Rede:
ID0107400600

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 11
    1. Als: 1
    2. nächster: 1
    3. hat: 1
    4. das: 1
    5. Wort: 1
    6. Herr: 1
    7. Abgeordneter: 1
    8. Hennig.: 1
    9. 12: 1
    10. Minuten: 1
    11. bitte!: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag. - 74. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 13. Juli 1950 2663 74, Sitzung Bonn, Donnerstag, den 13. Juli 1950. Geschäftliche Mitteilungen . . . . 2664A, 2686C Schreiben des Bundeskanzlers Dr. Adenauer betr. Erholungsurlaub und Vertretung durch Bundesminister Blücher 2664A Erhöhung der Zahl der Schriftführer . . 2664A Anfrage Nr. 70 der Fraktion der DP betr. Hilfe für die Handwerksbetriebe in Schleswig-Holstein und Niedersachsen (Drucksachen Nr. 866 und 1142) 2664B Interpellation der Abg. Dr. Arndt. Zinn, Freidhof und Fraktion der SPD betr. Hilfsmaßnahmen der Bundesregierung für das Kurhessische Kupfer-SchieferBergwerk in Sontra (Nr. 1027 der Drucksachen) 2664B, 2685D Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften des Verschollenheitsrechts (Nr. 1100 der Drucksachen) 2664B Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Vertrieb jugendgefährdender Schriften (Nr. 1101 der Drucksachen) . . . 2664C Dr. Dr. Heinemann, Bundesminister des Innern 2664C Kemmer (CSU) 2666B Hennig (SPD) 2667B Farke (DP) 2669A Gaul (FDP) 2669B Frau Thiele (KPD) 2670B Freiherr von Aretin (BP) 2671C Ribbeheger (Z) 2672B Dr. Vogel (CDU) 2673A Zur Geschäftsordnung: 011enhauer (SPD) 2673D Mayer (Stuttgart) (FDP) 2674B Frau Dr. Weber (Essen) (CDU) . . 2674B Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Einwirkung von Kriegssachschäden an Gebäuden auf Miet- und Pachtverhältnisse (Nr. 507 der Drucksachen); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Rechtswesen und Verf assungsrecht (23. Ausschuß) (Nr. 1105 der Drucksachen) 2674D Dr. Etzel (Bamberg) (BP), Berichterstatter 2675A Meyer (Bremen) (SPD) . . . 2676B, 2677C Dr. Brönner (CDU) 2677A Ewers (DP) 2677B Beratung des Antrags der Fraktion der FDP betr. Vorlage eines Gesetzentwurfs über die Vereinigung des Zahnärzte- und Dentistenberufes (Nr. 1091 der Drucksachen) 2678B Dr. Hammer (FDP), Antragsteller . . 2678C Beratung des Antrags der Abg. Dr. Horlacher u. Gen. betr. Vorlage einer Denkschrift über außerdeutsche Maßnahmen zur Förderung der Landwirtschaft (Nr 1092 der Drucksachen) 2679A Dr. Horlacher (CSU), Antragsteller 2679A Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Hilfsmaßnahmen für die Bundesbahn (Nr. 1106 der Drucksachen) in Verbindung mit der Beratung des Antrags der Abg. Rümmele, Rademacher, Ahrens, Donhauser u. Gen. betr. Auftragserteilung der Deutschen Bundesbahn an die deutsche WaggonIndustrie (Nr. 1108 der Drucksachen) und mit der Beratung des Antrags der Abg. Rümmele, Rademacher, Ahrens, Donhauser u. Gen. betr. Auftragserteilung der Deutschen Bundesbahn an die deutsche LokomotivIndustrie (Nr. 1109 der Drucksachen) . . 2679C Rümmele (CSU), Antragsteller . . . 2679D Dr. Bleiß (SPD), Antragsteller . . . . 2680D Dr. Seebohm, Bundesminister für Verkehr 2682B Rademacher (FDP) 2684D Nächste Sitzung 2686C Die Sitzung wird um 14 Uhr 40 Minuten durch den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet.
  • folderAnlagen
    Keine Anlage extrahiert.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Emil Kemmer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Meine Damen und Herren! Es bedarf wohl keines Beweises, daß die Schmutzflut, die heute durch jugendgefährdende Schriften über unsere Jugend hereingebrochen ist, wirklich zu einer ernsten Gefahr für unsere Jugend geworden ist. Den Verantwortlichen aller Kreise und aller Richtungen ist ebenfalls klar, daß die Jugend, insbesondere die Jugend unter 16 Jahren,- davor geschützt werden muß. Erst darüber, welche Maßnahmen getroffen werden müssen, um einen wirklichen Schutz zu erreichen, gehen die Meinungen auseinander.
    Dor uns vorliegende Gesetzentwurf findet grundsätzlich die Zustimmung unserer Fraktion. Wir sind allerdings der Meinung, daß der Änderungsvorschlag des Bundesrates, der in § 1 nur Schriften aufnehmen will, die sittlich erheblich gefährden, das ganze Gesetz verwässert.

    (Abg. Dr. Wuermeling: Sehr richtig!)

    Hier muß einfach die Fassung des Regierungsentwurfs bleiben.
    Welches sind nun die hauptsächlichen Gegenargumente, die gegen eine Einschränkung der Herstellung und des Vertriebs solcher Schriften überhaupt und gegen dieses Gesetz im besonderen immer wieder erhoben werden? Die Gründe sind im allgemeinen die gleichen, wie sie 1926 angeführt worden sind, als damals ein ähnliches Gesetz beschlossen wurde. Sie waren damals ebensowenig stichhaltig wie die düsteren Prophezeiungen, die man von interessierter Seite dem Gesetz mit auf
    den Weg gegeben hat, die sich in der Praxis ebenfalls nicht erfüllt haben.
    Meine Damen und Herren! Kein verantwortungsbewußter Erzieher kann in Fragen der Literatur und des Schrifttums den Jugendlichen dem Erwachsenen gleichstellen. Beim Jugendlichen liegen die Grenzen ganz anders als beim Erwachsenen. Dieser Grundsatz ist vom Grundgesetz anerkannt. Dieses Gesetz ist also keine ungebührliche Freiheitsbeschränkung, sondern jeder Mißbrauch der Freiheit führt einfach zu einem Zwang. Es gibt nur eine Möglichkeit, die Freiheit zu sichern; das ist: sie vor dem Mißbrauch, vor dem eigenen Mißbrauch zu schützen. Es geht also nicht um die Freiheit allein; es geht um die richtige Einheit von Freiheit und Ordnung.

    (Bravo!)

    Man sagt, das Gesetz bleibe wirkungslos, man treibe den Schmutz ins Dunkle und mache ihn dadurch noch gefährlicher. Ich bin überzeugt, daß schon die Tatsache der Hemmungen in diesem Gesetz allein die Leute, die mit dem Schmutz doch Geschäfte machen, d. h. Geld verdienen wollen, bei der Produktion viel vorsichtiger werden läßt, und ein Schwarzhandel mit derartigen Dingen wird nie ein gutes Geschäft werden. Darum aber geht es diesen Leuten doch zuerst.
    Es ist richtig, daß jedes Verbot erst aufmerksam macht. Aber, meine Damen und Herren, das trifft im Einzelfall zu, wenn einmal ein einzelnes Buch verboten wird, während die Masse der verbotenen Dinge nicht gefragt wird. Im übrigen liegen die Listen ja nicht öffentlich auf, und die Propaganda oder die Werbung mit den Listen ist ja ebenfalls strafbar. Wenn diese Dinge einmal nicht mehr an den Kiosken und in Schaufenstern ausgestellt sind, werden sie nur noch selten gekauft werden, und daher kommt ja das ganze Geschrei von diesen Stellen. Ich weiß, daß der Buchhandel schwer zu ringen hat. Ich weiß auch, daß vor allem Verleger, Künstler und Journalisten sich gegen dieses Gesetz ausgesprochen haben. Aber warum haben sie denn nicht durch eine freiwillige Selbstkontrolle hier einen Riegel vorgeschoben? Trotz aller Bitten und Warnungen, trotz aller Aufrufe und Resolutionen namhafter Persönlichkeiten und Verbände war das nicht möglich. Mögen doch die Autoren, Buchhändler und Verleger das Gesetz dadurch überflüssig machen, daß sie gute und saubere Schriften auf den Markt bringen, die von der Jugend gern gelesen werden.

    (Zustimmung in der Mitte.)

    Wir bitten daher auch die Regierung inständig, kein Mittel unversucht zu lassen und kein Opfer zu scheuen, um diese Bestrebungen zu unterstützen; denn das ist ein weiterer und berechtigter Einwand: wir müssen positive Maßnahmen treffen, die negativen allein genügen nicht.
    Man wendet gegen dies Gesetz insbesondere ein, daß die Prüfstellen ihre Kontrollbefugnisse mißbrauchen könnten und — das wäre das Allerschlimmste — daß eine Schrift, die von der Prüfstelle eines Landes auf die Liste gesetzt wird, damit im ganzen Bundesgebiet verboten ist. Dazu ist folgendes zu sagen. Erstens: Die Zusammensetzung der Länderprüfstellen ist so oder kann zumindest so gestaltet werden, daß die Gewähr gegeben ist, daß ein Mißbrauch ausgeschlossen ist. Zweitens: Gegen ein Fehlurteil ist sofort die Beschwerde bei der Bundesprüfstelle möglich. Drittens: Was ist aber nun durch ein Fehlurteil eines Landes bis zur Aufhebung dieses Fehlentscheides wirklich passiert? Wenn die Schrift dadurch für das ganze Bundes-


    (Kemmer)

    gebiet auf die Verbotsliste kommt, dann war sie eben für Jugendliche unter 16 Jahren — und darum geht es ja — für diesen kurzen Zeitraum verboten. Meine Damen und Herren, solange die Gesundheitspolizei nicht weiß, ob etwas Gift ist, darf sie es nicht freigeben. Stellt sich heraus, daß es kein Gift ist, kommt die Freigabe noch früh genug. So ist es auch hier. Ich bin allerdings der Meinung, daß entgegen der Begründung im Regierungsentwurf Vertreter der Jugendverbände mit in den Prüfstellen sein sollten. Erstens ist es gut, wenn die Jugend durch ihre Vertreter selber solche Schriften ablehnt, und zweitens ist die Begründung, daß die Vertreter der Jugendorganisationen nicht die nötige Reife und Erfahrung des Urteils hätten — wenn ich mir die führenden Leute vor allem der großen Jugendverbände heute ansehe —, schon eine sehr unberechtigte und auch unbillige Feststellung.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Die Hauptwaffe gegen dieses Gesetz - das ist eine alte Geschichte — ist natürlich Spott, Hohn und Ironie. Das beeindruckt uns aber gar nicht, wenn wir auch die Bitte aussprechen, wenigstens hier bei der Debatte davon keinen Gebrauch zu machen; denn nichts ist leichter und geistloser, als hierüber Witze zu machen.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Ich habe hier kein Material vorgelegt, und ich will auch nicht auf Einzelheiten zu sprechen kommen. Dazu ist im Ausschuß Zeit und Gelegenheit, und ich weiß aus der bisherigen Arbeit, daß vor allem im Ausschuß für Jugendfürsorge von den Mitgliedern aller Parteien gerade deshalb sehr sachlich und ernst auch an diesem Problem gearbeitet werden wird, weil dort wirklich alle nur das Wohl unserer Jugend vor Augen haben, und darum — und nur darum — geht es hier. Ich bitte das Hohe Haus, den Antrag dem Ausschuß für Jugendfürsorge als federführendem Ausschuß zu überweisen.

    (Beifall in der Mitte.)



Rede von Dr. Erich Köhler
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Als nächster hat das Wort Herr Abgeordneter Hennig. 12 Minuten bitte!

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Arno Hennig


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich komme der Aufforderung meines Herrn Vorredners, hier auf jede Ironie zu verzichten, .um so lieber nach, als es gar nicht in unserer Tendenz gelegen hat, das zu tun, und als der Minister ja auch in seiner maßvollen Art der Darlegung erkennen ließ. daß von seiten der Urheber des Entwurfs keine Schärfen, Übertreibungen und Überspitzungen beabsichtigt sind, was wir desto lieber glauben, nachdem wir den Ernst gesehen haben, mit dem man in den Ausschüssen an die Dinge herangegangen ist.
    Trotzdem muß ich im Namen der sozialdemokratischen Fraktion erklären, daß sie einmütig dieses Gesetz für unwirksam und für bedenklich hält, unwirksam deshalb, weil man, wenn man boshaft sein wollte, beinahe sagen könnte, daß in dem Gesetz die Umwege und Schlupfwinkel geradezu gezeigt werden, wie der Produzent von Schmutz- und Schundliteratur dennoch zum Ziele kommt.

    (Frau Abg. Dr. Weber [Essen: Nein!)

    Ich kann mir denken, daß die Besitzer von Zeitungskiosken über den Wortlaut des Gesetzes einigermaßen bestürzt sind; aber sicher sind es nicht die Produzenten dieses Schmutzes und Schundes, die von diesen Dingen den Hauptgewinn einstecken.
    Wir halten das Gesetz aber auch für bedenklich, weil hier die klagbaren Grundrechte der Deutschen, wie sie im Grundgesetz verankert sind, zum erstenmal eingeschränkt werden.

    (Abg. Dr. Wuermeling: Aber nicht zum Mißbrauch der Freiheit!)

    - Nein, nicht zum Mißbrauch; ich komme darauf, meine Damen und Herren! — Natürlich ist es richtig, daß der Jugendschutz einen Grund zur Einschränkung bietet; aber es verhält sich hier ungefähr so — wenn Sie mir den Vergleich gestatten wollen — wie mit der Blockade im Krieg: eine Blokkade wird nur anerkannt, wenn sie effektiv ist; wenn sie nicht effektiv ist, wird sie nicht anerkannt. So gilt es auch hier, Wege zu finden, wie man zu einem effektiven Ergebnis kommt.
    Dieses Gesetz ist nicht geeignet, zu einem solchen Ergebnis zu kommen. Es ist nach unserer Auffassung immer noch besser, die §§ 184 und 184a des Strafgesetzbuches auszunützen oder, wenn das nicht genügt, durch den Herrn Bundesminister der Justiz eine Novelle zu diesen Strafbestimmungen zu erbitten, wodurch die beiden Paragraphen erweitert und auf den vorliegenden Fall spezialisiert werden.
    Ich will jetzt in aller Eile, zu der mich die 12 Minuten Redezeit drängen, einige kritische Randbemerkungen zum Inhalt des Gesetzes machen: Die rechtlichen Bedenken, die die Präambel betreffen, habe ich bereits angekündigt. Ich möchte den Vorschlag meines Herrn Vorredners erweitern, diesen Gesetzentwurf nicht nur dem Ausschuß für Fragen der Jugendfürsorge, der auch nach unserer Meinung federführend sein muß, sondern auch dem Ausschuß für Fragen der Presse, des Rundfunks und Films. in dem er, soviel ich weiß, angeregt worden ist, und schließlich auch dem Rechtsausschuß zu überweisen: denn die rechtlichen Bedenken dürfen hier nicht unterschätzt werden, weil der erste Fall vorliegt, in dem die Grundrechte eingeschränkt werden.
    Ich habe bereits gesagt, daß wir in der Anerkennung des Übelstandes mit den Urhebern und Befürwortern des Gesetzes durchaus einer Meinung sind. Es fragt sich nur, welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind. Dieser langatmige Gesetzentwurf — verzeihen Sie, Herr Minister! — mit den vielen Lücken und unklaren Definitionen scheint uns nicht der rechte Weg zu sein. Es ist z. B. der strafbare Tatbestand überhaupt nicht definiert; es ist nicht definiert, was nun eigentlich Schriften sind, die Jugendliche sittlich gefährden. Der Herr Minister hat uns beruhigt und gesagt: die künstlerischen, wissenschaftlichen Belange haben unter allen Umständen Vorrang. Aber von diesem Vorrang ist auch in § 1 keine Rede.
    Und dann, meine Damen und Herren, was soll das heißen: Jugendliche unter 18 bzw. 16 Jahren? Wir wissen doch, wie schwer es an einem Verkaufsstand oder in einem Laden ist, mit Geburtsscheinen zu arbeiten. Außerdem würde sich bald herumsprechen, wo der „Giftschrank" steht. Sie kennen den Ausdruck aus der nationalsozialistischen Zeit hinsichtlich politischer Literatur, und Sie wissen, daß man sich, wenn man Nazigegner war, dieser Giftschränke sehr wohl zu bedienen gewußt hat. Ich vermute, daß sehr bald auch hier diese Wege gekannt und gegangen werden, die zu solcher bedenklichen und verwerflichen Literatur führen.
    Es ist nach § 5 untersagt, Reklame zu machen; aber es ist nicht untersagt, die Geschäfte auf irgendeine Weise zu kennzeichnen, die solche Schriften führen.


    (Hennig)

    Der Herr Minister hat in humoristischer Weise auf die Nacktkulturverbände angespielt. Ich weiß nicht, ob nicht die Bezeichnung Nacktkultur etwas anspruchsvoll für so bescheidene Bestrebungen ist und ob es nötig ist, einen Verein zu gründen, wenn man eine Badehose ausziehen will.

    (Heiterkeit.)

    Aber diese Leute sozusagen unter Ausnahmerecht zu stellen, das geht doch wohl zu weit. Wenn man ausdrücklich bescheinigt — und das geschieht ja in den §§ 5 und 6 —, daß die Bestrebungen des Vereins nicht unsittlich sind, dann weiß ich nicht, ob es verfassungsrechtlich möglich ist, die Publizierung seiner Bestrebungen auf solche Weise einzuschränken.
    Nun komme ich aber zu den technischen Bedenken. Über die Aufnahme in die Liste entscheiden Landesprüfstellen. Über Beschwerden gegen deren Entscheidungen befindet die Bundesprüfstelle. Meine Damen und Herren, das bedeutet die Errichtung von zwölf Organisationen; und mit dem Bundesprüfamt sind es dreizehn. Das scheint ein reichlich übertriebener Auf wand zur Erreichung des angestrebten Zweckes zu sein. Diese zwölf oder dreizehn Prüfstellen vertreten ebensoviele Grade, Abstufungen, Gesichtswinkel und Standpunkte, und es ist wahrscheinlich, daß sie sich nicht gegenseitig ausgleichen und mildern, sondern in eine Art Leistungswettbewerb eintreten und die Tendenz haben, ihre Tätigkeit auch dann noch aufrechtzuerhalten, wenn einmal der Idealfall eintreten sollte, daß wir verwerfliche und bedenkliche Literatur nicht mehr hätten. Jede Organisation neigt dazu, sich zu verewigen. Deshalb würden wir es für dringend nötig halten, daß bei den Ausschußberatungen diese zwölf bzw. dreizehn Stellen auf eine einzige Bundesprüfstelle zusammengestrichen würden. Zwölf oder dreizehn kostspielige Apparate sind dann zuviel, wenn man es mit einem ebensogut oder noch besser machen kann.
    Ebenso beanstanden wir, daß einem einzelnen Land Ausnahmebestimmungen zugestanden werden, d. h. Bestimmungen, die anderen versagt sind. Ich meine den Fall Rheinland-Pfalz.
    Meine Damen und Herren, meine Redezeit geht zu Ende. Man kann in zwölf Minuten nur andeuten, was zu sagen wäre. Lassen Sie mich aber noch einen allgemeinen Gesichtspunkt in die Debatte werfen. Das Gesetz sollte eine nähere Bezeichnung, eine Definition dessen bringen, was als „unsittlich" angesprochen werden muß. Mit der bloßen Kennzeichnung der Nacktheit ist es nicht getan. In „Wilhelm Meister" finden wir ein wertvolles Wort:
    Der Mensch ohne Hülle ist eigentlich d e r
    Mensch. Der Bildhauer steht unmittelbar an
    der Seite der Elohim, als sie den unförmigen
    widerwärtigen Ton zu dem herrlichsten Gebilde umzuschaffen wußten. Solche göttlichen
    Gedanken muß er hegen. Dem Reinen ist alles
    rein. Warum nicht die unmittelbare Absicht
    Gottes in der Natur?
    Was macht Nacktheit zu Obszönität? Ich zitiere eine kirchliche Zeitschrift, „Das offene Wort", herausgegeben von der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien:
    Nacktheit an sich ist gar nichts Schlechtes. Im Dampfbad nimmt niemand Anstoß daran. Nacktheit als solche ist — man nehme es ruhig zur Kenntnis — kein Anlaß, um Krawall zu schlagen. Nicht selten versteckt sich hinter derartigen Attacken weniger das empörte Feingefühl als ein verdrängter Komplex.
    Aber es gibt einen Unterschied zwischen Nacktheit und Ausgezogenheit. Und das wollen wir treffen, diese Frivolität, die sich ausspricht in raffinierten Beleuchtungseffekten von Nacktaufnahmen, in peinlichen und zweideutigen Posen und Positionen und in Unterschriften und Gegenüberstellungen mit peinlichen Dingen wie Fleischerläden neben einem Menschenkörper. Das ist es, was wir treffen wollen; und darin werden wir uns weitgehend einigen können, wenn es gilt, diese Dinge zu bekämpfen mit den Mitteln, die nach unserer Meinung bereits ausreichend zur Verfügung stehen.
    Aber ich habe von grundsätzlichen Bedenken gesprochen und will noch einen Moment beleuchten, wie wir das meinen. Es handelt sich hier um das Verhältnis zwischen Staat und Persönlichkeit. Der Staat kann natürlich keine uneingeschränkte Freiheit proklamieren. Die Freiheit wird immer eingeschränkt bleiben durch das Ordnungsbedürfnis der Gesellschaft. Sie wird am stärksten eingeschränkt sein in Verwaltung und allgemeinen Staatsfunktionen, zum Beispiel in der Justiz. Sie wird ebenfalls eingeschränkt sein in der Wirtschaft, obwohl man das gerade hier vielleicht bestreiten wird. Gerade da gilt es, die Gesichtspunkte der brüderlichen Ordnung durchzuhalten, auch unter Einschränkung der Freiheit.
    Aber im Geistesleben kann die Freiheit nur durch einen einzigen Gesichtspunkt eingeschränkt werden: das ist die Verletzung der Gesetze der Menschlichkeit. Ich gestehe gern zu, daß die Herabwürdigung des menschlichen Leibes und daß die Ehrfurchtslosigkeit vor dem Geheimnis der Zeugung und der Quelle des Lebens eine solche Verletzung der Würde des Menschen darstellt. Aber das muß im Gesetz klar herausgearbeitet werden. Nur darauf hat sich der Staat zu beschränken. Wenn der Herr Minister auch die redliche Absicht hat — was ich selbstverständlich gern unterstelle —, daß hier alles andere beabsichtigt wird als eine Zensur: es läuft ja doch auf eine Zensurierung hinaus.

    (Sehr richtig! bei der SPD.) Das ist das Bedenkliche an diesem Gesetz.

    Deshalb lassen Sie mich mit gütiger Erlaubnis
    des Herrn Präsidenten zum Schluß .noch ein Zitat
    eines Mannes anfügen, der 1926 als Parteifreund
    des damaligen Innenministers Külz zwar für die
    Annahme des Schmutz- und Schundgesetzes gesprochen hat, der aber als geist- und erkenntnisverpflichteter Mann glaubte, seinen Ausführungen eine
    Präambel voranstellen zu müssen; die lautete:
    Hat der Staat überhaupt das Recht, sich um die literarische Produktion zu kümmern? — Daß er sie fördert, wird heute von jedem verlangt; daß er sie irgendwie hemmt, wird verfemt. Die Tatsache ist immer kompliziert, wenn der Staat befehlend in Kunstfragen hineinreden will, weil er als ein Macht- und Gewaltsystem, als ein Verwaltungsapparat eine Kunstauffassung als solche nicht besitzt. Überall und immer, wenn der Staat mit seinen Polizeiorganen irgendeine Kunst oder Kunstrichtung kanonisierte oder disziplinierte, hat ihn eine spätere Zeit ausgelacht. Die Geschichte der Zensur ist eine Geschichte der Grotesken von Heine bis Wedekind.
    Dieser Mann war Theodor Heuss; und wir haben
    dem vorerst nichts weiter hinzuzufügen.

    (Bravorufe und Händeklatschen bei der SPD.)