Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 14. Sitzung des Deutschen Bundestags.
Ehe wir in die Tagesordnung eintreten, haben wir eines Toten zu gedenken.
Am 27. Oktober ist das Mitglied dieses Hauses, Herr Abgeordneter Dr. Linnert, in Nürnberg, in seiner Heimat, eines jähen und unerwarteten Todes verschieden. Herr Dr. Linnert stand im 65. Lebensjahr. Bis 1933 war er Vorsitzender der Reichsvereinigung der Dentisten und Präsident der Zahnärztekammer von Bayern. Die Universität Erlangen hatte ihm die Würde eines Ehrendoktors verliehen. Bis zum Zusammenbruch 1933 war er Mitglied der Demokratischen Partei. 1945 gehörte er zu den Mitbegründern der Freien Demokratischen Partei in Bayern. Seit 1946 war er Abgeordneter des Bayerischen Landtags und zuletzt Vorsitzender seiner Fraktion. Der Verband der deutschen Zahnärzte wählte ihn im Juli dieses Jahres zu seinem Vorsitzenden, und im August dieses Jahres berief ihn das Vertrauen seiner Wähler in den Deutschen Bundestag. Er hat dort — tragisch genug —, wenn auch nur für kurze Zeit, den Vorsitz im Ausschuß für Gesundheitswesen ausgeübt. Wir haben insbesondere im Ältestenrat Gelegenheit gehabt, zu ihm in engere menschliche Beziehungen zu treten, und wir haben immer unsere herzliche Freude an seinem ehrlichen politischen Temperament und an der Wärme seines Herzens -gehabt, mit der er seinen Standpunkt vertrat, und durften uns seiner reichen politischen Erfahrungen erfreuen.
Das Präsidium war bei seiner Beerdigung vertreten. Ich spreche insonderheit seiner Fraktion in diesem Hause heute noch einmal in aller Form das herzlichste Beileid aus.
Meine Damen und Herren! Ich stelle fest: Sie haben sich zu Ehren des Verstorbenen von den Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.
Ich habe weiter eine sehr betrübliche Mitteilung zu machen. Das Mitglied des Hauses, Herr Abgeordneter Dr. Mücke, hat, wie ich im Laufe des heutigen Vormittags erfahren habe, in den frühen Morgenstunden einen schweren Autounfall erlitten. Nach den mir gewordenen Mitteilungen hat er eine schwere Gehirnerschütterung und innere Verletzungen davongetragen. Ich spreche sicher in Ihrer aller Namen, wenn ich ihm von dieser Stelle aus unsere herzlichsten Wünsche für eine Genesung zum Ausdruck bringe und wenn ich das weiterhin auch schriftlich in Ihrer aller Namen tun werde.
Möge ihm ein gütiges Schicksal recht bald seine alten Kräfte und seine Frische zurückgeben.
Ich darf nunmehr Herrn Schriftführer Dr. Zawadil bitten, die Namen der beurlaubten Mitglieder des Hauses zu verlesen.
Beurlaubt sind wegen Krankheit die Abgeordneten Nickl, Gengler, Frau Rösch, Dr. Mücke, Schönauer, Fisch, Müller , Müller (Oskar), Reimann; aus anderweitigen Gründen die Abgeordneten Dr. Vogel und Dr. Holzapfel.
Meine Damen und Herren! Folgende Abgeordneten nehmen heute erstmalig an den Sitzungen des Bundestags teil. Herr Abgeordneter Dr. Bertram als Nachfolger des Herrn Ministers Dr. Amelunxen. Darf ich den Herrn Abgeordneten Dr. Bertram bitten, sich zu erheben. — Danke schön! Ferner Herr Abgeordneter Hohl als Nachfolger des Herrn Ministers Dr. Hilpert. — Herr Abgeordneter Hohl, danke! Ferner Frau Abgeordnete Dr. Ilk für den verstorbenen Herrn Abgeordneten Dr. Linnert. — Ich darf Sie, Frau Dr. Ilk, Herrn Hohl und Herrn Dr. Bertram im Namen des Bundestags in unserer Mitte herzlich willkommen heißen und Ihnen gute Mitarbeit und Zusammenarbeit wünschen.
Die Beschlüsse der 12. und 13. Sitzung des Deutschen Bundestags — Nr. 12/1 bis 7 und 13/1 und 2 — liegen wie üblich auf dem Tisch des Hauses zur Einsichtnahme aus.
Ich darf ferner davon Mitteilung machen, daß dem Präsidenten seitens der Bundesregierung folgende Gesetzentwürfe zugegangen sind: Entwurf eines Gesetzes über die Verkündung von Rechtsverordnungen, Entwurf eines Gesetzes über die Erstreckung der bei den Annahmestellen Darmstadt und Berlin eingereichten Patent-, Gebrauchsmuster- und Warenzeichenanmeldungen auf die Länder Baden, Rheinland-Pfalz, Württemberg-Hohenzollern und den bayerischen Kreis Lindau. Die Vorlagen werden den Damen und Herren des Hauses im Geschäftsgang zugeleitet.
In der 12. Sitzung des Deutschen Bundestags wurden die Anträge Drucksachen Nr. 73, 77, 83 an die einschlägigen Ausschüsse überwiesen. Einem Wunsche des Ausschusses für Geld und Kredit entsprechend erbitte ich das Einverständnis des Hauses dafür, daß die genannten Anträge
zusätzlich ebenfalls diesem Ausschuß für Geld und Kredit zur Bearbeitung mit überwiesen werden. Da ich keinen Widerspruch höre, darf ich das Einverständnis des Hauses damit annehmen.
Ich darf ferner dem Hause davon Mitteilung machen, daß auf Grund einer Übereinkunft im Ältestenrat unter Abweichung von dem Wortlaut des § 103 der vorläufigen Geschäftsordnung in der Regel künftig durch Handaufheben abgestimmt werden soll, da sich dieses Verfahren nach Ansicht aller Fraktionsvertreter im Ältestenrat als das zweckmäßigere erwiesen hat.
Zum Schluß darf ich mir noch einen Hinweis erlauben — diesen Hinweis darf ich an die Damen und Herren, die sich auf den Tribünen als Besucher befinden, -, daß die Besucher der Tribünen nicht das Recht haben, Beifalls- oder Mißbilligungsäußerungen zum Ausdruck zu bringen.
Meine Damen und Herren, damit sind die Mitteilungen erschöpft. Wir treten nunmehr in die Tagesordnung ein. Punkt la:
Antrag der Fraktion der CDU/CSU betreffend Ergänzung des § 103 der vorläufigen Geschäftsordnung .
Wird das Wort von den Herren Antragstellern gewünscht?
— Es wird verzichtet. Wird sonst das Wort aus dem Hause zu diesem Antrage gewünscht? — Ich stelle fest: dies ist nicht der Fall.
Wer für diesen Antrag Drucksache Nr. 134 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit. Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit. Damit ist der Antrag angenommen.
Wir kommen nunmehr zum Tagesordnungspunkt lb:
Antrag der Abgeordneten Euler, Dr. Wellhausen und Genossen betreffend Abänderung des § 105 der vorläufigen Geschäftsordnung .
Wird von den Antragstellern das Wort gewünscht?
Wird sonst das Wort zu diesem Antrag gewünscht?
— Ich stelle fest: das ist nicht der Fall.
Wer für den Antrag Drucksache Nr. 139 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Das ist dieselbe Mehrheit wie vorhin.
— Dann darf ich die Abstimmung wiederholen. Wer für den Antrag Drucksache Nr. 139 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Wir stellen von hier aus fest : das ist dieselbe Mehrheit wie vorhin.
— Dann muß ich auszählen lassen.
- Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste
war ersichtlich die Mehrheit. Damit ist der Antrag Drucksache Nr. 139 angenommen.
Wir kommen nunmehr zu Punkt 2 a:
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität über den Antrag des Bundesministers der Justiz vom 13. Oktober 1949 betreffend Genehmigung der Fortsetzung des Strafverfahrens gegen den Abgeordneten Loritz wegen Wirtschaftsvergehens u. a. ; Be-
richterstatter: Abgeordneter Ritzel und Abgeordneter Dr. von Merkatz.
Ich erteile zunächst dem Herrn Abgeordneten Ritzel als Berichterstatter das Wort.
. Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das Hohe Haus hatte bereits in einer früheren Sitzung Gelegenheit, sich mit der Frage der Sistierung der Immunität des Herrn Abgeordneten Loritz aus Anlaß der Fortsetzung eines Strafverfahrens wegen Wirtschaftsvergehen bzw. Verleitung zum Meineid zu befassen. Damals hat das Hohe Haus einstimmig die Fortsetzung des Verfahrens sistiert, und zwar auch aus dem Grunde, eine prinzipielle Klärung der Frage herbeizuführen, ob die Fortführung von Verfahren, die bereits vor der Wahl eines Abgeordneten zum Bundestag anhängig waren, durch die Immunität des Abgeordneten nach seiner Wahl unmöglich ist. Es sind Gutachten des Berichterstatters des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität sowie des Herrn Justizministers eingeholt
worden Über diese Rechtsfrage wird sich nachher der Mitberichterstatter, Herr Abgeordneter Dr. von Merkatz, des näheren äußern. Mir obliegt es, Ihnen zunächst auf Grund des Tatbestandes die Meinung des Ausschusses zu interpretieren:
Der Ausschuß empfiehlt dem Bundestag, dem
Antrag des Bundesministers der Justiz auf
Aufhebung der Immunität des Abgeordneten
Loritz wegen eines gegen ihn anhängigen Verfahrens wegen Wirtschaftsvergehen u. a.
nicht stattzugeben.
Ich glaube, das Hohe Haus hat einen Anspruch darauf, etwas Näheres über die Angelegenheit zu hören. Nach der Feststellung des Ausschusses, der seinen Beschluß bei einer Stimmenthaltung einstimmig gefaßt hat, handelt es sich nicht um einen schweren kriminellen Fall. Wenn es sich um einen schweren kriminellen Fall handeln würde, würde der Ausschuß die Auffassung vertreten, daß in derartigen Fällen die Immunität keine Geltung haben sollte.
Der Abgeordnete Loritz war wegen dreier Vergehen vor Gericht. Die große Strafkammer in München hat ihn abgeurteilt. Die Anklage bezog sich erstens auf Kriegswirtschaftsvergehen. Es wurden Benzinschwarzkäufe für seine Partei, die WAV, behauptet. Dieses Verfahren wurde durch eine generelle Amnestie eingestellt.
Der Abgeordnete Loritz hat dagegen das Rechtsmittel der Revision ergriffen, das bis jetzt nicht durchgeführt ist.
Zweitens: Anklage auf Meineidsverleitung. In diesem Verfahren, das in diesem Punkt der Tagesordnung allein zur Diskussion steht, hat die Strafkammer den Abgeordneten Loritz freigesprochen.
Drittens bezogen sich die Anklage und das Urteil auf Haftentweichung. Hier wurde der Abgeordnete Loritz zu drei Monaten Gefängnis, die durch die Untersuchungshaft für verbüßt erachtet wurden, verurteilt.
Aus den Akten hat sich ergeben, daß der Bayerische Landtag der Aufhebung der Immunität zunächst nicht bezüglich der Meineidsverleitung zugestimmt hatte, aus dem einfachen Grunde, weil die Staatsanwaltschaft es unterlassen hatte, dem Bayerischen Landtag dieses Delikt zur Kenntnis zu bringen. Das war Anlaß dafür, daß der Bayerische Verfassungsgerichtshof am 28. Juni 1948 eine Entscheidung traf, die dahin ging, daß die
Strafverfolgung wegen Meineids unzulässig gewesen wäre; denn der Landtag hatte für diese Strafverfolgung die Aufhebung der Immunität nicht bewilligt. Dieser Schaden wurde aber später geheilt, und der Bayerische Landtag hat die Immunität ausdrücklich aufgehoben. Damit war der Weg für die Rechtsverfolgung frei. Dann kam jenes Urteil der Strafkammer zustande, das den Abgeordneten Loritz von dem Verdacht der Verleitung zum Meineid freisprach.
Das Hohe Haus hat, wie schon eingangs erwähnt, seinerzeit das Verfahren zunächst ausgesetzt. Der Herr Bundesminister der Justiz hat die weitere Fortsetzung der Strafverfolgung seinerseits als notwendig erachtet, und der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität prüfte auch den daraus entstehenden Komplex. Er kam zu dem bereits erwähnten Schluß, daß keine Begründung vorliege, die genüge, um dem Hohen Haus die Aufhebung der Immunität aus diesem Anlaß zu empfehlen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter für seine Ausführungen und erteile dem Herrn Abgeordneten Dr. von Merkatz als Mitberichterstatter das Wort.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität hat den Berichterstatter beauftragt, die grundsätzliche Rechtsfrage, das heißt Begriff und Wesen der Immunität, losgelöst von dem Fall, der hier zur Entscheidung steht, zu beurteilen. Die Immunität, Verantwortungsfreiheit, ist eine alte parlamentarische Einrichtung, die bereits auf das englische Verfassungsrecht zurückgeht. Sie findet sich in den Konstitutionen Frankreichs von 1790 und 1793, dann in der Paulskirchen-Verfassung in § 117 sowie in allen Verfassungen, die ein Parlament vorsehen. Sie bedeutet den Schutz vor Verfahren, die die persönliche Freiheit eines Parlamentsmitgliedes beeinträchtigen könnten, um die Funktionsfähigkeit des Parlaments durch die Gewährleistung der Entscheidungsfreiheit seiner Mitglieder vor Eingriffen der vollziehenden und der rechtsprechenden Gewalt zu sichern. Der einzelne Abgeordnete hat keine Verfügungsgewalt über die Wahrnehmung oder Preisgabe der Immunität. Es handelt sich ausschließlich um ein Vorrecht des Parlaments.
Die Entwicklungsgeschichte des Immunitätsrechtes spiegelt den Gegensatz zwischen dem obrigkeitlichen Verwaltungsstaat und der erstarkenden parlamentarischen Demokratie wider. Die Immunitätsrechte sind im Laufe der Zeit immer weiter ausgebaut worden. Artikel 83 der oktroyierten preußischen Verfassung vom 5. Dezember 1848 ist in die Verfassung des Norddeutschen Bundes und als Artikel 31 in die Reichsverfassung vom 16. April 1871 übernommen worden. Artikel 37 der Reichsverfassung dehnte diesen Schutz auch auf Landtagsabgeordnete aus und erweiterte die Fälle, in denen die Beschränkung der persönlichen Freiheit eines Abgeordneten der Genehmigung seines Parlaments bedurfte. Der Ausschluß bzw. die Einschränkung der Verfolgbarkeit erstreckte sich aber nur auf die Sitzungsperiode.
Im Grundgesetz Artikel 46 ist dieser Immunitätsschutz erweitert worden für die Zeit von der Annahme der Wahl bis zum Ende der Wahlperiode oder zur Auflösung des Bundestags. Außerdem ist nach dem Grundgesetz dieser Immunitätsschutz auf
jedes Verfahren erweitert worden, das die persönliche Freiheit des Abgeordneten beeinträchtigen könnte.
Im Grundgesetz Artikel 46 Absatz 1 und in den Absätzen 2 bis 4 sind zwei ganz verschiedene Tatbestände geregelt worden. Absatz 1, der sich mit der Straffreiheit von Äußerungen im Plenum des Parlaments befaßt, handelt von einem persönlichen Strafausschließungsgrund, während die Absätze 2 bis 4 die Voraussetzung der Verfolgbarkeit regeln. Sie enthalten also keinen persönlichen Strafausschließungsgrund, sondern lediglich eine Gewährleistung für das Parlament, daß der Abgeordnete nicht durch ein seine persönliche Freiheit beschränkendes Verfahren aus dem Parlament herausgeholt werden kann und damit nicht mehr in der Lage ist, seine Funktionen im Parlament auszuüben.
Hinsichtlich der Tragweite des Absatz 2, der davon handelt, daß ein Strafverfahren gegen einen Abgeordneten nur durchgeführt werden kann, wenn der Bundestag seine Genehmigung dazu erteilt, und des Absatz 4 des Artikel 46, der davon handelt, daß ein gegen einen Abgeordneten laufendes Strafverfahren oder sonst seine persönliche Freiheit beschränkendes Verfahren auf Verlangen des Bundestags ausgesetzt werden muß, ist eine alte Streitfrage auch in dem vorliegenden Fall zum Zuge gekommen. Es geht hier um die Frage, ob ein Strafverfahren oder ein die persönliche Freiheit beschränkendes Verfahren, das vor der Erlangung der Abgeordneteneigenschaft eingeleitet worden ist, nach Artikel 46 Absatz 4 oder nach Artikel 46 Absatz 2 zu behandeln ist, das heißt, ob dieses Verfahren von Amts wegen auszusetzen ist und nur mit einer Genehmigung des Bundestags fortgesetzt werden kann oder ob das Verfahren weiterläuft und nur dann ausgesetzt werden soll, wenn der Bundestag dies verlangt.
In dem vorliegenden Fall Loritz hat das Landgericht in München das Verfahren weiterlaufen lassen, und erst auf Antrag der Fraktion des Herrn Loritz und durch Beschluß des Bundestags ist dieses Verfahren ausgesetzt worden. Man hat also hinsichtlich dieses Beschlusses des Bundestags so verfahren, wie es seinerzeit die Praxis des Reichsgerichts verlangt hat. Es liegen dazu zwei Entscheidungen vom Ende des vorigen Jahrhunderts vor, die dahin gehen, daß ein Strafverfahren, das bei Erlangung der Abgeordneteneigenschaft läuft, nur dann auszusetzen ist, wenn das Parlament es ausdrücklich verlangt. Ueber diese Frage ist ein Gutachten des Herrn Bundesjustizministers eingeholt worden, das durch ein Gutachten des Berichterstatters ergänzt worden ist.
Nach der rechtlichen Lage, wie sie das Grundgesetz beinhaltet, kann an dieser Praxis des Reichsgerichts nicht mehr festgehalten werden. Schon die Praxis des Reichstags hat entgegen der Rechtsprechung des Reichsgerichts so verfahren, daß ein Strafverfahren durch die Erlangung der Abgeordneteneigenschaft ausgesetzt wird und daß zu seiner Fortsetzung dig Genehmigung des Parlaments - damals des Reichstags, heute des Bundestags — erforderlich ist. Der Absatz 4 des Artikel 46 hat eine vollkommen andere Bedeutung, als sie seinerzeit vom Reichsgericht angenommen worden ist. Der Absatz 4, der nämlich die Aussetzung durch Beschluß des Bundestags verlangt, ist eine Garantie für die Fälle, daß der Abgeordnete etwa auf frischer Tat verhaftet worden ist oder daß ein Verfahren, das gegen einen Abgeordneten läuft, entgegen den Vorschriften der
Strafprozeßordnung fortgesetzt worden ist, oder aber auch für den Fall, daß das Parlament ursprünglich die Genehmigung zu einem Verfahren gegeben hat, dann aber zu neuen Gesichtspunkten gekommen ist, die sich aus dem Ablauf des Verfahrens ergeben und auf Grund deren das Parlament eine Aussetzung und damit eine Wiederherstellung der Immunität für zweckmäßig hält.
Damit dürfte nach übereinstimmender Ansicht des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität diese alte, durch die Lehrbücher und durch die Wissenchaft geschleppte Streitfrage, die durch die Reichstagspraxis tatsächlich schon seit 1919 überholt war, jetzt endgültig ausgeräumt werden. Man muß von dem Grundsatz ausgehen — das ist übereinstimmend die Ansicht des Berichterstatters und die Ansicht des Gutachtens des Herrn Bundesjustizministers —: alle diese Verfahren sind von Amts wegen auszusetzen und können nur durch einen Genehmigungsbeschluß des Parlaments fortgeführt werden.
Nachdem diese rechtliche Grundlage festgestellt war, kam es dem Berichterstatter darauf an, den Versuch zu unternehmen, Grundsätze zu entwikkeln, die eine gewisse Richtlinie dafür geben, ob der Bundestag sich entschließt, die Genehmigung für die Durchführung eines Strafverfahrens gegen einen Abgeordneten zu erteilen, das heißt die Immunität aufzuheben. Der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität hat sich hierbei einstimmig auf folgende Gesichtspunkte geeinigt. Das Immunitätsrecht bezweckt, die Funktionsfähigkeit und das Ansehen des Bundestags sicherzustellen. Die Entscheidung über Aufrechterhaltung oder Aufhebung der Immunität ist eine politische Entscheidung und darf ihrem Wesen nach kein Eingriff in ein schwebendes Verfahren sein, bei dem es um die Feststellung von Recht oder Unrecht, Schuld oder Nichtschuld geht. Der Kern der erwähnten politischen Entscheidung beruht auf einer Interessenabwägung zwischen den, Belangen des Parlaments und den Belangen der anderen hoheitlichen Gewalten. Daraus ergibt sich, daß der Bundestag nicht in eine Beweiswürdigung, also in eine vorweggenommene Urteilsfindung hinsichtlich der Erfüllung eines Unrechtstatbestandes eintreten darf, sondern nur in eine Abwägung der Frage, ob die einem Abgeordneten zur Last gelegte Tat oder die Zulassung der Verfolgung das Ansehen des Hauses so beeinträchtigt, daß seine Funktionsfähigkeit in Frage gestellt ist. Hierbei ist genau abzugrenzen, ob unter Umständen die nur teilweise Durchführung eines Verfahrens gegen einen Abgeordneten das Interesse des Hauses gewährleistet oder ob dazu eine vollständige Durchführung erforderlich ist, die es mit sich bringen kann, daß ein Abgeordneter in seiner persönlichen Freiheit beeinträchtigt wird. Bei Abwägung der Interessen steht die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des Hauses im Vordergrund. Auszugehen ist von der inneren Souveränität des Hauses und von der Tatsache der Repräsentation, die den Gedanken der Unverletzlichkeit der politischen Tätigkeit der Parlamentsmitglieder zur Voraussetzung hat. Damit kommt man zu dem Ergebnis, daß alle Verfahren, die von einem politischen Interesse infiziert sind, das von einem anderen Träger der öffentlichen Gewalt an dem Ergebnis eines solchen Verfahrens genommen wird, grundsätzlich nicht zu einer Genehmigung gemäß Absatz 2 führen sollten bzw. gemäß Absatz 4 auf Verlangen des Bundestags ausgesetzt werden müßten. Nur bei solchen Verfahren, bei denen die
Schwere des kriminellen Vorwurfs unbeeinflußt von politischen Nebenabsichten eine Aufklärung des Tatbestandes ausschließlich im Interesse des Ansehens des Hauses gebietet, sollte gemäß Artikel 46 Absatz 2 von der Genehmigung Gebrauch gemacht bzw. gemäß Absatz 4 von dem Verlangen auf Aussetzung des Verfahrens Abstand genommen werden.
Dem Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität kam es bei diesem Fall Loritz darauf an, klar und unmißverständlich das moderne Immunitätsrecht dem Prinzip nach endgültig zu sichern und zu gewährleisten. Ausschließlich von diesem verfassungsrechtlichen Interesse aus gesehen ist diese Entscheidung gefällt worden.
Der Ausschuß hat den schriftlichen Bericht des Berichterstatters und die gutachtliche Äußerung des Bundesjustizministers zur Frage der Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Loritz zwecks Weiterführung des Strafverfahrens zur Kenntnis genommen und schloß sich einstimmig der darin vertretenen Auffassung an. Der Ausschuß stellte weiterhin fest: die Beschlüsse des
Bundestags bezüglich der Aussetzung der Verfahrens des Abgeordneten Loritz nach der Annahme der beiden Gutachten waren für die Wirksamkeit der Immunität des Abgeordneten Loritz nicht erforderlich. Nach den vom Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität entwickelten Grundsätzen ist es nicht zweckmäßig, in eine Beweiswürdigung der dem Abgeordneten Loritz zur Last gelegten Tatsachen einzutreten. Es geht hier um ein Prinzip zur Sicherung der Freiheit der politischen Tätigkeit eines Abgeordneten.
Der Ausschuß empfiehlt dem Bundestag, die vom Bundesminister der Justiz nachgesuchte Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Loritz wegen eines gegen ihn anhängigen Verfahrens wegen wirtschaftlichen Vergehens, Verleitung zum Meineid usw. abzulehnen.
Ich danke auch dem zweiten Herrn Berichterstatter für seine Ausführungen. Ich stelle nunmehr die Ausführungen der beiden Herren Berichterstatter zur Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Ich stelle fest, daß das Wort nicht gewünscht wird, und erkläre damit die Aussprache für geschlossen.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung. Wer für den Antrag des Ausschusses, Drucksache Nr. 132, ist, den bitte ich, die Hand zu erheben.
— Es handelt sich um den Antrag Drucksache Nr. 132, der Ihnen vorliegt, und zwar um den Antrag des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität in dem Sinne, wie er eben von dem Herrn Berichterstatter vorgetragen worden ist.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Dr. von Brentano.
Ich weise darauf hin, daß zwei Anträge vorliegen. Wir müssen getrennt abstimmen, und zwar über den Antrag, über den Herr Abgeordneter Ritzel berichtet hat, und über den Antrag, über den Herr Abgeordneter Dr. von Merkatz berichtete.
Nein, ich darf auf folgendes aufmerksam machen. Der Antrag Drucksache
Nr. 132 enthält den Antrag des Ausschusses, dern Antrag des Bundesministers der Justiz auf Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Loritz wegen Wirtschafts- und anderer Vergehen nicht stattzugeben. Der Antrag Drucksache Nr. 133, der unter Punkt 2 b behandelt wird, ist durch den Berichterstatter Herrn Abgeordneten Dr. von Merkatz überhaupt noch nicht behandelt worden. Es bleibt also nur abzustimmen über den Antrag Drucksache Nr. 132. Darf ich fragen, ob darüber im Hause allgemeine Klarheit herrscht?
Ich wiederhole deshalb meine Aufforderung: Wer für den Antrag Drucksache Nr. 132 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Bei einer Reihe von Enthaltungen mit zweifelsfreier Mehrheit angenommen.
Wir kommen nunmehr zu Punkt 2 b der Tagesordnung:
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität über den Antrag des Bundesministers der Justiz vom 25. Oktober 1949 betreffend Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Loritz wegen eines gegen ihn anhängigen Verfahrens wegen verleumderischer Beleidigung ; Berichterstatter Abgeordneter Dr. von Merkatz.
Dazu erteile ich dem Herrn Abgeordneten Dr. von Merkatz als Berichterstatter das Wort.
Als Berichterstatter des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität möchte ich zunächst lediglich die verfahrensrechtlichen Grundsätze dieses Falles darlegen. Es handelt sich um ein Verfahren gegen den Abgeordneten Loritz wegen verleumderischer Beleidigung. Die Staatsanwaltschaft München hat Anklage erhoben, bevor der Abgeordnete Loritz sein Mandat im Bundestag erhalten hat, hinsichtlich folgender ihm zur Last gelegter Tatsachen. Er habe fortgesetzt und wider besseres Wissen öffentlich behauptet: erstens, er sei in der Strafanstalt Stadelheim schlimmer behandelt worden als von der Gestapo; zweitens, in seiner Suppe hätten sich Verunreinigungen, Menschenhaare und sonstiger Dreck befunden; drittens, er habe Brot bekommen, das nach Urin und Kot geschmeckt habe und mit Urin getränkt gewesen sei; viertens, es sei vor seiner Gefängniszelle geäußert worden: „Den Mann machen wir auch noch fertig!" Diese öffentlich verbreiteten Tatsachen haben zu einer Anklage geführt.
Unterdessen hat der Abgeordnete Loritz die Eigenschaft eines Abgeordneten erhalten. Der Bundestag hat auf Antrag des Abgeordneten Loritz vom 14. September 1949 auf Aussetzung eines gegen ihn anhängigen Verfahrens wegen verleumderischer Beleidigung beschlossen: Das gegen den Abgeordneten Loritz vor dem Landgericht München I eingeleitete Verfahren wegen verleumderischer Beleidigung ist auf Grund des Artikels 46 Absatz 4 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland auszusetzen, bis eine Entscheidung des Bundestags über die Aufhebung der Immunität erfolgt. Daraufhin hat der Bundesminister der Justiz durch Schreiben vom 28. 10. 1949 beantragt, die Fortsetzung des gegen den Abgeordneten Loritz anhängigen Verfahrens wegen verleumderischer Beleidigung zu genehmigen. Der Antrag des Bundesjustizministers und die Akten Loritz wurden dem Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität vom Präsidenten des Deut-
schen Bundestags mit Schreiben vom 17. 10. 1949 kurzerhand überwiesen. Im Zusammenhang mit der Prüfung dieses Falles sind die rechtlichen Grundsätze entwickelt worden, die ich Ihnen vorzutragen die Ehre hatte und die vom Ausschuß gebilligt worden sind.
Nach Beratung im Ausschuß wurde folgendes Ergebnis erzielt. Dem Bundestag wird empfohlen, die vom Bundesminister der Justiz nachgesuchte Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Loritz wegen eines gegen ihn anhängigen Verfahrens wegen verleumderischer Beleidigung abzulehnen. Die Mehrheit des Ausschusses ist zu diesem Ergebnis nach gründlicher Prüfung der Akten gekommen. Es ist hier nicht der Ort, in eine Beweiswürdigung einzutreten und Aussage gegen Aussage zu werten und gegeneinanderzuhalten. Das ist Aufgabe der rechtsprechenden Gewalt und nicht des Parlaments. Für die Mehrheit des Ausschusses ergab sich aber für die rein politische Entscheidung das Ergebnis, daß der Sachverhalt nicht hinlänglich geklärt ist, um gemäß den Grundsätzen des Ausschusses festzustellen, daß es sich um ein rein kriminelles Verfahren handelt. Es bleibt die Möglichkeit, daß hierin auch politische Interessen mitspielen. Für die Mehrheit des Ausschusses ergab sich nach den von ihm selbst festgelegten Prinzipien daraus das Ergebnis, auch hier den Antrag des Herrn Bundesjustizministers auf Aufhebung der Immunität abzulehnen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter für seine Ausführungen und stelle sie zur Aussprache. Wird das Wort gewünscht? Bitte, Herr Abgeordneter Dr. Becker!
Meine Damen und Herren! Wir sind den Herren Berichterstattern für die klare Darlegung der Grundsätze sehr dankbar, nach denen der Immunitätsausschuß künftig und ein- für allemal vorzugehen beschlossen hat. Ich habe aus den Ausführungen allerdings nicht entnehmen können, ob die Immunität auch bei Zustimmung des betreffenden Abgeordneten auf Fortführung des Verfahrens aufgehoben werden soll. Ich glaube, man müßte diesen Grundsatz doch mit einfügen; denn wenn ein Abgeordneter selbst, der in Verfahren dieser Art wie Verleumdung, üble Nachrede usw., den Wunsch hat, seinerseits den Wahrheitsbeweis geführt zu sehen, dann sollte man ihm das Recht nicht absprechen.
Nun ist mir von Augen- und Ohrenzeugen — und nicht nur mir, sondern vielen meiner Freunde — berichtet worden, daß der Herr Abgeordnete Loritz während des Wahlkampfes unter Aufstellung der Behauptungen, die zu dieser Anklage geführt haben, hinzugefügt hat, er warte nur darauf, daß ein Verfahren dieser Art gegen ihn eröffnet würde, damit die Möglichkeit für ihn geschaffen würde, die Dinge klarzustellen, und man werde ja, wenn ein Verfahren nicht komme, sehen, was los sei, und schon ohne weiteres seine Schlüsse ziehen können. Wenn diese mir gemachten Mitteilungen Tatsache sind — und ich habe keinen Anlaß, an der Glaubwürdigkeit meiner Gewährsmänner zu zweifeln -, dann würde ich daraus den Schluß zu ziehen haben, daß der Herr Abgeordnete Loritz damit im voraus die Zustimmung zur Aufhebung der Immunität gegeben hat.
Wird das Wort weiter gewünscht? — Herr Abgeordneter Loritz, bitte!
Sehr verehrte Damen und Herren! Nur deswegen möchte ich kurz ein paar Sätze zur Sache sagen, weil der Herr Vorredner erklärt hat, ich wäre mit der Aufhebung der Immunität einverstanden gewesen, ja hätte diese sogar gefordert. Der Sachverhalt ist folgender:
Ich habe erklärt, und ich stehe dazu, daß das Verfahren von mir keineswegs irgendwie gescheut wird. Das Verfahren wurde in Form einer umfangreichen Beweisaufnahme mehrere Tage hindurch durchgeführt. Es sind viele, viele Zeugen vernommen worden. Der Sachverhalt war so, daß selbst Zeitungen, die nicht im Verdacht stehen, zu meinen Gunsten zu schreiben, erklärt haben, dem Loritz sei der Wahrheitsbeweis gelungen. Ich habe mir erlaubt, dem Ausschuß für Immunität Protokolle über weit mehr als ein Dutzend Zeugenaussagen vorzulegen, die eindeutig bewiesen haben, welch unerhörte Zustände im Gefängnis Stadelheim damals während meiner ersten Verhaftung geherrscht haben. Das wurde bewiesen Darüber sind die Stenogramme da; das steht ebenso beim Gerichtsakt. Ich habe erst dann erklärt, daß diese Dinge so nicht weitergehen können, nachdem nach Erbringung des Wahrheitsbeweises versucht worden ist, mich für geisteskrank zu erklären. Vier Wachtmeister haben erklärt, daß damals das Brot in Körben in der Abortzelle hinterlegt wurde und daß das Brot auf den Boden fiel, wo der Kot usw. von den Abort-kübeln war; es haben Zeugen erklärt, daß immer wieder fauler Fisch verwendet wurde, um die Fischsuppe zu kochen. Der Arzt des Gefängnisses hat daraufhin erklärt — auch das ist im Akt enthalten —: ja, das stimmt schon, daß fauler Fisch zur Fischsuppe für die Gefangenen verwendet wurde, aber wenn man faulen Fisch kocht, dann kann es keine Fischvergiftung mehr geben. Ebenso hat der Arzt erklärt: es stimmt, daß schimmliges Brot ausgegeben worden ist, aber er — der 31jährige Gefängnisarzt — habe hoch niemanden gesehen, der an verschimmeltem Brot gestorben wäre. Ich glaube, und viele glauben es mit wir: der Wahrheitsbeweis ist geglückt. Nachdem er ge- glückt ist, wurde versucht, durch ein Gutachten mich für geisteskrank erklären zu lassen. Als ich diesen Dreh sah, habe ich erklärt: ich weiß, was jetzt gespielt wird.
Der Herr Berichterstatter hat dargelegt, daß auf Immunität durch den Abgeordneten selbst nicht verzichtet werden kann. Nach all dem, was ich in diesem Gerichtsverfahren durchmachen mußte, nach der Tatsache, daß ich, obwohl durch weit über 12 Zeugen bekundet worden ist, wie unerhört die Verhältnisse im Gefängnis Stadelheim waren, trotzdem nicht zu meinem Recht gekommen bin, sondern daß auf dem Wege über den § 51 des Strafgesetzbuches versucht worden ist, mich nicht bloß in der Öffentlichkeit lächerlich zu machen, sondern noch dazu aus dem politischen Leben auszuschalten, daraufhin erst habe ich erklärt: ich sehe keine Möglichkeit, vor diesem Münchner Gericht mein Recht zu finden.
Das ist der Grund, meine sehr verehrten Damen und Herren, warum die Fraktion der WAV gebeten hat, den Antrag des Herrn Staatsanwalts des Landgerichtes München auf Aufhebung meiner Immunität, der dann hier durch das Justizministerium gelaufen ist und hier verbreitet wurde, abzulehnen. Ich bitte Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, mich des Schutzes der Immunität nicht berauben zu wollen, noch dazu, nach-
dem in dieser Sache unerhörte Mißstände im Gefängnisverwaltungsbetrieb schon aufgedeckt worden sind.
Wird das Wort weiter gewünscht? —
-- Bitte! Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schmid.
Meine Damen und Herren! Es geht in dieser Sache um mehr als um das Schicksal des Abgeordneten Loritz; es geht um das Verhältnis dieses Parlaments zu sich selbst.
Zu den fundamentalen Rechten: dem Recht, sich
frei zu versammeln, dem Recht, Eingriffe der Exekutive — und stünde sie noch so hoch — in seinen Bestand zurückzuweisen, gehört, was man die
Immunität der Abgeordneten nennt. Das alles sind
mühselig unter Blut und Tänen erkämpfte Prärogativen der Parlamente. Ohne die Unantastbarkeit dieser Prärogativen kann man eine Demokratie nicht führen.
Das wußten schon die Römer, und aus diesem Grunde haben sie den Volkstribun für sakrosankt erklärt: die Liktoren durften an ihn nicht rühren. Die Etappen der Entwicklung auf diesen Wegen markieren den Fortschritt der Demokratie. Ich brauche nur auf die englische Geschichte zu verweisen.
Wenn hier die Frage gestellt worden ist, ob die Immunität ein Privileg des Abgeordneten sei, so ist darauf zu antworten: nein, die Immunität des Abgeordneten ist kein Privileg des Abgeordneten, sondern eine Prärogative des Parlaments!
Darum hat der Abgeordnete kein Verfügungsrecht über sie, sondern das Parlament entscheidet allein, ob es sich gefallen lassen will, daß dieser oder jener Abgeordnete auf Grund eines Gerichtsverfahrens aus seiner Mitte geholt wird.
Und es handelt sich bei der Immunität der Abgeordneten nicht um ein Mittel, fehlsame Abgeordnete zu schonen — sie werden ja dereinst zur Rechenschaft gezogen werden können —, sondern es handelt sich um etwas, was dazu dienen soll, die Versuchungen abzuwehren, in die Regierungen und Bürokratien verfallen könnten, die Staatsräson über den Willen des Volkes zur Selbstbestimmung — und dessen wegen ist ja das Parlament! — triumphieren zu lassen. So ist die Immunität der Abgeordneten der Nomos des Parlaments, und nach dem Worte Heraklits soll das Volk um seinen Nomos kämpfen wie um seine Mauer.
Ich habe im Immunitätsausschuß ein Wort gehört, daß mich sehr nachdenklich gemacht hat. Ein Mitglied dieses Ausschusses hat gesagt, der Staat stehe über dem Parlament,
und deswegen sei es wichtiger, daß eine Beleidigung des Staates gesühnt werde, als daß dem Parlament ein Abgeordneter erhalten bleibe. Mir scheint hier eine Verwirrung der Geister zum Ausdruck zu kommen. Was ist denn ein Abgeordneter? Er ist ein Partikel des Volkes, das hier in diesem Hause zu Wort kommen will und soll und
von dem die Staatsgewalt ausgeht. Und was ist denn der „Staat", um den es sich in diesem Gerichtsverfahren handelt? Es ist doch hier nicht die Majestät des Staates im Spiel — es handelt sich um einige Gefängnisbeamte, denen der Abgeordnete Loritz Dinge vorgeworfen hat, die sie nicht hätten tun sollen. Es ist hier nicht die Frage zu entscheiden, ob dieser Vorwurf berechtigt ist oder nicht — ich will hier nur das Wort „Staat" in das richtige Verhältnis setzen, da behauptet worden ist, die Ehre des Staates stehe hier auf dem Spiele. Gewiß, die Vorwürfe, die der Abgeordnete Loritz erhoben hat, sollten im Interesse des Ansehens der bayerischen Gefängnisverwaltung so rasch als möglich überprüft werden.
Aber dazu braucht man kein Gerichtsverfahren; dazu wäre ein Untersuchungsausschuß des Bayerischen Landtags das beste Mittel.
Man hat bei Gesprächen, die um diesen Fail geführt worden sind, hören können, es sei schade,
daß das Prinzip der Innmunität erstmals an einer
so umstrittenen Persönlichkeit — ich bitte mir das nicht übelzunehmen, Herr Kollege Loritz -, wie der Abgeordnete Loritz eine sei, erprobt werden müsse. Ist das wirklich so schade? Ich meine im Gegenteil, es gut so, daß dieses Prinzip an dem Fall eines Mannes erprobt werden muß, von dem wir wissen, daß ihn sehr viele für eine bedenkliche politische Erscheinung halten. An denen, die uns unbequem sind, müssen wir unsere Prinzipien erhärten, und nicht an unseren Lieblingen!
Wenn wir anders verführen, liefen wir Gefahr, nicht Prärogativen des Parlaments zu verteidigen, sondern Cliquen und ihre Kameraderie.
Ich will nicht von den Gerüchten handeln, die um den Fall Loritz schweben. Mag alles unwahr sein, was gesagt und geraunt wird — es wird behauptet , man mache dem Kollegen Loritz diesen Prozeß, um ihn nach § 51 des Strafgesetzbuches für unzurechnungsfähig erklären zu lassen und ihn so auf kaltem Wege aus dem politischen Leben ausschalten zu können —, wir sollten uns ähnlich verhalten, wie der Richter es tut, den man wegen Befangenheit ablehnt: er gibt in einem solchen Fall auch dann schon dem Ablehnungsbegehren statt, wenn jener, der ihn ablehnt, auch nur subjektiv glauben kann, Gründe zu haben, die den Richter in den Verdacht der Befangenheit bringen könnten.
Wenn es aber wirklich so sein sollte, daß man dem Abgeordneten Loritz auf diese verspätete Borgia-Manier an das politische Leben gehen will — ich meine, der Abgeordnete Loritz wäre als Opfer einer solchen Maßnahme, sei sie nun mit Strafgesetzbuch oder Strafprozeßordnung zu decken oder nicht, politisch viel gefährlicher als ein Abgeordneter Loritz in diesem Saal und selbst auf den öffentlichen Plätzen.
Manche glauben, man müsse um der Demokratie willen vielleicht so verfahren und zu Akrobatenstückchen greifen. Ich habe auf einem Gange dieses Hauses das Wort gehört: hätte man dem Hitler rechtzeitig auf irgendeine Weise das Genick gebrochen, dann wäre uns manches erspart geblieben. Das ist richtig. Aber um Hitler unschädlich zu machen, wäre es nicht nötig gewesen, die Justiz zu einem Instrument in den Händen politi-
cher Widersacher zu degradieren — es hätte vollauf genügt, wenn die bayerischen Gerichte dem Hochverräter Hitler gegenüber das Strafgesetzbuch voll zur Anwendung gebracht hätten, wie sie es den Aufständischen der Räterepublik gegenüber getan haben!
Wir wollen aber mit dem Schwamm darübergehen. Eines aber sollten wir feststellen: Die Zwecke heiligen nicht die Mittel, die Mittel heiligen die Zwecke, auch jene der Demokratie. Wir sollten immer nach diesem Grundsatz handeln.
Noch einmal: es handelt sich heute nicht um Herrn Loritz, es handelt sich um dieses Parlament. Es handelt sich darum, ob dieses Parlament bereit ist, sich wichtig genug zu nehmen. Wenn es das tut, muß es nach den Grundsätzen, die eben von diesem Platze aus entwickelt worden sind, getreu den Empfehlungen des Ausschusses handeln. Die Preisgabe der Immunität, das leichte Umgehen mit der Immunität in einem Falle bedeutet sehr viel mehr, als ein Sich-Vergreifen im Einzelfall. Es bedeutet, daß man das Palladium der Freiheit des Parlaments aufgibt. Und diese Freiheit ist die uneingeschränkte und unantastbare Möglichkeit der Selbstbestimmung. Jenen, die glauben, man könne sie hier auch — und vielleicht sogar besser — ohne den Abgeordneten Loritz in Anspruch nehmen, möchte ich das Wort Rosa Luxemburgs zurufen: Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden!
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Meine Damen und Herren! Es steht mir als Minister nicht zu, zu dem Fall Loritz Stellung zu nehmen. Das ist die Prärogative des Parlaments, sich zu entscheiden, ob im vorliegenden Fall Anlaß besteht, die Immunität aufzuheben oder nicht. Ich bin dem Immunitätsausschuß, dem Kollegen Dr. von Merkatz und auch dem Kollegen Dr. Schmid dankbar, daß bei dem ersten Fall versucht wird, die richtige Linie zu finden. Gewiß, Ausgangspunkt ist: in die Rechte des Parlaments darf nicht eingegriffen werden, der Abgeordnete darf an der Ausübung des Mandats, das er vom Volk hat, nicht gehindert werden. Der andere Gesichtspunkt: der Bundestag ist eine Elite und soll es sein und soll hohe Ansprüche an seine Mitglieder stellen.
Das Parlament soll fragen, ob ein Vorwurf, der erhoben wird, so schwerwiegend ist, daß er geprüft werden muß.
Das ist die andere Seite der Sache. Wenn der Vorwurf ein schweres kriminelles Verhalten enthält — das wird wohl die Linie sein —
— oder ein kriminelles Verhalten —, dann wird die Grenze erreicht sein.
Ich sage, es kommt mir nicht zu, in diesem Fall Stellung zu nehmen, aber ich kann als der Mann, der berufen ist, die deutsche Justiz zu repräsentieren, nicht das hinnehmen, was der Herr Abgeordnete Loritz hier erklärt hat.
Es ist eine Unmöglichkeit, daß ein Mann wie der Kollege Loritz, der doch immerhin Jurist ist, hier erklärt, er habe den Wahrheitsbeweis in dem Verfahren vor der Strafkammer München dafür geführt, daß die von ihm behaupteten Mißstände vorgekommen sind. Ob ein Wahrheitsbeweis geführt wird, entscheidet der Richter auf Grund der gesamten Beweiserhebung.
Ich halte es für ungeheuerlich, daß ein Abgeordneter und ein Jurist hier auftritt und erklärt: weil
man ein schlechtes Gewissen habe, weil das Gericht gesehen habe, daß die von dem Abgeordneten Loritz erhobenen Vorwürfe berechtigt seien,
deswegen habe das Gericht, ein deutsches Gericht,
versucht, ihn als unzurechnungsfähig hinzustellen.
Ich kann als Bundesjustizminister, der aus der bayerischen Justiz kommt und die bayerische Justiz kennt, einen solchen Vorwurf nicht unwidersprochen lassen.
Ich kenne die Akten. Das Gericht hat von sich aus die Pflicht, zu prüfen, wenn Bedenken bestehen, ob die Zurechnungsfähigkeit eines Angeklagten gegeben ist oder nicht. Das ist die Voraussetzung seines Schuldspruches. Das mußte in diesem Falle geschehen, und — ich will nichts behaupten —, daß es immerhin nicht ganz ungewöhnlich war, bedarf keiner Erhärtung. Ich will mich nicht in die Details einlassen. Es ist nicht ein Sachverständiger vernommen worden, es sind drei Sachverständige vernommen worden. Ich bin überzeugt: wenn der Herr Kollege Loritz den Wunsch gehabt hätte, dieses Beweismaterial zu ergänzen, wäre ihm das Gericht entgegengekommen.
Nur soviel als Stellungnahme, weil ich es nicht zulassen kann,
daß man in diesem Hause in einer solchen Form
die Objektivität eines deutschen Gerichts in Zweifel zieht!
Wird das Wort weiter gewünscht?
— Bitte, Sie zuerst, Herr Abgeordneter Renner, dann Herr Abgeordneter Strauß.
Der Herr Minister kann nicht zugeben,
— nicht zulassen und nicht zugeben, daß hier ein Abgeordneter eine Feststellung trifft, die seiner Überzeugung entspricht.
— Das ist aber die Nutzanwendung seiner Erklärung!
Wir haben im Parlamentarischen Rat, als die Klärung der Frage der Rechte des Richterstandes zur Diskussion stand, von demselben Herrn, dem damaligen Abgeordneten des Parlamentarischen Rates Dr. Dehler, ebenso uneingeschränkte Werturteile über den Richterstand gehört,
wie er sie heute... hier abgegeben hat.
— Sehen Sie, er hat die Richter verteidigt. Er hat die Richter verteidigt, die in der Naziperiode zu 80 Prozent der NSDAP angehört haben.
Er hat die Richter verteidigt, die heute noch bei uns Recht sprechen und die heute noch — nach Erklärungen amtierender Innenminister und Justizminister der Länder — zu 80 Prozent auch ehemals der NSDAP angehört haben
oder ihren hauptsächlichen Nebenorganisationen.
Der Herr Bundesjustizminister hat sich hier etwas erlaubt, was der Ausschuß für sich ausdrücklich als unstatthaft hingestellt hat: er ist in eine Beweiswürdigung eingetreten.
— Er hat auch dem Ausschuß als Vertreter des Bundesjustizministeriums den Herrn Oberstaatsanwalt von München geschickt,
also einen Mann, der nach der subjektiven Auffassung des Abgeordneten Loritz
der Beklagte ist. Den hat er als den richtigen Vertreter der Interessen des Bundesjustizministeriums erachtet und uns hergeschickt. So liegen doch die Dinge.
— Das nenne ich nicht logisch,
— das nenne ich nicht logisch, sondern das ist die Fortsetzung des Versuches, gegen einen Abgeordneten aus politischen Gründen ein Verfahren auf alle Fälle durchzuzwingen!
Was ist los? Ich gehe auf den Fall Loritz nicht ein. Mir ist der Herr Loritz an sich als Fall genau so uninteressant wie dem Herrn Abgeordneten Carlo Schmid, vielleicht sogar noch etwas uninteressanter.
Aber hier steht die Frage zur Diskussion: Was ist Immunität?, und ich habe mich hier nur zum Wort gemeldet, um eine Sache richtigzustellen, die — auf Grund des Berichtes — falsch ausgelegt werden könnte. An den Ausschußberatungen war auch unsere Fraktion beteiligt, aber wir sind im Ausschuß nicht abstimmungsberechtigt, und insofern muß die Feststellung des Ausschußberichterstatters korrigiert werden. Der Ausschuß, soweit seine Mitglieder abstimmungsberechtigt waren, hat seine Interpretation des Begriffes Immunität . gebilligt. Wir sind darüber hinaus der Auffassung, daß die Immunität eines Abgeordneten unter allen Umständen hochzuhalten ist.
Wir sind dieser Auffassung, weil wir die hier gegebene Interpretation für falsch halten und weil wir wissen, daß so etwas praktiziert worden ist und in der Zukunft noch praktiziert werden kann, um einer Gerichts-, einer Justizbehörde in ihrer heutigen Zusammensetzung das Recht zu geben, überhaupt gegen einen Abgeordneten vorzugehen,
Meine Herren von der Sozialdemokratie, an Sie appelliere ich jetzt einmal: Haben wir es in der Periode des Hitlertums nicht erlebt, daß zum Beispiel das Verfahren um Auslieferung eines Abgeordneten aus irgendeinem Asyllande — es ging also um die Absicht einer politischen Verfolgung — in der Regel dadurch getarnt wurde, daß man dem betreffenden politischen Flüchtling von deutscher Seite kriminelle Dinge unterschoben hat,
daß man unter dem Vorwand, es handle sich hier um einen kriminellen Verbrecher, die Auslieferung angestrebt hat?
Das weiß jeder, der diese Periode einmal durchgestanden hat.
— Sehen Sie, es geschieht auch heute noch, denn dieselben Richter von damals sind heute noch im Amt und hier bei uns im Saal.
Wie gesagt, wir möchten diesen Richtern nicht das Recht geben, unter dem Vorwand, es handle sich um kriminelle Dinge, politische Verfahren gegen unbeliebte Abgeordnete durchzuführen. Denn wir haben hier die Parallele festzustellen, daß dieselbe Auffassung in puncto Unbeliebtheit bei den Parteien herrscht, die die Regierungskoalition bilden, und beim Justizapparat. Deshalb möchten wir die Immunität nicht so eng interpretiert wissen, wie das in dem Bericht zum Ausdruck gebracht ist. Weil wir — um es zusammenzufassen — kein Vertrauen zu dem heute in Westdeutschland amtierenden Justizapparat haben, darum halten wir es für dringend erforderlich, die Immunität unter allen Umständen zu vertreten und zu verteidigen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Strauß.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren! Was die Ausführungen des letzten Redners anbetrifft, so hoffe ich nur, daß die Praxis, die er hier mit so gewandten Worten vertreten hat, dort, wo seine Gesinnungsfreunde an der Macht sind, ausgeübt wird.
Zu dem bisherigen Verlauf der Debatte habe ich einige Feststellungen zu treffen. Mich haben die staatsrechtlichen und politischen Ausführungen des Kollegen Carlo Schmid tief beeindruckt. Ich habe an ihnen nur eines bedauert: daß der nomos, den er hier dem Bundestag als erstrebenswertes Grundgesetz vorschreibt, damals nicht der Landtagsfraktion der SPD in Bayern vorgeschwebt hat, als sie in dem gleichen Strafverfahren die Immunität von Loritz aufgehoben hat.
— Es wäre gut, Herr Kollege Carlo Schmid, wenn Sie dann bei solchen Anlässen Ihre Kollegen aus Bayern, die damals besonders energisch die Aufhebung der Immunität gerade in diesem Fall vertreten haben, rechtzeitig belehren würden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist an sich ein ungewöhnlicher Vorgang, daß ein Abgeordneter in eigener Sache spricht,
wie es in diesem Falle der Kollege Loritz getan hat. Wenn ich aber noch einen Zweifel über die Behandlung dieser Angelegenheit gehabt hätte, so wäre dieser Zweifel gerade durch die Ausführungen des Kollegen Loritz behoben worden.
Denn er hat doch die Vorwürfe, die er gegen die bayerische Justizverwaltung und auch gegen das bayerische Justizministerium in der Öffentlichkeit erhoben hat, praktisch hier wiederholt. Er hat genau das getan, was nach dem Urteil des Ausschusses und auch nach den Ausführungen des Berichterstatters im Parlament vermieden werden soll: er ist hier in die Beweiswürdigung eingetreten, indem er angegeben hat, die Aussagen und die Protokolle, die der Verhandlung in München und hier im Ausschuß zugrunde gelegen haben, ergäben die Wahrheit. Damit glaube ich, können wir uns auf keinen anderen Standpunkt stellen als auf den, den der bayerische Landtag einstimmig, das heißt gegen fünf Stimmen der WAV, wenn ich mich recht erinnere, seinerzeit eingenommen hat, nämlich die Durchführung des Gerichtsverfahrens nunmehr zu ermöglichen.
Es kann hier doch nicht von einem Abgeordneten behauptet werden, der Wahrheitsbeweis sei von ihm bereits vor Gericht erbracht worden, ohne daß das Verfahren abgeschlossen worden ist, und gleichzeitig von ihm darum nachgesucht werden, das Verfahren nicht abzuschließen, damit es nicht zu einem endgültigen Urteil kommt.
Hier widersprechen sich doch die Ausführungen in ein und demselben Zusammenhang in einer Weise, daß wir gerade jetzt auf einer Klärung bestehen müssen.
Diese Klärung kann auch nicht allein dadurch erfolgen, Herr Kollege Schmid, daß ein Untersuchungsausschuß des Bayerischen Landtags, dem ja wahrscheinlich der Kollege Loritz auch Befangenheit vorwerfen wird, nachdem der Landtag die Immunität in diesem Falle fast einstimmig aufgehoben hat, die Dinge in die Hand nimmt. Da wird auch ein Untersuchungsausschuß des Bayerischen Landtags, nachdem Ihre eigenen Parteikollegen im Bayerischen Landtag bei der Abstimmung mit den übrigen Parteien ein und derselben Meinung waren, nichts nutzen. Da gibt es nur eine gerichtliche Klärung, die in diesem Falle sowohl im Interesse des Abgeordneten Loritz wie auch zur Wahrung der Ehre und der Interessen der bayerischen Staatsregierung und der bayerischen Gefängnisverwaltung herbeigeführt werden muß. Es darf nicht sein, daß so schwerwiegende Vorwürfe wie zum Beispiel der Vorwurf des Mordversuchs gegen eine Staatsregierung und gegen eine Gefängnisverwaltung erhoben werden und daß hier zum Teil durch formale Bedenken, zum Teil durch grundsätzliche Erwägungen der Sachverhalt nicht von Grund auf geklärt werden kann.
Diese meine Ausführungen bezwecken nicht etwa, den Kollegen Loritz in seinem berechtigten Interesse zu schädigen, sondern wir, die wir hier Vertreter der bayerischen Regierungspartei sind, legen im Interesse der Öffentlichkeit größten Wert darauf, daß, wenn diese Zustände in den bayerischen
Gefängnissen geherrscht haben oder herrschen, die Öffentlichkeit auch hierüber unterrichtet wird, auch wenn diese Klärung zuungunsten der bayerischen Gefängnisverwaltung ausgehen sollte.
Abschließend darf ich noch eines erwähnen. Wenn der Kollege Loritz hier zum Ausdruck gebracht hat, daß es — und das war wohl der Sinn seiner Worte — überhaupt nicht mehr möglich sei, vor einem bayerischen Gericht in unbefangener Weise verhandelt zu werden, und noch hinzugefügt hat, daß es, weil der § 51 in Frage steht, wahrscheinlich in Bayern auch keinen Arzt mehr gebe, der ihm gegenüber unbefangen urteilen könne, so muß ich gegen diese Ausführungen selbstverständlich Verwahrung einlegen und um so mehr darauf dringen, daß darüber Klarheit geschaffen wird. Es ist doch wahrlich nicht möglich, daß man in allen Rechtszügen, die in einem Verfahren überhaupt in Frage kommen, nicht zu einer objektiven Klärung des wirklichen Sachverhalts, die im öffentlichen Interesse liegt, gelangen soll. Aus diesem Grunde glaube ich, Herr Kollege Loritz, daß Sie genau so Wert darauf legen müssen, daß in diesem Falle durch die Durchführung eines Gerichtsverfahrens Klarheit geschaffen wird.
— Wenn Sie, Herr Dr. Baumgartner, das Interesse des Herrn Loritz hier vertreten — —
— Wenn Sie von dem Aufbau eines demokratischen Staatswesens eine Ahnung haben, werden Sie wissen, daß der Justizminister auf den Ablauf einer Gerichtsverhandlung nicht den mindesten Einfluß hat.
Sollte sich das in Bayern einmal ändern, wären es traurige Zeiten.
Um aber auf die Äußerungen des Vorredners, des Herrn Kollegen Dr. Becker, einzugehen, darf ich sagen, daß das, was der Kollege Loritz hier vorgebracht hat, nicht ganz der Richtigkeit entspricht. Ich habe selbst das Vergnügen gehabt, eine seiner Versammlungsreden zu hören, und dort unmißverständlich nicht von ihm gehört, daß er etwa die Durchführung des Verfahrens nicht scheut, sondern von ihm gehört, daß er dessen Durchführung wünscht und daß die Nichtdurchführung des Verfahrens geradezu ein Beweis dafür ist, daß seine Vorwürfe stimmen, so daß er die Durchführung der Verhandlung sehnlichst herbeiwünscht. Hier liegt ebenfalls ein starker logischer Widerspruch; denn wenn das Gericht in München nicht interessiert wäre, die Wahrheit zu erforschen, dann hätte es sich wahrlich gehütet, hier den Antrag auf Aufhebung der Immunität zu stellen, weil es ihm im Interesse der Gefängnisverwaltung und der Vertuschung der dortigen Zustände lieber gewesen wäre, es in diesem Falle bei der Immunität sein Bewenden haben zu lassen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Arndt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Dr. von Merkatz hat glasklar die Grundsätze ausgeführt, auf die sich der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität einstimmig geeinigt hat. Zu diesen ganz klaren Grundsätzen gehörte zweierlei: daß wir die Immunität niemals aufheben lassen wollen, wenn ein Verfahren irgendwie politisch affiziert ist,
und daß wir auch bei einem kriminellen Delikt die Immunität dann nicht aufheben lassen wollen, wenn die Untersuchung der kriminellen Tat gegenüber dem außerordentlich hohen Rechtsgut der Immunität des Hauses geringfügig ist oder wenn sie auch mit andern Mitteln erreicht werden kann. Ich habe in der bedauerlichen Debatte, die sich seit den Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Becker hier entwickelt hat, von keiner Seite irgend etwas gehört, was gegen diese Grundsätze oder gegen ihre zwingende Anwendung auf diesen Fall spricht. Wenn Sie sich also diesen Grundsätzen deb Heim n Berichterstatters anschließen, so ist das Ergebnis klar.
Die ganze Debatte ist dadurch abgerutscht, daß der Herr Kollege Becker — er mag mir das bei unserm sonst so guten persönlichen Verhältnis nicht übelnehmen — die Frage durch seine Anregung, wie sich denn der Herr Kollege Loritz selbst zur Frage seiner Immunität stellt, auf eine schiefe Bahn gebracht hat. Wir haben im Ausschuß, als Sie leider nicht anwesend waren, auch diese Frage erörtert. Der Herr Kollege Ritzel hat als Vorsitzender des Ausschusses von sich aus angeregt, er wolle mit dem Herrn Kollegen Loritz in Verbindung treten, um ihn zu fragen, ob er etwa selber Gewicht darauf lege, die Immunität zu verlieren. Gegenüber dieser Anregung des Herrn Ausschußvorsitzenden hat sich der Ausschuß nach längerer Erörterung einstimmig zu dem Standpunkt bekannt, daß diese Fühlungnahme nicht stattfinden solle, weil nämlich der Abgeordnete selbst über die Immunität gar nicht verfügungsbefugt ist. Es ist gar nicht seine Immunität; es ist, wie der Herr Kollege Schmid so richtig ausgeführt hat, ja die Prärogative des Hauses, so daß es uns völlig gleichgültig ist, was 'der Herr Kollege Loritz darüber denkt. So gleichgültig wie seine Person ist uns auch seine Meinung über seine Immunität. Im Gegenteil, wir haben uns aus grundsätzlichen Erwägungen einstimmig zu der Auffassung bekannt: wenn in diesem ersten Falle, in dem die Frage zur Debatte steht, bereits der Abgeordnete gefragt wird, so wird in Zukunft jeder Abgeordnete gefragt werden, und jeder Abgeordnete wird dann unter dem moralischen Druck stehen, erklären zu müssen: jawohl, ich verzichte selbstverständlich auf meine Immunität und bitte das Haus, die Immunität aufzuheben.
Das sind unsere Erwägungen gewesen, und die ganze Debatte ist dadurch auf ein schiefes Gleis gekommen, daß der Herr Kollege Becker hier eine Frage zur Sprache gebracht hat, die vollkommen unerheblich ist und die dann das bedauerliche Zwischenspiel zur Folge hatte, daß der Herr Kollege Loritz in eigener Sache sprach. Es scheint sonst aus seiner Fraktion niemand in der Lage zu sein, über ihn oder für ihn zu sprechen.
Das hat weiter zur bedauerlichen Folge gehabt, daß sich der Herr Kollege Renner hier zu einem Hüter der Freiheit aufwarf, und ich weiß wirklich nicht, was ihn angesichts der Zustände im Osten dazu legitimiert.
Es hat ferner zu einem weiteren Zwischenspiel geführt — das ist das Bedauerlichste —: zu den Ausführungen, die der Herr Bundesminister der Justiz hier gemacht hat. Meine Damen und Herren, ich bin nicht ganz klar darüber, in welcher Eigenschaft Herr Dr. Dehler hier gesprochen hat,
ob als der Bundesminister der Justiz
oder als der Abgeordnete dieses Hauses.
Er hat den Herrn Kollegen Loritz als Kollegen bezeichnet. Damit ist doch wohl sicherlich nicht darauf angespielt worden, daß der Herr Kollege Loritz auch einmal Minister war.
Ich bitte also, es in Zukunft grundsätzlich auseinanderzuhalten, ob von diesem Platze aus das Wort als Mitglied der Bundesregierung oder als Mitglied dieses Hohen Hauses ergriffen wird; denn je nachdem, in welcher Eigenschaft der Redner spricht,
hat er andere Rechte. Als Mitglied dieses Hohen Hauses hätte der Herr Bundesminister Dr. Dehler dem Herrn Kollegen Loritz manches vorhalten mögen; als Mitglied der Bundesregierung hat Herr Dr. Dehler nicht das Recht, einem Mitglied dieses Hohen Hauses in dieser Form und mit diesem Inhalt Vorhaltungen zu machen.
Der Herr Bundesminister der Justiz scheint weiterhin verkannt zu haben, daß hier nicht zur Debatte steht, ob die bayerische Justiz zu verteidigen ist oder nicht. Das mag man in Bayern abmachen.
Das, was hier zur Diskussion steht, ist ausschließlich die Immunität und ausschließlich die Prärogative dieses Hohen Hauses, so daß alles, was der Herr Bundesjustizminister sehr emotional dazu ausgeführt hat, überhaupt in keiner Beziehung zum' Thema stand, sondern, wenn es etwas beweist, ausschließlich beweist, wie stark hier politische Momente in dieses Verfahren gegen den Herrn Kollegen Loritz hineinspielen.
Ich bin dafür dankbar, daß der Herr Abgeordnete Arndt anscheinend ein Vademekum für Minister aufstellen will. Ich bin mit dem Abgeordneten Loritz seit Jahren — in der Verfassunggebenden Landesversammlung, im Bayerischen Landtag — an einem Tisch gesessen. Herr Loritz kennt mich, und ich kenne ihn. Wenn mir der Herr Kollege Arndt unterstellt, ich hätte in meiner Eigenschaft als Bundesminister der Justiz mich in einer politischen Tendenz geäußert, so weise ich das zurück.
- Sie haben Schluß der Debatte beantragt. Dann muß ich zunächst gemäß der Geschäftsordnung über diesen Antrag abstimmen lassen. Wird das Wort zu dem Antrag auf Schluß der Aussprache gewünscht? — Ich stelle fest: das ist nicht der Fall. Dann lasse ich über den Antrag auf Schluß der Aussprache abstimmen. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Ich danke; das ist zweifellos die Mehrheit. Die Gegenprobe erübrigt sich. Damit ist die Aussprache geschlossen.
Ehe ich zur Abstimmung komme, bitte ich diejenigen Herren, die oben am Saaleingang stehen und keine Eintrittskarten haben, sofort freundlicherweise das Haus zu verlassen, damit ich nicht gezwungen bin, andere Maßnahmen zu ergreifen.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Antrag Drucksache Nr. 133. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit. Ich bitte um die Gegenprobe. — Das war die Minderheit; der Antrag auf Drucksache Nr. 133 ist damit angenommen.
Wir kommen nunmehr zu Punkt 3 der Tagesordnung:
Bericht des Ausschusses zur Prüfung des vorläufigen Sitzes der leitenden Bundesorgane.
Ich erteile dem Abgeordneten Neuburger als Berichterstatter das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundestag hat am 30. September 1949 folgenden Beschluß gefaßt:
Die Anträge Nr. 4, 19 und 9 werden einem sofort zu bildenden, mit 27 Abgeordneten zu besetzenden Ausschuß überwiesen, der innerhalb drei Wochen die Eignung der Städte Bonn und Frankfurt als vorläufigen Sitz der leitenden Bundesorgane zu prüfen und darüber dem Hohen Hause zu berichten hat.
Dieser Bericht liegt Ihnen vor. Er ist von dem Ausschuß bei drei Stimmenthaltungen gebilligt worden. Er enthält alle Einzelheiten sowohl über den Umfang wie über den Gegenstand wie über die Ergebnisse der Arbeiten, die der Ausschuß in 14 Sitzungen während der letzten drei Wochen geleistet hat. Da dieser Bericht Ihnen allen vor vier, fünf Tagen zugegangen ist, verzichte ich darauf, ihn durch Vorlesen Ihnen nochmals zur Kenntnis zu bringen. Ich mache ihn aber vollinhaltlich zum Gegenstand dieser meiner Ausführungen.
Der Ausschuß ist heute vormittag nochmals zusammengetreten. Hierüber habe ich noch zusätzlich wie folgt zu berichten. Wie in dem Bericht des Ausschusses für die Frage des vorläufigen Sitzes der leitenden Bundesorgane auf Seite 15 und 16 bereits zum Ausdruck gebracht ist, hat der Ausschuß sehr bedauert, daß er bis zum Abschluß seiner Arbeiten am 28. Oktober 1949 nur unterschiedliche Informationen über die Stärke des etwa in Frankfurt am Main unterzubringenden Personalbestandes der Hohen Kommission erhalten konnte. Inzwischen, nämlich gestern abend um 19 Uhr 30, ist beim Herrn Bundeskanzler ein Brief der Hohen Kommission abgegeben worden, der die erforderlichen Zahlenangaben enthält. Dieser Brief ist Ihnen in der Zwischenzeit ebenfalls im Wortlaut vorgelegt worden. Ich kann demgemäß auf seinen Inhalt sowie auf die darin gemachten Zahlenangaben verweisen, die nunmehr an die Stelle der zwei Alternativmöglichkeiten, die wir auf Seite 15 und 16 angezeigt haben, treten bzw. diese Alternativmöglichkeiten ergänzen.
Des weiteren hat auch die Bundesregierung sowohl dem Ausschuß wie allen Mitgliedern dieses Hohen Hauses eine von heute datierte eigene Stellungnahme unterbreitet, wobei diese Stellungnahme bereits den Inhalt des vorerwähnten Briefes der Hohen Kommission berücksichtigt. Der Ausschuß konnte mit Rücksicht auf die Kürze der ihm bis zur Behandlung im Plenum noch zur Verfügung stehenden Zeit in eine Aussprache hierüber nicht mehr eintreten. Aus den gleichen Gründen kann der Ausschuß zu den von der Regierung gegebenen zahlenmäßigen Abweichungen von seinem eigenen
Bericht nicht mehr Stellung nehmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter für seine Ausführungen. Wird das Wort gewünscht?
— Zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Renner!
— Ich spreche zur Geschäftsordnung. Ich begründe,
warum man dem Antrag wenigstens Inhalt und
Gesicht geben sollte. Nachdem der Ausschuß und
Sie nicht gewillt sind, die Frage klarzustellen, sind
wir der Auffassung, daß die Frage so gestellt werden muß, wie sie eigentlich für Sie nur stehen
sollte, nämlich so: Der Sitz auch des Bundes gehört
nach Berlin. Ich bitte, darüber abstimmen zu lassen.
Sie haben den Antrag des Herrn Abgeordneten Renner zur Geschäftsordnung gehört. Der Antrag geht dahin, den Punkt 4 der Tagesordnung, Antrag der Fraktion der KPD betreffend Sitz der leitenden Bundesorgane , mit dem gegenwärtig behandelten Punkt 3 der Tagesordnung zu verbinden. Wird zu diesem Geschäftsordnungsantrag des Herrn Abgeordneten Renner das Wort gewünscht? — Ich stelle fest: das ist nicht der Fall. Dann lasse ich darüber abstimmen. Wer für den Antrag des Herrn Abgeordneten Renner ist, den Punkt 4 der Tagesordnung mit dem Punkt 3 der Tagesordnung zu verbinden, den bitte ich, die Hand zu erheben. —
9 Ich bitte um die Gegenprobe. — Der Antrag ist mit eindeutiger Mehrheit abgelehnt.
Weiter wird das Wort nicht gewünscht. Dann schließe ich die Aussprache über den Bericht des Herrn Berichterstatters des Bundeshauptstadtausschusses.
Zur Geschäftsordnung hat das Wort Herr Abgeordneter Blank.
Namens meiner Fraktion beantrage ich, über den zur Debatte stehenden Antrag geheim abzustimmen.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Euler.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich beantrage die namentliche Abstimmung über den zur Debatte stehenden Antrag, da ich der Auffassung bin, daß bei einer Entscheidung von solcher Tragweite der Abgeordnete mit seiner Gewissensentscheidung frei in die Öffentlichkeit treten soll.
Es liegen jetzt zwei Anträge zur Geschäftsordnung bezüglich der Form der Abstimmung vor. Ich stelle diese beiden Anträge zur Aussprache. Der eine geht dahin, geheim abzustimmen, der zweite dahin, namentlich abzustimmen. Wird zu diesen beiden Anträgen zur Geschäftsordnung das Wort gewünscht? — Bitte, Herr Abgeordneter Dr. Etzel.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren ! Ich stehe auf dem Standpunkt, daß über den weitergehenden Antrag zuerst abgestimmt werden muß. Als weitergehenden Antrag bezeichne ich den Antrag auf namentliche Abstimmung. Ich begründe das wie folgt. Geheime Abstimmung war schon nach dem § 103 der vorläufigen Geschäftsordnung vorgesehen, das heißt zugelassen. Denn der § 103 sprach ausdrücklich davon, daß in der Regel durch Aufstehen oder Sitzenbleiben und dergleichen abgestimmt werden soll. Es blieb unausgesprochen auch die Möglichkeit offen, geheim abzustimmen. Demgegenüber behandelt die Geschäftsordnung die namentliche Abstimmung systematisch als einen aus dem Normenrahmen herausfallenden Sonderfall, der im § 105 geregelt ist.
Sachlich darf ich dazu nur kurz folgendes sagen. Hier im Abendlande leben wir im Zeichen der Renaissance des Persönlichkeitsgedankens.
Dieser Persönlichkeitsgedanke soll seine Verwirklichung auf allen Gebieten des privaten und öffentlichen Lebens finden. Er soll also auch auf dem ausgesprochen klassischen Forum der Demokratie, im Parlament realisiert werden. Wenn wir heute davon sprechen, daß die Anonymität der Listenwahl durch die Persönlichkeitswahl ersetzt werden soll, wenn wir fordern,
daß der Fraktionszwang möglichst beseitigt werden soll,
wenn wir weiter verlangen, daß der Parlamentarier, der Politiker zu einer wirklich forensischen Persönlichkeit werden soll, dann dürfen wir ihn nicht im gleichen Augenblick in den Schattenkegel einer neuen Anonymität hinabtauchen lassen.
Wir sind der Meinung, daß es notwendig ist, den Persönlichkeitsgedanken gerade und in erster Linie im politischen Bereich zu verwirklichen. Das Volk hat ein Recht und die Wählerschaft einen Anspruch zu wissen, wie sich der von ihnen gewählte Abgeordnete in einer fundamentalen Frage oder Angelegenheit entschieden hat. Wir sind mißtrauisch, daß in dem Augenblick, wo es hier am eine hochpolitische Frage geht
— wir haben aus dem Munde einer prominenten Persönlichkeit gehört, diese Frage Bonn oder Frankfurt sei von ihr von Anfang an als ein Politikum angesehen worden —, daß in einem solchen Augenblick die geheime Abstimmung — —
Darf ich bitten, sich streng an den geschäftsordnungsmäßigen Antrag zu halten und sich für oder gegen die in der Geschäftsordnung gestellten Anträge auszusprechen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich darf also sagen, meine Damen und Herren, daß wir der Meinung sind, daß in diesem Hause eine Ordnung verwirklicht werden soll, die dem Persönlichkeitsgedanken vor allem Rechnung trägt: volle Publizität des forensischen Geschehens innerhalb des Parlaments.
Wird das Wort weiter zur Stellungnahme zu diesen beiden gestellten Anträgen über das Abstimmungsverfahren gewünscht? — Ich stelle fest: das ist nicht der Fall. Es liegen zwei Anträge vor, der eine: „geheime Abstimmung", der andere: „namentliche Abstimmung". Ich entscheide, daß der Antrag auf geheime Abstimmung der weitergehende ist, und bitte diejenigen Mitglieder des Hauses, die für geheime Abstimmung sind, die Hand erheben zu wollen. Ich bitte, die Hand hoch zu halten. Wir wollen der Ordnung halber einmal auszählen. Bitte, die Herren Schriftführer, teilen Sie sich darein! —
- Ich bitte das Plenum und die Personen, die dahinten sitzen, gefälligst sitzenbleiben zu wollen. Bitte, stören Sie nicht den Ablauf der parlamentarischen Vorgänge !
Ich bitte um die Gegenprobe und bitte die Herren Schriftführer, nochmals auszuzählen!
Herr Abgeordneter Horlacher, ich habe Ihnen das Wort nicht erteilt. Sie können das Wort nach Abschluß der Zählung haben.
Da sich die Herren Schriftführer nicht über das Ergebnis der Gegenprobe einig geworden sind, darf ich die Damen und Herren, die gegen den Antrag sind, bitten, nochmals die Hand erheben zu wollen. -
Darf ich das Ergebnis bekanntgeben: Für den Antrag auf geheime Abstimmung nach dem Ergebnis der Auszählung der Herren Schriftführer 197, dagegen 185.
Meine Damen und Herren, damit kommen wir zur Abstimmung, und zwar zur Abstimmung; über die Drucksache Nr. 4: Antrag der SPD betreffend vorläufigen Sitz der Bundesorgane in Frankfurt, Drucksache Nr. 19: Antrag Dr. Hilpert, Euler und
Genossen, betreffend vorläufigen Sitz der Bundesorgane in Frankfurt am Main. Wer für diesem Antrag ist, den bitte ich, auf den Stimmzettel, der im Umschlag abzugeben ist, „Ja", wer dagegen ist, „Nein" zu schreiben. Bei Enthaltung - -
— Verzeihung! Es liegen zwei Anträge vor, über die abzustimmen ist, die Drucksache Nr. 4 und die Drucksache Nr. 19. Wer dafür ist oder wer dagegen ist, schreibt im einen Fall „Ja", im andern Fall „Nein". Ich glaube, das ist sehr einfach.
— Meine Damen und Herren, wir sind doch eben in der Abstimmung.
Im Hinblick auf die Bedeutung der Angelegenheit eröffne ich noch einmal die Aussprache zur Geschäftsordnung. Wer wünscht das Wort zur Geschäftsordnung? — Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. von Brentano.
Ja, zur Abstimmung! — Es scheint mir weiß Gott nicht schwer zu sein. Es liegen zur Abstimmung zwei Anträge vor.
— Die Anträge liegen schon seit langer Zeit vor. Diese Anträge beschäftigen sich damit, den Sitz der Bundesregierung von Bonn nach Frankfurt zu legen. Wer diesen Anträgen zustimmt, ist für den Bundessitz Frankfurt. Wer diese Anträge mit Nein ablehnt, ist für die Beibehaltung des Bundessitzes in Bonn. Ich glaube, daß wir über diese Abstimmung auch einig werden.
Ich danke Herrn Abgeordneten Dr. von Brentano für diese ausgezeichnete Interpretation.
Meine Damen und Herren, die Abstimmung beginnt. Darf ich noch auf folgendes aufmerksam machen: Zur Vereinfachung des Abstimmungsverfahrens werden fünf der Herren Schriftführer je mit einer Urne bewaffnet in die Reihen gehen, um die Zettel einzusammeln.
— Das ist doch das Einfachste!
— Warum „Nein"? Das ist doch das einfachste Verfahren!
Das Wort zur Abstimmung hat der Herr Abgeordnete Dr. Horlacher.
Eine namentliche Abstimmung geht in der Weise vor sich . — ich muß das vorausschicken —, daß auf der Karte der Name des Abgeordneten steht.
— Lassen Sie mich doch ausreden! Dann werden die Karten eingesammelt. Mit einer geheimen Abstimmung ist es etwas ganz anderes. Da muß der Namensaufruf erfolgen, und es müssen die geheimen Karten abgegeben werden.
Auf diesen Karten steht der Name nicht droben.
— Hätten Sie mich zuerst ausreden lassen, dann wäre alles in Ordnung gewesen!
Darf ich fragen, ob das Hohe Haus diesen Ausführungen des Abgeordneten Dr. Horlacher zustimmt? — Ich stelle das fest. Wir werden die Namen aufrufen. Wir werden die Urnen verteilen, damit die Zettel an möglichst vielen Stellen eingesammelt werden können. Darf ich die Schriftführer, die dazu vorgesehen sind, bitten, sich der Urnen zu bemächtigen.
— Ich bitte um Ruhe! — Ich rufe die Herren Schriftführer auf, die so liebenswürdig sind, die Urnen zu übernehmen: Pannenbecker, Matthes, von Aretin, Gundelach, Dr. Miessner.
Die Abstimmung beginnt.
— Meine Damen und Herren, ich appelliere an Sie, während der Abstimmung doch laute Unterhaltungen zu unterlassen, weil es sonst den Schriftführern nicht möglich ist, sich mit ihrer Stimme durchzusetzen. — Bitte, fahren Sie fort!
Meine Damen und Herren! Der Aufruf ist beendet. Ich frage der Ordnung halber, ob eines der Mitglieder des Hauses nicht aufgerufen worden ist.
— Ich höre keine Meldung. Ich stelle demnach fest, daß alle anwesenden Mitglieder des Hauses aufgerufen worden sind, und erkläre hiermit die Abstimmung für beendet. Ich bitte nunmehr die Herren Schriftführer um Auszählung.
Meine Damen und Herren! Ich habe das Ergebnis der Abstimmung über die Anträge Drucksachen Nr. 4 und Nr. 19 bekanntzugeben. Für die Anträge 176 Stimmen, gegen die Anträge 200, enthalten 3, ungültig 11, Stimmabgabe insgesamt 390.
Meine Damen und Herren! Wir kommen damit zu Punkt 4 der Tagesordnung:
Antrag der Fraktion der KPD betreffend Sitz der leitenden Bundesorgane .
Zur Begründung hat das Wort der Herr Abgeordnete Gundelach.
Meine Damen und Herren! Der zur Beratung stehende Antrag meiner Fraktion ist gestellt worden, um jede Möglichkeit auszunutzen, die einen Weg eröffnet, die Spaltung Deutschlands zu überwinden. In Verbindung mit der Stellungnahme zu der Bildung der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik haben wir Kommunisten in unserer Erklärung insbesondere darauf hingewiesen, daß der Präsident der Deutschen Demokratischen Republik, Wilhelm Pieck, davon gesprochen hat, daß es darauf ankomme, nicht gegeneinander, sondern miteinander für die Wiedererlangung der vollen Souveränität unseres Volkes zu arbeiten. Niemand bestreitet, daß die dringende wirtschaftliche Notwendigkeit besteht, baldigst die Einheit Deutschlands wiederherzustellen. Wir Kommunisten sind der Meinung, ein näheres Beieinander der zur Zeit bestehenden zwei Regierungen würde die Verhandlungsmöglichkeiten über gesamtdeutsche Fragen wesentlich erleichtern.
Aber auch ein Weiteres ist von Bedeutung. Wenn der Sitz der Verwaltungsorgane des Bundes in Berlin wäre, würde damit auch die wirtschaftliche Situation in Berlin wesentlich erleichtert werden. Damit würde eindeutig der Beweis erbracht, daß Berlin die Hauptstadt Deutschlands ist, und die zwischen West und Ost bestehenden Spannungen würden gemildert, was unserer Meinung nach dem Interesse des gesamten deutschen Volkes entspricht. Wenn die Bundesregierung in Berlin ihren Sitz hätte, wäre es bestimmt leichter, eine Verständigung darüber herbeizuführen, wie in ganz Deutschland der Kampf dafür geführt werden kann, wahrhaft demokratische Entscheidungen der Bevölkerung ungehindert von reaktionären Kräften und imperialistischen Besatzungsmächten zu ermöglichen. Aber unter der Losung „freie Wahlen in der sowjetischen Besatzungszone" werden heute alle Bestrebungen getarnt, um die Bodenreform, die Enteignung der Betriebe, die Schulreform und die demokratische Verwaltungsreform in der sowjetisch besetzten Zone rückgängig zu machen.
In der Deutschen Demokratischen Republik ist das demokratische Recht auf freie und ungehinderte Wahlen garantiert und in der Praxis auch gewährleistet.
Es ist bekannt, daß die Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik für Oktober 1950 allgemeine, gleiche und freie Wahlen festgesetzt hat.
Es ist unserer Meinung nach selbstverständlich, daß in einem geeinten demokratischen Deutschland Regierung und Volksvertretung aus demokratischen Wahlen hervorzugehen haben.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir noch einige kurze Ausführungen zu dem von der SPD gegenüber unserem Antrag gestellten Abänderungsantrag. Unser Antrag bezweckt, in der heutigen Situation einen gemeinsamen Weg aller Deutschen zur Überwindung der Spaltung Deutschlands zu finden. Der Antrag der SPD rennt offene Türen ein.
Der Abänderungsantrag dient den reaktionären Kräften. Der Sinn dieses Antrags besteht darin, die sofortige Verlegung der Verwaltungsorgane des Bundes nach Berlin zu verhindern. Deshalb, meine Damen und Herren, stimmt die Fraktion der KPD gegen den Zusatzantrag der SPD.
Die Aussprache ist eröffnet. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Neumann.
Der Herr Kollege Renner hat vorhin zu Beginn seiner Ausführungen erklärt, daß die Frage der Bundeshauptstadt doch nur so zu stellen wäre, wie er sie gestellt hat. Er erklärt, daß Berlin der einzige Ort wäre, an dem die Bundesorgane ihren Sitz haben müssen und ihre Tätigkeit überhaupt ausüben könnten. Bei mir als Berliner ist dabei die Frage aufgetaucht, welchen Teil von Berlin der Herr Kollege Renner damit meint. Meint er den Teil Berlins, der in seinen Entscheidungen frei ist, oder meint er den Ostsektor, der die gleiche Unfreiheit wie in der Ostzone über sich ergehen lassen muß? Meint er Berlin-Pankow, den Sitz Wilhelms III.,
oder meint er Berlin-Karlshorst, wo heute noch die russischen Bajonette den Schutz für die Tätigkeit der sogenannten Deutschen Demokratischen Republik ausführen?
Meine Damen und Herren, das ist doch die Frage, die allen Ernstes zu entscheiden ist. Wenn Herr Gundelach hier erklärt, daß die Spaltung Deutschlands zu überwinden wäre, daß wir nicht gegeneinander, sondern miteinander arbeiten müßten, daß wir hier nur zur Tarnung die Frage nach freien Wahlen stellen wollten, so frage ich: was wollen Sie denn damit erreichen, wen wollen Sie denn mit diesen Parolen überhaupt betören? Wir wissen doch alle, daß am 7. Oktober dieses Jahres das SowjetProtektorat ausgerufen worden ist. Wir haben in diesem Protektorat keine Wahlen gehabt. Und was Herr Gundelach hier sagte, daß am 15. Oktober 1950 Wahlen durchgeführt werden sollten, das glaubt doch in Berlin und in der Ostzone kein Mensch mehr.
Wie war es denn? Wir haben am 10. September und am 13. Oktober 1946 Wahlen gehabt, Wahlen, die unter den gleichen Verhältnissen wie unter dem Sozialistengesetz von 1878 bis 1890 durchgeführt wurden,
Wahlen, bei denen die Sozialdemokratische Partei völlig ausgeschaltet war.
- Das glauben Sie ja selbst nicht, was Sie eben mit dem Zwischenruf sagen! Ich stelle die Tatsachen fest. Im Herbst 1948 waren wiederum Wahlen fällig. Damals haben die Regierungen der fünf Länder der sowjetisch besetzten Zone erklärt, daß die Wahlen nicht durchgeführt werden könnten, da die Erntearbeiten dadurch behindert würden.
Das war im Herbst 1948. Ich weiß nicht, ob durch das Hennecke-System jetzt die Erntearbeiten so gelegt werden, daß Wahlen stattfinden können. Sie haben aber am 15. Mai 1949 wieder Wahlen durchgeführt. Diese Wahlen fanden doch in einer Form statt, daß man sie nur mit den Hitlerwahlen vergleichen kann. Der Wähler hatte nicht die Möglichkeit einer Wahl unter Listen. Der Wähler konnte nur Ja oder Nein sagen. Sie wissen selbst, daß es eine sehr kleine Minderheit war, die damals mit Ja stimmte. Und Sie wissen, daß die Regierung in der Nacht zum 16. Mai jene berühmte Änderung der Wahlvorschriften brachte: Wer sein Kreuz in das Nein-Feld gesetzt und dabei auch nur um einen Millimeter diesen Kreis überstrich, der hatte eben so gestimmt, daß das Nein-Kreuz ungültig sein sollte, also wiederum mit Ja gestimmt. Und trotzdem haben Sie unter diesen frisierten Verhältnissen nur 60 Prozent aller Stimmen für Ihr System aufbringen können. Jetzt kommen Sie und erklären, daß die Wahlen am 15. Oktober des nächsten Jahres die Möglichkeit geben, endlich zu einer Einheitlichkeit aller Auffassungen zu kommen.
Warum scheuen Sie denn in der Ostzone die Wahlen? Warum scheuen Sie sich denn in dem Gebiet davor, in dem Sie seit vier Jahren angeblich die Herrschaft des Volkes haben? Warum haben Sie nicht den Mut, das Volk zu fragen? — Weil Sie
genau wissen, daß, wenn einmal freie und allgemeine Wahlen in der Ostzone durchgeführt werden, Sie selbst Ihre Kandidaten in die Ostzone mitbringen müßten, weil Sie einfach als Partei ausgelöscht würden.
Darum haben Sie Ihr Terrorsystem, Ihr System, das eine Schande für die ganze Zivilisation ist. Deswegen haben Sie die gleichen Verhältnisse, die wir von 1933 bis 1945 verurteilt haben. Deswegen tragen die Konzentrationslager, die einmal als Symbol das Hakenkreuz trugen, heute Hammer und Sichel.
Sie haben erklärt, daß wir die Spaltung überwinden wollen, daß wir nicht gegeneinander, sondern miteinander arbeiten wollen. Wir lehnen jede Gemeinsamkeit mit Leuten, die heute noch KZ-Lager aufrechterhalten, ab.
Ein Konzentrationslager im Jahre 1949 ist eine
größere Anklage gegen die Menschlichkeit als alle
Konzentrationslager von 1933 bis 1945 zusammen.
Die Verhältnisse, die sich in den Konzentrationslagern abspielen, sind noch schandbarer als die in der Zeit unter Hitler. Damals hatten wir die Möglichkeit, aus den Gefängnissen, Zuchthäusern und Konzentrationslagern von Zeit zu Zeit Nachrichten zu senden und dort zu empfangen. Heute gibt es dies nicht. Heute gibt es kein Verfahren wie in irgendeinem Rechtsstaat. Heute verschwinden die Menschen, und niemals erfährt jemand etwas von dem Schicksal dieser Armen, die in die Hände der GPU und der Kommunisten geraten. Das ist die Tatsache, und Sie selbst wissen ja, daß Sie an diesen Verhältnissen schuld sind und daß Sie sich dadurch selbst aus der Gemeinschaft aller anständigen Menschen ausgeschlossen haben.
Das Potsdamer Abkommen sollte allen Deutschen die Möglichkeit bringen, sich demokratisch selbst zu entscheiden. Wie lang ist der Weg von 1945 bis 1949 ! Damals hatten Millionen den Glauben an die Demokratie, und diesen Glauben vernichten Sie tagtäglich durch Ihre Methoden, die Sie in der Ostzone anwenden. Heute, 1949, sollten sich alle Demokraten alliieren, indem sie versuchen, Deutschland zu einen und Europa dadurch den Frieden zu bringen. Wir haben in Berlin mit Ausnahme der kommunistischen Stimmen unsere neue Verfassung beschlossen, und in dieser neuen Verfassung haben wir im Vorspruch festgelegt: „In dem Willen, Freiheit und Recht jedes einzelnen zu schützen, Gemeinschaft und Wirtschaft demokratisch zu ordnen, dem Geist des sozialen Fortschritts und des Friedens zu dienen, und in dem Wunsch, die Hauptstadt eines neuen Deutschland zu bleiben, hat sich Berlin diese Verfassung gegeben."
- Sie rufen : Das können wir tun. In Berlin haben Ihre Freunde gegen diesen Vorspruch wie gegen die ganze Verfassung gestimmt. Wir alle sind uns klar darüber, daß es hier ja nur einer einfachen Zählung bedarf. Man braucht nur von 135 zu 136 zu gehen, um zu sehen, daß Sie hier nur einen Agitationsversuch machen, um draußen im Land Stimmen zu erreichen. Diese Stimmen werden Sie
nicht erreichen können. Wenn einmal im Ostsektorund in der Ostzone freie, gleiche, geheime Wahlen durchgeführt werden, dann.. zieht in das Bundeshaus in Berlin die Firma Renner und Co. nicht mehr mit ein.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Krone.
Wollen Sie sich zum Wort melden, Herr Abgeordneter Renner?
Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob nach der letzten Abstimmung soeben diesem Antrag der Herren von der KPD noch ein Sinn zugrunde liegt, die leitenden Bundesorgane jetzt nach Berlin zu verlegen. Ich bin mit dem Herrn Kollegen Neumann ganz der Meinung, daß dafür eine Reihe von Voraussetzungen in Berlin und in der Sowjetzone vorhanden sein müssen, und
diese müssen umschrieben werden mit dem Wort
Freiheit!
Für jeden Menschen in Deutschland und nicht nur für eine Klasse und eine Schicht! Diese Freiheit ist in diesem Teile unseres Vaterlandes nicht vorhanden. Zwischen dem Wort Freiheit, wie Sie es führen und wie das gesamte andere Deutschland die Freiheit versteht, quillt eine Welt des Gegensatzes. Und genau so ist es mit dem Wort Demokratie.
Wie dieses Haus zu Berlin steht, das ist vor ungefähr 14 Tagen bewiesen worden, als die Debatte über die Berlinhilfe war, sowohl durch die Erklärung der Bundesregierung wie auch durch die tatsächliche Hilfe, die dieser Stadt gewährt werden wird. Wir sind der Meinung, daß die Frage Berlin für unser Volk später noch einmal eine große und entscheidende Rolle spielen wird, dann nämlich, wenn an Stelle der Konzentrationslager auch im Osten die Freiheit eingezogen ist. Ehe das nicht der Fall ist, hat es keinen Sinn, über diese Fragen praktisch zu reden. Wir sind allerdings der Meinung, daß, wenn dieser Augenblick kommt, wo das ganze deutsche Volk frei wählen und frei abstimmen kann, dann auch Berlin wiederum in diesem Reich eine große und entscheidende Rolle spielen wird. Solange das nicht der Fall ist, haben wir nur die Aufgabe — gerade wir in Berlin —, für die Freiheit dieser Stadt zu kämpfen, für die Freiheit auch in den großen geistigen und kulturellen Fragen, worauf meine Fraktion ein besonderes Gewicht legt. Das Wort Einheit, das Sie, meine Herren von der KPD, führen, das nehme ich auf; aber ich nehme es auf mit dem Zusatzwort: Einheit in Freiheit!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Nuding.
Meine Damen und Herren! Um was geht es hier? Ich könnte so beginnen: Freiheit ist ein großes Wort, aber unter dem Banner der Freiheit wurden räuberische Kriege geführt, und dieses Banner der Freiheit, meine Herren von der Rechten, das Sie verteidigen, hat uns zwei Weltkriege gekostet, und das war immer Ihre Freiheit und Ihre Demokratie! Meine Herren von der Sozialdemokratischen Partei! Gibt es Ihnen nicht et-
was zu denken, Herr Kollege Neumann, daß Sie gerade von der Rechten den Beifall bekommen, wenn Sie gegen links hetzen?
Glauben Sie, daß Sie im Westen Deutschlands auch nur ein Jota der kapitalistischen Reaktion brechen oder zurückdrängen können, wenn Sie nicht dazu übergehen, dem Volke zu helfen?
Ich bitte, den Herrn Redner ausreden zu lassen.
Wem helfen Sie mit Ihren Reden? Ich stelle die Frage noch von einem anderen Standpunkt aus. Der Herr Kollege Neumann 'hat an dem Problem vorbeigeredet. Unser Antrag lautet ja nicht so: Sie sollen in den sowjetischen Sektor, wie Sie sagen, nach Berlin gehen. So lautet das gar nicht. Es lautet: Sie sollen nach Ihrem Berlin gehen, wo Sie die Freiheit haben, aber wir hier dafür blechen! In dieses Berlin sollen Sie gehen. Lieber Herr Kollege von der CDU, haben Sie nicht gehört, was die Finanzminister unserer westdeutschen Länder gesagt haben?
Daß Sie kein Geld mehr für Berlin haben! Wir suchen einen Weg und sagen: wenn die Verwaltungsorgane der Bundesregierung ganz oder teilweise nach Berlin gehen, dann wird dem Berlin, in dem Sie wohnen und das Sie glauben verteidigen zu müssen, im doppelten Sinne geholfen werden. Denn einmal werden die Herrschaften, die heute so reden, Herr Kollege Neumann, in der Stimme direkt aus New York, wie ich sie beinahe jeden Abend höre, nicht mehr reden. Dann werden sie Sie in Ihrem Unglück sitzen lassen. Wir suchen eine Brücke zu schlagen, um mit den vorhandenen Bausteinen das Möglichste zu tun, um zu erreichen, daß die vorhandenen Organe zusammenkommen, um das Los der Menschen zu erleichtern und einen Schritt auf dem Weg zur Einheit zu gehen. Aus diesem Grunde haben wir den Antrag gestellt, für Berlin und damit für das Symbol der Einheit Deutschlands zu stimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Strauß.
Meine Damen und Herren! Wir haben in dem vorhergehenden Punkt der Tagesordnung über den vorläufigen Sitz der Bundeshauptstadt der Bundesrepublik Deutschland abgestimmt. Damit wäre an sich der gegenwärtige Tagesordnungspunkt erledigt. Aus diesem Grunde beantrage ich Übergang zur Tagesordnung über diesen Antrag.
Es ist der Antrag gestellt, über diesen Gegenstand zur Tagesordnung überzugehen. Ich eröffne die Aussprache über diesen Antrag. — Das Wort hat der Herr Abgeordnete Renner.
Wieder einmal war es ein Vertreter der CDU, der genau wie in der vorhergehenden Sitzung, in der die Frage schon einmal gestellt war, den Spaltern Deutschlands mit einem Antrag zu Hilfe kommt, der nur eins erreichen soll:
sich an einer klaren Stellungnahme zu unserem Antrag vorbeizudrücken. Ich protestiere gegen diesen Versuch, einer Entscheidung aus dem Wege zu gehen. Gerade Sie, die Sie bei jeder Gelegenheit betonen, Sie wollten nach Berlin, sollten doch den Mut aufbringen, hier durch Ihre Abstimmung zu dokumentieren, daß Ihr „ehrlicher Wille, nach Berlin zu gehen", nichts anderes ist als ein Betrug des Volkes in Westdeutschland.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Ollenhauer.
Meine Damen und Herren! Ich möchte Sie bitten, den Antrag auf Übergang zur Tagesordnung abzulehnen und dafür eine Entscheidung über den Abänderungsantrag der sozialdemokratischen Fraktion herbeizuführen, damit der Antrag Renner in der so geänderten Form dann, wie wir glauben, die Auffassung der Mehrheit dieses Hauses zum Ausdruck bringt.
Zur Geschäftsordnung hat das Wort der Herr Abgeordnete Renner.
Wir haben bereits ausgesprochen, daß wir gegen den Abänderungsantrag der SPD stimmen werden.
Wir haben gesagt, welche Gründe dafür maßgebend sind. Ich beantrage, gestützt auf die Geschäftsordnung, daß über unsern Antrag abgestimmt wird und daß erst dann, wenn dieser unser Antrag abgelehnt werden sollte — dazu gibt mir die Geschäftsordnung ein Recht —, der Abänderungsantrag der SPD zur Abstimmung kommen soll. a
— Verzeihung, Herr Dr. Schumacher, das ist in der Geschäftsordnung so vorgeschrieben.
Die Fraktion, die einen Antrag stellt, hat das Recht, zu verlangen, daß über ihren Antrag in der Form abgestimmt wird, in der er eingebracht ist. Mehr mache ich nicht geltend.
Ich verlange also, daß über unsern Antrag zuerst abgestimmt wird, und lasse Ihnen dann den Ausweg offen: die Flucht nämlich in das wirklich ehrliche Nein, dem Antrag der SPD dann zuzustimmen.
Ich glaube, daß der Abgeordnete Renner irrt. Zuerst ist über den weitestgehenden Antrag abzustimmen. Das ist der Antrag auf Übergang zur Tagesordnung. Sollte dieser Antrag abgelehnt werden, dann ist über den Abänderungsantrag abzustimmen. Wenn über diesen Abänderungsantrag mit positivem oder negativem Resultat abgestimmt ist, dann ist über den Grundantrag abzustimmen.
— Herr Kollege Renner, ich kann Ihnen vielleicht morgen oder übermorgen ein kleines Kolleg darüber halten; hier ist nicht der Platz dafür.
Ich lasse abstimmen.
Wer für den Antrag auf Übergang zur Tagesordnung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Ich
darf um die Gegenprobe bitten. — Das ist ohne Zweifel die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Dann lasse ich über den Abänderungsantrag der SPD abstimmen, wobei ich mir die Frage erlauben möchte, ob in dem Antrag nicht insofern ein Druckfehler enthalten ist, als hinter „allgemeine" das Wort „gleiche" ausgelassen wurde.
— Ich sehe Zustimmungserklärungen. Dann ist wohl der Änderungsantrag in dieser Weise als verbessert anzusehen.
Wer für den Abänderungsantrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Das ist ohne Frage die überwiegende Mehrheit.
Nun lasse ich abstimmen über den also abgeänderten Antrag auf Drucksache Nr. 135. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Gegen die Stimmen der Antragsteller angenommen. Der Punkt ist erledigt.
- Herr Kollege Renner, ich schütze Sie so oft gegen das. Haus
bitte, machen Sie mir meine Arbeit nicht durch Ihre Monologe zu schwer!
Ich rufe auf Ziffer 5 der Tagesordnung:
Interfraktioneller Antrag betreffend Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse
.
Es ist beantragt, die Anträge auf Drucksache Nr.
127, Nr. 115, Nr. 121, Nr. 118, Nr. 124, Nr. 114, Nr.
128, Nr. 119, Nr. 120 und Nr. 137 an die dafür zuständigen Ausschüsse zu überweisen. Ich eröffne die Aussprache.
— Die Drucksache Nr. 138 ist verteilt. — Es liegen keine Wortmeldungen vor.
Ich lasse abstimmen. Wer dafür ist, daß gemäß dem Antrag auf Drucksache Nr. 138 verfahren wird, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Das ist die überwiegende Mehrheit. Es ist also beschlossen.
- Zur Geschäftsordnung der Abgeordnete Dr. Horlacher!
Ich stelle den Antrag, die Sitzung jetzt abzubrechen und sie morgen früh 10 Uhr
— oder um 9 Uhr fortzusetzen.
Wenn ich mir eine Bemerkung erlauben darf: Ich meine, wir könnten mit dieser Tagesordnnug heute abend noch innerhalb ziviler Zeit fertig werden. Herr Kollege Dr. Horlacher, wollen Sie Ihren Antrag zurückziehen und es einmal darauf ankommen lassen,
ob es gelingt, die Tagesordnung rasch zu erledigen oder nicht? Ich werde mich anstrengen.
Es folgt Ziffer 6 der Tagesordnung:
Antrag der Fraktion der KPD betreffend
Notopfer Berlin .
Ich kann wohl gleich Ziffer 7 auch aufrufen.
— Also nur Ziffer 6.
Der Herr Abgeordnete Rische hat das Wort.
Meine Damen und Herren! Dem bizonalen Wirtschaftsrat blieb es vorbehalten, zu den unzähligen Steuerarten, die den Steuerzahler in Westdeutschland belasten, auch noch eine sogenannte „Freiheitssteuer" einzuführen. Seit einem Jahr muß nun die westdeutsche Bevölkerung das sogenannte „Notopfer Berlin" hinnehmen. Durch die Erhebung des Notopfers sind in erster Linie die Lohn- und Gehaltsempfänger schwer belastet worden, die damit gegen ihren Willen den kalten Krieg der westlichen Besatzungsmächte um den Vorposten Berlin finanzieren müssen. Es ist aber kein Geheimnis, daß die westdeutsche Bevölkerung es ablehnt, die abenteuerliche Politik um den Vorposten Berlin aus einer Zwangssteuer zu bestreiten.
Die Sondersteuer Berlin wurde bekanntlich auf Anweisung der Besatzungsmächte zur Finanzierung ihrer Blockademaßnahmen vom bizonalen Wirtschaftsrat in Gesetzesform verabschiedet. Die Steuer war also eine ausgesprochene Blockademaßnahme.
Das ganze deutsche Volk ist indessen froh, daß es keine Blockade im eigentlichen Sinne mehr gibt. Wohl aber gibt es immer noch Politiker — das hat die Debatte bewiesen —, die sich krampfhaft bemühen, von der Blockade-Lüge zu leben. Sie leisten damit der schwer leidenden Bevölkerung West-Berlins einen wahrhaften Bärendienst.
Das New Yorker Abkommen der Großmächte vom Mai 1949 leitete die Politik der friedlichen Regelung des Berliner Problems ein. Die Blockade wurde aufgehoben und später auch die Luftbrücke abgeschafft. Ich erinnere daran, daß Professor Dr. Reuter erst vor wenigen Wochen die letzte Sogenannte Luftbrückenmaschine versteigerte. Die im New Yorker Abkommen eingeschlagene Befriedung Berlins wurde durch die Konferenz der Außenminister der Großmächte in Paris und später durch die Bekanntgabe des Kommuniqués der Pariser Außenministerkonferenz vom 20. Juni 1949 erfolgreich fortgesetzt. Im Pariser Kommuniqué sind alle die Maßnahmen verzeichnet, die zu einer endgültigen Regelung der Schwierigkeiten in Berlin hätten führen können. Es wird wertvoll sein, den entscheidenden § 3 des Pariser Schlußkommuniqués dem Hohen Haus noch einmal zur Kenntnis zu geben.
In § 3 des Pariser Schlußkommuniqués heißt es:
Diese Beratungen haben unter anderem den Zweck, die Auswirkungen der gegenwärtigen verwaltungsmäßigen Teilung Deutschlands und besonders Berlins vor allem aus den unten angeführten Gründen zu mildern:
a) Erweiterung des Handels und Verbesserung der finanziellen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Westzonen und der Ostzone und zwischen Berlin und den Zonen;
b) Erleichterung des Verkehrs von Personen und Gütern und Austausch von Informationen zwischen den Westzonen und der Ostzone sowie zwischen Berlin und den Zonen und
c) Erörterung von gemeinsam interessierenden Fragen bezüglich der Verwaltung der vier Sektoren Berlins mit dem Ziel einer weitestgehenden Normalisierung des Lebens der Stadt.
Meine Damen und Herren, eine Erinnerung an dieses Kommuniqué ist schon darum angebracht, weil die westlichen Besatzungsmächte ihr in Paris gegebenes Versprechen leider bis heute noch nicht eingelöst haben.
Aber das ist nur die eine Seite des Problems. Nach § 4 des Kommuniqués wurden auch die deutschen Stelen in Ost- und Westdeutschland aufgefordert, den Besatzungsmächten bei der Überwindung der bestehenden Schwierigkeiten in Deutschland und in Berlin aktiv beratend beizustehen. Auch dieser § 4 ist wert, dem Hohen Hause noch einmal zur Kenntnis gebracht zu werden:
Um die in § 3 vorgesehene Arbeit zu unterstützen, können die zuständigen Besatzungsbehörden deutsche Sachverständige und geeignete deutsche Organisationen im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeitsbereiche zur Hilfe heranziehen. Die so herangezogenen Deutschen sollen einschlägiges Material austauschen, Berichte ausarbeiten und, wenn sie es beschließen, den Besatzungsbehörden Vorschläge unterbreiten.
Gemäß diesen Empfehlungen wurden von den höchsten Verwaltungsstellen in Ostdeutschland Angebote an die höchsten deutschen Verwaltungsstellen in Westdeutschland gemacht, um geeignete Vorschläge zur Lösung der brennendsten Fragen auszuarbeiten und diese dann den Besatzungsmächten vorzuschlagen. Diese und ähnliche Vorschläge und Angebote wurden aber leider immer wieder von Westdeutschland zurückgewiesen und in aller Form abgelehnt. Den Schaden von dieser, ich möchte sagen, völlig negierenden Politik haben die Berliner Bevölkerung und die westdeutschen Steuerzahler.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auch an den erfolgreichen Abschluß des Interzonenhandelsabkommens erinnern. Das Abkommen schaltete Berlin erfolgreich in den Handel zwischen West-und Ostdeutschland ein. Gewiß, damit ist nur ein erster Schritt getan, um der West-Berliner Wirtschaft Hilfe zu gewähren. Dieser Weg muß jedoch zielbewußt weiter beschritten werden, wenn es darum geht, Berlin und seiner Bevölkerung alle Hilfe zu geben.
Was läßt sich nun schon aus diesen wenigen von mir angeführten Tatsachen schlußfolgern? Diese Frage, meine Damen und Herren, ist ebenso leicht zu beantworten. Die Luftbrückensteuer für die westdeutsche Bevölkerung ist heute nicht mehr berechtigt! Sie war ursprünglich auf drei Monate bemessen und wurde dann vom Wirtschaftsrat gegen den Willen der Mehrheit der westdeutschen Bevölkerung bis Ende 1949 verlängert. Lediglich einige unwesentliche Verbesserungen wurden in das Gesetz des Wirtschaftsrates eingebaut.
Wie umstritten indessen das Notopfer-Gesetz selbst im bitonalen Wirtschaftsrat war, geht aus einer Äußerung hervor, die Herr Abgeordneter Seuffert als Berichterstatter bei der zweiten und dritten Lesung des Gesetzes zur Abänderung des Gesetzes zur Erhebung einer Abgabe „Notopfer Berlin" gemacht hat. Herr Abgeordneter Seuffert erklärte damals in seiner Begründung zu diesen unwesentlichen Verbesserungen im Gesetz:
Die Verbesserungen, die vorgenommen worden sind, sind nicht erheblich. Wir wären wohl alle gern etwas weiter gegangen, aber die ungeklärte Lage der Finanzierung der Hilfe für
Berlin hat uns Beschränkungen auferlegt.
— Selbst im Wirtschaftsrat wäre man, Herr Kollege Seuffert, damals am liebsten roch weiter gegangen, und zwar wohl bis zur Aufhebung der so unpopulären Zwangssteuer!
Dazu ist allerdings jetzt durch den Antrag der KPD eine außerordentlich günstige Gelegenheit gegeben.
Gestatten Sie mir nun noch einige Äußerungen zu der schwierigen Finanzlage der West-Berliner Verwaltung, Herr Kollege Neumann. -Die Ursachen für die katastrophale Entwicklung der WestBerliner Finanzen ergeben sich aus der Tatsache, daß die Einnahmen aus der Lohnsteuer und aus der Umsatzsteuer sowie aus der Körperschaftssteuer außerordentlich zurückgegangen sind, und darin signalisiert sich die katastrophale Beschäftigungslage in der West-Berliner Wirtschaft, die heute weit über 250 000 Arbeitslose hinnehmen muß. Einen besonderen Posten im Berliner Etat nehmen immer noch die Besatzungskosten ein, Herr Kollege Neumann, obwohl die westlichen Besatzungsmächte Berlin politisch als ihr Bollwerk ausbauten und noch ausbauen lassen. Soweit es geht, lassen sie sich die Unkosten für ihre Igelstellung im kalten Krieg von der West-Berliner Bevölkerung bezahlen, die so schwer zu leiden hat. Ich stelle die Frage: Ist dies ein Ausdruck der Solidarität und Verbundenheit der westlichen Besatzungsmächte mit der West-Berliner Bevölkerung?
Eine besondere Schwierigkeit hat sich in der West-Berliner Wirtschaft auch durch den Auszug bekannter West-Berliner Firmen aus Berlin ergeben. Die privaten Unternehmer, meine Herren von der Rechten, lassen die Berliner Arbeiterschaft und auch die West-Berliner Stadtvertretung schmählich im Stich.
Durch die freiwillge Demontage der Berliner Industrie wurden nicht zuletzt die hohen Arbeitslosenziffern in West-Berlin verursacht. Stimmt es, Herr Kollege Neumann, oder stimmt es nicht?
So handeln also jene, die immer wieder zum Widerstand im kalten Krieg aufrufen!
Wir Kommunisten sind der Auffassung, daß Berlin ein sehr ernstes deutsches Problem ist. Die deutschen Menschen in Ost- und in Westdeutschland haben sogar die Pflicht, eine baldige und endgültige Bereinigung des Berlin-Problems herbeizuführen. Diese endgültige Lösung kann nur durch die Wiederherstellung der alten Stellung der deutschen Hauptstadt in einer gesamtdeutschen Politik und in einer gesamtdeutschen Wirtschaft begründet werden. Wer sich dieser Erkenntnis verschließt, hat kein Recht, als Freund der West-Berliner Bevölkerung aufzutreten.
Die ständigen Belastungen der westdeutschen Steuerzahler zur Aufrechterhaltung dieses unnatürlichen Zustandes sind dabei keinesfalls geeignet, die so schwerwiegenden Berliner Probleme zu lösen. Eine derartige Politik trägt vielmehr — wie das auch die Debatte wiederum bewiesen hat — den Keim zu neuen Auseinandersetzungen in sich und ist eine neue Form der Fortsetzung des berüchtigten kalten Krieges zu Lasten der Werktätigen Westdeutschlands und nicht zuletzt auch zu Lasten der werktätigen Bevölkerung in West-Berlin.
Der von meiner Fraktion gestellte Antrag zur Abschaffung des Notopfers Berlin ist somit Ausdruck eines Bekenntnisses zur endgültigen Lösung der Berliner Probleme und entspricht den Forderungen der Millionen Menschen in Westdeutschland. Ich bitte Sie, den Antrag der KPD vollinhaltlich zu unterstützen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Mellies.
Meine Damen und Herren! Seitdem die Blockade Berlins gescheitert ist, bemühen sich die Kommunisten hingebendst, auf irgendeine andere Weise das Los West-Berlins herbeizuführen, das ihm durch die Blockade zugedacht war. Der Antrag, wie er diesem Hause vorliegt, ist ja nicht der erste dieser Art. Bereits im Wirtschaftsrat hat die kommunistische Fraktion gleich nach
der Aufhebung der Blockade den Antrag gestellt
die Hilfe für West-Berlin einzustellen. Ich habe bei dieser Gelegenheit dort bereits darauf hingewiesen, welche Folgen das für die Bevölkerung selbst haben müßte. Es würde nicht mehr möglich sein, die Unterstützungen zu zahlen, die erforderlich sind. Man würde also in ganz kurzer Zeit erhebliche Teile der Westberliner Bevölkerung dem Hunger aussetzen.
Man würde damit praktisch dasselbe Ziel erreichen, das man mit der Blockade damals nicht erreicht hat.
Das Hohe Haus wird in allernächster Zeit Gelegenheit haben, sich mit der Frage des Notopfers zu beschäftigen. Das Gesetz über das Notopfer Berlin ist bis zum 31. Dezember befristet. Das Hohe Haus wird also in irgendeiner Form dazu Stellung nehmen müssen. Wir hatten bereits bei den Debatten im Wirtschaftsrat in Frankfurt betont, daß dieses Notopfer Berlin für die breiten Schichten der Bevölkerung eine harte Belastung ist. Durch unsere Anträge haben wir erreicht, daß wenigstens die größten Härten beseitigt wurden. Wir werden, wenn das Gesetz in den nächsten Wochen hier im Hause zur Beratung steht, von uns aus eingehend dazu Stellung nehmen und werden auch da wieder den Versuch unternehmen, die Lasten so wenig wie möglich auf die Schultern der breitesten Schichten abzuwälzen. Aber auf der anderen Seite hat das Hohe Haus erst vor wenigen
Wochen fast einmütig beschlossen, Berlin zu helfen. Würde man diesen kommunistischen Antrag heute annehmen, so würde das bedeuten, daß das Haus diesem Bekenntnis zu Berlin, das hier mit aller Klarheit und Eindeutigkeit abgelegt wurde, geradezu ins Gesicht schlüge. Es kann deshalb zu diesem kommunistischen Antrag nur eine Stellungnahme des Hohen Hauses geben, nämlich: den Antrag abzulehnen.
— Nein, Herr Rische, wir haben uns im Wirtschaftsrat darüber genügend unterhalten.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung. Wer für den Antrag Drucksache Nr. 136 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Offensichtlich die Minderheit.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Herr
Abgeordnete Dr. Horlacher.
Nun bitte ich, die Sitzung zu unterbrechen, Herr Präsident, und für morgen zu disponieren. Ich weiß nicht, welche Dispositionen getroffen werden sollen.
Ich glaube, es wird richtig sein, jetzt abzubrechen. Ich werde aber vorher noch einige Dinge bekanntgeben.
Die Mitglieder des Ausschusses für Beamtenrecht werden zu einer Sitzung morgen, Freitag, 10 Uhr 30 in Zimmer 12, Südflügel, gebeten.
Weiter: die Mitglieder des Ausschusses für Wiederaufbau und Wohnungswesen werden zu einer kurzen Besprechung jetzt im Anschluß an die u Plenarsitzung in die Ruhehalle neben dem Plenarsaal gebeten.
Außerdem mache ich darauf aufmerksam, daß der Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten sich morgen um 16 Uhr versammeln wird.
Meine Damen und Herren, es ist der Antrag gestellt, die Sitzung zu vertagen. Ich glaube, daß es richtig wäre, diesem Antrag stattzugeben.
Ich breche die Sitzung ab und vertage auf morgen vormittag 11 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.