Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich komme der Aufforderung meines Herrn Vorredners, hier auf jede Ironie zu verzichten, .um so lieber nach, als es gar nicht in unserer Tendenz gelegen hat, das zu tun, und als der Minister ja auch in seiner maßvollen Art der Darlegung erkennen ließ. daß von seiten der Urheber des Entwurfs keine Schärfen, Übertreibungen und Überspitzungen beabsichtigt sind, was wir desto lieber glauben, nachdem wir den Ernst gesehen haben, mit dem man in den Ausschüssen an die Dinge herangegangen ist.
Trotzdem muß ich im Namen der sozialdemokratischen Fraktion erklären, daß sie einmütig dieses Gesetz für unwirksam und für bedenklich hält, unwirksam deshalb, weil man, wenn man boshaft sein wollte, beinahe sagen könnte, daß in dem Gesetz die Umwege und Schlupfwinkel geradezu gezeigt werden, wie der Produzent von Schmutz- und Schundliteratur dennoch zum Ziele kommt.
Ich kann mir denken, daß die Besitzer von Zeitungskiosken über den Wortlaut des Gesetzes einigermaßen bestürzt sind; aber sicher sind es nicht die Produzenten dieses Schmutzes und Schundes, die von diesen Dingen den Hauptgewinn einstecken.
Wir halten das Gesetz aber auch für bedenklich, weil hier die klagbaren Grundrechte der Deutschen, wie sie im Grundgesetz verankert sind, zum erstenmal eingeschränkt werden.
- Nein, nicht zum Mißbrauch; ich komme darauf, meine Damen und Herren! — Natürlich ist es richtig, daß der Jugendschutz einen Grund zur Einschränkung bietet; aber es verhält sich hier ungefähr so — wenn Sie mir den Vergleich gestatten wollen — wie mit der Blockade im Krieg: eine Blokkade wird nur anerkannt, wenn sie effektiv ist; wenn sie nicht effektiv ist, wird sie nicht anerkannt. So gilt es auch hier, Wege zu finden, wie man zu einem effektiven Ergebnis kommt.
Dieses Gesetz ist nicht geeignet, zu einem solchen Ergebnis zu kommen. Es ist nach unserer Auffassung immer noch besser, die §§ 184 und 184a des Strafgesetzbuches auszunützen oder, wenn das nicht genügt, durch den Herrn Bundesminister der Justiz eine Novelle zu diesen Strafbestimmungen zu erbitten, wodurch die beiden Paragraphen erweitert und auf den vorliegenden Fall spezialisiert werden.
Ich will jetzt in aller Eile, zu der mich die 12 Minuten Redezeit drängen, einige kritische Randbemerkungen zum Inhalt des Gesetzes machen: Die rechtlichen Bedenken, die die Präambel betreffen, habe ich bereits angekündigt. Ich möchte den Vorschlag meines Herrn Vorredners erweitern, diesen Gesetzentwurf nicht nur dem Ausschuß für Fragen der Jugendfürsorge, der auch nach unserer Meinung federführend sein muß, sondern auch dem Ausschuß für Fragen der Presse, des Rundfunks und Films. in dem er, soviel ich weiß, angeregt worden ist, und schließlich auch dem Rechtsausschuß zu überweisen: denn die rechtlichen Bedenken dürfen hier nicht unterschätzt werden, weil der erste Fall vorliegt, in dem die Grundrechte eingeschränkt werden.
Ich habe bereits gesagt, daß wir in der Anerkennung des Übelstandes mit den Urhebern und Befürwortern des Gesetzes durchaus einer Meinung sind. Es fragt sich nur, welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind. Dieser langatmige Gesetzentwurf — verzeihen Sie, Herr Minister! — mit den vielen Lücken und unklaren Definitionen scheint uns nicht der rechte Weg zu sein. Es ist z. B. der strafbare Tatbestand überhaupt nicht definiert; es ist nicht definiert, was nun eigentlich Schriften sind, die Jugendliche sittlich gefährden. Der Herr Minister hat uns beruhigt und gesagt: die künstlerischen, wissenschaftlichen Belange haben unter allen Umständen Vorrang. Aber von diesem Vorrang ist auch in § 1 keine Rede.
Und dann, meine Damen und Herren, was soll das heißen: Jugendliche unter 18 bzw. 16 Jahren? Wir wissen doch, wie schwer es an einem Verkaufsstand oder in einem Laden ist, mit Geburtsscheinen zu arbeiten. Außerdem würde sich bald herumsprechen, wo der „Giftschrank" steht. Sie kennen den Ausdruck aus der nationalsozialistischen Zeit hinsichtlich politischer Literatur, und Sie wissen, daß man sich, wenn man Nazigegner war, dieser Giftschränke sehr wohl zu bedienen gewußt hat. Ich vermute, daß sehr bald auch hier diese Wege gekannt und gegangen werden, die zu solcher bedenklichen und verwerflichen Literatur führen.
Es ist nach § 5 untersagt, Reklame zu machen; aber es ist nicht untersagt, die Geschäfte auf irgendeine Weise zu kennzeichnen, die solche Schriften führen.
Der Herr Minister hat in humoristischer Weise auf die Nacktkulturverbände angespielt. Ich weiß nicht, ob nicht die Bezeichnung Nacktkultur etwas anspruchsvoll für so bescheidene Bestrebungen ist und ob es nötig ist, einen Verein zu gründen, wenn man eine Badehose ausziehen will.
Aber diese Leute sozusagen unter Ausnahmerecht zu stellen, das geht doch wohl zu weit. Wenn man ausdrücklich bescheinigt — und das geschieht ja in den §§ 5 und 6 —, daß die Bestrebungen des Vereins nicht unsittlich sind, dann weiß ich nicht, ob es verfassungsrechtlich möglich ist, die Publizierung seiner Bestrebungen auf solche Weise einzuschränken.
Nun komme ich aber zu den technischen Bedenken. Über die Aufnahme in die Liste entscheiden Landesprüfstellen. Über Beschwerden gegen deren Entscheidungen befindet die Bundesprüfstelle. Meine Damen und Herren, das bedeutet die Errichtung von zwölf Organisationen; und mit dem Bundesprüfamt sind es dreizehn. Das scheint ein reichlich übertriebener Auf wand zur Erreichung des angestrebten Zweckes zu sein. Diese zwölf oder dreizehn Prüfstellen vertreten ebensoviele Grade, Abstufungen, Gesichtswinkel und Standpunkte, und es ist wahrscheinlich, daß sie sich nicht gegenseitig ausgleichen und mildern, sondern in eine Art Leistungswettbewerb eintreten und die Tendenz haben, ihre Tätigkeit auch dann noch aufrechtzuerhalten, wenn einmal der Idealfall eintreten sollte, daß wir verwerfliche und bedenkliche Literatur nicht mehr hätten. Jede Organisation neigt dazu, sich zu verewigen. Deshalb würden wir es für dringend nötig halten, daß bei den Ausschußberatungen diese zwölf bzw. dreizehn Stellen auf eine einzige Bundesprüfstelle zusammengestrichen würden. Zwölf oder dreizehn kostspielige Apparate sind dann zuviel, wenn man es mit einem ebensogut oder noch besser machen kann.
Ebenso beanstanden wir, daß einem einzelnen Land Ausnahmebestimmungen zugestanden werden, d. h. Bestimmungen, die anderen versagt sind. Ich meine den Fall Rheinland-Pfalz.
Meine Damen und Herren, meine Redezeit geht zu Ende. Man kann in zwölf Minuten nur andeuten, was zu sagen wäre. Lassen Sie mich aber noch einen allgemeinen Gesichtspunkt in die Debatte werfen. Das Gesetz sollte eine nähere Bezeichnung, eine Definition dessen bringen, was als „unsittlich" angesprochen werden muß. Mit der bloßen Kennzeichnung der Nacktheit ist es nicht getan. In „Wilhelm Meister" finden wir ein wertvolles Wort:
Der Mensch ohne Hülle ist eigentlich d e r
Mensch. Der Bildhauer steht unmittelbar an
der Seite der Elohim, als sie den unförmigen
widerwärtigen Ton zu dem herrlichsten Gebilde umzuschaffen wußten. Solche göttlichen
Gedanken muß er hegen. Dem Reinen ist alles
rein. Warum nicht die unmittelbare Absicht
Gottes in der Natur?
Was macht Nacktheit zu Obszönität? Ich zitiere eine kirchliche Zeitschrift, „Das offene Wort", herausgegeben von der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien:
Nacktheit an sich ist gar nichts Schlechtes. Im Dampfbad nimmt niemand Anstoß daran. Nacktheit als solche ist — man nehme es ruhig zur Kenntnis — kein Anlaß, um Krawall zu schlagen. Nicht selten versteckt sich hinter derartigen Attacken weniger das empörte Feingefühl als ein verdrängter Komplex.
Aber es gibt einen Unterschied zwischen Nacktheit und Ausgezogenheit. Und das wollen wir treffen, diese Frivolität, die sich ausspricht in raffinierten Beleuchtungseffekten von Nacktaufnahmen, in peinlichen und zweideutigen Posen und Positionen und in Unterschriften und Gegenüberstellungen mit peinlichen Dingen wie Fleischerläden neben einem Menschenkörper. Das ist es, was wir treffen wollen; und darin werden wir uns weitgehend einigen können, wenn es gilt, diese Dinge zu bekämpfen mit den Mitteln, die nach unserer Meinung bereits ausreichend zur Verfügung stehen.
Aber ich habe von grundsätzlichen Bedenken gesprochen und will noch einen Moment beleuchten, wie wir das meinen. Es handelt sich hier um das Verhältnis zwischen Staat und Persönlichkeit. Der Staat kann natürlich keine uneingeschränkte Freiheit proklamieren. Die Freiheit wird immer eingeschränkt bleiben durch das Ordnungsbedürfnis der Gesellschaft. Sie wird am stärksten eingeschränkt sein in Verwaltung und allgemeinen Staatsfunktionen, zum Beispiel in der Justiz. Sie wird ebenfalls eingeschränkt sein in der Wirtschaft, obwohl man das gerade hier vielleicht bestreiten wird. Gerade da gilt es, die Gesichtspunkte der brüderlichen Ordnung durchzuhalten, auch unter Einschränkung der Freiheit.
Aber im Geistesleben kann die Freiheit nur durch einen einzigen Gesichtspunkt eingeschränkt werden: das ist die Verletzung der Gesetze der Menschlichkeit. Ich gestehe gern zu, daß die Herabwürdigung des menschlichen Leibes und daß die Ehrfurchtslosigkeit vor dem Geheimnis der Zeugung und der Quelle des Lebens eine solche Verletzung der Würde des Menschen darstellt. Aber das muß im Gesetz klar herausgearbeitet werden. Nur darauf hat sich der Staat zu beschränken. Wenn der Herr Minister auch die redliche Absicht hat — was ich selbstverständlich gern unterstelle —, daß hier alles andere beabsichtigt wird als eine Zensur: es läuft ja doch auf eine Zensurierung hinaus.
Das ist das Bedenkliche an diesem Gesetz.
Deshalb lassen Sie mich mit gütiger Erlaubnis
des Herrn Präsidenten zum Schluß .noch ein Zitat
eines Mannes anfügen, der 1926 als Parteifreund
des damaligen Innenministers Külz zwar für die
Annahme des Schmutz- und Schundgesetzes gesprochen hat, der aber als geist- und erkenntnisverpflichteter Mann glaubte, seinen Ausführungen eine
Präambel voranstellen zu müssen; die lautete:
Hat der Staat überhaupt das Recht, sich um die literarische Produktion zu kümmern? — Daß er sie fördert, wird heute von jedem verlangt; daß er sie irgendwie hemmt, wird verfemt. Die Tatsache ist immer kompliziert, wenn der Staat befehlend in Kunstfragen hineinreden will, weil er als ein Macht- und Gewaltsystem, als ein Verwaltungsapparat eine Kunstauffassung als solche nicht besitzt. Überall und immer, wenn der Staat mit seinen Polizeiorganen irgendeine Kunst oder Kunstrichtung kanonisierte oder disziplinierte, hat ihn eine spätere Zeit ausgelacht. Die Geschichte der Zensur ist eine Geschichte der Grotesken von Heine bis Wedekind.
Dieser Mann war Theodor Heuss; und wir haben
dem vorerst nichts weiter hinzuzufügen.