Rede von
Grete
Thiele
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(KPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)
Nein, meine Herren und Damen, hier geht es darum: Wie schützen wir unsere Jugend vor Verwahrlosung. Und wenn zwei Drittel aller Filme in Westdeutschland amerikanische Gangster- und Kitschfilme sind, dann liegt hier die Frage; und mit diesem Gesetz treffen Sie nicht die amerikanische Gangster-Kultur, die hier eingeführt wird.
Und dann, meine Herren: wo sind die wahren Ursachen für die Jugendkriminalität und Verwahrlosung? Auch das ist hier bereits angeführt worden: Wohnungselend, Arbeitslosigkeit, keine Lehrstellen, keine Schulreform, keine Bildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten, Kulturabbau. Das sind die wahren Ursachen und die müssen Sie beseitigen. Aber dieses Gesetz soll davon ablenken, daß Sie Schund und Schmutz unseres sozialen Elends nicht beseitigen wollen.
Der reaktionäre Charakter dieses Gesetzes ist allein aus dem § 17 ersichtlich. Dieser Paragraph bestimmt, daß eine Stelle diktatorisch ohne parlamentarische Körperschaft darüber entscheidet, was Moral ist, Sittlichkeit usw. Wenn hier bereits angeführt worden ist, daß die Vertreter der Jugendorganisationen nicht darin enthalten sind, daß die Ver-
I treter der Gewerkschaften nicht darin enthalten sind, daß aber besonders aufgeführt ist, daß die Religionsgesellschaften darin enthalten sind,
dann zeigt uns das, daß diese Bundesprüfstelle ein modernes Presseinquisitionsgericht werden soll. Und die Folgen einer solchen Zusammensetzung sind, wie ich Ihnen bereits sagte: Die Begriffe von Moral und Sittlichkeit werden willkürlich und einseitig bestimmt; aber was noch wichtiger ist: alle den reaktionären Kriegsvorbereitungen entgegenstehenden Äußerungen werden unterdrückt.
Gestatten Sie mir hier eine Äußerung des „Börsenblattes für den deutschen Buchhandel" vorzulesen. Dort heißt es:
Wir sind nicht nur der Meinung, daß ein Schmutz- und Schundgesetz nichts nützt, sondern zu einer peinlichen Sittlichkeitsschnüffelei führen wird, die wir in der Vergangenheit zur Genüge erlebt haben. Wir wissen auch aus bitterer Erfahrung, daß derartige Gesetze von reaktionärer Seite ausgenutzt werden, um andersdenkende Menschen politisch zu bekämpfen.
Bitte sehr, meine Herren, lachen Sie darüber!
Nun aber unsere Meinung: wie kann man die Jugend vor der Verwahrlosung wirklich schützen? Ich sage Ihnen: Sehen Sie sich bitte einmal das neue Jugendgesetz über die Teilnahme der Jugend am Aufbau der Deutschen Demokratischen Republik, über die Förderung der Jugend im Beruf, bei Sport und Erholung vom 28. 2. 50 an! Sehen Sie sich einmal an, was dort die Wirklichkeit ist, wie die Hilfe für die gesamte Jugend dort ist! Sehen Sie, da liegt der Schlüssel für die Begeisterung der 700 000 Jungen und Mädel Pfingsten in Berlin! Diese Jugend braucht kein Schund- und Schmutzgesetz. Die Jugend in Westdeutschland soll aber für die schmutzigen Kriege der Dollarkönige mißbraucht werden. Darum beseitigt man nicht die wahren Ursachen der Verwahrlosung; darum hilft man nicht der Jugend zur Überwindung der sozialen Not; darum die Überschwemmung mit amerikanischer Kitsch- und Hollywood-Kultur und darum die ganze Literatur zur Kriegsverherrlichung, darum Rommel-Literatur, darum die Hitler-Nachlässe, darum Mussolini-Tagebücher, darum Tagebuch von Eva Braun, darum die Generalsliteratur,
— sehen Sie: weil Sie die Jugend vorbereiten wollen für einen neuen Krieg!
Das ist die Frage! Und ich möchte zum Schluß sagen — ehe der Herr Präsident mir das Wort abschneidet —, — —