Der Herr Kollege Renner hat vorhin zu Beginn seiner Ausführungen erklärt, daß die Frage der Bundeshauptstadt doch nur so zu stellen wäre, wie er sie gestellt hat. Er erklärt, daß Berlin der einzige Ort wäre, an dem die Bundesorgane ihren Sitz haben müssen und ihre Tätigkeit überhaupt ausüben könnten. Bei mir als Berliner ist dabei die Frage aufgetaucht, welchen Teil von Berlin der Herr Kollege Renner damit meint. Meint er den Teil Berlins, der in seinen Entscheidungen frei ist, oder meint er den Ostsektor, der die gleiche Unfreiheit wie in der Ostzone über sich ergehen lassen muß? Meint er Berlin-Pankow, den Sitz Wilhelms III.,
oder meint er Berlin-Karlshorst, wo heute noch die russischen Bajonette den Schutz für die Tätigkeit der sogenannten Deutschen Demokratischen Republik ausführen?
Meine Damen und Herren, das ist doch die Frage, die allen Ernstes zu entscheiden ist. Wenn Herr Gundelach hier erklärt, daß die Spaltung Deutschlands zu überwinden wäre, daß wir nicht gegeneinander, sondern miteinander arbeiten müßten, daß wir hier nur zur Tarnung die Frage nach freien Wahlen stellen wollten, so frage ich: was wollen Sie denn damit erreichen, wen wollen Sie denn mit diesen Parolen überhaupt betören? Wir wissen doch alle, daß am 7. Oktober dieses Jahres das SowjetProtektorat ausgerufen worden ist. Wir haben in diesem Protektorat keine Wahlen gehabt. Und was Herr Gundelach hier sagte, daß am 15. Oktober 1950 Wahlen durchgeführt werden sollten, das glaubt doch in Berlin und in der Ostzone kein Mensch mehr.
Wie war es denn? Wir haben am 10. September und am 13. Oktober 1946 Wahlen gehabt, Wahlen, die unter den gleichen Verhältnissen wie unter dem Sozialistengesetz von 1878 bis 1890 durchgeführt wurden,
Wahlen, bei denen die Sozialdemokratische Partei völlig ausgeschaltet war.
- Das glauben Sie ja selbst nicht, was Sie eben mit dem Zwischenruf sagen! Ich stelle die Tatsachen fest. Im Herbst 1948 waren wiederum Wahlen fällig. Damals haben die Regierungen der fünf Länder der sowjetisch besetzten Zone erklärt, daß die Wahlen nicht durchgeführt werden könnten, da die Erntearbeiten dadurch behindert würden.
Das war im Herbst 1948. Ich weiß nicht, ob durch das Hennecke-System jetzt die Erntearbeiten so gelegt werden, daß Wahlen stattfinden können. Sie haben aber am 15. Mai 1949 wieder Wahlen durchgeführt. Diese Wahlen fanden doch in einer Form statt, daß man sie nur mit den Hitlerwahlen vergleichen kann. Der Wähler hatte nicht die Möglichkeit einer Wahl unter Listen. Der Wähler konnte nur Ja oder Nein sagen. Sie wissen selbst, daß es eine sehr kleine Minderheit war, die damals mit Ja stimmte. Und Sie wissen, daß die Regierung in der Nacht zum 16. Mai jene berühmte Änderung der Wahlvorschriften brachte: Wer sein Kreuz in das Nein-Feld gesetzt und dabei auch nur um einen Millimeter diesen Kreis überstrich, der hatte eben so gestimmt, daß das Nein-Kreuz ungültig sein sollte, also wiederum mit Ja gestimmt. Und trotzdem haben Sie unter diesen frisierten Verhältnissen nur 60 Prozent aller Stimmen für Ihr System aufbringen können. Jetzt kommen Sie und erklären, daß die Wahlen am 15. Oktober des nächsten Jahres die Möglichkeit geben, endlich zu einer Einheitlichkeit aller Auffassungen zu kommen.
Warum scheuen Sie denn in der Ostzone die Wahlen? Warum scheuen Sie sich denn in dem Gebiet davor, in dem Sie seit vier Jahren angeblich die Herrschaft des Volkes haben? Warum haben Sie nicht den Mut, das Volk zu fragen? — Weil Sie
genau wissen, daß, wenn einmal freie und allgemeine Wahlen in der Ostzone durchgeführt werden, Sie selbst Ihre Kandidaten in die Ostzone mitbringen müßten, weil Sie einfach als Partei ausgelöscht würden.
Darum haben Sie Ihr Terrorsystem, Ihr System, das eine Schande für die ganze Zivilisation ist. Deswegen haben Sie die gleichen Verhältnisse, die wir von 1933 bis 1945 verurteilt haben. Deswegen tragen die Konzentrationslager, die einmal als Symbol das Hakenkreuz trugen, heute Hammer und Sichel.
Sie haben erklärt, daß wir die Spaltung überwinden wollen, daß wir nicht gegeneinander, sondern miteinander arbeiten wollen. Wir lehnen jede Gemeinsamkeit mit Leuten, die heute noch KZ-Lager aufrechterhalten, ab.
Ein Konzentrationslager im Jahre 1949 ist eine
größere Anklage gegen die Menschlichkeit als alle
Konzentrationslager von 1933 bis 1945 zusammen.
Die Verhältnisse, die sich in den Konzentrationslagern abspielen, sind noch schandbarer als die in der Zeit unter Hitler. Damals hatten wir die Möglichkeit, aus den Gefängnissen, Zuchthäusern und Konzentrationslagern von Zeit zu Zeit Nachrichten zu senden und dort zu empfangen. Heute gibt es dies nicht. Heute gibt es kein Verfahren wie in irgendeinem Rechtsstaat. Heute verschwinden die Menschen, und niemals erfährt jemand etwas von dem Schicksal dieser Armen, die in die Hände der GPU und der Kommunisten geraten. Das ist die Tatsache, und Sie selbst wissen ja, daß Sie an diesen Verhältnissen schuld sind und daß Sie sich dadurch selbst aus der Gemeinschaft aller anständigen Menschen ausgeschlossen haben.
Das Potsdamer Abkommen sollte allen Deutschen die Möglichkeit bringen, sich demokratisch selbst zu entscheiden. Wie lang ist der Weg von 1945 bis 1949 ! Damals hatten Millionen den Glauben an die Demokratie, und diesen Glauben vernichten Sie tagtäglich durch Ihre Methoden, die Sie in der Ostzone anwenden. Heute, 1949, sollten sich alle Demokraten alliieren, indem sie versuchen, Deutschland zu einen und Europa dadurch den Frieden zu bringen. Wir haben in Berlin mit Ausnahme der kommunistischen Stimmen unsere neue Verfassung beschlossen, und in dieser neuen Verfassung haben wir im Vorspruch festgelegt: „In dem Willen, Freiheit und Recht jedes einzelnen zu schützen, Gemeinschaft und Wirtschaft demokratisch zu ordnen, dem Geist des sozialen Fortschritts und des Friedens zu dienen, und in dem Wunsch, die Hauptstadt eines neuen Deutschland zu bleiben, hat sich Berlin diese Verfassung gegeben."
- Sie rufen : Das können wir tun. In Berlin haben Ihre Freunde gegen diesen Vorspruch wie gegen die ganze Verfassung gestimmt. Wir alle sind uns klar darüber, daß es hier ja nur einer einfachen Zählung bedarf. Man braucht nur von 135 zu 136 zu gehen, um zu sehen, daß Sie hier nur einen Agitationsversuch machen, um draußen im Land Stimmen zu erreichen. Diese Stimmen werden Sie
nicht erreichen können. Wenn einmal im Ostsektorund in der Ostzone freie, gleiche, geheime Wahlen durchgeführt werden, dann.. zieht in das Bundeshaus in Berlin die Firma Renner und Co. nicht mehr mit ein.