Rede:
ID0101401600

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Metadaten
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    Vokabeln: 7
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    6. Bundesminister: 1
    7. Justiz.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag — 14. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. November 1949 329 14. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 3. November 1949. Nachruf des Präsidenten für den verstorbenen Abgeordneten Dr. Linnert . . . 329D Unfall des Abgeordneten Dr. Mücke . 330A Geschäftliche Mitteilungen . . 330A, B, C, 349D Eintritt der Abgeordneten Dr. Bertram, Hohl und Frau Dr. Ilk in den Bundestag 330B Überweisung der Anträge Drucksachen Nr. 73, 77 und 83 (neu) an den Ausschuß für Geld und Kredit . . . . . . . . . 330B Antrag der Fraktion der CDU/CSU betr. Ergänzung des § 103 der vorläufigen Geschäftsordnung (Drucksache Nr. 134) . . 330C Antrag der Abg. Euler, Dr. Wellhausen u. Gen. betr. Abänderung des § 105 der vorläufigen Geschäftsordnung (Drucksache Nr. 139) 330D Mündlicher Bericht des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität über den Antrag des Bundesministers der Justiz betr. Strafverfahren gegen den Abg. Loritz (Drucksache Nr. 132) . . . 330D Ritzel (SPD), Berichterstatter . . . . 331A Dr. von Merkatz (DP), Berichterstatter 331C Dr. von Brentano (CDU) ( zur Geschäftsordnung) 333B Mündlicher Bericht des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität über den Antrag des Bundesministers der Justiz betr. Aufhebung der Immunität des Abg. Loritz (Drucksache Nr. 133) . . . 333C Dr. von Merkatz (DP), Berichterstatter 333C Dr. Becker (FDP) . . . . . . . . 334B Loritz (WAV) . . . . 334C Dr. Schmid (SPD) 335A Dr. Dehler, Bundesminister der Justiz 336B, 340A Renner (KPD) . . . . . . . . . 336D Strauss (CSU) . . . . . . . . . 346B Dr. Arndt (SPD) . . . . . . . . 339A Löfflad (WAV) 340C Bericht des Ausschusses zur Prüfung des vorläufigen Sitzes der leitenden Bundes- organe 341B Neuburger (CDU), Berichterstatter 341B Renner (KPD) (zur Geschäftsordnung) . 341C Blank (CDU) (zur Geschäftsordnung) . 342A Euler (FDP) (zur Geschäftsordnung) . 342A Dr. Etzel (BP) (zur Geschäftsordnung) 342B Dr. von Brentano (CDU) (zur Abstimmung) 343A Dr. Horlacher (CSU) (zur Abstimmung) 343B Antrag der Fraktion der KPD betr. Sitz der leitenden Bundesorgane (Drucksache Nr. 135) 343D Gundelach (KPD), Antragsteller . . 343D Neumann (SPD) 344B Dr. Krone (CDU) 345C Nuding (KPD) 345D Strauss (CSU) 337D Renner (KPD) (zur Geschäftsordnung) 346B, C Ollenhauer (SPD) (zur Geschäftsordnung) 346C Interfraktioneller Antrag betr. Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse (Drucksach Nr. 138 347A Vertagungsantrag 347B Dr. Horlacher (CSU) . . . . 347B, 3490 Antrag der Fraktion der KPD betr. Notopfer Berlin (Drucksache Nr. 136) 347B Rische (KPD), Antragsteller . . . 347C Mellies (SPD) . . . . . . . . 349A Nächste Sitzung 349D Die Sitzung wird um 16 Uhr 16 Minuten durch den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet.
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    Rede von Dr. Carlo Schmid


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Meine Damen und Herren! Es geht in dieser Sache um mehr als um das Schicksal des Abgeordneten Loritz; es geht um das Verhältnis dieses Parlaments zu sich selbst.

    (Sehr richtig! bei der SPD und rechts.)

    Zu den fundamentalen Rechten: dem Recht, sich
    frei zu versammeln, dem Recht, Eingriffe der Exekutive — und stünde sie noch so hoch — in seinen Bestand zurückzuweisen, gehört, was man die
    Immunität der Abgeordneten nennt. Das alles sind
    mühselig unter Blut und Tänen erkämpfte Prärogativen der Parlamente. Ohne die Unantastbarkeit dieser Prärogativen kann man eine Demokratie nicht führen.

    (Sehr wahr!)

    Das wußten schon die Römer, und aus diesem Grunde haben sie den Volkstribun für sakrosankt erklärt: die Liktoren durften an ihn nicht rühren. Die Etappen der Entwicklung auf diesen Wegen markieren den Fortschritt der Demokratie. Ich brauche nur auf die englische Geschichte zu verweisen.
    Wenn hier die Frage gestellt worden ist, ob die Immunität ein Privileg des Abgeordneten sei, so ist darauf zu antworten: nein, die Immunität des Abgeordneten ist kein Privileg des Abgeordneten, sondern eine Prärogative des Parlaments!

    (Sehr richtig! bei der SPD und in der Mitte.) Darum hat der Abgeordnete kein Verfügungsrecht über sie, sondern das Parlament entscheidet allein, ob es sich gefallen lassen will, daß dieser oder jener Abgeordnete auf Grund eines Gerichtsverfahrens aus seiner Mitte geholt wird.

    Und es handelt sich bei der Immunität der Abgeordneten nicht um ein Mittel, fehlsame Abgeordnete zu schonen — sie werden ja dereinst zur Rechenschaft gezogen werden können —, sondern es handelt sich um etwas, was dazu dienen soll, die Versuchungen abzuwehren, in die Regierungen und Bürokratien verfallen könnten, die Staatsräson über den Willen des Volkes zur Selbstbestimmung — und dessen wegen ist ja das Parlament! — triumphieren zu lassen. So ist die Immunität der Abgeordneten der Nomos des Parlaments, und nach dem Worte Heraklits soll das Volk um seinen Nomos kämpfen wie um seine Mauer.
    Ich habe im Immunitätsausschuß ein Wort gehört, daß mich sehr nachdenklich gemacht hat. Ein Mitglied dieses Ausschusses hat gesagt, der Staat stehe über dem Parlament,

    (Hört! Hört! bei der SPD)

    und deswegen sei es wichtiger, daß eine Beleidigung des Staates gesühnt werde, als daß dem Parlament ein Abgeordneter erhalten bleibe. Mir scheint hier eine Verwirrung der Geister zum Ausdruck zu kommen. Was ist denn ein Abgeordneter? Er ist ein Partikel des Volkes, das hier in diesem Hause zu Wort kommen will und soll und
    von dem die Staatsgewalt ausgeht. Und was ist denn der „Staat", um den es sich in diesem Gerichtsverfahren handelt? Es ist doch hier nicht die Majestät des Staates im Spiel — es handelt sich um einige Gefängnisbeamte, denen der Abgeordnete Loritz Dinge vorgeworfen hat, die sie nicht hätten tun sollen. Es ist hier nicht die Frage zu entscheiden, ob dieser Vorwurf berechtigt ist oder nicht — ich will hier nur das Wort „Staat" in das richtige Verhältnis setzen, da behauptet worden ist, die Ehre des Staates stehe hier auf dem Spiele. Gewiß, die Vorwürfe, die der Abgeordnete Loritz erhoben hat, sollten im Interesse des Ansehens der bayerischen Gefängnisverwaltung so rasch als möglich überprüft werden.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Aber dazu braucht man kein Gerichtsverfahren; dazu wäre ein Untersuchungsausschuß des Bayerischen Landtags das beste Mittel.

    (Beifall bei der SPD.)

    Man hat bei Gesprächen, die um diesen Fail geführt worden sind, hören können, es sei schade,
    daß das Prinzip der Innmunität erstmals an einer
    so umstrittenen Persönlichkeit — ich bitte mir das nicht übelzunehmen, Herr Kollege Loritz -, wie der Abgeordnete Loritz eine sei, erprobt werden müsse. Ist das wirklich so schade? Ich meine im Gegenteil, es gut so, daß dieses Prinzip an dem Fall eines Mannes erprobt werden muß, von dem wir wissen, daß ihn sehr viele für eine bedenkliche politische Erscheinung halten. An denen, die uns unbequem sind, müssen wir unsere Prinzipien erhärten, und nicht an unseren Lieblingen!

    (Lebhafter Beifall links und rechts.)

    Wenn wir anders verführen, liefen wir Gefahr, nicht Prärogativen des Parlaments zu verteidigen, sondern Cliquen und ihre Kameraderie.
    Ich will nicht von den Gerüchten handeln, die um den Fall Loritz schweben. Mag alles unwahr sein, was gesagt und geraunt wird — es wird behauptet (und der Abgeordnete Loritz hat es hier wiederholt), man mache dem Kollegen Loritz diesen Prozeß, um ihn nach § 51 des Strafgesetzbuches für unzurechnungsfähig erklären zu lassen und ihn so auf kaltem Wege aus dem politischen Leben ausschalten zu können —, wir sollten uns ähnlich verhalten, wie der Richter es tut, den man wegen Befangenheit ablehnt: er gibt in einem solchen Fall auch dann schon dem Ablehnungsbegehren statt, wenn jener, der ihn ablehnt, auch nur subjektiv glauben kann, Gründe zu haben, die den Richter in den Verdacht der Befangenheit bringen könnten.
    Wenn es aber wirklich so sein sollte, daß man dem Abgeordneten Loritz auf diese verspätete Borgia-Manier an das politische Leben gehen will — ich meine, der Abgeordnete Loritz wäre als Opfer einer solchen Maßnahme, sei sie nun mit Strafgesetzbuch oder Strafprozeßordnung zu decken oder nicht, politisch viel gefährlicher als ein Abgeordneter Loritz in diesem Saal und selbst auf den öffentlichen Plätzen.

    (Sehr richtig! rechts.)

    Manche glauben, man müsse um der Demokratie willen vielleicht so verfahren und zu Akrobatenstückchen greifen. Ich habe auf einem Gange dieses Hauses das Wort gehört: hätte man dem Hitler rechtzeitig auf irgendeine Weise das Genick gebrochen, dann wäre uns manches erspart geblieben. Das ist richtig. Aber um Hitler unschädlich zu machen, wäre es nicht nötig gewesen, die Justiz zu einem Instrument in den Händen politi-


    (Dr. Schmid)

    cher Widersacher zu degradieren — es hätte vollauf genügt, wenn die bayerischen Gerichte dem Hochverräter Hitler gegenüber das Strafgesetzbuch voll zur Anwendung gebracht hätten, wie sie es den Aufständischen der Räterepublik gegenüber getan haben!

    (Beifall links.)

    Wir wollen aber mit dem Schwamm darübergehen. Eines aber sollten wir feststellen: Die Zwecke heiligen nicht die Mittel, die Mittel heiligen die Zwecke, auch jene der Demokratie. Wir sollten immer nach diesem Grundsatz handeln.
    Noch einmal: es handelt sich heute nicht um Herrn Loritz, es handelt sich um dieses Parlament. Es handelt sich darum, ob dieses Parlament bereit ist, sich wichtig genug zu nehmen. Wenn es das tut, muß es nach den Grundsätzen, die eben von diesem Platze aus entwickelt worden sind, getreu den Empfehlungen des Ausschusses handeln. Die Preisgabe der Immunität, das leichte Umgehen mit der Immunität in einem Falle bedeutet sehr viel mehr, als ein Sich-Vergreifen im Einzelfall. Es bedeutet, daß man das Palladium der Freiheit des Parlaments aufgibt. Und diese Freiheit ist die uneingeschränkte und unantastbare Möglichkeit der Selbstbestimmung. Jenen, die glauben, man könne sie hier auch — und vielleicht sogar besser — ohne den Abgeordneten Loritz in Anspruch nehmen, möchte ich das Wort Rosa Luxemburgs zurufen: Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden!

    (Beifall bei der SPD.)



Rede von Dr. Erich Köhler
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Thomas Dehler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Meine Damen und Herren! Es steht mir als Minister nicht zu, zu dem Fall Loritz Stellung zu nehmen. Das ist die Prärogative des Parlaments, sich zu entscheiden, ob im vorliegenden Fall Anlaß besteht, die Immunität aufzuheben oder nicht. Ich bin dem Immunitätsausschuß, dem Kollegen Dr. von Merkatz und auch dem Kollegen Dr. Schmid dankbar, daß bei dem ersten Fall versucht wird, die richtige Linie zu finden. Gewiß, Ausgangspunkt ist: in die Rechte des Parlaments darf nicht eingegriffen werden, der Abgeordnete darf an der Ausübung des Mandats, das er vom Volk hat, nicht gehindert werden. Der andere Gesichtspunkt: der Bundestag ist eine Elite und soll es sein und soll hohe Ansprüche an seine Mitglieder stellen.

    (Sehr gut!)

    Das Parlament soll fragen, ob ein Vorwurf, der erhoben wird, so schwerwiegend ist, daß er geprüft werden muß.

    (Sehr richtig!)

    Das ist die andere Seite der Sache. Wenn der Vorwurf ein schweres kriminelles Verhalten enthält — das wird wohl die Linie sein —

    (Abg. Dr. Schmid: Ein schweres kriminelles Verhalten!)

    — oder ein kriminelles Verhalten —, dann wird die Grenze erreicht sein.
    Ich sage, es kommt mir nicht zu, in diesem Fall Stellung zu nehmen, aber ich kann als der Mann, der berufen ist, die deutsche Justiz zu repräsentieren, nicht das hinnehmen, was der Herr Abgeordnete Loritz hier erklärt hat.

    (Sehr gut! bei der CDU.)

    Es ist eine Unmöglichkeit, daß ein Mann wie der Kollege Loritz, der doch immerhin Jurist ist, hier erklärt, er habe den Wahrheitsbeweis in dem Verfahren vor der Strafkammer München dafür geführt, daß die von ihm behaupteten Mißstände vorgekommen sind. Ob ein Wahrheitsbeweis geführt wird, entscheidet der Richter auf Grund der gesamten Beweiserhebung.

    (Lebhafte Zustimmung in der Mitte.)

    Ich halte es für ungeheuerlich, daß ein Abgeordneter und ein Jurist hier auftritt und erklärt: weil
    man ein schlechtes Gewissen habe, weil das Gericht gesehen habe, daß die von dem Abgeordneten Loritz erhobenen Vorwürfe berechtigt seien,
    deswegen habe das Gericht, ein deutsches Gericht,
    versucht, ihn als unzurechnungsfähig hinzustellen.

    (Lebhafte Zurufe von der SPD. — Abg. Kurt Müller: Alles schon mal dagewesen!)

    Ich kann als Bundesjustizminister, der aus der bayerischen Justiz kommt und die bayerische Justiz kennt, einen solchen Vorwurf nicht unwidersprochen lassen.

    (Bravorufe und Händeklatschen in der Mitte und rechts.)

    Ich kenne die Akten. Das Gericht hat von sich aus die Pflicht, zu prüfen, wenn Bedenken bestehen, ob die Zurechnungsfähigkeit eines Angeklagten gegeben ist oder nicht. Das ist die Voraussetzung seines Schuldspruches. Das mußte in diesem Falle geschehen, und — ich will nichts behaupten —, daß es immerhin nicht ganz ungewöhnlich war, bedarf keiner Erhärtung. Ich will mich nicht in die Details einlassen. Es ist nicht ein Sachverständiger vernommen worden, es sind drei Sachverständige vernommen worden. Ich bin überzeugt: wenn der Herr Kollege Loritz den Wunsch gehabt hätte, dieses Beweismaterial zu ergänzen, wäre ihm das Gericht entgegengekommen.
    Nur soviel als Stellungnahme, weil ich es nicht zulassen kann,

    (lebhafte Zurufe und Unruhe links)

    daß man in diesem Hause in einer solchen Form

    (erneute lebhafte Zurufe und Unruhe links)

    die Objektivität eines deutschen Gerichts in Zweifel zieht!

    (Bravorufe und Händeklatschen in der Mitte und rechts.)