Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch Gesetzgebungsmaterien haben ihre Jubiläen. Im Juni 1900, also vor 50 Jahren, erging die lex Heinze, d. h. der § 184a wurde in das Strafgesetzbuch eingefügt, durch den unzüchtige Schriften unter Strafe gestellt sind. In der damaligen Diskussion um diese lex Heinze ist das ganze Für und Wider der Argumente zu dieser Materie in Bewegung gekommen.
Etwa auf der Mitte der Zeitstrecke steht das Reichsgesetz zur Bewahrung der Jugend vor Schmutz- und Schundschriften vom 12. Dezember 1926. Auch bei dessen Behandlung kam abermals das ganze Für und Wider der Argumente zum Austrag. Das Gesetz von 1926 wurde 1935 von den Nazis aufgehoben und durch Maßnahmen der Schrifttumskammer ersetzt. Es ist also eine Lücke hinterblieben, die es nun durch diese Vorlage zu schließen gilt.
Wer die früheren Diskussionen aus der Zeit um 1900 oder aus der Zeit um 1926 kennt, der wird wissen, welche Prunkstücke der Argumentation auch heute alsbald wieder zur Hand sein werden. Es wird wahrscheinlich wieder zu sprechen sein von den Gemälden Michelangelos oder von den Elegien Goethes oder anderen besonders schönen Belegstücken. Ich möchte aber von vornherein sehr nachdrücklich darauf aufmerksam machen, daß vieles von dieser früheren Argumentation an dieser Vorlage vorbeigehen wird, weil sie sich von den früheren Problemstellungen wesentlich unterscheidet.
Folgende Einzelheiten sind aus dieser Vorlage kurz hervorzuheben. Die Vorlage enthält sich jeglicher Diskriminierung irgendwelcher Schriften. Die Prüfstellen sind keine Zensurstellen, sie geben also kein moralisches, sie geben auch kein ästhetisches Urteil ab, sie verfolgen ausschließlich ein erzieherisches Problem, indem sie feststellen, ob eine Schrift so geartet ist, daß sie die Jugend sittlich gefährden würde.
Diese Entscheidung der Prüfstellen beinhaltet keinerlei Auswirkungen hinsichtlich des Vertriebs einer solchen betroffenen Schrift an erwachsene Personen. Überhaupt nicht beanstandet werden dürfen Schriften wegen ihrer politischen, sozialen oder weltanschaulichen Zielsetzung. Auch muß alles unbeanstandet bleiben, was der Kunst, der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre dient
I oder was im öffentlichen Interesse publiziert wird. In allen diesen Fällen haben die genannten Gesichtspunkte den Vorrang vor dem Jugendschutz.
Auf der anderen Seite ist ein besonderes Wort über die Schriften zu sagen, die durch Bild für die Nacktkultur werben. Zunächst darf ich bemerken, daß der Bund für Freikörperkultur in Deutschland mit Bedauern festgestellt hat, daß kein Mitglied des Bundestages ihm angehört.
Wir sind also ganz unter uns, und so sehr es die parlamentarische Szenerie beleben würde, wenn wir einmal nach den Spielregeln dieses Freikörperbundes tagen würden,
so glaube ich doch, daß wir auch ohnedem kompetent sind, diesen Punkt zu behandeln.
Die Vorlage will Schriften, welche durch Bild für die Nacktkultur werben, ohne weiteres den Vertriebsbeschränkungen unterwerfen. Auch darin liegt keine Diskriminierung derartiger Bestrebungen überhaupt. Die Nacktkulturinteressenten können weiterhin ihre illustrierten Schriften herstellen, sie können weiterhin werben, aber sie sollen es nicht tun durch den öffentlichen Aushang solcher Schriften.
Hier soll der Schutz der Jugend den Vorrang haben.
Alles in allem also ist die Vorlage überaus zurückhaltend. Sie wird eher manche Erwartungen vom Standpunkt des Jugendschutzes enttäuschen, als daß sie diesen Schutz übertriebe. Sie kommt im Endergebnis darauf hinaus, daß wir künftig dreierlei Schrifttum haben werden, nämlich erstens den weitaus größten Kreis des nach wie vor völlig
freien Schrifttums, zweitens den recht engen Kreis
von jugendgefährdendem Schrifttum im Sinne dieser Vorlage, welches nicht an Jugendliche, wohl aber an Erwachsene vergeben werden darf, und endlich drittens das unzüchtige Schrifttum im Sinne der allgemeinen Strafgesetze und sonderlich der von mir eingangs erwähnten lex Heinze. Solches unzüchtige Schrifttum darf weder an Jugendliche noch an Erwachsene vertrieben werden.
Trotz aller dieser Zurückhaltung der Vorlage bleiben natürlich die grundsätzlichen Einwände, und dazu möchte ich folgendes sagen. Soweit die Einwände sich lediglich auf die Methode beziehen, mit der die Vorlage die jugendgefährdenden Schriften anfassen will, kann ihnen meines Erachtens sehr leicht begegnet werden. Es wird einmal vorgeschlagen, das Problem über das Steuerrecht zu lösen, derart, daß Schriften im Sinne der Vorlage durch eine Sondersteuer verteuert werden sollen. Dieser Weg, meine Damen und Herren, verbietet sich — von manchen anderen Gründen abgesehen — schon deshalb, weil die mit einer Sondersteuer zu belegenden Schriften ja auch durch Prüfstellen bezeichnet werden müßten. Da kommen wir also doch grundsätzlich nicht auf eine andere Linie.
Es wird zum anderen vorgeschlagen, das Problem ausschließlich durch das Strafgesetzbuch zu lösen. Eine nachträgliche Feststellung durch einen Strafrichter reicht aber nicht aus, um klare und sichere Verhältnisse zu schaffen. Gerade die Zeitschriftenhändler selbst müssen Wert darauf legen, von vornherein bündig zu wissen, was es mit einer Schrift auf sich hat. Irgendwann nachträglich ergehende Strafurteile, womöglich noch Strafurteile
verschiedenen Inhalts, bringen die Händler ja nur in Risiken und nehmen dem Jugendschutz obendrein seine Wirkung, weil die Schriften längst vertrieben sein werden, ehe ein Strafurteil ergeht. Ich bin also der Meinung, daß methodisch gegen die Vorlage nichts Rechtes gesagt werden kann.
Eine andere Frage wäre die der Selbstkontrolle der Verleger, eine Selbstkontrolle nach der Art, wie sie in der Filmindustrie etabliert worden ist und als durchaus wirksam angesehen werden kann. Es muß aber hier festgestellt werden, daß eine solche Selbstkontrolle der Verleger nicht zustande gekommen ist und wegen der überaus großen Zahl der Beteiligten wahrscheinlich auch nicht zustande kommen wird. Sollte aber einmal eine wirksame Selbstkontrolle der Verleger nachträglich entstehen, so kann ja überlegt werden, welche Forderungen der Gesetzgeber daraus ziehen will. Für eine Selbstkontrolle der Verleger bleibt über dieses Gesetz hinaus noch Betätigungsmöglichkeit genug, sonderlich auf dem weiten Feld der Schundliteratur.
Wesentlicher sind natürlich die Einwände, die sich darauf beziehen, daß jugendgefährdende Schriften überhaupt nicht gesetzgeberisch angefaßt werden sollen. Nun, diese Meinungsverschiedenheiten werden ja hier in der Debatte zu Tage treten und wahrscheinlich unüberbrückbar unter uns stehenbleiben, so daß letzten Endes eben eine Entscheidung gefällt werden muß. Von denen, die so grundsätzlich gegen eine gesetzgeberische Behandlung dieser Materie auftreten, wird gesagt, daß jeder Eingriff in die Meinungsfreiheit gefährlich sei; nur bei uneingeschränkter Freiheit könnten die Menschen ihre Kräfte völlig zum Wohle der Gesamtheit entfalten, und daran habe die Gesamtheit das entscheidende Interesse. Es wird gesagt, daß die Gefahren der Freiheit geringer wögen als die der Einschränkung.
Das alles sind, wie ich ausdrücklich hervorheben möchte, in diesem Falle nicht Argumentationen von Herrn Professor Erhard, sondern von Herrn Professor Carlo Schmid.
„Wer sicher gehen will, verarmt", sagt Professor Càrlo Schmid in einem seiner Zeitungsaufsätze wörtlich zu unserem Thema. Wir haben hier also eine seltsame Verlagerung der Fronten, nur daß Professor Erhard sich bei seinen Argumentationen für die Wirtschaftsfreiheit darauf berufen kann, daß die Konkurrenz in der gewerblichen Wirtschaft den Leistungsgrad der Produktion steigert, während sie hier den Gehalt eines gewissen Schrifttums nach unten drückt.
Auch kann man hier nicht sagen, daß der Kunde der beste und zuverlässigste Schiedsrichter gegenüber den konkurrierenden Produzenten sei.
In puncto Schmutzliteratur ist nämlich der Kunde nicht einwandfrei auf den geographischen Nordpol bester Qualität eingestellt, sondern sehr leicht auf den erotischen Nordpol der Abirrung vom guten Weg. Deshalb ist es geboten, im Bereiche des jugendgefährdenden Schrifttums nicht einfach in Liberalismus zu machen.
Sicher ist die Meinungsfreiheit ein Grundrecht. Aber sie ist zugleich auch ein Geschäft. Das Geschäft mit der Schamlosigkeit hat aber zumindest bei der Jugend aufzuhören. In diesem Sinne läßt Art. 5 Abs. 2 des Grundgesetzes eine Einschränkung der Meinungsfreiheit ausdrücklich zu.
Indem wir von dieser verfassungsmäßigen Möglichkeit Gebrauch machen, fangen wir durchaus nicht
an, die Freiheit abzubauen, sondern sie zu schützen.
Von Herrn Professor Carlo Schmid ist auch gesagt worden, daß der erste Schritt auf diesem Wege alsbald weitere Schritte nach sich ziehen würde. Ich vermag natürlich nicht zu prophezeien, was morgen sein wi rd. Ich halte es aber für gut möglich, daß die Regenten von morgen mit den Freiheiten von heute sehr böse umspringen. werden, wenn wir sie nicht vor Entartungen schützen.
Das sind die Gründe, meine Damen und Herren, weshalb Ihnen die Bundesregierung diese Vorlage unterbreitet und damit im übrigen einen Auftrag des Bundestages ausführt, der ihr am 16. Dezember des vergangenen Jahres mit einer überwältigenden Mehrheit hier erteilt worden ist. Im Hinblick darauf, daß der Ältestenrat nur eine kurze Einbringung wünscht, lasse ich alle sonstigen Dinge der Vorlage beiseite. Sie haben ja eine sehr ausführliche gedruckte Begründung zur Hand.
Ich möchte abschließend nur dieses sagen: Selbstverständlich ist die Bundesregierung nicht der Meinung, daß mit dieser Vorlage alles wesentliche für die Jugend getan sei. Die Jugend braucht positive Hilfen, nämlich Ausbildung, Arbeit, Wohnung, Sport, das gute Buch und manches andere. Wenn wir aber solches alles jetzt und heute nicht ausreichend geben können, so darf das nicht hindern, die Jugend vor dem zu schützen, was ihr schädlich ist, und das will diese Vorlage bewirken.