädagogisches Problem sehe. So sehe ich es auch, und weil ich es so sehe, möchte ich weniger von den Paragraphen sprechen, die normal mit dem Verstand
durchleuchtet werden, sondern ich möchte es einmal von der Pädagogik und ihrer Gehilfin, der Psychologie, anpacken.
Meine Damen und Herren! An einer Arbeit, die sich zur Aufgabe setzt, unserer Jugend in ihrer körperlichen, geistigen und sittlichen Entwicklung zu helfen, beteiligen wir uns gern. Wir sind leider zu genau mit der Tatsache bekannt, daß gerade diese Jugend durch den Krieg und seine Folgen so bitter hart getroffen worden ist, daß sehr viele Lücken in ihrer Ausbildung auszufüllen sind, daß es an Wohnraum fehlt, an Lehrwerkstätten, daß gefährdete Jugend keine Heime hat und daß zu unserem speziellen Punkt hier sehr viel mehr getan werden muß für gute Literatur. Denn der Kampf gegen Schund und Schmutz ist dann schon halb gewonnen, wenn sich die Käufer der schlechten Literatur weniger finden.
Meine Damen und Herren, zu einzelnen Paragraphen: Ich kenne aus meiner eigenen Erfahrung die Jugend ein wenig näher, und ich weiß, daß der normale Jugendliche nicht zu der minderwertigen Literatur greift; und wenn der intelligente Jugendliche nun eine Schrift findet, auf der steht „Für Jugendliche verboten", dann möchte er gern hinter das verschleierte Bild von Saïs sehen. Er möchte erfahren, warum nun gerade er das nicht lesen darf.
Meine Damen und Herren, in der Präambel ist ausgeführt, daß ein wesentlicher Artikel eingeschränkt wird. Das ist nach dem Art. 19 des Grundgesetzes durchaus möglich. Wir sind auch der Meinung: wenn soviel minderwertige Erzeugnisse in Wort und Bild und Schrift jetzt draußen liegen und wenn ein Gesetz gemacht werden soll, das im wesentlichen das Motiv hat, dem skrupellosen Vertrieb einen Damm entgegenzusetzen, dann werden wir einem solchen gut gemachten Gesetz zustimmen. Wir sind auch der Meinung, daß es nicht der ideale Zustand der Freiheit ist, daß dieser hemmungslose Vertrieb uneingeschränkt gestattet werden kann.
Aber zu einigen wesentlichen Bestimmungen zu Anfang hier folgendes. Mir scheint, daß das Alter der Jugendlichen mit 18 Jahren doch noch einmal überprüft werden müßte. Ich erinnere Sie an das Gesetz zur religiösen Erziehung unserer Kinder aus dem Juli 1921. In diesem Gesetz ist bestimmt, daß kein Vierzehnjähriger ohne seinen Willen zum Glaubenswechsel gezwungen werden darf, ja daß sogar bei einem Zwölfjährigen seine Zustimmung eingeholt werden muß; und ich meine, bei einer solchen Entscheidung, die eine sehr wesentliche sittliche Kraft voraussetzt, das Alter vier oder zwei Jahre niedriger zu setzen, das sollte der Ausschuß sich noch einmal ansehen.
Wir halten auch für bedenklich, daß der Vorsitzende einer Prüfstelle mit Zustimmung eines einzigen Mitgliedes vorläufige Entscheidungen treffen kann, und wir stimmen der Korrektur des Bundesrates zu, daß noch ein zweites Mitglied hinzugezogen werden soll, damit bei einer so wichtigen Entscheidung ein dreiköpfiges Gremium am Werk ist.
Meine Damen und Herren! Wenn wir die Wurzel unserer Jugendnot beseitigen wollen, dann müssen wir bessere wirtschaftliche und soziale Verhältnisse schaffen. Wir müssen dafür sorgen, daß tatsächlich unsere Jugend einmal gute Lesebücher bekommt. Die hat sie heute noch nicht in allen Schulen. Und dann könnten wir uns darüber unterhalten, wie wir ihr wertvolle Jugendschriften zur Literatur auf den Tisch legen. Ich glaube, daß das ein Problem ist, das
auch den kulturpolitischen Ausschuß interessiert, und da schon drei Ausschüsse genannt sind,
möchte ich bitten, daß wir vom kulturpolitischen Ausschuß für die positive Seite zum mindesten aber auch herangezogen werden.
Meine Damen und Herren! Ich möchte doch ein Wort zu einer besonderen Bemerkung in der Begründung sagen. Sie geht an die Journalisten, die Verleger und an die Künstler. Es ist da so ein wenig leicht gesagt, gegen dieses Gesetz haben sich gerade diese Kreise gewehrt, und 1926 sei es nicht anders gewesen. Ja, meine Damen und Herren, die angesprochenen Kreise sind ja ein Stück der Öffentlichkeit, und zwar ein sehr wesentliches Stück, und ich persönlich bin froh darüber, daß gerade diese Leute sich dazu geäußert haben. Und ich erinnere Sie daran, daß das Gesetz von 1926 — wer aus der Geschichte lernen will, muß einmal nachsehen — sehr viel Schaden gestiftet hat. Denn es war doch 1836 bei uns möglich, daß die deutsche Polizei Goethes „Faust" verboten hat, und es war auch möglich, daß die Prüfstelle hier im Rheinland 1928 das „Magazin" Nr. 44 vom April 1928 verbot, weil darin eine Geschichte stand von Debora „Jacqueline macht Geschichten"; und ein Ausschußmitglied war so literaturbewandert, daß es darauf hinwies, daß diese Geschichte aus der Literatur von Maupassant war, und zwar aus der Novelle „Un Sage". Und hier hat dann die angerufene Berliner Prüfstelle gesagt: Nein, wir setzen diese Schrift nicht auf den Index! Das hat ein Jahr gedauert. Dann hat das Innenministerium von Württemberg diese Entscheidung von Berlin angegriffen und die Oberprüfstelle in Leipzig angerufen.
Meine Damen und Herren! Ich habe einmal ausgerechnet gelesen, daß eine Schrift, wenn sie auf den Index gesetzt wurde, 4000 Mark gekostet hat und daß im Jahre 1928 105 Juristen und Laienrichter mit drei besonderen Büros und ihrem Personal am Werke waren. Ich könnte mir vorstellen: wenn wir kein gutes Gesetz machen, dann sollten wir diese Gelder dafür nehmen, all das andere Positive zu unterstützen, besonders die Bibliotheken, die gute Jugendliteratur herausbringen.
Ich kenne die Jugend aus immerhin 40 Jahren, und ich weiß positiv, daß diese Jugend tatsächlich viel besser und nicht so gefährlich ist, wie sie unter Umständen hingestellt wird. Und wenn ich bei diesem Gesetz, wenn es gut gemacht wird, mitarbeiten will, dann möchte ich jetzt an den Schluß meiner Ausführungen ein persönliches Bekenntnis setzen. Mir persönlich, meine Damen und Herren, ist eine gute Robinson-Ausgabe mehr wert als ein schlechtes Gesetz gegen Schund und Schmutz.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Thiele.
Meine Herren und Damen! Die Diskussion über das Schund- und Schmutzgesetz hat lebhaften Protest aus allen Kreisen der Bevölkerung hervorgerufen; und es ist nicht verwunderlich — —
— Aber aus sehr vielen Kreisen! Ich möchte Ihnen den Journalistenverband, den PEN-Klub, die Kulturverbände, die Autoren, die Verleger, die Buchhändler usw., die Hamburger Freie Akademie nennen. Ich könnte Ihnen eine ganze Mappe solcher Proteste bringen.
Aber es ist bezeichnend, daß Sie jetzt sehr irreführend diese Vorlage „Gesetz über den Vertrieb jugendgefährdender Schriften" nennen, weil Sie wissen, daß Sie schamhaft diese Namen verschweigen müssen. Das Gesetz soll dazu dienen, jegliche fortschrittliche kulturelle Bewegung zu ersticken.
Nun, meine Herren und Damen, das ist nicht nur unsere Meinung, sondern das ist die Meinung der Öffentlichkeit, von der mein Vorredner bereits gesprochen hat. Reaktionäre Zeitungen in Bayern haben bereits die Werke von Erich Kästner, von Anna Seghers, von Becher als unter dieses Gesetz fallend klassifiziert; und das eröffnet eine ganz gute Perspektive, was Sie damit anzuwenden gedenken. Und die Hundhammersche Praxis beweist uns, daß die sehr befürwortenden und sehr vorsichtigen Äußerungen des Herrn Innenministers bei der Einbringung nichts anderes bezwecken, als darüber hinwegzutäuschen, daß hier ein Zensurgesetz eingebracht werden soll.
Aber, meine Herren und Damen, wer der Jugend wirklich helfen will, der muß den Kampf gegen den Amerikanismus aufnehmen!
Das heißt, meine Herren und Damen, gegen die Hollywood-Kitschkultur, das heißt gegen die Gangster- und Atombombenkultur, wie Sie sie in allen unseren Kinos sehen können, daß heißt gegen die Gangster-„Kultur", die zum Zwecke der Kriegsvorbereitung hier eingeführt wird, um unsere nationale Kultur zu zersetzen —
— und die allein zur Verwahrlosung der Jugend beiträgt.
Frau Abgeordnete, wir haben es nur mit den deutschen Kulturverhältnissen zu tun.
Nein, meine Herren und Damen, hier geht es darum: Wie schützen wir unsere Jugend vor Verwahrlosung. Und wenn zwei Drittel aller Filme in Westdeutschland amerikanische Gangster- und Kitschfilme sind, dann liegt hier die Frage; und mit diesem Gesetz treffen Sie nicht die amerikanische Gangster-Kultur, die hier eingeführt wird.
Und dann, meine Herren: wo sind die wahren Ursachen für die Jugendkriminalität und Verwahrlosung? Auch das ist hier bereits angeführt worden: Wohnungselend, Arbeitslosigkeit, keine Lehrstellen, keine Schulreform, keine Bildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten, Kulturabbau. Das sind die wahren Ursachen und die müssen Sie beseitigen. Aber dieses Gesetz soll davon ablenken, daß Sie Schund und Schmutz unseres sozialen Elends nicht beseitigen wollen.
Der reaktionäre Charakter dieses Gesetzes ist allein aus dem § 17 ersichtlich. Dieser Paragraph bestimmt, daß eine Stelle diktatorisch ohne parlamentarische Körperschaft darüber entscheidet, was Moral ist, Sittlichkeit usw. Wenn hier bereits angeführt worden ist, daß die Vertreter der Jugendorganisationen nicht darin enthalten sind, daß die Ver-
I treter der Gewerkschaften nicht darin enthalten sind, daß aber besonders aufgeführt ist, daß die Religionsgesellschaften darin enthalten sind,
dann zeigt uns das, daß diese Bundesprüfstelle ein modernes Presseinquisitionsgericht werden soll. Und die Folgen einer solchen Zusammensetzung sind, wie ich Ihnen bereits sagte: Die Begriffe von Moral und Sittlichkeit werden willkürlich und einseitig bestimmt; aber was noch wichtiger ist: alle den reaktionären Kriegsvorbereitungen entgegenstehenden Äußerungen werden unterdrückt.
Gestatten Sie mir hier eine Äußerung des „Börsenblattes für den deutschen Buchhandel" vorzulesen. Dort heißt es:
Wir sind nicht nur der Meinung, daß ein Schmutz- und Schundgesetz nichts nützt, sondern zu einer peinlichen Sittlichkeitsschnüffelei führen wird, die wir in der Vergangenheit zur Genüge erlebt haben. Wir wissen auch aus bitterer Erfahrung, daß derartige Gesetze von reaktionärer Seite ausgenutzt werden, um andersdenkende Menschen politisch zu bekämpfen.
Bitte sehr, meine Herren, lachen Sie darüber!
Nun aber unsere Meinung: wie kann man die Jugend vor der Verwahrlosung wirklich schützen? Ich sage Ihnen: Sehen Sie sich bitte einmal das neue Jugendgesetz über die Teilnahme der Jugend am Aufbau der Deutschen Demokratischen Republik, über die Förderung der Jugend im Beruf, bei Sport und Erholung vom 28. 2. 50 an! Sehen Sie sich einmal an, was dort die Wirklichkeit ist, wie die Hilfe für die gesamte Jugend dort ist! Sehen Sie, da liegt der Schlüssel für die Begeisterung der 700 000 Jungen und Mädel Pfingsten in Berlin! Diese Jugend braucht kein Schund- und Schmutzgesetz. Die Jugend in Westdeutschland soll aber für die schmutzigen Kriege der Dollarkönige mißbraucht werden. Darum beseitigt man nicht die wahren Ursachen der Verwahrlosung; darum hilft man nicht der Jugend zur Überwindung der sozialen Not; darum die Überschwemmung mit amerikanischer Kitsch- und Hollywood-Kultur und darum die ganze Literatur zur Kriegsverherrlichung, darum Rommel-Literatur, darum die Hitler-Nachlässe, darum Mussolini-Tagebücher, darum Tagebuch von Eva Braun, darum die Generalsliteratur,
— sehen Sie: weil Sie die Jugend vorbereiten wollen für einen neuen Krieg!
Das ist die Frage! Und ich möchte zum Schluß sagen — ehe der Herr Präsident mir das Wort abschneidet —, — —
Ich schneide gar nichts ab, Frau Abgeordnete. Das macht der Apparat!
Wir wissen, daß auch die westdeutsche Jugend den Krieg nicht will, und wir rufen sie auf zum Kampf um den Frieden. Wir rufen sie auf zum Kampf für das Verbot der Atomwaffe, und wir rufen sie heute auf zum Kampf gegen die amerikanischen Bombenabwürfe auf Frauen und Kinder in Korea.
— Lachen Sie!
Frau Abgeordnete, das gehört doch gar nicht zur Sache!
Doch, das gehört dahin! Das gehört deswegen dahin, weil das die Erziehung zum wahren Humanismus ist; und eine solche Jugend, die solche Ziele vertritt, die braucht kein Schund- und Schmutzgesetz!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Freiherr von Aretin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man beim Betreten eines Zeitungskiosks den Plunder sieht, verspürt hoffentlich jeder von uns den klaren Wunsch in sich, daß mit diesen Machwerken ein Ende gemacht wird. Wenn man aber das Gesetz des Herrn Bundesinnenministers liest, dann kommen einem Bedenken, ob dieses Gesetz die richtige Waffe ist, um gegen diese Machwerke aufzutreten.
Es steht einmal fest, daß der, der nach dem Obszönen Sehnsucht hat, danach giert, sich auch über die Schranken dieses Gesetzes hinaus in den Besitz dieser Schriften setzen wird. Es steht darüber hinaus fest, daß jede Form staatlicher Sittenkritik — und dies wird in diesem Fall bestimmt oft sehr nahe daran hinkommen — nicht ohne Regel abgehen wird. Eine solche Regel aber ist unerfreulich, sie wird vielleicht verflachend und am Ende manchmal albern sein. Wenn Sie mit diesem Gedanken an das Gesetz herangehen, wenn Sie daneben die Rechtsgrundlage betrachten müssen, auf der dieses Gesetz aufgebaut wird, dann fragt sich, ob man nicht mit anderen Maßnahmen einen wirklich wirksamen Schutz der Jugend erreichen könnte. Es steht fest, und der Parlamentarische Rat hat sich geplagt festzustellen, daß eine Zensur nicht stattfindet; in diesem Zusammenhang hat der Parlamentarische Rat ferner wörtlich folgendes festgelegt:
Diese Rechte finden ihre Schranken bei der Gesetzgebung für die Jugend.
Wollte der Parlamentarische Rat — diese Frage muß aufgeworfen werden — nicht vielleicht auch bei der Jugend die Zensur vermieden haben? Dieser Wortlaut unserer Verfassung erscheint mir einigermaßen bedenklich, und derjenige, für den verfassungsrechtliche Normen keine juristischen Zwirnsfäden sind, wird sich mit diesen Problemen auseinanderzusetzen haben.
Der Bund behauptet seine Zuständigkeit auf Grund der Fürsorge, die ihm in Art. 74, Abschnitt VII des Grundgesetzes, eingeräumt ist. Ich kenne eine Jugendfürsorge repressiver Art, ein Jugendgericht, die Jugendfürsorge, die Fürsorgeerziehung, ich kenne eine wirtschaftliche Fürsorge für die Jugend.
Aber eine präventive Jugendfürsorge ist bisher den
Staatsrechtlern offenbar entgangen. Es ist eine neue
Schöpfung dieses Gesetzes, mit einer präventiven Jugendfürsorge neuester Art die Verfassung erweitern zu wollen.
Wir wollen festhalten, daß die „Konferenz der Justizminister" vom 31. 3. bis 2. 4. 1950 in Rothenburg unter dem Vorsitz Ihres Parteifreundes Dr. Josef Müller, Herr Kollege Strauß, festgestellt hat, daß die Schund- und Schmutzliteratur zu bekämpfen ist und deshalb ein eigenes Referat bei den Generalstaatsanwaltschaften errichtet hat, ein Referat, das gerade in München vorzüglich zu arbeiten und zu wirken beginnt. Es scheint mir also unnötig, daß man einen umfangreichen Behördenapparat aufzieht und dadurch ernste Bedenken rechtlicher Art hervorruft, um einen Erfolg zu erreichen, den unsere Väter bereits bei Schaffung des Strafgesetzbuches im Auge hatten und der in der Strafrechtsnovelle von 1900 voll zur Geltung gekommen ist, indem § 184a eingefügt worden ist. Hier wäre vielleicht am ehesten die Möglichkeit gegeben, die Lücke des Gesetzes auszufüllen. Mit diesem Gesetz greifen wir den Verkehrten an. Strafbar müßte nicht derjenige sein, der die Zeitungen, Zeitschriften und Magazine aushängt, sondern strafbar müßte derjenige sein, der sie schreibt und der als Verleger Millionengewinne damit erzielt.
Es gilt also, in erster Linie hier zu erwägen, wie man diesen Personenkreis zu strafen hat. Mit diesem Gesetz schaffen wir nur eine vom Steuerzahler bezahlte Reklame für Literatur unerfreulichen Charakters.
Meine Damen und Herren! Jeder Vernünftige sieht wahrscheinlich ein, daß hier Maßnahmen ergriffen werden müssen, die anders als dieses Gesetz auszusehen haben, das hier heute vorgelegt worden ist. Meine Freunde und ich stellen uns bedingungslos auch hinter diese Forderung der Allgemeinheit, die im Gesetz zugrunde gelegt wird, sie fürchten nur aus prinzipiellen und rechtlichen Gründen, daß dieser Weg schwer gangbar ist und wenig Erfolg haben wird; sie werden aber durch ihre Mitarbeit im Ausschuß zeigen, welcher Weg ihnen richtiger erscheint, um das uns allen vorschwebende Ziel zu erreichen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ribbeheger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, der Verlauf der Diskussion um dieses Gesetz hat gezeigt, daß die überwiegende Mehrheit dieses Bundestages darin übereinstimmt, daß Schmutz und Schund vorhanden ist. Ich glaube auch, daß wir darüber einer Meinung sind, daß die Verleger, wenn sie aus hemmungsloser Gewinnsucht solche Schmutz- und Schundliteratur vertreiben, in irgendeiner Form gefaßt und gesetzlich belangt werden müßten. Ich bin auch der Auffassung, daß, wenn man Wasser trinken will, man sich nicht auf einer Straße in eine Pfütze zu legen braucht, um das Wasser da zu trinken. Man braucht auch nicht Wasser zu trinken aus einem Glase, von dessen fettigem Rand schon mehrere Lippen getrunken haben.
Ich glaube, es ist notwendig, hier ganz klar herauszustellen, daß doch dieses Gesetz keinen anderen
Zweck verfolgen kann, als die Jugend vor Gefährdung zu bewahren. Wenn das in Art. 5 Abs. 2 des Grundgesetzes bereits festgelegt ist, dann sollten wir von diesem Recht und von diesem Grundgesetz Gebrauch machen. Ich bin der Auffassung, es braucht nicht in eine Grundsatzdiskussion hineinzukommen; aber wenn hier soviel davon gesprochen worden ist, daß wir erst die wirtschaftlichen, sozialen und soziologischen Voraussetzungen schaffen sollten, damit überhaupt ein vernünftiges, erträgliches Leben für die jungen Menschen gesichert wird, dann möchte ich doch der Auffassung sein, daß dieses Gesetz ja kein Ersatz dafür sein kann und sein soll, daß wir für die jungen Menschen nicht das Notwendigste tun können. Ich darf daran erinnern, daß wir gerade hier an dieser Stelle, allerdings fast vor leeren Bänken, einen Bericht über den Umfang der Arbeitslosigkeit, der Heimatlosigkeit und der Berufslosigkeit unserer Jugend zur Kenntnis genommen haben. Ich glaube, wir wollen doch in diesen Dingen konform gehen; das eine muß das andere ergänzen.
Wenn Herr Farke gesagt hat, daß er analog dem Film eine Selbstkontrolle wünscht, dann möchte ich sagen: wenn diese Verleger und diese Buchhändler bis zur Stunde nicht in der Lage gewesen sind, ein solches Organ zu stellen und einzurichten, dann ist es unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, daß auf diesem Gebiet in irgendeiner Form solche Maßnahmen getroffen werden.
Wir sind auch der Auffassung, daß ein gesunder Geist nur einem gesunden Körper innewohnen kann. Das schließt aber nicht aus, daß, wenn wir für das seelische Wohl sorgen wollen und sorgen, wir nach der anderen Seite nichts tun können und nichts getan haben. Dieses Gesetz soll unserer Jugend das deutlich werden lassen, damit die Jugend nicht von vornherein in eine falsche Stellung hineingerät und nicht gegenüber der Wirklichkeit des Lebens eine unwirkliche Haltung und Empfindung bekommt. Ich bin der Auffassung, alles, was den jungen Menschen eine falsche Vorstellung von der Wirklichkeit des Daseins und der Wirklichkeit des Lebens vermitteln könnte, sollte man durch ein solches subsidiäres Gesetz in irgendeiner Form zu verhindern suchen.
Wenn wir unserer Jugend die Werte der Gemeinschaft, der Kameradschaft usw. geben wollen, sollten wir gerade unter Kameradschaft niemals irgendeine erotische Kameraderie verstehen wollen und verstehen können. Wir wollen ihr die wirklichen ethischen Werte vermitteln. Aus diesem Grunde ist es notwendig, daß, solange wir keine anderen Möglichkeiten haben, hier vom Bundestag aus der Jugend auch nach der geistigen und pädagogischen Seite hin geholfen wird.
In diesem Sinne bin ich der Auffassung, die mein Vorredner Kemmer bereits zum Ausdruck gebracht hat, daß wir in den einzelnen Ausschüssen sehr eingehend über die Methodik und auch über das Verfahren zu sprechen haben werden. Ich bin aber glücklich, festzustellen, daß wir uns im Prinzip einig sind. Hinsichtlich des Verfahrens und der Methodik werden wir uns noch in den einzelnen Ausschüssen unterhalten.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Vogel in den der CDU noch verbliebenen drei Minuten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir für meine politischen Freunde noch ein ganz kurzes Schlußwort zu diesem Thema, das uns alle auch innerlich sehr berührt.
Wenn hier die Frage aufgeworfen worden ist, in welcher Form dieses Gesetz — und darüber sind wir uns ja alle im klaren — die im Grundgesetz verankerten Freiheiten beeinträchtigt, dann dürfen wir auf der anderen Seite nicht vergessen, daß das Grundgesetz auch eine Haltung zum Staate voraussetzt, die mit einer Massenproduktion von Schundliteratur unvereinbar ist. Wenn wir nun feststellen müssen, daß dieses verarmte deutsche Volk nach vorsichtig aufgestellten Statistiken im letzten Jahr rund 60 Millionen DM für Pornographien und Schund ausgegeben hat, dann ist es wohl höchste Zeit, daß dagegen etwas unternommen wird. Wie auch immer die Bedenken gegen eine Einschränkung der Pressefreiheit sein mögen — ich glaube, ich habe vor einigen Monaten hier bereits zum Ausdruck gebracht, daß an diese Dinge mit äußerster Vorsicht herangegangen werden muß —, ich glaube doch, daß ein gangbarer Weg da ist und daß dieser Weg entschlossen gegangen' werden muß.
Hier darauf einzugehen, was von seiten der äußersten Linken zur Verteidigung jener hemmungslosen Anarchie auf dem literarischen Markte ausgeführt worden ist, halte ich für vollkommen überflüssig. Gerade die Verteidiger dieser Auffassung bemühen sich in den Ländern, in denen sie an der Macht sind, alles, aber auch wirklich alles zu verhindern, was sie hier in Deutschland zulassen wollen. Ich erinnere Sie nur daran, daß z. B. Ballette in Moskau niemals derart unbekleidet auftreten durften, wie sie es in allen westeuropäischen Hauptstädten tun.
Auf der anderen Seite möchte ich fragen: Was machen denn andere Länder auf diesem Gebiet? Sind wir denn wirklich in dieser Beziehung die einzigen, die bereit sind, ein solches Gesetz zu schaffen? Oder ist es nicht so, daß man in allen anderen Ländern, selbst in Frankreich, das wir eigentlich niemals in Verdacht hatten, allzu engherzig zu sein, schon längst derartige Maßnahmen getroffen hat, die wir zu treffen im Begriff sind?
Ich möchte zum Schluß namens meiner politischen Freunde erklären, daß uns eine Beratung des vorliegenden Gesetzentwurfs in zwei Ausschüssen, und zwar im Ausschuß für Jugendfürsorge und im Ausschuß für Fragen der Presse, des Rundfunks und Films, als ausreichend erscheint. Ich nehme an, daß wir in einer reiflichen Beratung der Dinge uns sehr wohl über einen gangbaren Weg einigen werden, der das zustande bringt, was wir zum Schutz unserer Jugend zu tun schuldig sind.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache zu Drucksache Nr. 1101 ist geschlossen. Ich erkläre hiermit die erste Beratung dieses Gesetzentwurfs für geschlossen.
Wir haben uns noch über die Ausschüsse zu einigen. Ursprünglich war die Überweisung an den Ausschuß für Fragen der Jugendfürsorge vorgesehen; das ist ganz selbstverständlich.
— Federführend! Dann hat der Herr Kollege Hennig wie soeben der Herr Abgeordnete Vogel Überweisung an den Ausschuß für Fragen der Presse, des Rundfunks und Films, ferner an den Rechtsausschuß vorgeschlagen. Ich habe mich mit dem Kollegen Hennig dahin geeinigt, daß er den Rechtsausschuß wegläßt.
— Nein, der Ausschuß für Fragen der Presse, des Rundfunks und Films sollte wegfallen. — Finden wir doch einen Mittelweg! Wir kommen ja wieder in das leidige Kapitel der vielen Ausschüsse. Drei Ausschüsse sind doch wirklich ausreichend. Ich bin für zwei Ausschüsse.
Ist das Haus allgemein für zwei Ausschüsse?
Ich schlage zunächst Überweisung an den Ausschuß für Fragen der Jugendfürsorge als federführenden Ausschuß vor. Darin sind wir einig.
Dann kommt die zweite Frage: auf der einen Seite Rechtsausschuß, auf der andern Seite Ausschuß für Fragen der Presse, des Rundfunks und Films.
Ich schlage Ihnen vor, den völlig überlasteten Rechtsausschuß aus dem Spiel zu lassen.
Der erstickt ja in seiner Arbeit.
— Dafür bin ich doch soeben eingetreten. Ich bin ja gar nicht so.
Ich habe vorgeschlagen, den Gesetzentwurf zweitens
— das scheint mir thematisch richtig zu sein — an den Ausschuß für Fragen der Presse, des Rundfunks und Films zu überweisen. Findet dieser Vorschlag die Zustimmung des Hauses?
Herr Abgeordneter 011enhauer zur Geschäftsordnung!
Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion besteht auf ihrem Antrag, diesen Entwurf auch dem Rechtsausschuß zu überweisen. Ich glaube, wir haben sehr wichtige, sachliche Gründe dafür vorgebracht, daß sich auch der Rechtsausschuß mit diesem Entwurf beschäftigen muß.
Es wäre das erstemal, daß wir über die Überweisung an die betreffenden Ausschüsse abgestimmt haben. Wollen wir das denn machen?
— Nein, ich bin an sich nicht dafür.
Es liegen zwei Anträge vor. Wir waren uns darüber klar, den Entwurf zum zweiten an den Ausschuß für Fragen der Presse, des Rundfunks und Films zu überweisen. Darüber sind wir uns einig.
Jetzt kommt der dritte Antrag, den Entwurf an den Rechtsausschuß zu überweisen. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Ich glaube, das erstere war die Mehrheit.
— Ich glaube es nicht nur, sondern ich stelle es in Übereinstimmung mit dem Vorstand fest. Also ist der Gesetzentwurf auf Drucksache Nr. 1101 zunächst weiter an den Rechtsausschuß überwiesen.
Weiter liegt der Antrag des Herrn Abgeordneten Dr. Vogel vor, den Entwurf an den Ausschuß für Fragen der Presse, des Rundfunks und Films zu überweisen. Will jemand dagegen sprechen? — Ich hoffe nicht.
Wir stimmen ab. Wer dafür ist, den bitte ich, die
Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe.
— Das erste war zweifellos die Mehrheit.
. Ich stelle also zusammenfassend fest: Der Entwurf ist an drei Ausschüsse überwiesen, an den Ausschuß für Fragen der Jugendfürsorge als federführenden Ausschuß, an den Rechtsausschuß und an den Ausschuß für Fragen der Presse, des Rundfunks und Films.
— Es liegt kein Antrag vor. Die Abstimmung über diese Angelegenheit ist beendet.
— Zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Mayer!
Überweisung an den Kulturpolitischen Ausschuß ist schon durch den Referenten beantragt worden.
Es liegt also noch ein vierter Antrag für einen vierten Ausschuß vor. Ich muß mich belehren lassen. Wer dafür ist, daß die Drucksache Nr. 1101 auch an den Ausschuß für Kulturpolitik überwiesen wird, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit. Die Vorlage ist damit an vier Ausschüsse überwiesen.
Ich bitte jetzt das Hohe Haus bzw. die vier beteiligten Ausschüsse, sich nun derart zu koordinieren, daß sie recht bald zu einer praktischen Arbeit kommen und wir vielleicht in der Lage sind, noch vor Beginn der Ferien den Gesetzentwurf in zweiter und dritter Lesung zu verabschieden.
— Die Sache ist jetzt erledigt.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat Frau Dr. Weber.
Ich zweifle an, daß es bei der letzten Abstimmung die Mehrheit war.
Das tut mir sehr leid. Der Vorstand ist übereinstimmend der Meinung.
Wir sind das Hohe Haus und Sie nur der Vorstand. Wenn das Hohe Haus die Abstimmung bezweifelt, müssen Sie sie wiederholen.
Dann verweise ich Sie auf die Geschäftsordnung.
— Sonst müssen wir doch wieder einen Hammelsprung machen.
Ich stelle fest, daß bei Anzweiflung der Abstimmung zunächst die Übereinstimmung des Präsidiums entscheidend ist. Der Vorstand stimmt absolut darin überein, daß es in diesem Falle die Mehrheit gewesen ist. Ich bitte doch, es dabei zu belassen.
- Die Abstimmung ist angezweifelt worden. Dann muß ich nach der Geschäftsordnung verfahren und einen Hammelsprung machen lassen.
Damit kein Irrtum entsteht, bemerke ich, daß wir im Hammelsprung darüber abzustimmen haben, ob die Drucksache Nr. 1101 viertens auch an den Ausschuß für Kulturpolitik zu überweisen ist oder nicht. Ich bitte diejenigen, die dafür sind, durch die Ja-Tür rechts von mir, diejenigen, die dagegen sind, durch die Nein-Tür links von mir, und diejenigen, die sich enthalten wollen, durch die Mitteltür hereinzukommen. Ich bitte, den Saal zu verlassen.
Ich bitte die Damen und Herren, sich wieder in den Saal zu begeben.
Haben sich alle Mitglieder des Hauses in den Saal begeben?
— Dann erkläre ich die Abstimmung für erledigt und bitte, die Türen zu schließen.
Ich bitte die Damen und Herren, die ihr Amt als Schriftführer ausgeübt haben, mir ihre Zählungsergebnisse mitzuteilen.
Meine Damen und Herren! Ich habe die Ehre, Ihnen das Ergebnis des Hammelsprungs zu verkünden. Für die Überweisung der Vorlage Drucksache Nr. 1101 an den Ausschuß für Kulturpolitik haben sich 159 Abgeordnete ausgesprochen, dagegen 105; vier Abgeordnete haben sich der Stimme enthalten. Damit ist der Gesetzentwurf Drucksache Nr. 1101 auch an den Ausschuß für Kulturpolitik überwiesen.
Meine Damen und Herren! Wir kommen zum nächsten Punkt der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Einwirkung von Kriegssachschäden an Gebäuden auf Miet- und Pachtverhältnisse ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht Nr. 1105 der Drucksachen).
Zur Berichterstattung erteile ich Herrn Abgeordneten Dr. Etzel das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Regierungsvorlage des Entwurfs eines Gesetzes über die Einwirkung von Kriegssachschäden an Gebäuden auf Miet- und Pachtverhältnisse hat der Bundesrat in seiner 12. Sitzung am 27. Januar dieses Jahres mit einer unwesentlichen technischen Abänderung zugestimmt. Unter dem 3. Februar wurde die Vorlage von der Bundesregierung als Drucksache Nr. 507 dem Bundestag zugeleitet. Dieser hat sie in seiner 38. Sitzung am 15. Februar ohne Debatte an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht — federführend — und an den Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen überwiesen.
Der Rechtsausschuß hat den Entwurf am 26. April in einer ersten Lesung beraten und ihn bereits in ihr nicht nur redaktionell, sondern inhaltlich ziemlich weitgehend abgeändert. Die wichtigsten Änderungen erfuhr der Absatz 2 des § 2. Veranlassung bot vor allem die Tatsache, daß inzwischen das vom Bundestag gegenüber der Regierungsvorlage erheblich umgestaltete Erste Wohnungsbaugesetz in Kraft getreten war. Der Wohnungsausschuß seinerseits hat eine Reihe von Änderungsvorschlägen gemacht, die sich auf die Terminologie und sachlich vor allem auf den § 2 Abs. 2 Buchstaben b und c, den Schlußsatz dieses Absatzes 2 und auf § 4 bezogen. In einer Besprechung zwischen Vertretern des Rechtsausschusses und des Wohnungsausschusses wurde versucht, zu einer Angleichung der Meinungen zu gelangen.
In der zweiten Beratung am 22. Juni übernahm der Rechtsausschuß von den Anregungen des Wohnungsausschusses die Beschränkung der Bestimmung des § 4 auf den Fall des § 2 Abs. 2 Buchstabe c. Dagegen glaubte er die weitere Anregung des 18. Ausschusses, in diesem Buchstaben c die erhebliche Förderung der Wiederherstellung der Räume in ihrer endgültigen Gestalt als Bedingung des Fortbestehens des Vertragsverhältnisses vorzuschreiben, nicht annehmen zu können. Ebensowenig konnte sich der Rechtsausschuß zu der Ersetzung des im Schlußsatz des Abs. 2 des § 2 genannten Stichtages des 31. Dez. 1951 durch den 30. Juni 1951 und zu der vorgeschlagenen Streichung des Abs. 2 des § 4 verstehen.
Durch das Gesetz wird die Verordnung über die Einwirkung von Kriegssachschäden auf Miet- und Pachtverhältnisse vom 28. Dez. 1943 aufgehoben. Diese Verordnung hatte zwangswirtschaftlichen Charakter und die Verordnung über Kündigungsschutz für Miet- und Pachträume von 1937 und 1941 zur Grundlage. Sie suchte den außergewöhnlichen Verhältnissen Rechnung zu tragen, wie sie der moderne Luftkrieg geschaffen hat, und ging davon aus, daß nach der Kriegsschädenverordnung die Finanzierung zerstörter oder wesentlich geschädigter Wohnräume zunächst sichergestellt war. Sie war in der Hauptsache öffentlichrechtlicher Natur, schränkte die privatrechtlichen Grundlagen, das Eigentumsrecht und die Vertragsfreiheit, insbesondere auch die Vermietungsbefugnis des Eigentümers zugunsten einer bevorzugten Berücksichtigung der bisherigen Mieter erheblich ein und beseitigte den ordentlichen Rechtsweg, ersetzte also die Zuständigkeit der Gerichte durch jene der Verwaltungsbehörden. So überwogen eindeutig die öffentlichen Obsorgeinteressen und -pflichten der Verwaltungsbehörden; es ging nicht mehr um die Einzelinteressen der Vertragspartner.
Die Verordnung hatte, kaum erlassen, schon mit dem Einsetzen der Massenzerstörungen in der letzten Phase des Krieges ihre Voraussetzung und ihren
Sinn verloren. Bei dem steilen Anstieg der Zahl der Ausgebombten hatte die Aufrechterhaltung von Vertragsverhältnissen über Räume in nicht völlig zerstörten Gebäuden und die Zubilligung einer bevorzugten Anwartschaft der Mieter, Pächter und sonstigen Benutzungsberechtigten, deren Vertragsverhältnisse nach der Verordnung erloschen waren, vielfach keinen realen Wert mehr. Dazu kam, zum Teil noch während des Krieges, vollends aber nach ihm, die Aufgabe, Massen von Evakuierten, Flüchtlingen und Heimatvertriebenen ein Unterkommen zu bieten.
In dem Maße, wie sich der Wiederaufbau oder die Wiederherstellung der zerstörten oder beschädigten Gebäude und Räume verzögerte, lockerten sich die Beziehungen zwischen dem Eigentümer und den Letztmietern. Außerdem ist zu berücksichtigen, daß durch das Kontrollratsgesetz Nr. 1 der Abs. 2 des § 7 der Verordnung von 1943 aufgehoben wurde, daß die Wohnraumlenkungsverordnung, auf deren §§ 7 und 8 sie verweist, nicht mehr besteht, und daß Nordrhein-Westfalen mehrere Bestimmungen der Verordnung und Bremen diese ganz beseitigt und durch ein neues Gesetz ersetzt hat mit der Wirkung, daß diese Außerkraftsetzungen gemäß Art. 125 des Grundgesetzes Bundesrecht geworden sind. So sind wesentliche Voraussetzungen der bisherigen Regelung entfallen, und die Verhältnisse, von denen sie ausging, haben sich grundlegend geändert. Ihre Aufhebung scheint somit veranlaßt. Im Hinblick auf die Art. 125 und 80 des Grundgesetzes kann dies nur durch Gesetz geschehen.
Die Aufhebung der Verordnung ist in § 1 Abs. 1 ausgesprochen. Abs. 2 der Regierungsvorlage wurde als entbehrlich gestrichen, da das Gesetz keine rückwirkende Kraft hat und den auf Grund der Verordnung eingetretenen Rechtsänderungen eine selbständige Existenz zukommt.
Herr Berichterstatter, darf
ich Sie einmal einen Moment unterbrechen! - Ich sehe da rechts eine Reihe von Teilfraktionssitzungen im Stehen.
Ich bitte, sie doch im Sitzen zu führen; das Bild wird dadurch etwas sympathischer.
Bitte, Herr Berichterstatter!
§ 2 Abs. 1 verfügt das grundsätzliche Erlöschen bisher bestehengebliebener Vertragsverhältnisse. Abs. 2 bestimmt die Ausnahmen hiervon; er beschränkt sie auf die Fälle, wo eine wesentliche juristische oder wirtschaftliche Lockerung der Beziehungen zwischen den Vertragsbeteiligten nicht eingetreten ist, sondern ein Sachverhalt vorliegt, der ein echtes Interesse des Benutzungsberechtigten oder beider Teile an der Aufrechterhaltung des Vertragsverhältnisses begründet. Der Schlußsatz des Abs. 2 setzt den 31. Dezember 1951 als Stichtag fest, über den hinaus keines der in Betracht kommenden Vertragsverhältnisse in der Schwebe bleiben soll. Abs. 3 führt den ordentlichen Rechtsweg wieder ein.
§ 3 gibt dem Benutzungsberechtigten im Falle des Erlöschens des Vertragsverhältnisses einen Anspruch auf angemessene Entschädigung für gemachte Aufwendungen und auf Befreiung von eingegangenen Verpflichtungen. Die zu Satz 2 des Abs. 1 aus der Mitte des Ausschusses gemachte Anregung, den Befreiungsanspruch nur im Rahmen des Entschädigungsanspruchs zuzubilligen, fand nicht die Zustimmung der Mehrheit.
Nach § 4 Abs. 1 soll der Überlassungspflichtige im Falle des Fortbestehens des Vertragsverhältnisses von der Verpflichtung zu einem unwirtschaftlichen oder nicht zumutbaren Aufwand frei werden. Diese Befreiung ist im Gegensatz zur Regierungsvorlage auf den Fall des § 2 Abs. 2 Buchstabe c beschränkt.
Abs. 2 des § 4 gibt dem Überlassungspflichtigen für besondere Fälle eine Vertragsaufhebungsklage. Wird der Klage stattgegeben, so stehen dem Benutzungsberechtigten die Ansprüche gemäß § 3 zu.
Mit der Verabschiedung des vorliegenden Gesetzentwurfes ist für das in wesentlichen Punkten abweichende bremische Gesetz vom 25. Oktober 1948 kein Raum mehr. § 5 spricht die Aufhebung aus und trifft die notwendige Übergangsregelung.
Die wirtschaftliche Bedeutung des vorliegenden Gesetzentwurfs, vor allem seine wirtschaftsbelebende Wirkung wäre, wenn er frühzeitiger hätte vorgelegt und verabschiedet werden können, beträchtlich gewesen. Seine juristische Dringlichkeit ist ungemindert. Ich bitte das Hohe Haus, dem Gesetzentwurf in der von dem 23. Ausschuß vorgeschlagenen Fassung die Zustimmung zu erteilen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter für seine Ausführungen.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen nach § 88 der Geschäftsordnung vor, die Redezeit auf insgesamt 40 Minuten zu begrenzen. Ich darf die Zustimmung des Hauses dazu feststellen. — Ich höre keinen Widerspruch.
Als erster Redner hat sich zu Wort gemeldet Herr Abgeordneter Meyer . 8 Minuten bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wahrscheinlich würde zu der Vorlage, über die der Herr Berichterstatter des Rechtsausschusses Ihnen vorgetragen hat, nichts mehr zu sagen gewesen sein, wenn, nachdem der Rechtsausschuß seine abschließenden Beratungen getroffen hatte, nochmals insoweit, als er von den Beschlüssen des Wohnungsausschusses abgewichen war, der Versuch einer Verständigung unternommen worden wäre. Das ist leider nicht geschehen.
Es wird vielleicht im späteren Zusammenhang bei der Neubearbeitung unserer Geschäftsordnung einmal ein überlegenswerter Punkt sein, wieweit der federführende Ausschuß nicht schließlich ein gemeinsames Resultat herbeizuführen suchen muß, oder aber ob nicht der zweite Ausschuß mit einem eigenen Bericht zur Vorlage auftritt.
Wir haben im Wohnungsausschuß — der Herr Berichterstatter trug es vor — in einigen Punkten abweichende Meinungen geäußert und Beschlüsse gefaßt. So haben wir zu dem § 2 Abs. 2 c) — das ist jener Paragraph, der dem Benutzungsberechtigten, der am Wiederaufbau oder an der Wiederherstellung beteiligt gewesen ist, bestimmte Rechte zuweisen und sein Rechtsverhältnis als nicht erloschen betrachtet wissen will — gewünscht, daß der Benutzungsberechtigte, wenn er den Wiederaufbau oder die vollständige Wiederherstellung der Räume erheblich gefördert hat, zur weiteren Benutzung der Räume berechtigt sein soll.
Ich möchte mir namens meiner Fraktion gestatten, diesen und zwei weitere Beschlüsse, die im Wohnungsausschuß einstimmig gefaßt worden sind, nunmehr als Anträge meiner Fraktion aufzunehmen. Ich beantrage also, daß in § 2 Abs. 2 c) hinter „oder die" vor „Wiederherstellung" das Wort „vollständige" eingeschaltet wird, so daß es „vollständige Wiederherstellung der Räume" heißt. Ich möchte ganz kurz zur Begründung sagen, daß dieses Gesetz notwendig wird, um endlich klare Rechtsverhältnisse auf dem Gebiete des Wiederaufbaues unserer zerstörten Wohnanlagen herbeizuführen, und daß man deshalb hier auch in all denjenigen Fällen einen Schlußstein setzen muß, wo nicht die vollständige Wiederherstellung, sondern vielleicht nur eine behelfsmäßige Wiederherstellung erfolgt ist, daß auch in diesen Fällen eine Beendigung des Nutzungsverhältnisses eintreten können muß, um den Wiederaufbau oder die Wiederherstellung der gesamten Wohnanlagen nicht dadurch behindern zu lassen, daß dieser Behelfsbau dort im Wege steht.
Wir möchten weiter vorschlagen, daß der letzte Satz zum § 2 Abs. 2 hinter c) als Termin der Fertigstellung der Räume nicht das Ende des Jahres 1951 vorsieht, sondern, wie es im Wohnungsausschuß beschlossen worden ist, den 30. 6. 1951, weil wir der Auffassung sind, daß sechs Jahre nach Beendigung der Kampfhandlungen hier endlich der Schlußstrich gezogen werden muß und die Beteiligten, sowohl der Überlassungspflichtige als auch der Benutzungsberechtigte, nun alles daransetzen müssen, um bis zu diesem Zeitpunkt die Fertigstellung herbeizuführen.
Nebenbei: nicht der Wohnungsausschuß hat die deutsche Sprache „bereichert", nicht er hat vorgeschlagen, an Stelle der Begriffe Mieter, Pächter und Berechtigte aus anderen Nutzungsverhältnissen, wie sie die Kriegseinwirkungsverordnung anwandte, die neuen Begriffe Überlassungspflichtige und Benutzungsberechtigte zu setzen. Aber wir haben keine Veranlassung, uns gegen diese „Bereicherung" der deutschen Sprache, die ja im übrigen an Wortmangel nicht leidet, zu wenden.
Wir möchten schließlich in § 4, ebenfalls in Übereinstimmung mit den Beschlüssen des Wohnungsausschusses, den Abs. 2 gestrichen haben, jenen Absatz, der es einem Überlassungspflichtigen, hier also Vermieter, möglich macht, nachdem ein Mieter oder Benutzungsberechtigter, wie es jetzt in der Gesetzessprache heißen soll, die Wiederherstellung der - Räume schon mit eigenen Mitteln betrieben hat, sich nunmehr, nachdem der Mieter vielleicht am Ende seiner finanziellen und materiellen Kräfte ist und die Wiederherstellung nicht fortsetzen kann, einen kapitalkräftigeren Aufbauwilligen zu suchen. Wir sind der Meinung, daß dazu gar keine Veranlassung besteht. Wenn in dem Gesetz mit der Bestimmung des § 2 Abs. 2 c) die Voraussetzung geschaffen werden soll, daß der am Wiederaufbau oder an der Wiederherstellung erheblich beteiligt gewesene Vertragsteil geschützt wird, dann darf man hier nicht eine Bestimmung schaffen, die es dem Überlassungspflichtigen, sprich Vermieter, zwar nach der Entscheidung eines Gerichtes, aber auf seinen Antrag möglich macht, daß er sich einen anderen Mieter, Aufbauwilligen sucht, der ihm möglicherweise über die noch erforderlichen restlichen Wiederaufbaukosten hinaus eine Leistung verspricht und dem er dann deshalb diese in absehbarer Zeit wiederhergestellten Räume überläßt. Wir sind der Auffassung, daß dieser § 4 Abs. 2 auch im Hinblick auf die weiteren Bestimmungen des Gesetzes überflüssig ist, und ich gestatte mir, namens meiner Fraktion deshalb den Antrag zu stellen — auch in Übereinstimmung mit den Beschlüssen des Wohnungsausschusses —, den § 4 Abs. 2 zu streichen.
Ich darf dem Herrn Präsidenten die Anträge überreichen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Brönner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Gesetz hat die Aufgabe, eine Bereinigung der Rechtsverhältnisse zwischen Mietern und Vermietern zu schaffen. Es will viele Hemmungen beseitigen und dadurch dem Wiederaufbau dienen. Wir waren uns im Wohnungsbauausschuß über die Formulierung und Gestaltung dieses Gesetzentwurfs einig. Er ist an den Rechtsausschuß weitergegangen. Es war uns nicht möglich, die Differenzen, wie es wünschenswert gewesen wäre, gemeinsam aufzuklären. Wir waren uns weiter darüber einig, daß wir an erster Stelle den materiellen Gehalt dieses Gesetzes zu formulieren haben. Wir haben uns im Wohnungsbauausschuß schon bei dem Ersten Wohnungsbaugesetz über die Frage der Förderung des Wohnungsbaues und der Beseitigung der Hemmungen im Wohnungsbau eingehend auseinandergesetzt, und daher glauben wir auch, diesen Gesetzentwurf in unserem Sinne gestalten zu sollen. Es dreht sich ja nicht um eine wesentliche Angelegenheit des Wohnungsbaues, sondern um eine Bereinigung innerhalb des Mietrechtes.
In Übereinstimmung mit meinem Vorredner, Herrn Kollegen Meyer, darf ich im Namen meiner Fraktion erklären, daß der Antrag, der eben von Herrn Meyer gestellt worden ist, auch von uns bejaht und unterstützt wird. Wenn wir den Gesetzentwurf in dieser Form annehmen, wird er keine rechtlichen Schattenseiten von Bedeutung haben; aber er wird die Vorteile bringen, die wir für die Bereinigung der Miet- und Pachtverhältnisse bei Kriegssachschäden an Gebäuden brauchen.
Das Wort hat der Abgeordnete Ewers.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich halte es verfahrensmäßig für im höchsten Maße mißlich, wenn Gesetze, die für die Rechtsanwendung vor Gericht geschaffen werden, hier durch Anträge in ihrem Wortlaut berührt werden und dann nicht klar ist, welche Konsequenz die beantragten Änderungen haben, jedenfalls für den Juristen, der diese Anträge in diesem Augenblick zum erstenmal hört. Ich bin der Ansicht, daß solche Anträge schriftlich vorgelegt werden müßten. Ich beantrage daher, weil ich die Konsequenzen des Antrages der SPD nicht übersehen kann, die Vorlage dem Rechtsausschuß mit der Maßgabe zurückzuüberweisen, den Wortlaut mit dem Wohnungsausschuß abzustimmen oder, falls das mißlingt, getrennte Berichte zu geben, über die man sich dann entscheiden muß.
Ich persönlich habe zu dem Antrag den Vorbehalt zu machen, daß in dem Falle, wenn die „vollständige" Wiederherstellung von Wohnräumen vor Inkrafttreten des Gesetzes vollendet ist, dann doch in aller Regel der Mieter auch sofort eingezogen sein wird. In diesem Falle kann es also doch wohl praktisch gar nicht in Betracht kommen, daß die Wohnung, wie § 4 voraussetzt, nicht in Benutzung genommen ist. Ich bin der Meinung, da liegt ein Widerspruch vor, der sich im Augenblick nicht aufklären läßt. Das Plenum ist nicht der richtige Ort, um solche Zweifel zu beseitigen.
Erfolgt die Zurückverweisung, so darf ich auf folgende in der Gesetzgebung meines Wissens bisher noch nie vorgekommene Anomalie hinweisen. In § 2 ist, nachdem in § 1 eine Verordnung endgültig aufgehoben ist, so daß der Jurist, der dieses Gesetz anwendet, sie nie mehr einzusehen braucht, weil sie nicht mehr existiert, dennoch auf Bestimmungen Bezug genommen, die in dieser nunmehr aufgehobenen Verordnung stehen. Ich halte das gesetzestechnisch für einen schweren Mangel. Die Vertragsverhältnisse, die nunmehr bestehen bleiben, müssen in dem Text des neuen Gesetzes, das an die Stelle des alten tritt, genau aufgeführt sein. Man kann nicht auf Bestimmungen eines aufgehobenen Gesetzes Bezug nehmen. Auch dieser technische Mangel sollte meines Erachtens Anlaß geben, den Gesetzentwurf an den Rechtsausschuß zurückzuverweisen, damit dieser prüfen kann, ob diese Rüge rein gesetzestechnisch nicht ihre volle Berechtigung hat. Ich bitte also, da man die von Herrn Meyer eingebrachten Anträge der SPD-Fraktion nicht ganz übersehen kann, und der von mir erwähnte juristisch-technische Mangel noch nicht beseitigt ist, um Zurückverweisung an den Rechtsausschuß mit der Maßgabe, daß er Übereinstimmung mit dem Wohnungsausschuß herbeizuführen hat oder aber getrennte Berichte mit getrennten Anträgen vorzulegen sind.
Das Wort hat der Abgeordnete Meyer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte das Hohe Haus bitten, dem Antrage des Herrn Kollegen Ewers nicht stattzugeben. Auch die Änderungsanträge, von denen ich eben sprach, sind, da es leider nicht mehr möglich war, den Rechtsausschuß zusammenzubekommen, mit Mitgliedern des Rechtsausschusses von verschiedenen Fraktionen besprochen worden. Ihre juristische Konsequenz ist sehr wohl überlegt worden. Da aber keine offizielle Sitzung stattgefunden hat, kann ich Ihnen nicht berichten, daß der Rechtsausschuß hierzu Stellung genommen hat, sondern ich habe mich privat und meine Fraktion hat sich privat beraten lassen. Die Dinge sind auch in rechtlicher Beziehung eindeutig klar, abgesehen von dem, was Herr Kollege Ewers über § 2 gesagt hat. Es ist zuzugeben, daß das gesetzestechnisch schlecht ist. Wir sind aber bei der materiellen Beratung im Wohnungsausschuß davon ausgegangen, daß es nunmehr, 5 Jahre nach Beendigung der Kampfhandlungen, dringend notwendig ist, die Rechtsverhältnisse hier eindeutig zu klären, und daß dieses Gesetz, nachdem alle Beteiligten, die davon betroffen sind oder gewesen sind, 5 Jahre lang Zeit gehabt haben, ihre Absichten durchzuführen, keine Verzögerung mehr erfahren, sondern heute von dem Hohen Hause beschlossen werden sollte. Ich bitte Sie deshalb, unsere Abänderungsanträge zu behandeln und dem Vertagungsantrag nicht stattgeben zu wollen.
Keine weiteren Wortmeldungen. Dann schließe ich die Aussprache.
Ich lasse abstimmen, und zwar zunächst über den Verweisungsantrag. Wer für die Rückverweisung an den Rechtsausschuß und den Wohnungsausschuß unter Federführung des Rechtsausschusses ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Letzteres ist die überwältigende Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen nunmehr in zweiter Beratung ab.
§ 1. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Angenommen.
Zu § 2 liegen Abänderungsanträge vor. Abs. 2 lit. c soll lauten:
der Benutzungsberechtigte den Wiederaufbau oder die vollständige Wiederherstellung der Räume erheblich gefördert hat,
und dann im bisherigen Text weiter.
Wer für diesen Abänderungsantrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Angenommen.
Es liegt folgender zweiter Abänderungsantrag vor. In § Abs. 2 soll nach lit. c der letzte Satz nunmehr heißen:
Soweit die Räume bis zum 30. 6. 1951 nicht bezugsfertig werden, erlischt das Vertragsverhältnis zu diesem Zeitpunkt.
Wer für diese Fassung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Gegen wenige Stimmen angenommen.
Nunmehr lasse ich über den gesamten § 2 in der abgeänderten Fassung abstimmen. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Angenommen.
Ich rufe § 3 auf. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Angenommen.
Ich rufe § 4 auf. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Angenommen.
— Verzeihung, dieser Antrag ist mir nicht vorgelegt worden.
— Ach ja, ich bitte um Entschuldigung und bitte, die Abstimmung zu § 4 als nicht geschehen zu betrachten.
Ich lasse nun über den Abänderungsantrag abstimmen, in § 4 den Abs. 2 zu streichen. Wer für die Streichung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Gegen wenige Stimmen angenommen.
Wer nun für den § 4 in der abgeänderten Fassung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Angenommen.
Ich rufe § 5 auf. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Angenommen.
Ich rufe Einleitung und Überschrift auf. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Ich eröffne die Aussprache. Es liegen keine
Wortmeldungen vor. Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe auf: §§ 1, — 2, — 3, — 4, —5,— Einleitung und Überschrift. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Angenommen.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer für die Annahme des in der dritten Beratung soeben beschlossenen Gesetzes ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Das Gesetz ist angenommen. Damit ist dieser Tagungsordnungspunkt erledigt.
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Hammer, Dr. Schäfer und Fraktion der FDP, betreffend Vorlage eines Gesetzentwurfs über die Vereinigung des Zahnärzte- und Dentistenberufes .
In dieser Sache schlägt Ihnen der Ältestenrat folgende Zeiteinteilung vor: 10 Minuten für die Einbringung und 40 Minuten für die Gesamtberatung. Ist das Hohe Haus damit einverstanden? — Es erhebt sich kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Wer wird den Antrag begründen? — Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hammer zur Begründung des Antrages. -
Meine Damen und Herren! Vor Zeiten haben die Stände der Dentisten und Zahnärzte einen harten Kampf miteinander ausgefochten. Sie werden sich noch an den Zeitpunkt erinnern, als jene würdigen Berufsvertreter mit ihren Familien, Verbandsführern und Freunden, Geheilten und Ungeheilten zusammen uns überzeugen wollten, daß ihre Methode und ihre Lehre zur Behandlung der Zähne und des Mundes die alleinseligmachende sei. Diese Dinge sind durchaus verständlich, wenn Sie daran denken, daß jenes oberste Organ unseres Verdauungstraktes auf unsere Stimmung schließlich einen ungeheuren Einfluß hat. Sind die Zähne und der Mund intakt. dann ist der Mensch genußfähig. Ist das nicht der Fall, dann wird er oft von peinigenden Qualen verfolgt.
Meine Damen und Herren, der erwähnte Streit ist zu Ende gegangen. Früher hat man sich vorgeworfen, daß der eine mit spekulativem Denken und der andere nur mit einer brutalen Technik diese Dinge in Ordnung zu bringen gedächte. Man hat dann schließlich doch eingesehen, daß man nur mit beiden zu einem guten Ziel kommen kann.
Schon im Jahre 1927 hatten sich die Verbände der Zahnärzte und der Dentisten geeinigt, und man bereitete damals ein sogenanntes Peerschubgesetz vor. wie es in den achtziger Jahren auch einmal für die Ärzte und Wundärzte gemacht worden war. Später sind die Verbände wieder uneins geworden. Seit zwei Jahren sind sie wieder einig, und beide sind daran interessiert, daß ein solches Gesetz jetzt zustande kommt.
Eile scheint aus einem ganz bestimmten Grund im Interesse dieser Berufsgruppen geboten zu sein. Die Regierung, die in der deutschen Ostzone im Augenblick die Geschäfte ausübt, hat vor zwei Jahren ein ähnliches Gesetz in Kraft gesetzt. Dort ist also dieser Peerschub schon zustande gekommen. Eine Folge dieses Gesetzes ist nun, daß eine Reihe von ehemaligen Dentisten, die nun approbierte Zahnärzte geworden sind, über die Grüne Grenze nach Westdeutschland einzusickern versuchen, und die zweifellos vorhandenen Schwierigkeiten, die infolge der Überfüllung dieser Berufe bestehen, noch vermehren.
Das ist der Grund dafür, daß wir diesen Antrag gestellt haben. Nach Rücksprache mit unseren Nachbarn von der Deutschen Partei bin ich beauftragt, im Namen meiner Partei den Antrag etwas zu modifizieren. Ich bin von vornherein damit einverstanden, daß Sie diesen Antrag dem zuständigen Ausschuß für Fragen des Gesundheitswesens überweisen, und bitte Sie, so zu verfahren.
Ich eröffne die Aussprache. — Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Es ist der Antrag gestellt, die Drucksache Nr. 1091 dem Ausschuß für Fragen des GesundheitsWesens zu überweisen. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. -- Gegenprobe! — Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Horlacher und Genossen betreffend Vorlage einer Denkschrift über außerdeutsche Maßnahmen zur Förderung der Landwirtschaft .
Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Dr. Horlacher.
Ehe Sie das Wort nehmen, gestatten Sie mir bitte noch einen kurzen Hinweis. Der Ältestenrat schlägt für die Einbringung 5 Minuten und für die Aussprache 40 Minuten vor. — Dagegen erhebt sich kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag auf Drucksache Nr. 1092 bedeutet nichts anderes als die Versorgung des Bundestages und der Bundestagsabgeordneten mit wichtigem Material, um einmal die notwendigen Kenntnisse über die Verhältnisse in der ausländischen Landwirtschaft zu bekommen; und das ist notwendig. Wenn wir schon von europäischer Union und anderen Dingen sprechen, müssen wir über die Verhältnisse unterrichtet sein, die sich auf dem europäischen Raum ergeben, und darüber hinaus müssen wir auch unterrichtet sein, wie es ungefähr mit den Verhältnissen der Weltlandwirtschaft steht.
Jedenfalls steht das eine fest, daß die ausländischen Landwirtschaften der einzelnen Staaten einen außerordentlich hohen Schutz genießen. Dazu gehört die amerikanische Landwirtschaft; und ich darf bei dem Streit um die Subventionen auch darauf hinweisen, daß in Amerika eine staatliche Gesellschaft zur Kreditversorgung der Landwirtschaft besteht und daß in der amerikanischen Landwirtschaft ein außerordentlicher Vorratsbestand an Agrarprodukten gehalten wird. Der Vorratsbestand hat am Stichtag, 1. Januar 1950, nicht weniger als 3,95 Milliarden Dollar ausgemacht, so daß also hier mit dieser Vorratshaltung eine großzügige Stützung der amerikanischen Farmer durch die amerikanische Regierung vorgenommen ist.
Zu den Grundlagen der amerikanischen Politik — das entnehmen wir aus allen amerikanischen Zeitungen und Zeitschriften — gehört seit jeher die Prosperität der Landwirtschaft. Um das durch den Krieg weit über den Durchschnitt der Gesamtwirtschaft hinausgehende Einkommen der Farmer aufrechtzuerhalten, gibt die Regierung in Amerika Milliardenbeträge in Form von Preisstützungen für Landwirtschaftsprodukte aus. Soviel als Beispiel; ich will das nicht weiter ausdehnen.
Ähnliche Verhältnisse, vielleicht noch stärker, liegen in der englischen Landwirtschaft vor. Die Labourregierung hat ungeheure Stützungsmaßnahmen für die englische Landwirtschaft durchgeführt.
Auch aus Kanada kommen ähnliche Meldungen. Deswegen ist es notwendig, daß wir hier im Bundestag einmal eine Übersicht bekommen über die entsprechenden Stützungsmaßnahmen zugunsten der ausländischen Landwirtschaft.
Ich wäre Ihnen dankbar — dazu braucht es keiner Überweisung an den Ausschuß —, wenn Sie den Antrag so, wie er vorliegt, annehmen würden, damit wir möglichst bald in den Besitz des notwendigen Materials für agrarpolitische Beratungen gelangen.
Ich eröffne die Aussprache.
— Wortmeldungen erfolgen nicht. Ich schließe die Aussprache.
Ich lasse abstimmen. Wer für die Annahme des Antrages auf Drucksache Nr. 1092 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Der Antrag ist angenommen.
Ich rufe auf:
7a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Hilfsmaßnahmen für die Bundesbahn ;
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rümmele, Rademacher, Ahrens, Donhauser und Genossen betreffend Auftragserteilung der Deutschen Bundesbahn an die deutsche Waggon-Industrie ;
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Rümmele, Rademacher, Ahrens, Donhauser
und Genossen betreffend Auftragserteilung
der Deutschen Bundesbahn an die deutsche
Lokomotiv-Industrie .
Hier hat der Ältestenrat Ihnen vorzuschlagen: zweimal zehn Minuten für die Begründung dieser Anträge und sechzig Minuten für die Aussprache über alle drei Ziffern 7a, 7b, 7c. — Es erhebt sich kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Wer begründet den Antrag la?
Zu 7b und 7c hat Herr Abgeordneter Rümmele
das Wort.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist bekannt, daß die Reichsbahn der größte Auftraggeber auf dem industriellen Sektor in Deutschland ist.
Über eine Milliarde DM wird im Jahre 1950 von der Bundesbahn ausgegeben, und damit wird natürlich ein Stück Wirtschaftspolitik betrieben. Die Wirtschaftsbelebung hängt ja auch von diesen Dingen ab. Von dieser Milliarde Mark an Aufträgen der Bundesbahn sind über 350 Millionen Mark Aufträge für Kohlen, etwa ein Drittel des Auftragsbestandes, etwa 100/o der gesamten Einnahmen der Bundesbahn. Daneben werden große Aufträge vergeben für Schwellen, für Schotter, für Eisen, für Stahl, für Werkzeuge, für Maschinen, für Fahrzeuge, für Rohstoffe und Materialien aller Art.
Zwei Industriezweige, die wesentlich von den Aufträgen der Bundesbahn mit abhängen, sind die Lokomotivindustrie und die Waggonindustrie. Die Lokomotivindustrie zählte in Deutschland normalerweise 12 000 bis 14 000 Arbeiter. Sie hat die Bundesbahn, früher die Länderbahnen, ehemals die Reichsbahn, mit den modernsten Lokomotiven versorgen können und hat durch diesen Auftrag, den sie dauernd von den Bahnen hatte, gleichzeitig ihre Konkurrenzfähigkeit auf dem Auslandsmarkt behalten und erweitern können. Dadurch wurde sie auch zur Devisenbringerin für die deutsche Wirtschaft.
Nun ist es bei dieser Industrie so, daß momentan, glaube ich, noch 12 000 Arbeiter beschäftigt sind, daß aber die Gefahr besteht, daß noch im Laufe dieses Jahres mehrere Tausend Arbeiter entlassen werden müssen, wenn die Bundesbahn nicht mit Aufträgen einspringt, die etwa eine Summe von 9,6 Millionen für dieses Jahr erreichen sollen und die dann im Laufe des Jahres durch den Wirtschafts-
plan der Bundesbahn eine Ergänzung finden müßten, damit der Anschluß für das Jahr 1951 rechtzeitig gefunden werden kann. Diese Industrie ist darauf angewiesen, daß die Aufträge recht frühzeitig kommen, weil diese Aufträge gleichzeitig große Planungsprobleme aufwerfen. Wenn diese 9,6 Millionen Mark von der Bundesbahn an Aufträgen dazugegeben werden könnten, würde die Industrie in diesem Jahr ihre Kapazität einigermaßen aufrechterhalten und weitere Entlassungen vermeiden können, die nicht erwünscht sind, auch nicht vom Standpunkt der Bundesbahn, vor allem der Wirtschaft und der Konkurrenzfähigkeit der Lokomotivindustrie gegenüber, dem Ausland.
Es stand nun vor kurzer Zeit in der Zeitung, daß erfreulicherweise die Südafrikanische Union für 21 Millionen DM Aufträge an die Lokomotivbetriebe der Firma Krupp gegeben habe. Aber bis diese Aufträge zum Laufen kommen und sich verteilen, ist oft nicht genügend Arbeitsmöglichkeit vorhanden, so daß die Mitglieder des Verkehrsausschusses als Bundestagsabgeordnete, soweit sie nicht der SPD angehören, diese beiden unter Punkt 7b und 7c aufgeführten Anträge, die ich hier vertrete, gestellt haben.
Wir wünschten, wir hätten insgesamt für alle Parteien einen interfraktionellen Antrag einreichen können, denn auch 7a sagt ja im Grunde genommen, soweit die Summen in Frage kommen, dasselbe. Leider ist das nicht möglich gewesen, so daß diese Anträge in drei verschiedenen Unterabteilungen erscheinen.
Nun hat die Bundesbahn selbstverständlich bei ihren 31/2 Milliarden Einnahmen und Ausgaben Mittel vergeben. Aber die Bundesbahn selber leidet darunter, daß infolge des schlechten Einnahmeeinganges und rückläufiger Bewegungen, auf die ich nicht näher einzugehen brauche, zusätzliche Mittel von ihr aus nicht gegeben werden können. Man darf dabei nicht vergessen, daß die Bundesbahn Ausgaben pro Kopf eines Beschäftigten von 140 DM hat, daß sie aber Ausgaben für Materialbeschaffung jeder Art, vor allem für Kohlenbeschaffung, von 200 DM leisten muß. Man darf dabei auch nicht vergessen, daß die Einnahmen der Bahn frachtmäßig und tarifmäßig aus den Verkehrssparten etwa 142 oder 143 DM betragen. Aus diesem Unterschied, aus dieser auseinanderklaffenden Schere läßt sich ein Teil des Mangels an Kapital bei der Bundesbahn erklären.
Die Verhältnisse bei der Waggonindustrie liegen ähnlich. Diese Industrie könnte von der Bundesbahn sicher auf ein Jahrzehnt und noch darüber hinaus vollbeschäftigt werden, wenn man den Wagenpark erneuerte, verbesserte, ergänzte und die alten Wagen aus dem Verkehr nehmen könnte, um die neuen, leichteren und besseren Wagen einstellen zu können. Aber auch das ist hier nicht der Fall. Die Waggonindustrie beschäftigt zur Zeit etwa 9000 Menschen. Sie hat damit nur etwa 40% ihrer Kapazität ausgenutzt. Sie wird aber auch noch etwa 3000 entlassen müssen, wenn diese 6,4 Millionen, die in dem einen Antrag gefordert werden, nicht bereitgestellt werden können. Auch hier dasselbe wie bei der Bundesbahn. Die Bundesbahn hat diese Mittel leider nicht. Sie sieht aber ein, daß diese Aufträge vergeben werden sollten; denn es liegt, wie ich schon betonte, im Interesse der Bahn genau so wie im Interesse der Wirtschaft, daß wir leistungsfähige Waggon- und Lokomotivindustrien erhalten.
Ich darf dabei noch einen Satz einschalten. Neuerdings ist die Aluminiumindustrie, die Leichtmetallindustrie, ebenfalls auf den Plan getreten und wünscht etwa 500 000 Mark Kredit, um bestimmte Waggontypen in einer geringen Anzahl entwickeln zu können, einen sogenannten Entwicklungskredit. Ein Antrag darüber liegt nicht vor, die Männer des Verkehrsausschusses werden sich vielleicht auch damit demnächst befassen müssen. Es ist also so, daß die beiden Industrien Geld brauchen und daß die Bundesbahn keins hat. Deswegen die Anträge in dem Sinne, daß wir die Bundesregierung ersuchen, der Deutschen Bundesbahn und den Südwestdeutschen Eisenbahnen zur Erteilung von Aufträgen an die Waggonindustrie aus dem zweiten Arbeitsbeschaffungsprogramm folgende langfristigen Kredite rechtzeitig zur Verfügung zu stellen:
1. 9,8 Millionen DM zusätzlich über die bereits erteilten Aufträge hinaus für das Jahr 1950 und
2. einen ausreichenden Betrag nach dem Plan der Deutschen Bundesbahn vom 1. Juni 1950 und dem Plan der Südwestdeutschen Eisenbahnen zur Sicherung des Anschlußprogramms für das Jahr 1951.
Es ist zweitens so, daß für die Lokomotivindustrie der Antrag etwa gleich lautet, nur daß da die Dinge so sind, daß 6,4 Millionen eingesetzt sind. Ich habe mich, glaube ich, vorhin einmal versprochen und die Lokomotivindustrie mit der Waggonindustrie verwechselt. Also Lokomotivindustrie 6,4 Millionen, die Waggonindustrie 9,8 Millionen; sonst ist der Wortlaut unserer Anträge einheitlich. Ich will ihn wegen der Kürze der Zeit auch nicht verlesen.
Ich darf noch einen Satz anfügen. Wir bitten das Hohe Haus, diesen beiden Anträgen zuzustimmen und sie eventuell direkt dem Haushaltsausschuß zu überweisen; denn den Verkehrsausschuß brauchen wir, da alle Mitglieder dieses Ausschusses aus den verschiedenen Fraktionen ja an der Antragstellung als Abgeordnete beteiligt sind, nicht mehr zu bemühen. Dagegen wird der Haushaltsausschuß wahrscheinlich die gegebene Stelle sein.
Und noch eine Schlußbemerkung. Die Bundesbahnen sind ja doch in den zwei Teilen Südwestdeutsche Eisenbahnen und bizonale Eisenbahnen zur Zeit in einer gewissen Selbständigkeit begriffen. Wir wünschen ausdrücklich, daß auch die Südwestdeutschen Eisenbahnen sich an der Auftragsvergebung beteiligen und auch in dem eingeschaltet sind, was in der Zukunft zu geschehen hat. Wir wünschen aber auch, daß bei den Aufträgen, die dann vergeben werden können, wenn aus dem Arbeitsbeschaffungsprogramm diese Mittel zur Verfügung gestellt werden, alle Fabriken der Lokomotiv- und Waggonindustrie, auch im südwestdeutschen Raum, also in der französischen Zone, eine gewisse Berücksichtigung finden, die Verteilung also gerecht gestreut wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bleiß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Drucksache Nr. 1106 legt die sozialdemokratische Fraktion dem Hohen Hause einen Antrag vor, der die Durchführung von Hilfsmaßnahmen für die Bundesbahn und für die Südwestdeutschen Eisenbahnen zum Gegenstand hat. Es handelt sich hier um Hilfsmaßnahmen, die den Fahrzeugpark der Bundesbahn und der Südwestdeutschen Eisenbahnen betreffen.
Das Hohe Haus hat sich schon einmal mit der gleichen Materie im Februar dieses Jahres beschäftigt, und ich darf kurz in Ihr Gedächtnis zurückrufen, daß die sozialdemokratische Fraktion Anfang dieses Jahres beantragt hatte, der Bundesbahn ausreichende Mittel zur Verfügung zu stellen, damit sie ihren Fahrzeugpark ordnungsgemäß erneuern kann, und damit sie in der Lage ist, veraltete und unwirtschaftliche Wagen und Lokomotiven allmählich aus dem Verkehr zu ziehen. In der Begründung unseres damaligen Antrages war von uns ausgeführt worden, daß die Erneuerung der Fahrzeuge nicht nur ein betriebstechnisches, sondern vor allem ein betriebswirtschaftliches Problem ist, das gelöst werden muß; denn die Bundesbahn verfügt heute nicht mehr über ein Verkehrsmonopol im Landverkehr, sondern steht in einem schweren Konkurrenzkampf mit den Kraftfahrzeugen. Wenn die Bundesbahn sich in diesem Wettbewerb behaupten will, dann muß sie neue, leistungsfähigere Fahrzeugtypen einstellen. Nur dadurch können die Betriebskosten gesenkt werden, und auch nur dadurch kann der Reiseverkehr, und vor allem der Berufsverkehr, etwas bequemer und angenehmer gestaltet werden. Wenn diese Anschaffungen aber unterbleiben, dann sind wir der Meinung, daß sich die Betriebskosten laufend erhöhen und daß das Verkehrsvolumen bei der Bundesbahn weiter schrumpfen wird. Die Folgen solcher Unterlassungssünden müssen nach unserer Auffassung dazu führen, daß sich das Defizit, das aus Haushaltsmitteln beglichen werden muß, weiter erhöht.
Meine Damen und Herren, wir hatten im Februar auch darauf hingewiesen, daß nach unseren Informationen und Berechnungen das Beschaffungsprogramm ein Auftragsvolumen von mindestens 220 Millionen DM im Jahr umfassen muß; und in der Zwischenzeit ist uns mehrfach bestätigt worden, daß Aufwendungen mindestens in dieser Höhe notwendig sind. um die gröbsten Schäden zu beseitigen.
Wir hatten weiterhin im Februar verlangt, daß die Bundesbahn bei ihrer Auftragsvergebung auch insofern wieder zu normalen Verhältnissen zurückkehrt, daß sie die Waggon- und Lokomotivindustrie grundsätzlich mit Neubauaufträgen beschäftigt und daß alle Reparaturen von den Werkstätten der Bundesbahn ausgeführt werden sollen, weil wir annehmen, daß bei einer Konzentration der Arbeit in den Werkstätten der Bundesbahn auch von dieser Seite her eine Senkung der Betriebskosten und damit eine Verbesserung der finanziellen Lage der Bundesbahn möglich ist.
Aber, meine Damen und Herren, wie Ihnen bekannt ist, sind ja diese Anträge der sozialdemokratischen Fraktion im Februar dieses Jahres von den Regierungsparteien abgelehnt worden. Die damalige Ablehnung wurde mit dem Hinweis begründet, daß der Herr Bundesverkehrsminister von sich aus beabsichtigte, für das Jahr 1950 einen Kredit in Höhe von 210 Millionen DM für Reparaturen und für Neubeschaffungen zur Verfügung zu stellen. Wir haben in den verflossenen fünf Monaten leider feststellen müssen, daß der Herr Bundesverkehrsminister diese dem Hohen Hause gegebene Zusage nur zu einem bescheidenen Teil realisiert hat. Von der Bundesbahn ist uns kürzlich eine Übersicht über vergebene oder in Aussicht genommene Aufträge vorgelegt worden. In dieser Aufstellung war aber nicht mehr von 210 Millionen, sondern nur von 152 Millionen DM die Rede. Bei einer kritischen Betrachtung dieser Aufstellung haben wir feststellen müssen, daß in dem Betrag von 152 Millionen
DM eine Reihe von Summen sind, die nicht hereingehören; so zum Beispiel Aufwendungen für Lastkraftwagen, Aufwendungen für Zulieferteile und, was besonders merkwürdig war, Beträge von Aufträgen, die schon in, den Jahren 1948 und 1949 vergeben worden sind und die jetzt erst zur Auslieferung kommen, also Auftragsüberhänge aus den vorhergehenden Jahren. Nach Vornahme der notwendigen Korrekturen ergibt sich, daß nicht 210 Millionen DM vergeben worden sind, sondern daß sich die vergebenen oder in Aussicht genommenen Aufträge in einer Größenordnung von nur etwa 95 Millionen DM bewegen. Wir glauben, Herr Bundesverkehrsminister, daß mit einer solchen Methodik der Bundesbahn und den einschlägigen Industriezweigen sehr wenig gedient ist.
Inzwischen hat sich die Beschäftigungslage, wie auch eben schon von dem Herrn Kollegen Rümmele ausgeführt wurde, besonders in der Lokomotivindustrie weiter zugespitzt. Wenn nicht sofort etwas geschieht, werden beispielsweise bei der Firma Henschel & Sohn in Kassel schon in den nächsten Monaten etwa 1400 Arbeiter entlassen werden müssen. Das ist etwa ein Viertel der gesamten Belegschaf t.
Nun, meine Damen und Herren, darf ich kurz auf die Anträge Nr. 1108 und 1109 zu sprechen kommen. In diesen Drucksachen wird beantragt, für das laufende Jahr einen Kredit von 16,2 Millionen DM zur Verfügung zu stellen, um damit die Überbrückungsmaßnahmen zu finanzieren. Über diesen Kredit ist ja im Verkehrsausschuß ausführlich gesprochen worden; und obwohl die Maßnahmen keineswegs unseren Vorstellungen entsprechen, schließen wir uns ihnen an, weil wir der Meinung sind, daß Eile not tut, und daß sofort etwas geschehen muß. Wir haben deshalb die gleichen Beträge auch in unserem Antrag eingestellt.
Völlig anderer Meinung aber sind wir hinsichtlich des kommenden Jahres. Wir können uns nicht damit zufrieden geben, wie es in den Anträgen Nr. 1108 und 1109 heißt, daß ein ausreichender Betrag nach dem Plan der Bundesbahn vom 1. 6. 50 zur Sicherung der Anschlußprogramme zur Verfügung zu stellen ist. Wir sind hinsichtlich der sogenannten Anschlußprogramme und der allgemeinen Fixierung etwas mißtrauisch geworden. Der Plan vom 1. 6. 50 sieht insgesamt ein Auftragsvolumen von 150 Millionen DM vor, von denen 114 Millionen DM auf die Waggonindustrie und 36 Millionen DM auf die Lokomotivindustrie entfallen. Diese Beträge sind nach unserer Auffassung zu niedrig. Ich möchte Ihnen zum Beweis dafür zwei Beispiele bringen.
Nach unseren Informationen müssen auf dem Güterwagen-Sektor wöchentlich 350 Wagen, die nicht mehr reparaturfähig sind, wegen Altersschwäche ausgemustert werden. Auf das Jahr umgerechnet sind das 18 000 Wagen, die unbedingt neu bestellt werden müssen, wenn man auch nur den niedrigen Bestand der Bundesbahn an Güterwagen aufrechterhalten will. Der Aufwand hierfür beläuft sich auf mindestens 110 Millionen Mark.
Von dem Personenwagenbestand gehören zwei Drittel zu der Holzbauklasse; von diesen Wagen müssen jährlich 500 ausgemustert werden. Wenn man sie ersetzen will — und das ist unumgänglich notwendig —, dann sind hierfür weitere 60 Millionen Mark erforderlich.
In diesen beiden Kategorien allein haben wir also einen Aufwand von 170 Millionen Mark, der bereits über die gesamte hier genannte Summe weit hinausgeht. Dabei ist von keiner Lokomotive, von keinem Triebwagen bisher die Rede.
Deshalb halten wir in diesen Punkten die Anträge der Drucksachen Nr. 1108 und 1109 für unzureichend und haben unsererseits den Antrag gestellt, daß die Bundesbahn bis zum 30.September dieses Jahres dem Bundestag eine Übersicht über die Beschaffungsmaßnahmen vorlegt, die für 1951 erforderlich sind, um die notwendige Modernisierung des Fahrzeugparkes sicherzustellen. Es ist nach unserer Auffassung dringend erforderlich, daß sich das Hohe Haus endlich einmal einen Überblick darüber verschafft, was die Bundesbahn wirklich braucht, wenn sie insbesondere betriebstechnisch und betriebswirtschaftlich völlig auf der Höhe sein will. Die bisher herrschende Gepflogenheit, die Bundesbahn als ein Stiefkind der Arbeitsbeschaffung zu betrachten, ist nach unserer Auffassung zu einem erheblichen Teil mit schuld daran, daß die Einnahmen der Bundesbahn immer weiter zurückgehen, daß der Etat ein Defizit aufweist und daß die Verkehrsrelationen zwischen Schiene und Straße ungesund sind. Wir erheben erneut die Forderung, daß das vorzulegende Beschaffungsprogramm für 1951 die Beschäftigung der Waggon- und Lokomotivindustrie mit Neubauten berücksichtigen soll und daß man aus Gründen der Rationalisierung die Reparaturen nur bei den Werkstätten der Bundesbahn ausführen läßt. In der Übergangszeit wird allerdings eine solche Beschränkung auf die Werkstätten der Bundesbahn noch nicht möglich sein, weil nach unseren Informationen der Reparaturanfall demnächst schon so groß sein wird, daß die zur Zeit bei den Werkstätten vorhandene Kapazität gar nicht ausreichen kann, um sämtliche Reparaturen aufzuarbeiten.
Allerdings müssen wir uns in diesem Zusammenhange fragen, warum man in diesem Jahr bei der Bundesbahn Kurzarbeit eingeführt hat, wenn doch vorauszusehen war, daß schon in Kürze der Reparaturanfall nicht mehr zu schaffen ist. Wir glauben, daß die Bundesbahn ein typisches Beispiel dafür bietet, wie notwendig eine vernünftige Planung ist und welche wirtschaftlichen Spannungen und sozialen Ungerechtigkeiten eintreten, wenn man diese vernünftige Planung immer wieder konsequent ablehnt. Wir sind der Meinung, daß nur durch eine ernstgemeinte Aktion der Bundesbahn wirklich geholfen werden kann und eine Beseitigung des Defizits möglich ist. Deshalb bitte ich Sie im Namen meiner Freunde, unserer Formulierung in dem Antrag auf Drucksache Nr. 1106 zuzustimmen.
Das Wort hat der Herr Bundesverkehrsminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf daran erinnern, daß wir uns im Februar mit einem Antrag der SPD-Fraktion beschäftigt haben, der sich auf die Auftragsvergebung für die Lokomotiv- und Waggon-Industrie bezog. Aber leider hatte dieser Antrag einen wesentlichen Mangel, nämlich, daß die Fraktion der SPD die Mittel, die sie für diese Aufträge bereitgestellt wünschte, aus Gegenwert-Fonds entnehmen wollte.
Sie haben in den letzten Wochen wahrscheinlich in der Presse verfolgt, daß seitens der zuständigen Stellen, die über die Gegenwert-Fonds auf amerikanischer Seite verfügen, die in der zweiten und dritten Tranche vorgesehenen Mittel für die Bundesbahn in Höhe von 58 Millionen Mark, mit denen wir fest gerechnet hatten, gestrichen worden sind. Es ist von seiten der Bundesregierung durch die zuständigen Herren Minister, insbesondere den
Herrn Minister für den Marshallplan, dagegen Einspruch erhoben worden, ohne daß dies zu einem Erfolg geführt hätte. Vielmehr sind diese Mittel ausdrücklich im Rahmen der Kürzung der ECA-Mittel mit ausgefallen. Das ist deswegen besonders bedauerlich, weil, wie Sie ja alle ebenfalls wissen, die Kreditlage der Bundesbahn eine äußerst ungünstige ist.
Ich hatte mir im Februar erlaubt, das Hohe Haus darauf hinzuweisen, wodurch diese Situation entstanden ist: nämlich durch die Währungsumstellung und durch die völlig ungenügende Ausstattung der Bundesbahn mit Betriebsmitteln, der man damals nur 200 Millionen Mark Betriebsmittel gegeben hat, kaum genug, um die bestehenden Verpflichtungen zu decken, und der man auf der anderen Seite jährlich 25 Millionen Mark Zinsendienst für Ausgleichsforderungen aufgepackt hat, von denen sie selbst nichts gehabt hat. Unter solchen Umständen ein Unternehmen — praktisch ohne Umlaufsvermögen — führen zu müssen, ist natürlich von außerordentlich einschneidender Wirkung auf die Kreditmöglichkeiten. Denn wenn Sie bei einem Unternehmen mit einem Jahresumschlag von 3,2 Milliarden DM das gesamte Umlaufsvermögen im Kreditwege beschaffen müssen, so ergibt sich natürlich eine Anspannung der Kreditlage und mit dieser Anspannung der Kreditlage die Schwierigkeit, von dem einzigen Institut, das für Kredite für die Bundesbahn zur Verfügung steht — bei der Bank deutscher Länder —, entsprechende Kredite für Investitionszwecke zu bekommen.
Dazu kommt noch die Schwierigkeit, daß wir im Zusammenhang mit dem geringeren Eingang an Mitteln in den ersten Monaten dieses Jahres die Möglichkeiten, die wir Anfang des Jahres sahen, nicht ausnützen konnten. Es ist Ihnen bekannt, daß sich die Bundesbahn nicht als Stiefkind der Arbeitsbeschaffung bezeichnen kann. Denn von der einen Milliarde, die die Bundesregierung zunächst für die Arbeitsbeschaffung zur Verfügung gestellt hat, hat die Bundesbahn 25% erhalten. Sie ist allerdings damit in das Programm eingespannt worden, das der Arbeitsbeschaffung in den besonders notleidenden Gebieten dient. Über die Mittel, die hier ausgegeben worden sind und noch ausgegeben werden, wird wahrscheinlich morgen im Zusammenhang mit der Interpellation der SPD berichtet werden können. Diese Mittel sind wesentlich zur Behebung der Arbeitslosennot in diesen Grenzgebieten verwendet worden und werden sich außerdem wirtschaftlich sehr günstig für die Bundesbahn auch auswirken; sie konnten aber deshalb nicht für die Fahrzeugindustrie eingesetzt werden.
Es ist nicht ganz von ungefähr, daß man sich innerhalb der Parlamente, wenn man von der Eisenbahn spricht, in erster Linie eigentlich immer um die Fahrzeugbeschaffung bekümmert. Das ist bedauerlich, weil die Fahrzeugbeschaffung ja nur ein Teil, wenn auch der am sichtbarsten in Erscheinung tretende Teil der notwendigen Einrichtungen bei der Eisenbahn ist. Was aber für die Eisenbahnen von viel größerer Bedeutung ist, sind die Anlagen, auf denen und durch die sich der Verkehr vollzieht; das ist der Oberbau, das sind die Brücken und natürlich auch die Umschlagplätze, nämlich die Bahnhöfe. Hier haben wir die stärksten Kriegsschäden. Wir müssen uns darüber — ich habe damals auch darauf hingewiesen — klar sein, daß es gerade für die gesunde Entwicklung der Bundesbahn dringend erforderlich ist, die Brücken und den Oberbau in Ordnung zu bringen, wenn wir das rollende Material in seiner Lebensfähigkeit richtig und ohne überhöhten Reparaturbedarf erhalten wollen, und wenn
wir außerordentlich hohe zusätzliche Kosten, die sich aus dem jetzigen Zustand des Oberbaues und aus dem jetzigen Zustand der Brücken durch Langsamfahrstellen und infolgedessen durch eine weniger dichte Zugfolge ergeben, vermeiden wollen.
Ihnen allen wird es ja aus Ihren Reisen bekannt sein, in welchem Zustand sich sehr viele unserer Bahnhöfe, und zwar in den wichtigsten und größten Städten unseres Bereiches, befinden. Hier kann in erster Linie auch wiederum nicht an die Reisenden gedacht werden, sondern muß an die Notwendigkeit gedacht werden, zunächst einmal die Güterumschlagplätze wiederherzustellen, um damit die Grundlage für die Wirtschaftlichkeit des Eisenbahnbetriebes wiederherzustellen.
Meine Damen und Herren! Die Bundesbahn — das kann mit aller Ruhe festgestellt werden — hat, wenn sie den Fahrplan dieses Sommers mit dem Fahrplan des vorigen Jahres vergleichen, einen sehr erheblichen Schritt nach vorwärts getan. Sie hat Verkehrsverbindungsangebote, wie man sie vor zwei Jahren noch für völlig unmöglich hielt. Man muß auch auf die ausgezeichnete und intensive Arbeit, die hier geleistet worden ist, einmal mit allem Nachdruck hinweisen. Ich möchte auch darauf hinweisen, daß wir seit Beginn dieses Sommerfahrplans erstmalig wieder ein Güterzugkursbuch haben, so daß also jetzt die Wirtschaft an Hand eines Kursbuchs in der Lage ist, festzustellen, wann ein aufgegebenes Gut seinen Bestimmungsort erreicht. Daß das in den letzten Jahren nicht der Fall war, ist eines der wesentlichen Momente für die Abwanderung auf den Lastkraftwagen gewesen, bei dem man in etwa die Reise- und Transportdauer vorher festlegen konnte, während man bei der Bundesbahn immer im Dunkeln tappte und so oft erleben mußte, daß die Sendungen erst sehr verspätet ihren Bestimmungsort erreicht haben. Ich glaube, daß gerade dieser Güterzugfahrplan sich bewähren wird, und auch ohne nennenswerte zusätzliche Ausgaben Güter auf die Bahn zurückholen wird, die ihr verlorengegangen sind. obwohl es ungeheuer schwer ist, einen Verkehr, der einmal abgewandert ist, wieder zurückzugewinnen.
Ich möchte feststellen, daß der Weg der Bundesbahn durch Wiederherstellung des Oberbaus und der Brücken, durch Verdichtung der Zugfolge, durch Ausbau der Umschlagseinrichtungen sehr viel mehr zur Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lage, zur Erstellung eines besseren Fahrplans und zu einer besseren Bedienung des Verkehrs beiträgt als die Neubeschaffung von Fahrzeugen, so dringend erwünscht sie auch an sich sein würde.
Wenn der Herr Vorredner hier ausgeführt hat, daß die Ausmusterung von Fahrzeugen einen erheblichen Umfang erreicht, so muß ich sagen, daß ich darüber nicht so unglücklich bin wie er, sondern daß ich es im Gegenteil außerordentlich begrüßt habe, und auch die Herren der Bundesbahn immer wieder aufgefordert habe, diese Ausmusterungen vorzunehmen, um uns von den außerordentlich hohen Reparaturkosten nach Möglichkeit zu befreien. Es ist selbst jetzt nicht notwendig, daß jeder ausgemusterte Wagen ersetzt wird, obwohl wir zur Zeit noch einen derartig hohen Reparaturanfall haben. Wir haben durch eine ausgezeichnete und sehr verkürzte Umlaufzeit der Waggons erreicht, daß wir zur Zeit mit einem erheblichen Prozentsatz an Güterwagen in Reserve stehen. Das trifft nicht für alle Sparten zu. Das trifft insbesondere nicht für die geschlossenen, die sogenannten G-Wagen zu. Mit unserem Bestand an G-Wagen werden wir in diesem Herbst bereits in eine gewisse Schwierigkeit kommen können. Wir werden, wenn wir die Abgänge an G-Wagen nicht im nächsten Jahr ersetzen können, noch größere Schwierigkeiten auf dem Gebiet erleben. Aber dagegen sind die entsprechenden Maßnahmen schon eingeleitet, und ich glaube auch, daß wir diese Schwierigkeiten überwinden werden.
Ich möchte in Zusammenhang mit der Antragsbegründung darauf hinweisen, daß es gerade die Bundesbahn ist, die sich nach einem klaren festgelegten Plan bewegen muß. Sie ist ein Sondervermögen des Bundes, das nach einem Wirtschaftsplan zu arbeiten hat. Und weil sie nach einem Wirtschaftsplan arbeitet, muß sie auch gewisse Maßnahmen treffen, um diesen Wirtschaftsplan einhalten zu können. Sie ist nicht so beweglich wie ein Privatunternehmen, das sich den Erfordernissen der wirtschaftlichen Entwicklung beliebig anzupassen vermag. Sie hat auch als einer der größten Betriebe des Bundes eine stärkere Bindung und größere Verpflichtung gegenüber ihren Belegschaftsmitgliedern. Deswegen ist auch das Abkommen mit der Gewerkschaft auf Arbeitszeitverkürzung getroffen worden, um zu erreichen, daß in diesem Jahr trotz der Einschränkungen, die in dem Wirtschaftsplan bei den Ausgaben vorgenommen werden mußten, keine Entlassungen erfolgen müssen.
Meine Damen und Herren! Zu den vorliegenden Anträgen ist seitens der Bundesbahn folgendes zu sagen. Die Bundesbahn ist natürlich sehr gern bereit, einen langfristigen Kredit zu angemessenen Bedingungen für Anschlußaufträge im Geschäftsjahr 1950 anzunehmen, um sie an die deutsche Lokomotiv- und Waggonindustrie zu erteilen. Sie ist auch sehr gerne bereit, in enger Zusammenarbeit mit den Südwestdeutschen Eisenbahnen diese Kredite für Anschlußaufträge an die Lokomotiv- und an die Waggonindustrie zwischen den beiden Gebieten zu verteilen und so zu verteilen, daß auch die Betriebe in der ehemals französischen Zone entsprechend mit Aufträgen berücksichtigt werden.
Zur Lokomotivindustrie ist zu sagen, daß die Bundesbahn den Betrag von 51/2 Millionen DM auf die früher in der amerikanischen und britischen Zone gelegenen vier Lokomotivfabriken verteilen würde und daß diese Firmen durch diese Kredite eine zusätzliche Beschäftigung in Höhe von rund 400 000 Produktivstunden erhalten würden. Die Südwestdeutschen Eisenbahnen könnten für den Restbetrag von 0,9 Millionen DM der Firma Jung einen Auftrag über drei Dampflokomotiven erteilen und dieser Firma 60 000 Produktivstunden zuführen. Sollten die Südwestdeutschen Eisenbahnen diesen Kredit nicht annehmen können, weil hier die restlichen Verhältnisse besonders gelagert sind, so würde die Bundesbahn von der Hauptverwaltung Offenbach aus diesen Auftrag an Jung erteilen.
Ebenso ist es ganz klar, daß die Bundesbahn gern die ausgeworfene Summe für die Waggonbeschaffung verwenden würde. Diese Summe würde sie in gleicher Weise auf die verschiedenen Firmen in den ehemaligen drei Zonen verteilen. Mit dem Betrag von 9,8 Millionen DM könnte die Waggonindustrie Aufträge für Neuherrichtung von 124 vierachsigen Schnellzugwagen und 100 Personenzugwagen erhalten, die den Firmen der Waggonindustrie des früheren Vereinigten Wirtschaftsgebietes eine zusätzliche Beschäftigung für das laufende Jahr von rund 1 Million Produktivstunden sichern würden, während die Aufträge der Südwestdeutschen Eisenbahnen der Waggonindustrie in der ehemals französischen Zone einen zusätzlichen Beschäftigungsumfang von rund 150 000 Stunden sichern würden.
Das ist zur Verwendung der Summen zu sagen, die hier als Kredite vorgeschlagen werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte nicht Wasser in den Wein gießen. Aber ich möchte doch sagen, daß ich mich nun ebenso wie mein Kollege Erhard wirklich seit Monaten mit allem Nachdruck bemüht habe, für die Fahrzeugbeschaffung der Bundesbahn von der Bank deutscher Länder einen zusätzlichen Kredit von 40 bis 45 Millionen DM zu erhalten. Die Bank deutscher Länder hat aber diesen Kredit mit Rücksicht auf die bestehenden Verpflichtungen, die die Bundesbahn bei ihr schon eingegangen ist, nicht gegeben und ist auch nicht bereit, ihn jetzt zu geben. Andere Bankinstitute stehen uns dafür nicht zur Verfügung. Die Versuche, über Landeszentralbanken zum Zuge zu kommen, sind ebenfalls fehl geschlagen. Ich muß hier wieder sagen, daß wir nur von einzelnen Ländern Hilfe bekommen haben, die der Bundesbahn in ihrer Auftragserteilung mit Rücksicht auf die in ihrem Bereich gelegenen Fabriken beigestanden haben.
Sie dürfen nicht annehmen, daß wir etwa für die Zukunft — ich sprach ja soeben vom Jahre 1950 — nicht genaue Pläne unter Berücksichtigung der Möglichkeiten ausgearbeitet hätten. Solche Pläne der Bundesbahn liegen vor und sind auch mit dem Bericht vom 1. Juni 1950 dem Verkehrsausschuß schon hinreichend bekannt gegeben worden. Praktisch ist es so, daß die Bundesbahn glaubt, jährlich einen Kredit von 350 Millionen DM aufnehmen und in der Zukunft auch verzinsen und amortisieren zu können. Diese 350 Millionen DM, die man für etwa zehn Jahre als Mindestprogramm ansehen muß, wenn man der Bundesbahn wirklich helfen will, würden sich in Höhe von 150 bis 180 Millionen auf Fahrzeuge und in Höhe des Restes auf die übrigen notwendigen Ausgaben verteilen. Wir könnten damit bei der Bescheidenheit, die wir auch bei der Ausgestaltung der Bundesbahn üben müssen, so weit durchkommen, daß wir die Notwendigkeiten bei einer gesunden Erneuerung des Betriebes erschöpfen.
Nun ist in den Anträgen, insbesondere denjenigen der SPD, die alte Forderung, die auch ich durchaus unterstreiche, wiederholt worden, eine richtige Aufteilung zwischen Neubauaufträgen an die Industrie und Reparaturaufträgen an die Ausbesserungswerkstätten vorzunehmen. Das ist selbstverständlich das Ziel, das wir uns gesetzt haben. Wir werden aber auf dem Gebiet der Lokomotivindustrie — darüber möchte ich das Hohe Haus gleich unterrichten — im nächsten Jahr deswegen dieses Ziel noch nicht erreichen, weil wir 1951 eine besondere Häufung von Reparaturen an den schweren Dampfloks haben, die, wie Sie wissen, praktisch alle einer gewissen Bauperiode entstammen, nämlich der Bauperiode des Krieges mit einer Höchstbeschäftigung der Lokomotivindustrie, und deren Aufarbeitung entsprechend der dreijährigen gesetzlichen Untersuchungsfrist im Jahre 1951 in besonders starkem Maße anfällt. Wir werden diese Arbeiten in späteren Jahren besser verteilen können. Jetzt ist es leider nach den mir vorliegenden Berichten noch nicht möglich. Wir werden deshalb genötigt sein, 21 Millionen DM für Aufträge auf Ausbesserung von Dampflokomotiven für die Industrie und 4 Millionen DM für Neubauten abzuzweigen. Der Industrie ist das durchaus angenehm, weil die Reparaturaufträge lohnintensiver sind. Ich würde es gern sehen, wenn wir 1951 schon zu einer anderen Regelung kommen könnten. Aber es wäre nicht vertretbar, die Tagewerkkopfzahl der Werkstättenarbeiter im nächsten Jahr wegen dieses einmaligen größeren Ausbesserungsanfalls nennenswert zu erhöhen und dann nachher wieder Entlassungen vornehmen zu müssen.
Ich möchte nochmals unterstreichen, daß auf seiten der Bundesbahn durchaus die Bereitschaft vorliegt, für die Fahrzeugerneuerung das Erforderliche zu tun und die Mittel, die ihr dazu zur Verfügung gestellt werden könnten, auch entsprechend zu verwenden. Vorrangig bleibt die Wiederherstellung des Oberbaus, der Brücken und der Umschlagseinrichtungen. Denn jeder neue Waggon wird bei einem schlechten Oberbau und bei einem schlechten Zustand der Brücken sehr schnell reparaturbedürftig. Wir würden das Geld nicht richtig investieren, wenn wir es nicht organisch auf die beiden Seiten, nämlich einmal Oberbau und Brücken und andererseits Fahrzeuge, verteilen würden. Das muß gerade, wenn man ingenieurmäßig planen will, berücksichtigt werden. Bei einem technischen Betrieb ist das ingenieurmäßige Planen in den Vordergrund zu stellen, wenn letzten Endes ein wirklich guter wirtschaftlicher Erfolg erzielt werden soll.
Ich würde sehr dankbar sein, wenn das Hohe Haus die Anträge, die vom Verkehrsausschuß sehr eingehend bearbeitet und mit den zuständigen Industrien durchgesprochen worden sind, wenn nötig nach Beratung im Haushaltsausschuß annehmen könnte. Ich würde sehr dankbar sein, wenn der Haushaltsausschuß dabei die Anträge nicht nur annehmen, sondern sich auch eingehend mit der Frage beschäftigen würde, wie dieses Geld tatsächlich zur Verfügung gestellt werden kann. Sie wissen, daß die Bundesbahn wie jedes Sondervermögen immer große Schwierigkeit hat, an Maßnahmen teilzunehmen, die über den Haushalt erfolgen, sei es der ordentliche, sei es der außerordentliche Haushalt. Man macht der Bundesbahn nur dann, und zwar von jeder Seite, keine Schwierigkeiten, wenn es sich um die Feststellung der Abgaben an den Bund handelt. Ich glaube, wenn das Hohe Haus sich entschließen würde, diese Abgaben für die Vergangenheit und die Zukunft zu streichen, um der Bundesbahn endlich einmal wieder die nötige Anreicherung ihrer umlaufenden Mittel zu erlauben, würden sich auch die Probleme der Lokomotiv- und Waggonindustrie wesentlich leichter lösen, auch wenn man berücksichtigt, daß beide inzwischen glücklicherweise doch sehr umfangreiche Auslandsaufträge erhalten haben und deswegen heute besser dastehen als zu der Zeit, als die Anträge ursprünglich eingebracht wurden.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rademacher.
Meine Damen und Herren! Der Ausschuß für Verkehrswesen hat sich schon seit seinem Bestehen mit der besonderen Notlage der Waggon- und Lokindustrie befaßt. Im Dezember 1949 hat er durch eine Besichtigung der Westwaggon in Köln-Deutz die entsprechenden Eindrücke über die Notstände, aber auch über die Leistungsfähigkeit der Waggonindustrie gewonnen. Ferner hat er bei der Bereisung des Gebietes Watenstedt-Salzgitter Gelegenheit gehabt, die Waggonabteilung der Linke-Hoffmann-Busch-Werke zu besichtigen und sich auch dadurch von der einmaligen Leistungsfähigkeit dieser Industrie überzeugen können. Der Ausschuß hat dann durch gemeinsame Verhandlungen zwischen dem Bundesverkehrsministerium, zwischen der Deutschen Bundesbahn einerseits und den betroffenen Industrien
andereseits versucht, eire Regelung herbeizuführen, die es vielleicht erübrigt hätte, mit diesen konkreten Anträgen vor das Plenum zu treten.
Meine Damen und Herren, all diese Bemühungen sind einfach an der bekannten mißlichen Finanzlage der Deutschen Bundesbahn gescheitert. Vielleicht wären die Dinge nicht in dieses schwierige Stadium geraten, wenn im Zusammenhang mit den 250 Millionen, die seinerzeit aus dem ersten Arbeitsbeschaffungsprogramm freigegeben wurden, dem Bundesverkehrsministerium etwas mehr Beweglichkeiten gegeben wäre; denn unabhängig von der besondere Notwendigkeit des Oberbaus und des Brückenbaus, wie sie der Herr Verkehrsminister eben besonders betont hat, wäre es durchaus möglich gewesen, etwa durch Abzweigung von 50 Millionen DM beide Industrien nicht in diesen Notstand geraten zu lassen, in den sie heute gekommen sind. Sie haben gestern über das Bundesbahngesetz als eine der Vorausetzungen für die Gesundung der Bundesbahn _gesprochen. Es nützt alles nichts, auch nicht die sogenannten spontanen Kundgebungen, die wir, alle im gleichen Wortlaut, aus den verschiedensten Eisenbahndirektionen seitens der Gewerkschaften auf den Tisch gelegt bekommen, in denen eben dem Bundesverkehrsministerium eine verkehrte Politik gegenüber der Bundesbahn vorgehalten wird. Das ist nicht der Kern. Der Kern der Dinge ist die wirtschaftliche Notlage der Bundesbahn, die eben nur durch Kredite und durch andere Mittel, die, bereitgestellt werden müssen, zu beseitigen ist.
Wenn ich mich nun den beiden Anträgen Drucksachen Nr. 1108 und Nr. 1109 zuwende — das sind die interfraktionellen Anträge, die der Initiative des Verkehrsausschusses entsprungen sind —, so steht demgegenüber die Drucksache Nr. 1106 der SPD, die leider, nachdem sie bereits durch ihre Ausschußmitglieder ihre Unterschrift auch unter die interfraktionellen Anträge geleistet hatte, diese im letzten Augenblick wieder zurückgezogen hat. Das eine hat ja der Herr Abgeordnete Dr. Bleiß schon gesagt: die Beträge für das erste Programm, für das Jahr 1950, sind in beiden Anträgen absolut die gleichen und sie sind im Einvernehmen mit der Bundesbahn und im Einvernehmen mit den beiden Industrien sorgfältig errechnet. Die beiden Beträge von 9,8 Millionen für die Wagonindustrie und 6,4 Millionen für die Lokindustrie gelten für das gesamte Bundesgebiet, für alle Fabriken ohne Ausnahme, ob sie verbandsmäßig organisiert sind oder nicht.
Unterschiede ergeben sich aber aus den beiden Anträgen in folgenden Punkten: Während der SPD-Antrag nur von der Bundesbahn spricht — und das ist schon technisch verkehrt —, sprechen die interfraktionellen Anträge richtig sowohl von der Deutschen Bundesbahn als auch von der Südwestdeutschen Eisenbahn.
Nun aber zum Kernpunkt der Unterschiede. Der SPD-Antrag verlangt zunächst einmal eine Übersicht über den Bedarf für 1951, während die interfraktionellen Anträge von den Plänen der Deutschen Bundesbahn und der Südwestdeutschen Eisenbahn sprechen. Meine Damen und Herren, diese Pläne sind vorhanden. Die Ziffern daraus können Ihnen genannt werden. Die Bundesbahn hat den notwendigen Bedarf für das Jahr 1951 im Rahmen der 350 Millionen, die der Herr Bundesverkehrsminister genannt hat, mit 150 Millionen DM angesetzt. Die Südwestdeutsche Eisenbahn hat für den gleichen Zeitraum den Betrag von 251/2 Millionen angesetzt
und für das Jahr 1952 ist der Plan der Deutschen Bundesbahn 180 Millionen und der der Südwestdeutschen Eisenbahnen 30 Millionen. Also es braucht keinerlei Übersicht mehr gegeben zu werden, sie ist vorhanden, sie ist sogar ziffernmäßig und in der Aufstellung vorhanden, die den einzelnen Mitgliedern des Ausschusses, auch den Mitgliedern der SPD, kategorisiert nach den einzelnen Leistungen, zugegangen ist.
Meine Fraktion und ich sind allerdings der Ansicht, daß es nicht Aufgabe des Parlaments sein kann, über den Kopf des Bundesverkehrsministeriums und insbesondere der Eigenbetrieblichkeit der Bundesbahn und der Südwestdeutschen Eisenbahnen hinweg nun im einzelnen festzustellen, was gebraucht wird und wie diese einzelnen Beträge angelegt werden. Das ist eine Angelegenheit des Betriebes der beiden Bahnen. Darüber, daß ein echter bedarf vorhanden ist, besteht doch wohl nicht der leiseste Zweifel. Wir wissen, daß wir Güterwagen brauchen; ob es nun offene oder geschlossene sind, ist Angelegenheit der Bahnen. Wir wissen, daß wir neue Personenzugwagen brauchen; ob es Wagen dritter oder zweiter Klasse oder D-Zugwagen sind, ist auch eigene Angelegenheit der Bahnen. Und ob wir schließlich Dampflokomotiven, elektrische Lokomotiven oder Diesellokomotiven brauchen, ist ebenfalls eine Angelegenheit, die nur der Betrieb von sich aus entscheiden kann.
Meine Damen und Herren, der Antrag Drucksache Nr. 1106 spricht ganz allgemein von einem langfristigen Kredit, während die interfraktionellen Anträge ausdrücklich von einem Kredit aus dem Arbeitsbeschaffungsprogramm sprechen. Das ist der wesentliche Unterschied. Gegenüber der Auffassung des Herrn Berichterstatters und auch im Gegensatz zur Ansicht des Herrn Bundesverkehrsministers möchte ich zum Ausdruck bringen, daß nur für den SPD-Antrag, der langfristige Kredite vorsieht, ohne zu sagen, woher sie kommen sollen, eine Überweisung an den Haushaltsausschuß
nötig wäre. Bei den interfraktionellen Anträgen
haben wir ganz bewußt von Mitteln aus dem zweiten Arbeitsbeschaffungsprogramm gesprochen, das auch als Wirtschaftsförderungsprogramm bezeichnet wird. Werden diese beiden Anträge angenommen, meine Damen und Herren, dann erübrigt sich eine Überweisung an den Haushaltsausschuß.
Ich stelle daher abschließend den Antrag, den SPD-Antrag, Drucksache Nr. 1106, abzulehnen und dafür ohne Rücküberweisung an irgendeinen Ausschuß — der Ausschuß für Verkehrswesen hat sich ja schon seit Monaten mit dieser Angelegenheit befaßt, und die interfraktionellen Anträge sind das Ergebnis seiner monatelangen Arbeit — die Anträge Drucksachen Nr. 1108 und 1109 mit Rücksicht auf die besondere Notlage sofort anzunehmen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Dann schließe ich die Aussprache.
Ich lasse abstimmen. Es ist zunächst beantragt, alle drei Anträge an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Dieser Antrag ist der weitestgehende. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Letzteres ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Dann stelle ich den Antrag Drucksache Nr. 1106 zur Abstimmung. Wer für die Annahme dieses Antrages ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Der Antrag ist abgelehnt.
Antrag Drucksache Nr. 1108. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Angenommen.
Antrag Drucksache Nr. 1109. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Angenommen.
Meine Damen und Herren, von unserer Tagesordnung ist Punkt 1 betreffend Hilfsmaßnahmen für das Kupfer-Schiefer-Bergwerk in Sontra noch nicht erledigt. Der Regierungsvertreter, Herr Staatssekretär Dr. Schalfejew, der zu Punkt 1 sprechen sollte, ist immer noch nicht da.
Meine Feststellung sollte kein Vorwurf sein. Ich stellte nur fest: Der Staatssekretär ist nicht da; wir können also diesen Punkt nicht erledigen.
- Soll er auf morgen vormittag vertagt werden? Ist das Haus damit einverstanden?
— Das Hohe Haus beschließt, diesen Punkt auf die Tagesordnung der morgigen Sitzung zu setzen.
Ich habe dann noch bekanntzugeben: Die FDP-Fraktion tritt um 18 Uhr zusammen, Ernährungs- und Wirtschaftsausschuß um 19 Uhr, Zimmer 12.
Ich berufe die 75. Sitzung des Deutschen Bundestages auf Freitag, den 14. Juli, 9 Uhr 30 vormittags, ein und schließe hiermit die 74. Sitzung.