Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a und 17 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Änderung des Versammlungsgesetzes
und des Strafgesetzbuches
– Drucksache 15/4832 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses
– Drucksache 15/5051 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Sebastian Edathy
Erwin Marschewski
Silke Stokar von Neuforn
Dr. Max Stadler
b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Wolfgang Bosbach, Hartmut Koschyk,
Thomas Strobl , weiteren Abgeordne-
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ten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrach-
ten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Gesetzes über befriedete Bezirke für Verfas-
sungsorgane des Bundes
– Drucksache 15/4731 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts-
ordnung
– Drucksache 15/5069 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Erika Simm
Thomas Strobl
Volker Beck
Jörg van Essen
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen undollegen! Sich über Rechtsextremismus berechtigter-eise zu empören reicht nicht; man muss ihn bekämp-en. Die Demokratie ist wehrhaft. Die Bundesrepublikat insofern ein Erbe von Weimar übernommen, als wirissen: Ein einmal erreichter Grad an Zivilisierung eineresellschaft ist nicht mit einer Ewigkeitsgarantie verse-en, sondern wir müssen gemeinsam Tag für Tag undahr für Jahr dafür arbeiten, dass demokratische Grund-erte gelebt werden können.Es sind in den letzten Wochen mehr oder minderextglückliche Vergleiche zwischen der BundesrepublikDeutschland heute und der Zeit der Weimarer Republikgezogen worden. Was wir von Weimar lernen können,ist sicherlich, dass eine Demokratie durch hohe Arbeits-losigkeit gefährdet wird. Ebenso wichtig ist aber, zurKenntnis zu nehmen, dass Weimar letztlich daran ge-scheitert ist, dass es zu wenig Demokraten und Demo-kratinnen gab, die zum Rechtsstaat gestanden haben, undsomit die Demokratie selber nicht hinreichend verteidigtworden ist.
Unsere Demokratie ist wehrhaft. Allein einige Mel-oche belegen das sehr eindrücklich: hat das Brandenburgische Oberlandes-ihe von jungen Männern wegen Bildungdungen dieser WAm Montaggericht eine Re
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Sebastian Edathyeiner terroristischen Vereinigung verurteilt. Diese Bandehatte den Vorsatz gefasst und auch konkret daran gear-beitet, ausländischen Mitbürgern in Brandenburg durchBrandanschläge die Existenzgrundlage zu nehmen.Am Mittwoch hat der Berliner Innensenator, HerrKörting, zwei neonazistische Kameradschaften auf derGrundlage des Vereinsrechts verboten. Ich begrüße dasfür die SPD-Fraktion ausdrücklich. Wer sich gegen dieGrundwerte unserer Verfassung richtet, der muss wissen,dass wir ihm dabei nicht tatenlos zuschauen, sondernhandeln.
Am Donnerstag hat der Bundesgerichtshof erfreuli-cherweise eine Entscheidung des Kammergerichtes vonBerlin aus dem Jahre 2003 bestätigt, die darin bestand,dass eine abscheuliche rechtsradikale Musikgruppeals kriminelle Vereinigung eingestuft wurde. Auch dieseBestätigung ist wichtig.Wir sind, liebe Kolleginnen und Kollegen, gleichwohldauerhaft gehalten, das Gesetzesinstrumentarium, daswir in Deutschland haben, laufend auf seine Tauglichkeitim Umgang mit den Feinden der Verfassung zu überprü-fen. Das enthebt uns nicht – das will ich hier deutlichzum Ausdruck bringen – der Pflicht, uns auch mit derÜberlegung zu befassen, wie wir es hinbekommen, dassjunge Menschen erst gar nicht anfällig werden fürrechtsextremistische Ideologien. Wir alle wissen, derRechtsextremismus in Deutschland ist erschreckendjung: Es handelt sich meist nicht um Ewiggestrige, son-dern häufig um Neugestrige, die da in Erscheinung treten.Ich hoffe, dass der Konsens, der sich bei der Verände-rung des Strafgesetzbuches und des Versammlungsrechtshinsichtlich unserer Abstimmung andeutet, auch imLaufe der nächsten Wochen und Monate bestehen wird,wenn es darum geht, Programme, Initiativen und Pro-jekte zu stärken, die sich gegen Rechtsextremismus,Fremdenfeindlichkeit und Gewalt einsetzen.
Meine Damen und Herren, Karl Jaspers hat einmalformuliert: „Es darf keine Freiheit geben zur Zerstörungder Freiheit.“ Das ist richtig. Gleichwohl gilt, dass auchRechtsextremisten, wenn sie nicht entsprechende Grund-rechte verwirkt haben, Grundrechtsträger sind. Das fest-zuhalten ist bisweilen schwer; aber es ist etwas, was unsvon den Totalitaristen qualitativ unterscheidet. Dasheißt, wir müssen uns, wenn wir über den Änderungsbe-darf im Strafgesetzbuch und im Versammlungsgesetz re-den, vor Augen halten, dass Grundrechte nach Art. 5 desGrundgesetzes – Meinungsfreiheit – und Art. 8 – Ver-sammlungsfreiheit – ein hohes Gut sind, das man, wieHeribert Prantl gestern in der „Süddeutschen Zeitung“zutreffend geschrieben hat,
„sGnwrBkncdbfShtsvgh§swöwaGsWDöddvseddpWtihWs
Ich will zunächst auf das Bezug nehmen, was wir füren Bereich des Strafgesetzbuches vorschlagen. Wir ha-en die Absicht, die bisherige Strafbarkeitsschwelleür Volksverhetzungstatbestände abzusenken von dertrafbarkeit der Leugnung des Holocaust, bei der sie bis-er liegt, auf öffentliche oder in Versammlungen getä-igte Äußerungen, die darin bestehen, dass das national-ozialistische Gewalt- und Unrechtsregime gebilligt,erherrlicht oder gerechtfertigt wird.Weil das vom Ansatz her ein nicht unerheblicher Ein-riff in die Wahrnehmung des Rechts auf Meinungsfrei-eit ist, haben wir gleichzeitig mit einem neuen Abs. 4 in130 Strafgesetzbuch Sicherungssysteme eingebaut, dieicherstellen, dass nur dann eine Strafbarkeit vorliegt,enn die Würde von Opfern gröblichst verhöhnt und derffentliche Friede gestört wird. Wir schlagen vor – ichill das vorlesen, weil das ein ganz wichtiger Punkt ist,uch für die heutige Debatte, der eine wesentlicherundlage darstellt und auch Auswirkungen auf das Ver-ammlungsrecht haben wird, über das wir in den letztenochen diskutiert haben –:Mit Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren oder mit Geld-strafe wird bestraft, wer öffentlich oder in einerVersammlung den öffentlichen Frieden in einer dieWürde der Opfer verletzenden Weise dadurch stört,dass er die nationalsozialistische Gewalt- und Will-kürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt.amit ist sichergestellt: Der Tatbestand der Störung desffentlichen Friedens muss erfüllt sein und die Störunges öffentlichen Friedens muss dadurch erfolgen, dassie Würde der Opfer verletzt wird.Nach unserem Dafürhalten wird diese Neuregelung inielen Gerichtsverfahren eine klare Grundlage für ent-prechende Entscheidungen bieten. Wir haben bislangine sehr gemischte Rechtsprechung. Das Parlament hatie große Chance, hier und heute deutlich zu machen,ass diejenigen, die unter Bezugnahme auf die Nazizeitositive Äußerungen dergestalt tätigen, dass sie dieürde der Opfer der Nationalsozialisten mit Füßen tre-en, sich nicht auf die Meinungsfreiheit berufen können,ndem wir eine ganz klare Trennlinie im Sinne der wehr-aften Demokratie aufzeigen und deutlich machen:er diese Grenze überschreitet, der macht sich künftigtrafbar.
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Sebastian Edathy
Meine Damen und Herren, die zweite Regelung, diewir hier zur Abstimmung vorschlagen, ist eine Verände-rung des Versammlungsgesetzes. In § 15 des Versamm-lungsgesetzes soll ein neuer Absatz eingefügt werden,der darauf Bezug nimmt, dass an bestimmten Orten,nämlich an Gedenkstätten von historischer, herausragen-der, überregionaler Bedeutung, dann eine Versammlungoder ein Aufzug verboten werden kann, wenn zu be-fürchten ist, dass durch die beantragte Versammlungoder den beantragten Aufzug die Würde der Opfer be-einträchtigt wird.Ein solcher Ort, für den Einschränkungen gemäß demeingefügten § 15 Abs. 2 des Versammlungsgesetzes ex-plizit gelten, ist das Denkmal für die ermordeten Judenin Berlin. Die Bundesländer können auf Grundlage derhistorischen und überregionalen Bedeutung von Ortenselber Gedenkstätten festlegen, für die dieser neue Pas-sus des Versammlungsgesetzes gelten soll. Wir habengroßes Vertrauen darin, dass unsere Kolleginnen undKollegen in den Landtagen mit dieser Regelung sehrverantwortungsbewusst, maßvoll und der Sache ange-messen umgehen werden.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir schlagen heutealso zwei Änderungen vor: eine Änderung im Bereichdes Strafgesetzbuches und eine Änderung im Bereichdes Versammlungsgesetzes. Es gehört zu einer leben-digen Demokratie, regelmäßig zu überprüfen, ob unsereGesetze ausreichen. Wir sind der Auffassung, dass diebeiden genannten Gesetze gemäß unseren Vorschlägenverbessert werden sollten. Aber man wird die Debattedarüber hinaus führen müssen.Ich will noch eine Bemerkung zum Abschluss ma-chen. Frau Bundesministerin Zypries, ich habe mit gro-ßem Interesse gelesen, dass Sie sich in dieser Woche öf-fentlich für eine Initiative ausgesprochen haben, dieSymbole und Zeichen der NS-Zeit und insbesondereder NSDAP EU-weit zu verbieten. Ich will Ihnen im Na-men der SPD-Bundestagsfraktion ausdrücklich unsereUnterstützung bei diesem Vorhaben aussprechen.Danke sehr.
Ich erteile das Wort Kollegen Wolfgang Bosbach,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es hat inden vergangenen Wochen über die geplanten Änderun-gen im Versammlungsrecht und im Strafgesetzbuch einelebhafte und auch kontroverse, aber zum größten Teilsachliche Debatte gegeben. Dabei gab es regelmäßigKsüoSandhsvnmvmuDPNdirWmriHtgsfNmBmAsdgsnhn
Eine wirklich wehrhafte Demokratie verdient diesenamen nur, wenn sie sich auch wehrt. Tut sie es nicht,ann ist sie auch nicht wehrhaft. Deshalb, Herr Bundes-nnenminister, war das Verbot der Zeitung „Vakit“ichtig.
ir verdanken dieses Verbot in erster Linie der Auf-erksamkeit der Kollegin Kristina Köhler, aber auch Ih-er raschen Reaktion. Angesichts der Tatsache, dass Sien den türkischen Medien beschimpft und als Adolfitler dargestellt werden und dass der Vorsitzende desürkischen Presserates sagt, Sie hätten Justizmord began-en, fühlt sich die Opposition mit beleidigt und stelltich ebenfalls vor diesen Innenminister.
Neonazis melden ihre Demonstrationen ganz bewusstür solche Tage und zu solchen Anlässen an, die an dieaziherrschaft erinnern sollen. Sie wählen für ihre Auf-ärsche bewusst sensible Orte wie beispielsweise dasrandenburger Tor. Bilder und Berichte von solchen De-onstrationen gehen um die Welt und beschädigen dasnsehen unseres Landes. Das Ansehen unseres Landesollte uns nicht egal sein. Es geht nicht nur darum, waser Staat und seine Institutionen aushalten können; eseht auch darum, wie solche Bilder und solche Aufmär-che auf die Opfer des Holocaust, auf die Hinterbliebe-en und auf die anderen Opfer von Gewalt- und Willkür-errschaft wirken. Deren Würde wollen wir mit demeuen Recht besser schützen.
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Wolfgang Bosbach
Meine Damen und Herren von der Koalition, umsomehr bedauern wir es, dass Sie sich nicht in der Lage se-hen, den befriedeten Bezirk „Deutscher Bundestag“ umdie Liegenschaft „Brandenburger Tor“ zu erweitern. Wirhaben die Anregungen und Bedenken und auch die Kri-tik der Sachverständigen, die sie in der Anhörung vorge-bracht haben, aufgenommen.
Wir haben unseren Gesetzentwurf geändert. Jetzt kannman nicht mehr mit verfassungsrechtlichen Bedenkenargumentieren. Wenn Sie dennoch dagegen argumentie-ren wollen, dann sollten Sie ehrlicherweise sagen: Wirwollen das Brandenburger Tor nicht schützen. – Das istehrlicher,
als verfassungsrechtliche Bedenken an den Haaren her-beizuziehen. Das ist ein ganz sensibler Bereich.Nach geltender Rechtslage schützen wir mit dem be-friedeten Bezirk „Deutscher Bundestag“ unter anderemdie Schweizer Botschaft, die Spree, das Parlament derBäume, das Sowjetische Ehrenmal und die DresdnerBank. Aber das eigentliche Ziel der Demonstrationenschützen wir nicht. Das halten wir für einen Fehler.
Deswegen sind wir nach wie vor der Auffassung, dassunser Gesetzentwurf richtig ist.
Dessen ungeachtet hoffen wir, dass solche Aufmär-sche am Brandenburger Tor durch die im Strafgesetz-buch und im Versammlungsgesetz vorgesehenen Ände-rungen zukünftig leichter verhindert werden können. Esist auch richtig, dass sich der Bundesgesetzgeber daraufkonzentriert, im Bundesrecht nur das Holocaust-Denk-mal in einen befriedeten Bezirk einzubeziehen. Ansons-ten entscheiden die Landesgesetzgeber zukünftig selber.Wir sind kein besserer Gesetzgeber. Wir gehen davonaus, dass die Länder – das war immer unser Vorschlag –verantwortungsbewusst mit dem neuen Recht umgehen.
Ich freue mich, dass es heute eine große Mehrheit fürdie Änderungen im Strafgesetzbuch und im Versamm-lungsrecht gibt. Wir beschwören oft die Gemeinsamkeitder Demokraten im Kampf gegen den politischen Extre-mismus von rechts oder links. Es ist gut, dass wir nichtnur darüber reden, sondern ihn heute auch praktizieren.Danke für das Zuhören.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unsereerfassung vertraut auf die Fähigkeit der Bürgerinnennd Bürger, sich mit extremen Positionen auseinander zuetzen. Nicht durch Verbote, sondern durch öffentlichentreit sollen politisch unerträgliche Meinungen abge-ehrt werden. Die Meinungsfreiheit findet dort ihrechranken, wo gleichwertige Rechtsgüter verletzt wer-en. Die Verletzung der persönlichen Ehre ist nicht er-aubt.Die von den Koalitionsfraktionen vorgeschlagenennderungen zum Versammlungsrecht und zum Straf-echt bewegen sich in diesem engen verfassungsrechtli-hen Rahmen. Wir beziehen uns auf den Schutz derürde der Opfer des Nationalsozialismus und wir haltenn dem Grundsatz fest, dass in dem sensiblen Bereicher Meinungsfreiheit primär nur Strafbewehrtes verbo-en werden kann.Mit unseren Änderungsanträgen stellen wir rechtzei-ig vor der Einweihung des Holocaust-Mahnmals sicher:m Mahnmal für die ermordeten Juden Europas duldenir keine Versammlung von Neonazis. Wir schützen hiernd an anderen herausragenden Orten des Gedenkensie Würde der Opfer des Nationalsozialismus.In Richtung FDP sage ich: Ihre Argumentation ist äu-erst widersprüchlich. Einerseits behaupten Sie: Derchutz der Orte des Gedenkens ist schon auf der Grund-age des heutigen Rechts möglich. Andererseits sagenie, wir gingen mit unseren Klarstellungen zu weit undeschädigten die Versammlungsfreiheit. Sie lehnen inhrem Entschließungsantrag die örtliche Beschränkunges Versammlungsrechts ab und haben gleichzeitig dierwartung, dass Neonazis nicht am Holocaust-Mahnmalemonstrieren dürfen.Meine Damen und Herren von der FDP, Sie haben of-enkundig den Sinn für die Verantwortung des Gesetzge-ers verloren. Wir wollen uns nicht auf ein diffusesichterrecht verlassen. Sie wissen sehr genau, wie wi-ersprüchlich die Rechtsprechung bei Verboten und Auf-agen ist.Wir – der Bundestag – müssen klipp und klar sagen:eonazidemonstrationen am Holocaust-Mahnmalnd an KZ-Gedenkstätten wollen wir nicht dulden.as ist unsere Verantwortung als Deutscher Bundestagnd damit als Gesetzgeber.
Die Liberalität des Versammlungsrechts bleibt durchie Neuregelung unangetastet. Eine Einschränkung derersammlungsfreiheit am Brandenburger Tor lehnen wirb. Entsprechende Anträge der Union, die Bannmeilees Bundestages bis zum Brandenburger Tor auszuwei-en, sind weder rechtlich mit dem Grundgesetz nocholitisch mit unseren Überzeugungen vereinbar. Wir
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Silke Stokar von Neufornschützen eben nicht die Spree, sondern wir schützen dieArbeitsfähigkeit des Bundestages.
Darin sind wir in der Sachverständigenanhörung auchsehr deutlich bestätigt worden.Ich möchte mich allerdings bei der Union ausdrück-lich für die konstruktiven Gespräche bedanken. Wir be-grüßen Ihre Bereitschaft, die Gesetzentwürfe von SPDund Grünen zu unterstützen. Eine breite Mehrheit desBundestages gibt heute den Opfern der NS-Gewalt dasSignal: Deutschland bleibt auch 60 Jahre nach Ausch-witz wachsam. Wir lassen nicht zu, dass die nationalso-zialistische Gewalt- und Willkürherrschaft verherrlichtund ihre Opfer verhöhnt werden. Ich begrüße es, dasssich eine breite Mehrheit des Bundestages gemeinsamauf dieses Signal verständigen kann.
Wir erweitern behutsam den Straftatbestand derVolksverhetzung. Wer die Verletzung der Würde vonNS-Opfern öffentlich billigt, rechtfertigt oder verherr-licht und dadurch den öffentlichen Frieden stört, mussmit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren rechnen.
Wir schaffen mit diesen Formulierungen im Gesetzauch eine erweiterte Grundlage für Auflagen oder Ver-sammlungsverbote. Gleichzeitig warnen wir vor einerfalschen Erwartungshaltung. Wir müssen auch den Bür-gerinnen und Bürgern in Wunsiedel offen und ehrlich sa-gen, dass die Gesetzeserweiterung zwar hilfreich ist,dass wir aber mit gesetzlichen Regelungen nicht generellein Verbot von NPD-Versammlungen in Wunsiedelerreichen können. Hier müssen wir andere Formen derUnterstützung der Menschen vor Ort finden. Insofernwäre es gut, wenn wir bei dem nächsten zu erwartendenEreignis im August – wenn kein Verbot möglich ist – an-wesend wären, um deutlich zum Ausdruck zu bringen,dass wir uns gegen solche Aufmärsche in Wunsiedel zurWehr setzen.Lassen Sie mich zum Schluss feststellen: Ich halte dieAnregung von Herrn Edathy für richtig, uns für eineuropaweites Verbot von Symbolen und Zeichen der NS-Zeit, insbesondere der NSDAP, einzusetzen.An den Bundesinnenminister gerichtet möchte ichnoch etwas anderes anregen. Damit wir nicht wartenmüssen, bis auf europäischer Ebene eine Einigung indieser schwierigen und sensiblen Frage zustande kommt,empfiehlt es sich vielleicht, zu prüfen, ob wir inDeutschland ein gesetzliches Einfuhrverbot für diese beiuns verbotenen Symbole und Zeichen besser durchset-zen können.Ich danke Ihnen.
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enn diese Änderungen sind erstens zum großen Teilicht notwendig, zweitens zum Teil nicht geeignet undrittens mit verfassungsrechtlichen Risiken und politi-chen Nebenwirkungen verbunden.
In der aktuellen Debatte geht es vor allem um dreiragen: den Aufmarsch von Neonazis vor dem Holo-aust-Mahnmal, den Marsch der NPD durch das Bran-enburger Tor am 8. Mai und die jährliche Rudolf-Heß-undgebung in Wunsiedel. In dem vorliegenden Gesetz-ntwurf lösen Sie zwei dieser drei Probleme gar nichtnd das einzige Problem, das Sie zu lösen vorgeben,ätte keiner gesetzlichen Neuregelung bedurft.
Mit diesem letzten Punkt meine ich den Aufmarschon Neonazis vor dem Holocaust-Mahnmal. Es wäreicht akzeptabel, wenn dort Neonazis demonstrierenürden. Darin läge ein Angriff auf die Menschenwürdeer Opfer und ihrer Angehörigen und auf die Würde desrtes. Daher kann eine derartige Demonstration vor demolocaust-Mahnmal schon nach geltendem Recht verbo-en werden.
uch die Sachverständigenanhörung des Bundestagesm letzten Montag hat klar ergeben: Dafür brauchen wireine Gesetzesänderung.
Damit komme ich zu den zwei der drei angesproche-en Probleme, die Sie nicht lösen. Ich gebe zu: Schwieri-er liegt der Fall zwar beim geplanten NPD-Marschurch das Brandenburger Tor; aber dieses Problemird durch den Gesetzentwurf von Rot-Grün nicht ge-öst.
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Dr. Max Stadler
Von der Union wird eine unpassende Lösung vorge-schlagen: die Ausdehnung des befriedeten Bezirks, dieverfassungsrechtlichen Bedenken begegnen würde.Daher muss ohnehin auf das geltende Recht zurück-gegriffen werden.
Ebenso wie der Berliner Senator Körting, wie Verfas-sungsexperte Professor Battis und wie Herr Wiefelspützvon der SPD ist auch die FDP der Überzeugung: Dasgeltende Versammlungsrecht reicht aus, um einen Auf-marsch der NPD durch das Brandenburger Tor am8. Mai zu verbieten. Von den Berliner Behörden erwar-ten wir, dass sie dieses Verbot aussprechen.
Diese unerträgliche Provokation hat mit dem Jahrestagder Beendigung der Naziherrschaft zu tun. Daher dürfenNeonazis an genau diesem Tag nicht durch das Branden-burger Tor marschieren. Aber wir können nicht schlecht-hin einen Ort, an dem so viele – auch kommerzielle –Veranstaltungen stattfinden, ausgerechnet von politi-schen Versammlungen freihalten; denn das wäre eine un-angebrachte Abwertung politischer Versammlungen undDemonstrationen.
Meine Damen und Herren, richtig ist, dass die Ver-sammlungen von Neonazis zum Gedenken an HitlersStellvertreter Rudolf Heß in Wunsiedel in den letztenJahren – im Gegensatz zu früher – von Gerichten gestat-tet worden sind. Sie, Rot-Grün und CDU/CSU, versu-chen nun, dem mit einer Änderung des Strafrechts entge-genzuwirken. Da in meiner Heimatstadt jahrelangBundesparteitage der DVU und der NPD stattfanden undauch ich dagegen demonstriert habe, sage ich ausdrück-lich: Ich wünsche den geplagten Bürgern von Wunsie-del, dass sie nicht mehr alljährlich von TausendenRechtsextremisten aus ganz Europa heimgesucht wer-den. Aber die FDP hat erhebliche Zweifel, dass diesdurch die Regelungen des vorliegenden Gesetzentwurfeszu gewährleisten ist; denn sein Wortlaut gibt dafür nichtsher.Erst in der Begründung Ihres Gesetzentwurfes wirderwähnt, dass die Verherrlichung von Personen ausder NS-Zeit strafwürdig ist. Wir werden sehen müssen,ob sich Gerichte damit zufrieden geben, dass Sie das,was Sie eigentlich regeln wollen, in die Begründung desGesetzestextes schreiben. Warum haben Sie das, was Siewollen, nicht in den Gesetzestext selbst geschrieben?Deswegen sage ich: Dieser Versuch ist untauglich.
Da Ihre Vorschläge teils unnötig, teils untauglich sind,stellt sich die Frage: Lohnt sich im Sinne vonMontesquieu dieser Aufwand, wenn auf der anderenSeite Risiken und Nebenwirkungen zu befürchten sind?SrdsmsLKgNcmzivsfulRGGs–EGmMGrIHnpsVfvaIh
Und es ist nicht die erste verfassungsrechtlich proble-atische Gesetzgebung der rot-grünen Koalition in die-er Legislaturperiode. Ich erinnere zum Beispiel an dasuftsicherheitsgesetz; ich erinnere an die automatisierteontenabfrage oder auch an einzelne Elemente der soenannten Antiterrorgesetzgebung. Das ist die politischeebenwirkung, auf die wir als Liberale aufmerksam ma-hen: Dieser Bundestag gewöhnt sich daran, immerehr in Grundrechte einzugreifen. Das ist in jedem Ein-elfall vielleicht sogar noch plausibel begründbar, abern der Summe ist es unserer Meinung nach eindeutig zuiel.
Die Grundrechte der Meinungsfreiheit und der Ver-ammlungsfreiheit sind von fundamentaler Bedeutungür jede Demokratie. Wenn also ein Eingriff in Art. 5nd Art. 8 des Grundgesetzes nicht zwingend erforder-ich ist, dann sollte man es lieber bei der geltendenechtslage belassen. Aber Sie gehen mit Ihrem heutigenesetzesbeschluss einen Schritt weiter, in Richtungesinnungsstrafrecht und Gesinnungs-TÜV im Ver-ammlungsrecht.
Jawohl, genau so ist es.
s ist doch gerade die freiheitssichernde Funktion derrundrechte, andere Meinungen und ihre öffentliche De-onstration zuzulassen und zu ertragen, soweit nicht dieenschenwürde Dritter verletzt wird.Ich erwähne das aus folgendem Grund: Jeder neuerundrechtseingriff ist eine gefährliche Gratwande-ung. Dem ersten Schritt folgt dann leicht ein zweiter.ch muss schon daran erinnern: Wir hatten hier imohen Hause auch schon Vorschläge zu diskutieren, wo-ach Versammlungen zu verbieten seien, die dem außen-olitischen Ansehen der Bundesrepublik Deutschlandchaden. Jeder erkennt: Wenn aus diesem Grund schonersammlungen verboten werden dürften, wäre das of-enkundig mit dem Grundsatz der Meinungsfreiheit un-ereinbar. So etwas steht heute nicht zur Abstimmung,ber dies zeigt: Es gibt auch solche weiter gehendendeen hier im Bundestag. Deswegen ist es richtig, heuteier den Anfängen zu wehren.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 164. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. März 2005 15353
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Dr. Max StadlerSie werden sehen, dass die Ausweisung versamm-lungsfreier Orte in sehr großer Zahl vorgenommen wer-den wird. Ein Bundesland hat schon jetzt, ehe das Gesetzerlassen worden ist, angekündigt, dem Landesgesetzge-ber 17 Orte vorzuschlagen, die versammlungsfrei seinsollen. Das zeigt: Es wird nicht dabei bleiben, dass nurausnahmsweise einzelne Orte von herausragender histo-rischer Bedeutung versammlungsfrei gestellt werden.Wenn das geschieht, was wir befürchten, dann ist diesnicht mehr mit der Brokdorf-Rechtsprechung des Bun-desverfassungsgerichts vereinbar, wonach man den Orteiner Demonstration frei wählen darf.Damit kein Missverständnis entsteht: Es gibt einegroße Gemeinsamkeit hier im Parlament, den Rechts-extremismus politisch zu bekämpfen.
Aber es muss erlaubt sein, darauf hinzuweisen, dassjuristische Maßnahmen in diesem politischen Kampf ge-gen Rechtsextreme wenig bringen. Das haben wir dochbeim gescheiterten NPD-Verbotsverfahren gesehen.
Wir als FDP sind der Überzeugung, dass man Rechts-extremismus nicht dadurch wirksam bekämpft, dass mandas für alle Bürgerinnen und Bürger geltende Versamm-lungsrecht einschränkt. Daher ist die von Ihnen vorge-schlagene Verschärfung des Versammlungsrechts derfalsche Weg in der Auseinandersetzung mit den Rechts-extremisten.Vielen Dank.
Das Wort hat nun Kollegin Cornelie Sonntag-
Wolgast, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen!Man sieht: Ein Wechselbad der Kommentare begleitetunsere heutige Debatte. Die einen, Herr Kollege Stadler,vermissen den „Aufstand der Anständigen“ und die an-deren werfen uns Hysterie oder Eiferertum vor und ver-langen mehr Gelassenheit.Ich will uns einmal vor Augen führen, welche Situa-tion wir antreffen. Die rechtsextreme Szene hat weiter-hin Zulauf. Seit Jahren organisieren ihre RädelsführerAufmärsche, gegen die sich die Bürger wehren müssen,mit Gegenkundgebungen, mit bunten Festen, so gesche-hen in Elmshorn, Nortorf, Passau, Wunsiedel und vielenanderen Orten. Die NPD festigt ihre Strukturen in Sach-sen: Sie wird professioneller und entwickelt eine ge-radezu perfide Sachkenntnis in Rechtsfragen. Mit demEklat im Dresdner Landtag Ende Januar hat sie die Leit-melodie der Gedenkfeiern zum 60. Jahrestag des Kriegs-endes in ihrer Weise intoniert. In München entlarvt derProzess gegen Führungskader der so genannten Kame-radschaft Süd einen geplanten Anschlag bei der Grund-sIBDdHUhgsdteihtecmGdTcwlugDSwmSdbs–BvmFubfDvmNdewffnaf
m Ihr Wort „Wehret den Anfängen!“ aufzunehmen: Ichabe geschildert, welche Anfänge wir meinen und woge-en wir uns mit den Mitteln der Demokratie zur Wehretzen wollen.
Es wird keine Gesinnungsverfolgung geben. Wir wer-en es weiterhin erleben müssen, dass Rechtsextremis-n böswillig die Geschichte verzerren, dass sie sich aufre wirre Art zum Anwalt der angeblich sozial Entrech-ten aufspielen, dass sie mit Antiglobalisierungssprü-hen auf die nationalistische Pauke hauen. Das allesuss eine gefestigte Demokratie ertragen. Denn dierundprinzipien der Freiheit gelten auch für diejenigen,ie sie zerstören wollen.Aber eine gefestigte Demokratie muss Grenzen ihreroleranz ziehen können. Die verlaufen dort, wo Unsägli-hes in Unerträgliches mündet. Das ist dann der Fall,enn dem hohen Gut der Meinungs- und Versamm-ngsfreiheit etwas gleichermaßen Schützenswertes ge-enübersteht: die Würde der Opfer der NS-Diktatur.as ist das Signal, das wir heute setzen. Herr Kollegetadler, das Versammlungsrecht geht nicht zugrunde,enn Neonazis nicht grölend am Mahnmal für die er-ordeten Juden vorbeiziehen dürfen, weil das untertrafe steht. Es wird auch nicht beschädigt, wenn einer,er die Untaten der Nationalsozialisten billigt oder beju-elt, bestraft werden kann.Das Städtchen Wunsiedel wird Jahr für Jahr von Tau-enden Rechtsradikaler aus ganz Europa heimgesuchtso kann man ruhig sagen –, die dort mit wachsendereteiligung einen Rudolf-Heß-Glorifizierungsmarscheranstalten.Ich habe schon im vergangenen Sommer gemeinsamit meinen Kolleginnen Petra Ernstberger und Gabrieleograscher darauf gedrängt, den Kommunalpolitikernnd vielen anderen, die sich dagegen zur Wehr setzen,ei ihren Protestaktionen Schützenhilfe zu leisten. Ichand es eindrucksvoll, wie sich eine 30- bis 40-köpfigeelegation aus Bürgermeister und Landrat, Vertreternon Schulen und Kirche nach Berlin auf den Wegachte, um uns im Innenausschuss in Wort und Bild ihreöte zu schildern. Wir haben das eindringliche Plädoyeres Wunsiedeler Landrats bei der Expertenanhörungrlebt und uns dann die Köpfe darüber zerbrochen, wieir ihnen zu einem verfassungsfesten Verbot dieser per-iden Treffen verhelfen können. Eine Garantie dafür lie-ert unser Vorschlag zur Verschärfung des Strafrechtsicht, aber immerhin eine erleichterte Handhabe. Meinusdrücklicher Respekt gilt allen Wunsiedelern, die sichür ihre Sache so hartnäckig ins Zeug gelegt haben.
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15354 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 164. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. März 2005
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Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast
Ich freue mich, dass unsere Gesetzesänderung eine sobreite parlamentarische Mehrheit findet. Das ist eingutes Signal der wehrhaften Demokratie. Eines ist aller-dings auch klar: Nach getaner Gesetzesänderung dürfenwir uns bestimmt nicht aufs Ruhekissen legen: Das Ge-dankengut der rechtsextremen Wirrköpfe und die Anste-ckungsgefahr, gerade für junge Leute, ist keineswegs ge-bannt. Es mag ja sein, dass Angst und Unsicherheit dafürden Nährboden bilden können. Aber, liebe Kolleginnenund Kollegen, wir müssen auch immer wieder deutlichmachen: Kein noch so trister Alltag, keine noch soschwierige Suche nach Arbeit oder Ausbildung rechtfer-tigt es, sich den Antisemiten, den Rassisten und den Ver-fassungsfeinden anzuschließen.
Gott sei Dank sind viele Bürger wachsamer und sen-sibler geworden. Sie sind gemeinsam mit uns allen dazuaufgerufen, mit Argumenten und Aktionen gegenzusteu-ern: in den Familien, in den Sportvereinen, in den Ju-gendzentren und vor allem in den Schulen. Das alles isteine nachhaltige Aufgabe. Es gibt jede Menge Vor-schläge, Ideen und Möglichkeiten des Engagements.Stützen wir zum Beispiel das Bündnis für Demokratieund Toleranz und sorgen wir als Parlamentarier dafür,dass die Bundesprogramme „Civitas“ und „Entimon“finanziell dauerhaft auf einer verlässlichen Grundlagestehen!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben keine„Lex 8. Mai“ gemacht, aber dieses Datum wird die Be-währungsprobe für das zivile Engagement im demokrati-schen Rechtsstaat.Wir haben mit gutem Grund und bestätigt durch dieExperten im Hearing davon abgesehen, die Bannmeilezu verändern und das populärste Bauwerk Berlins zumpolitikfreien Raum zu machen. Ich bin mir ziemlich si-cher – ziemlich! –, dass am 8. Mai keine Fahnen derJungen Nationaldemokraten am Brandenburger Tor flat-tern werden. Ich hoffe, das ist mit einer guten Portionpragmatischer und sachkundiger Begründung zu verhin-dern.Mindestens ebenso wichtig ist aber auch die Präsenzder demokratischen Öffentlichkeit. Viele Menschenmüssen dastehen: Alte und Junge, Unbekannte und Pro-minente, vor allem auch die Meinungsführer aus Politik,Kunst, Wirtschaft, Gewerkschaften, Religionsgemein-schaften und Sport. Sie müssen sich den Krakeelern undHetzern, wenn sie denn da sein sollten, friedlich und ru-hig entgegenstellen und sagen: Wir besetzen diesen öf-fentlichen Raum und ihr habt keine Chance, weder amBrandenburger Tor noch anderswo.Ich bedanke mich.dKmJrttgdilGghsfsluwPTlupEezsLIgdFuemPd
Ich erteile das Wort dem Bayerischen Staatsminister
es Innern, Günther Beckstein.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren,olleginnen und Kollegen! Hohes Haus! Die Innen-inister der Länder haben sich in den vergangenenahren immer wieder mit der Frage des Versammlungs-echts beschäftigt. Insbesondere hat es die Innenminis-erkonferenz bereits am 24. November 2000 für gebo-en erachtet, Versammlungen verbieten zu können, dieegen die Grundlagen der menschlichen Gemeinschaft,es Friedens und der Gerechtigkeit gerichtet sind undnsbesondere die Gewalt- und Willkürherrschaft verherr-ichen oder verharmlosen.Das Versammlungsrecht, das wir als ein elementaresrundrecht kennen und schätzen, hat in der Tat eineroße Bedeutung. Wir wissen um die engen Zusammen-änge zwischen der Meinungsfreiheit und dem Ver-ammlungsrecht. Das Versammlungsrecht stellt geradeür denjenigen, der keine großen Gelegenheiten hat,eine Meinung über die Medien kundzutun, eine Mög-ichkeit dar, in der Demokratie Einfluss zu nehmen. Innseren juristischen Seminaren in der Ausbildung habenir deswegen gelernt: Das Versammlungsrecht ist dieressefreiheit des kleinen Mannes.
rotzdem ist auch dieses wichtige Recht selbstverständ-ich nicht schrankenlos.
Es gibt in mehreren Ländern, gerade aber auch beins in Bayern, Erscheinungen, die als außerordentlichroblematisch angesehen werden müssen.
s ist außerordentlich unerfreulich, wenn die Polizei inine Auseinandersetzung geschickt werden muss und ge-wungen ist, eine Versammlung zu schützen, weil einer-eits Rechtsextremisten demonstrieren und andererseitsinksextremisten und Autonome das verhindern wollen.nsbesondere die Einstellung der jungen Polizisten – esibt ja nicht nur die 50-jährigen Polizeibeamten – wirdurch Sprechchöre wie „Deutsche Polizisten schützenaschisten!“ außerordentlich beeinträchtigt. Das ist sehrnerfreulich.
Jedes Jahr im August kommen Tausende von Rechts-xtremisten aus ganz Europa nach Wunsiedel. Dortüssen dann zwangsläufig natürlich auch Tausende vonolizeibeamten eingesetzt werden, um die Gegen-emonstrationen von Bürgerlichen, die für die freiheitli-
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 164. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. März 2005 15355
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Staatsminister Dr. Günther Beckstein
che Demokratie eintreten, zu schützen und die Trennungzwischen den Rechtsextremen und den Autonomen bzw.den Leuten, die dem linksextremen Bereich zuzuordnensind, sicherzustellen. Die Stadt befindet sich dann quasiin einem Bürgerkriegszustand, wie das der Bürgermeis-ter von Wunsiedel immer wieder dargestellt hat.Herr Kollege Körper hat mit mir an einer eindrucks-vollen Veranstaltung in Wunsiedel teilgenommen underlebt, wie das die Bürger sehen, die im August ihreHäuser zusperren und zum Teil die Stadt verlassen, weilsie derartige Erscheinungen nicht miterleben wollen. Ichmeine, jeder muss sehen, dass hier Grenzen überschrit-ten werden und dass der Staat zu reagieren hat, damitsich die überwiegende Mehrzahl der Bürger vom Staatnicht verlassen fühlt.
Herr Kollege Stadler, ich bin davon überzeugt, dassauch Sie hier die Notwendigkeit einer Regelung betonenwürden, wenn Sie dies in Wunsiedel selbst miterlebt hät-ten. Denn es ist eben nicht gelungen, mit Versammlungs-verboten diesen Aufmarsch zu verhindern. Die Verbote,die vom Landratsamt äußerst sorgfältig begründet wor-den sind, haben mehrfach gehalten. Aber durch sich seit2000 laufend verschärfende Rechtsprechungen des Bun-desverfassungsgerichts sind mehrfach OVG-Entschei-dungen aufgehoben worden. Darum halte ich es für ein-deutig, dass der Gesetzgeber reagieren muss, um das,was er für wünschenswert hält, durchzusetzen.
Wir haben deswegen als Innenminister den Vorgangbegleitet, um Vorschläge in diesem sensiblen Bereich zuerarbeiten, und im Herbst des vergangenen Jahres ab-schließende, übereinstimmende Vorschläge vorgelegt.Wir waren dann etwas überrascht, dass es Monate ge-dauert hat, bis die Bundesregierung reagiert hat. Im No-vember hatte der Bundesinnenminister angekündigt,dass kurzfristig ein Vorschlag gemacht werde.
Dieser Vorschlag ist dann von Frau Zypries und HerrnSchily vorgelegt worden; das haben wir begrüßt.Ich war etwas überrascht, als Rot-Grün dann die ei-gene Regierung zurückgepfiffen hat. Das ist schon er-staunlich.
Immerhin haben die Justizministerin und der Bundes-innenminister Regelungen vorgestellt, die mit den Bun-desländern erarbeitet und allseits als verfassungsrecht-lich unbedenklich angesehen worden sind. Dass solcheRegelungen dann zurückgepfiffen werden, ist erstaun-lich; allerdings nicht nach den Erlebnissen, die wir in derVergangenheit hatten. So etwas ist nämlich immer wie-der einmal passiert. Wir meinen aber, dass die Regelun-gen, die jetzt gefunden wurden, in die richtige RichtungghdlAnhDr–dBnbiwdnsWWgdavdsmWwlhDfuRMwlaaOrJg
enn in § 130 wird der Begriff der Verharmlosung be-eits heute verwendet, und zwar unbeanstandet.
Wenn er auf die Frage des Holocaust Anwendung fin-en soll, dann verstehe ich nicht, warum ein solcheregriff im Zusammenhang mit der Verherrlichung derationalsozialistischen Gewaltherrschaft plötzlich pro-lematisch sein soll. Denn wenn der Begriff unscharf ist,st er auch bei der Frage des Holocausts unscharf. Des-egen verstehe ich das nicht.Ich sage: Es wäre richtig gewesen, in § 130 Abs. 4en Begriff „Verharmlosung“ mit aufzunehmen und ei-en entsprechenden Tatbestand unter Strafe zu stellen,odass dies dann im Bereich des Versammlungsrechtesirkung entfaltet.
Ich meine, auch die Risiken im Zusammenhang mitunsiedel könnten bei einer solchen Regelung eher be-renzt werden, als das jetzt der Fall ist. Ich hoffe sehr,ass die jetzt getroffene Regelung auch für Wunsiedelusreichend ist. Denn in der Tat: Wenn der Hitler-Stell-ertreter ohne jede Kritik sozusagen verherrlicht wird,ann ist das auch eine Verherrlichung der Gewaltherr-chaft. Aber es sind jetzt durchaus Gestaltungsformenöglich, durch die ein Einschreiten sehr schwierig wird.ir müssen hoffen, dass Gerichte dem Rechnung tragen,as der Gesetzgeber gewollt hat. Ich will hier ausdrück-ich festhalten, dass das gesamte Hohe Haus die Absichtat, mit der jetzt zu treffenden Regelung gerade auch dieemonstrationen der vergangenen Jahre in Wunsiedelür verbotsfähig zu erklären. Das ist für uns ganz wichtignd gewissermaßen der Ausgangspunkt, um dieseregelung zustimmen zu können.
an hätte sicher leichter zum Ziel kommen können,enn man ausdrücklich auch den Begriff der Verharm-osung aufgenommen hätte. Denn dann wäre meines Er-chtens kein Zweifel mehr möglich.Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen,uch die zweite Regelung, die sich mit den befriedetenrten beschäftigt, geht aus meiner Sicht zwar in dieichtige Richtung, ist aber durchaus verbesserungsfähig.etzt wird eine Regelung getroffen, die das Brandenbur-er Tor nicht erfasst. Aber das betrifft nicht den Freistaat
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Staatsminister Dr. Günther Beckstein
Bayern; darum möchte ich mich nicht in erster Linie da-mit beschäftigen.
Es betrifft jedoch jedes Bundesland, wenn Bilder diesesdeutschen Symbols in einer Weise durch die Welt gehen,die wir so nicht wollen.Meine Ausführungen sollen sich schwerpunktmäßigmit der Anwendung für die Zukunft beschäftigen. Esheißt, dass Gedenkstätten von historisch herausragender,überregionaler Bedeutung befriedete Orte sind. Was indiesem Zusammenhang „historisch herausragend“ be-deutet, ist nicht ganz einfach zu erläutern. Ist das Doku-mentationszentrum auf dem Reichsparteitagsgelände inNürnberg etwas historisch Herausragendes, ist das vonüberregionaler Bedeutung? Die Beantwortung dieserschwierigen Fragen überlassen Sie den Ländern, schrän-ken sie aber insoweit ein. Ich bin allerdings froh darüber,dass die Länder die Möglichkeit bekommen, weitereOrte festzulegen. Ich bedauere es jedoch, dass dies nurmit einem förmlichen Gesetz möglich ist; denn geradedie Abgrenzung hätte ein Verordnungsgeber ohne weite-res besser als der förmliche Gesetzgeber durchführenkönnen.Insgesamt geht diese Verschärfung des Versamm-lungsrechts in die richtige Richtung. Deswegen stimmenwir zu. Wir müssen uns mit dem Rechtsextremismusmassiv auseinander setzen. Derzeit läuft in München derProzess gegen die „Kameradschaft Süd“ und HerrnWiese. Ich füge hinzu: Deren Straftaten konnten, so diePolizei, nur durch Maßnahmen des großen Lauschan-griffs, die heute nicht mehr zulässig wären, verhindertwerden.
Wir haben hier ganz bewusst Maßnahmen des großenLauschangriffs eingesetzt. Nur dadurch konnten dieseStraftaten verhindert werden.Wir brauchen die Auseinandersetzung mit denRechtsextremisten. Allerdings ist eine Auseinanderset-zung mit dem Extremismus insgesamt notwendig; dennRechtsextremismus und Linksextremismus sind oft nahbeieinander. Die Person des Herrn Mahler führt das ein-drucksvoll vor. In dieser Auseinandersetzung ist das vor-liegende Gesetz ein Baustein. Aber selbstverständlichbrauchen wir darüber hinaus weitere Maßnahmen, diewir gemeinsam auf den Weg bringen werden.Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich erteile das Wort Kollegen Christian Ströbele,Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.GuOtÄbnGßvErabgOsgVgudnkZAdahzdndrvddsdSegEsvs
Guten Morgen, Herr Präsident, verehrte Kolleginnennd Kollegen! Herr Kollege Stadler, das war nicht inrdnung: Wider besseres Wissen haben Sie hier behaup-et, uns gehe es um Gesinnungsstrafrecht oder etwashnliches. Sie wissen, dass das nicht stimmt. Wir ver-ieten keine Gesinnung. Das wollen wir nicht, das kön-en wir nicht und das dürfen wir nicht. Nicht einmal dieesinnung von Neonazis wird verboten.Es gibt aber Gesinnungen, die dann, wenn sie geäu-ert werden, die Würde anderer Menschen dermaßenerletzen, dass das strafwürdig ist.
s kann doch nicht sein, dass wir alle uns dagegen weh-en können, wenn wir im Privatleben beleidigt werden,lso unsere Würde angegriffen wird, es aber straffreileibt, wenn im öffentlichen Raum – auf Versammlun-en oder öffentlichen Veranstaltungen – die Würde vonpfern nationalsozialistischer Gewalt und Willkürherr-chaft dramatisch verletzt wird. Hier müssen wir mitleichem Maß messen und dies unter Strafe stellen.
Das, was wir an Änderungen vornehmen, ist keineerschärfung des Versammlungsgesetzes, sondern eseht uns bei den beiden Vorschriften, im Strafgesetzbuchnd im Versammlungsgesetz, um den besseren Schutzer Würde der Opfer des Nationalsozialismus, umichts anderes. Das ist richtig und wichtig. Auch in Zu-unft wird es in Deutschland keine demonstrationsfreienonen geben. Das gilt auch für das Holocaust-Denkmal.uch dort dürfen Versammlungen und Aufzüge stattfin-en. Sogar Neonazis dürfen dort demonstrieren. Was sieber nicht dürfen, ist, in einer Art und Weise oder mit In-alten zu demonstrieren, die die Würde der Opfer verlet-en. Dagegen wehren wir uns und dagegen richten sichie Klarstellungen im Versammlungsgesetz und dieeuen Bestimmungen im Strafgesetzbuch. Um nichts an-eres geht es hier.Herr Kollege Stadler, Sie wissen, dass in der Anhö-ung hier im Deutschen Bundestag auch von den Sach-erständigen gesagt worden ist: Wenn wir als Schutzgutie Würde der Opfer entsprechend der Rechtsprechunges Bundesverfassungsgerichts aufnehmen, dann sindolche Regelungen, wie wir sie jetzt im Strafrecht und inas Versammlungsrecht einführen, zulässig.
ie sind dann nach dem Grundgesetz hinnehmbar. Dasntspricht der Rechtsprechung des Bundesverfassungs-erichts etwa zur Leugnung des Holocaust. Auf dieserbene bewegen wir uns. Deshalb kann man diese Ge-etze, wie wir sie heute einbringen und im Bundestagerabschieden werden, durchaus vertreten.Ich sage den Kolleginnen von der PDS: Es kann nichtein, dass Sie mit den Antifas zu Gegendemonstrationen
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Hans-Christian Ströbelezu Neonaziaufmärschen aufrufen und auf entsprechen-den Veranstaltungen verlangen, dass Demonstrationendieser Art verboten werden, sich aber dann, wenn imBundestag die gesetzlichen Voraussetzungen dafür prä-zisiert werden sollen, dagegen aussprechen. Das ist nichtehrlich und das ist nicht folgerichtig. Das ist wider-sprüchlich. Da sollten Sie Ihre Auffassung einmal über-prüfen.
Hier geht es jetzt ausdrücklich und ausschließlich umden Schutz der Opfer des Nationalsozialismus, nichtmehr – wie es früher einmal im Gesetzwurf vorgesehenwar – um die Opfer anderer Völkermorde. Das habenwir extra herausgenommen, um in der Diskussion nichtsdurcheinander zu bringen.
Deshalb: Zeigen Sie, dass Sie Antifaschisten sind undstimmen Sie diesem Gesetz zu!
Jetzt komme ich zu dem Antrag der Union. Wir wol-len keine Bannmeile um das Brandenburger Tor. Wirlehnen auch den neuen Antrag zur Erweiterung des be-friedeten Bereichs über den jetzigen Bereich hinaus rundum das Brandenburger Tor herum ab. Wir verteidigendas Demonstrationsrecht an diesem wichtigsten Ort inDeutschland. Wir sagen allen, die vielleicht jetzt in derDiskussion nicht mehr auseinander halten können, wassie in Zukunft dürfen und was sie nicht dürfen: Wer amBrandenburger Tor morgen, übermorgen oder in dennächsten Jahren demonstrieren will, der kann dort de-monstrieren. Er kann dort uneingeschränkt demonstrie-ren und nicht unter anderen Voraussetzungen, als sieheute schon gegeben sind.
Auch in Zukunft ist es nicht notwendig – so wäre esnach Ihrem Gesetzentwurf –, dass die Leute etwa beimBundesinnenminister um Erlaubnis fragen müssen, obsie am Brandenburger Tor demonstrieren dürfen.
Das wollen wir nicht. Wir wollen diesen Demonstra-tionsort für alle erhalten. Wir sind die Verteidiger des un-eingeschränkten Demonstrationsrechts und das werdenwir bleiben.
KrAtlgWGdGzgvlnlGhdgnDiwdswhmn
Ich jedenfalls möchte Ihre Formulierung „Zeigen Sie,
ass Sie Antifaschisten sind und stimmen Sie diesem
esetzentwurf zu!“ für die FDP in aller Entschiedenheit
urückweisen. Wir sind gegen jeden Extremismus und
egen jeden Faschismus, übrigens nicht nur gegen den
on rechts, sondern auch, Herr Kollege, gegen den von
inks. Trotzdem stimmen wir diesem Gesetzentwurf
icht zu.
Zu einer Reaktion haben Sie jetzt Gelegenheit, Kol-ege Ströbele.
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIERÜNEN):Herr Kollege Westerwelle, wenn Sie genauer zuge-ört hätten, dann hätten Sie festgestellt, dass ich michagegen gewehrt habe, dass der Kollege Stadler uns vor-eworfen hat, wir würden mit diesem Gesetz Gesin-ungsstrafrecht betreiben.
agegen wehre ich mich, weil es nicht wahr ist und weilch weiß, dass der Kollege Stadler weiß, dass das nichtahr ist. Das hat mit Gesinnungsstrafrecht nichts zu tun.Wenn ich hier die Aufforderung ausgesprochen habe,ass die Kolleginnen von der PDS, die sich als Antifa-chisten bezeichnen, diesem Gesetz zustimmen müssen,enn sie ihrem Anspruch gerecht werden wollen, dannat das überhaupt nichts damit zu tun, dass ich irgendje-anden in eine braune Ecke stellen will, Sie schon garicht.
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15358 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 164. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. März 2005
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Ich erteile das Wort Kollegen Jürgen Gehb, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn sichHerr Westerwelle nicht zur Intervention gemeldet hätte,hätte ich die Gelegenheit genutzt, das richtig zu stellen.Dass er sich gemeldet hat, entbindet mich von dieserPflicht. So muss das sein. Auf der anderen Seite – dasgebe ich auch zu –: Der Begriff Gesinnungsstrafrecht– selbst wenn Sie, Herr Stadler, gesagt haben, das sei einSchritt in diese Richtung – dient nicht dazu, ein bisschendas Timbre herunterzusetzen.
Meine Damen und Herren, Innenminister Becksteinhat eben schon gesagt, wir diskutierten hier nicht zumersten Mal die Frage, wie das Versammlungsrecht ver-schärft oder verändert werden kann. Ich meine, wir ha-ben einen unbestimmten Rechtsbegriff in § 15 des Ver-sammlungsgesetzes. Danach sind Versammlungen zuverbieten oder an Auflagen zu binden, wenn sie gegendie öffentliche Sicherheit und Ordnung verstoßen. Nunist das ein weites Feld für die Kasuistik sowohl derInstanzgerichte als auch des Bundesverfassungsge-richts. Wir versuchen seit geraumer Zeit, bei diesem un-bestimmten Rechtsbegriff ein bisschen Butter bei dieFische zu tun, ihn mit Fleisch anzufüttern. Deswegen istjetzt in § 15 des Versammlungsgesetzes etwa ein Verbotvon Versammlungen insbesondere an bestimmten Ortenvorgesehen.Nun muss ich sagen: Die Anhörung in der letzten Wo-che – jeder nimmt offenbar irgendeinen für sich alsKronzeugen – hat die breite Palette aller Auffassungendargelegt.
Ich erinnere mich an Herrn Battis, der gesagt hat, erkönne sich auch vorstellen, dass es bei der geltenden Ge-setzeslage bleibt. Dann gab es andere, die gesagt haben,es hätte gereicht, wenn man nur an der Schraube desVersammlungsrechts gedreht hätte. Übrigens wäre dasauch mir näher gekommen. Die – nicht extreme – ganzandere Position ist, sowohl das Versammlungsrecht alsauch das Strafrecht zu ändern. Das ist der Gesetzent-wurf, den wir heute hier beraten und dem wir auch zu-stimmen.Meine Damen und Herren, wo sind die Vor- undNachteile? Das soll hier heute keine Rechtsvorlesungsein, sondern wir machen Rechtspolitik. Dennoch mussman, um das einmal den Leuten klarzumachen, sagen,wo die Gefahren liegen. Sicherlich wäre es unseriös,heute hier aufzutreten und zu sagen: Mit diesem Gesetz-entwurf ist ein für alle Mal jeder Aufmarsch der Nazisunterbunden; er ist verfassungsfest und auch gerichts-fest. – Damit würden freilich falsche Begehrlichkeitengeweckt und wir liefen Gefahr, wenn es keinen Bestandvor den Gerichten hat, noch schlechter dazustehen alsjvtvrbowshnIwgnhzlmsVrvtutglHddEfwkniBgddNdknnmdeEBer
Andererseits dürfen wir aber auch nicht bei jedemerbleibenden Rest an Bedenken sofort unsere legislato-ischen Maßnahmen runterschrauben auf null, quasi ge-annt wie das Häschen vor der Schlange nach Karlsruheder auch zu den Instanzgerichten schauen: Wird dasohl Bestand haben? Alle Sachverständigen haben ge-agt, eine Garantie, dass das vor dem Verfassungsgerichtält, könnten sie nicht geben. Sie dürften sie auch garicht geben, denn in Deutschland gibt es nur eine einzigenstitution, die feststellen kann, ob etwas verfassungs-idrig ist oder nicht: Das ist das Bundesverfassungs-ericht. Selbst dort ist in den Senaten die Entscheidungicht immer unisono, sondern – wir wissen es alle – wiraben knappe Entscheidungen von vier zu vier über fünfu drei bis sieben zu eins, acht zu null. Die gesamte Pa-ette ist möglich. Niemand soll für sich in Anspruch neh-en, er hätte nun die Weisheit für sich gepachtet.Meine Damen und Herren, gerade das Bundesverfas-ungsgericht hat in seiner neueren Rechtsprechung zumersammlungsrecht eine Grenze des Versammlungs-echts in den Strafgesetzen gesehen. Nur warne ich da-or, grundrechtswidrige Eingriffe etwa dadurch rechtfer-igen oder nobilitieren zu wollen, dass man sie einfachnter Strafe stellt. Die bloße Pönalisierung von Verhal-en, auch von Meinungsäußerungen, wird nicht deshalbrundrechtskonform, weil man es unter Strafe stellt. Al-erdings ist hier doch etwas anders gemacht worden,err Stadler: Man hat es nicht dabei bewenden lassen,ie bloße Artikulation von Meinungen strafbewehrt wer-en zu lassen, sondern man hat den Tatbestand um zweirfolgsmerkmale ergänzt, nämlich die Störung des öf-entlichen Friedens und die Verletzung der Menschen-ürde. Da gibt es eigentlich an der Verfassungsmäßig-eit keine signifikanten Bedenken. Ich will mich jetzticht selbst einreihen und sagen, ob es verfassungsmäßigst oder nicht, obwohl ich eben gesagt habe, außer demundesverfassungsgericht könne das keiner machen. Esibt aber keine durchgreifenden Bedenken. Das ist aller-ings durchgängig von den Gutachtern auch gesagt wor-en, namentlich von Herrn Professor Poscher, von Herrnack und von den anderen auch.Ich sehe eine kleine andere Schwierigkeit, bedingt da-urch, dass ich hauptberuflich damit sowohl in der Exe-utive als auch in der Judikative bereits befasst war,ämlich die Frage: Wie soll eigentlich ein Beamter in ei-er Versammlungsbehörde prognostizieren, ob ein Auf-arsch und eine Versammlung der Neonazis – erstens –en öffentlichen Frieden stört, und das – zweitens – ininer die Würde der Opfer verletzenden Weise?in Strafgericht kann das besser, weil es eine Ex-post-etrachtung vornimmt. Da wird durch den Staatsanwaltrmittelt. Es gibt einen Referendar, der das Votum vorbe-eitet. Dann beugen sich drei Berufsrichter darüber.
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Dr. Jürgen GehbDann gibt es einen Anwalt, dann wird Beweis erhoben.Im Nachhinein ein Verhalten als strafwürdig zu betrach-ten ist sehr viel einfacher – obwohl es sicherlich nochschwierig genug ist –, als es prospektivisch beispiels-weise durch einen Oberinspektor einer Ordnungsbe-hörde gerichtsfest machen zu lassen, und zwar wenigerverfassungsgerichtsfest als instanzgerichtsfest; denn zu-erst kommen die Verfahren, in denen es um Verbotsver-fügungen geht, die mit Widerspruch angegriffen werden,und in denen einstweiliger Rechtsschutz beantragt wird,vor die Instanzgerichte. Das endet in der Regel vor demOVG oder dem VGH. Dann muss quasi in einer Nacht-und-Nebel-Aktion – das Gericht hat oft nicht viel Zeit,weil die Demonstrationen meistens samstags stattfin-den – bei summarischer Würdigung der Sach- undRechtslage entschieden werden, ob einstweiliger Rechts-schutz gewährt wird oder nicht. Das ist schwierig.Wir müssen dem Gesetz trotzdem eine Bewährungs-chance geben. Wir können natürlich am grünen Tischleicht alles abwägen. Aber was sollen wir den Leuten inWunsiedel sagen? Herr Kollege Dr. Friedrich – FrauSonntag-Wolgast hat schon einen anderen Betroffenengenannt –, Sie sehen fast täglich, was dort los ist, wirnicht. Der Kollege Bosbach hat Recht: Wir befinden unszwischen Szylla und Charybdis. Entweder kann man unsvorwerfen: „Ihr lasst euch im Wettlauf mit den Gutmen-schen um die beste Lösung gegen die Naziaufmärschetreiben“ oder es heißt: „Ihr schaut tatenlos zu, wie sichdiese braune Brut kampflos wieder entwickelt.“ In die-sem Spannungsbogen mussten wir tätig werden und wirsind tätig geworden. Ich selber möchte die Verfassungs-widrigkeit und die Aufhebung durch Instanzgerichtenicht herbeireden. Vielmehr möchte ich den Gerichtenund den Behörden die Gelegenheit geben, zu überprüfen,ob sich dieses Gesetz bewährt oder nicht. Wenn wir kei-nes machen, dann bleibt alles, wie es ist. Nach der mo-mentanen Gesetzeslage – de lege lata – werden ebennicht alle diese Dinge ausgeschlossen; denn sonst gäbees ja keine Gerichtsentscheidungen, mit denen nachträg-lich Verbotsverfügungen aufgehoben wurden.Meine Damen und Herren, lassen Sie es uns bei allerjuristisch-dogmatischen Feinziselierung doch einmaldarauf ankommen, wie sich das Gesetz in der Praxis be-währt. Neben der Juristerei müssen natürlich die mündi-gen Bürger – davor habe ich keine Bange – zeigen, werdie Mehrheit im Staate hat und dass Rechtsextremistenund Linksextremisten bei uns in Deutschland absolut inder Minderheit sind und auf politischem Wege bekämpftwerden müssen. Wenn das nicht hilft, müssen die Exeku-tive und die Judikative flankierend tätig werden.Herzlichen Dank.
Ich erteile das Wort dem Bundesminister des Innern,
Otto Schily.
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Erwartungsgemäß begrüße ich es sehr, dass dieseresetzentwurf heute vorgelegt wird. Er ist gewiss einompromiss. Sie werden es mir auch nicht verargen,enn ich Ihnen nicht vorenthalte, dass ich es eher be-rüßt hätte, wenn der ursprüngliche Entwurf von Frauollegin Zypries und mir Zustimmung gefunden hätte.
s wäre unehrlich, wenn ich Ihnen das verheimlichenollte.
ch teile die Auffassung des Kollegen Beckstein, dasser Begriff der Verharmlosung in der Gesetzgebung in
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Bundesminister Otto Schilyder Tat schon heute verwendet wird; deshalb sehe ichkeinen Grund, ihn nicht auch hier zu verwenden.Aber es gibt immerhin eine Verbesserung. Auch dasist ein Fortschritt. Wir können jetzt nichts tun – HerrGehb hat das richtig dargestellt –; dann bleibt es beimjetzigen Zustand, und zwar mit allen schlimmen Auswir-kungen, die wir aus der Rechtsprechung kennen. Hier istmehrfach von der Gemeinde Wunsiedel und dem, wasdiese Gemeinde Jahr für Jahr ertragen muss, die Redegewesen. Ich begrüße ausdrücklich, dass von allen Sei-ten Solidarität mit der demokratischen ÖffentlichkeitWunsiedels geäußert worden ist. Das sollte noch einmalunterstrichen werden.
Wenn wir jetzt etwas tun, um diesen Menschen Beistandzu leisten, dann ist das auf jeden Fall besser, als wennwir nichts tun.
Wie Herr Gehb zu Recht gesagt hat, werden wir se-hen, ob sich unser Vorgehen in der Praxis bewährt. Mankann bezweifeln, dass durch unser Tun alles verhindertwird; aber immerhin kommt ein weiteres Werkzeug zurAnwendung. Man muss hier ganz schlicht entscheiden:Ist es besser, es so zu belassen, wie es ist, oder ist es bes-ser, es in diesem Sinne zu verändern? Ich bin eindeutigdafür, etwas auf der Grundlage des gemeinsamen Ge-setzentwurfs zu tun.Um hier ganz ehrlich zu sein – wir müssen offen mit-einander reden –: Ich bleibe dabei, dass es besser wäre– ich sage das, obwohl man sich als Vertreter der Exeku-tive hier zurückzuhalten soll –, wenn der Bundestag denbefriedeten Bezirk um das Brandenburger Tor erwei-tert.
Ich weiß, dass ich damit eine gegensätzliche Meinung zuder meiner Freunde in der Koalition vertrete.Ich bin mir auch darüber im Klaren, dass der Ansatz,den ich vertrete, kein Allheilmittel ist; schließlich solldiese Regelung nur an Sitzungstagen gelten. Aber esgäbe an diesen Tagen eben eine gewisse Schutzwirkung.
Ich teile die Ansicht von Herrn Bosbach – ich muss dashier offen sagen –: Warum soll durch die Regelung überden befriedeten Bezirk ausgerechnet das BrandenburgerTor nicht geschützt werden, wenn wir die unmittelbareUmgebung des Reichstages dadurch schützen? Das istnicht zu verstehen.
Ich muss noch eine kurze Bemerkung an Frau Kolle-gin Stokar richten.
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ir dürfen keine Gegenstände einführen, deren Verbrei-ng in Deutschland verboten ist. Insofern brauchen Sieich keine Sorgen zu machen. Deshalb verweise ich anieser Stelle auf Montesquieu.Das Versammlungsrecht ist das eine, die Zivilcouragend das beherzte Auseinandersetzen mit Rechtsextre-ismus und Neonazismus das andere. In diesem Zusam-enhang sollten wir einen wichtigen Satz von Cornelieonntag-Wolgast hervorheben. Ich finde, sie hat voll-ommen Recht, wenn sie sagt, dass es – neben allenolizeilichen, gesetzlichen und strafrechtlichen Maßnah-en – sehr entscheidend ist, dass wir die Öffentlichkeitelbstbewusst für uns als Demokraten in Anspruch neh-en. Das Wichtigste ist, dass die demokratische Öffent-chkeit am 8. Mai hier vollzählig versammelt ist, damitein Neonazi auch nur eine Spur breit Raum hat, sichort zu bewegen. Die demokratische Öffentlichkeit mussort zeigen, was Demokratie bedeutet.Vielen Dank.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Erwin
arschewski, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Wir sind fast am Ende dieser Debatte. Meinesümee: Wer ständig und überall Neonazis bekämpfenill – Herr Westerwelle, das will das gesamte Hoheaus –, der muss das insbesondere hier, mitten in Berlin,uch am Brandenburger Tor, tun.
ch teile voll Ihre Auffassung, Herr Bundesinnenminis-er. Auch der ehemalige Vorsitzende der Jüdischen Ge-einde dieser Stadt, Herr Nachama, der Berliner Kardi-al und Gerhard Schröder im Jahr 2000, auf demeburtstag der Gewerkschaft der Polizei, haben dies ge-ordert.Ich finde es unverantwortbar – Günther Beckstein,as gilt nicht nur für Wunsiedel –, in Berlin die Polizei inas Feuer zwischen linksradikalen Autonomen undechtsradikalen zu schicken und sie so dafür haften zuassen, dass Rot-Grün keine Lösung bietet,
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Erwin Marschewski
obwohl dies möglich wäre. Das hat die Anhörung erge-ben.Einer Erweiterung des befriedeten Bezirks um dasBrandenburger Tor steht – insbesondere nach demneuen Entwurf – eben nicht die Verfassungswidrigkeit„auf der Stirn“. Das steht im Gegensatz zu dem, was Sie,Herr Kollege, behauptet haben. Die Funktionsfähigkeitdes Parlaments – der Kollege Hartmut Koschyk hat dasbeim letzten Mal erläutert – muss nämlich erhalten blei-ben. Der Zugang von den Wohnungen, von den Büroräu-men und von den Sitzungssälen Unter den Linden mussgarantiert werden. Dies entspricht voll dem Grundsatzder Verhältnismäßigkeit. Hierdurch würde der durch dasGesetz eingeräumte Ermessensspielraum nicht auf nullverkürzt, wie es die Bundesjustizministerin beim letztenMal gesagt hat.Ich möchte noch etwas, ich meine, Bedeutenderes,anführen. Für uns, für die deutsche Bevölkerung ist dasBrandenburger Tor zum Symbol für die Wiedervereini-gung in Frieden und Freiheit geworden. Es erinnert andie Morde des SED-Regimes an der Mauer, am Bran-denburger Tor, vor allem an den 30. Januar 1933, mitdem alles seinen Anfang nahm: Beseitigung der pluralenDemokratie, Rassismus, Antisemitismus. All das istunvereinbar mit den Menschenrechten. Im krassenWiderspruch dazu stehen die Neonazis, wenn sie ihremenschenverachtende Ideologie insbesondere am Bran-denburger Tor zum Ausdruck bringen. Denn gerade hier,so meine ich, verletzen sie die Menschenrechte und dieMenschenwürde, die der Opfer nationalsozialistischerGewalt und Willkürherrschaft, die aller Demokraten undvor allem die unserer jüdischen Mitbürger.Herr Bundesinnenminister, ich teile erneut Ihre Auf-fassung. Sie haben unter Hinweis auf die Veranstaltungzur Befreiung des KZs in Auschwitz darauf aufmerksamgemacht: Welch seelische Schmerzen tun wir diesenMenschen, gerade den jüdischen Mitbürgern an, wennsie dies alles erleben müssen, hier, unmittelbar nebenan?Das beschreibt doch unsere gemeinsame Verantwortung.Dass die Verletzung der Menschenwürde, dieses obers-ten Wertes unserer gesamten Rechts- und Sozialordnung,ein Versammlungsverbot rechtfertigt, ist doch völlig un-bestritten.Dies sei auch an die Adresse von Karlsruhe gesagt:Es geht bei dem Gedankengut der Neonazis eben nichtum politisch missliebige Meinungen, es geht auch nichtum politisch unerwünschte Anschauungen,
es geht vielmehr um Vorstellungen – das hat Karlsruheauch einmal gesagt; diese Rechtsprechung kenne ich –,die mit der historisch bedingten Wertordnung desGrundgesetzes schlechterdings unvereinbar sind, die dieNazis aber eben hier aktiv, aggressiv und kämpferischverfolgen. Weil die Schwelle zum Unrecht mit derBekämpfung der Grundordnung von den Neonazisüberschritten wird, werbe ich um Zustimmung für nullToleranz, wie es auch der Kollege Wiefelspütz beimletzten Mal gefordert hat –osvWlIRdwDnsrddsiNoifhdgdupwstKebsvNbegwnldtnhFGGD
emonstration gegen totalitäres Denken jeglicher Prove-ienz. Unser Schutzwall dabei war das christliche Men-chenbild, die Würde des Menschen, die Sie ansonstenichtigerweise auch in den Mittelpunkt stellen, sei es beien Formulierungen im Versammlungsgesetz, sei es beien Regelungen im Strafgesetzbuch in Bezug auf Ver-ammlungen an Gedenkstätten oder anderswo, wie ebenn Wunsiedel beim Kollegen Hans-Peter Friedrich, woazigewalt und Willkürherrschaft gebilligt, verherrlichtder gerechtfertigt werden.Der Vorschlag, den die Koalitionsfraktionen machen,st rechtmäßig, Herr Kollege Stadler, weil die Meinungs-reiheit nur unter Wahrung des Grundsatzes der Ver-ältnismäßigkeit eingeschränkt wird und weil es umen Schutz gleichwertiger herausragender Rechtsgütereht. Deswegen ist das, was hier vorgeschlagen wird,urchaus rechtmäßig, Herr Kollege,
nd, wie ich im Gegensatz zu dem, was gestern Abendolemisch in der ARD-Sendung „Panorama“ behauptetorden ist, meine, auch erfolgversprechend. Deswegentimmt die Union diesem Gesetzentwurf zu.Meine Damen und Herren, hektische Tage liegen hin-er uns: Es gab ein Versprechen der Koalition und ihresanzlers, daraufhin wurden mehrere Gesetzentwürfeingebracht – wir haben darüber gesprochen –, ein voneiden Verfassungsministerien eingebrachter Entwurftieß schon im Vorfeld auf Ablehnung; dann gab es eineon der Union beantragte Anhörung, die uns alle zumachdenken gebracht hat, und zwar mit Erfolg, denneide Seiten, Koalitionsfraktionen und Union, sind auf-inander zugegangen. Für mich und für meine Fraktioneht diese Einigung – Sie wissen das –, insbesondereas die Regelungen zum Brandenburger Tor anbetrifft,icht weit genug. Aber das kann sich, so lehrt meineangjährige Erfahrung in diesem Parlament, noch än-ern. Wie vieles, wird sich das auch noch ändern – icheile da völlig die Meinung des Herrn Bundesinnenmi-isters –, weil wir darin übereinstimmen, dass die Frei-eit des Andersdenkenden ein hohes Gut ist, aber diesereiheit in unserer wehrhaften Demokratie dort ihrerenze finden muss, wo das menschenverachtendeedankengut der Nazis wieder Platz zu greifen droht.as dürfen wir nirgendwo und niemals zulassen, meine
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Erwin Marschewski
Damen und Herren, insbesondere nicht an diesem8. Mai.Herzlichen Dank.
Herr Kollege Koschyk hat mir vorhin zugerufen, dass
das Ihre 125. Rede im deutschen Parlament war, Kollege
Marschewski. Respekt!
Ich erteile das Wort Kollegin Petra Pau.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! EinAufmarsch der NPD, ausgerechnet am 60. Jahrestag derBefreiung vom Faschismus, ausgerechnet am Branden-burger Tor, ist schwer hinnehmbar und soll verhindertwerden.
Das ist Konsens. Deshalb begrüßt die PDS auch, dasssich das breite Berliner Bündnis für ein Europa ohneRassismus reaktiviert hat und dass auch alle Parteien imBundestag zu Zivilcourage, Frieden und Demokratieaufrufen wollen.
Denn das entscheidende Signal gegen Rechtsextre-mismus, Rassismus und Nationalismus kann niemandanders geben als die Gesellschaft selbst, die Bürgerinnenund Bürger.
Die PDS unterstützt das ausdrücklich.Heute geht es hier um staatliche Sperren, um Ände-rungen im Versammlungs- und Strafrecht. Sie sollenrechtsextreme Aufmärsche verbieten helfen. Dazu gabes am Montag eine Anhörung von Experten. Dabeiwarnten nahezu alle vor leichtfertigen und schwerwie-genden Eingriffen in Grundrechte der Verfassung, kon-kret in das Recht auf Versammlungsfreiheit und in dasRecht auf Meinungsfreiheit. Nach der Anhörung wurdendie ursprünglichen Vorschläge modifiziert.
– Das gebe ich gerne zu, Frau Kollegin. Ich würdige hiergerade, dass wir alle klüger geworden sind und jetzt mo-difizierte Vorschläge auf der Tagesordnung haben.Es bleiben drei Vorschläge: Die CDU/CSU will denbefriedeten Bezirk rund um den Bundestag ausweiten,SPD und Grüne wollen das Strafrecht konkretisieren unddie Bundesländer sollen Gedenkorte benennen, an denendie Würde der Opfer nicht demonstrativ verhöhnt wer-den darf.dfSBddsdzfb–ehddkleBlioIsacliwwu–KWdAteKssn
ie träfe übrigens auch demokratische Initiativen, die amrandenburger Tor für ihre Rechte demonstrieren. Weras dennoch fordert, setzt sich dem Verdacht aus, auchiese Einschränkung zu wollen.
Wir lehnen ebenso ab, dass Gedenkstätten von be-onderer Bedeutung benannt werden; denn damit wür-en zugleich Gedenkstätten sowie Opfer erster undweiter Klasse definiert und es würden dort Einfallstoreür Nazidemonstrationen geöffnet, wo das Präventivver-ot nicht gilt.
Frau Kollegin, das haben wir in der Praxis alles schonrlebt.So weit erst einmal in aller Sachlichkeit zu zwei derier vorliegenden Vorschläge.Nun zu Ihnen, Herr Kollege Ströbele. Sie meinten,efinieren zu können, wer Antifaschist ist, nämlich nurerjenige, der beim Nachdenken zu Ihren Schlüssen ge-ommen ist und Ihrem Gesetzentwurf zustimmt. Das er-be ich in letzter Zeit immer öfter, wenn wir hier überürgerrechte reden, zum Beispiel wenn Sie hier plötz-ch die Verlängerung des Lauschangriffes begründender Ihre Meinung zum Luftsicherheitsgesetz darlegen.ch sage Ihnen deutlich: Die PDS versteht sich als antifa-chistische Partei. Meine Kollegin und ich verstehen unsls Antifaschistinnen, ganz egal ob wir uns am Holo-aust-Mahnmal befinden, an der Gedenkstätte der Sozia-sten in Lichtenberg oder auf dem Friedhof in Marzahn,o das Sammellager für die Berliner Sinti und Romaährend der Olympischen Spiele eingerichtet wurde,nd das gilt auch für den Alltag.
Ich gehe auch nach Hohenschönhausen, Herr Kollegeoschyk, vielleicht viel öfter als Sie.
ir verstehen uns als Antifaschisten und brauchen nichtie Belehrung von Herrn Ströbele, wer hier der richtigentifaschist ist.Ich sage Ihnen noch etwas – das habe ich Ihnen ges-rn schon gesagt –: Die PDS im Bundestag könnte deronkretisierung im Strafrecht zustimmen, vorausge-etzt, SPD und Grüne würden hier heute eine Einzelab-timmung zulassen. Darum haben Sie sich offensichtlichicht gekümmert.
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Petra PauGrundsätzlich bleibt die PDS im Bundestag allerdingsbei ihrer Kritik. Solange das Thema Rechtsextremismusvorwiegend im Innen- und Rechtsausschuss und mit um-strittenen Paragraphen behandelt wird, so lange agierenwir am Ende des Problems und nicht an den Wurzeln.CDU/CSU, SPD und Grüne haben sich seit Wochen vielmit Aktionismus selbst unter Druck gesetzt. Eine gründ-liche, ressortübergreifende Debatte mit dem Ziel derpolitischen Auseinandersetzung und der gesellschaftli-chen Ächtung von Rechtsextremismus gab es bislangnicht. Ich finde, das ist ein Armutszeugnis, das wir unsallesamt im Bundestag heute ausstellen müssen.
Ich erteile das Wort Kollegen Hermann Bachmaier,
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sicherlichwäre es besser, wenn wir solche Gesetze, deren Ände-rung wir heute beraten und beschließen, erst gar nichtbrauchen würden. In diesem Punkt gebe ich HerrnStadler durchaus Recht. Wir wissen natürlich, dass dieAuseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus undmit denjenigen, die zynisch und menschenverachtenddie Gewalttaten der Nazis verherrlichen, in erster Liniepolitisch erfolgen muss. Menschenverachtung undDummheit kann man nicht mit dem Strafrecht und mitdem Versammlungsrecht aus der Welt schaffen.Wir können aber auch nicht tatenlos zusehen, dass aufder Würde der Millionen Opfer der nationalsozialisti-schen Gewaltherrschaft buchstäblich mit Füßen herum-getrampelt wird. Das kann und darf ein Gesetzgebernicht zulassen.
Es ist eine der vornehmsten Aufgaben des Gesetzgebers,die Meinungsfreiheit zu schützen. Er muss aber auchderart menschenverachtende Umtriebe verhindern.Wir wissen – darauf hat uns bis in die jüngste Zeit nichtzuletzt das Bundesverfassungsgericht in einer Reihegrundlegender Entscheidungen hingewiesen –, dass unsaufgrund der Meinungsfreiheit manches zugemutet wer-den kann. Meinungsfreiheit ist in unserem Lande aber nurdann gewährleistet, wenn wir bereit sind, auch Meinun-gen zu ertragen, über die wir nicht nur den Kopf schüttelnkönnen, sondern die uns bisweilen geradezu unerträglicherscheinen. Da gebe ich meinen Vorrednern völlig Recht.Wie wir in der Anhörung erfahren konnten, geht dasBundesverfassungsgericht beim Schutz der Meinungs-freiheit sogar so weit, dass Art. 5 des Grundgesetzesauch noch solche Meinungsäußerungen in seinen Schutzmit einbezieht, die im Widerspruch zur Werteordnungder Verfassung stehen. Es gibt also einen sehr weit rei-chenden Schutz der Meinungsfreiheit.GdGsJkshAfzsVwrusJhks§icLnsgmdnbwpwGOffekTzgaOmnli
ann sich in Zukunft für sein menschenverachtendesreiben nicht auch noch auf den Schutz des Grundgeset-es berufen. Das war unser Ziel.
Deshalb muss es neben dem Schutz besonders hervor-ehobener Orte des Gedenkens auch einen Schutz vorllen Formen militanter, zynischer und die Würde derpfer verachtender Verherrlichung des Nationalsozialis-us geben. Dies ist zwingend geboten. Diesen bishericht hinreichend gegebenen Schutz, der selbstverständ-ch auch auf das Versammlungsrecht ausstrahlt, soll der
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Hermann Bachmaierneue Straftatbestand in § 130 Abs. 4 Strafgesetzbuchbieten. Wir gehen davon aus – das ist schon mehrfachgesagt worden –, dass die neuen Regelungen auch Ortenwie Wunsiedel weiterhelfen, Orten, die sich Radikaleund Neonazis buchstäblich zur Beute nehmen, um da-durch auf ihr widerliches Geschäft der Verherrlichungdes NS-Regimes aufmerksam zu machen. Ich weiß, wo-von ich spreche. Denn die Stadt Schwäbisch Hall in mei-nem Wahlkreis wird nur deshalb jedes Jahr zum Auf-marschort für dumpfe Parolenschreier, weil sich dieseStadt aus der Sicht der Rechtsradikalen vor einigen Jah-ren erdreistet hat, die Wehrmachtsausstellung zu zeigen.Ich meine, dass wir nunmehr im Rahmen des uns ver-fassungsrechtlich Möglichen unsere rechtlichen Instru-mentarien im Versammlungs- und Strafrecht so geschärfthaben, dass wir in Zukunft den zynischen Herausforde-rungen auch rechtlich besser begegnen können.
Trotzdem bleibt die Hauptlast – dies ist gut und rich-tig so – der politischen Auseinandersetzung überlas-sen. Es ist Aufgabe von uns allen, die Menschen davonzu überzeugen, dass eine Verherrlichung des NS-Will-kürregimes keine, aber auch gar keine Antwort auf dieFragen gibt, die uns heute beschäftigen und bedrängen.Deshalb appelliere ich in diesem Zusammenhang anuns alle: Auch wenn einige immer wieder einmal ver-sucht sind, den Demokraten die Existenz der Neonazis indie Schuhe zu schieben, war es bislang eine gute Übung,dass sich die demokratischen Parteien die Existenz derNichtdemokraten und Radikalen nicht gegenseitig zumVorwurf machen. Wir sollten vielmehr gemeinsam ver-suchen, diesen Irrsinn mit allen uns zur Verfügung ste-henden, verfassungsrechtlich zulässigen Mitteln einzu-dämmen.
Auch deshalb ist es gut und richtig, dass wir heute diewohl überlegten Ergänzungen des Versammlungs- undStrafrechtes weitgehend gemeinsam verabschieden, alsomit den Stimmen der Regierungskoalition und der CDU/CSU-Fraktion. Auch wenn ich Ihre Meinung, HerrStadler, respektiere – wir kennen uns sehr gut; wir unter-stellen uns gegenseitig nichts –, würde es mich natürlichfreuen, wenn auch die FDP zustimmen würde. Aber dieskönnen wir von unserer Seite aus nicht erzwingen.Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den von denFraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grüneneingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung desVersammlungsgesetzes und des Strafgesetzbuches. DerIlAdwEBBüuGWwgsstECSfPdGzfesdutddDdudhAvw
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Bitte schön, Herr Kollege Scheuer.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Es wäre gut, wenn die Kolleginnen und Kollegen vonder SPD-Fraktion aufpassen würden;
dann würden sie die niederschmetternden Zahlen hören,die die Situation der Jugend in Deutschland deutlichmachen.Derzeit sind 680 000 Jugendliche arbeitslos. 7,2 Pro-zent der unter 18-Jährigen sind auf Sozialhilfe angewie-sen. Der Anteil der Schulabgänger ohne Schulabschlussbetrug zuletzt 7,9 Prozent und unter den ausländischenJugendlichen sogar 19,2 Prozent. Auf jedes neugeboreneKind in Deutschland kommen 16 900 Euro Schulden zu.Es ist kaum verwunderlich, dass knapp die Hälfte der Ju-gendlichen in Deutschland die Zukunftsaussichten alsdüster beurteilt.Man muss sich in einer Jugenddebatte sehr eindring-lich mit der Politik der zuständigen Frau MinisterinRenate Schmidt beschäftigen, die heute wegen Krank-heit verständlicherweise nicht an dieser Sitzung teilneh-men kann. Wir wünschen ihr gute Besserung.
Trotzdem wird die Auseinandersetzung mit ihrer Poli-tik recht hart werden. Das kann ich schon ankündigen.Die Ministerin selber duckt sich weg. Sie ist zwar sonstrührig im Umgang mit den Medien, aber die Realitäthinsichtlich der Arbeit und der Umsetzung sieht andersaus. Sie handelt nach dem Motto „Die Jugend einlullenstatt politisch zu handeln“.
Die Priorität der Politik der Bundesregierung liegt of-fensichtlich nicht in der Unterstützung der Jugend. Unterden sehr zahlreichen zu Topthemen erklärten Sachfragenauf ihrer Homepage kommt die Jugend seit langem nichtmehr vor. Eine Ausnahme stellt seit gestern die Antwortauf die Große Anfrage zum Thema Jugend in Deutsch-land dar. Es ist schon ein Fortschritt, dass auch bei die-sem Thema die CDU/CSU-Fraktion die Bundesregie-rung wachgerüttelt hat.
Ebenso bemerkenswert ist, dass die Jugend auch aufder Startseite des zuständigen Ministeriums nicht vor-kommt. Das ist ein Totalausfall. Im Bundesministeriumfür Familie, Senioren, Frauen und Jugend steht die Ju-gend somit nicht nur begrifflich, sondern auch inhaltlichan allerletzter Stelle.dWivfeffsdDCuTDRAwkgkAdKgeDaRlmmwG
Frau Staatssekretärin, Sie haben längst den roten Fa-en verloren, der Sie aus der Vogel-Strauß-Politik desegduckens Ihres Ministeriums herausgeführt hat. Wost denn die Ministerin, wenn die Arbeitslosenzahlenorgelegt werden? Wo sind die Konzepte zur Bekämp-ung der Jugendarbeitslosigkeit? Eigentlich müsste dazuin Aufschrei der zuständigen Ministerin im Kabinett er-olgen. Aber nichts dergleichen geschieht.
Die bayerische Verfassung stellt in Art. 125 treffendest: „Kinder sind das köstlichste Gut eines Volkes.“ Wirtimmen sicherlich alle darin überein, dass dies auch fürie Jugendlichen gilt.
arüber sollten wir uns im Bundestag einig sein. DieDU/CSU-Fraktion hat der Bundesregierung eine sehrmfangreiche Große Anfrage mit 225 Fragen zumhema Jugend in Deutschland vorgelegt.
och es schien der Bundesregierung schwer zu fallen,echenschaft über ihre eigene Politik abzulegen. Dientwort ließ bis gestern und damit neun Monate auf sicharten – eine wahrhaft schwere Geburt – und wurde ersturz vor dieser Debatte am Mittwoch durch das Kabinetteprügelt.
Den jungen Menschen in Deutschland wird damitlar, dass sich die CDU/CSU ihrer Probleme annehmen.ber Sie, meine Damen und Herren von Rot-Grün, sindarauf nicht vorbereitet.
Die Einzelbereiche sprechen eine deutliche Sprache.inder zu haben ist in Deutschland zum Armutsrisikoeworden. Rund 7 Prozent der Kinder sind Sozialhilfe-mpfänger. Das ist bitter und peinlich für ein Land wieeutschland. Ich verweise in diesem Zusammenhanguf den Armutsbericht.Ich fordere Sie auf, meine Damen und Herren vonot-Grün, den Kindern, Jugendlichen und jungen Fami-ien endlich eine Perspektive zu bieten.
Zum nächsten Thema: der deutschen Bildungs-isere. Es genügt nicht, sich darüber zu freuen, dassan nicht mehr unter den Letzten ist. Ziel muss sein,ieder zu den Besten zu gehören. Das war immer diearantie für unseren Wohlstand in Deutschland. Doch
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Dr. Andreas Scheuerdas gebetsmühlenartige Beschwören von PISA und Co.hat bei der Bundesregierung nur oberflächliche Panik-handlungen bewirkt. Man denke nur an die diffuse Dis-kussion über Eliteuniversitäten. Der Braindrain, also dieAbwanderung der Talente und der Führungskräfte vonmorgen, ist ungebrochen. Die besten Köpfe verlassenunter Rot-Grün unser Land.
An diese jungen Menschen kann ich nur den Appell rich-ten: Ab 2006 wird es in Deutschland unter einer unions-geführten Bundesregierung wieder aufwärts gehen.Kommt zurück und helft beim Aufschwung mit!
Zur Jugendarbeitslosigkeit. Die Erwerbsbiographiender heutigen Jugendlichen unterscheiden sich gravierendvon denen früherer Generationen. Gute Bildung ist heutekein Garant mehr für einen Arbeitsplatz. Stattdessenwerden Akademiker, unterstützt von der Bundesagenturfür Arbeit, zunehmend zu Dauerpraktikanten. Wen wun-dert das angesichts der gegenwärtigen Arbeitsmarkt-lage?In diese Kerbe schlägt das Antidiskriminierungs-gesetz. In Wahrheit ist es ein Antiaufschwungs-, ein An-tilehrstellen- und ein Antiarbeitsplatzgesetz.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, Sie ka-pieren es einfach nicht. Wie viele Mühlsteine wollen Siedem Standort Deutschland noch umhängen? Sie habenes zu verantworten, dass den Unternehmen die letztennoch vorhandenen Anreize, für junge Leute Lehrstellenzu schaffen, genommen werden. Frau Ministerin, wennSie am Fernseher zusehen, sage ich Ihnen: Kommen Siezur Vernunft; denn sonst werden Sie immer mehr zurAntijugendministerin.
Ein weiteres drängendes Problem ist die mehr alsmangelhafte Integration ausländischer Jugendlicher,die Sie nur zu gerne schönreden wollen. Die Schande-morde an jungen Türkinnen hier in Berlin stellen vorläu-fig den traurigen Höhepunkt einer Entwicklung dar, diewir seit längerem mit Sorge beobachten. In der gestrigenDebatte wurde klar: Die Union hat sich dieser Schicksaleangenommen, und das ist gut so.
Die Bereitschaft der dritten Zuwanderungsgeneration,sich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren, nimmtleider ab bzw. wird in keiner Weise gefördert. Statt-dessen scheint gerade bei den Jugendlichen, die wenigmit unserem Wertekanon, unserer Hausordnung inDrAveDnCredwliuwwsUlEuftäsduFdmsgszwwWgW
as bei ihrem gegenwärtigen Gemütszustand nicht mög-ch ist.
Vielleicht haben Sie von den Grünen momentan vielm die Ohren, weil all Ihre gesellschaftspolitischen Um-älzungen, mit denen Sie unser Land verändern wollten,ie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen. Ich wün-che Ihnen viel Spaß beim weiteren Fortgang des Visa-ntersuchungsausschusses.
Meine Damen und Herren, Parallelgesellschaften sindängst zur Realität geworden. Hören Sie also endlich auf,inzelfälle, die gut verlaufen sind, zu verallgemeinernnd sie ständig als Monstranz vor sich herzutragen. Ichordere Sie auf, diesen Jugendlichen endlich eine Identi-t und Werte zu geben. Ich gebe zu: Das ist sicherlichchwierig, wenn man selbst als politische Führung mitiesen Begriffen auf Kriegsfuß steht.
Damit sind vier von insgesamt 20 Themengebietennserer Großen Anfrage beim Namen genannt. Meinazit lautet: Nach sechs Jahren Rot-Grün sind die Kin-er und Jugendlichen in unserem Land ärmer: sowohlateriell als auch an Perspektiven und Chancen. Das istehr traurig. Wir müssen gegensteuern und diesen jun-en Menschen endlich Perspektiven geben.An einem Beispiel sieht man allerdings, wie fahrläs-ig Rot-Grün handelt. Die Erfahrungen beim Aufbau Osteigen: Man kann es der Jugend in Deutschland nichtünschen, dass sie von Rot-Grün zur Chefsache erklärtird.
o ist denn der Regierungschef, wenn es um die Jugendeht? Er schweigt und findet zu diesem Thema keineorte.
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Dr. Andreas ScheuerMeine Damen und Herren, unsere Jugend ist nicht dieso genannte Null-Bock- oder Fun-Generation. Ich binvon der Kreativität, dem Ideenreichtum und der Eigen-initiative unserer Jugend überzeugt. Allerdings müssenwir ihr Freiraum lassen, damit sie ihre Eigeninitiativeentfalten kann. Wir müssen ihre Anliegen ernst nehmenund zukunftsorientierte Rahmenbedingungen in Schu-len, Verbänden, Jugendzentren, Behörden und in denKöpfen schaffen. Die Jugend muss klar sehen – darinsind wir uns alle einig –, dass es nichts nützt, sein Kreuzbei extrem rechten oder extrem linken Parteien zu ma-chen oder, statt zur Wahl zu gehen, zu Hause zu bleiben.Unsere Große Anfrage beweist, dass sich die CDU/CSUden Problemen unserer Jugend annimmt. Daher kann ichnur folgenden Appell an die jungen Leute richten: Gehtzur Wahl und wählt CDU und CSU; denn dann wählt ihrZukunft.Herzlichen Dank.
Ich erteile das Wort der Parlamentarischen Staats-
sekretärin Christel Riemann-Hanewinckel.
Christel Riemann-Hanewinckel, Parl. Staats-
sekretärin bei der Bundesministerin für Familie, Senio-
ren, Frauen und Jugend:
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich glaube nicht, dass wir uns irgendwo auf
der Straße im Wahlkampf befinden.
Deshalb lasse ich die Rede von Herrn Scheuer unkom-
mentiert; es lohnt nicht, sich damit intensiver zu be-
schäftigen.
Was brauchen Kinder und Jugendliche? Sie brau-
chen Chancen für ihre Entwicklung; darin sind wir uns
einig. Zu diesen Chancen gehören Freiräume und
Schutz; dazu gehören aber auch Bildung und Erziehung.
Kinder und Jugendliche wollen Teilhabe; dazu brauchen
sie Eltern, Erwachsene und eine Gesellschaft, die ihnen
Spielräume geben. Die Gesellschaft muss ihnen Raum
geben, damit sie ihrer Neugier nachgehen können; denn
– das wissen wir inzwischen – in ihrer Neugier und
Wissbegierde sind die Kleinsten die Größten. Kinder
und Jugendliche brauchen Gelegenheiten, um ihre Er-
fahrungen in unterschiedlichen Bereichen und in ver-
schiedenen sozialen Beziehungen machen zu können,
mit und in der Familie, mit anderen Kindern, in der
Nachbarschaft, in den Kindertagesstätten, in der Schule,
in der Freizeit. Kinder und Jugendliche brauchen diese
Chancen und Möglichkeiten zum Erleben und zum Er-
lernen von Anfang an. Damit sind sie auf eine breite Al-
lianz in der Gesellschaft angewiesen.
Was tut die Bundesregierung?
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enn Sie die Antworten der Bundesregierung auf die
roße Anfrage gelesen hätten – darüber wollten Sie ja
eute nicht debattieren –, dann wüssten Sie zu dieser
rage schon einiges.
Ich bin sehr verwundert darüber, dass die größte Op-
ositionspartei im Deutschen Bundestag in ihrer Großen
nfrage zur nachfolgenden Generation keine einzige
rage zu früher Förderung und Erziehung, zu Betreuung
nd frühkindlicher Bildung gestellt hat.
amit ignorieren Sie nicht nur – hören Sie erst einmal
u; das ist manchmal sehr hilfreich –
issenschaftliche Erkenntnisse; Sie gehen auch an den
ünschen und Bedürfnissen der Kinder und Eltern vor-
ei. Ferner nehmen Sie die Notwendigkeit der frühen
örderung im Blick auf Schulbildung und Ausbildung
icht ernst.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage desollegen Scheuer?Christel Riemann-Hanewinckel, Parl. Staats-ekretärin bei der Bundesministerin für Familie, Senio-en, Frauen und Jugend:Nein, im Moment nicht. Herr Scheuer hat hier schonarlegen können, was er zu sagen hat. Es bedarf also kei-er weiteren Frage von ihm.
Wir brauchen für die Kinder und Jugendlichen eineessere und vor allem frühe Erziehung und Bildung derinder in Ergänzung zur Familie, damit die Herkunftines Kindes nicht mehr über seine Bildungschancenntscheidet. Der qualitätsorientierte Ausbau der Kinder-etreuung ist eines der zentralen gesellschaftspolitischenorhaben der Bundesregierung. Mit dem Tagesbetreu-ngsausbaugesetz hat die Bundesregierung das Not-endige getan.
as Gesetz, das am 1. Januar dieses Jahres in Kraft ge-reten ist, war der längst überfällige Schritt zu einer Ver-esserung der Tagesbetreuung für die unter Dreijähri-en.
nser Ziel ist es, für die ganz Kleinen bis 2010 circa30 000 zusätzliche neue Plätze zu schaffen. Die Zahler öffentlich geförderten Tagesmütter und Tagesväteroll mittelfristig von 10 000 auf etwa 70 000 steigen.
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Frau Kollegin, gestatten Sie zwei Zwischenfragen,von der Kollegin Klöckner und von der Kollegin Lenke?Christel Riemann-Hanewinckel, Parl. Staatssekre-tärin bei der Bundesministerin für Familie, Senioren,Frauen und Jugend:Nein, ich gestatte im Moment gar keine Zwischenfra-gen.
Ich werde das, was ich zu sagen habe, vortragen unddann haben die Kolleginnen und Kollegen die Chance,im Rahmen einer Kurzintervention
– nein, nicht schriftlich – die Fragen zu stellen oder inihren Redebeiträgen das darzustellen, was sie in die De-batte einbringen wollen.In Westdeutschland ist es nötig, die magere Quotevon 2,7 Prozent Krippenplätzen – an dieser Stelle solltendie Damen und Herren, die jetzt eine Zwischenfragestellen wollten, gut zuhören – für die unter Dreijährigenin den fünf Jahren bis 2010 auf ein bedarfsgerechtesNiveau zu steigern und in Ostdeutschland die gute undausreichende Betreuung zu erhalten. Im Osten nehmenwir mit dem Angebot an Kinderbetreuung weltweiteinen Spitzenplatz ein,
wie uns die jüngste OECD-Studie bescheinigt hat. Dasnützt dem Kindeswohl und hilft den Eltern bei der Ver-einbarkeit von Familie und Beruf. Die Betreuung, dieBildung und die Erziehung – diese Trias wird auch vonder OECD begrüßt: als genau das, was jetzt getan wer-den muss. Diese Trias gilt jetzt auch in der Kindertages-pflege. Der Förderauftrag bezieht sich auf die soziale,die emotionale, die körperliche und die geistige Ent-wicklung eines Kindes.Es ist aber Aufgabe der Länder, Qualitäts- undBildungskriterien detailliert zu regeln. Ich bin froh,dass sich alle Länder auf vorschulische Bildungszieleverständigt haben und dass die Nationale Qualitätsinitia-tive unseres Ministeriums mit der Mehrzahl der Bundes-länder durchgeführt wird. Das ist übrigens ein gutes Bei-spiel für funktionierenden Föderalismus: Der Bund gibteinen verlässlichen Rahmen vor, den die Länder, auchim Wettbewerb miteinander, ausfüllen. Deshalb ist es gutund liegt auch im Interesse der Kinder und Jugendlichen,dass das Kinder- und Jugendhilferecht in der Zuständig-keit des Bundes liegt.Meine Damen und Herren, nicht nur Kinder, sondernauch Eltern brauchen Bildung. Sie haben Fragen undBeratungsbedarf zur Erziehung ihrer Kinder. Kinder undEltern in schwierigen Situationen haben einen besonde-rSvhdssdfvKZJcBaSGuKMubpEg3GKvehsdrEnAsVdafasvdFnnB
ugendliche in Deutschland brauchen neue Räume, brau-hen mehr Zeit dafür. Deshalb ist der Kurswechsel in derildungspolitik überfällig gewesen. Entscheidend istuch hier eine frühe Förderung von Schülerinnen undchülern.
erechte Chancen für alle Kinder
nd Jugendlichen sind nötig, und zwar sowohl für dieinder und Jugendlichen aus benachteiligten und ausigrantenfamilien als auch für die besonders Begabtennd diejenigen, die einen besonderen Förderbedarf ha-en. Deshalb hat die Bundesregierung das Investitions-rogramm „Zukunft, Bildung und Betreuung“ gestartet.s ist mit 4 Milliarden Euro das größte je auf den Wegebrachte Bildungsprogramm. Bis Sommer 2005 wird es000 neue Ganztagsschulen in Deutschland geben. Dieanztagsschulen geben Raum und haben Raum für neueonzepte. Das, meine Damen und Herren, ist auch nötig.Wir haben eben vom Kollegen Scheuer gehört, wieiele Jugendliche ohne Schulabschluss dastehen. Das istin Problem der Bildungspolitik der Bundesländer. Des-alb war es notwendig, dass die Bundesregierung an die-er Stelle für eine optimale Förderung und Entfaltunger individuellen Begabung das entsprechende Geld be-eitgestellt hat. Notwendig ist jetzt für die gemeinsamentwicklung mit den Ganztagsschulen die Kooperatio-en zwischen den unterschiedlichen Akteurinnen undkteuren. Ich zähle hier nur stellvertretend auf: die zwi-chen der Jugendhilfe und der Schule, die zwischen denerbänden und der Schule, aber auch die zwischen Kin-ertageseinrichtungen und der Schule. Ich kann es auchnders sagen, sehr viel globaler – Sie alle sind mit aufge-ordert –: Was wir brauchen, ist eine nationale Kraft-nstrengung für Jugendliche, die die Schule ohne Ab-chluss verlassen haben. Deshalb brauchen der Bund,or allen Dingen aber die Länder hier einen entsprechen-en Kurswechsel.Wir geben in Deutschland mehr Geld für Bildung undorschung aus, als das bisher der Fall war – jetzt ist dieächste Altersstufe dran, die der Studierenden. Nochie hat eine Bundesregierung so viel in Forschung undildung investiert: 2005 allein fast 10 Milliarden Euro.
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Parl. Staatssekretärin Christel Riemann-HanewinckelDenn gute Bildung – das wissen wir alle – ist die besteVersicherung gegen Arbeitslosigkeit – und auch für einefunktionierende Volkswirtschaft.
Erste Erfolge sind sichtbar: Über 2 Millionen jungeMenschen studieren. Die Studierendenquote liegt inzwi-schen bei 36,5 Prozent. Sie lag einmal bei 28 Prozent.Das ist ein Erfolg, vor allen Dingen für die jungenFrauen und die jungen Männer. Damit wird das Ziel, dasdie OECD vorgibt – 40 Prozent aller jungen Leute einStudium zu ermöglichen – bald erreicht. EntscheidendeBeiträge zu diesen Erfolgen sind die BAföG-Reform, dieneuen Bachelor- und Master-Studiengänge und vor allenDingen auch die praxisnähere Ausbildung.Meine Damen und Herren, ich habe es schon festge-stellt: Kinder und Jugendliche sind von Natur aus neu-gierig und innovativ. Das merken wir besonders deutlichbei den Schüler- und Jugendwettbewerben. Bei„Jugend forscht“ gab es 2004 erneut einen Teilnahme-rekord, nämlich 8 315 Anmeldungen. Es ist auch interes-sant, dass davon fast 40 Prozent junge Frauen undMädchen waren. Die Unterstützung vonseiten der Bun-desregierung lag im Jahre 2004 bei 820 000 Euro. Dashalte ich für gut investiertes Geld, das in der Zukunfteine wirklich gute Rendite erbringen wird; denn wir wis-sen, dass die Jugendlichen auch innovative Beiträge ge-leistet haben, die zum Teil in der Produktion umgesetztwerden können.
Wir brauchen besondere Anstrengungen für bessereund gerechte Chancen auf Arbeit und Bildung. Ichnenne einige Punkte, die die Bundesregierung in derVergangenheit auf den Weg gebracht hat: Beispielge-bend sind der Nationale Pakt für Ausbildung und Fach-kräftenachwuchs in Deutschland und die Erhöhung derZahl der Ausbildungsplätze in der Bundesverwaltung imJahre 2004 um 20 Prozent. Damit werden insgesamt14 000 Ausbildungsplätze vor allem in den neuen Bun-desländern finanziert. Außerdem ist es uns durch eineModernisierung und Neuschaffung von Ausbildungsbe-rufen gelungen, neue Möglichkeiten für Jugendliche zueröffnen. Hier nenne ich besonders die Neuordnungzweijähriger Berufe, weil wir an diese Jugendlichen be-sonders denken müssen. Daneben nenne ich noch dasAktionsprogramm „Jugend für Toleranz und Demokra-tie – gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeitund Antisemitismus“.Die Bundesinitiative „wir … hier und jetzt“ in denneuen Bundesländern möchte ich hier noch besondersansprechen, weil diese Initiative von allen Politikerinnenund Politikern auf den unterschiedlichsten Seiten unter-stützt worden ist. Durch diese Initiative wurden die er-folgreichen Programme „Die soziale Stadt“, „Regio-kom“, „Soziales Kapital für soziale Zwecke“ sowie diePinBkoshbNAArjddF„lnDtbwkCgaunFtnGDcüSg
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Klaus Haupt.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wie wichtig Sie in Ihrem Haus die Jugendpolitikehmen, zeigt sich daran, dass ich die Antwort auf dieroße Anfrage vorgestern Abend erhalten habe.
eshalb sehe ich mich außerstande, Ihre Antwort, die si-herlich klug und weise formuliert ist, in meiner Redeberhaupt zu berücksichtigen.
o darf man mit einer Großen Anfrage zu einem wichti-en gesellschaftlichen Thema nicht umgehen.
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Klaus HauptDie Rechte und Interessen von Kindern undJugendlichen sind im politischen Handeln gegenwärtiglängst noch nicht ausreichend berücksichtigt. Ich glaube,wir sind uns einig: Wir alle sind gefordert, darauf zu ach-ten, welche Auswirkungen unsere Politik gerade auf diejunge Generation hat. Wir müssen zum Beispiel Kindernund Jugendlichen ernst gemeinte, auf sie zugeschnitteneund altersdifferenzierte Angebote zur Teilhabe ampolitischen und gesellschaftlichen Leben machen.Für die FDP ist die aktive Einbeziehung und politi-sche Beteiligung von Kindern und Jugendlichen einLeitziel, das nur erfolgreich erreicht werden kann, wennScheinpartizipation vermieden wird.
Alle Vorschläge der Kinder und Jugendlichen solltenvon den politischen Instanzen und sonstigen Entschei-dungsträgern wirklich ernsthaft überdacht und im Rah-men der Möglichkeiten umgesetzt werden. Denn Mit-wirkung muss Wirkung zeigen.Die Union spricht in ihrer Anfrage berechtigt dieFrage der Finanzierung von Jugendpolitik an. Dazumuss ganz klar gesagt werden: Ausgaben für Kinder undJugendliche sind Investitionen in die Zukunft.
Wer hier zu sehr spart, spart an der falschen Stelle undverursacht damit zum Teil wesentlich höhere Folgekos-ten.Allerdings muss Kinder- und Jugendarbeit einerseitssparsam und effizient und andererseits mit Kontinuitätund Nachhaltigkeit verfolgt werden. Nachhaltigkeit undKontinuität sind derzeit durch die Tendenz zu kurzfristi-ger Projektförderung gefährdet. Langfristiges Engage-ment ist aber eine wichtige Voraussetzung für die Quali-tätssicherung in der Jugendarbeit.
Die jüngsten beträchtlichen Haushaltskürzungen der Re-gierungskoalition im Bereich der Jugendverbandsarbeitstehen dazu im Widerspruch.
Sie treffen übrigens, Frau Staatssekretärin, insbesonderedie neuen Bundesländer, wo die Verbandsstrukturennoch im Aufbau oder weniger gefestigt sind.
Die Integration von Kindern und Jugendlichen mitMigrationshintergrund ist Herausforderung und – dasbetone ich – Chance zugleich. Diese jungen Menschenkönnen Brücken bilden und Vermittler zwischen denKulturen sein. Kinder und Jugendliche mit Migrations-hintergrund dürfen aus unserer Sicht nicht nur als Pro-blemfälle behandelt werden, sondern müssen auch in ih-ren Stärken gefördert werden. Voraussetzung für dieNutzung dieser Chancen ist eine umfassende Sprach-kmcumaLtäsdqslo1AerdnFkRuKKuAufAeKWsFsjuciDgfsvbSgzJ
Ausbildung und Arbeit sind für Jugendliche mehrls nur Grundlage für ein wirtschaftlich unabhängigeseben. Sie haben auch zentrale Bedeutung für die Identi-tsfindung, die Selbstverwirklichung und die Selbstbe-timmung. Die bisherige Politik hat jedoch nicht verhin-ern können, dass vielen Jugendlichen die Chance, in einualifiziertes und erfülltes Erwerbsleben einzutreten, er-chwert, ja sogar verwehrt wird.Im Februar hatten wir eine Steigerung der Arbeits-senquote bei jungen Menschen unter 25 Jahren auf3,6 Prozent, im Osten sogar auf 20,5 Prozent. Fehlendeusbildungs- und Berufsperspektiven sind wiederum dientscheidenden Gründe für die dramatischen Abwande-ungszahlen junger Hoffnungsträger aus den neuen Län-ern in Richtung Westen. Dies wiederum entvölkert zu-ehmend ganze periphere Regionen mit allen fatalenolgewirkungen wie Wohnungsleerstand, Rückgang vonommunalen Steuereinnahmen, sinkende Nachfrage,ückgang von Investitionen usw.Jüngst haben sowohl UNICEF als auch der Armuts-nd Reichtumsbericht den dramatischen Anstieg derinderarmut in Deutschland aufgezeigt. Die Zahl derinder, die von Sozialhilfe leben, ist erneut gestiegen:m rund 64 000 auf 1,08 Millionen. Die Zahl der vonrmut betroffenen Kinder ist laut UNICEF noch höhernd liegt bei 1,5 Millionen. Das ist ein Armutszeugnisür unsere Gesellschaft. Die Bundesregierung ist in derrmutsbekämpfung gescheitert. Arbeitsplätze und Ver-inbarkeit von Beruf und Familie – vor allem durch guteinderbetreuungsangebote – sind letztlich die bestenege aus der Armut. Beides verspricht die Regierungeit Jahren, ohne dass wirklich etwas geschieht.
azit: Grundlegende Reformen in der Bildungs-, Wirt-chafts- und Arbeitsmarktpolitik sind für die Zukunft derngen Menschen in Deutschland drängender denn je.Bildung ist für die späteren gesellschaftlichen Chan-en junger Menschen von zentraler Bedeutung. Bildungst daher ein wichtiges Ziel der meisten jungen Leute.iejenigen Heranwachsenden, die mit den Anforderun-en in Schule und Beruf weniger gut zurechtkommen,ühlen sich benachteiligt, reagieren darauf mit Aggres-ion oder Resignation und sind überproportional häufigon der Demokratie als Staatsform enttäuscht. Sie wareneispielsweise bei der Landtagswahl in meinem Ländleachsen das größte Wählerreservoir der NPD.In vielen Gebieten Ostdeutschlands ersetzen die soenannten Kameradschaften die im Westen über Jahr-ehnte gewachsene soziale Infrastruktur für Kinder undugendliche. Kameradschaften formen das Freizeitver-
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Klaus Haupthalten der Mitglieder, wobei rechtsextremistischeGrundpositionen gleichsam als weltanschauliche Klam-mer dienen, die die Gruppenidentität prägt. Viele Ju-gendliche schließen sich ihnen aus einem Hang zur Pro-vokation an. Aber wenn junge Menschen nicht diePerspektive haben, sich in den Städten und Gemeinden,in denen sie zu Hause sind, ihren Lebensunterhalt zuverdienen und beruflich eine Zukunft zu haben, dannwird es schwer, die daraus folgenden Frustrationen auf-zufangen und die viel beschworene Bürgergesellschaftzu stärken. Deshalb müssen wir der Jugend Chancen bie-ten, Talente und Fähigkeiten zu entfalten und eine Auf-gabe zu haben.
Die positive Zukunftssicht der jungen Generation,die sich etwa in der 14. Shell-Jugendstudie zeigt, darfauch die Politik optimistisch stimmen. Die Jugendlichenvon heute stellen sich den großen gesellschaftlichen undpersönlichen Herausforderungen mit Pragmatismus,Fleiß und Ehrgeiz. „Aufstieg statt Ausstieg“ ist dasMotto für die meisten der jungen Generation. Diese Ge-neration kann nach liberaler Auffassung wirklich impositiven Sinne als die Zukunft unserer Gesellschaft be-zeichnet werden.
Ihren Mut zur Zukunft darf Politik nicht durch Bürokra-tismus, Massenarbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeitbehindern,
sondern muss ihn konsequent und nachhaltig stärken.Die Regierung ist in der Pflicht, die dazu unabdingbarenReformen nicht im Hinblick auf anstehende Wahl-termine aufzuschieben, sondern unverzüglich anzupa-cken.Danke.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Jutta Dümpe-Krüger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! DieGroße Anfrage der Union zum Thema „Jugend inDeutschland“ vor dem Hintergrund der 14. Shell-Studiehat 225 Fragen mit 138 Unterfragen. Ich habe mir ein-mal den Spaß gemacht und sie alle zusammengezählt,was 363 ergibt.
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err Scheuer, zu Ihrem Beitrag von heute Morgen mussch allerdings sagen: Es gehört dazu, dass man sich zu-indest mit einigen der eigenen Fragen und auch miten Antworten inhaltlich auseinander setzt. Davon habech heute Morgen gar nichts gehört. Das finde ichchade.
Zwei Bemerkungen vorab. Die 14. Shell-Studie be-eist, dass junge Menschen in Deutschland leistungsbe-eit, zukunftsorientiert und engagiert sind. Diesenchluss zieht auch die Union. Ich finde, das ist schon et-as. Leider entgleist Ihnen dann aber schon der zweiteatz im zweiten Absatz Ihrer Anfrage – ich zitiere –:Wenn aber die Politik der Bundesregierung Bedin-gungen und Zukunftsaussichten für die junge Gene-ration massiv negativ beeinträchtigt, drohen selbstfür optimistische Jugendliche Verunsicherung undPerspektivlosigkeit.
as steht selbstverständlich nicht in der 14. Shell-Stu-ie. Das ist allein die etwas boshafte Herangehensweiseer Union
ach dem Motto: Wir stellen unsere Fragen so, weil wirie Antworten gar nicht hören wollen, sondern sowiesoon vornherein wissen.
ugendsprachlich formuliert, Herr Scheuer, würde icherade in Ihre Richtung sagen – Sie sind ja der Haupt-utor dieser Großen Anfrage –: Das war voll der unter-rdische Touchdown.
Etwas irritiert war ich auch, als ich gesehen habe,ass die Union in ihren Fragen die Altersgrenze für Ju-end fast durchgängig bis 35 Jahre zieht. Grundsätzlicheschreibt der Begriff Jugend den Zeitraum zwischenem Eintritt der biologischen und dem der sozialen Reifezw. der wirtschaftlichen Eigenständigkeit der Heran-achsenden. Jugendpolitik vertritt daraus abgeleitetunge Menschen zwischen dem 14. und 27. Lebensjahr.uch das SGB VIII geht davon aus, bei Bedarf Hilfenis 27 Jahre zu leisten.
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Jutta Dümpe-KrügerIch habe mich wirklich gewundert und gefragt, woherder schleierhafte Ansatz von 35 Jahren kommt. Dannhabe ich nachgelesen, dass die Mitgliedschaft in der Jun-gen Union mit dem 35. Lebensjahr erlischt. Aus Sichtvon Jugendfachleuten ist das zwar mit Sicherheit nichtunbedingt SGB -VIII-kompatibel; darauf kommt es Ih-nen aber auch nicht an. Es ist aber immerhin eine Erklä-rung, wie diese unfachliche Zahl in Ihr Papier gekom-men ist.
Ich möchte jetzt zum Bereich des Jugendstrafrechtskommen. Interessant sind die Fragen zum Jugendstraf-recht, besonders wenn sich die Union um „innovativeFormen von Strafsanktionen“ kümmert.
– Sie sollten jetzt einmal die Ohren spitzen und zuhören.Wer die CDU/CSU und ihren ständigen Ruf nach Ver-schärfungen des Jugendstrafrechts kennt, bei dem gehendabei alle Warnlichter an: Sicherungsverwahrung fürHeranwachsende, Warnschussarrest, Erhöhung derHöchststrafe auf 15 Jahre bis hin zur Herabsetzung desStrafmündigkeitsalters auf 12 oder 10 Jahre, um nur dieabsurdesten Vorschläge zu nennen.
Das sind dann Ihre so genannten Innovationen.
Dabei sollten Sie eigentlich wissen, dass Verschärfungs-tendenzen im Jugendstrafrecht allen fachlichen Erkennt-nissen zur Verhinderung von Jugendkriminalität wider-sprechen. Kern unseres Jugendstrafrechts ist derErziehungsgedanke.
Das oberste Ziel jeder jugendstrafrechtlichen Interven-tion ist die Vermeidung künftiger Straftaten. Das errei-chen wir am besten durch Prävention. Alle Akteure, diemit jungen Menschen zu tun haben, sind hier gefragt. Inden allermeisten Fällen fehlt es nicht an geeigneten Kon-zepten, sondern an echtem Willen und ausreichendenMitteln für die Umsetzung.
Ich komme zum Bereich Kinder- und Jugendhilfe,also zu den Fragen ab 214. Sie wollen wissen, ob dieEinrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe in der Lagesind, die Probleme benachteiligter Jugendlicher ziel-sicher und effektiv zu bekämpfen. Die Antwort daraufkann nur sein: Natürlich sind sie dazu in der Lage. Manmuss ihnen nur die Möglichkeit dazu geben. DasSGB VIII stellt die nötigen fachlichen Instrumente zurVerfügung. Die Träger der Jugendhilfe können daraufvirtuos spielen. Für Missklang sorgen nur diejenigen, dieiwjtelsgtddswdaWrnwBnUhdtojfhegbrdwsnnDgSU„aS
Ich komme zum Bereich Ehe und nachhaltige Part-erschaft. Interessant ist die Fragestellung der Union,ie viele Jugendliche, und zwar ausschließlich mit deretonung auf deutsche Jugendliche, sich vorstellen kön-en, eine Ehe einzugehen, und ob es hierbei Ost-West-nterschiede gebe. Ergebnis: Neben der Ehe gibt es – werätte das gedacht? – auch noch andere attraktive Formenes Zusammenlebens. Familie haben heißt nicht mehr au-matisch, dass man verheiratet sein muss. Das meinenunge Menschen aus den neuen Bundesländern noch häu-iger als Jugendliche aus den alten.Richtig spannend aber wird es in diesem Zusammen-ang bei Frage 119 der Union. Da wollen Sie wissen, obs Daten darüber gibt, „welcher Anteil deutscher Ju-endlicher eine nachhaltige Partnerschaft als notwendigetrachtet, um Kinder zu erziehen“. Die Bundesregie-ung sagt hierzu, dass ihr keine Datenquelle mit genauieser Fragestellung bekannt ist. Mich hat das nicht ge-undert. Ich kannte auch nur nachhaltige Holzwirt-chaft, meine Damen und Herren, was ja bedeutet, dassur so viel Holz geschlagen wird, wie in derselben Zeitachwachsen kann.
ie Bezeichnung „nachhaltige Partnerschaft“ als Ab-renzung zur Ehe war mir hingegen neu. Aber wenn diehell-Jugendstudie dazu beigetragen hat, dass für dienion 36 Jahre nach Woodstock durch den BegriffNachhaltigkeit“ ein Stück weit die Zeit der freien Liebengebrochen ist, dann haben Sie aus familienpolitischericht endlich etwas Neues am Start.
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Jutta Dümpe-KrügerWarum haben wir einen Schwerpunkt auf das „Pro-jekt P“ gelegt? Die Antwort ist ganz einfach: Kinder undJugendliche brauchen eine starke Stimme, und zwar ihreeigene. Sie sollen selbst Anwälte ihrer Interessen sein.Nur so können sie sich zu eigenständigen Persönlichkei-ten entwickeln und nur so können anstehende Problemeam besten gelöst werden. Warum versteht das die Unionnicht?Sie machen mit der Frage 22 ganz deutlich, dass Sienicht verstehen, warum die Bundesregierung die Parti-zipation fördert, wo das doch – so Ihre Auffassung – be-reits die Jugendverbände machen. Sie müssen einfacheinmal zur Kenntnis nehmen, dass es unterschiedlicheBeteiligungsformen gibt. Es gibt die parlamentarischenFormen, beispielsweise Kinder- und Jugendparlamente.Es gibt offene Formen, beispielsweise Zukunftswerkstät-ten. Darüber hinaus gibt es verwaltungsorientierte For-men, beispielsweise Kinderbeauftragte und Kinderbüros.Schließlich gibt es noch unsere Jugendverbände, die her-vorragende Arbeit leisten.Jede dieser Formen hat ihre Berechtigung und alle ge-meinsam sorgen dafür, dass Jugendpolitik als Quer-schnittsaufgabe verstanden wird, die bei allen politi-schen Entscheidungen zu berücksichtigen ist. DennPartizipation und lebendige Demokratie gehören zusam-men.
Ich komme nun auf den Bereich „Programme gegenRechtsextremismus“ zu sprechen. Damit sind wir beidem Komplex angelangt, bei dem Sie immer wieder wieDon Quichotte unverdrossen gegen Windmühlen kämp-fen.
Ich sage an dieser Stelle: Setzen Sie sich mit den Ant-worten der Bundesregierung auseinander! Wer lesenkann, ist klar im Vorteil. Ich fand die Antworten derBundesregierung richtig gut. Die Bekämpfung vonRechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Anti-semitismus ist ein Schwerpunktthema der Bundesregie-rung. Es sollte – es ist mir ganz wichtig, an dieser Stelledarauf hinzuweisen – ein Schwerpunkt aller Demokratensein.Meine Damen und Herren, ich komme leider nichtmehr zum Thema Migration, das ich mir auch vorge-nommen hatte. Es bleibt zu sagen: Meine Damen undHerren von der Union, mit Ihrer Anfrage haben Sie inerster Linie zwei Dinge deutlich gemacht: Erstens. Pa-pier ist geduldig. Zweitens. Im Bereich der Jugendpolitikhaben Sie nach allem, was bisher hier zu hören und zulesen war, ich will nicht sagen: nichts, aber nicht viel da-zugelernt. Darum nutzen Sie die Chance, die Ihnen dieAntwort der Bundesregierung bietet. Lebenslanges Ler-nen gilt schließlich nicht nur für junge Menschen.
Danke schön.KWtjggFJleeusTFssuPvaeva2dvd1BnrmnimeFlzgfA
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Michael
retschmer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dieseoche begann mit einem unangenehmen Zeitungsar-ikel, der einen Vorfall in einer S-Bahn beschrieb: Eineunge Frau wurde von fünf Jugendlichen belästigt undeprügelt und keiner hat reagiert. – Das, was wir geradeehört haben, ist eine viel zu einfache Antwort auf dieseragen. Man kann nicht einfach den Problemen in derugendpolitik und der Perspektivlosigkeit der Jugend-ichen nur mit Sozialpolitik begegnen. So einfach ist esben nicht.
Wenn wir über Jugendpolitik und über die Frage, wies den Jugendlichen in Deutschland geht, reden wollennd dabei nicht ein Mitglied der Bundesregierung anwe-end ist, dann zeigt das, wie wichtig Rot-Grün dieseshema nimmt. Ich finde es gut, dass die CDU/CSU-raktion diese Anfrage in ihrer umfassenden Form ge-tellt hat. Frau Dümpe-Krüger, Ihre Antwort war ange-ichts der Komplexität des Themas in der Tat zu dumpfnd viel zu einfach.Meine Damen und Herren, in Ostdeutschland ist dasroblem noch viel größer als im Rest des Landes. Füriele hängt von der Perspektive einer Berufsausbildunglles ab: die Möglichkeit, in der Heimat zu bleiben, eineigene Familie zu gründen und sich ein Leben mit selbsterdientem Geld aufzubauen.Viele Jugendliche stimmen seit Jahren mit den Füßenb. Sie verlassen ihre Heimat. Im Februar 2005 waren24 000 Jugendliche unter 25 Jahre in den neuen Bun-esländern arbeitslos. Trotz Ausbildungspakt und Nach-ermittlung haben 4 700 Jugendliche in den neuen Bun-esländern bis Ende 2004 keine Lehrstelle gefunden.74 000 Jüngere sind in Maßnahmen wie JUMP oder inerufsvorbereitungen geparkt. Das ist zwar besser alsichts, aber kein Ersatz für eine Lehrstelle, für eine Be-ufsausbildung.Schon längst ist der Wegzug aus Ostdeutschland dra-atisch. Aus meiner ehemaligen Schulklasse habenicht mehr als drei oder vier einen Ausbildungsplatz inhrer Heimat gefunden, der ihnen eine Chance bietet. Dieeisten sind aber weggegangen. Der dadurch bedingtemotionale Sprengstoff bei Großeltern und Eltern sowiereunden ist gewaltig. Die Frustration steigt und wir ver-ieren unsere Zukunft im Osten. Aber Ostdeutschland istunehmend überall in Deutschland. Perspektivlosigkeitibt es auch in anderen Regionen, wenn auch nicht solächendeckend und ausgeprägt wie in Ostdeutschland.ber wir können an Ostdeutschland ablesen, was auch in
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Michael KretschmerWestdeutschland passieren wird, wenn sich nichts än-dert, wenn wir die wirtschaftlichen Probleme unseresLandes nicht lösen.
Die Lösung der wirtschaftlichen Probleme ist dieAntwort auf die Frage, wie es mit der Jugend inDeutschland weitergeht. Seit der Wiedervereinigung ha-ben über 1 Million Menschen Ostdeutschland verlassen.Davon waren zwei Drittel zwischen 18 und 25 Jahre.Gegangen sind vor allen Dingen junge, gut ausgebildeteFrauen. Sie bekommen ihre Kinder in Zukunft in West-deutschland. Die Folgen für unser gesellschaftlichesKlima und die Infrastruktur werden verheerend sein. So-lange Sie unfähig sind, die Konjunktur in Schwung zubringen, wird sich die Perspektive der Jugend inDeutschland nicht bessern. Wir brauchen keine Pro-gramme wie „wir … hier und jetzt“ zur Förderung desHeimatgefühls. Wir lieben nämlich unsere ostdeutscheHeimat.
– Meine Herren von der Regierung, wenn Sie zuhörenmögen! – Wir brauchen aber Arbeit, damit die Jugend inOstdeutschland bleiben kann. Wir haben kein Verständ-nis dafür, dass Rot-Grün mit Überregulierung und Be-sitzstandsdenken die Lösung der Probleme unseres Lan-des verhindert.
Frau Präsidentin, ist es möglich, dass Herr Staffelt aufder Regierungsbank Platz nimmt?
Ich bin gehalten, darauf zu achten, dass von der Re-
gierungsbank aus nicht dazwischengeredet wird. Aber
ich glaube, dass ich Aufstehen nicht verhindern kann
und sollte.
Es ist recht. Aber es ist bei einem solchen Thema eineFrage des Anstandes, dass man sich voll und ganz demRedner widmet und zuhört; denn die Probleme sind inder Tat gewaltig.Wenn ich an meine ostdeutsche Heimat denke und dieLethargie sehe, die weite Teile des Landes im Griff hat,dann wird mir angst und bange. Ich frage mich, warumdie Bundesregierung nicht längst gehandelt hat.
Das Institut der deutschen Wirtschaft sagt ganz klar: Diewirtschaftliche Lage und insbesondere die Lehrstellenlü-cke sind die Hauptursachen für die Abwanderung. Wirbrauchen deshalb keine Programme, die die Rückkehr-bereitschaft fördern sollen. Vielmehr brauchen wirAgTnIsuwcJNsrjddswvwseadwwetAKcdbJabslDgvsdOSBmSbd
Vom Osten kann man lernen; denn dort werden trotzines schwierigen wirtschaftlichen Umfelds – prozentu-l – mehr Lehrstellen bereitgestellt als anderswo. Dochafür ist insgesamt mehr Flexibilität notwendig. Wirollten das im Berufsbildungsrecht verankern. Wirollten die Stufenausbildung zur Regel machen sowieine angemessene und verbindliche Ausbildungsvergü-ung festlegen. Aber Sie haben die Chancen vertan, mehrusbildungsplätze in kleinen Betrieben zu schaffen.Wer, wie ich in einem Gespräch mit einer zehntenlasse, erlebt, wie niedergeschlagen Jungen und Mäd-hen nach 30 oder 40 erfolglosen Bewerbungen sind,en befällt ein kalter Schauer. Diese Jugendlichen sindeinahe noch Kinder. Was würden Sie antworten, wennugendliche Ihnen erzählten, sie wollten bei der Prüfungbsichtlich durchfallen, weil noch ein Jahr in der Schuleesser als ein sinnloses Jahr in der Berufsvorbereitungei?Nur eine persönliche Perspektive kann diese Jugend-ichen überzeugen.
er Wert von Demokratie und Freiheit ist für die Ju-endlichen mit einer beruflichen Chance unmittelbarerbunden. Sie wollen arbeiten; sie wollen ihr Geldelbst verdienen. Aber statt neuer Ideen sendet die Bun-esregierung immer mehr verheerende Signale in densten. Der Jahresbericht der Bundesregierung zumtand der Deutschen Einheit soll eingestellt werden. Dieundesagentur sagt: Arbeitslose über 55 sollen nichtehr vermittelt werden. Die Jugendlichen fragen sich:ind wir die Nächsten? So wird es nichts mit dem Auf-au Ost und so wird es uns auch nicht mehr gelingen,iesen jungen Leuten eine Perspektive zu schaffen.
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Michael KretschmerDas muss uns aber gelingen. Wir müssen eine anderePolitik machen, eine Politik, die jungen Leuten inDeutschland und vor allen Dingen in Ostdeutschlandeine Chance gibt. Wir müssen die jungen Leute zurück-holen und ihnen sagen: Ihr habt eine Chance. Schreibteuch nicht ab, wir kümmern uns um euch!Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Sabine Bätzing.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Wir sprechen hier im Deutschen Bundestagzur besten Sendezeit über die Jugendpolitik in Deutsch-land.
Ich hoffe sehr, Herr Kretschmer, dass möglichst viele,vor allem junge Menschen diese Debatte verfolgen. Ichbin der Auffassung, dass Ihre Polemik heute Morgenvöllig fehl am Platz ist.
Sie brauchen sich gar nicht aufzuregen; denn ich binIhnen für Ihre Große Anfrage an die Bundesregierungzur Jugendpolitik in Deutschland eigentlich dankbar.Getreu dem Motto „Wer nicht fragt, bleibt dumm“ hoffeich sehr, dass nicht nur Sie von der Opposition, sondernvor allem viele Jugendliche die Antworten lesen werden.
Jugendpolitik ist für uns eine Politik für das Kost-barste, wofür wir Verantwortung tragen: für unsere Zu-kunft. Alles, was in jungen Jahren gesät wird, werdenwir ernten: Erfolge und Misserfolge. Daher sind wir allehier gemeinsam in der Pflicht, für die jungen Mitgliederunserer Gesellschaft Zukunftschancen zu sichern. EinMarkenzeichen sozialdemokratischer Jugendpolitik ist,dass wir junge Menschen ernst nehmen. Wichtig warund ist uns, dass wir Politik nicht nur für, sondern auchgemeinsam mit den jungen Menschen machen.
Denn wer kennt die Nöte, die Ängste und die Bedürf-nisse von Jugendlichen besser als sie selbst? Genau da-rum haben wir unsere Beteiligungskampagne ins Lebengerufen.Damit sind wir beim Thema Partizipation. Partizipa-tion ist ein oft bemühtes Wort, das wir mit Leben gefüllthaben.WtkMssJRsknugilw„gfd2gevndaHwazlltLsshwb
as heißt überhaupt Partizipation? Partizipieren bedeu-et laut Duden: etwas abbekommen, teilhaben. Was be-ommen die Jugendlichen also ab? Wir wollen jungeenschen für die Kernwerte einer demokratischen Ge-ellschaft gewinnen. Dazu gehören Toleranz und Mitge-taltung. Wir wollen der Entwicklung, dass immer mehrugendliche demokratischen Institutionen, Parteien undepräsentanten gleichgültig oder ablehnend gegenüber-tehen, entgegentreten. Daher müssen wir den Teufels-reis durchbrechen, der entsteht, wenn sich Jugendlicheicht beteiligen, weil Politik von oben gemacht wird,nd wenn Politik von oben gemacht wird, weil sich Ju-endliche nicht beteiligen.Wir wollen junge Menschen dafür begeistern, sich inhre Angelegenheiten einzumischen. Kurzum, wir wol-en, dass sie mitmischen. Wir wollen ihr Vertrauen ge-innen. Genau an dieser Stelle setzt das „Projekt P“ an:P“ steht für Partizipation und für Politik. Ich muss sa-en: Ich bin ein großer Fan von diesem Projekt; denn esunktioniert.
Mit dieser Initiative lernen junge Menschen, dass je-er Einzelne Einfluss nehmen kann. In mehr als00 Projekten haben sich bereits 6 000 Jugendliche en-agiert. Dass dieser Erfolg in knapp anderthalb Jahrenrzielt werden konnte, liegt sicherlich auch an der her-orragenden Kooperation mit unseren erfahrenen Part-ern, dem Deutschen Bundesjugendring und der Bun-eszentrale für politische Bildung.
Aber nicht nur Junge können hier lernen, sondernuch Erwachsene und damit auch Sie, meine Damen underren. Oftmals fehlt den Erwachsenen der Mut, Verant-ortung an junge Menschen abzugeben und mit ihnenuf gleicher Augenhöhe zu verhandeln. Genau das istum Beispiel beim Projekt „Come in Contract“ mög-ich – der Beitrag der Jugendverbände zum „Projekt P“.
Hier entstehen Lernpartnerschaften zwischen Jugend-ichen und politischen Instanzen. Ich selbst habe Ver-räge mit dem schwul-lesbischen Jugendnetzwerkambda und mit dem Kreisjugendring meines Wahlkrei-es geschlossen. Die Professionalität und die Bereit-chaft der Jugendlichen, Verantwortung zu übernehmen,aben mich bei beiden Gruppen begeistert.
Bei dem Projekt in meiner Heimatstadt Altenkirchenird vor allem deutlich, dass gerade durch die projekt-ezogene Förderung – unabhängig von bestehenden
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Sabine Bätzingpolitischen Organisationen – junge Menschen erreichtwerden können, die noch nie vorher mit politischem En-gagement in Berührung gekommen sind. Ich habe zumBeispiel einen Vertrag mit einer Gruppe von Cheerlea-dern, Mädchen von 9 bis 17 Jahren, zur erweiterten Nut-zung der örtlichen Turnhalle geschlossen. Auch das mitErfolg. Diese hatten vorher noch nie Kontakt mit Politikgehabt. Hier haben sie zum ersten Mal ernstes Interessefür ihre Anliegen erfahren. Mit diesen Beispielenmöchte ich auch Sie ermutigen, sich am „Projekt P“ zubeteiligen.„Projekt P“ ist übrigens auch auf europäischer Ebeneauf großes Interesse gestoßen. Eine Zusammenarbeitwird angestrebt – für die Demokratinnen und Demokra-ten von morgen. „Projekt P“ als Blaupause für die EU –ich glaube, das ist ein großartiger Erfolg und führt unsvor allen Dingen direkt zu einem anderen wichtigen Be-reich der Jugendpolitik, dem internationalen Jugend-austausch.Wenn einer eine Reise tut, kann er viel erzählen, undReisen bildet. Das wissen wir alle. Ein Blick über denTellerrand, die Erweiterung des eigenen Horizonts ist fürviele junge Menschen der Impuls für eine tolerante undinteressierte Lebenseinstellung. Ob Schüleraustausch fürzwei Wochen oder Auslandssemester, die Möglichkeitensind vielfältig, die Erfahrung einmalig. Ob es nun unsereProgramme „Leonardo da Vinci“ oder „Sokrates“, dasEU-Programm „Jugend“ oder Aktionen außerhalb derEU sind: Insgesamt unterstützen wir den Jugendaus-tausch mit 16 Millionen Euro.
Aber auch die Wirtschaft trägt Verantwortung für diejunge Generation im Rahmen von Public Private Part-nership.Wichtig ist aber auch, dass diese Angebote für den in-ternationalen Jugendaustausch nicht nur existieren, son-dern dass sie den Jugendlichen auch bekannt und vor al-lem attraktiv für sie sind. Die Internetseiten des IJABoder „rausvonzuhaus.de“ sind an der Stelle gelungeneBeispiele. Die machen richtig Lust auf die große weiteWelt.
Auch für Sie gilt: Einen Blick über den Tellerrand zuwerfen ist nicht verkehrt.Jugendaustausch trägt zum Aufbau von Vertrauen undzum Abbau von Ängsten bei. Damit tragen wir auchdazu bei, gegen den Rechtsextremismus anzugehen. Wirhaben etwas gegen Rechtsextremismus und Fremden-feindlichkeit, nämlich unser Aktionsprogramm „Jugendfür Toleranz und Demokratie“. Denn in toleranten, welt-offenen Köpfen ist kein Platz für Hakenkreuze.Sosehr wir den Kindern eine Welt ohne Grenzen wün-schen, so sehr müssen wir uns auch den Gefahren stel-len, denen sie dadurch ausgesetzt sind. Wir können sienicht vor den Gefahren durch Drogen oder Gewaltme-dien wegsperren, wenn wir Kinder aufwachsen sehenwmaKRvhhgmdlashisge„swnmndSrgBnlgowAc
Mit dem gesetzlichen Kinder- und Jugendmedien-chutz sind wir dabei einen großen Schritt nach vorn ge-angen. Medienkompetenz ist das Stichwort. Diese gilts Kindern und Eltern zu vermitteln. Die KampagneSCHAU HIN! Was deine Kinder machen.“ zeigt bei-pielhaft, dass wir alle in der Verantwortung stehen,enn es um unsere Kinder geht.Meine Damen und Herren, aus Kindern werden Se-ioren. Damit komme ich zum Thema Jugend und De-ographie. Wir Abgeordnete, und nicht nur wir, sindicht nur dem Hier und Jetzt verpflichtet, sondern aucher Zukunft.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
cheuer?
Gerne, Herr Scheuer.
Wir machen es dann so, dass Sie die Antwort mit Ih-
en Schlusssätzen verbinden; denn Ihre Redezeit ist ab-
elaufen.
Frau Präsidentin! Hochgeschätzte Frau Kolleginätzing, Sie waren vorher beim Jugendschutz. Im natio-alen Aktionsplan „Für ein kindergerechtes Deutsch-and“ wird ja von der Bundesregierung der Jugendschutzroß ausgebreitet. Können wir uns darüber unterhalten,b Ballerspiele und ähnliche Dinge verboten werden,ie wir es in dem von uns vor einiger Zeit eingebrachtenntrag vorgesehen haben, und würden Sie dabei mitma-hen?
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Herr Scheuer, ich bin nicht erstaunt, dass Sie das
Thema schon wieder ansprechen. Wir haben uns ja be-
reits oft im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend sowie im Ausschuss für Kultur und Medien da-
rüber unterhalten. Ich habe Ihnen immer gesagt – und
das ist auch heute wieder meine Antwort –, dass wir das
Jugendschutzgesetz evaluieren.
Dabei werden wir sehen, welche Entwicklungen es gibt.
Wenn es dann erforderlich sein sollte, werden wir uns
vielleicht auch über solche Maßnahmen Gedanken ma-
chen.
Eigentlich war ich ja schon in der Schlussphase mei-
ner Rede, Frau Präsidentin, angekommen. Ich möchte
die Zeit nutzen, um mit Ausführungen zum Thema
Generationengerechtigkeit meinen Beitrag in dieser ju-
gendpolitischen Debatte zu beenden. Der Begriff Gene-
rationengerechtigkeit wird ja in Ihrer Großen Anfrage
erwähnt. Er wird aber durchaus unterschiedlich definiert.
Ich finde, er darf nicht nur, wie aus Ihren Fragen hervor-
geht, auf die sozialen Sicherungssysteme bezogen wer-
den. Er muss auch Eingang in die Finanzpolitik genauso
wie in die Bildungs- und Wirtschaftspolitik finden.
Standortpolitik ist eben auch Jugendpolitik und Bil-
dungspolitik ist Standortpolitik.
Unsere Regierung, meine sehr geehrten Damen und
Herren, hat Jugendpolitik als eine Querschnittsaufgabe
erkannt. Die Interessen der jungen Menschen finden auf
allen Handlungsebenen Berücksichtigung. Ohne die Ju-
gend und ohne ein Miteinander von Jung und Alt sieht
unser Staat alt aus. Damit ist kein Staat zu machen.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Julia Klöckner.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-legen! Frau Kollegin Bätzing, Sie haben eben gesagt, dieBundesregierung will Lust auf die große weite Welt ma-chen. Ich muss Ihnen da entgegenhalten: Wir wollen un-seren Jugendlichen erst einmal Lust auf Deutschland,auf ihr Heimatland, machen.
Der eine will die Jugend ewig haben, der andere willnoch einmal 16 sein. Angeblich soll ja die Jugendzeiteine der schönsten im Leben sein. Damals, als Sie undich vielleicht noch 16 waren und sich so mancherwhnggoRsdesHsSktdldbshIdFift–vhDIdtLrW
Die Perspektive für die Zukunft ist alles andere alsptimal:
ekordverschuldung, Rekordarbeitslosigkeit, Rekordin-olvenzen. Wenn Sie uns auffordern, Deutschland beien jungen Menschen nicht mies zu machen,
rwidere ich Ihnen: Sie dürfen die Lage auch nichtchönzeichnen, sonst bricht man nämlich in das Eis ein.üten Sie sich davor, warnen Sie die Jungen undchauen Sie sich einmal die Zahlen an! Von diesemtandpunkt aus müssen wir die Richtung noch einmalorrigieren. Das ist nämlich eine traurige Spitzenleis-ung der Bundesregierung.
Das, was für viele Jugendliche gewiss ist, ist, dass sieie Rechnung dafür zahlen müssen, was heute schiefäuft. Schauen wir uns das einmal genauer an: Sie wer-en die Rechnung für die optische Schönung von Ar-eitslosenzahlen zahlen müssen,
ie werden die Rechnung für das Türken von Bundes-aushalten und für den Verkauf des Tafelsilbers, der vonhnen betrieben wird, zahlen müssen. Sie werden auchie Rechnung für die Abschaffung des demographischenaktors unter Rot-Grün bezahlen müssen, der dannrgendwann wieder unter dem Namen Nachhaltigkeits-aktor – der Begriff Nachhaltigkeit wird ja sehr oft infla-ionär gebraucht – eingeführt wurde.
Leider ist Ihre Jugendzeit, Herr Tauss, schon längerorbei. Sie hatten es vielleicht noch ganz gut. Für dieeutige Jugend sieht es aber anders aus.
ie verfehlte Renten- und Gesundheitspolitik trägt dashrige dazu bei.Das Schlimmste, was diese Regierung – die heute lei-er sehr übersichtlich hier vertreten ist – der Jugend an-un kann, ist, ihr den Glauben an die Zukunft zu nehmen.
iebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, Sieeden ja gerne von Nachhaltigkeit. Sie benutzen diesesort ziemlich oft und inflationär, wodurch es immer
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Julia Klöcknerinhaltsleerer wird. Nachhaltig wäre es gewesen, wennSie unserem Antrag auf Einrichtung eines Zukunftsaus-schusses vom vergangenen Jahr zugestimmt hätten. Jähr-liche Generationenbilanzen und Gesetzeschecks vor demHintergrund der Generationengerechtigkeit wären einWarnsignal gewesen, auch über die nächsten Wahlen hi-naus.
Mittlerweile lebt – Sie haben es im Armutsbericht ge-lesen – jedes zehnte Kind in relativer Armut. Hinzukommt ein neuer Aspekt, dem wir uns noch nichtgenügend zugewendet haben: die Verschuldung vonJugendlichen und die Verstrickung in Kostenspiralen.Das ist ein neues Problem, das auf uns zurollt. Die Kauf-anreize sind groß, Verträge sind problemlos geschrieben,bargeldlos ist schnell eingekauft. Die jugendliche Ziel-gruppe steht im Fokus von Lockangeboten. Auch diemangelnde Kenntnis vom Haushalten, vom Umgang mitGeld wird ein Problem werden, dem wir uns zuwendenwollen. Hier brauchen die jungen Menschen unsere Un-terstützung.Es wird gewiss nicht einfacher werden, für die Ju-gendlichen in diesem Land eine Lanze zu brechen. Wirreden fast über Minderheitenpolitik.
– Das ist ein bisschen schwierig. Wahrheiten tun oftweh. – Bis 2050 wird sich der Anteil der unter 20-Jähri-gen von derzeit 21 Prozent auf 16 Prozent verringern.Besonders bedrückend ist die Entwicklung im länd-lichen Raum. Ein Blick zeigt, dass die Jugend dort sehrschwach vertreten ist bzw. abwandert. Laut Statisti-schem Bundesamt sind nur rund 19 Prozent der Bevöl-kerung im ländlichen Raum angesiedelt. Abgewandertsind von 1996 bis 2001 rund 300 000 Jugendliche. DieDörfer aber entwickeln sich nur mit den Jugendlichenund umgekehrt entwickeln sich die Jugendlichen mit ih-ren Dörfern.Eine kräftige Wirtschaft ist einer der wichtigsten de-mographischen Faktoren. Laut Aussage der Bundesre-gierung, auch in einer Antwort auf unsere Große An-frage – die, nachdem sie so oft verschoben wurde,vorgestern Abend auf dem Tisch lag; ich finde es eineUnverschämtheit, dass Sie sich jetzt auf eine Antwortbeziehen, über die noch nicht einmal die Staatssekretäringesprochen hat; außerdem ist es ein starkes Stück, ein-fach nur einen Berg Papier zu produzieren; Gesetze müs-sen Sie uns in der Antwort nicht erklären, die können wirselbst nachlesen, stattdessen hätten wir gerne konstruk-tive Ansätze und Perspektiven für die Zukunft erfah-ren –,
ist es ihr Ziel, allen Jugendlichen die Chance einerAusbildung zu eröffnen. Das hört sich sehr gut an. Aberwie sieht es denn konkret aus? In unsere Abgeordneten-sprechstunden kommen in jüngster Zeit immer mehr Ju-gendliche, die sich darüber beklagen, dass ihre Lehrver-träge aufgelöst werden, und zwar nicht deshalb, weil ihreBvteLPDSaSkgKwWwmfsledd–zrsbdIKnasin1eAcdzdjengte
ir sind uns sicher, dass Demokratie und ein tolerantes,eltoffenes, soziales Miteinander erlernbar sind. Wiröchten die Jugendlichen nicht abschreiben. Aber einesällt uns schon auf. Jugendliche sind dort gefestigt, woie in ländlichen Strukturen, Vereinen und demokratischgitimierten Jugendgruppen integriert sind. Uns wun-ert, dass die Bundesregierung gerade die Gelder füriese Jugendorganisationen streicht.
Wenn das nicht stimmt, hat leider auch Ihr Juso-Vorsit-ender aufgrund einer falschen Sachlage die Bundes-egierung kritisiert. – Diese Jugendorganisationen müs-en unterstützt werden, damit Demokratie erlernbarleibt.
Ein letzter Blick auf die Landwirtschaft. Diese Bun-esregierung hat nur eine Museumslandschaft im Auge.ch denke in diesem Zusammenhang an Ministerinünast, die ein Denkverbot in Richtung Grüne Gentech-ik ausgesprochen hat. Die Landwirtschaft ist aber mehrls nur eine Museumslandschaft. Sie ist ein starker Wirt-chaftsfaktor; denn die Produktivität pro Arbeitskraft ist den letzten Jahren gestiegen. Außerdem bietet sie mit3 grünen Berufen den Jugendlichen eine Zukunft.Wenn die Bundesregierung den Jugendlichen wirklichine Chance geben will, dann darf sie nicht weiter denusverkauf unserer Landwirtschaft betreiben. Wir brau-hen vielmehr ein Bekenntnis zur Landwirtschaft imeutschen Raum und wir müssen diejenigen unterstüt-en, die Betriebe übernehmen.Lassen Sie uns die Jugendlichen und die Kinder inen Mittelpunkt unserer Politik stellen! Bei dem, wastzt entschieden wird, sollten Sie nicht nur an dieächste Wahl denken, sondern auch daran, dass diejeni-en, die nach uns kommen, die späteren Lasten und Kos-n tragen müssen.
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Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Kerstin Griese.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Kollegin Klöckner, diese Schwarzmalerei passteigentlich gar nicht zu Ihrem Gemüt.
Wir sollten nicht alles schwarz malen, sondern wir soll-ten uns die Fakten einmal genau ansehen. Es gibt durch-aus ernsthafte Probleme. Daher muss man ernsthaft nachLösungen suchen und darf nicht billige Taktiererei be-treiben.
Der Rekordhalter im Schuldenmachen ist immer nochTheo Waigel.
Man muss sich einmal die Entwicklungen ansehen, umerkennen zu können, was wir für die Zukunft unseresLandes und für die Zukunft unserer Kinder und Jugend-lichen tun können.Wenn man einmal die verschiedenen Lösungen ver-gleicht, die die Opposition
und die SPD und die Grünen anbieten, dann kann mansehr deutliche Unterschiede feststellen. Herr Scheuer,ich möchte zunächst ein Beispiel aus Bayern anführen.Der Freistaat Bayern hat – unterstützt von der CDU/CSU – in den Bundesrat das kommunale Entlastungs-gesetz eingebracht. Schauen wir uns dieses Gesetz docheinmal genauer an. Es beinhaltet, dass soziale Leistun-gen in den Kommunen reine Sparmasse sein sollen unddass ein Finanzvorbehalt eingeführt werden soll. Das wi-derspricht aber dem, was im Sozialgesetzbuch steht,nämlich dass die Menschen ein Recht auf ein menschen-würdiges Dasein haben. Die von Ihnen geplante Einfüh-rung einer Finanzklausel würde dazu führen, dass dieAusgaben für Kinder und Jugendliche nur noch Manö-vriermasse wären.
Sie senden ein falsches Signal aus. Denn Ihre Vor-schläge beinhalten, dass Menschen, die wirklich Hilfebrauchen, sie nicht in Anspruch nehmen können unddass sie nur zu einer finanziellen Belastung der Kommu-nen degradiert werden. Wir brauchen eine sozial ge-rechte Lösung. Wir müssen zwar die Finanzierbarkeitbeachten. Aber die Hilfe für Menschen, die sie brauchen,muss im Vordergrund stehen. Die Konzepte der Unionbeinhalten dagegen nur Abbau von Rechten. Die Ju-gendlichen in Bayern sollten sich daher genau überle-gen, wo sie ihr Kreuz machen.atensjeHdMrssdugkwddwaEdddsmvmfVwsbIlided3teliwSdsD
Wir werden die Jugendämter stärken und wir werdenas Kinder- und Jugendhilfegesetz weiterentwickeln, umissbrauch zu verhindern. Wir werden die Eingliede-ungshilfen zielgenauer formulieren und die Qualitätichern. Wir werden außerdem – auch das gehört zurozialen Gerechtigkeit – finanzstarke Eltern stärker anen Kosten beteiligen. Es handelt sich also um eine gutend sinnvolle Weiterentwicklung von bestehenden Re-elungen und um eine sinnvolle Investition in die Zu-unft von Kindern und Jugendlichen.
Ich nenne Ihnen ein zweites Beispiel, das zeigt, wieir die Chancen und Teilhabemöglichkeiten von Kin-ern und Jugendlichen verbessern können. Es geht umen Bereich Ausbildung, der schon häufig angesprochenorden ist. Sie sollten nicht immer mit einem Finger aufndere zeigen; denn vier Finger zeigen auf Sie zurück.s bedarf einer gemeinsamen Anstrengung, die Ausbil-ungssituation zu verbessern. Wir haben den Ausbil-ungspakt auf den Weg gebracht. Es zeigen sich bereitseutliche Erfolge. Es gibt mehr Ausbildungsplätze, weilich Politik und Unternehmen verstärkt darum geküm-ert haben, dass Jugendliche eine Chance bekommen.Die Lösung, die Sie in Ihrem „Pakt für Deutschland“orschlagen, beinhaltet als einzigen Ansatz, die Bestim-ungen des Jugendarbeitsschutzgesetzes zu verschär-en. Es wird dabei aber vergessen, dass darin weder dieergütung noch Einstellungsvoraussetzungen geregelterden. Mit den Änderungen im Jugendarbeitsschutzge-etz wollen Sie nur die Regelungen hinsichtlich der Ar-eits- und Ruhezeiten für Jugendliche verschlechtern.ch glaube, das ist nicht der richtige Ansatz, um Jugend-chen mehr Chancen auf Bildung zu geben.
Der Ausbildungspakt ist ein Erfolg. Seit 2004 konnteie Zahl der Ausbildungsverträge zum ersten Mal wiederrhöht werden. Bundesweit wurden 573 000 Ausbil-ungsverträge abgeschlossen. Das ist ein Plus von fastProzent. Ich sage aber sowohl an die Adresse der Un-rnehmen als auch an die Adresse der Politik sehr deut-ch, dass das noch nicht genug ist. Aber diese Trend-ende, die wir eingeleitet haben, ist ein erster richtigerchritt.Ein drittes Beispiel dafür, was wir Sinnvolles tun, ister europäische Pakt für die Jugend. Wir haben heutechon über Identität und Werte gesprochen. Dies ist eineiskussion, die ich für durchaus wichtig halte. Ich finde
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Kerstin Griesees deshalb gut, dass Bundeskanzler Gerhard Schröderzusammen mit drei anderen Staats- und Regierungschefsdie Errichtung eines europäischen Pakts für die Jugendvorgeschlagen hat, um die Jugendpolitik als Quer-schnittsaufgabe in der Europäischen Union zu verankernund die junge Generation in Europa zukunftsweisendauszubilden, ihr Beschäftigungschancen zu geben undihr natürlich auch, Frau Klöckner, Chancen auf Jugend-austausch zu geben. Ein solcher Austausch ist doch dazuda, dass man etwas lernt, mit diesem Wissen wieder-kommt und es hier im Lande anwenden kann. Wir allekennen Jugendliche, die an dem Parlamentarischen Pa-tenschafts-Programm des Bundestages teilgenommenhaben, und wissen, wie sinnvoll es ist. Wir wollen aber,dass mehr Jugendliche diese Chance erhalten.
Uns geht es darum, das, was im Weißbuch Jugendvorgesehen ist, nämlich Partizipation, Information undmehr Freiwilligendienste, tatsächlich in Deutschland zuverankern. Dafür haben wir wichtige Projekte gestartet;meine Kolleginnen haben schon darauf hingewiesen.Ich will zu einem weiteren Punkt etwas sagen; dennSie behaupten immer wieder, wir hätten die Mittel fürdie Jugendverbände gekürzt. Das stimmt nicht. Wir ha-ben im derzeitigen Haushalt – im Gegenteil – die Mittelim Kinder- und Jugendplan noch einmal um 2 MillionenEuro erhöht. Wenn man sich all die Streichungsvor-schläge, die auf dem Tisch lagen, ansieht, kommt man zudem Ergebnis, dass es viel schlimmer hätte aussehenkönnen. Wir haben also die Mittel erhöht und zusätzlichEU-Mittel, die diese Summe um ein Vielfaches überstei-gen, ganz gezielt im Bereich der Jugendlichen einge-setzt.
Besonders wichtig ist dabei das Programm „Jugendfür Toleranz und Demokratie – gegen Rechtsextremis-mus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“. DieMittel für dieses Programm haben wir – das wissen Sie;wir haben darüber diskutiert – nicht gekürzt. Wir haltendiese Aufgabe vielmehr weiterhin für äußerst wichtig.
Das Deutsch-Polnische und das Deutsch-Französi-sche Jugendwerk sind zwei wichtige Säulen des Jugend-austausches. Wir haben mit Tandem im Rahmen desdeutsch-tschechischen Jugendaustausches und mit Con-Act im Rahmen des deutsch-israelischen Jugendaustau-sches und jetzt neu mit dem deutsch-russischen Jugend-austausch einen wichtigen Schritt gemacht und finan-zielle Mittel dafür eingesetzt, dass Jugendliche dieErfahrung des Jugendaustausches machen können.Ich will in diesem Zusammenhang die gute und wich-tige Arbeit der Jugendverbände ausdrücklich hervorhe-ben, die einen wertvollen Beitrag dafür leisten, dass Kin-der und Jugendliche in unserer Gesellschaft lernen,solidarisch und demokratisch miteinander aufzuwachsenuuhIdJiutMhDznuRmsdstatwNrutaJbggAwtgzkhsMwzsEwv
Ich denke, dass wir hoffentlich gemeinsam erkanntaben – dies müssen wir aber auch umsetzen –, dass dientegration von Jugendlichen besonders aus dem Kreiser Spätaussiedler und ausländischer Jugendlicher bzw.ugendlicher mit Migrationshintergrund äußerst wichtigst. Sie kennen vielleicht das Programm „Entwicklungnd Chancen junger Menschen in sozialen Brennpunk-en“. Dies ist ein wichtiges Programm, in das viele EU-ittel fließen. Fast 1,8 Millionen Euro werden im Haus-alt des Jugendministeriums zur Verfügung gestellt.amit wird vor Ort, in den Stadtteilen, soziale Ausgren-ung bekämpft, werden Kompetenzen und Qualifikatio-en für die Zukunft erworben und Eigenverantwortungnd soziales Engagement gestärkt. Es werden sozialeäume geschaffen, die eine Aus- und Weiterbildung er-öglichen. Das ist ein sinnvoller Schritt, um dies tat-ächlich nachhaltig – da hat das Wort seine richtige Be-eutung – zu sichern.Wir haben im Bereich des Internets große Fort-chritte gemacht; darüber haben wir schon häufig disku-iert. Wir haben, nachdem die Schulen in Deutschlandm Netz sind – obwohl wir dort gern noch mehr Compu-er und eine bessere Ausstattung hätten –, einen nächstenichtigen Schritt mit der Bundesinitiative „Jugend ansetz“ gemacht. Damit wird Jugendlichen in Jugendein-ichtungen die Möglichkeit eines Zugangs zu Computernnd damit zum Internet gegeben. Das ist ein kostengüns-iges Angebot. Das führt dazu, dass mehr Jugendlicheuf das Internet zugreifen können.Sie sehen, wir haben alles in allem viel getan, damitugendliche eine größere Perspektive und Chancen ha-en. Es geht darum, gemeinsam mit Kindern und Ju-endlichen für Kinder und Jugendliche die Zukunft zuestalten. Wir haben die Investitionen in Bildung undusbildung erhöht.Dazu muss man ganz deutlich sagen: Ich glaube, es isteitaus sinnvoller, in Bildungschancen, in Kinderbe-reuung und in Bildungsangebote für Kinder und Ju-endliche zu investieren als weiterhin in die Eigenheim-ulage. Das wäre ein Schritt, bei dem Sie beweisenönnten, dass Sie in die Zukunft investieren wollen.
Wir haben einen Paradigmenwechsel eingeleitet. Wiraben die Angebote für Kinder und Jugendliche verbes-ert. Wir alle wissen, dass es heute für junge Frauen undänner wichtig ist, dass die Kinderbetreuung ausgebautird, damit sie die Chance haben, ihre Kinderwünscheu verwirklichen und damit Männer und Frauen sich tat-ächlich gleichberechtigt berufliches Engagement undrziehungsarbeit teilen können.Dieses Thema gehört ebenso zur Jugendpolitik, auchenn das in den 225 Fragen Ihrer Großen Anfrage nichtorkommt. Die Masse macht ja bei den Anfragen oft
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Kerstin Griesenicht die Klasse. Auch wir haben in der letzten Wahl-periode eine Große Anfrage zur Jugendpolitik gestellt.Vielleicht schauen Sie noch einmal nach; wir haben81 Fragen gestellt. Aber diese haben alle Themenfelderumfasst, die Kinder und Jugendliche angehen. Deshalbmuss auch das, was wir im Bereich der Frühförderungvon Kindern tun, eine wichtige Rolle spielen.Alles in allem muss unser Motto lauten: „Auf ins Le-ben“, und zwar mit vielen guten Ansätzen, die die jun-gen Menschen unterstützen. Die „Rheinische Post“schreibt auf der Titelseite ihrer heutigen Ausgabe: DieJungen kommen. Ich glaube, wir brauchen keinen billi-gen Schlagabtausch. Wenn es darum geht, die Chancenvon Kindern und Jugendlichen zu verbessern, ist viel-mehr eine ernsthafte Zusammenarbeit notwendig.Wir haben als rot-grüne Koalition gute Ansätze ge-wählt und wirkliche Verbesserungen erzielt. Ich kanndas für mein Bundesland Nordrhein-Westfalen bestäti-gen, wo mit einer nachhaltigen Jugendpolitik die Ju-gendarbeit deutlich gestärkt wird. Das werden die Ju-gendlichen auch merken.Vielen Dank.
Jetzt müssen Sie erst einmal durchatmen. – Das Wort
hat nun die Abgeordnete Ingrid Fischbach.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auchich muss erst einmal Luft holen, Frau Griese. Es trifftnicht nur zu, dass in der Masse nicht die Klasse liegt,sondern auch nicht in der Schnelligkeit. Es war sehrschwer, Ihnen zuzuhören. Vielleicht war sogar etwasGutes dabei. Wir konnten Ihnen aber kaum folgen.
Ich bin richtig aufgeregt und muss mich erst einmal et-was beruhigen.Wir haben aber trotzdem zugehört. Sie haben vomlebenslangen Lernen gesprochen und festgestellt, dassLesen bildet.
Diese Tatsache gilt nicht nur für die Opposition, sondernsicherlich auch für die Regierung.
Sie gilt auch für die Frau Staatssekretärin, die die Ant-worten aus ihrem eigenen Haus nicht gelesen zu habenscheint.Fbw3dSgvWIWzewDvfJJgWWszwcdAcu
ie hat das in der Schule noch gelernt. In den guten Re-ierungszeiten von Helmut Kohl haben wir noch richtigiel mitbekommen.
ir haben sogar bis Seite 86 gelesen.Ich zitiere nochmals aus Seite 5:Die Bundesregierung hat ihrerseits im Jahr 2004die Zahl der Ausbildungsplätze in der Bundesver-waltung um 30 Prozent erhöht.ch zitiere aus Seite 86:Die Bundesregierung erhöht die Zahl der Ausbil-dungsplätze in der Bundesverwaltung in 2004 um20 Prozent.
enn ich bis Seite 210 weiterlese, dann sind es 10 Pro-ent und in Wirklichkeit null.Allein dieses Beispiel – auf weitere gehe ich gar nichtin – zeigt, wie Sie auf die Anfrage eingehen und mitelcher Ernsthaftigkeit Sie sie beantwortet haben.
as ist ein Schlag ins Gesicht der jungen Leute, die sichon Ihnen veräppelt fühlen.
Anders als Sie haben wir nicht gesagt: Auf den An-ang kommt es an. Wir meinen vielmehr, dass es auf dieugend ankommt. Deshalb haben wir im vergangenenahr ein erstes Expertengespräch in der Fraktion durch-eführt, in dem junge Leute aus ganz Deutschland zuort kamen.
ir haben zugehört. Aufgrund der Wünsche und Vor-tellungen der jungen Leute ist die vorliegende Anfrageustande gekommen. Wir geben ihnen nämlich nicht vor,as sie zu fragen oder zu beanspruchen haben oder wel-he Ideen sie äußern sollen.Frau Staatssekretärin, Sie haben bedauert, dass Kin-erbetreuungsangebote und frühe Förderung in unserernfrage fehlen. Diese Punkte interessieren die Jugendli-hen zurzeit überhaupt nicht. Sie haben andere Sorgen,nd zwar hinsichtlich der Arbeitslosigkeit.
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Ingrid FischbachSie aber sind nur in den letzten drei Minuten Ihrer zwölf-minütigen Rede mit ein paar Halbsätzen auf die Arbeits-losigkeit eingegangen, Frau Staatssekretärin. Deshalbdenke ich, dass Sie an der Jugend vorbeireden. Sie wis-sen nicht, was die Jugend bewegt und was sie will.
Ich möchte einige Sätze des Bundeskanzlers aus demJahr 1998 zitieren: Wir brauchen eine bessere Ausbil-dung. Wir müssen dafür sorgen, dass die Arbeitslosigkeitzurückgedrängt wird.Wie sollen unsere jungen Menschen unsere Gesell-schaft und unsere Zukunft gestalten, wenn wir ih-nen nicht die Möglichkeit geben, für sich selber zusorgen? Wir stehen für das ZukunftsprojektDeutschland. Wir machen keine unhaltbaren Ver-sprechungen.Wir alle wissen, dass die Arbeitslosenzahlen 1998/99zurückgingen. Insofern stellen die Zahlen von heute– sechs Jahre nach Beginn Ihrer Regierungszeit – einendramatischen Anstieg allein gegenüber dem Vorjahr dar.Die Jugendarbeitslosigkeit hat sich um 28,5 Prozent er-höht.
680 000 junge Menschen unter 25 sind ohne Arbeit. InNordrhein-Westfalen – Frau Griese, Sie haben auf NRWhingewiesen – ist der Anstieg der Arbeitslosigkeitebenso eklatant: Dort sind im Februar 23 000 jungeLeute mehr ohne Arbeit, insgesamt nun 129 300.Nun sagen Sie, das liege an den Hartz-Gesetzen unddas sei so, weil Sie das gesamte System umgestaltet hät-ten. Ich nenne Ihnen nur einmal die Zahlen, die uns zuneuen Ausbildungsverträgen vorliegen. Bereits imJahr 2001 sank die Anzahl der neuen Ausbildungsver-träge. Damals waren noch keine Hartz-Gesetze in Kraft.Allein im Jahr 2003 sank die Anzahl der Ausbildungs-verträge junger Leute um mehr als 20 000. Das hat alsonichts mit den Hartz-Gesetzen, sondern mit verfehlterWirtschaftspolitik zu tun. Das möchte ich Ihnen einmalsagen.
Jetzt komme ich auf Frau Dümpe-Krüger zu spre-chen. Wer lesen kann, ist glatt im Vorteil.
Sie haben ja aus dem zweiten Abschnitt unserer GroßenAnfrage zitiert:Wenn aber die Politik der Bundesregierung Bedin-gungen und Zukunftsaussichten für die junge Gene-ration massiv negativ beeinträchtigt, drohen selbstfür optimistische Jugendliche Verunsicherung undPerspektivlosigkeit.Meine Damen und Herren, Sie sollten einmal hören, wasder Kanzler dazu gesagt hat:DWW9i„ddKWbIkgtCJb–DIgsvuti
o er Recht hat, hat er Recht.
Herr Müntefering hat am 6. dieses Monats gesagt:ir haben die Arbeitslosigkeit in der Größenordnung8 Helmut Kohl plus Statistik Hartz. Es ist ein Schlagns Gesicht der jungen Leute, wenn er weiter ausführt:Das ist bedrückend viel, aber es ist nicht mehr gewor-en. Liebe Leute, so geht das nicht.
Nun gehe ich ganz kurz auf zwei weitere Aspekte ein,ie Sie sehr gerne ansprechen. Frau Dümpe-Krüger, zumJHG. Ist Ihnen der gemeinsame Antrag Nordrhein-estfalens und Bayerns zu den Änderungen im KJHGekannt?
n Nordrhein-Westfalen, dem Bundesland, aus dem Sieommen, wurde eine Volksinitiative gegen die Kürzun-en durchgeführt, die das Land im Jahr 2003 im gesam-en Jugendbereich durchführen wollte. Wenn nicht dieDU und verschiedene Organisationen, zum Beispielugendverbände, gemeinsam eine Volksinitiative ins Le-en gerufen hätten, hätten Sie dort schon im Jahre 2003 und zwar ohne Bayern – die Mittel gekürzt.
as ist die Realität.
Das muss ich leider auch der Kollegin Griese sagen.ch könnte es mir einfach machen, Frau Griese, und sa-en: Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird sich ent-prechend all den Gesprächen, die wir geführt haben,erhalten
nd ihre Entscheidung im Interesse der Jugendlichenreffen. Aber, wie gesagt: Lesen bildet. Wer liest, ist glattm Vorteil. Daher empfehle ich Ihnen, Frau Griese, die
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Ingrid FischbachLektüre Ihres Gesetzentwurfes zum SGB XII, den Sie– auch das ist schon eine Weile her – im Jahre 2003 vor-gelegt haben.
Jetzt müssen Sie bitte auf Ihre Redezeit achten. Keine
langen Lesereien mehr!
Das ist mein letzter Satz, Frau Präsidentin. – In Ihrem
Gesetzentwurf zum SGB XII steht unter § 70 – Einrich-
tungen und Dienste –:
Die Vereinbarungen müssen den Grundsätzen der
Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit und Leistungs-
fähigkeit entsprechen und
– jetzt kommt es –
die Finanzkraft der öffentlichen Haushalte ange-
messen berücksichtigen.
Das ist nichts anderes als eine Finanzkraftklausel.
Diese war in Ihrem Gesetzentwurf zum SGB XII enthal-
ten.
– Nein, wir vermischen gar nichts. Sie müssen nur rich-
tig lesen.
– Ich lese wahrscheinlich besser und schneller als Sie,
weil ich eine Brille aufhabe. Aber eine Brille haben Sie
ja auch, Frau Humme.
Ich möchte Sie daran erinnern:
Die Jugend will und braucht Zukunft. Die CDU/CSU-
Fraktion bietet der Jugend Zukunft. Da Sie nicht alles
anders, aber vieles besser machen wollten, und der
Kanzler gesagt hat, wir seien abgewählt worden, –
Frau Kollegin!
– weil wir die Arbeitslosigkeit nicht in den Griff be-
kommen haben, vermute ich, –
Frau Kollegin, jetzt geht es nicht mehr.
– dass auch Sie abgewählt werden, spätestens im
Jahr 2006.
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gierung eingebrachten Entwurfs eines Siebten
Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen
Wettbewerbsbeschränkungen
– Drucksache 15/3640 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Arbeit
– Drucksache 15/5049 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Hubertus Heil
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit
zu dem Antrag der Abgeordneten
Rainer Brüderle, Gudrun Kopp, Daniel Bahr
, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der FDP
Für einen wirksamen Wettbewerbsschutz in
Deutschland und Europa
– Drucksachen 15/760, 15/3136 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Hartmut Schauerte
Zum Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes ge-
en Wettbewerbsbeschränkungen liegen ein Entschlie-
ungsantrag der Fraktion der CDU/CSU und zwei Ent-
chließungsanträge der Fraktion der FDP vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
ie Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Wi-
erspruch höre ich nicht. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
er Parlamentarische Staatssekretär Ditmar Staffelt.
D
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen underren! Der vorliegende Gesetzentwurf ist zweifelsfreiür die Wirtschaftsordnung unseres Landes von großeredeutung. Tatsächlich zeigt die Erfahrung: Ein funktio-ierender Preis- und Qualitätswettbewerb ist eine ganzntscheidende Voraussetzung für wirtschaftlichen undechnologischen Fortschritt.
r ist unerlässlich, wenn die Wahlmöglichkeiten und dieewertungsfähigkeit der Verbraucher sichergestellt seinollen.Anlass und Hauptanliegen des vorliegenden Gesetz-ntwurfes ist die Anpassung des deutschen Wettbe-erbsrechts an das zum 1. Mai 2004 geänderte europäi-che Wettbewerbsrecht. Die Zeit drängt. Seit letztemai gilt für die deutschen Unternehmen zweierlei Recht:
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Parl. Staatssekretär Dr. Ditmar Staffeltein deutsches für rein regionale und lokale Vereinbarun-gen, ein europäisches für nationale und grenzüberschrei-tende Bindungen. Es ist Zeit, diesen Zustand zu been-den.
Ziel ist, das deutsche Wettbewerbsrecht europatauglichzu machen; denn das europäische Recht hat Vorrang voranders lautenden nationalen Vorschriften. Wo dies derFall ist, zeichnen wir im Gesetzentwurf europäischesRecht nach. Aber auch dort, wo wir eigene Gesetzge-bungshoheit haben, bei Vereinbarungen ohne zwischen-staatliche Relevanz, übernehmen wir die Prinzipieneuropäischen Rechts. Das Verbot wettbewerbsbeschrän-kender Vereinbarungen wird an das europäische Rechtangepasst. Gleiches gilt für die Ausgestaltungen derAusnahmen von dem Kartellverbot. So entsteht im Inte-resse der Unternehmen ein einheitliches Wettbewerbs-recht, das wir dringend benötigen. Die Unternehmenkönnen sich nunmehr auf einheitliche Rechtsstandardseinstellen.
Ich möchte an dieser Stelle auch darauf hinweisen,dass dies insbesondere für unsere kleinen und mittlerenUnternehmen wertvoll ist und für sie dadurch eineGleichbehandlung mit den großen Unternehmen ermög-licht wird.Wie im europäischen Recht wird das bisherige An-melde- und Genehmigungssystem für wettbewerbsbe-schränkende Vereinbarungen abgeschafft und durch einSystem der so genannten Legalausnahme ersetzt. Diesbedeutet, dass Vereinbarungen automatisch freigestelltsind, wenn sie die gesetzlichen Freistellungstatbeständeerfüllen. Wichtig hierbei ist: Das bisherige behördlichePrüf- und Freistellungsverfahren entfällt nunmehr. Da-mit trägt das Gesetz ganz im Sinne dieses Hauses undauch im Sinne der Politik der Bundesregierung dazu bei,Unternehmen ein weiteres Mal von Bürokratie zu entlas-ten.
Ich glaube, dass wir so die Wachstumskräfte unsererWirtschaft stärken können. Zweifellos werden auch inZukunft die Kartellbehörden für die Diskussion überkonkrete Einzelfälle zur Verfügung stehen. Die Unter-nehmen haben also von dem neuen System keinerleiNachteile zu erwarten. Dies ist auch der Grund dafür,dass wir uns in diesen Fragen in absoluter Übereinstim-mung mit den Verbänden der deutschen Wirtschaft be-finden.
Um sicherzustellen, dass mit dem Systemwechselkein Verlust an Wettbewerbsschutz verbunden ist, sindim Gesetzentwurf eine Reihe flankierender Maßnahmenvorgesehen. So werden die Ermittlungs- und Sanktions-befugnisse der Kartellbehörden gestärkt, etwa durch dieEinführung eines Enqueterechts und durch die ErhöhungdgslwbDSvsndsselVuLVMBlBgawnaadtAsminDmddusfisstus
ie können Unterlassungsansprüche geltend machen,or allem aber können sie von Kartelltätern unter be-timmten Voraussetzungen die Herausgabe der so ge-annten Kartellrendite verlangen, also der Einnahmen,ie zu Unrecht durch die Unternehmen realisiert wordenind; ich denke, auch das ist ein ganz wichtiger Fort-chritt durch dieses Gesetz. Dies alles – ich sage es nochinmal – stärkt das Wettbewerbsprinzip und macht deut-ich, dass funktionierender Wettbewerb immer auch demerbraucher dient und dass wir, diese Bundesregierungnd die Koalitionsfraktionen, den Wettbewerb in diesemande ganz entschieden fördern, weil wir von seinenorteilen überzeugt sind.
Insbesondere zwei Änderungen waren in den letztenonaten Gegenstand vertiefter Diskussion: Erstens. Imereich der Zusammenschlusskontrolle wird der vor-äufige Rechtsschutz gegen Freigabeentscheidungen desundeskartellamtes maßvoll zurückgeführt. Wie im all-emeinen Verwaltungsprozessrecht kommt es künftiguf die Verletzung eigener Rechte an. Damit verfolgenir ein wichtiges Ziel: Der vorläufige Rechtsschutz darficht zur Blockade wichtiger Investitionsentscheidungenm Standort Deutschland missbraucht werden;
uch das müsste eigentlich allgemeine Auffassung iniesem Hause sein.Zweitens. Der vorläufige Rechtsschutz gegen Minis-ererlaubnisse des Bundesministers für Wirtschaft undrbeit bleibt davon ausgenommen. In diesem besondersensiblen Bereich soll der Rechtsschutz der Unterneh-en nicht eingeschränkt werden. Auch der Rechtsschutz der Hauptsache bleibt selbstverständlich unverändert.ies ist – auch hier gibt es wieder große Übereinstim-ung mit der deutschen Wirtschaft und ihren Verbän-en – eine insgesamt ausgewogene, den Wettbewerb undie Investitionskraft dieses Landes stärkende Lösung.
Meine Damen und Herren, Sie alle wissen – das hatns ja sehr bewegt –, dass die Bundesregierung in die-em Zusammenhang auch Änderungen der pressespezi-ischen Regelungen des GWB vorgeschlagen hat. Zielt es, die seit 1976 geltenden Regelungen im Lichte dertrukturellen und konjunkturellen Probleme der Zei-ngsverlage zu modernisieren. Damit sollten die wirt-chaftlichen Grundlagen für Anbieterpluralität auf der
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Parl. Staatssekretär Dr. Ditmar Staffelteinen und Meinungsvielfalt auf der anderen Seite ver-bessert und gesichert werden. Die Bundesregierung be-grüßt deshalb, dass die Koalitionsfraktionen mit ihrenBeschlüssen dieser Initiative gefolgt sind.
Die jetzt gefundene Lösung wird einen wichtigen undnachhaltigen Beitrag zur Bewältigung der Probleme derZeitungsverlage leisten. Ziel der Vorschläge des Regie-rungsentwurfes war immer, die Selbstständigkeit derZeitungsverlage durch Stärkung ihrer wirtschaftlichenBasis zu erhalten.
Das ist unserer Auffassung nach der beste Garant füreine gesicherte strukturelle Eigenständigkeit der Redak-tionen und es ist Voraussetzung für den Erhalt der inEuropa und in der Welt einmaligen Vielfalt der deut-schen Zeitungslandschaft.
Die Bundesregierung hat in ihrem Entwurf ein Kon-zept zur Erreichung dieses Ziels mit den ElementenSchwellenerhöhung, Kooperations- und Fusionserleich-terungen vorgeschlagen. Sie hat dabei immer ihre Offen-heit für bessere Wege zur Erreichung dieses Ziels betont.Nur: Am Ziel – das war für uns der entscheidendePunkt – sollte festgehalten werden. Wir glauben, dasswir diesen Weg gemeinsam in sehr konstruktiver Weisegegangen sind.
Durch den jetzt zur Abstimmung anstehenden Kom-promiss werden wesentliche Teile des Regierungsent-wurfs, aber auch eine ganze Reihe von Kritikpunkten be-rücksichtigt und verlagswirtschaftliche Kooperationenin den Vordergrund gestellt. Diese Kooperationen kön-nen durch Gemeinschaftsunternehmen abgesichert wer-den, solange der redaktionelle Teil ausgeklammertbleibt. Ausgangspunkt der Vorschläge im Regierungs-entwurf war eine Problemlage bei einer beteiligten Zei-tung. Wenn sich eine solche abzeichnet oder tatsächlichvorhanden ist, dann werden die entsprechenden weiterenSchritte eingeleitet. Auch dabei ist es geblieben: Ansatz-punkt ist die Erforderlichkeit der Kooperation für dielangfristige Sicherung der wirtschaftlichen Grundlageund die Fortführung der Not leidenden Zeitung.
Wir finden, dass die obligatorische Einschaltungder Kartellbehörden eine insgesamt gesehen starkeVerbesserung ist.
Wegen des Verfahrensaufwandes stellt sie einerseitszwar eine gewisse zusätzliche Belastung für die Unter-nehmen dar, andererseits bietet sie aber auch eine ganzeRldraSteluKNrdDdBZkddEpsdImBuvAgBIwdlsmsuzj
Bei den im Regierungsentwurf vorgeschlagenenchwellenerhöhungen ist es geblieben. Deren Bedeu-ung sollte nicht unterschätzt werden. Dies ist vor allemine mittelstandsfreundliche Maßnahme. Die Hand-ungsspielräume mittelständischer Verlage für Fusionenntereinander werden durch diese Regelung erweitert.leinen Verlagen wird es ermöglicht, bei der Suche nachachfolgern den Marktwert ihrer Zeitungen zu realisie-en.Wesentliche Ziele des Regierungsentwurfs sind durchen nun vorliegenden Entwurf aus unserer Sicht erreicht.ie jetzige Lösung ist ein Kompromiss, den wir als Bun-esregierung ausdrücklich mittragen.
Ich möchte allerdings nicht verhehlen, dass sich dieundesregierung weiter gehende Spielräume für dieeitungsverlage gewünscht hätte. So könnte noch stär-er, als es in der Begründung anklingt, verdeutlicht wer-en, dass die Sicht der betroffenen Verlage beim Erfor-erlichkeitstest ein hohes Gewicht haben sollte. Dierforderlichkeit muss in der Rechtsanwendung nachraktischen Gesichtspunkten geprüft werden und darfich nicht nur an theoretischen Prinzipien orientieren;as wollen wir in dieser Debatte ausdrücklich betonen.ch will damit sagen: Wichtig ist eine vernünftige kauf-ännische Betrachtung und nicht nur eine juristischeetrachtung aus der Sicht der Verlage und des Verlegers.
Die zeitliche Befristung der Gültigkeit des § 31 GWBnd die Pflicht, nach drei Jahren einen Erfahrungsberichtorzulegen, geben dem Parlament die Möglichkeit, diengemessenheit der Regelung zu überprüfen und sie ge-ebenenfalls zu korrigieren. Dies ist übrigens ein guteseispiel für ein zeitgemäßes Vorgehen.
m Übrigen sind wir auch sehr erfreut darüber – dazuird nachher sicherlich noch einiges zu sagen sein –,ass wir in Sachen Grosso-Vertriebssystem eine ordent-iche, tragfähige und für alle Beteiligten akzeptable Lö-ung gefunden haben.
Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. Ichöchte Sie alle bitten, diesem Gesetzentwurf Ihre Zu-timmung zu geben. Das ist wichtig für unser Land. Sienterstellen in Ihrem Entschließungsantrag, dass es so-usagen nur die Behauptung einer Strukturkrise gibt, dieedoch nicht real ist.
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Parl. Staatssekretär Dr. Ditmar Staffelt
Das zeugt davon, dass Sie offensichtlich nicht in derLage sind, die realen wirtschaftlichen Verhältnisse dieserBranche einzuschätzen.
Wir sehen uns hier in einem Boot mit der Wirtschaftund mit den Verlegern in diesem Lande. In diesem Sinnehoffe ich auf Zustimmung und gute Diskussionen.
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen für Ihre Rede.
Ich möchte aber, dass Sie Ihren Kolleginnen und Kolle-
gen die Botschaft ausrichten, dass ich es nicht als Res-
pekt gegenüber einer Parlamentsdebatte und Ihnen als
Redner ansehe, wenn niemand auf der Regierungsbank
sitzt. Ich bitte Sie, diese Anmerkung weiterzuleiten.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hartmut
Schauerte.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-legen! Wettbewerbsrecht ist für viele Normalbürger fastso etwas wie ein Fremdwort. Für alle, die etwas vonMarktwirtschaft und sozialer Marktwirtschaft verste-hen, ist klar, dass es so etwas wie das Grundgesetz derWirtschaft ist. Es sind Spielregeln, die nicht nur im Sportgelten müssen, sondern natürlich auch in der Wirtschaft.Sie müssen ordnend eingreifen. Ihr oberstes Ziel solltesein, Wettbewerb zu fördern und zu sichern
und so die Kreativität zu stärken und die Innovationsge-schwindigkeit, die Erträge und die Zahl der Arbeits-plätze in Deutschland zu erhöhen.
Das ist ein wichtiges Thema. Deswegen ist es schade,dass so wenige Abgeordnete anwesend sind. Es ist auchschade, weil wir heute nicht nur über das allgemeineWettbewerbsrecht reden, sondern insbesondere über dieSonderstellungen im Pressebereich. Die Pressevielfalt istein hochsensibles Gut, eines der höchsten Güter, das wirin der Demokratie zu verteidigen haben.
Der vorliegende Gesetzentwurf, muss daraufhin geprüftwerden, ob er diesen Ansprüchen gerecht wird.ngrLdbmsssgMdimrmRaBwITKBdf–wWwtprfFkrwTfenwAugsb
Ob es nun ein Versehen war oder ob sie es nur nichtollen, jedenfalls ist es eine Schwäche im allgemeinenettbewerbsrecht.
In diesem Zusammenhang muss man daran erinnern,arum wir jetzt darüber diskutieren. Es gab eine Minis-ererlaubnis für die Fusion von Eon und Ruhrgas, dieeinlich war. Der Clement-Entwurf wollte darauf reagie-en und Ministererlaubnisse noch leichter machen. Ichinde es gut, dass insbesondere die Grünen in diesemall unserer Meinung waren und zu der Erkenntnis ge-ommen sind, dass eine Aufweichung, eine Erleichte-ung von Ministererlaubnissen schädlich wäre. Dasürde einer falsch verstandenen Industriepolitik Tür undor öffnen. Insoweit ist dies eine Verbesserung. Aber ichinde es interessant, dass man im Haus Clement, das jaigentlich der Wettbewerbshüter in diesem Land ist, zu-ächst einen völlig anderen Weg gehen wollte. Dasurde gestoppt; das begrüßen wir.Im Zeitungsbereich hatten wir auch einen konkretennlass, tätig zu werden. Ich meine den „Tagesspiegel“nd die „Berliner Zeitung“ in Berlin. Wir haben denanz großen Verdacht, dass all das, was wir im Pressefu-ionsrecht jetzt an Sondertatbeständen zu erwarten ha-en, letztlich eine Antwort auf diese Situation geben
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Hartmut Schauertesoll. Wer weiß, wer wem in diesem Zusammenhang wel-che Zusagen gemacht hat.
Auch deswegen sind wir hochnervös und hochaufmerk-sam, was in diesem Bereich passiert. Wir müssen daraufbestehen, dass diese Sache in einem Vermittlungsaus-schussverfahren noch einmal gründlich geprüft wird.Das können wir Ihnen und Ihren internen Absprachenmit wem auch immer beim besten Willen nicht überlas-sen. Ich sage es noch einmal: Wir operieren hier am offe-nen Herzen der Demokratie, weil es darum geht, Mei-nungsvielfalt zu erhalten.
Auf diesem Gebiet dürfen wir uns gegenseitig keineneinzigen Fehler erlauben.Lassen Sie mich jetzt auf das Thema pressespezifi-sches Kartellrecht zu sprechen kommen denn das ist imMoment die wichtigste Frage; alles andere ist eher ver-nachlässigbar. Es geht im Prinzip um die Anpassung andas europäische Kartellrecht mit einigen wenigenSchwächen in Ihrem Entwurf, auf die ich aber nicht nä-her eingehen möchte. Ich möchte mich besonders mitdem pressespezifischen Kartellrecht beschäftigen.Ich habe in dieser Frage eine lange Erfahrung. Ichglaube, 1970 habe ich die erste Diskussion mit dem da-maligen stellvertretenden Chefredakteur der „Westfäli-schen Rundschau“, Herrn Clement, zum Thema Presse-fusion und -konzentration gehabt. In den 70er-Jahrenkam es zu einer erheblichen Konzentrationswelle. HerrStiegler, Sie erinnern sich. Sie waren ja einer, der mit ge-rufen hat: Haut dem Springer auf die Finger! Zerschlagtdie Pressekonzerne! – Ich darf daran erinnern: Im Nach-beben dieser Diskussion haben wir beobachtet, dass inder Gesellschaft wahnsinnig viele Konzentrationspro-zesse abliefen. Diese haben wir mit der Schaffung einesSonderrechts für die Presse im Kartellrecht gestoppt.Wir haben der Presse sehr enge Regeln vorgegeben.Diese Operation war ausgesprochen erfolgreich. DassHerr Staffelt vorhin erklären konnte: „Wir verfügen inDeutschland über eine der vielfältigsten Presselandschaf-ten in Europa“, ist richtig und hängt damit zusammen,dass wir damals übereinstimmend, Sozialdemokratenund CDU/CSU, dieses Gesetz zur Pressefusion und -kon-zentration beschlossen und damit Ruhe in die Presseland-schaft gebracht haben, die der Meinungsvielfalt inDeutschland und der mittelständischen Struktur unsererPresse, den Verlagen und Unternehmen ausgesprochengut getan hat.
Ich sage Ihnen: Der konkrete Anlass für Ihr Handelnsind die „Berliner Zeitung“ und „Der Tagesspiegel“. Siegeben aber vor, dass es ein besonderes Pressestruktur-problem gebe, und deswegen müsse etwas geändert wer-den.sdskWjwSMDmDslf–nsVghdDoSrMgkgsugldwsDMlgSdss
chaffen Sie ein Presserecht, das nicht die damaligenerengungen im allgemeinen Kartellrecht aufhebt. Sieehen über die damaligen Verengungen im Kartellrechtinaus und erklären: Jetzt kann ohne Berücksichtigunger Größe das größte mit dem kleinsten Unternehmen ineutschland ohne jede Deckelung fusionieren und ko-perieren, wie immer man will.
Das ist an sich schon verheerend genug. Aber was dieache neben dem sehr sensiblen Gut Presse noch verhee-ender macht, ist Folgendes:
it dieser oberflächlichen Begründung können Sie dasesamte deutsche Kartellrecht im Grunde in den Papier-orb werfen. Mit der gleichen Begründung kann man sa-en: Natürlich behindern Auflagen für Zusammen-chlüsse in der Entsorgungsbrache, Herr Repnik, vielenternehmerische Initiativen. Manch einer würde gerneanz anders in der Fläche operieren und sich rechts oderinks verbrüdern, verbinden und organisieren können. Iner Automobilzuliefer- und Lebensmittelbranche habenir diese Probleme bereits. Sie können jeden Wirt-chaftsbereich nehmen. Alle großen Unternehmen ineutschland hätten lieber weniger Kartellrecht. Dieasse der kleinen Unternehmen in Deutschland hätteieber mehr Kartellrecht, weil sie sich dann etwas besseregen Macht- und Marktmissbrauch geschützt wähnen.ie sollen ja auch geschützt werden.Mit der Begründung, die Sie hier vortragen und dieurch keine wirklich nachvollziehbare wirtschaftswis-enschaftliche Analyse und durch kein Gutachten bewie-en ist,
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Hartmut Schauertewird behauptet, wir hätten ein Strukturproblem undmüssten deshalb alle Grundsätze über Bord werfen.
Das ist für mich nicht nachvollziehbar. Deswegen kön-nen wir diesem Gesetz leider nicht mehr zustimmen, waswir sonst gerne getan hätten, weil es immer gut ist, wennalle Beteiligten bei Spielregelsetzungen, bei Grundsatz-fragen der Volkswirtschaft oder bei verfassungsähn-lichen Fragen, die das Funktionieren der sozialen Markt-wirtschaft berühren, an einem Strang ziehen; denn dieAkzeptanz solcher Regeln wird erhöht, wenn die Men-schen, die diese Regeln beachten und anwenden müssen,wissen, dass das der Wille des gesamten deutschen Par-laments ist. Insoweit ist das schade. Sie haben uns aberdurch diese Art der Vorgehensweise die Zustimmung un-möglich gemacht.
Die ersten Steine sind aus dem Damm herausgebro-chen. Wir können Ihrer Begründung nicht folgen, weilwir nicht bereit sind, das Kartellrecht insgesamt zuschwächen. Dies ist aber ein erster und entscheidenderPunkt zur Schwächung des Kartellrechts. Sie könntenbei jedem Wirtschaftsbereich die gleichen Begründun-gen anführen; es gäbe sogar noch gewichtigere Gründe.Deshalb sage ich: Sie müssen an dieser Stelle noch ein-mal nachdenken. Ich hoffe, wir werden es im Bundesrathinkriegen, dass Sie nachdenken.Jetzt will ich in die Einzelheiten gehen. Die Altverle-gerklausel – das war der Ansatz von Clement – ist jetztbeerdigt, obwohl noch Elemente in der Fünferregelung,auf die ich noch zu sprechen komme, durchschimmern.Darin überlebt der alte Vorschlag in modifizierter Form.
Es gibt Sondertatbestände, die wir ablehnen; ich habedas angesprochen. Wir meinen, dass Sie mit dieser Re-gelung nicht einmal mehr die Obergrenze von500 Millionen Euro bei Kartellen einhalten, die für alleWirtschaftskreise gelten. Es ist bedauerlich, dass Sie daseingebaut haben. Ich weiß, warum das passiert ist. Ichmuss das hier nicht weiter erläutern; das kann sich jederdenken. Ich glaube, dass nur bei wenigen Gesetzen soviel Lobbyarbeit betrieben worden ist wie bei diesem.Sie haben sich der Lobbyarbeit ein Stück weit ergeben.Ich meine, dass das zu weitgehend war. Dass sie stattfin-det, wissen wir alten Fuhrleute. Wie weit man sich ihrergibt, ist jedoch immer die Frage. Daran müssen wiruns messen lassen.
Sie sind zu nachgiebig gewesen.Sie hätten mit uns eine Regelung finden können, umdem Mittelstand eine stärkere Kooperation zu erlauben,wenn eine Deckelung vorgesehen worden wäre. Daswäre vernünftig. Wir haben doch die erfreuliche Bilanzdes Hauses Springer gesehen. Sie wurde gestern veröf-fentlicht.DDfBbggPsalaGsdedhsDutlamusIdmbudasmVzumKsdtud
ie Bilanz ist doch erfreulich.
ie Bilanzen von Bauer und Holtzbrinck sind doch er-reulich. Die Bilanz der WAZ ist ebenfalls erfreulich.ei der WAZ arbeitet übrigens ein ehemaliger Kanzler-erater. Vielleicht hat der seine Beratungen wieder auf-enommen.
Die WAZ kann ertragsmäßig – das ist ihr von Herzenegönnt – vor Kraft nicht laufen. Sie hat das strukturelleroblem, das Sie anführen, nicht. Die WAZ weiß, dassie in Zukunft vor allem auf dem europäischen Marktgieren muss. Eine weitere Konzentration auf Deutsch-and ist nicht gut bekömmlich, aus welchen Gründenuch immer, übrigens auch aus unternehmerischenründen nicht. Insoweit ist die WAZ gehalten – das tutie auch –, in Osteuropa Fuß zu fassen. Die Expansion,ie wir positiv sehen und der WAZ wünschen, wird aufuropäischer Ebene erfolgen. Das sind nicht die Punkte,ie so wichtig waren. Sie sind ihr gefällig gewesen. Esat Verflechtungen gegeben. Ich weiß nicht, was ver-prochen worden ist.
as macht uns an dieser Stelle so besonders ängstlichnd zurückhaltend.Ich möchte noch etwas zu den Presse-Grosso-Ver-retern sagen. Die Verteilung der Zeitungen in Deutsch-nd ist ein sehr komplizierter Vorgang. Insoweit kannan Ausnahmen von eigentlichen unternehmerischennd kaufmännischen Prinzipien nicht nur akzeptieren,ondern sogar mit erfinden, damit das vernünftig läuft.ch begrüße sehr, dass es eine Vereinbarung zwischenen Verlagen und dem Presse-Grosso gegeben hat undan diese Art der Verteilung stabilisieren will. Das ha-en Sie jetzt in den Änderungen bezüglich Abonnementnd Vertrieb akzeptiert. Wir haben immer gefordert, dassas beachtet werden muss. Trotzdem bleibt natürlichuch da richtig: Jede weitere Konzentration in der Pres-elandschaft wird diese Presse-Grosso-Vertriebe unver-eidlich gefährden.Deshalb können Sie keine reine Freude an diesemorgang empfinden. Sie sind froh, dass die Vereinbarungustande gekommen ist. Sie sitzen aber zwischen Baumnd Borke und hoffen, dass das Eis trägt, auf dem Sieiteinander gehen wollen. Ich sage Ihnen aber: Dieonzentrationsvorschübe, die Sie leisten, bleiben in die-em Bereich problematisch.Ich habe noch eine Frage: Wie kommen Sie eigentlicharauf, die Sonderregelung zu treffen, dass sich fünf Zei-ngen bzw. fünf Verlage zusammentun dürfen? Ich habearüber nachgedacht.
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Hartmut Schauerte– Ich werde das noch erläutern. – Im Kartellrecht kennenwir eigentlich nur Größenordnungen in Höhe von 25 Mil-lionen oder 50 Millionen. Manchmal spricht man auchvon Größenordnungen in Höhe von 100 Millionen oder500 Millionen. Diese Größenordnungen kann man ver-treten.Sie sagen einfach fünf, ohne dabei eine finanzielleGrößenordnung anzugeben.
Hängt es vielleicht damit zusammen, dass es fünf Fingeran einer Hand gibt? Das wäre ja eine natürliche, biolo-gische Erklärung für diese Zahl. Die Zahl ist doch eigen-artig und nicht begründbar; sie wird auch nirgendwo er-klärt.
Deswegen muss der Verdacht aufkommen, dass es eine5-er Konstellation gibt, die schon mit Ihnen gesprochenhat. Gibt es so etwas? Wurde das schon berechnet? Ha-ben einige schon eine Strategie?
– Nein, es sind schon so viele, die mit der Zahl Fünfrechnen. Sie glauben gar nicht, wer mir schon alles vor-gerechnet hat, was man mit Fünf alles machen kann.
Genau deswegen sind wir dagegen. Das sprengt jedenAnsatz, den wir sonst im Kartellrecht haben. Ich sage Ih-nen: Sie richten mit dieser Aktion erheblichen Schadenan.
– Nein, auch die Sechs hätte eine biologische Erklärung.Nein, ich bleibe dabei: Wo kommt die Zahl Fünf her?
Sie bleibt unerklärlich.Der Gesetzgeber sollte jedoch rational und nachvoll-ziehbar handeln. Hier handelt es sich um reine Spekula-tion, nehme ich zu Ihren Gunsten an. Das kann nicht ver-nünftig sein, das ist falsch.Ich will einen letzten Punkt ansprechen, der mir indiesem Zusammenhang sehr wichtig ist: Wie wertvoll istdie Presse? Ich bitte die SPD noch einmal, ihre Pressebe-teiligungen zu überprüfen.
Es ist der SPD unbenommen, ihre Gelderträge
in der Volkswirtschaft zu organisieren.tuGurtunwDWv„bdcla–duozwsIdePnAZlof
Da es doch so große strukturelle Probleme in der Zei-ngsbranche gibt – Sie behaupten, diese seien derrund für die Reform –
nd die Risiken groß sind, würde ich Ihnen auch im Inte-esse Ihres eigenen Vermögens empfehlen, aus der Zei-ngsbranche auszusteigen. Handeln Sie doch kaufmän-isch vernünftig und lassen Sie in Zukunft gelten: Das,as draufsteht, muss auch drin sein.
as, was drin ist, muss auch auf den Titelblättern stehen.enn auf Zeitungen, die Ihnen zum Teil gehören undon Ihnen maßgeblich beeinflusst werden,
unabhängig, überparteilich“ steht, dann ist das eine Ver-rauchertäuschung, die Sie in jedem anderen Bereich, inem Sie nicht selber betroffen sind, durch Ihre Verbrau-herministerin längst gestoppt hätten. An dieser Stellessen Sie die Verbrauchertäuschung weiter zu.
Nein, es ist eine Frage der politischen Hygiene, überie wir hier reden,
nd keine Frage des Klagerechts.
Wenn die CDU die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“der den „Spiegel“ eigentümermäßig mit 30 oder 40 Pro-ent beeinflussen könnte,
ollte ich sehen, wie Sie, die Sie hier alle sitzen, mit die-em Thema umgehen würden.
ch kann Sie beruhigen: Wir hätten das Geld, um uns aner einen oder anderen Seite zu beteiligen; aber wir tuns aus Prinzip nicht. Es gehört sich nicht, dass politischearteien Zeitungen herausgeben und beeinflussen, dieicht nur für ihre eigenen Mitglieder bestimmt sind.
nsonsten müssten Sie darauf schreiben: Dies ist eineeitung der SPD. – Wir werden daher den Verdacht nichts, dass Ihre eigenartige Großzügigkeit in der Presse-usionsfrage
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Hartmut Schauerte
etwas damit zu tun hat, dass Sie auch eigene, für uns imMoment nicht wirklich erkennbare, aber aus gutemGrund vermutete wirtschaftliche Interessen an diesenRegelungen haben. Das verbietet sich und ist ungehörigbei einem solchen für die Demokratie und die Pressewichtigen Recht.Ich bedanke mich.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Werner Schulz.
Werner Schulz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! KollegeSchauerte, ich freue mich, dass wir uns über die Bedeu-tung und den Stellenwert des Wettbewerbsrechts alsMagna Charta in der Marktwirtschaft einig sind. Dasklang jedenfalls in Ihren ersten Sätzen an. Ich hätte michnoch mehr gefreut, wenn sich die Einigkeit auch aufsämtliche Kapitel und Detaillösungen erstreckt hätte undwenn Sie nicht auf dem schwierigen Feld der Presse-fusion spekulative Attacken geritten und Eskapaden ge-macht hätten.
Sinn und Zweck der siebten Novelle zum Gesetz ge-gen Wettbewerbsbeschränkungen ist die Anpassung andas seit Mai vorigen Jahres geltende, vorrangige euro-päische Kartellrecht. Damit wird ein einheitliches Rechtfür große, grenzüberschreitende Unternehmen sowie fürkleine und mittelständische Unternehmen geschaffen.Das neue Wettbewerbsrecht bringt etliche Verbesserun-gen. Hervorheben möchte ich die Stärkung der Verbrau-cherinteressen sowie ein verbessertes Anhörungsrechtund die Möglichkeiten für Verbraucherverbände, gegenden Missbrauch marktbeherrschender Stellungenvorzugehen.Für uns gehören hohe Wettbewerbsintensität und ho-her Verbraucherschutz zusammen. Bei der Kontrolle derEinhaltung von wettbewerbsbeschränkenden Vereinba-rungen wird das Anmelde- und Genehmigungsverfahrendurch das System der Legalausnahme ersetzt. Die Unter-nehmen selbst müssen einschätzen, ob eine Vereinba-rung zu unzulässigen Wettbewerbsbeschränkungen führtoder nicht. Damit setzen wir künftig auf mehr Eigenver-antwortung der Unternehmen und leisten einen Beitragzum Bürokratieabbau.emdKDkbgk„dtkKzahDUeSdmUtFkrfsAGddbGkzDsdgtpLlUsgMLPG
ie einhellige Kritik am Redaktionsmodell oder an dero genannten Altverlegerlösung, die in der Sachverstän-igenanhörung geäußert wurde, ist fast vollständig auf-egriffen worden.Nach intensiven Verhandlungen mit unserem Koali-ionspartner haben wir uns auf einen tragfähigen Kom-romiss in Sachen Pressefusion geeinigt. Wir haben eineösung gefunden, die Verlagen in der Krise die Mög-ichkeit bietet, mit anderen Verlagen – unter bestimmtenmständen und bei Garantie ihrer redaktionellen Selbst-tändigkeit – zu kooperieren. Es gibt nun also – im Ge-ensatz zum ursprünglichen Gesetzentwurf – keineöglichkeit mehr für eine verschwiemelte Fusion. Dieseösung trägt der Erkenntnis Rechnung, dass auchresse- und Meinungsvielfalt einer wirtschaftlichenrundlage bedürfen.
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Werner Schulz
Zu der berechtigten Kritik, dass der Gesetzgeberkeine sektorale Strukturpolitik betreiben darf, muss ichnatürlich sagen: Wir dürfen den Strukturwandel durcheine restriktive Gesetzgebung nicht verhindern. Auch damüssen wir einen Ausgleich schaffen. Ich glaube, dassdie notwendige Balance mit dem jetzt vorliegenden An-satz gewahrt ist.
Künftig sind Kooperationen zwischen Presseverla-gen im Bereich „Anzeigen, Vertrieb und Druck“ mög-lich, wenn eine solche Kooperation zur langfristigen Si-cherung der wirtschaftlichen Grundlage mindestenseiner der beteiligten Zeitungen erforderlich ist. Damitwollen wir das Überleben bedrohter Zeitungen ermög-lichen, ohne dass diese auf ihre publizistische Eigenstän-digkeit verzichten müssen.Weil wir davon ausgehen, dass auch solche Koopera-tionen den Wettbewerb einschränken und die Vielfalt ge-fährden können, muss das Kartellamt sie vorher geneh-migen. Wettbewerb auf dem Pressemarkt trägt dazu bei,Meinungsvielfalt zu ermöglichen. Sie ist daher einer le-bendigen Demokratie verpflichtet. Die Bürgerinnen undBürger müssen die Möglichkeit haben, sich umfassendund aus verschiedenen Quellen zu informieren und ihreMeinung zu bilden. Wir haben in Deutschland, wieschon gesagt, eine Presselandschaft, die in ihrer Vielfalteinzigartig ist und auch in wirtschaftlich schwierigenZeiten unbedingt erhalten werden muss, um ebendies zugarantieren.
Das Kartellamt hat nun einen großen Ermessensspiel-raum. Es muss prüfen, ob die Kartelle zum Erhalt derZeitungen und deren langfristiger Sicherung erforderlichsind oder ob es weniger wettbewerbsbeeinträchtigendeMöglichkeiten zum Erhalt der Zeitungen gibt. Die Prü-fung der Erforderlichkeit beinhaltet eine Beurteilung dergegenwärtigen und zukünftigen wirtschaftlichen Situa-tion der betroffenen Zeitungen. An einer Kooperationdürfen maximal fünf Zeitungen beteiligt sein. HerrSchauerte, das ist ein Hinweis darauf, dass wir diese Ko-operation nicht unendlich ausdehnen wollen. Natürlichkann man die Frage „Warum fünf, warum vier, warumdrei, warum nicht sechs?“ – eine Art Zahlenspiel – stel-len. Das ist müßig. Ich glaube, es gibt darauf keineschlüssige Antwort, die Sie zufrieden stellen könnte.Die so genannte Aufgreifschwelle wird von25 Millionen Euro auf 50 Millionen Euro erhöht. Ver-lage, die einen gemeinsamen Umsatz von mehr als50 Millionen Euro haben, müssen ihr Fusionsvorhabenvom Kartellamt prüfen lassen. Dies entscheidet dann, obeine marktbeherrschende Stellung entsteht. Verlage miteinem Jahresumsatz von unter 2 Millionen Euro könnensich, wenn sie das wollen, mit anderen Verlagen zusam-menschließen, ohne dass das Kartellamt dies prüft. DerUmsatz der hinzukommenden Verlage fällt dann nichtins Gewicht.edHddPssulBRBncglmesfeIwEtgrdKhszsnzbw
iner Operation zuzuschauen ist wirklich keine Leis-ung. Manchmal ist es besser, früh einen Bypass zu le-en, als dem Rat zu folgen, den Herzinfarkt zu ignorie-en. Das entspräche dem, was Sie vorgeschlagen haben:ie Krise auf dem Zeitungsmarkt überhaupt nicht zurenntnis zu nehmen und darauf nicht zu reagieren. Wiraben versucht, hier eine Brücke zu bauen, um die Pres-evielfalt zu erhalten und gleichzeitig den Wettbewerbu stärken.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Rainer Brüderle.
Herr Tauss, Sie waren schon besser.Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Ge-etz gegen Wettbewerbsbeschränkungen ist in der Taticht irgendein Gesetz; es ist das Grundgesetz einer so-ialen Marktwirtschaft. Die Fehlentwicklung der Wett-ewerbsstrukturen ist eine der Ursachen dafür, weshalbir in Deutschland zunehmend weniger erfolgreich
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Rainer Brüderlewurden, weshalb das Wachstum des Produktionspoten-zials viel zu niedrig ist und wir bei der Bewältigung derArbeitslosigkeit nicht recht vorankommen.Es war bisher Tradition bei allen Novellen des Geset-zes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, die entspre-chenden Regelungen parteiübergreifend zu treffen. Siewollten das diesmal nicht. Wir waren immer gesprächs-bereit. Ich hatte damals ausdrücklich auch dem KollegenHeil angeboten – bei der Anpassung an das europäischeRecht sind wir nicht weit auseinander –, ein Gespräch zuführen. Es wurde nie geführt. Das hat man nicht gewollt.Vielleicht war auch das Gerangel innerhalb der Koalitionso groß, dass man es nicht konnte.Das, was heute als Koalitionskompromiss vorgelegtwird, lehnt die FDP ab.
Ich muss das präzisieren: Wir müssen dies als Partei dersozialen Marktwirtschaft, des Wettbewerbs, ablehnen.Wir werden uns im Vermittlungsausschuss wieder-sehen; denn Sie brauchen die Zustimmung des Bundes-rates. Das Gesetz wird so, wie es heute von Ihnen aufden Weg gebracht wird, mit Sicherheit nicht rechtskräf-tig.
Interessant ist, dass heute der Bundesverband der Zei-tungsverleger, dem immerhin so renommierte Verlags-häuser wie der Spiegel-Verlag – –
– Herr Tauss, müssen Sie immer stören? Können Sienicht einmal zuhören? Sie sind doch hier nicht amStammtisch, sondern im Parlament.
– Hören Sie doch mal zu! Immer muss Herr Tauss da-zwischenquaken, um davon abzulenken, dass ihm nichtseinfällt.
Also: Der Bundesverband der Zeitungsverleger hatheute ein Rechtsgutachten der Universität Rostockvorgelegt, das Ihren Gesetzentwurf für verfassungs-widrig hält. Immerhin gehören diesem Bundesverbandder Spiegel-Verlag,
der Burda-Verlag, der Süddeutsche Verlag und anderean.Der von Ihnen vorgelegte Gesetzentwurf ist eine Klat-sche für den Bundeswirtschaftsminister. Das von ihm je-doch vehement verteidigte Altverlegermodell hätte dasEnde einer Fusionskontrolle im Zeitungsmarkt bedeutet.Damit wäre ein wesentliches Element des Wettbewerbs-rechts zugunsten einer Branche platt gemacht worden.MWUgwWsHrAS–fkwnsurwdzSwonEtIhSB
it diesem Vorhaben ist Herr Clement zu Recht vor dieand gelaufen.Wir sind das gewohnt. Das passiert ihm oft: bei dernternehmensteuerreform, beim Antidiskriminierungs-esetz, der EU-Dienstleistungsrichtlinie, beim Energie-irtschaftsgesetz und jetzt beim Pressefusionsrecht. Derirtschaftsminister kann sich in dieser Koalition, in die-er Regierung eben nicht durchsetzen, und das vor demintergrund von 5,5 Millionen Arbeitslosen.
Zweiter Verlierer sind die Grünen. Sie tragen Bürger-echte wie eine Monstranz vor sich her.
ber wenn es im Bundestag zum Schwur kommt – sieheicherheitsgesetze, siehe Bankgeheimnis
Frau Hustedt, Sie werden doch bald irgendwohin beru-en; Sie bekommen doch bald einen Job –, siehe Presse-artellrecht –, machen die Grünen mit. Insgesamt be-eist Grün-Rot einmal mehr, dass sie mit Wettbewerbicht viel am Hut haben.
Zwar sieht das Pressekartellrecht Genehmigungeneitens des Bundeskartellamtes für Anzeige-, Vertriebs-nd Druckkooperationen vor; aber die engen Prüfkrite-ien schränken diesen Genehmigungsvorbehalt gleichieder entscheidend ein. Nach Ihren Vorstellungen mussas Bundeskartellamt auch dann eine Zusammenarbeitulassen, wenn diese zu einer Marktbeherrschung führt.ie missbrauchen die Magna Charta der sozialen Markt-irtschaft für sektorale Strukturpolitik.Auch die kleinen Verlage sind den Grünen und Rotenffenbar schnuppe; sonst würden sie der Einführung ei-er Bagatellklausel nicht zustimmen.
s können circa 30 selbstständige Zeitungsverlage kon-rollfrei aufgekauft werden.Herr Kollege Schulz, ich schätze Sie sonst sehr, musshnen jedoch einige Zitate Ihrer Rede bei der ersten Be-andlung der Novelle vortragen.
ie sagten wörtlich – ich zitiere aus dem Protokoll desundestages –:
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Rainer BrüderleEs ist aber nicht nachvollziehbar, warum auf diekonjunkturellen und strukturellen Herausforderun-gen einer Branche– die Pressebranche ist gemeint –mit einer so umfassenden Gesetzesänderung rea-giert werden sollte.
Ein weiteres Zitat:Allerdings gehen die Vorschläge zur Anzeigen-kooperation zu weit.Anderes Zitat:Auf unsere Ablehnung stößt auch die Einführungeiner Bagatellklausel ... Das wären möglicherweiseSchnäppchen für die Großen.Ein weiteres Zitat:Wir sind der Auffassung, all diese Regelungen wür-den zu weniger und nicht zu mehr Vielfalt auf demPressemarkt führen.– Soweit die damalige Äußerung des Kollegen Schulz.
Aber das wird dann wie immer schnell wieder geändert.
Bisher galten wenigstens im Pressebereich die glei-chen Kontrollmaßstäbe für Entstehung oder Verstärkungeiner marktbeherrschenden Stellung wie in anderenMärkten. Sie wollen nun ausdrücklich ein weniger stren-ges Wettbewerbsrecht für eine bestimmte Branche. Dasbedeutet nicht weniger und nicht mehr als den Anfangvom Ende eines allgemeinen Wettbewerbsrechts.
Sie setzen Ihren Weg fort nach den Sonderregelungen imEnergiesektor und dem Weisungsrecht im Telekommuni-kationsbereich. Es hat keine Bundesregierung, egal wel-cher Couleur, je gewagt, ein Weisungsrecht in einenbestimmten Markt hinein gesetzlich zu konstituieren. Dazeigt sich, dass Sie eben nicht in gesamtwirtschaftlichenZusammenhängen denken und nach ordnungspoliti-schen Prinzipien handeln, sondern Ihr Denken undHandeln an einzelnen Betrieben bzw. Konzernen ausge-richtet ist. Bei Ihrer Politik ist Wettbewerb also nichtmehr die Essenz der Marktordnung.Ich hätte mir sehr gewünscht – das ist eine Rand-bemerkung –, wenn der Vorgänger von Herrn Clement inBrüssel genauso engagiert für Wettbewerbsprinzipienwie für einen Sockel an Steinkohlensubventionen ge-kämpft hätte. Wir sehen jetzt, was sich daraus als nächs-ter Schritt ergibt: Die Pläne zum Börsengang einer neuenRuhrkohle AG, die jetzt Herr Müller leitet, sind das Er-gebnis.–HtileGRsdszicbgspsTlijedhdtuGbrspg–lasaamwGdsd
Das hat sehr viel mit Ordnungspolitik zu tun, Frauustedt, auch wenn Sie das nicht übersehen. – Subven-onen werden fortgeführt, die Risiken des Steinkoh-nabbaus auf den Staat abgewälzt, während die andereneschäftsfelder privatisiert werden.
isiken sozialisieren, Gewinne privatisieren – das ergibtich in Konsequenz aus einer vorhandenen Schieflage iner praktischen Umsetzung.Wir haben Ihnen zehn konkrete Verbesserungsvor-chläge vorgelegt, um das Wettbewerbsrecht effektiveru machen. Sie haben das eine oder andere – das gebeh zu – in den Entwurf aufgenommen, wären aber guteraten, diese Vorschläge viel ernsthafter in Ihre Überle-ungen einzubeziehen. Denn jenseits aller parteipoliti-chen Auseinandersetzungen wäre es gut, wenn es einaar Dinge in der Wirtschaftspolitik gäbe, auf die manich parteiübergreifend einigt. Das war bisher auch dieradition. Der Mechanismus des Wettbewerbs ist näm-ch die Essenz der marktwirtschaftlichen Ordnung. Dertzt eingeschlagene ordnungspolitische Weg führt aller-ings weg von einem dezentral gesteuerten Wettbewerbin zu einer sektoralen Industriepolitik. Sie verfolgenamit Ansätze, die nicht zu mehr Effizienz und Leis-ngsfähigkeit führen und letztlich den Steuerzahler vieleld kosten werden und viele Beschäftigte um ihre Ar-eitsplätze bringen werden.
Überlegen Sie einmal, was Sie mit Ihren Fehlsteue-ungen, sei es im Bereich der Steinkohle oder im Stahl-ektor, angerichtet haben: Das Geld ist weg, die Arbeits-lätze sind auch weg und die Situation ist nicht bessereworden.
Dass Sie da, Herr Tauss, als ein Mann, der sich jahre-ng bei der IG Metall aktiv engagiert hat, befangenind, verstehe ich ja. Sie sollten aber trotzdem die Kraftufbringen, die richtigen Entscheidungen zu treffen undb und zu auch einmal zuzuhören.Es wäre gut, wenn man nicht nur beschwört, dass De-okraten zusammenstehen sollen, sondern sich beiirklichen Grundsatzfragen – und hier geht es um einerundsatzfrage – auch so verhalten würde. Es wäreemnach gut gewesen, wenn der Wirtschaftsministertatt auf der CeBIT bei einem so wichtigen Gesetz auchem Parlament seine Präsenz gegönnt hätte.Vielen Dank.
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Das Wort hat die Kollegin Monika Griefahn, SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Nachdem ich Herrn Schauerte gehört
habe, komme ich zu dem Schluss, dass er nicht wahr-
genommen hat, was seit einigen Jahren passiert. Sie ha-
ben praktisch ignoriert, dass es tatsächlich strukturelle
Änderungen im Zeitungsmarkt gibt.
Sie haben gesagt, diese gebe es de facto nicht.
Man muss einfach einmal sehen: Durch das Internet
wurde beispielsweise der Anzeigenmarkt bei Druck-
erzeugnissen erheblich kleiner. Heute verkauft doch kei-
ner mehr sein Auto über die örtliche Zeitung, sondern
nur noch über das Internet.
Das ist de facto so; diese Entwicklung kann man nicht
mehr zurückdrehen. Auch bei einer Verbesserung der
konjunkturellen Lage würde sich diese Situation nicht
ändern, sondern sie würde so bleiben. Darauf müssen
wir doch reagieren. Das ist der Punkt.
Sie haben die ganze Zeit nur größere Zeitungen ange-
sprochen. Wir reden im Zusammenhang mit Pressefusio-
nen nur über Zusammenschlüsse von Zeitungen. Wir re-
den nicht über Verlagszusammenschlüsse oder über
Zusammenschlüsse von Zeitschriften, sondern über Zei-
tungszusammenschlüsse bzw.
– das wollte ich jetzt anführen – Kooperationen.
Ich komme aus einer Region, Herr Schauerte, in der
es hauptsächlich kleine Zeitungen gibt. Ich sehe, dass
deren Abonnentenzahl stark zurückgegangen ist, unter
anderem deswegen, weil es mittlerweile viele kostenlose
Angebote von Wochenblättern etc. gibt.
Diese haben sozusagen geradezu gefleht, dass sie we-
nigstens den Abonnementbetrieb zusammen machen
dürfen und dass Anzeigenkooperationen erlaubt sind.
Das sind Punkte, die wir hier aufgegriffen haben.
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Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Schauerte?
Gerne, natürlich.
Sie haben ja, Frau Kollegin Griefahn, als Laufzeit
ieser Regelung fünf Jahre vorgesehen.
Richtig.
In dieser Zeit wollen Sie überprüfen. Was machen Sie
enn, wenn in den fünf Jahren etwas falsch läuft? Haben
ie die Möglichkeit, das, was falsch läuft, zurückzuho-
en, oder muss das Falsche dann bestehen bleiben?
Das ist genau der Punkt: Dadurch, dass das Kartell-mt die Umsetzung begleitet, kann auch eingegriffenerden.
Das werden wir dann sehen. Dafür läuft der Evalua-ionsprozess ab morgen.
Zu einem weiteren Punkt, der ganz wichtig ist, deror allem uns als Kulturpolitikern ganz wichtig war.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 164. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. März 2005 15395
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Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Brüderle?
Lassen Sie mich doch kurz noch zu den anderen
Punkten kommen, vielleicht komme ich dann ohnehin zu
dem, was Sie fragen wollen.
Sie gestatten sie also nicht.
Im Moment nicht.
Wenn wir – darauf haben Sie richtig hingewiesen;
auch da spreche ich wieder vom ländlichen Raum – eine
Pressevielfalt auch in der Fläche erhalten wollen, dann
ist es ganz entscheidend, dass wir das Presse-Grosso er-
halten und dass gewisse Zeitungen an jedem Ort gekauft
werden können, nicht nur in der Großstadt am Bahnhofs-
kiosk.
Ich bin sehr froh, dass es eine Vereinbarung zwischen
den Verlagen und dem Presse-Grosso gibt. Wir haben in
unseren Gesetzentwurf ebenfalls aufgenommen, dass ge-
nau geprüft wird, ob die Umsetzung so erfolgt, wie wir
uns das vorstellen, und werden gegebenenfalls aktiv
werden können. Deswegen glaube ich auch, Herr
Brüderle, dass Ihr Entschließungsantrag in diesem Falle
unnötig ist; denn wir haben das in den Gesetzentwurf
aufgenommen. Es ist Teil der Beratungen, die wir in den
letzten anderthalb Jahren durchgeführt haben. Das Parla-
ment und die Fraktionen haben das aufgegriffen. Die
Formulierung ist so gewählt, dass wir die Kooperation in
diesem Fall ausschließlich auf den Abonnementvertrieb
konzentrieren. Darüber hinaus prüfen wir, ob die Verein-
barung so umgesetzt wird, wie wir uns das vorstellen.
Das ist uns als Parlament wichtig und da schauen wir ge-
nau hin.
Natürlich besteht im Feld der Kooperationen eine
Gefahr. Natürlich muss gewährleistet sein, dass die Re-
daktionen tatsächlich selbstständig bleiben. Die Redak-
tionsselbstständigkeit ist das A und O für die Presseviel-
falt. Mit den konkreten Maßnahmen, die wir hier
vorschlagen, unternehmen wir den Versuch – es ist ein
Versuch; bei jedem Gesetz kann sich herausstellen, dass
an einigen Stellen Änderungen vorgenommen werden
müssen, wenn die Praxis zeigt, dass das eine oder andere
nicht richtig funktioniert –, Redaktionstätigkeit zu erhal-
ten, die sonst ganz wegfallen würde. Die kleinen Zeitun-
gen, die ich eben erwähnt habe, würden sonst sang- und
klanglos untergehen, sie würden dann einfach zuge-
macht. Sie werden nicht aufgekauft, sondern verschwin-
den einfach. Wenn hier mit der Bagatellgrenze die Mög-
lichkeit besteht, durch Kooperationen den Titel als
solchen und die Redaktion als solche zu erhalten, dann
ist das einen Versuch wert; das gilt auch für die Fusion
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Das Wort hat der Kollege Ernst Hinsken, CDU/CSU-
raktion.
Werte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kol-egen! Der Hinweis der Vizepräsidentin Fraur. Vollmer, dass sich die Regierungsbank füllen möge,at gewirkt. Der Anteil der anwesenden Regierungsmit-lieder hat sich immerhin um 200 Prozent erhöht.
etzt sitzen immerhin zwei Staatssekretäre auf der Re-ierungsbank, um dieser wichtigen Debatte zu lauschen.ber eigentlich müsste bei dieser wichtigen Debatte, iner es um wesentliche Punkte geht, der Bundeswirt-chaftsminister selbst zugegen sein.
Ich möchte nicht darauf eingehen, was es mit demWB, dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen,peziell auf sich hat. Aber wir wissen, dass unsere Wirt-chaft und gerade unser Mittelstand ein klares Bekennt-is zur Marktwirtschaft und zu einem freien und faireneistungswettbewerb brauchen.Ich möchte eingangs feststellen: Dieses GWB hat sichn der Bundesrepublik Deutschland bewährt. Es hat in-ernational anerkannte Maßstäbe gesetzt und den Mittel-tand unserer Republik einmal groß gemacht. Erfreuli-herweise darf ich darauf verweisen, dass wir in diesemereich bislang immer Konsens hatten. Änderungenurden mit größter Sorgfalt, ohne Zeitdruck und unter
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15396 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 164. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. März 2005
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Ernst HinskenBerücksichtigung des Rates Sachverständiger vorge-nommen. Leider hat das Rot-Grün in diesem Gesetzge-bungsverfahren nicht immer so gehandhabt. Insbeson-dere bei einem Teil des Gesetzes, nämlich derPressefusionskontrolle, hat man uns, die Opposition, beider Entscheidungsfindung völlig außen vor gelassen,Herr Heil. Darauf komme ich später noch zu sprechen.
– Herr Tauss, passen Sie gut auf, dass Sie beim Nach-plappern nicht auch noch Fehler machen.
Lassen Sie mich zunächst etwas Grundsätzliches zumGWB sagen. Hier ist, was das neue europäische Kartell-rechtsverfahren anbelangt, festzustellen, dass es sich umeinen Systemwechsel von einem Anmelde- und Ge-nehmigungssystem zu einem System der so genanntenLegalausnahme handelt. Das ist zu begrüßen,
führt doch dies erstens zur Rechtsvereinfachung, zwei-tens zu mehr Rechtssicherheit und drittens zu einem ge-ringeren Aufwand für die betroffenen Unternehmen.Dies ist bei immer mehr Bürokratie besonders wichtig.
Trotz dieser Anpassung an europäisches Recht dürfendie Besonderheiten des deutschen Kartellrechts abernicht über Bord geworfen werden.
Für meine Fraktion ist deshalb weiterhin unverzichtbar:erstens die Missbrauchsaufsicht über marktbeherr-schende und marktstarke Unternehmen
sowie zweitens die Beibehaltung des Freistellungstat-bestands der Mittelstandskooperation.
Es wird sich zeigen, wie sich das neue System derLegalausnahme für die betroffenen Unternehmen aus-wirkt. Dies hängt entscheidend von der künftigen Hand-habung in der Verwaltungspraxis ab. Denn schließlichwird den Unternehmen das Risiko der Fehleinschätzungaufgebürdet. Das bedeutet für diese eine erheblicheRechtsunsicherheit und finanzielles Risiko.
Gerade deshalb braucht der Mittelstand in bestimmtemUmfang Unterstützungsmaßnahmen durch die Wett-bewerbsbehörden.
Für den Mittelstand ist der Erlass einer Verfügung desBundeskartellamts, dass kein Anlass zum Tätigwerdenbesteht, von herausragender Bedeutung. Unbefriedigendist jedoch, dass es im Ermessen der Kartellbehörde liegt,oBRgaKWgsVakrDsKdEbtAhtdzddGtainssiegkTrbgMbhki
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 164. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. März 2005 15397
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Beim Pressefusionsrecht haben Sie von Rot-Grüneine völlig unbefriedigende Lösung vorgelegt; sie isteinfach nicht zu akzeptieren. Grundsätzlich stellt sichdie Frage, warum es überhaupt einer Neufassung bedarf;
sind wir doch bisher mit der Pressevielfalt, mit den vie-len mittleren Verlagen neben den großen, in unseremLande gut gefahren.
Die Behauptung, wir hätten ein Strukturproblem unddeshalb sei die Korrektur notwendig – dies hat soebender jetzt nicht mehr anwesende StaatssekretärDr. Staffelt vorgetragen; jetzt ist Herr Schlauch da; dieshaben auch die Redner der SPD und Herr Schulz so dar-gestellt –, ist doch nicht wahr. In der Anhörung habenverschiedene Sachverständige darauf hingewiesen, dassdiese Behauptung überzeichnet ist.
Dies sagte zum Beispiel bei der Anhörung zum GWBder Präsident des Verbandes Bayerischer Zeitungsverle-ger, Herr Dr. Balle. Herr Kollege Stiegler, wie ich in Er-fahrung gebracht habe, hat er Ihnen selbst das gesagt undSie sollen ihm sogar Recht gegeben haben.
Hier so zu schreien und in persönlichen Gesprächen an-ders zu reden ist ein nicht akzeptabler Stil.
– Herr Kollege Tauss, wenn Sie nachlesen wollen, waser genau gesagt hat, dann lesen Sie das Protokoll nach.Dass Sie es nicht genau wissen, ist ein Zeichen dafür,dass Sie erstens nicht an der Anhörung teilgenommen
und zweitens nicht die Zeit gefunden haben, zumindestdas Protokoll nachzulesen, um hier mitreden zu können.
Sie von Rot-Grün vergessen völlig: Zeitungs- undZeitschriftenverlage bringen kein übliches Wirtschafts-gut hervor. Die grundgesetzlich verbürgte Pressefreiheitist mittelbar berührt. Gerade die Vielfalt publizistischerMeinungen, der Verlage und der Titel ist von überragen-der Bedeutung für die freiheitlich-demokratische Mei-ndWsgsSzNsEdAMBdumw–bzssedDzMhlPdsu
Sie haben ihm des Weiteren ins Stammbuch geschrie-en, Herr Kollege Stiegler: Ihre Änderungsvorschlägeum pressespezifischen Kartellrecht genügen den grund-ätzlichen Anforderungen an eine Novellierung des Ge-etzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen nicht. – Dasntspricht der Note sechs; Thema verfehlt.Jetzt meinen Sie, mit durchschaubaren Vorschlägenoch noch ihr angestrebtes Ziel erreichen zu können.abei machen wir aber nicht mit.Ich setze auf den Bundesrat und bin fest davon über-eugt, dass im Vermittlungsausschuss die notwendigenaßnahmen ergriffen werden.Lassen Sie mich noch darauf verweisen – –
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
Frau Präsidentin, mein Kollege Hartmut Schauerte
at mir eine Minute Redezeit geschenkt.
Nein, er hat Ihnen keine Minute geschenkt. Der Kol-
ege Schröder, der Schriftführer der CDU ist, hat das
rotokoll exakt geführt.
Dann muss ich mich erkundigen. Es ist bedauerlich,ass ich nicht die zur Verfügung stehende Redezeit aus-chöpfen kann, weil sogar um eine Minute gefeilschtnd diese gestrichen wird.
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Ernst HinskenAlles in allem frage ich Sie: Sind Sie bereit, in sich zugehen, das Ganze noch einmal zu überdenken und einevernünftige Lösung vorzulegen, die gerade für das Pres-sefusionsgesetz notwendig ist? Das gilt insbesonderedann, wenn wir dem Leitgedanken folgen, –
Herr Kollege Hinsken, Sie müssen bitte zum Schluss
kommen.
– dass eine Änderung überhaupt nicht erforderlich ist.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Hubertus Heil, SPD-Frak-
tion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Zu meiner Freude wurde ein Satz in den bisherigen Re-den fraktionsübergreifend fast wortgleich wiederholt.Das GWB ist tatsächlich das Grundgesetz – oder wie ei-nige es nennen: die Magna Charta – der Marktwirtschaft.Ohne das, was sich mit dem GWB seit 1958 im deut-schen Kartellrecht entwickelt hat, hätte sich die Absiche-rung des Wettbewerbs als entscheidendes Ordnungsprin-zip unserer sozialen Marktwirtschaft nicht in der Formentwickeln können.
Mit der siebten GWB-Novelle, die wir heute in zwei-ter und dritter Lesung beraten, tragen wir auf der einenSeite dieser guten Tradition und auf der anderen Seiteden veränderten Rahmenbedingungen Rechnung. Wirsind uns – auch das freut mich – in vielen Bereichen ei-nig, beispielsweise in Bezug auf die europäische Ent-wicklung.Wir werden zukünftig mit dem GWB einen europäi-schen Rechtsrahmen umsetzen, der sicherstellt, dass beider Beurteilung von Kartellvereinbarungen Legalaus-nahmen das bisherige Anzeige- und Genehmigungsver-fahren ersetzen. Dieser Systemwechsel bedeutet auf dereinen Seite – das geben wir offen zu – eine wesentlicheEntlastung der Kartellbehörden von entbehrlichen Routi-neaufgaben; auf der anderen Seite bietet er Unternehmendie Möglichkeit, Verfahrenskosten zu sparen. Aber wirverschweigen auch nicht, Herr Hinsken, dass es geradeauch für kleine und mittlere Unternehmen eine Heraus-forderung darstellt, selber einschätzen zu können, ob ihrVorgehen rechtskonform ist.Nichtsdestoweniger stehen die Kartellbehörden auchzukünftig für Auskünfte in diesem Bereich zur Verfü-gung. Es gibt schließlich Telefon, Herr Hinsken. Inso-fern ist aus unserer Sicht Ihrem Anliegen Genüge getan.Wir können sicherstellen, dass Unternehmen tatsächlichRat einholen können.zHsEezwnnMddWdggVdKsjuggsGKtmütduzwwsvgswZ–USwge
Sie wissen – allerdings haben Sie das in der Debatteerschwiegen –, dass es damals auch andere Vorstellun-en über die Ausgestaltung des Presserechts gab. Inzwi-chen ist seine Verankerung im Kartellrecht eine be-ährte Tradition. Aber im Jahre 1976 herrschte auf demeitungsmarkt eine andere Situation. Nun fragen Siediese Frage ist auch berechtigt –: Worin besteht dernterschied zu anderen Branchen?
chließlich fand auch in anderen Branchen ein Struktur-andel, technischer Fortschritt und Ähnliches statt.Ich will Ihnen sagen: Diese Frage haben Sie zu Be-inn Ihrer Rede selbst beantwortet: Der Pressemarkt istin ganz spezieller Markt; denn es geht um Meinungs-
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 164. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. März 2005 15399
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Hubertus Heilvielfalt. Unsere Überzeugung ist, dass man Meinungs-vielfalt nicht nur proklamieren darf, sondern dass manauch dafür sorgen muss, dass Meinungs- und Zeitungs-pluralismus in Deutschland eine wirtschaftliche Grund-lage haben. Darum geht es.
Wie ist denn die Lage, die Sie angeblich – denn auchSie wissen es besser – nicht zur Kenntnis nehmen wol-len? Es gibt im Zeitungsbereich strukturelle Verwerfun-gen und fortlaufend massive Veränderungen; dies wurdeübrigens auch im Rahmen der Anhörung belegt. WennSie uns nicht glauben wollen, sage ich Ihnen: Es gibtauch Gutachten, die dies belegen.
Lassen Sie mich nur eine Zahl als Beispiel nennen:Im Jahre 1976 finanzierten sich Tageszeitungen grobnach dem Schema: ein Drittel Vertriebserlöse, zwei Drit-tel Anzeigenerlöse. Inzwischen ist das Verhältnis fifty-fifty. Das hat nicht nur konjunkturelle Gründe. Ich gebezu: In den letzten drei Jahren waren die Probleme, mitdenen die Zeitungen zu tun hatten, vor allem konjunktu-reller Natur; diese Situation verbessert sich allerdingswieder.
Aber die strukturellen Veränderungen, die FrauGriefahn vorhin angedeutet hat, möchte ich noch etwasausmalen. Wenn man über die Konkurrenz im Anzeigen-bereich spricht, muss man berücksichtigen, dass es dieheutigen elektronischen Medien im Jahre 1976 nochnicht gab. Weder gab es ein Privatfernsehen noch SMSnoch Internet.Schauen Sie sich nur einmal an, in welchem Umfangdie Anzeigen in den Rubriken Automobile und Immo-bilien von den Tageszeitungen ins Internet migriert sind;denn die dortigen Anwendungen und technischen Mög-lichkeiten sind für die Nutzer viel interessanter als das,was die Tageszeitungen zu leisten vermögen. Danebenist bei denen, die Werbung schalten, ein tief greifenderKonzentrationsprozess zu beobachten. Schauen Sie sichnur den Lebensmittelbereich an: Lidl, Aldi und viele an-dere führen umfangreiche Reihen- und Kettenschaltun-gen durch. Es besteht bei Anzeigen also auf der Nachfra-geseite eine unheimliche Marktmacht.Es gibt also, was die wirtschaftlichen Grundlagen vonZeitungen betrifft, Veränderungen; das kann man nichtleugnen. Wenn Sie mir nicht glauben, dann schauen Siesich in den Redaktionen um. Reden Sie mit Redakteuren,deren Redaktionen massiv zusammengekürzt wurden.
Reden Sie auch einmal mit Menschen, die als freie Mit-arbeiter und Journalisten arbeiten und in einer wirklichschwierigen Situation sind, und nicht nur mit irgendwel-chen Verbandsvertretern.srVfnPgRslgKm„bstkwikmNsaZresrGJmsko
Sie sollten wirklich einmal eine solche Redaktion be-uchen. Dann würden Sie feststellen, dass Rationalisie-ung unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zwar etwasernünftiges ist. Wenn Rationalisierungsdruck aber dazuührt, dass die Zeitungen vor allen Dingen im redaktio-ellen Bereich zusammenschrumpfen, dann ist das einroblem für die Meinungsvielfalt; das will ich Ihnen sa-en. Wenn die Zeitungsvielfalt darin besteht, dass in denedaktionen nur noch Agenturmeldungen zusammenge-tückelt werden, dann ist das nicht der Meinungsplura-ismus, den wir wollen.
Deshalb haben wir eine andere Regelung vorgeschla-en.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Schauerte?
Gerne, Herr Schauerte.
Ich komme aus einem Kreis, in dem sich die Eigentü-
er der „WAZ“, der damaligen „Westfalenpost“ und der
Westfälischen Rundschau“ zusammengeschlossen ha-
en, aber die Redaktionen selbstständig blieben. In die-
em Kreis gibt es nur diese Zeitungen. Die Lokalredak-
ionen sind personell so mager besetzt, dass man sie
aum noch findet. Denn dem Eigentümer ist es egal,
elche Zeitung ein Abonnent bestellt; alle gehören ja
hm. In dem Nachbarkreis, der auch zu meinem Wahl-
reis gehört, Lüdenscheid, gibt es eigentümergeführte,
ittelständische Zeitungen, etwa die „Lüdenscheider
achrichten“ der Ippen-Gruppe. Die Lokalredaktionen
ind personell um ein Vielfaches stärker besetzt; das ist
uf den Wettbewerb zurückzuführen. Der Umfang dieser
eitungen beträgt das Dreifache der Zeitungen im ande-
en Kreis; das dient auch der Meinungsvielfalt. Das ist
in praktisches Beispiel dafür, wie Zusammenarbeit aus-
ehen kann.
Ich frage Sie: Glauben Sie ernsthaft, dass Sie mit Ih-
er Konzentrationsbeschleunigung, die Sie mit diesem
esetz möglich machen, tatsächlich Arbeitsplätze für
ournalisten retten? Sie werden sich wundern.
Ich antworte Ihnen am besten mit einem Beispiel auseinem Wahlkreis, Gifhorn–Peine. Er liegt in Nieder-achsen. Ich habe das Glück, dass es in meinem Wahl-reis fünf verschiedene Tageszeitungen gibt, die zweider drei Verlegern gehören.)
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15400 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 164. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. März 2005
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Hubertus Heil
– Das gibt es in meinem Wahlkreis. Ich lade Sie ganzherzlich ein. Es gibt zwar nicht so wunderbaren Weinwie bei Ihnen, aber es gibt fünf Tageszeitungen.
In meinem Wahlkreis, ganz im Norden, gibt es ein sehrkleines Blatt, das „Isenhagener Kreisblatt“. Der Verlegermöchte diese Zeitung gern weiterführen. Bei einer Auf-lage von sage und schreibe 5 000 Exemplaren – die Zei-tung ist ganz klein; ich freue mich darüber, dass es dasBlatt gibt – hat der Verleger allerdings kaum noch dieMöglichkeit, gerade bei größeren Unternehmen Anzei-gen in nennenswertem Umfang für diese Zeitung ein-zuwerben. Warum sollten wir es diesem Unternehmenverweigern, mit einem benachbarten größeren Unterneh-men eine Anzeigenkooperation einzugehen?
– Anzeigenkooperation gibt es schon. Aber wir wollensie gerade auch mit Blick auf die strukturelle Verände-rung erleichtern.Von daher glaube ich, dass wir ein gutes Modell ge-funden haben, für den Bereich der Anzeigen, des Ver-triebs und des Drucks gesellschaftsrechtlich oder auchvertraglich Kooperationen zu ermöglichen, unter derVoraussetzung, dass bestimmte Kriterien erfüllt sind. Ichwill Ihnen das gern erklären.Im Gesetzentwurf ist keine Zusammenlegung vonRedaktionen vorgesehen. Ebenfalls sind keine Fusionenvorgesehen. Vielmehr wollen wir auf den von mir ge-nannten Feldern Kooperationen in der Reichweite, dieich eben beschrieben habe, ermöglichen. Das ist aller-dings keine Garantie dafür, dass es Freiräume für redak-tionelle Arbeit gibt; das will ich Ihnen gern einräumen.
Aber es bietet die Chance, Meinungsvielfalt zu erhalten.
Was wäre denn Ihre Alternative etwa für das „Isenha-gener Kreisblatt“? Wir wollen jedenfalls nicht zu-schauen, wie es zusammenbricht.
Ich will noch einige Punkte nennen. Wir haben Krite-rien aufgestellt, weil wir, Herr Schauerte, nicht wollen,dass diese Regelungen missbraucht werden. Diese Kri-terien sind vorhin genannt worden. Zum einen muss esder Wettbewerbsfähigkeit dienen; zum zweiten mussdurch die Kooperation eine der beteiligten Zeitungenlangfristig gesichert werden und zum dritten ist eine Be-grenzung auf fünf Zeitungen vorgesehen. Herr KollegeSchauerte, zum fünften Male: Es geht um Zeitungen undnicht um Verlage.–IZDrtevHddvWdKrhdEtmssdSNVrwrwe
Nein, es geht um Zeitungen und nicht um Verlage.
m Gesetzentwurf ist von an der Kooperation beteiligteneitungen die Rede. Lesen Sie bitte den Gesetzestext!as hilft.
Ich will Ihnen klar sagen, dass ich mir in diesem Be-eich mehr vorstellen könnte. Da bin ich übrigens in gu-r Gesellschaft mit Ihrem stellvertretenden Fraktions-orsitzenden, Herrn Pofalla, den ich heute sehr vermisse.err Hinsken, warum schweigen Sie eigentlich dazu,ass Herr Pofalla Vorschläge gemacht hat, die weit überas hinausgegangen sind, was Herr Clement und wirorgeschlagen haben?
arum verschweigen Sie das heute und tun so, als wür-en wir uns in diesem Bereich zu schaffen machen?
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Tauss?
Ja, gern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Danke schön. – Lieber Kollege Heil, nachdem Sie ge-
ade das Wort „Missbrauch“ in den Mund genommen
aben und Herr Kollege Schauerte die heutige Debatte
azu missbraucht hat, die Sachfragen mit vermeintlichen
influssnahmen der SPD auf Redaktionen, die redak-
ionelle Unabhängigkeit und auf Verlage zu verbinden,
öchte ich Sie fragen: Könnten Sie mir in diesem Zu-
ammenhang freundlicherweise nochmals die histori-
chen Zusammenhänge aufzeigen,
ie dazu geführt haben, dass eine Gesellschaft, an der die
PD beteiligt ist, nach Überwindung der Diktaturen, des
azi-Reichs und der SED-Diktatur die Rückgabe von
erlagen erreichen konnte, weil es sich dabei um zu Un-
echt enteignetes Eigentum gehandelt hat? Und wie be-
erten Sie die Versuche der CDU, das heute wieder
ückgängig zu machen?
Herr Kollege Tauss, ich will Ihnen antworten, ver-eise aber auf die Auseinandersetzung, die wir hier vorinem Jahr schon zu diesem Thema hatten.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 164. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. März 2005 15401
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Hubertus Heil
Ich finde es bedauerlich, dass Sie, Herr Schauerte, inIhrer Rede ständig mit Unterstellungen gearbeitet haben– das tun wir nicht. Wir sind in der Sache an der einenoder anderen Stelle über die Wirkung unterschiedlicherAuffassung – das gehört zum Meinungsstreit in derDemokratie –, aber dass Sie uns sozusagen verschwö-rungstheoretisch Eigeninteresse unterstellen, ist nichtnur falsch, es ist schäbig, erst recht in dem Ton, in demSie es getan haben; das will ich Ihnen klar sagen.
Herr Kollege Tauss hat vorhin deutlich gemacht: DieZeitungsbeteiligungen, die Parteien haben, sind nichtsEhrenrühriges, weil sie keinen redaktionellen Einflussnehmen.
– Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis.
Lesen Sie einmal ein paar Zeitungen, an denen dieDDVG beteiligt ist. Ich sage Ihnen: Ich ärgere michmanchmal schwarz über das, was ich lese.
Reden Sie beispielsweise mit Herrn Wulff darüber, ob ersich über die Berichterstattung der „Hannoverschen All-gemeinen Zeitung“ beschweren kann – er wird esschwerlich können.
Gerade Sie von der CDU sollten in der Frage, wie SieIhre Partei finanzieren, einmal ganz ruhig sein!
Herr Kollege Heil, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Hinsken?
Gerne, ich habe heute noch jede Menge Zeit; ich muss
bloß noch zum Unterbezirksparteitag meiner Partei in
Peine.
Herr Kollege Heil, ich befürchte, dass Sie das, was
Sie vorhin angekündigt haben, nicht wahr machen, näm-
lich uns darüber aufzuklären, was es mit der Zahl fünf
auf sich hat, dass nach fünf Jahren überprüft werden soll.
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Das mache ich sehr gerne, Herr Kollege, wenn es zureiterbildung dient. Sie bringen ein paar Dinge durch-inander. Ich will das aber gerne mit Ihnen aufrollen,enn wir die Zeit dazu haben.Erstens. Wir haben im Entwurf eine Begrenzung aufünf Zeitungstitel vorgenommen. Ich gebe wie der Kol-ege Schulz zu: Es hätten auch sechs oder sieben odercht sein können. Aber fünf war die Begrenzung, die wirit den Grünen ausgehandelt haben. Ihr Kollege Pofallaollte gar keine Begrenzung. So weit dürften wir uns ei-ig sein.
Zweitens. Sie haben nach den fünf Jahren gefragt,ach der zeitlichen Begrenzung, und danach, ob man ei-en solchen Zusammenschluss auch wieder rückab-ickeln kann.
ch will Ihnen dazu sagen: Wir wollen, dass Koopera-ionen möglich sind. Natürlich geht keiner eine Koope-ation und damit ein wirtschaftliches Risiko ein, wennas Rad nach fünf Jahren zurückgedreht wird. Sie kön-en eben – mit Ludwig Stiegler gesprochen – aus einemmelett kein Ei mehr machen.
eshalb haben wir dem Kartellamt mit der Ex-ante-Prü-ung klare rechtsstaatliche Kriterien und genug Möglich-eiten an die Hand gegeben, um Missbrauch möglichstinzugrenzen. Nach fünf Jahren wollen wir sehen, wasiese Regelung für die Branche bedeutet. Wir können sieerlängern, wenn sie sich bewährt hat. Aber zuvor müs-en wir das überprüfen.
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15402 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 164. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. März 2005
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Hubertus HeilHerr Hinsken, wir beide können doch nicht in die Zu-kunft schauen, auch wenn ich das uns beiden wünschenwürde; wir sind beide nette Kerle. Aber wir haben unter-schiedliche Auffassungen über die Vergangenheit unddie Gegenwart. Das ist der Unterschied zwischen uns:Sie sagen: „Es gibt keine strukturelle Krise auf dem Zei-tungsmarkt.“
Sehen Sie das so, Herr Hinsken? Dann bleiben Sie ste-hen;
ich bin mit meiner Antwort noch nicht zu Ende. Fragenstellen und dann keine Antwort erwarten – so geht esnicht; das sind rhetorische Fragen, aber keine Zwischen-fragen im Deutschen Bundestag!
– Wenn Sie es nicht verstehen wollen, muss ich längerreden; das tut mir leid.
Dann will ich Ihnen zum Schluss gerne eins sagen: Auchich hätte mir gewünscht, dass wir das miteinander imruhigen Gespräch hätten klären können;
ich sage Ihnen das ganz offen. Nur, diese Debatte hierund auch im Wirtschaftsausschuss und die Presseäuße-rungen, die Sie gleich, nachdem wir uns in der Koalitionverständigt hatten, abgegeben haben, haben uns zu derAuffassung gebracht, dass es sinnvoller ist, mit vernünf-tigen Landeswirtschaftsministern Ihrer Partei zu reden
als mit ideologischen Menschen, die nur ein Ziel haben:uns die übelsten Motive zu unterstellen. Das tue ich beiIhnen auch nicht: Ich unterstelle, dass Sie politischfalsch liegen. Sie wiederum sagen, ich liege falsch. AberSie unterstellen uns dabei, dass wir das aus niederen Be-weggründen tun. Das finde ich nicht gut.
Wissen Sie, Herr Hinsken – ich sage Ihnen das in allerRuhe; Sie sind doch freundlicher als Herr Schauerte, derständig etwas andeutet –: Es nützt letztlich keinem,wenn wir uns gegenseitig in jeder politischen Auseinan-dersetzung skandalisieren.
Wer ständig „Skandal“ ruft,
mid–vKNsgesÄdpwmidImgsB–eaDHmlHNn
Ach, ja, Sie sind für Ihre sachlichen Einschätzungenon politischen Situationen ja allgemein bekannt, Herrollege.Ich will Ihnen nur sagen: Mit der heutigen GWB-ovelle schaffen wir das Grundgesetz der Marktwirt-chaft der Zukunft. Es gibt veränderte Rahmenbedin-ungen. Der Pressebereich ist sehr sensibel. Dort bleibts bei Spezialregelungen. Bezogen auf die Aufgreif-chwelle und die Bagatellklausel haben wir behutsamenderungen vorgenommen, womit wir die entsprechen-en Regelungen übrigens an die anderer Branchen ange-asst haben. Ich finde, auch bei den Kooperationen sindir einen guten und vernünftigen Schritt weitergekom-en.Ich hätte mir gewünscht, dass wir die Beratungen hierm Bundestag sachlich hätten abschließen können undass wir kein Vermittlungsverfahren brauchen würden.
ch sage: Das ist an Ihnen gescheitert. Es wird zum Ver-ittlungsverfahren kommen. Herr Hinsken, ich bin sehrespannt, wie sich die Landeswirtschaftsminister in die-er Frage verhalten werden.
Herr Brüderle, der sonst immer kritisiert, dass zumeispiel Minister nicht anwesend sind – –
Okay, dann habe ich das nicht mitbekommen und ichntschuldige mich. Wir sollten die Aufgeregtheiten aberuch dann lassen, wenn Staatssekretäre weg müssen.as war bei diesem Punkt nämlich auch abgesprochen.
err Hinsken, das haben Sie vorhin nur nicht mitbekom-en; so, wie ich eben.
Ich will nur sagen, dass wir eine vernünftige Rege-ung getroffen haben, mit der viele leben können.Es gibt Verleger, die sich mehr gewünscht hätten.err Schauerte hat Recht, wenn er sagt, dass es in deratur von Unternehmen liegt, dass sie das Kartellrechticht sonderlich originell finden.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 164. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. März 2005 15403
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Hubertus Heil– Ich habe noch zehn Sekunden. – Wir als Politiker müs-sen das Kreuz durchdrücken, damit wir dort vernünftigeSpielregeln haben. Manchen Verlegern geht das nichtweit genug, anderen geht das zu weit. Das heißt, wir sindmit diesem Gesetzentwurf in der guten Mitte. Sie wer-den sehen, dass wir uns durchsetzen werden.Herzlichen Dank und schönes Wochenende.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände-
rung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen,
Drucksache 15/3640. Der Ausschuss für Wirtschaft und
Arbeit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 15/5049, den Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstim-
men von CDU/CSU und FDP angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist damit mit demselben Stimmergebnis wie in der
zweiten Beratung angenommen.
Wir kommen nun zu den Entschließungsanträgen.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion
der CDU/CSU auf Drucksache 15/5053? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag
ist mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen
der CDU/CSU und der FDP abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak-
tion der FDP auf Drucksache 15/5054? – Wer stimmt da-
gegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist
mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der
FDP und der CDU/CSU abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak-
tion der FDP auf Drucksache 15/5055? – Wer stimmt da-
gegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist
ebenfalls mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstim-
men der FDP und der CDU/CSU abgelehnt.
Tagesordnungspunkt 19 b: Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und
Arbeit auf Drucksache 15/3136 zu dem Antrag der Frak-
tion der FDP mit dem Titel „Für einen wirksamen Wett-
bewerbsschutz in Deutschland und Europa“. Der Aus-
schuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/760
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschluss-
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15404 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 164. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. März 2005
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– Das liegt an Ihnen, Herr Kollege.
Denn richtig ist: Wir allein als Bundesrat, als Bundes-länder können dies nicht schultern. Das hängt damit zu-sammen, meine Damen und Herren Bundestagsabgeord-nete, dass das Wirtschaftsrecht zu 90 Prozent in Berlinoder auch in Brüssel gemacht wird. Das wollen wir unddas will der Bundesrat mit diesem Gesetzentwurf ge-meinsam angehen.
Bürokratie darf nicht in Brüssel entstehen. Da sind wiruns einig. Sie darf auch nicht in Berlin perfektioniertwerden.
Sie müssen sich ein aktuelles Beispiel dafür gefallenlassen, dass ständig, auch von der Bundesregierung, zu-lasten von Bürgerinnen und Bürger und zulasten derWirtschaft draufgesattelt wird. Das prominenteste Bei-spiel dafür ist das Antidiskriminierungsgesetz.
Dieses Gesetz diskriminiert in Wahrheit rechtschaffeneUnternehmen und Bürger. Es ist ein gigantisches Ar-beitsbeschaffungsprogramm für Rechtsanwälte und Ge-richte und mit Sicherheit ein neues bürokratisches Mons-trum, das wir zurückdrängen sollten.
Vielleicht hängt es auch damit zusammen, dass diedeutsche Krankheit so umschrieben werden kann, dassdie Deutschen eine Mentalität haben, die da lautet: Wennsie nur entfernt am Firmament ein Problemchen ent-decken, dann kommen sie sofort auf die Idee, diesemProblemchen ein Gesetz hinterherzuschmeißen.
Damit muss Schluss sein. Deshalb will ich Ihnen sagen,dass der Bundesrat das vom Kollegen Clement vorge-legte und von Ihnen bereits beschlossene Gesetz zumBürokratieabbau durchaus positiv sieht. Über einigePunkte muss man im Bundesrat noch sprechen. Das wirdam nächsten Freitag der Fall sein. Bei einigen Punktenhätte ich mir mehr Mut gewünscht. Aber das ist jetztnicht entscheidend. Wenn wir von uns aus dem Deut-sdvotnzblMkzdCGBdULkawddgmTbshgtIzkbAKtsg1)
em Kollegen Dr. Michael Fuchs, CDU/CSU-Fraktion,
as Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-en! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es freutich, dass wir überhaupt wieder eine Debatte über dashema Bürokratieabbau haben. Die letzten Debatten ha-en Sie zeitlich immer so geschoben, dass sie nicht mehrtattfanden. Über Ihren eigenen Antrag haben wir über-aupt nicht debattiert. Er stand zwar dreimal auf der Ta-esordnung, aber beim dritten Mal wurde er gegen Mit-ernacht zu Protokoll gegeben. Das zeigt, wie groß Ihrnteresse am Bürokratieabbau ist.
Der Versuch, alles zu kaschieren, ist für Ihre Politik be-eichnend. Sie haben das Jahr 2005 zum Leerlaufjahr er-lärt. Reformen wird es nicht mehr geben, stattdessen einisschen Tagesgeschäft und sehr viele Auslandsbesuche.nsonsten wartet die Bundesregierung darauf, dass dieonjunktur aus irgendwelchen von ihr nicht verschulde-en Gründen anspringt. In Berlin spielt das Staatsen-emble das Stück: Warten auf ein Wunder. Irgendwie, ir-endwann wird alles besser. Anlage 2
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 164. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. März 2005 15405
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Dr. Michael FuchsDoch dass Sie mit dieser Methode vor allem beimThema Bürokratieabbau überhaupt keinen Erfolg haben,zeigt die jüngste Allensbach-Umfrage. Ich weiß nicht,ob Sie davon gehört haben, Herr Tauss. Es wäre gut,wenn Sie einmal zuhören würden.
Das Allensbach-Institut hat eine Umfrage in ganz Deutsch-land durchgeführt und festgestellt, dass 86 Prozent derWirtschaft Bürokratie für die höchste Belastung halten.Bürokratie kommt noch vor Steuern, die von 77 Prozentals Belastung genannt werden. Wo sind denn Ihre wirkli-chen Reformvorschläge zum Bürokratieabbau?
Wieso legen Sie uns keine vernünftigen Gesetzentwürfevor? Die Bundesratsinitiative des Landes Baden-Würt-temberg zusammen mit Bayern und Niedersachsen ent-hält immerhin 40 Einzelmaßnahmen. Sie haben ganzeneun aufgelistet. Viel weniger geht nun wirklich nicht.
Bedauerlicherweise haben Sie an diesem Thema keinInteresse und schon gar nicht sind Sie an einer konstruk-tiven Zusammenarbeit mit den Ländern interessiert. DerBundesumweltminister hat die Initiative der Bundeslän-der gar eine „Mogelpackung“ genannt.
Mit ihm seien Senkungen von Umweltstandards nichtzu machen. Doch wieder einmal vergaloppiert sich HerrTrittin mit seiner grünen Umweltideologie zulasten dermittelständischen Wirtschaft. Es geht nicht um das Ab-senken von Umweltstandards, sondern es geht um denAbbau umweltunverträglicher Bürokratie.Herr Trittin ist und bleibt für mich der Minister fürDeindustrialisierung des Standortes Deutschland.
Wissen Sie, was das beste Wirtschaftsprogramm fürDeutschland wäre? Wir schicken ihn für zwei Jahre nachChina. Dann verlassen alle deutschen Unternehmerfluchtartig China und kommen wieder zu uns zurück.
Das Bundesumweltministerium hat den Ökologismusin Deutschland längst zu einer Quasistaatsreligion erho-ben. Leidtragende dabei sind die Unternehmen und vorallen Dingen die Industrie. Man braucht gar nicht mit derGentechnologie anzufangen, das können Sie querbeetsehen. Mit den Strompreiserhöhungen, die Sie inDeutschland verursacht haben, machen Sie die Industrie-zweige, die Strom als wesentliche Kostenquelle haben,in Deutschland nahezu unmöglich. Demnächst werdenwir keine Aluminiumindustrie mehr in Deutschland ha-ben. Sie bauen obendrein mit Ihrer heiligen Ökoreligionüberall noch zusätzliche bürokratische Hemmnisse ein.Wo bleiben Ihre Bürokratiereformen?rIaDicdAaDdgssswnDehSMUSDmmmAhnEDvzmSnbDleteB
Es gibt bei Ihnen noch ein zusätzliches Problem. Sieollen uns jetzt die Megabürokratie des Antidiskrimi-ierungsgesetzes überstülpen. Da geht es so richtig los.ieses Nicht-mehr-unterscheiden-dürfen-Gesetz wirdrhebliche Folgen für die gesamte deutsche Wirtschaftaben. Dann geht es ans Eingemachte. Wir werden miticherheit einige Stories aus den Unternehmen über dieegabürokratie hören. Sie werden es schaffen, dass dienternehmen keine Lust mehr haben. Das ist daschlimmste. Sie verderben das Klima und die Lust, ineutschland noch etwas zu unternehmen. Das ist fürich eines der größten Probleme.
Sie satteln grundsätzlich bei jedem Gesetz drauf. Ichöchte in diesem Zusammenhang zitieren, was ein nichteiner Fraktion angehörender EU-Kommissar über dasDG und das, was Sie daraus gemacht haben, gesagtat. Herr Verheugen hat zu Ihrer Gewohnheit, immeroch draufzusatteln, gesagt, die deutsche Umsetzung derU-Gesetzgebung gleiche einem Pferd, dem nachurchlaufen des deutschen Gesetzgebungsverfahrens soiel draufgesattelt werde, dass es danach als Kamel mitwei Höckern im Bundesgesetzblatt stehe. Schöner kannan nicht ausdrücken, was Sie machen.
chöner kann man nicht beweisen, dass Sie es immeroch nicht kapiert haben, dass wir weniger Belastungenrauchen und nicht mehr.
as tun Sie trotz 5,2 Millionen Arbeitslosen. Es wäre al-rhöchste Zeit, dass Sie begreifen, dass Sie so nicht wei-rmachen können.Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Winfried Hermann,ündnis 90/Die Grünen.
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15406 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 164. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. März 2005
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! LieberEx-Landtagskollege Pfister! Wir haben heute zum wie-derholten Male in dieser Woche unter wechselndenÜberschriften eine Mantradebatte. Alle sprechen von Bü-rokratieabbau und alle beklagen die Bürokratie. Ich habeehrlich gesagt keine Lust, hier im Bundestag weiterhinMantras zu verbreiten. Ich finde, wir müssen konkretüber den Gesetzentwurf sprechen, der heute vorliegt, der„Entwurf eines Gesetzes zum Bürokratieabbau“ heißtund vom Bundesrat eingebracht wurde. Darüber habenSie merkwürdigerweise nicht gesprochen.
Der Gesetzentwurf hat einen außerordentlich hohenAnspruch. Bürokratie und Überregulierung, die die Bür-ger fesseln – reden wir von Baden-Württemberg oder re-den wir von Bayern? –, sollen durch zahlreiche Maßnah-men in verschiedenen Lebensfeldern abgeschafft werden.Das ist ein hoher Anspruch und man hätte eigentlich er-warten können, dass, wenn die Mehrheit des Bundesratsetwas vorschlägt, substanziell gearbeitet und geklärtwird, was Bürokratie ist, wer die Bürokratie macht, werdafür verantwortlich ist und wie sie angelegt ist. All daswird nicht geklärt, sondern es wird allgemein gesprochen.Anschließend kommt eine Reihe von konkreten Vor-schlägen, die aber bei weitem nicht so grundsätzlich sind.Man kann nicht erkennen, an welcher Stelle die Länder,der Bund oder die Kommunen verantwortlich sind.Eines müssen wir festhalten: Die Ebene der Verwal-tung sind die Länder und nicht der Bund, daher ist derOrt, an dem die Bürokratiebekämpfung ansetzen muss,die Landesebene.
Die Länder haben nicht nur eigene Gesetzgebungskom-petenz, sondern erlassen darüber hinaus auch Verord-nungen. Ich will ein Beispiel nennen: Der von der CDUregierte Freistaat Thüringen ist Rekordhalter bei denVerordnungen, die in den letzten Jahren erlassen wurden.Man sieht, es gibt überall etwas zu tun.Kommen wir zu Ihren Vorschlägen. Was schlagenSie konkret vor? Wo ist laut des vom Bundesrat einge-brachten Entwurfs das Zentrum der Bürokratie? Art. 1des Gesetzentwurfs befasst sich mit der Änderung derWeinverordnung, ein zentrales Thema. Art. 2 des Ge-setzentwurfs zum Bürokratieabbau befasst sich mit derÄnderung der Wein-Überwachungsverordnung. Ichkönnte so weitermachen, der Gesetzentwurf befasst sichmit der Änderung der Altholzverordnung, der Änderungder Druckluftverordnung,
der Änderung der Medizinprodukte-Betreiberverord-nung, der Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzesusw.IimwtdbsPUbesadwumopGisbdv2fisn3E
ch möchte Ihnen das nicht noch weiter vorlesen, aberch bin sicher, dass Sie das Zentrum der Bürokratie da-it nicht erreicht haben.
Zweifellos machen Sie konkrete Vorschläge. Es istirklich herzig, was da als Entbürokratisierung betrach-et wird. Ich lese beispielsweise den Vorschlag des Bun-esrates zur Änderung der Druckluftverordnung vor, da-ei soll es um Entbürokratisierung gehen. Darin heißt es:1. Dem § 6 werden folgende Sätze angefügt:„Die Ausnahmezulassung ist schriftlich zu be-antragen. Dem Antrag ist bei einer Abweichungvon den Regelungen des § 4 Abs. 1 ein Gutach-ten eines behördlich anerkannten Sachverständi-gen und bei einer Abweichung von den Rege-lungen des § 9 Abs. 1 oder 2 oder § 21 Abs. 4ein Gutachten eines ermächtigten Arztes bei-zufügen, das jeweils dokumentiert, ob derSchutz der Arbeitnehmer gewährleistet ist. Überden Antrag ist innerhalb einer Frist von vierWochen …“
Das gesamte Gesetz ist voll von solchen bürokrati-chen Phrasen. Das nennen Sie Bürokratieabbau!
Sie beziehen sich aber auch auf durchaus wichtigeunkte, die Hälfte des Gesetzentwurfs bezieht sich aufmweltgesetze. Offenkundig haben Sie im Umwelt-ereich einen zentralen Bürokratiefaktor erkannt. Um sichinen genauen Überblick über Ihre Vorschläge zu ver-chaffen, muss man im Gesetzentwurf die Seiten 5, 6, 7 ff.nschauen. Diese Seiten – das kann ich Ihnen sagen –ienten auch dem Bundestagskabarett „Die Wasser-erker“ als Grundlage. Auf diesen Seiten wird detailliertnd bürokratisch festgelegt, wie viel Hühner und Ferkelit welchem Gewicht wann und wo zu halten sind undb es eine standortbezogene Umweltverträglichkeits-rüfung oder eine allgemeine Vorprüfung geben muss.enau das findet sich in Ihrem Gesetzentwurf wieder, ert kabarettreif.
Der einzige Punkt, der zum Bürokratieabbau beiträgt,ezieht sich darauf, dass man inzwischen – ich habeazu ein paar Beispiele herausgesucht – keine Umwelt-erträglichkeitsprüfung mehr braucht, wenn man bis zu0 000 Hühner oder bis zu 560 Ferkel hält – letztere dür-en allerdings nur bis zu 30 Kilogramm schwer sein –, est darüber hinaus keine Umweltverträglichkeitsprüfungötig, wenn man 4 500 Ferkel hält, die jedoch nur 10 bis0 Kilogramm schwer sein dürfen usw. Das nennen Sientbürokratisierung!
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 164. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. März 2005 15407
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Winfried Hermann
Es ist nicht mehr und nicht weniger als Standard-abbau im Umweltbereich unter dem Etikett „Bürokratie-abbau“. Der Gesetzentwurf ist durch und durch bürokra-tisch und setzt den Bürokratismus fort, statt ihnabzuschaffen.Ich komme zum Schluss und fasse zusammen: DerGesetzentwurf ist das Produkt einer Bürokratie, die au-ßerordentlich detailliert und unverständlich schreibt unddenkt.
Herr Kollege, Sie müssen jetzt wirklich zusammen-
fassen.
Ich komme zum Schluss. – Sie schaffen Bürgerbetei-
ligung ab und nennen das Bürokratieabbau. Alle Ihre
Vorschläge sind 2001 im Vermittlungsverfahren – Sie
mussten dabei nachgeben – gemeinsam verabredet wor-
den. Jetzt behaupten Sie, das sei Bürokratieausbau. Ich
muss Ihnen sagen: Ihr Gesetzentwurf ist ein bürokrati-
scher Witz.
Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Marie-Luise Dött, CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nein,Herr Dzembritzki, aber es ist sehr komisch und ein biss-chen lächerlich, wenn man den selber eingebrachtenEntwurf eines Gesetzes, das die Schwellenwerte in denVerordnungen reduzieren und so letztendlich Bürokratieabbauen soll, als bürokratisch bezeichnet.
Internationale Vergleichsstudien belegen: Je höher dieRegelungsdichte in einem Land ist, desto weniger ge-lingt es, mögliche Beschäftigungspotenziale auszu-schöpfen. Genau das ist unser Problem in Deutschland.Fachleute schätzen, dass zwischen 2 und 7 Prozent derUnternehmensumsätze für Bürokratiekosten aufgewen-det werden müssen, obwohl dieses Geld in Wachstumund Beschäftigung weitaus besser investiert wäre. Vonden Verbesserungen, die BundeswirtschaftsministerWolfgang Clement in seinem Masterplan Ende 2002 sovollmundig angekündigt hat, werden weder der einzelneBürger noch die Unternehmen etwas bemerkt haben. An-meldungs-, Anzeige-, Aufzeichnungs-, Berechnungs-,Erklärungs-, Ermittlungs-, Nachweis- und Abführpflich-ten prägen unseren bürokratischen Alltag. Allein aufBundesebene gibt es rund 2 200 Gesetze mit knapp4vdribksaUtMkDbslifSDuRbBAbksrbRhbRrbaßdBlerHduvsduPf
Aus meinem Fachbereich Umwelt lassen sich eben-alls Beispiele für unnötigen Bürokratieaufwand finden.o ist am Zulassungsverfahren für Biozidprodukte ineutschland neben der Bundesanstalt für Arbeitsschutznd Arbeitsmedizin als Zulassungsstelle eine ganzeeihe weiterer Behörden beteiligt. Einvernehmens-ehörden sind hierbei das Umweltbundesamt, dasundesinstitut für Risikobewertung sowie eine weiterebteilung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Ar-eitsmedizin. Ohne das Einvernehmen dieser Behördenann keine Zulassung ausgesprochen werden. Danebenind – je nach Produktart – die Bundesanstalt für Mate-ialforschung und -prüfung, das Bundesamt für Ver-raucherschutz und Lebensmittelsicherheit sowie dasobert-Koch-Institut als Benehmensbehörden vorgese-en. Darüber hinaus entscheiden das Bundesamt für Ver-raucherschutz und Lebensmittelsicherheit sowie dasobert-Koch-Institut als Zulassungsstellen in besonde-en Fällen, wie zum Beispiel beim Infektionsschutz oderei der Seuchenbekämpfung. So sieht es in Deutschlandus.Die Vielzahl der beteiligten Behörden hat einen gro-en bürokratischen Aufwand zur Folge. Durch aufwen-ige Abstimmungsprozeduren zwischen den einzelnenehörden wird nicht nur das Zulassungsverfahren erheb-ich verlängert. Vielmehr ist es auch sehr schwierig, eineinheitliche deutsche Position auf europäischer Ebeneechtzeitig zu formulieren.
ier könnte die Zahl der beteiligten Behörden stark re-uziert sowie das Verfahren entsprechend vereinfachtnd verkürzt werden.Ein anderes Beispiel ist die Änderung der Umwelt-erträglichkeitsrichtlinie – das hatten Sie gerade ange-prochen, Herr Hermann –, die von der Bundesregierungurch das Artikelgesetz nicht im Maßstab eins zu einsmgesetzt worden ist. Darüber haben wir häufig imarlament debattiert; denn umweltpolitische Verschär-ungen auf nationaler Ebene verschlechtern die
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Marie-Luise DöttWettbewerbssituation deutscher Unternehmen im Ver-gleich zu den europäischen Mitbewerbern. Insbesonderedie Herabsetzung der Schwellenwerte hat dazu geführt,dass die UVP-Pflichtigkeit auch ganz kleine Betriebeund Handwerker erfasst sowie im Einzelfall existenzbe-drohende Auswirkungen hat.Die Hauptkritikpunkte sind daher:Erstens: die geplante Ausdehnung des Anlagen-begriffs im UVP-Gesetz. Begründung: Das leistet keinenBeitrag zur vehement geforderten Deregulierung. Dasleistet keinen Beitrag zur Beschleunigung der Zulas-sungsverfahren. Das geht über das europäische Maß hi-naus. Das berücksichtigt nicht die entstehenden Kosten-belastungen für die Industrie. Das belastet damit vorallem die mittelständische Industrie.
Zweitens: der Begriff „Stand der Technik“. Die Auf-nahme der „Gewährleistung der umweltverträglichenAbfallentsorgung“ als Kriterium für den Stand der Tech-nik ist nämlich ein deutscher Sonderweg mit Verschär-fungen und bringt damit Benachteiligungen im europäi-schen Vergleich mit sich. Angesichts dessen bin ich überden vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf sehrfroh.Eine grundsätzliche Herangehensweise an die Entbü-rokratisierung erfordert eine aktive Bürgergesellschaft,die sich von einem aktivierenden Staat nicht bevormun-den lassen will. Mehr Freiheit und Selbstverantwortungfür den Einzelnen bedeuten für ihn auf der anderen Seiteaber auch mehr Risikozumutbarkeit; wer seine Freiheitwill, der muss auch bereit sein, das damit einhergehendeRisiko zu tragen. In unserem Antrag zum Bürokratie-abbau benennen wir grundsätzliche Maßnahmen undInstrumente, gegossen in eine systematische Selbstver-pflichtung. Wir sagen nicht nur wo, sondern auch wieBürokratie abgebaut wird. Ich finde, Sie sollten uns da-rin zustimmen.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetz-
entwurfs auf Drucksache 15/4646 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt
es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der
Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Sibylle
Laurischk, Rainer Funke, Birgit Homburger, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Verfahren der Vaterschaftstests vereinfachen
und Grundrechte wahren
– Drucksache 15/4727 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
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it dieser Frage muss verantwortungsvoll umgegangenerden.Rechtliche Vaterschaft und biologische Vaterschaftönnen auseinander fallen, wie § 1592 BGB zeigt. Diesann sehr private Gründe haben. Eigentlich sollte dermgang mit diesen sehr privaten Gründen den Elternberlassen bleiben.Die rechtliche Zuordnung von Vater, Mutter und Kindieht aber auch schlicht materielle Konsequenzen imnterhalts- und im Erbrecht nach sich. Gerade das erbit-ert die betroffenen Väter ganz besonders. Im Extremfallst der rechtliche Vater bloßer Zahlvater, ohne jede emo-ionale und sozial-familiäre Bindung und Verantwor-ung. Dies liegt bisweilen noch nicht einmal an dererantwortungslosigkeit der Väter, sondern an der ge-cheiterten Beziehung zur Mutter des Kindes.Das Recht der Väter, die biologische Vaterschaft fest-tellen zu lassen, muss unterstützt werden.
islang muss ein Vater bei Zweifeln an seiner Vater-chaft das förmliche Vaterschaftsanfechtungsverfahrenach §§ 1600 ff. BGB nutzen. Dieses Verfahren sieht beiegativem Ergebnis auch das Ende jeder rechtlichen va-erschaftlichen Beziehung zu dem Kind vor und es stelltohe Hürden für die Einleitung des Verfahrens auf.Viele Väter sehen sich deswegen zu einem heimlichurchgeführten Test gezwungen. Wir hören aus dem Jus-izministerium, dass im Zuge der Regelung im Gen-iagnostikgesetz jegliche heimliche Vaterschaftsfest-tellung unter Strafe gestellt werden soll. Um es ganzeutlich zu sagen: Die FDP-Fraktion lehnt dies entschie-en ab.
Wir bejahen aber grundsätzlich das Recht auf infor-ationelle Selbstbestimmung aller Verfahrensbeteilig-en. Hier finden wir uns mit dem Bundesgerichtshofinig, der in seinem Urteil zum Beweisverwertungs-erbot in Bezug auf heimliche Vaterschaftstests dasnformationelle Selbstbestimmungsrecht des Kindes ge-enüber dem Recht des Vaters auf Kenntnis seiner biolo-
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Sibylle Laurischkgischen Vaterschaft abgewogen hat. Der Bundesge-richtshof hat die Interessen des Kindes sogar alsvorrangig erachtet.Um den widerstreitenden Interessen zwischen Vater,Mutter und Kind gerecht werden zu können, schlagenwir, die FDP, vor, ein niedrigschwelliges, förmliches, da-für aber auch offenes Verfahren, ein Abstammungstest-verfahren, anzubieten, das nicht notwendigerweise mitder Auflösung der Vaterschaft enden muss. Vaterschaftist mehr als biologische Abstammung und Zahlvater-schaft.
Berechtigt, den Test zu beantragen, sollten der recht-liche Vater, die Mutter, aber auch das Kind sein, also die-jenigen, die auch gemäß der §§ 1600 ff. BGB die Vater-schaft anfechten können, aber eben außerhalb diesesVerfahrens und ohne damit automatisch verbundene An-fechtung der Vaterschaft.Wir fordern zur Sicherung des Grundrechts auf infor-mationelle Selbstbestimmung den Richtervorbehalt fürdie Anordnung eines DNA-Analysetests. Dann könnteauch schon die Äußerung eines Zweifels überhaupt ge-nügen, um einen Antrag auf Durchführung eines Ab-stammungstestverfahrens zu begründen.Außerdem schlagen wir die Bestellung eines Verfah-renspflegers für das Kind in diesem offenen Abstam-mungstestverfahren vor, da die Eltern als Personensorge-berechtigte in einem solchen Verfahren nicht immer dieRechte des Kindes wahrnehmen können.Es wird auch eine Beratungspflicht für die betroffe-nen Väter im Vorfeld eines solchen Testverfahrens ange-regt. Das ist eine durchaus überlegenswerte Vorstellung,die manch einen vor vorschnellen, unüberlegten Ent-scheidungen bewahren mag. Ich halte das für einenwichtigen Punkt im Hinblick darauf, wie wir ein solchesVerfahren flankierend gestalten sollten.Ich wünsche mir mehr Ehrlichkeit in den Beziehun-gen von Männern und Frauen zueinander, insbesondere,wenn Kinder betroffen sind, und hoffe, dass ein erleich-tertes Abstammungstestverfahren heimliche Tests über-flüssig macht.
Schließlich zitiere ich die „Süddeutsche Zeitung“vom 14. Januar 2005:Die Entscheidung, ob er– der zweifelnde Vater –mit dem Zweifel lebt oder womöglich an der Her-stellung der Gewissheit verzweifelt oder gesundet,kann kein Gesetz dem Vater abnehmen. Der Ge-setzgeber kann allerdings versuchen, ein Verfahrenzur Klärung von Zweifeln zur Verfügung zu stellen,das juristisch und menschlich einigermaßen erträg-lich ist.Wir, die FDP-Fraktion, stellen uns dieser Aufgabe.ZDrbwssdseFdzhtrWswssalgelkbdtlDisaaaGRbzdnot
Das Wort hat die Bundesministerin der Justiz, Brigitte
ypries.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine sehr geehrtenamen und Herren! Frau Laurischk, vielen Dank für Ih-en Debattenbeitrag. Mit einem haben Sie Recht: Wir ha-en in der Tat allen Anlass, die Frage zu diskutieren,elche Regelung wir zur Durchführung der Vater-chaftstests treffen sollten. Selten hat ein Gesetzesvor-chlag so viele öffentliche Debatten ausgelöst wie dieser,er in Zusammenhang mit dem Gendiagnostikgesetzteht. Es geht ja nicht darum, quasi aus der hohlen Handtwas anders zu regeln, sondern es geht generell um dierage: Wie ist es eigentlich mit Regelungen zur Gen-iagnostik?Der Gesetzgeber hat Veranlassung, hier Regelungenu treffen; denn es gibt technische Entwicklungen, die eseute ganz leicht machen, aus genetischem Material Da-en herauszulesen und diese zu verwerten. Dies diskutie-en wir auch im Rahmen der Strafverfolgung intensiv.ir wissen inzwischen auch, dass viele Menschen ver-ucht sind, einen Vaterschaftstest machen zu lassen, ebeneil es so einfach ist, es inzwischen auch sehr vielchneller geht und in Privatlabors auch nur noch zwi-chen 100 und 150 Euro kostet. Darüber hinaus sinduch Menschen versucht, einen solchen Test zu veran-assen, die mit der engeren sozialen Familie eigentlichar nichts zu tun haben. Dazu, dass vielleicht Schwieger-ltern oder irgendwelche Nachbarn meinen, sich in fami-iäre Strukturen einmischen zu müssen, müssen wir ganzlar sagen: Das geht nicht. Es muss – das halte ich auchei der Debatte um das Gendiagnostikgesetz für richtig –er Grundsatz gelten, dass niemand die genetischen Da-en eines anderen ohne dessen Einwilligung untersuchenassen darf.
as sind höchstpersönliche Daten, die vom Recht aufnformationelle Selbstbestimmung grundrechtlich ge-chützt sind. Ich glaube, das versteht jeder.Hinsichtlich der von Ihnen angesprochenen Straf-ndrohung ist es so, dass im deutschen Recht die Straf-ndrohung für einen schweren Verstoß gegen das Rechtuf informationelle Selbstbestimmung immer lautet:eldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr. Dieseegelung haben wir im Atomgesetz, diese Regelung ha-en wir im Ausländergesetz und auch in anderen Geset-en. Da muss man sich allenfalls einmal überlegen, obiese Strafandrohung überzogen ist und ob man sie ge-erell ändern muss.Man muss sich aber auch sehr sorgfältig überlegen,b es wirklich gerechtfertigt ist, andere Regelungen zureffen. Es muss sich ja nicht notwendigerweise um eine
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Bundesministerin Brigitte Zypriesinnerfamiliäre Beziehung handeln. Der Mann, der viel-leicht nach einer kurzlebigen bzw. flüchtigen Beziehungmeint, er sei der Vater des Kindes, kann zu einer entspre-chenden Feststellung nicht legitimiert sein. Das allessind also ganz schwierige Abgrenzungen, über die wirim Einzelnen reden müssen. Deshalb ist Ihr Diskussions-beitrag wichtig, es ist in der Tat nicht einfach. Wir disku-tieren im Bundesministerium der Justiz, seitdem dieseDebatte hochgekocht ist, mit den verschiedensten Fami-lienrechtlern, Richtern am Bundesgerichtshof, Wissen-schaftlern, Praktikern, Rechtsanwälten und Vertreternvon Jugendhilfe und anderen Erziehungsberechtigten,wie wir das sinnvoll regeln können.Der Vorschlag, den Sie machen, ist zumindest teil-weise nicht praktikabel – das kann man schon jetztsagen –, weil er für die Länder zu kostenaufwendigwäre. Wenn man jedes Mal einen gerichtlichen Ent-scheid zur Grundlage machen will, bringt das Kosten mitsich, die einfach für die Länderhaushalte ganz schwer zuverkraften sind. Man muss sich auch fragen, ob es wirk-lich sinnvoll ist. Wir wissen ja inzwischen, dass mindes-tens 80 Prozent aller Tests, die Väter durchführen lassen,zum Ergebnis haben, dass die Zweifel der Väter unbe-rechtigt waren. Das heißt, da schlagen sich Männer mitSorgen herum, die völlig unbegründet sind. Man müssteda einmal versuchen, zu einer Abschichtung zu kom-men.Unsere Überlegungen gehen im Moment in die Rich-tung, ein Verfahren zu finden, das den geringsten Ein-griff in die Familie verursacht, dem zweifelnden Vateraber erlaubt, sich ohne größere Hürden Gewissheit zuverschaffen, ob er der Vater ist oder nicht. Wir wollen,um diesen Eingriff möglichst wenig belastend zu gestal-ten, zunächst die Bereitschaft innerhalb der Familie för-dern, einem Verfahren zuzustimmen. Wenn die Frau alsSorgeberechtigte für das Kind zustimmt – nur insofernhat ihre Zustimmung ja Relevanz –, kann man das Ganzegerichtsfrei stellen, was sowohl unter Verfahrens- alsauch Kostengesichtspunkten für meine Begriffe das Ver-nünftigste wäre.
Wir müssen uns auch überlegen, wie wir das Kindschützen. Sie haben den Vorschlag gemacht, dem Kindeinen Verfahrenspfleger beizuordnen. Das ist einPunkt, über den man in bestimmten Fällen sicherlich re-den kann. Wir überlegen auch, eine Härteklausel einzu-führen. Es mag ja bestimmte Situationen geben, in deneneinem Kind ein solches Testverfahren gar nicht zumut-bar wäre, beispielsweise weil es in der Pubertät suizidge-fährdet ist. Statt es dann mit einer weiteren Umbruchs-situation im Leben zu konfrontieren, sollte man lieber inbestimmten Fällen ganz darauf verzichten können.All das sind ganz schwierige Entscheidungen. Ichfreue mich, wenn demnächst über Ihren Antrag und auchüber unsere Vorschläge in aller Breite diskutiert wird.Ich glaube, wir alle sind uns in der Sache einig: Wir wol-len eine vernünftige Regelung finden. Wir alle wissen,dass zum Vatersein sehr viel mehr gehört, als nur diegleichen Gene zu haben, dass zugleich Blut auch ein be-seehKwCMpliavDbTDdgSusbtsmessFKdgublfMgw
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Jürgen Gehb,
DU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frauinisterin hat zu Recht gesagt, dass kaum ein rechts-olitisches Thema in den letzten Monaten in der Öffent-ichkeit so heftig und leidenschaftlich diskutiert wordenst wie das Thema heimliche Vaterschaftstests – einmalbgesehen von der nach der Ermordung Moshammersöllig zu Recht erhobenen Forderung, Möglichkeiten derNS-Analyse bei der Verbrechensbekämpfung zu ver-essern.Die Untersuchung genetischen Materials ist einhema, das die Öffentlichkeit antreibt – keine Frage.abei geht es nicht in erster Linie und auch nicht nur umie Angst der Bevölkerung vor dem leichtfertigen Um-ang mit genetischem Material, um die Angst vor derchaffung des bis in die Haarspitze gläsernen Menschen,m die Angst vor Überwachung. Nein, was die Men-chen bewegt, sind ganz persönliche Ängste und Pro-leme. Das gilt insbesondere für heimliche Vaterschafts-ests, über die wir heute reden.Väter, die Zweifel haben, ob sie überhaupt die Väterind, möchten diese Zweifel aus der Welt räumen. Dasüssen wir einfach zur Kenntnis nehmen. Ich will nurin paar Zahlen nennen: 5 bis 10 Prozent aller Kinderollen Schätzungen zufolge nicht von den Männern ab-tammen.
ünf bis zehn von 100 Kindern sind also so genannteuckuckskinder. Mehr als 50 000 Vaterschaftstests wer-en jedes Jahr für rund 40 Millionen Euro in Auftrag ge-eben.
Wir haben es mit einem gesellschaftlich wichtigennd juristisch sehr schwierigen Thema zu tun. Das ver-ietet legislative Schnellschüsse, Frau Laurischk. Natür-ich ist dieser Vorschlag des Verfahrens zur Vaterschafts-eststellung nicht ganz neu. Wir haben schon voronaten erklärt – erst unlängst bin ich damit im „Spie-el“ zitiert worden –, dass das einer von mehreren not-endigen Schritten ist.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 164. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. März 2005 15411
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Dr. Jürgen GehbAuch die Bundesjustizministerin hat – das kann manan dieser Stelle ruhig einräumen – entsprechende Rege-lungen bereits in Aussicht gestellt, wenngleich ich sagenmuss, dass die Menschen diese Anknüpfung an dieStrafbarkeit nicht verstehen. Andererseits muss ich sa-gen: Ein Verbot, an das bei Verstoß keine Sanktionen ge-knüpft worden sind, ist – jetzt tue ich dir den Gefallen,lieber Alfred – eine Lex imperfecta, für Hofgeismarerein in sich nicht ganz stimmiges Gesetz.
Meine Damen und Herren, natürlich ist das Verfahrenzur Anfechtung der Vaterschaft reformbedürftig. Aberwir können das nicht nur über die Verfahrensfragen re-geln. Sie haben eben gesagt, Sie hoffen, dass die heim-lichen Tests damit obsolet werden. Das wird wahr-scheinlich nicht der Fall sein. Also bleibt am Ende diejuristische Frage: Was wird mit den heimlichen Tests? Inder Gesellschaft wird gesagt – das unterstütze ich sogar –:Lieber heimlich testen und seine Frau gar nicht damitkonfrontieren, um den Ehefrieden nicht zu stören,
und wenn sich dann herausstellt, dass – wie es in denmeisten Fällen ist, wie die Ministerin gesagt hat – derVerdacht unbegründet war, kommt es zu keinem noto-rischen Verfahren – außer Spesen nichts gewesen.Dennoch gibt es ein Gerichtsurteil. Der BGH alshöchstes Gericht hat nun einmal diese heimlichen Testsals Verstoß gegen das informationelle Selbstbestim-mungsrecht angesehen. Ich will das ganz kurz erläutern,damit die Menschen draußen verstehen, was das an sichfür ein lebensfremdes Urteil ist: Da kommt ein vonZweifeln geplagter Vater, will seine Vaterschaft anfech-ten und legt zur Untermauerung der Plausibilität seinesAnfechtungsgrundes dar, dass er zeugungsunfähig, je-denfalls vermindert zeugungsfähig ist. In seinem Inte-resse hoffe ich, dass es sich dabei nur um eine Impotentiagenerandi und nicht um eine Impotentia coeundi gehan-delt hat, denn Letzteres wäre der sehr viel tragischereFall.
Er ist dann trotz dieses Arguments und eines Attests inallen Instanzen abgelehnt worden. Jahre später gibt esdie DNS-Analyse und er beschließt, die Vaterschaft jetztendgültig zu klären. Es stellt sich heraus, er ist nicht derVater, muss sich aber vom BGH wieder sagen lassen, erkönne das nicht plausibel darlegen.Meine Damen und Herren, Verwertungsverbote imBeweisrecht verstehe ich ja noch. Aber hier soll diesesTestergebnis nicht an die Stelle eines später lege artisforensisch durchzuführenden Verfahrens gesetzt werden.Die DNA-Analyse ist bloß die Eintrittskarte, um sagenzu können: Testet, ob ich der Vater bin oder nicht.hDSmDvRdmEKcsrCCAi––ninsdtWsDrdnSgDVVHdstaa
Wie: „heimlich“?
Was heißt hier, „heimlich“? Ich verstehe Ihren Zuruficht. Ich sage nur, dass das einer der gangbaren Wegest. Ansonsten werden Sie vor einem Problem wie sei-erzeit bei der Abtreibung stehen, nämlich dass Men-chen ins Ausland gehen – im Falle der Abtreibung zuen Engelmachern –, wenn etwas in Deutschland verbo-en wird. Sie können die Menschen doch nicht ändern.ir müssen ihnen vielmehr helfen, aus dieser Konflikt-ituation herauszukommen.
arüber müssen wir sicherlich noch diskutieren.Ich muss sagen, dass die Begründung des Bundesge-ichtshofs auch in anderen Punkten nicht verfängt. Apo-iktisch heißt es: Das Recht des Vaters auf Kenntnis sei-er Vaterschaft steht dem Recht auf informationelleelbstbestimmung nach. – Gründe dafür werden nichtenannt.Der Gesetzgeber muss sich um eine Lösung bemühen.ie höchstrichterliche Rechtsprechung steht im Raum.on allen, die die Vaterschaft anfechten können – alsoater, Mutter und Kind –, haben die Väter die höchsteürde zu überwinden. Denn es ist der Normalfall, dassie Männer als Ehemänner Väter sind oder die Vater-chaft anerkennen. Um die Vaterschaft später anzufech-en, muss man hohe Hürden überwinden.Ich habe neulich schnippisch gesagt – ich habe esber nicht so gemeint –: Wenn jemand zehn Monate languf hoher See war und bei seiner Rückkehr von seiner)
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Dr. Jürgen GehbEhefrau mit einem Kind anderer ethnischer Herkunftüberrascht wird, dann kann er wahrscheinlich die Ver-mutung, dass er während der Empfängniszeit beige-wohnt hat, widerlegen. Aber das ist doch völlig lebens-fremd.
– Vielleicht bei Elefantenkühen, Herr Kollege! DieDauer der Schwangerschaft von neun Monaten könnenauch Sie nicht in Zweifel ziehen.Jetzt aber Spaß beiseite.
– Nein, es ist nicht spaßig. Man muss die Situation abermanchmal wie eine Karikatur darstellen, weil die Leutees sonst nicht verstehen. Wir dürfen nicht zu abstraktdiskutieren. Bei allem Verständnis, Frau Laurischk,muss ich sagen: Ich glaube nicht, dass alle das verstan-den haben, was Sie vorgelesen haben. Wir machen dochPolitik für die Bevölkerung. Wir sind hier nicht im El-fenbeinturm, um Klimmzüge am juristischen Hochreckzu machen. Wir müssen beispielsweise den Menschenauf der Tribüne, den anwesenden Schülerinnen undSchülern, erklären können, um was es hier geht.
Wir werden uns jetzt nach allen Richtungen orientie-ren müssen. Es war immerhin kein Geringerer als derJustizminister von Baden-Württemberg – ich habe esvorhin schon erwähnt –, der einen entsprechenden Vor-schlag gemacht hat. Dieser Vorschlag wird ja nicht perse verfassungswidrig sein, lieber Herr Staatssekretär.
Den Vorschlag wird man doch noch prüfen dürfen.Die FDP hat sich mit diesem Thema beschäftigt. Abersie ist eine Antwort auf die Tatsache schuldig geblieben– diese hat sie einfach ausgeblendet –, dass es ungeach-tet der förmlichen Verfahren immer die heimlichen Testsgeben wird, weil der Mann, der von Zweifeln geplagtwird, einfach wissen möchte, ob sein Verdacht begründetist, bevor er damit seine eigene Familie konfrontiert undvor Gericht zieht. Er will nicht, dass man im Falle einesunbegründeten Verdachts mit dem Finger auf ihn zeigtund ihn auch noch auslacht.Die Frage ist also, wie Zweifel an der Vaterschaft ve-rifiziert bzw. falsifiziert werden können. In allen Fällenmüssen wie bisher wissenschaftlich fundierte Untersu-chungen in angesehenen Labors durchgeführt werden.Das hat auch niemand bestritten. Wir müssen uns aberfragen, wie hoch die Hürden gestellt werden müssen, umplausibel machen zu können, dass es Zweifel an der Va-terschaft gibt. Das ist der neuralgische Punkt. Darüberunterhalten wir uns noch zu einem späteren Zeitpunkt.Wir sehen uns nächste Woche in alter Frische wieder.Ich wünsche Ihnen eine gute Heimfahrt und ein schönesWochenende.iBGGnrRtd„dsvKhmPvgkesenRdDaebfbcEWeDv
tragen!)Das Wort hat die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk,ündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!eschlechterkämpfe sind im 21. Jahrhundert eigentlichicht mehr so häufig anzutreffen. Aber als Justizministe-in Zypries Anfang des Jahres bekannt gab, dass sie imahmen des Gendiagnostikgesetzes die heimlichen Va-erschaftstests verbieten wolle, brachen diese Kämpfeoch ganz heftig aus. Eine Zeitung titelte sogarSchlampenschutzgesetz“. Diese Überschrift war beson-ers „gelungen“.Ich fand es schon etwas frappierend, dass der An-chein erweckt wurde, als hätten Frauen nichts anderesor, als bei der erstbesten Gelegenheit dem Mann einind unterzuschieben. Ziehen wir einmal die Empirieeran, stellen sich die Verhältnisse etwas anders dar. Dieeisten Vaterschaften werden angefochten, wenn sichaare scheiden lassen. Hier wird die Vaterschaft oftmalson den Männern zur materiellen Frage degradiert. Eseht also um die Zahlung von Unterhalt. Dieser Zahlungommen mehr als ein Drittel aller Väter gar nicht undin weiteres Drittel nur teilweise nach. Das belastet un-ere Unterhaltsvorschusskassen bundesweit pro Jahr mitinem Betrag von 780 Millionen Euro.Mit dem Verbot heimlicher Vaterschaftstests geht esicht, wie suggeriert wird, um die Beschneidung derechte von Vätern, sondern um den Schutz der Rechtees Kindes.
enn diesen können wir keine Schutzrechte in Bezuguf die Untersuchung ihres genetischen Materials vor-nthalten, während wir uns bei Arbeitnehmern und Ar-eitnehmerinnen oder bei Patienten und Patientinnen da-ür einsetzen. Der Bundesgerichtshof hat das – dasewerte ich anders als Sie, Herr Kollege Gehb – glückli-herweise klargestellt: Die Entnahme und Analyse desrbguts eines Kindes ohne sein Wissen oder ohne dasissen seiner Mutter als seiner Stellvertreterin würdeine klare Verletzung dieses Grundrechts bedeuten.
eshalb sind heimliche Vaterschaftstests vor Gericht un-erwertbar.
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Irmingard Schewe-GerigkIch kann mir nicht vorstellen, dass das Bundesverfas-sungsgericht da anderer Meinung sein wird. Denn nie-mand weiß genau, ob diese Daten geschützt sind.Dass der Familienfrieden mit heimlichen Vater-schaftstests zu retten sein soll, ist eine Doppelmoral ausdem biederen Bürgertum des vorletzten Jahrhunderts.
Wenn ein Mann Zweifel hegt, ob er der biologische Va-ter eines Kindes ist, gehen damit natürlich auch tief grei-fende Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit seiner Part-nerin einher.
Selbstverständlich sehe ich aber auch das Recht des Va-ters darauf, zu erfahren, ob er der biologische Vater ist.Ohne das Einverständnis der Mutter bleibt ihm bishernur das gerichtliche Anfechtungsverfahren. Das bedeu-tet, dass sich Väter, die vor Gericht ihre Vaterschaft be-streiten, quasi von ihren Kindern lossagen müssen.Wenn heimliche Vaterschaftstests verboten sind – ichplädiere dafür – und dieses Verbot auch Wirkung zeigensoll, bietet es sich an, den Vätern, die Zweifel haben, einunkomplizierteres Feststellungsverfahren ohne dierechtlichen Hürden eines Anfechtungsverfahrens zu er-möglichen. Die FDP hat entsprechend votiert.Was die Strafbarkeit betrifft, so ist sicherlich eine ver-nünftige Abwägung nötig; denn ohne Sanktionen – dahaben Sie, Herr Gehb, Recht – ist ein Verbot ein stump-fes Schwert. Aber wenn die Verletzung des Briefgeheim-nisses unter Ehepartnern mit einer Haftstrafe von bis zueinem Jahr belegt werden kann, dann halte ich es fürwirklich schwer argumentierbar, dass es bei der heimli-chen Entnahme genetischen Materials des Kindes nichtso sein sollte. Wenn man das einmal miteinander ver-gleicht, fragt man sich, warum hier die Empörung sogroß ist.
Darum geht der Antrag der FDP in die richtige Rich-tung. Wir werden ihn beraten. Ich würde mich dafür aus-sprechen, ein zweistufiges Verfahren vorzusehen: Wil-ligt die Mutter nicht in einen Test ein, könnte ihreZustimmung durch das Gericht ersetzt werden. Das An-fechtungsverfahren ist dann erst der zweite Schritt undwird nur noch in den seltensten Fällen nötig werden;denn zwischen 80 und 90 Prozent der Tests beweisen,dass der Getestete auch tatsächlich der biologische Vaterist. Man sollte es noch einmal klarstellen: Vater ist lautBGB derjenige, der mit der Mutter verheiratet ist oderder die Vaterschaft anerkannt hat. Dieses Prinzip – wirhaben es auch im Kindschaftsrecht verankert – dientdem Wohl des Kindes. Das soll hier die Maxime sein.
Auch im Feststellungsverfahren muss gelten, dass eseinem Test entgegenstehen kann, wenn er für das Kindeine unverhältnismäßig große Härte bedeutet. AußerdemhlzbzCHAm„FwMulsusgkstggsugRbgsmiKIdV
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
hristoph Strässer, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen underren! Herr Kollege Gehb, ich hoffe, ich komme Ihrennsprüchen an die Aussprache des Lateinischen einiger-aßen entgegen, wenn ich jetzt mit einem Zitat beginne.
Mater certa, pater semper incertus.“
ür diejenigen in diesem Raum, die das große Latinumider Erwarten nicht haben sollten, übersetze ich: Dieutter eines Kindes ist bekannt, aber der Vater ist stetsngewiss.Die neue Technik der DNA-Analyse macht es mög-ich und ein Blick in das Internet – und nicht nur darauf,ondern auch auf die Werbetafeln der S-Bahn – genügt,m festzustellen, wie breit und ausufernd das Angebotolcher Tests mittlerweile ist.Die ungewisse Vaterschaft scheint mittlerweile end-ültig der Vergangenheit anzugehören. Der Putativvaterann seine Vaterschaft bzw. Nichtvaterschaft wissen-chaftlich nachweisen lassen, zur Not auch heimlich.Wie Sie wissen, bereiten wir gerade ein Gendiagnos-ikgesetz vor. Die rasante Entwicklung der Biotechnolo-ie und der Anstieg der Zahl genetischer Untersuchun-en machen es auch notwendig, die Durchführungolcher Untersuchungen gesetzlich zu regeln. Trotz dernbestrittenen Vorteile und Chancen dieser Technolo-ien müssen Vorkehrungen getroffen werden, um dieechte des Einzelnen auf informationelle Selbst-estimmung zu wahren.Das Gendiagnostikgesetz wird deshalb auch Regelun-en über den Umgang mit und den Schutz von geneti-chen Proben und Daten zur Abklärung der Abstam-ung umfassen. Dabei geht es um Fragen desnformationellen Selbstbestimmungsrechts sowohl desindes als auch der Mutter, sowohl um die berechtigtennteressen des Vaters als auch um die Praktikabilität beier Durchsetzung solcher Vorschriften.Für uns steht schon jetzt fest: Für einen heimlichenaterschaftstest, so verständlich er im Einzelfall auch
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Christoph Strässererscheinen mag, werden genetische Daten des Kindesgenutzt. Damit liegt immer eine Verletzung des Grund-rechts auf informationelle Selbstbestimmung desjenigenvor, dessen genetische Daten ohne Einwilligung unter-sucht werden. Dass dies in der Form nicht zulässig seinkann, kann sicherlich jedem verständlich gemacht wer-den.
Der Bundesgerichtshof hat diese Auffassung Anfangdes Jahres bestätigt. Heimliche Tests sind daher zu un-tersagen. Dabei soll es nach unserer Überzeugung auchbleiben. Wir wollen selbstverständlich auch, dass dieVäter Gewissheit über ihre Vaterschaft bekommen kön-nen, und zwar in einem geregelten, von uns zu regelndenVerfahren.Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, wirstimmen mit Ihnen überein, dass insbesondere nach die-ser Entscheidung des BGH über vereinfachte Verfah-ren zur Feststellung der Vaterschaft nachzudenken ist.Ihr Antrag bietet dafür einen diskussionswürdigen An-satz. Aber wie vonseiten des Bundesjustizministeriumsvorgetragen wurde, können wir uns auch andere Lösun-gen vorstellen, beispielsweise ein zweistufiges Verfah-ren, das nicht zwingend mit einem gerichtlichen Verfah-ren beginnt. Ich werde später noch kurz daraufzurückkommen.Wir widersprechen aber in jedem Fall den Vorschlä-gen, die zum Teil aus den Bundesländern an uns heran-getragen werden. Das gilt insbesondere für denVorschlag aus Baden-Württemberg. Der dortige Justiz-minister, Ulrich Goll, hat erklärt, dass Väter und Müttermit gesetzlichem Segen auch heimliche Vaterschaftstestsdurchführen lassen dürften. Dem halte ich in aller Deut-lichkeit entgegen – ich denke, in dieser Frage gibt eskeine Kompromisse –: Dies ist der falsche Weg, den wirauf keinen Fall mitgehen werden.Väter sollen die ihnen zustehenden Rechte bekom-men.
Das ist unbestritten. Wir haben hier schon sehr oft überMänner und Väter und ihre Rechte gesprochen. Im Vor-dergrund steht aber eindeutig das Wohl des Kindes. DasFamilienrecht hat sich in den vergangenen Jahren durchdas Bestreben ausgezeichnet, Kinder als Persönlichkei-ten wahrzunehmen. Jeder heimliche Vaterschaftsteststellt eine Missachtung der Würde des Kindes dar.In allen Bereichen propagieren wir das Selbstbestim-mungsrecht des Einzelnen. Gestern haben wir in diesemHohen Hause lang und breit und überwiegend sachlichüber die Patientenverfügung diskutiert. Sollten wir heutedas Selbstbestimmungsrecht der Kinder aushebeln? Dasgeht nach meiner Auffassung nicht an.
Dabei halte ich es mit Spiros Simitis, dem Vorsitzen-den des Nationalen Ethikrates – ich zitiere –:WFsVbbgrMrduZZnknkkdGsGaaDdjddaltihGm
abei müssten Sie an dieser Stelle viel konkreter wer-en.Ich glaube, dass wir, wenn es um die Fragen der Ver-ährung und Verwirkung des Anspruchs auf Feststellunger Vaterschaft geht, auch darüber nachdenken müssen,ie Zweijahresfrist durch eine Einrede zu ersetzen, umuch nach Ablauf der Frist eine einvernehmliche Rege-ung zu ermöglichen.Es gibt also eine Reihe offener Fragen, die wir disku-eren werden. Ich hoffe, dass wir in diesem Zusammen-ang und im Rahmen unserer Beratungen über dasendiagnostikgesetz vernünftige, vielleicht sogar ge-einsame Regelungen schaffen können.Herzlichen Dank.
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(C)
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/4727 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit
einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überwei-
sung so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf Mittwoch, den 16. März 2005, 13 Uhr, ein.
Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen, allen
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, aber auch den Zuhö-
rerinnen und Zuhörern auf der Tribüne ein schönes Wo-
chenende.
Die Sitzung ist geschlossen.