Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Die heutige Tagesordnung soll nach einer interfrak-
tionellen Vereinbarung um die Beratung des Ergebnisses
des Vermittlungsausschusses zum Zweiten Fallpauscha-
lenänderungsgesetz – Drucksache 15/4272 – erweitert
und nach der verbundenen Beratung zum Einzelplan 15
mit dem CDU/CSU-Antrag zum GKV-Modernisierungs-
gesetz aufgerufen werden. Sind Sie damit einverstan-
den? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so be-
schlossen.
Wir setzen die Haushaltsberatungen – Tagesord-
nungspunkt I – fort:
a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2005
– Drucksachen 15/3660, 15/3844 –
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haus-
haltsausschusses zu der Unterrich-
tung durch die Bundesregierung
Rede
Finanzplan des Bundes 2004 bis 2008
– Drucksachen 15/3661, 15/3844, 15/4326 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dietrich Austermann
Walter Schöler
Anja Hajduk
Dr. Andreas Pinkwart
Ich rufe Tagesordnungspunkt I.18 auf:
Einzelplan 09
Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit
– Drucksachen 15/4309, 15/4323 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Volker Kröning
Kurt J. Rossmanith
tzung
n 25. November 2004
.00 Uhr
Hans-Joachim Fuchtel
Anja Hajduk
Otto Fricke
Es liegen drei Änderungsanträge der Fraktion der
CDU/CSU sowie ein Änderungsantrag der Abgeordne-
ten Dr. Gesine Lötzsch und Petra Pau vor. Über einen
Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU werden
wir später namentlich abstimmen.
Über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/
CSU auf Drucksache 15/4340, der sich auch auf
Einzelplan 09 bezieht, ist bereits bei Einzelplan 08 abge-
stimmt worden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Hans-Joachim Fuchtel, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu Beginndieser Debatte möchte ich mich zunächst einmal bei dentextBeamten Ihres Hauses, Herr Minister Clement, für dieintensive Zuarbeit herzlich bedanken. Ebenfalls möchteich mich bei den Kolleginnen und Kollegen aller Frak-tionen für die sachliche Arbeit, die wir hinsichtlich die-ses großen Etats in den letzten Monaten im Haushalts-ausschuss geleistet haben, bedanken.Noch mehr würde ich mich natürlich bedanken, wennunseren Änderungsanträgen zugestimmt worden wäre.Dem Steuerzahler möchte ich von hier aus sagen: Wenndie CDU/CSU in der Verantwortung wäre, dann würdenin diesem Etat allein in den Kapiteln zum Arbeitsmarkt2,5 Milliarden Euro eingespart werden:
Euro bei der Arbeitslosenhilfe unduro bei den Arbeitsämtern.1,5 Milliarden1 Milliarde E
Metadaten/Kopzeile:
13136 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Hans-Joachim Fuchtel– Da Sie an dieser Stelle Zurufe machen, muss ich Ihnensagen: Haben Sie doch den Mut, eine Zwischenfrage zustellen! Machen Sie nicht nur Lärm, sondern stellen Siesich der Sache!Meine Damen und Herren, wir hätten uns früher eineOpposition gewünscht, die sich so verhält, wie wir estun,
eine Opposition, die beim Sparen hilft.
Sie sind allerdings heute noch nicht in der Lage, richtigzu sparen. Wir hingegen haben den Mut zum rigorosenSparen. Sie haben diesen Mut nicht. Das unterscheidetuns grundsätzlich.
Kollege Fuchtel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Laumann? –
Ja oder nein?
Ja; diese Zwischenfrage kommt allerdings ein biss-
chen überraschend.
Herr Kollege Fuchtel, da vonseiten der SPD keine
Zwischenfragen gestellt werden, sondern nur gegrölt
wird, möchte ich Ihnen folgende Frage stellen: Können
Sie einmal genau erklären, wie wir zu den Einsparungen
in Höhe von 2,5 Milliarden Euro kommen wollen?
Das mache ich sehr gerne, Herr Kollege. – Erstensgibt es bei der Arbeitslosenhilfe eine überplanmäßigeAusgabe, die vorsieht, dass im November und Dezemberdieses Jahres 1,4 Milliarden Euro zusätzlich verausgabtwerden; das wurde so beschlossen. Daher gibt es keinenGrund, für die Zeit ab Januar nächsten Jahres weitere1,5 Milliarden Euro zu beantragen. Hier schaffen sichdie Regierungsfraktionen ein so genanntes Dezember-polster, mit dessen Hilfe sie im nächsten Jahr lässig1,5 Milliarden Euro verstecken können.
Wir wollen Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit.
Deswegen ist das völlig überflüssig und muss korrigiertwerden. Doch dazu sind die Damen und Herren von Rot-Grün nicht in der Lage.Zweitens geht es um den Zuschuss an die Bundes-agentur für Arbeit in Höhe von 1 Milliarde Euro. Dieneuesten Berichte des Bundesrechnungshofes geben al-len Anlass, stärkere Sparmaßnahmen zu verlangen.
Anstatt die Bürger abzuzocken, sollten Sie lieber einmaldie Außenstände eintreiben helfen, die die Bundesagen-tur für Arbeit noch hat. Das sind über 4,5 MilliardenEuro. Davon lässt sich 1 Milliarde Euro lässig eintreiben– man muss es nur wollen. Von den Schwaben könnenSie bekanntlich das Sparen lernen; hier wäre ein typi-sches Beispiel.
– Darauf komme ich nachher zurück, Herr KollegeAustermann.Ich möchte noch darauf eingehen, wie der Bundes-kanzler hier gestern aufgetreten ist. Der Bundeskanzlernimmt es einfach nicht ernst. Diese Laxheit,
mit der er gestern von dieser Stelle aus über die enormenSchulden gesprochen hat! Wir brauchen uns nicht zuwundern, wenn die Bürger draußen im Lande fragen:Wieso sollen wir eigentlich bei den Kommunen, bei denLändern, bei uns selber sparen, wenn der Bundeskanzlerso locker über all diese Probleme hinweggeht? Kaumfünf Minuten hat er sich innerhalb einer einstündigenRede damit befasst! Das ist mit Sicherheit keine staats-männische Form, sich mit dieser großen Frage auseinan-der zu setzen.
Meine Damen und Herren, der Bundeshaushalt siehtso schlecht aus, weil die Bundesregierung in SachenWirtschaft und Arbeit die Hausaufgaben nicht gemachthat; Herr Minister Clement, in erster Linie sind Sie hiergefragt. Angela Merkel hat gestern in der Debatte dieeindeutigen Feststellungen des Sachverständigenra-tes und der OECD zitiert: Es sind überwiegend hausge-machte Fehler, die zu dieser Situation geführt haben.Ich möchte Ihnen aufzeigen, wie die Lage aus Sichtder Haushälter heute aussieht: In der Zeit vonFebruar 2001 bis Oktober 2004 hat die Anzahl der Be-schäftigten um 1,5 Millionen abgenommen. Ein Be-schäftigungsrückgang in dieser Größenordnung wirktsich ungeheuer stark auf die Haushaltsentwicklung aus.Für den Bund und die Bundesagentur für Arbeit entste-hen dadurch Mehrausgaben bzw. Mindereinnahmen vonnicht weniger als 28,5 Milliarden Euro im Jahr 2005.Den Sozialversicherungen fehlen dann nochmals9 Milliarden Euro. – Der Herr Kollege Kröning schautbetreten weg. Er weiß natürlich als Haushälter, welcheZahlen hier zu Buche schlagen. Meine Damen und
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13137
(C)
(D)
Hans-Joachim FuchtelHerren, wenn solch große Finanzvolumina ausfallen,dann ist ganz klar: Das ist Ergebnis Ihrer Politik. Rot-Grün macht arm und arbeitslos – den Staat und den ein-zelnen Bürger.
Dieses Geld fehlt natürlich für Investitionen, für Mit-telstandspolitik, für Forschung, für Entwicklung. Wenndieses Geld wegbricht, fehlt es in diesen Bereichen anden notwendigen Impulsen vom Staat; das ist doch ganzklar.Ich habe es einmal untersuchen lassen: Wo der Wirt-schaftsminister im Jahre 2003 1 Euro ausgeben konnte,da gab der Arbeitsminister 4,3 Euro aus. In denJahren 2004 und 2005 verschiebt sich diese Relation auf1 : 5: 1 Euro für die Wirtschaft, 5 Euro für den Arbeits-markt. Meine Damen und Herren, so schafft man nichtmehr Arbeit in Deutschland!
Deutschland ist Exportweltmeister. Normalerweiseüberträgt sich der Exportaufschwung auf die Binnen-konjunktur – in Deutschland nicht. Das ist nicht normal.Jeder Chefvolkswirt einer großen Bank kann Ihnen dieGründe nennen, warum dies so ist: In Deutschlandherrscht ein durch die Politik hervorgerufener tiefer Ver-trauensverlust. Das, Herr Clement, ist das Werk von Rot-Grün, von sechs Jahren rot-grüner Wirtschafts- und Ar-beitsmarktpolitik.
Der einfache Bürger spart heutzutage, so gut er kann,und verzichtet auf Konsum. Der Betrieb stellt nicht einund wenn er einstellt, dann nur befristet. Herr MinisterClement, das zentrale Problem ist, dass landauf, landabniemand mehr an Ihre Zahlen glaubt. Sie geben jedesJahr Prognosen ab, die am Ende des Jahres von ganz an-deren Ergebnissen überrollt werden. Sie sollten sichmehr der Realität widmen und nicht den Fiktionen, dieSie sich auf dem Papier zusammendichten.
Die Verlässlichkeit muss zurückgewonnen werden;das ist die Aufgabe der Politik, das ist unsere Aufgabehier in diesem Hause. Wir wollen eine Politik mit klarenZielsetzungen.Dieses Land steuert in diesem Winter auf 5 MillionenArbeitslose zu. Das ist ein dramatischer Rekord. Wirmüssen uns jedes einzelne Schicksal anschauen.
– Herr Stiegler, Sie schreien hier schon wieder dazwi-schen. Sie sollten einmal ganz ruhig sein. Sie waren dergrößte Rufer, als gesagt wurde, dass die Zahl der Ar-beitslosen bis 2002 auf 3,5 Millionen gesenkt werde.Heute machen Sie den Mund wieder auf. Sie sollten un-ter Ihrem Tisch in der Versenkung verschwinden. Daswäre sachlich angemessen.
Sie sollten hier nicht so arrogant daherreden.
Sie haben eine Art Zwei-Klassen-Gesellschaft pro-duziert: Auf der einen Seite gibt es diejenigen, die einenArbeitsplatz besitzen, und auf der anderen Seite gibt esdiejenigen, die keinen Arbeitsplatz besitzen.
Ziel der Unionspolitik ist es, diese Zwei-Klassen-Gesell-schaft zugunsten eines durchgängigen Arbeitsmarktkon-zeptes aufzubrechen, wodurch jedem eine Chance gege-ben wird. Vor dieser Aufgabe stehen wir.
– Sie fragen, „Wie?“ Das können wir Ihnen sehr klar sa-gen und das wird Ihnen auch der Wähler sagen, wenn erSie in die Opposition schickt, damit wir zeigen können,wie die Antwort auf das „Wie“ in die Tat umgesetztwird.
Zunächst einmal geht es darum, dass wir die Maßnah-men umsetzen, die kein Geld kosten. Das machen Haus-hälter am allerliebsten; das ist sonnenklar. Hier gibt essehr viel zu tun. Ich nenne nur die Stichworte Deregulie-rung – in diesem Bereich wurde noch lange nicht das er-reicht, was erreicht werden muss – und Entbürokrati-sierung, wofür das Gleiche gilt. Hier sind ungeheureSubstanzen für die Belebung des Arbeitsmarktes vorhan-den, die genutzt werden müssen. Natürlich müssen wirauch die Ausgaben für den Arbeitsmarkt durchforstenund selektiver tätigen.
Wir dürfen – das gilt beispielsweise für den Bereichder Eingliederungszuschüsse – auch keine Gewöhnungs-effekte oder Automatismen zulassen. Ich-AGs, Jobfloa-ter und Personal-Service-Agenturen müssen umgehendabgeschafft werden, da sie unter dem Strich viel mehrGeld kosten, als sie an Erfolg für den Arbeitsmarkt ein-bringen.
Metadaten/Kopzeile:
13138 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Hans-Joachim FuchtelDas ist hinausgeworfenes Geld. Allein daraus würdensich erhebliche Sparpotenziale ergeben, die wir für In-vestitionen nutzen könnten.
Sämtliche Programme zur Bekämpfung der Arbeits-losigkeit müssen auf den Prüfstand.
– Sie haben sich das gedacht. Wahrscheinlich wissen Sieüber diese Dinge nicht so viel wie ich. Deswegen sageich es Ihnen hier einmal.
Es kann nicht länger akzeptiert werden, dass bei-spielsweise bei Jugendprogrammen pro Kopf und Jahrdurchschnittliche Kosten in Höhe von 12 100 Euro ent-stehen. Das, was hier für einen arbeitslosen Jugend-lichen im Jahr ausgegeben werden muss, verdient einArbeiter in den neuen Bundesländern oftmals nicht nettoim Jahr. Das muss anders und effektiver gemacht wer-den. Das liegt doch auf der Hand.
Ein anderes Beispiel dafür, was einen umhaut undwas man sich kaum vorstellen kann, sind die Lehrgängeim Zuge einer dreijährigen Ausbildung in Berufsbil-dungswerken. Gemäß der Unterlagen der BA kosten siepro Person mittlerweile bis zu 106 000 Euro.
– Sie haben richtig gehört. – Herr Stiegler, diese Dyna-mik muss doch gebremst werden. Das müsste selbst inein SPD-Hirn hineingebracht werden können.
Die Bundesagentur ist unter dem Vorstandsvorsitzen-den Herrn Weise transparenter und kostenbewusster ge-worden. Das unterstützen wir ausdrücklich. Wir möch-ten aber auch noch darauf hinweisen, dass die imhinteren Teil der Veröffentlichungen des Bundesrech-nungshofes im Monat November stehenden Bemerkun-gen sehr lesenswert sind. Dort lesen Sie, wie viel Geldnoch zur Disposition steht und dass man mit ihm besserumgehen kann. Das muss man in dieser Situation drin-gend tun. Auch bei Hartz IV gibt es Ähnliches zu sagen.Das werden meine Kollegen nachher noch tun.Alle Jahre wieder gehen die Prognosen von HerrnClement in die Hosen.
Leider werden Sie nach meiner Rede einen weiteren Aktdieser arroganten Traumtänzerei erleben. Ich sage aus-drücklich: Dafür übernimmt die Union keine Verantwor-tung.
Ich erteile Kollegen Volker Kröning, SPD-Fraktion,
das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Das war nun der Kollege Fuchtel von der CDU/CSU, wie er leibt und lebt.
Da es bei der CDU/CSU mehrere dieser Art gibt, sprichtnachher noch das Urgestein Rossmanith.
Ich fasse nun im Folgenden die Bereiche Wirtschaft undArbeit zusammen.Der Einzelplan 09 steht 2005 mehr als noch in diesemJahr im Zeichen der Arbeitsmarktreform. Aber den-noch, meine Damen und Herren, dürfen wir den BereichWirtschaft nicht vernachlässigen. Die beiden gravie-rendsten Veränderungen in dem Einzelplan haben ihreUrsachen zum einen im Ausgang des Vermittlungsver-fahrens zur Arbeitsmarktreform im Juli und in den politi-schen Fortschreibungen im August dieses Jahres, zumanderen in den Konjunktur- und Arbeitsmarktdaten so-wie der Steuerschätzung, die mitten in die Beratungendes Ausschusses fielen und praktisch von einer Wochezur anderen zu berücksichtigen waren.Die beiden Veränderungen führten zum einen zu Auf-stockungen der Arbeitsmarktausgaben um zunächst2,2 Milliarden Euro, sodann um weitere 1,5 Milliar-den Euro, zum anderen zur Erhöhung der globalen Min-derausgabe um 1 Milliarde Euro. Zumindest die beidenersten Aufstockungen hätte die CDU/CSU unterstützenmüssen, hat sie doch die zugrunde liegenden Gesetze mitder Koalition beschlossen.Stattdessen – das muss man in der Öffentlichkeitdeutlicher machen, als das bisher geschehen ist – flüch-ten Sie sich wie schon am Anfang der Umsetzungsstre-cke zur Arbeitsmarktreform in der Mitte dieses Jahreswieder aus der Verantwortung.Mit Ihrem Antrag, die Arbeitslosenhilfe um 1 Milliar-de Euro zu kürzen, haben Sie den bisherigen Arbeitslo-senhilfeempfängern und künftigen Arbeitslosengeld-II-Empfängern sogar damit gedroht, im Januar des nächs-ten Jahres kein Geld zu erhalten. Dies haben wir selbst-verständlich im Haushaltsausschuss zurückgewiesen.
Es ist merkwürdig, dass Sie diesen Antrag hier nichtwieder stellen, aber dennoch in der Öffentlichkeit damitagitieren.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13139
(C)
(D)
Volker Kröning
Was die Konsequenzen aus den gesamtwirtschaftli-chen Eckwerten angeht, so unterstützt die versammelteOpposition die Erhöhung des Zuschusses an die Bun-desagentur für Arbeit nicht. Im Gegenteil: Beide Oppo-sitionsfraktionen haben sich mit Kürzungsanträgen über-boten.
Auch die Anhebung der Haushaltsansätze beim Arbeits-losengeld II und bei den Leistungen zur Eingliederungin Arbeit trägt die Koalition alleine. Ich bin mir sicher,dass alle im Land, die das angeht, erkennen werden, werfür sie Verantwortung trägt und wer nicht.Die nach wie vor schleppende Konjunkturerholungmacht es notwendig, im Haushalt der Bundesagentur14,12 Milliarden Euro für arbeitsmarktpolitische Maß-nahmen bereitzustellen. Davon entfallen 4,4 Milliar-den Euro allein auf den Eingliederungstitel, in dem diemeisten Ermessensleistungen der aktiven Arbeitsförde-rung zusammengefasst sind. Zusätzlich werden imBundeshaushalt Eingliederungsleistungen von 6,55 Mil-liarden Euro finanziert. Beides drückt aus, dass die Soli-dargemeinschaft der Beitragszahler zur Arbeitslosenver-sicherung und die Gesamtheit der Steuerzahler dasFördern genauso ernst nehmen wie das Fordern.Die Anstrengungen der Bundesagentur und der Kom-munen, ob sie nun Arbeitsgemeinschaften gebildet ha-ben oder optieren, sind ebenfalls weit gediehen. DieBundesregierung und die sie tragende Koalition habenfür diesen Umstellungsprozess – einschließlich der sogenannten Revisionsklausel – eine Finanzausstattungbereitgestellt, die den Erfolg garantiert. Es ist Vorsorgegetroffen, dass diese Revisionsklausel ohne Risiko fürden Gesamthaushalt praktiziert werden kann.Von der Spitze bis zur Basis der Gesamtorganisationwird hart gearbeitet. Davon haben sich viele Kolleginnenund Kollegen aus diesem Haus in den letzten Monatenund Wochen überzeugt. Ich glaube, ich darf in Ihrem Na-men jenseits der Polemik, die hier und heute stattfindet,allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der 181 Agen-turen im Lande und den Mitarbeitern von Bahn, Post undTelekom danken, die der Agentur aushelfen.
Dieser Einsatz wird gerade in den nächsten Monaten ander Schwelle von diesem zum nächsten Jahr gebrauchtwerden.Vorrangiges Ziel in dem Umsetzungsprozess ist es,den Menschen beizeiten Sicherheit über ihre Einkom-mens- und Betreuungssituation zu geben. Dies wird nurSchritt für Schritt gehen.Entscheidend ist, dass die neuen Leistungen pünktlichgewährt werden. Es ist ein gutes Zeichen, dass 84 Pro-zent aller bisherigen Arbeitslosenhilfebezieher einenAntrag auf Arbeitslosengeld II gestellt haben. Dochmuss man einräumen, dass erst 41 Prozent der Anträgebearbeitet sind. Auch muss mit Widerspruchsverfahrenin nicht unbeträchtlicher Zahl gerechnet werden. Dieszeigt, welchen Kraftakt die Bundesagentur und dieKommunen noch vor sich haben und wie sehr sie – hof-fentlich mit den Beschlussmehrheiten in beiden Häusernim Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens – auf unsereUnterstützung angewiesen sind. Die beiden Kommunenin meinem kleinen Land, nämlich Bremen und Bremer-haven, haben schon eine Antragsquote von über90 Prozent und eine Bearbeitungsquote von über 70 bzw.über 50 Prozent erreicht.Auch die Förderung mithilfe des neuen Fallmanage-ments ist eingeleitet. Sie beginnt bei den bis zu 25-Jähri-gen mit einem Personalschlüssel von 1 : 75. Diese An-strengung wird auch durch die EinstiegsqualifizierungJugendlicher flankiert, die im Rahmen des Ausbil-dungspaktes mit der Wirtschaft vereinbart ist. Es istschön, dass sich gerade in den letzten Tagen herausge-stellt hat, dass dieses umfassende Konzept, von dem derAusbildungspakt ein Teil war, Früchte trägt. Die Integra-tion in den Arbeits- und in den Ausbildungsmarkt bleibtdas Hauptziel der Reform.
– Herr Niebel, Sie sind zum Glück eine rettungsloseMinderheit. Das wird gleich bei der Wirtschaftspolitiknoch deutlich werden.
Da bei den Protesten gegen die Arbeitsmarktreformso oft die Rede davon war, es werde gar nicht gespart,möchte ich festhalten: Wir müssen hart darauf hinarbei-ten, den Zuschuss an die Bundesagentur und die Bei-träge zur Arbeitslosenversicherung in den nächsten Jah-ren zu senken.
Für 2005 setzen wir darauf, dass die nun veranschlagteHöhe des Bundeszuschusses ausreicht. Das wären1,2 Milliarden Euro weniger als in diesem Jahr. Diesschließt allerdings ein, dass das mit der Bundesregierungverabredete Maßnahmenpaket, das Einsparungen inHöhe von 600 Millionen Euro bei der Agentur umfasst,realisiert wird.Mehr Effizienz ist das eine, mehr Wachstum und Be-schäftigung das andere. Klar ist, dass alles daran gesetztwerden muss, ein hohes Wirtschaftswachstum, einenBeschäftigungszuwachs zu erreichen und die Zahl derArbeitslosen zu senken. Es geht nicht darum, darüber zuphilosophieren, ob die Eckwerte der Bundesregierungeingehalten werden können, sondern es geht einzig undallein darum, alles daranzusetzen, dass dies gelingt. Dasnenne ich aktive Politik. Hat dies keinen Erfolg – da-rüber müssen wir uns im Klaren sein –, wird es auch
Metadaten/Kopzeile:
13140 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Volker Kröning2005 im Bundeshaushalt im Ganzen und speziell im Ein-zelplan 09 schwierig werden.Umso wichtiger ist es mir, noch einiges zum TeilWirtschaft dieses Einzelplans zu sagen. Er hat ja dieFunktion, neben den gesetzlichen Rahmenbedingungen,auf die der Minister sicherlich noch eingehen wird, imHaushalt Stabilität zu vermitteln und Anreize zu setzen.Darum geht es gerade bei den Förderprogrammen imBereich Wirtschaft. Zunächst ist all denen, die zur Vo-raussetzung des ökonomischen Erfolges unseres Landeseine rigide Sparpolitik machen, zu sagen: Der Einzelplanwächst im Bereich Wirtschaft nicht, er sinkt gegenüber2004 sogar von 4,7 Milliarden Euro auf rund 4 Milliar-den Euro, aus denen 2005 sogar noch eine globale Min-derausgabe in Höhe von 60 Millionen Euro zu erwirt-schaften ist.Zahlreiche Einzelansätze sind schon bei der Aufstel-lung durch die Bundesregierung im Zusammenhang mitder Koch/Steinbrück-Liste gekürzt worden. Bei den wei-teren Kürzungen ist zu berücksichtigen, dass von denverfügbaren 4 Milliarden Euro durch Zusagen aus denVorjahren bereits mehr als zwei Drittel rechtlich oder po-litisch gebunden sind. Bei den Beratungen des Haus-haltsausschusses war deshalb nicht viel mehr möglich,als die Ansätze für regionale Wirtschaftsförderung, fürInnovation und für den Mittelstand zu stabilisieren. Zu-sätzlich sind einige Akzente bei den Baransätzen undden Verpflichtungsermächtigungen verstärkt worden,zum Beispiel bei der industriellen Gemeinschaftsfor-schung und der Verbesserung der Materialeffizienz, aberauch beim Export.Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang aller-dings, dass sich bei der Mittelstandspolitik die Wege derOpposition getrennt haben und dass sich die FDP isolierthat: Sie hat im Ausschuss Kürzungsanträge gestellt, dieaus mittelstandspolitischer Sicht verheerend sind undmit denen sie alleine geblieben ist. In den ProgrammenPro Inno und Inno-WATT zum Beispiel würden die an-spruchsvollen und risikoreichen Innovationsbemühun-gen von weit über 1 000 kleinen und mittleren Unterneh-men abbrechen und der wirtschaftliche Aufholprozessgerade in Ostdeutschland würde gefährdet werden.
Als Haushälter sind wir beileibe nicht fachpolitischblind. Im Gegenteil: Wir würden gerne einige Ansätzeverstärken, wenn es die Haushaltslage zuließe. Leider istder Anteil des Wirtschaftsressorts an der Innovationsof-fensive der Bundesregierung mit 20 Millionen Euro biszur Entscheidung über die Eigenheimzulage gesperrt. Eswäre gut, wenn sich der Bundesrat bereit finden würde,dieses weitere Stück Subventionsabbau mitzumachen.Ich möchte aber auch die Weichenstellungen erwäh-nen, bei denen wir uns zwischen den Fraktionen einigwaren. Dies betrifft zum einen die Luftfahrtförderung.Die Absicherung des A350 und eines neuen Airbustrieb-werkes haben wir gemeinsam geschlossen. Auch bei denHilfen für die Werftindustrie sind wir uns einig, den Um-bau von Produktions- zu Innovationshilfen fortzusetzen.Ich bin froh, dass die Abstimmungsschwierigkeiten, diewir in den vergangenen Monaten mit den Küstenländernhatten, überwunden sind. Es ist auch anzuerkennen, dassdie Wirtschaft auf diesem Gebiet Einsicht in die engeHaushaltslage zeigt.Die Mittel für den A350 und das Triebwerk – und da-mit die Sicherheit für ein KfW-Darlehen – sind gesperrt.Die Zielrichtung, mit der wir – auch darin sind wir unseinig – nach dem so genannten Launch durch die Indus-trie an eine Entsperrungsvorlage herangehen werden, istaus den Erläuterungen klar: Wir wollen in DeutschlandWertschöpfung – das heißt vor allem Arbeitsplätze – si-chern.
Darum werden wir auf den so genannten Workshare beider Entwicklung und der Produktion achten. Das giltauch für die regionale Verteilung innerhalb der Bundes-republik Deutschland.In diesen Zusammenhang fällt schließlich die Siche-rung der regionalen Wirtschaftsförderung, die imHaushalt und in der mittelfristigen Finanzplanung schonvon der Regierung vorgenommen worden ist und dieauch in der Kommission zur Modernisierung der bun-desstaatlichen Ordnung eine Rolle spielt. Nachdem derFinanzierungsanteil des Bundes an dieser Gemein-schaftsaufgabe durch die Konsolidierungsmaßnahmender letzten Jahre reduziert werden musste, hat die Bun-desregierung nun ein gleich bleibendes Niveau in Höhevon 700 Millionen Euro pro Jahr bis zunächst 2008 fest-geschrieben. Dies hat Vertrauen gebildet. Das könnenwir gerade in der Kommissionsarbeit feststellen.Der Haushaltsausschuss hat noch ein Übriges getan:Er hat in Übereinstimmung mit dem Ausschuss für Wirt-schaft und Arbeit die Deckelung der Rückeinnahmen be-seitigt und damit mehr als 700 Millionen Euro pro Jahrverfügbar gemacht.
Auf dieser Basis sollten nun die Verhandlungen zwi-schen der Bundesregierung und den betroffenen Ländernzu Ende geführt werden, die auf eine ziel- und wirkungs-sichere Strukturförderung gerichtet sind. Es kommt nichtin erster Linie darauf an, wie viel Geld bereitgestelltwird, sondern dass es investiv und innovativ eingesetztwird.Alle diese Entscheidungen des Haushaltsausschussesstehen unter dem Damoklesschwert einer zusätzlichenMinderausgabe in Höhe von 65,7 Millionen Euro, dieals Teil der zusätzlichen globalen Minderausgabe von1 Milliarde Euro auf unseren Einzelplan entfällt. Dieswar im letzten Moment der Ausschussberatungen zu be-schließen, weil die Beratungen andernfalls neu hättenaufgerollt werden müssen. Ich muss bekennen, dass ichdiese Entscheidung nur schweren Herzens mitgetragenhabe, dass sie aber wegen der Kürze der zur Verfügungstehenden Zeit alternativlos war.Doch ich warne wie vor einem Jahr vor einer Aushöh-lung des Haushaltsrechts: Wenn schon Soll und Ist, also
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13141
(C)
(D)
Volker Kröningdas politische Ziel des Haushaltsgesetzgebers und dasprognostische Ergebnis, auseinander klaffen, dann isteine prioritätengerechte Haushaltssteuerung zwingend.Nach Verabschiedung des Haushalts ist dies Aufgabe derRegierung. So hat sich das Verhältnis zwischen den Ge-walten umgekehrt. Aber ich erkläre für das Parlament,dass wir dies kontrollieren werden.
Es ist ernst, aber wahr: Wo rechtliche und politischeVorbindungen existieren, ist nichts zu holen; wo derHaushaltsausschuss Kürzungen abgelehnt oder Aufsto-ckungen vorgenommen hat, ebenfalls nicht. Was bei derHaushaltsaufstellung weder der Bundesregierung nochdem Parlament gelungen ist, bleibt also nachzuholen.Um nicht kontraproduktiv zu handeln, müssen im Haus-haltsvollzug Alternativen gefunden werden. Wir warenuns im Ausschuss mit dem Minister einig, dass wir unsdabei gegenseitig nach Kräften unterstützen.Darum bitte ich auch das Finanzressort. Wenn es rich-tig ist, in der aktuellen wirtschaftlichen Situation einenvernünftigen Mix aus Konsolidierung, Strukturreformenund Wachstumsimpulsen zustande zu bringen, sind dasWirtschafts- und das Finanzressort besonders aufeinan-der angewiesen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will auch nichtanstehen, wie der erste Sprecher heute Morgen den Be-richterstatterkolleginnen und -kollegen zu danken, alsoIhnen, Herr Fuchtel und Herr Rossmanith, und auchHerrn Kollegen Fricke, den ich heute Morgen noch nichtgesehen habe. Offenbar ist der FDP der Haushalt dochnicht so wichtig. Sie kündigt ja auch öffentlich Kür-zungsanträge an, wie man heute Morgen in der Zeitunglesen kann, ohne dass die Anträge dem Haus vorliegen.Das ist für mich eine unmögliche Einstellung zum parla-mentarischen Geschäft.
Meiner Kollegin Anja Hajduk möchte ich besondersherzlich für die gute Zusammenarbeit innerhalb der Ko-alition danken. Last, but not least ein Dank an das Minis-terium und besonders an die Mitarbeiterinnen und Mitar-beiter der Haushaltsabteilung. Sie haben uns loyal undkompetent unterstützt. Auf diese Unterstützung werdenwir alle gemeinsam auch in Zukunft angewiesen sein!Vielen Dank.
Ich erteile das Wort Kollegen Rainer Brüderle, FDP-
Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Haus-
haltsberatungen werden von der Regierung wie üblich
bestritten: Sie beschimpft die Opposition, unterstellt ihr
Schwarzmalerei, wirft ihr vor, Zerrbilder darzustellen,
und legt selbst keine Konzepte vor. Aber eines müssen
Sie sich sagen lassen: Es ist Ihr Finanzminister, der zum
vierten Mal die Störung des gesamtwirtschaftlichen
Gleichgewichts ausruft, weil er mehr Schulden macht,
als er Investitionen tätigt. Das grenzt geradezu an wirt-
schafts- und finanzpolitische Schizophrenie. Entweder
können Sie der Opposition begründet vorwerfen, sie
stelle Zerrbilder dar und betreibe Schwarzmalerei, oder
die Situation ist tatsächlich so dramatisch, dass Sie zum
vierten Mal hintereinander die Störung des gesamtwirt-
schaftlichen Gleichgewichts ausrufen müssen, um mehr
Schulden aufnehmen zu können, als Sie Investitionen tä-
tigen. Deshalb sollten Sie redlich bleiben.
Gestern haben wir erfahren, dass die Wirtschaft im
dritten Quartal dieses Jahres wieder stagniert. Der
Exportboom schwächt sich ab, neigt sich eher dem
Ende zu. Die Binnenkonjunktur fängt diesen Ausfall
nicht auf. Das ist, wie ich weiß, eine Momentaufnahme,
aber dieses Bild ist durch tiefer gehende Gründe geprägt.
Unser Kernproblem ist – das sagen auch die Sachver-
ständigen – ein zu schwaches Trendwachstum. Der
Wachstumspfad in Deutschland bewegt sich seit Jahren
kontinuierlich bei etwa einem Prozent, während die
Amerikaner ein Trendwachstum von 3 bis 3,5 Prozent
haben. Ergebnis dieser Schere in der Entwicklung des
Grundwachstums ist volkswirtschaftlich eine Differenz
in der Produktivität zwischen den Vereinigten Staaten
und Deutschland von 30 Prozent. In einfachen Worten
gesprochen heißt das: Wenn 1 000 Arbeitnehmer und
500 Maschinen in Amerika und in Deutschland jeweils
10 Stunden arbeiten, werden in Amerika 30 Prozent
mehr Autos produziert. Durch Ihre verfehlte Politik ha-
ben sich bei uns die Strukturen so verfestigt, dass ein-
fach kein Wachstum entsteht. Unser Trendwachstum
bleibt unter der Schwelle, an der der Arbeitsmarkt an-
springt und neue Arbeit entsteht.
Wenn wir es nicht schaffen, das Trendwachstum deutlich
anzuheben – vergleichbar einer Größenordnung in ande-
ren Ländern –, werden alle oszillierenden Teilmaßnah-
men nicht helfen.
Man kann sich auch nicht aus der Verantwortung re-
den, denn es ist eine Tatsache, dass die Arbeitslosigkeit
in Großbritannien, Holland und Schweden nur etwa halb
so hoch ist wie in Deutschland. Diese Länder bewegen
sich in derselben Weltwirtschaft wie wir. Also ist doch
logisch und völlig klar: Hier in Deutschland wird etwas
grundlegend falsch gemacht, wenn es uns über Jahre
nicht gelingt, das Wachstum zu steigern, und wenn in an-
deren Ländern die Arbeitslosigkeit nur halb so hoch ist
wie in Deutschland. Das Problem liegt hier!
Kollege Brüderle, gestatten Sie eine Zwischenfragedes Kollegen Niebel?
Metadaten/Kopzeile:
13142 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Präsident Wolfgang Thierse
Natürlich gern.
Bitte, Herr Niebel.
Vielen Dank, Herr Kollege Brüderle. – Nachdem Sie
die Dramatik der Situation der deutschen Wirtschaft und
des Arbeitsmarktes hier schon so anschaulich geschildert
haben, wie bewerten Sie – auch im Hinblick auf die
Rede des Kollegen Kröning – die Tatsache, dass das Fi-
nanzministerium bei der Haushaltsberatung über diese
wichtige Thematik nicht vertreten ist?
Ich halte das symptomatisch für den Stil, in dem die
Regierung mit der Opposition und einem der vornehms-
ten Rechte des Parlaments, dem Etatrecht, umgeht. Das
drückt sich auch in der mangelnden Präsenz auf der Re-
gierungsbank aus. Der Finanzminister hat wahrschein-
lich eine Stunde des Sichschämens für den von ihm vor-
gelegten Haushalt eingelegt.
Das Resultat der erwähnten strukturellen Schwächen
liegt auf der Hand. Im Frühjahr nächsten Jahres wird die
Zahl der registrierten Arbeitslosen auf 5 Millionen stei-
gen. In Wahrheit werden es noch viel mehr sein; denn
man muss die Zahl der sich in ABM und ähnlichen Maß-
nahmen befindenden Menschen hinzurechnen. Herr
Andres wird schon einmal vorgeschickt, um die Öffent-
lichkeit darauf vorzubereiten, dass die Zahl der Ar-
beitslosen demnächst bei 5 Millionen liegt. Herr Weise
von der Bundesagentur für Arbeit hat bereits erklärt, es
sei durchaus möglich, dass die Zahl der Arbeitslosen auf
5 Millionen steige. Die geäußerten Befürchtungen wer-
den sich leider bestätigen; dessen bin ich mir sicher.
Die Nettoneuverschuldung hat eine Größenordnung
von über 43 Milliarden Euro erreicht. Im nächsten Jahr
wird sie um 22 Milliarden Euro – –
– Dass ausgerechnet Sie, der Sie eine Rede gehalten ha-
ben, die die Qualität einer Schlafpille hatte, etwas über
meinen Redestil sagen, finde ich prima.
Glauben Sie, der Sie Ihre Zahlen fast wie ein Buchhalter
verlesen haben, wirklich, dass Ihre Rede ein Beispiel da-
für war, wie man Parlamentsdebatten lebendig machen
und die Menschen draußen im Lande, insbesondere die
jungen Leute, für unsere Arbeit interessieren kann? Dass
Sie einen solchen Zuruf in einer Parlamentsdebatte ma-
chen, ist der Gipfel und zeigt, dass Sie sich jenseits der
Realität bewegen.
Kollege Brüderle, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Andres?
Sehr gern.
Bitte, Herr Andres.
Herr Brüderle, würden Sie dem Hohen Hause sagen,
dass es richtig ist, dass der Sachverständigenrat in sei-
nem Gutachten sinngemäß ausgeführt hat, es könne sein
– es muss also nicht –, dass im Februar des kommenden
Jahres die Zahl der Arbeitslosen an die 5-Millionen-
Grenze herankomme oder sie überschreite, dass dies
aber keineswegs etwas mit einer Erhöhung der Arbeits-
losigkeit zu tun habe, sondern in Verbindung mit der
Einführung der neuen Leistung Arbeitslosengeld II
stehe, wodurch es statistische Effekte geben könne?
Es kann statistische Effekte geben; das ist schon rich-tig.
– Herr Andres, es ist Ihr gutes Recht, eine Zwischen-frage zu stellen. Aber mein gutes Recht ist es, sie zu be-antworten. Deshalb überlassen Sie freundlicherweisemir die Beantwortung der gestellten Frage. Wenn SieIhre Frage selbst beantworten wollen, dann sollten Siedas zu Hause tun.
Herr Andres, wenn Sie jetzt freundlicherweise meineAntwort entgegennähmen! Es ist richtig, dass statistischeEffekte auftreten können. Es ist aber auch richtig, dassdie Arbeitslosigkeit in Wahrheit höher ist. Sie wissenganz genau, dass 1,5 Millionen Menschen durch ABMund andere Maßnahmen künstlich in Arbeit gehaltenwerden, dass es sich dabei aber nicht um Arbeitsplätzehandelt, die durch gute betriebliche Ergebnisse undMarkterfolge entstanden sind. Es handelt sich vielmehrum Notmaßnahmen, die sicher erforderlich sind. In Regio-nen wie Mecklenburg-Vorpommern, wo die Arbeitslo-sigkeit extrem hoch ist – dort kommen 35 Arbeitslose aufeine offene Stelle –, kann man sicherlich nicht auf ABM
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13143
(C)
(D)
Rainer Brüderleverzichten. Aber die Wahrheit ist, dass die Zahl der Ar-beitslosen bei etwa 6 Millionen liegt. Von dieser Größen-ordnung sollte man ausgehen.Jeder Arbeitslose ist – vielleicht sind wir uns darin so-gar einig – ein Arbeitsloser zu viel; denn hinter jederZahl verbirgt sich ein persönliches Schicksal. Bei derBeseitigung von Arbeitslosigkeit geht es nicht nur da-rum, den Menschen wieder zu ermöglichen, durch Ar-beit Geld zu verdienen. Der Besitz eines Arbeitsplatzeshat vielmehr auch etwas mit dem Selbstwertgefühl derMenschen zu tun, Teil der Gesellschaft zu sein, dabei zusein. – Herr Andres, ich bin zwar noch nicht fertig mitder Beantwortung Ihrer Frage, aber Sie dürfen sich beiIhrem augenscheinlichen Gewicht ruhig schon setzen.
– Wenn Sie zuhören würden, anstatt vor sich hinzuqua-ken, würden Sie vielleicht etwas mitnehmen können. Eswäre für viele Parlamentsdebatten besser, wenn man zu-hören und sich auseinander setzen würde, als sich wieSie als Spezialist für Zwischenrufe zu betätigen. Einerim Saal muss sicherlich der Doofste sein. Sie müssensich aber nicht zu erkennen geben.
Kollege Brüderle, gestatten Sie eine weitere Zwi-
schenfrage des Kollegen Kröning?
Sehr gern.
Nach dieser fulminanten Antwort auf die Frage des
Parlamentarischen Staatssekretärs Andres, der auf der
Abgeordnetenbank Platz genommen hat, möchte ich Sie
erstens bitten, zu bestätigen, dass das Bundesfinanzmi-
nisterium durch den Parlamentarischen Staatssekretär
Diller anwesend ist.
Zweitens. Wie ist es mit Ihrem Parlamentsverständnis
zu vereinbaren, dass Sie Ihren wackeren jungen Kolle-
gen Fricke im Rahmen einer abschließenden Lesung des
Bundeshaushalts überhaupt nicht zu Wort kommen las-
sen?
Herr Kollege, aus Respekt vor dem Antwortendenbleibt man normalerweise stehen. Aber wenn Sie Pro-bleme haben, dann können Sie sich gern setzen.
Es ist noch nicht so weit, dass Sie festlegen, wer vonder FDP redet.
Noch steht es uns frei, im Parlament das zu sagen, waswir wollen. Wir lassen uns von Ihnen nicht vorschreiben,wer von uns redet.
Kümmern Sie sich um Ihre Eier! Machen Sie einmaleine gescheite Politik! Das ist besser, als sich nach Ihrerblamablen Rede mit so einem Kasperletheater hier imParlament profilieren zu wollen.
Unsere Sozialsysteme sind schwer angeschlagen. DieLohnnebenkosten steigen. Von dem Ziel, sie auf17 Prozent zu senken, sind wir weit entfernt; sie bewe-gen sich wieder auf 20 Prozent zu. Das Kernproblem ist:Sie managen die Krise nur; aber Sie haben kein Konzeptfür eine wirtschaftspolitische Runderneuerung Deutsch-lands. Es fehlt Ihnen an Ideen und an Mut, die notwendi-gen Veränderungen vorzunehmen.Wachstum kommt dann zustande, wenn wir Steuernsenken. Ihre sozialdemokratische Ministerpräsidentin inSchleswig-Holstein, Frau Simonis, macht eine Kampa-gne, die Steuererhöhungen in Höhe von 20 Milliar-den Euro vorsieht. Sie will die Mehrwertsteuer um dreiProzentpunkte erhöhen, sie will die Erbschaftsteuer er-höhen und sie will die Vermögensteuer wieder einfüh-ren. Keiner widerspricht, weder Herr Eichel noch HerrDiller – er sitzt inzwischen wieder auf seinem Platz –noch Herr Clement.Durch diese Äußerungen werden die Menschen in un-serem Land permanent verunsichert. Sie lassen das zu.Sie dürfen sich daher nicht wundern, dass das Angstspa-ren zunimmt und dass wir die Binnenkonjunktur nicht inden Griff bekommen. Die Menschen müssen ja – das istder Eichhörncheneffekt – Vorsorge betreiben, wenn Sieihnen täglich von neuen Bedrohungen und Zusatzbelas-tungen erzählen.
So kommen Sie nicht voran.Herr Müntefering, ich darf mich bei Ihnen ausnahms-weise einmal bedanken: Sie haben dem Spuk, den3. Oktober, den Nationalfeiertag, abzuschaffen, um sodas Wirtschaftswachstum zu fördern, ein Ende bereitet.Es hat mich schon schockiert, dass die Partei WillyBrandts solche Überlegungen öffentlich vorträgt. Siesind offensichtlich der letzte Patriot der Sozialdemokra-ten. Ich bedanke mich dafür, dass es durch Sie eine sol-che Haltung, für die Willy Brandt einmal stand, bei Ih-nen noch gibt.Stichwort Bürokratieabbau: Herr Clement wird beikeiner Rede müde, zu sagen: Jawohl, da müssen wir et-was machen. Recht hat er! „Masterplan“ und ähnlichetolle Begriffe werden in die Diskussion eingebracht. Le-sen Sie einmal die „Süddeutsche Zeitung“ von heute– sie ist Ihnen ja durchaus gewogen –: Worten sollen
Metadaten/Kopzeile:
13144 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Rainer BrüderleTaten folgen; von 1 000 Vorschlägen sind 29 auf denWeg gebracht worden. So wird Bürokratie nicht abge-baut und so wird dem Mittelstand nicht geholfen, neueArbeitsplätze in Deutschland zu schaffen.
Stichwort Ladenschlusszeiten: Statt die Laden-schlusszeiten in der Woche endlich freizugeben, schie-ben Sie die Beratung dieses Themas in die Föderalis-muskommission ab. Nichts von dem, was angekündigtworden ist, wird umgesetzt. So werden wir mit Sicher-heit keinen Befreiungsschlag schaffen.Unser Kernproblem ist: Ein niedriges Wachstum gehtmit einer zu geringen Elastizität der Volkswirtschaft undmit einer zu geringen Fähigkeit zur Absorption von Ver-änderungen einher. Jede Veränderung draußen in derWelt – Schwankungen des Wechselkurses oder der Öl-preise – wirkt sich bei uns stärker als woanders auf dasSystem aus, weil unsere Volkswirtschaft im Vergleich zuanderen Volkswirtschaften in Bezug auf Elastizität undFähigkeit zur Absorption von Veränderungen insgesamtzu schwach ist.Das hat etwas mit den Arbeitsmarktstrukturen zutun: Sie lassen betriebliche Bündnisse für Arbeit nichtzu. Sie lassen nicht zu, dass die Beschäftigten, der Be-triebsrat und die Unternehmensleitung bei einer Mehr-heit von 75 Prozent eigene Wege finden können. Sie hal-ten das Tarifkartell hoch, weil Sie Angst vor denGewerkschaften haben. Besser wäre es, den Arbeitneh-mern im Betrieb – es geht um deren Job und deren Le-bensperspektive – die Möglichkeit zu geben, selbst zuentscheiden.
Wir setzen dabei einen hohen Anspruch. Das alles wirdverweigert und anschließend wundern Sie sich, dass wirnicht vorankommen.Sie haben das ERP-Vermögen wieder angetastet. Ichhabe sowieso nicht verstanden, weshalb das Wirtschafts-ministerium die Deutsche Ausgleichsbank aus der Handgegeben hat. Eigentlich dürfte mich das nicht wundern;denn Ihr Vorgänger hat wirtschaftspolitische Themenmit nicht allzu viel Tiefgang behandelt.
Sie lassen zu, dass Ihre Förderinstrumentarien schlei-chend ausgehöhlt werden. In diesem Bereich kann manetwas für den Mittelstand tun, der große Probleme hat.
Pro Jahr gibt es 50 000 bis 60 000 Konkurse. Wir strei-ten uns über 30 000 fehlende Ausbildungsplätze inDeutschland, müssen aber jährlich 60 000 Konkurse ver-zeichnen. Wenn wir in einem Jahr diese Konkursquotenicht hätten, hätten wir keine Probleme bei der Ausbil-dungsplatzsituation. Das sind die wahren Zusammen-hänge.
In wenigstens einem Satz will ich exemplarisch sa-gen, was der zweite Kernbereich ist. Dass Arbeitsplätzedurch Verlagerung verloren gehen, ist bei einer offenenWirtschaft und Strukturwandel nicht verhinderbar. Aberes muss Neues entstehen. In Deutschland entsteht aberkaum etwas Neues. Ich nenne nur die Gentechnik. HerrFischer hat es als hessischer Umweltminister fertig ge-bracht, die Insulinproduktion bei den FarbwerkenHoechst aus Hessen und aus Deutschland zu vertreiben.Heute importieren wir künstlich hergestelltes Insulin fürdie Therapie, weil es günstiger ist. Frau Künast ist ge-rade dabei, durch ein Gentechnikverhinderungsgesetz ei-nen Wachstumsbereich, in dem wir echte Chancen hät-ten, neue Arbeitsplätze zu schaffen, neue Perspektivenzu erreichen, kaputt zu machen. Sie arbeitet mit Studienaus den 40er-Jahren über Maisanbau im Kaukasus undähnlich skurrilen Dingen – aus ideologischen Gründen.
Deshalb haben wir zu wenig Zukunftsperspektive. Des-halb kommen wir nicht voran.Wir legen Rückholprogramme für Wissenschaftlerauf. Machen Sie es doch gleich so, dass die Wissen-schaftler hier bleiben, dass sie in Deutschland vernünftigarbeiten können, dass neue Arbeitsplätze entstehen, dassder Strukturwandel vernünftig bewältigt werden kann,statt durch permanente Blockaden zu verhindern, dassdas, was bei uns an Perspektive möglich ist, umgesetztwird! Wir sind nicht blöder als früher. Wir sind nichtfauler als früher. Wir sind in Deutschland falsch aufge-stellt. Teil der falschen Aufstellung ist die Regierung.
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem
Kollegen Otto Fricke, FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen vonder Koalition! Wenn man vom werten Kollegen Kröningzweimal angesprochen wird, muss man auch die Chanceerhalten, dazu kurz Stellung zu nehmen.Herr Kollege Kröning – verehrter Kollege Kröning! –,
erstens zu der Frage, warum ich nicht rede. Meine Frak-tion hat so großes Vertrauen in mich, dass sie mich dieseWoche sogar dreimal reden lässt. Es ist nicht notwendig,dass ich zu jedem Haushalt rede. Was Sie gesagt haben,ist also falsch.Zweitens. Meine Fraktion hat großes Vertrauen in denKollegen Brüderle. Er sagt hier genau die richtigen undnotwendigen Sachen.Drittens sind wir beide uns darüber einig, glaube ich,Herr Kollege Kröning, dass Wirtschaftspolitik und
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13145
(C)
(D)
Otto FrickeArbeitsmarktpolitik nicht nur vom Haushalt, nicht nurvon nüchternen und trockenen Zahlen, sondern zu einemgroßen Teil auch davon abhängig sind, welche Wirt-schaftspolitik und welche Gesetze gemacht werden.
Schließlich, Herr Kollege Kröning, habe ich von Ih-nen gleich am Anfang Ihrer Rede gehört, dass Sie michhier sehr vermisst haben. Das finde ich sehr nett. Daszeigt, dass wir unter uns Haushältern trotz aller Ausei-nandersetzungen immer eine sehr starke Verbundenheithaben.
Aber es ist nicht nur Aufgabe des Haushälters, in denHaushaltsdebatten da zu sein, Herr Kollege Kröning; esist auch Aufgabe des Haushälters, sich darum zu küm-mern, dass der Haushalt in Ordnung kommt. Sie bemü-hen sich gemeinsam mit Ihrem Koaltionspartner nichtdarum, einen verfassungsgemäßen Haushalt hinzube-kommen. Sie bemühen sich nicht, den Haushalt 2004verfassungsgemäß zu machen.
– Herr Kollege Diller, wir schon. Ich kann Ihnen das di-cke Buch noch einmal zum Lesen geben. Vielleicht fälltIhnen doch noch etwas ein. – Deswegen kümmert sichdie FDP-Fraktion gemeinsam mit der CDU/CSU-Frak-tion darum, wie wir vernünftig und Haushältern gemäßnach Karlsruhe gehen, um die Ausgaberitis, die Sie hierwieder betreiben, endlich zu stoppen.Herzlichen Dank.
Kollege Kröning, Sie haben das Wort zur Reaktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es steht
für uns beide fest, Herr Kollege Fricke, dass wir uns höf-
lich behandeln. Ich habe nicht Sie kritisiert; ich fühle
mich aber verpflichtet, Ihre Fraktion zu stellen.
Von Herrn Brüderle ist gesagt worden, dass unzulässi-
gerweise Förderprogramme gekürzt werden. Auf der an-
deren Seite aber verkündet Ihre Fraktion laut „FAZ“
vom heutigen Tag – die nenne ich nur beispielhaft –,
dass Sie weitere Einsparungen in Höhe von 5,6 Mil-
liarden Euro bei Zuwendungen, Zuschüssen und sonsti-
gen Titeln für realistisch halten.
Das mag so allgemein sein, dass das niemand erkennt.
Ich will aber auf die Anträge eingehen, die Sie im Haus-
haltsausschuss gestellt haben. Ich bitte Sie, mir durch
wen auch immer – durch Sie, Ihren Fraktionsvorsitzen-
den oder den fabelhaften Herrn Brüderle, zu dessen Aus-
führungen mir nur noch der Satz einfällt: same proce-
dure as every year –
zu sagen, was Sie mit Ihrer Kritik an der gesetzlichen
und finanziellen Förderpolitik des Bundes gemeint ha-
ben. Im Haushaltsausschuss haben Sie Kürzungen vor-
geschlagen, die nicht nur die Förderprogramme Pro Inno
und Inno-Watt betreffen, die ich vorhin erwähnt habe,
sondern zum Beispiel auch die Förderung von Existenz-
gründungen und Technologietransfer, die Förderung der
Innovationsfähigkeit von mittleren und kleineren Unter-
nehmen und die Förderung der Errichtung, Modernisie-
rung und Ausstattung von überbetrieblichen Fortbil-
dungseinrichtungen. Durch Kürzungen in diesen und
vielen weiteren Punkten sollen im Bereich der Mittel-
standspolitik nach Ihren Vorstellungen insgesamt
20 Prozent eingespart werden. Sie verhalten sich unauf-
richtig, wenn Sie diese Frage nicht aufklären.
Das Wort erteile ich Kollegin Anja Hajduk,
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-ren! Ich möchte vorab eine Bemerkung machen, dienicht unmittelbar im Zusammenhang mit dieser Debattesteht. Orange ist die Farbe der Opposition in derUkraine. Ich glaube, heute ist ein Tag, an dem wir mitden Orangen auf unseren Plätzen in diesem Haus unsereSolidarität mit der Opposition in der Ukraine zeigensollten.
– Ich sehe, wir sind uns darüber in diesem Hause einig.Wir können nur wünschen, dass der Kampf der Opposi-tion um die Anerkennung ihres Erfolges auf friedlicheWeise gelingt.
Nun zurück zum Haushalt: Der Haushalt des Bundes-ministeriums für Wirtschaft und Arbeit ist der Haushaltmit den größten Veränderungen auf der Ausgabenseite.Das hängt hauptsächlich natürlich mit der sehr schwieri-gen Situation, die wir auf dem Arbeitsmarkt haben, zu-sammen. Es wurde hier schon erwähnt, dass die Zahlvon derzeit 4,5 Millionen Arbeitslosen aufgrund der sta-tistischen Veränderungen im Winter möglicherweise inRichtung 5 Millionen geht.
Metadaten/Kopzeile:
13146 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Anja HajdukGerade da es aber der Haushalt mit den größten Ver-änderungen ist, kann man am Umgang mit diesem Haus-halt ablesen, wie überzeugend bzw. wie widersprüchlichund hilflos die Änderungsvorschläge der Oppositionsind. Ich muss damit beginnen, weil hier von den Kolle-gen Fuchtel und Brüderle Vorwürfe gegen uns erhobenwurden. Der Kollege Fuchtel hat gesagt, die Union habeden Mut zum rigorosen Sparen. Vielleicht genauso ge-meint, aber in sich vollkommen widersprüchlich wirftuns der Kollege Austermann vor, wir würden einen un-seriösen Haushalt vorlegen, der nicht den Prinzipien vonHaushaltsklarheit und -wahrheit entspreche.
Dazu sage ich Ihnen Folgendes: Wir haben in denHaushaltsberatungen den Ansatz für den Arbeitsmarkt-bereich nach oben korrigieren müssen, weil wir auf einVermittlungsausschussergebnis reagieren mussten, fürdas auch Sie die Verantwortung tragen. Demnach wer-den die Kommunen um weitere 1,4 Milliarden entlastetwerden. Sie haben auch unsere Entscheidung gebilligt,den Auszahlungstermin für das neue Arbeitslosengeld IIauf Januar zu legen. Das ist richtig, und das alles kostetuns 2,2 Milliarden mehr. Schließlich haben wir den Etaterhöht, weil es aufgrund der neuen wirtschaftlichen Da-ten bezüglich des Gesamtvolumens für das Arbeits-losengeld II im Jahre 2005 höhere Risiken gibt und weildie Bundesagentur für Arbeit mehr Geld braucht. Wirhaben also für Haushaltswahrheit und -klarheit gesorgt,indem wir den Ansatz um insgesamt 3,8 Milliarden er-höht haben. Was machen Sie? Sie wollen einfach noch2 Milliarden streichen. Sie schaffen damit allein im Ar-beitsmarktbereich eine Risikolücke für das Ministeriumfür Wirtschaft und Arbeit in Höhe von über 5 Milliarden.
Das ist in höchstem Maße fahrlässig und unseriös. Ichwürde sogar so weit gehen, zu sagen, das, was Sie hierveranstalten, ist Betrug an der Öffentlichkeit.
Ich will auch etwas zu dem so mächtigen Wort, Rotund Grün mache arm und arbeitslos, sagen. Das ist einemaßlose Unverschämtheit.
Herr Fuchtel, der Kollege Laumann aus Ihrer Fraktionhat Sie zum Glück aufgefordert: Herr Fuchtel, sagen Sieeinmal, was wir beantragen. Darauf haben Sie geantwor-tet: Wir wollen jetzt 1 Milliarde Euro bei der Arbeitslo-senhilfe streichen, weil sich Rot-Grün damit nur einPolster anlegt. – Das ist eine maßlose Frechheit.
Denn diese 1 Milliarde Euro wird – das war schon im-mer so – als Dezembergeld für die Arbeitslosenhilfe-empfänger im Januar etatisiert. Dieses Geld wollen Sieeinfach einkassieren. Den Mut, das mit einer gesetzli-chen Änderung zu erwirken, haben Sie aber nicht. Sieunterstellen uns, wir würden auf diese Weise ein Polsterschaffen. Aber wenn hier jemand die Leute arm machenwürde, dann die, die diesen Antrag durchsetzen würden,und das sind Sie. Wir werden das jedoch nicht mitma-chen.
Frau Kollegin, gestatten Sie ein Zwischenfrage des
Kollegen Austermann?
Wenn es denn der Erhellung der CDU/CSU dient,
gerne.
Frau Kollegin Hajduk, sind Sie bereit, erstens zur
Kenntnis zu nehmen, dass die Tatsache, dass die FDP
und wir Änderungsanträge zu diesem Haushalt gestellt
haben, nicht bedeutet, dass wir uns für den Haushalt ins-
gesamt für verantwortlich erklären, und zweitens, dass
wir gemeinsam in der letzten Sitzung des Haushaltsaus-
schusses 1,4 Milliarden Euro mehr zur Verfügung ge-
stellt haben, die zusätzliche Ausgaben für die Arbeitslo-
senhilfe im November und Dezember abdecken sollten,
dass wir nach dieser Entscheidung sagen, dass für die
Arbeitslosenhilfe im Januar – die Arbeitslosenhilfe hat
eine Rekordhöhe von 18,8 Milliarden Euro erreicht, weil
es noch nie so viele Langzeitarbeitslose gab – nicht noch
ein Betrag von 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung ge-
stellt werden muss, und dass wir den Betrag aus diesem
Grunde streichen wollten? Sind Sie bereit, das zur
Kenntnis zu nehmen?
Ich bin froh, dass Sie diese Frage stellen, denn ichhoffe, dass Sie nach meiner Antwort verstehen, worumes bei diesen 1,5 Milliarden Euro im Januar eigentlichgeht. Ich bin bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass Sieder diesjährigen Nachveranschlagung für die Arbeitslo-senhilfe zugestimmt haben.
Aber die Arbeitslosenhilfe wird doch immer am Ende ei-nes Monats gezahlt und im folgenden Monat etatisiert.
Sie haben einem Betrag zugestimmt, der nur für die Zah-lungen an die Arbeitslosenhilfeempfänger reicht, diedem Monat November zuzuordnen sind.Ich möchte nur, dass Ehrlichkeit in diese Debatte ein-kehrt,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13147
(C)
(D)
Anja Hajdukauch bei Ihnen. Dazu gehört, zu sagen, dass die Zahlung,die im Januar etatisiert wird, sich auf die Zahlung für dieArbeitslosenhilfeempfänger im Dezember bezieht. WennSie bei den Arbeitslosenhilfeempfängern keine tatsächli-che Kürzung wollen, bitte ich Sie, zuzugeben, dass Siesich geirrt haben und Ihre Milliardenentlastung eineLuftnummer ist. Dann sind wir uns einig.Ich will Ihnen nur eines noch in Erinnerung rufen,Herr Austermann, denn ich bin sehr für eine sachlicheDebatte. Ihre Zustimmung zu der Nachveranschlagungbei der Arbeitslosenhilfe war richtig. Ich konnte aberüberhaupt nicht nachvollziehen, dass Sie sich bei derVeranschlagung des Arbeitslosengeldes II ausgerechnetbei der Entlastung der Kommunen bei den Unterkunfts-kosten – Ergebnis des Vermittlungsausschusses –, beidiesen zusätzlichen 1,4 Milliarden Euro, die Sie unbe-dingt wollten, im Haushaltsausschuss enthalten haben.
Das ist völlig lächerlich. Ich finde, Sie sollten so vielGradlinigkeit besitzen, zu den Sozialreformen, denen Siezugestimmt haben, auch hier im Plenum zu stehen. Dasdarf die Öffentlichkeit auch von einer Opposition erwar-ten.
Kollegin Hajduk, gestatten Sie eine Nachfrage des
Kollegen Austermann und dann eine weitere Zwischen-
frage des Kollegen Fuchtel?
Ja, es ist ja ein wichtiges Thema.
Frau Kollegin, ich sage es noch einmal: Dass wir zu
verschiedenen Punkten Änderungsanträge vorgelegt ha-
ben, bedeutet nicht, dass wir uns mit dem Gesamtkon-
zept von Hartz IV, wie es jetzt kalkuliert ist, einverstan-
den erklären. Deshalb haben wir uns an dieser Stelle
enthalten. Dass die Kalkulation bei Hartz IV vorne und
hinten nicht aufgeht, weiß inzwischen jeder. Sie selbst
haben an anderer Stelle gesagt, Sie sehen dort große Ri-
siken. Deswegen werden Sie sich nicht wundern, dass
wir uns – ich glaube, das können Sie verstehen und den
Menschen auch erläutern – an dieser Stelle enthalten ha-
ben. Sind Sie bereit, das zur Kenntnis zu nehmen?
Ich bin bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass Sie un-
sere Konzepte nicht mittragen wollen; denn es handelt
sich um schwere Entscheidungen, die Sie dann noch
konsequenter mitverantworten müssten. Ich gestehe Ih-
nen zu, dass Sie das nicht tun. Aber ich erlaube mir hier
auch, einen Widerspruch deutlich zu machen: Sie unter-
veranschlagen im Arbeitsmarktbereich, Ihre Haushalts-
planung enthält zu große Risiken und Sie wären dafür
verantwortlich, dass noch einmal 5 Milliarden Euro we-
niger dort etatisiert wären. Diesen Widerspruch haben
Sie zu verantworten. Ich lege Wert darauf, dieses hier
deutlich zu machen.
Kollege Fuchtel.
Meine erste Frage. Frau Kollegin Hajduk, sind Sie be-
reit, zur Kenntnis zu nehmen, dass meine Aussage, Rot-
Grün mache arm und arbeitslos, sich auf die Gesamtsitua-
tion bezieht, die aufgrund der hohen Zahl von Arbeits-
losen in unserem Land, sowohl in Ost als auch in West,
eingetreten ist? Darauf können Sie nicht einfach mit
Nein antworten. – Das ist meine erste Frage.
Herr Kollege Fuchtel, Sie müssen sich schon ent-
scheiden, ob Sie eine oder mehrere zusammenhängende
Fragen stellen wollen.
Dann stelle ich noch eine zweite Frage. Sind Sie be-
reit, zur Kenntnis zu nehmen, dass in einem Schreiben
des Finanzministeriums – das ist die Ausschussdruck-
sache 15/2493 des Haushaltsausschusses – die über-
planmäßige Ausgabe in Höhe von rund 1,4 Milliarden
Euro damit begründet wird, dass der Bedarf für die Mo-
nate November und Dezember 2004 abgedeckt werden
solle?
In diesem Schreiben steht nicht, dass der Bedarf noch
höher liegt. Es wurde der Eindruck erweckt, dass mit
diesem überplanmäßigen Ausgabenbedarf der gesamte
zusätzliche Bedarf abgedeckt wird. Aber heute nehmen
Sie eine ganz andere Haltung ein. Im Übrigen wissen Sie
sehr wohl, dass alle Titel deckungsfähig sind. Oder ist
Ihnen das in diesen Minuten am Rednerpult entfallen?
Zur zweiten Frage. Herr Fuchtel, ich bin bereit, Ihnendas in einem Vieraugengespräch außerhalb des Plenumsnoch einmal zu erklären,
da Sie es offenbar immer noch nicht verstanden haben.
Zur ersten Frage möchte ich sagen: Ich bin durchausbereit, anzuerkennen, dass Sie sich mit unserer Politikinsgesamt nicht einverstanden erklären wollen. Das ent-nehme ich Ihrer frechen Behauptung, unsere Politik ma-che arm und arbeitslos. Ich stelle fest: Wenn es konkretwird, dann verdrücken Sie sich. Das ist unredlich.
Ich möchte an dieser Stelle deutlich machen: DiePolitik von Rot-Grün im Bereich des Arbeitsmarktes ist
Metadaten/Kopzeile:
13148 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Anja Hajdukgar nicht so einfach. Sie bedeutet nämlich Einschränkun-gen, zum Beispiel Einschränkungen durch Hartz III undHartz IV. Es geht also nicht nur um die Zusammenle-gung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, sondernauch – das habe ich schon erwähnt – um die Verkürzungder Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes auf maximal12 bzw. 18 Monate. Das wird zu einer großen Entlastungab den Jahren 2007 und 2008 führen. Auch diese lang-fristige Wirkung ist sehr wichtig; denn wir müssen auchauf lange Sicht den Haushalt strukturell auf feste Füßestellen.Wir können heute lesen – das ist eine gute Nachricht –,dass die Praxis der Frühverrentung zurückgegangenist. Es ist wichtig, dass wir in diesem Bereich umsteuernund umdenken. Wir schaffen die Voraussetzungen – dasist für uns eine große Herausforderung –, dass die Ver-mittlungsbemühungen der Bundesagentur auch mitBlick auf die Arbeitgeber intensiviert werden.Ich möchte noch erwähnen, dass man heute schonspüren kann, dass die Bundesagentur ihre Aufgabe, ihreHaushaltsmittel effizient einzusetzen, sehr ernst nimmt.Im Jahr 2004 gab es auf dem Arbeitsmarkt keine Entlas-tung. Die Situation bleibt weiterhin sehr schwierig. MitBlick auf die Opposition möchte ich sagen: Wenn derBundesagentur wegen der schlechten Entwicklung aufdem Arbeitsmarkt Mittel in Höhe von über 1 Milliar-de Euro fehlen, dann ist es eine große Leistung – dasmüssen auch Sie anerkennen –, dass sie durch Um-schichtung der Ausgaben ungefähr mit den Mitteln aus-kommt, die wir veranschlagt haben. Diese neue Politikder Bundesagentur sollten wir alle würdigen. Sie istnicht einfach durchzusetzen; denn sie betrifft auch Maß-nahmen für Arbeitslose, die an der einen oder anderenStelle nicht mehr so gefördert werden können wie früher.Aber insgesamt muss man sagen, dass dies der richtigeAnsatz ist. Das muss einmal deutlich gesagt werden. Eszeichnen sich auch schon Erfolge ab.
Ich möchte jetzt auf die FDP eingehen. Bei der Bera-tung dieses Haushaltes – auch Sie sagen, man braucheMut zum rigorosen Sparen – haben Sie nicht nur für denBereich des Arbeitsmarktes, wie ich finde, völlig un-seriöse Sparvorschläge gemacht. Sie haben auch in demBereich Förderung der Leistungs- und Wettbewerbs-fähigkeit kleinerer und mittlerer Unternehmen und vorallem auf dem Gebiet Forschung, Entwicklung undInnovation im Bereich des Mittelstandes Kürzungsvor-schläge mit einem Volumen von rund 130 MillionenEuro vorgelegt.Als Haushälterin habe ich gewiss Respekt davor,wenn man auch bei Dingen, die man im Prinzip für guthält, um Einsparungen wirbt. Aber vorzuschlagen, Mit-tel für Forschung, Entwicklung und Innovation in einemBereich, wo dies für unseren wirtschaftlichen Standortwirklich wichtig ist, in einem solchen Ausmaß zu rasie-ren, sich jedoch bei der Abschaffung der Eigenheimzu-lage stur zu stellen, lässt darauf schließen, dass Sie imMoment wirtschaftspolitisch ein großes Kompetenzlochhaben.
Das ist natürlich schwer für eine Partei, die immer fürden Mittelstand eingetreten ist.
Herr Brüderle, stellen Sie einen Kontakt zwischen Ih-ren Haushältern und Ihren Wirtschaftspolitikern her!Das müssen Sie bereinigen; das passt auf keine Kuhhaut.Haben Sie mehr Mut beim Subventionsabbau!
Kollegin Hajduk, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein. Ich möchte jetzt zum Schluss kommen.
Ich möchte zum Abschluss ein Wort zur Steinkohle
sagen; denn das ist der Subventionsabbaubereich, bei
dem Sie uns Vorwürfe machen. Dazu muss ich ganz
deutlich sagen: Sowohl der Vorschlag von der CDU/
CSU als auch der von der FDP, die in diesem Bereich ge-
währten Subventionen im nächsten Jahr einfach auf null
zu setzen, ist nicht ehrlich. Da gibt es gesetzliche Festle-
gungen.
Wir Grünen sind gewiss für eine stärkere Regression
der Steinkohlesubventionen. Aber ich sag Ihnen eines
– Herr Präsident, ich bin gleich fertig –: Wir machen ei-
nen realistischen und stärkeren Subventionsabbau. Nicht
nur die Summe reduziert sich. Wir haben vielmehr mit
unserem Koalitionspartner vereinbart, dass der Welt-
marktpreis, wenn er hoch bleibt, bei der nächsten Runde
der Kohlefinanzierung tatsächlich zusätzlich subven-
tionsmindernd wirken wird. Das sind realistische Pers-
pektiven für einen stärkeren Subventionsabbau.
Mehr Realismus, mehr Ehrlichkeit hat die Bevölke-
rung in so schweren Zeiten verdient. Sie bauen immer
nur Luftschlösser auf und verwenden kraftvolle Worte.
Wenn aber schwierige Dinge zu entscheiden sind, dann
schlagen Sie sich in die Büsche. Das ist traurig, aber lei-
der wahr.
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem
Kollegen Rainer Brüderle.
Kollegin Hajduk, nachdem Sie meine Zwischenfragenicht zugelassen haben, will ich auf diese Weise klarstel-len: Wir alle reden seit Jahren über den Subventionsab-bau.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13149
(C)
(D)
Rainer Brüderle
– Wenn ich Sie sehe, immer. Dann kommt mir alleshoch. – Wir kommen aber trotz aller Diskussionen unddes Weltökonomen Kuhn seit Jahren im Subventionsab-bau nicht voran.Jetzt sagt die FDP: Wir müssen endlich in den Abbauvon Subventionen einsteigen. Dieser Abbau sollte quer-beet um 20 Prozent erfolgen. Denn keiner kann behaup-ten, dass er, wenn er nur noch über 80 Prozent der Mittelverfügt, seine Aufgabe nicht mehr erfüllen kann. Es wirdnur gehen, indem Sie mit der Rasenmähermethode ein-steigen. Der Subventionsabbau ist seit vielen Jahren einLadenhüter. Deshalb wurde dieser Ansatz gewählt. Siekönnen nicht so vorgehen, dass es an einer bestimmtenStelle nicht sein darf. Wenn Sie in den Subventionsabbaueinsteigen, dann müssen Sie querbeet alle Subventionenum 20 Prozent heruntersetzen.Zur Eigenheimzulage. Die Eigenheimzulage gehörtim Rahmen einer vernünftigen Steuerreform abge-schafft; das ist völlig richtig. Aber sie jetzt isoliert abzu-schaffen, ohne gleichzeitig steuerlich zu entlasten, heißt,dass Sie faktisch die Steuern erhöhen und der Not lei-denden Bauwirtschaft, der es am schlechtesten von allenSektoren geht, noch einen Tritt draufsetzen.
Reden Sie einmal mit der IG BAU oder mit anderen, dieetwas davon verstehen. Ein isolierter Abbau ohne eineEntlastung ist eine Steuererhöhung.
In einer Zeit, in der die Binnenkonjunktur seit vierJahren lahmt, Steuererhöhungen zu betreiben heißt, dassSie die Einführungsvorlesung in die Volkswirtschafts-lehre nachholen müssen – vielleicht gemeinsam mit demWeltökonomen Kuhn, der immer durch große Originali-tät glänzt.
Kollegin Hajduk.
Herr Kollege Brüderle, ich bin überzeugt: Wir brau-
chen diese volkswirtschaftliche Vorlesung gar nicht, son-
dern – ich sage das noch einmal – mehr Ehrlichkeit in
dieser Debatte. Die Steuern werden zum 1. Januar nächs-
ten Jahres gesenkt. Daher besteht jetzt die Möglichkeit
– das sagen uns die Sachverständigen –, den Subven-
tionsabbau anzugehen. Das ist in der volkswirtschaftli-
chen Diskussion ganz unstrittig. Leider wollen Sie da
nicht mitmachen. – Das zur Eigenheimzulage. Hier kann
man natürlich unterschiedlicher Meinung sein, wenn
man von dieser Zulage überzeugt ist.
Jetzt möchte ich noch etwas zum Subventionsabbau
sagen; denn Sie haben gerade gesagt, man müsse Mut
zur Rasenmähermethode im Haushalt haben. Wenn Sie
meinen Worten nicht folgen wollen, dann nehmen Sie
doch wenigstens Ihren eigenen Antrag ernst, den Sie die-
sem Hause im Sommer vorgelegt haben. Darin haben
Sie ein Subventionsabbaugesetz vorgeschlagen, in dem
es in erster Linie darum ging, alle steuerlichen Subven-
tionstatbestände, damit auch die Eigenheimzulage, abzu-
schaffen. Sie haben die sofortige Abschaffung dieser
Steuersubventionen gefordert. Darüber hinaus hieß es,
wenn es Subventionen geben soll, dann höchstens als be-
fristete und degressive Finanzhilfen.
Wir steuern um, wir geben Finanzhilfen, befristet und
degressiv. Wir werben bei Ihnen für Ihr Mitmachen im
Bundesrat, wir werben für den Steuervergünstigungsab-
bau. Sie müssen sich Ihren Antrag noch einmal verge-
genwärtigen, Sie sollten ihn auch dem Kollegen
Westerwelle zeigen; denn er hat das in der gestrigen De-
batte ganz anders dargestellt.
Nehmen Sie sich doch selber ernst! Dann kommen
wir einen Schritt voran. Damit wäre auch dem Haushalt
gedient.
Das Wort zu einer weiteren Kurzintervention erteile
ich dem Kollegen Wolfgang Gerhardt.
Zur Erläuterung, damit wir nicht dauernd im Disputstehen, ohne dass jemand Gelegenheit erhält, dazu län-gere Ausführungen zu machen.
Der Mittelstand, Herr Kröning, verlangt nicht per-manente Finanzhilfen und Zuweisungen. Der Mittel-stand verlangt eine klare Wettbewerbschance durchSteuersenkungen.
Deshalb ist der Kern der Mittelstandsförderung nicht dasProgramm, das Sie über Finanzhilfen und Dienstleistun-gen bei hohen Steuersätzen vorsehen. Wir wollen dieSteuern senken und dem Mittelstand Wettbewerbs- undChancengerechtigkeit durch niedrigere Steuern geben.Das Gleiche gilt für die Forschungslandschaft. Derdeutschen Forschungslandschaft helfen finanzielle Zu-wendungen allein nicht, ihr wäre durch eine Autonomieder Hochschulen,
durch eine klare Deregulierung, durch die Eröffnung vonForschungschancen in Deutschland auf Märkten, die dieGrünen bisher völlig blockieren, geholfen.
Metadaten/Kopzeile:
13150 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Dr. Wolfgang GerhardtDeshalb ist der Kern Ihrer Einwendungen an uns,Frau Kollegin Hajduk und Herr Kollege Kröning, völligverfehlt.
Wir wollen den Subventionsabbau und Einsparungen imHaushalt, um Spielräume für Steuersenkungen zu er-möglichen, damit sich die Beschäftigungsdynamik ent-falten kann.
Sie beschränken sich auf kleines Karo, nahezu auf Pe-pita,
auf dem ich nicht Schach spielen kann, wenn ich volks-wirtschaftliche Zusammenhänge bewerte.
Kollegin Hajduk.
Ich will das nur kurz kommentieren. Wir stehen dazu,
dass wir den Schwerpunkt der staatlichen Förderung auf
den Bereich Forschung und Innovation setzen. Auch Sie
sind dafür, bestimmte Dinge staatlich zu unterstützen.
Ich nehme zur Kenntnis, dass Sie in diesem Bereich, ins-
besondere für den Mittelstand, der es schwer hat, eigene
Forschungsinitiativen allein voranzubringen, Absenkun-
gen wollen. Ich glaube, es ist für Sie im Moment schwie-
rig,
hier öffentlich dazu stehen zu müssen, dass Sie in die-
sem Forschungs- und Entwicklungsbereich einen über-
proportionalen Eingriff vornehmen wollen. Ich halte
diese überproportionale Absenkung für falsch und bin
sehr dafür, dass Rot-Grün bei der Unterstützung der In-
novationsfähigkeit unserer Gesellschaft vorangeht und
nicht bei alten Hüten bleibt.
Nun erteile ich dem Kollegen Arnold Vaatz, CDU/
CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! GestattenSie mir eingangs einen Satz zur Ukraine. Es ist uns– das erkläre ich namens meiner Fraktion – genauso wieder Fraktion der Grünen ein Anliegen – ich nehme an,das gilt für alle Fraktionen in diesem Haus –, dass es diedemokratischen Kräfte in der Ukraine erreichen, dass dieVerhältnisse in der Ukraine nicht wieder so werden, wiesie vor dem Fall des Eisernen Vorhangs in Europa wa-ren. Dafür haben sie unsere Solidarität.
Ich halte es für richtig, dass wir das auch optisch durcheine Orange zum Ausdruck bringen. Orange ist dieFarbe der Hoffnung in der Ukraine, es ist im Übrigenauch die Farbe der CDU.
Ich möchte Sie von der Koalition aber auch daran er-innern, dass Sie den Bundesaußenminister stellen. Wirerwarten vom Bundesaußenminister, dass er zu dieserSituation klare Worte äußert. Dem sollte auch eine allzuenge Männerfreundschaft zu Politikern einer anderenPartei nicht im Wege stehen.
Kommen wir zum Einzelplan Wirtschaft und Arbeit.Diese Aussprachen dienen ja immer einer grundsätz-lichen Verständigung über die Regierungspolitik. In die-sem Zusammenhang möchte ich Sie zunächst einmal anein Wahlversprechen erinnern. Die SPD hat im Jah-re 1998 den Wahlkampf mit der klaren Zielsetzung ge-führt, die Arbeitslosigkeit in Deutschland signifikantabzusenken. Insbesondere wir in Ostdeutschland habenauf diese Ankündigung Hoffnungen gesetzt. In Ost-deutschland waren die Chancen für eine Absenkung derArbeitslosigkeit damals auch gar nicht so schlecht. Dennes gibt ja in Ostdeutschland gleichzeitig das dramatischedemographische Problem, das darin besteht, dass we-sentlich mehr ältere Arbeitnehmer aus dem Arbeitspro-zess ausgeschieden sind, als junge in ihn eingetretensind. Wenn also die Zahl der Arbeitsplätze in Ost-deutschland nur konstant geblieben wäre, hätten wirschon mit einer leichten Entspannung rechnen können.Heute, sechs Jahre danach, müssen wir feststellen: Es istnichts, aber auch gar nichts von dieser Versprechung, dieArbeitslosigkeit in Deutschland signifikant zu senken,eingelöst worden.
Das ist leider die Realität. Es nützt nichts, wenn das ver-drängt wird; es nützt nichts, wenn beispielsweise derHerr Bundeskanzler gestern – ich habe ganz genau zuge-hört – über die Lage in Ostdeutschland und über die imVergleich zum Westen doppelt so hohe Arbeitslosigkeitüberhaupt kein einziges Wort verliert. Ich denke, das isteine Provokation und ein Stück Realitätsverweigerung.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13151
(C)
(D)
Arnold VaatzEs wäre eigentlich vom gesunden Menschenverstandher zu erwarten, dass man sich im Haushalt des Bundes-ministers für Wirtschaft und Arbeit dieser Lage annimmtund dass aus diesem Haushalt heraus Impulse gegebenwerden, die Wege aus diesem Dauerdilemma weisen undvielleicht auch den Menschen im Osten ein Stück weitHoffnung geben, dass sie im Vergleich zu den Menschenim Westen etwas stärker aus dem Dilemma der Arbeits-losigkeit herauskommen. Das Problem ist, dass ich sol-che Impulse – da bin ich nicht allein; auch die Kollegenvon der FDP sind dieser Ansicht – nicht erkennen kann.Es ist wiederum ein Reparaturhaushalt, in dem nicht dieFrage nach dem Aufwuchs von neuen Arbeitsplätzen inden Mittelpunkt gestellt wird, sondern in dem man sichder Verwaltung von Dauerarbeitslosigkeit widmet.Im Übrigen haben sich die Aussichten in Ostdeutsch-land auch nicht durch Hartz IV verbessert. Ich sage Ih-nen heute von dieser Stelle aus: Im nächsten Jahr werdenwir feststellen,
dass durch die Einführung von Hartz IV in Ostdeutsch-land keine zusätzlichen Arbeitsplätze geschaffen wordensind.
Das prognostiziere ich hier. In einem Jahr werden wiruns ja bei dieser Gelegenheit wieder sehen.Im Übrigen haben Sie auch die Randbedingungen zurUmsetzung von Hartz IV in Ostdeutschland keineswegsgünstig gestaltet. Ich darf nur daran erinnern, dass dieKommunen oder die Landkreise, die optieren werden,dadurch teilweise finanziell so überfordert werden, dasssie hinterher trotz der Kompensation schlechter dastehenwerden als vorher. Das hängt mit der Art der Verteilungdieser 1 Milliarde Euro Kompensation zusammen, diesich ganz stark zulasten der ostdeutschen Kommunen,die optieren werden, auswirken wird.
– Das ist keine Schwarzmalerei; vielmehr werden Sie se-hen: Das ist die Realität. Wer sich schon so oft getäuschthat wie Sie, der sollte mit Vorwürfen wie „Schwarzmale-rei“ sehr vorsichtig sein.
Wir alle wissen, dass es kein Patentrezept gibt, um dieLage in Ostdeutschland schlagartig zu verbessern; dassagen uns auch die Wirtschaftsforschungsinstitute.Herr Clement, Ihr Kollege Stolpe denkt laut darübernach, wie er Wachstumskerne schaffen kann; das ist mei-nes Erachtens falsch. Schaffen soll die Regierung keineWachstumskerne, sondern Rahmenbedingungen dafür,dass Wachstumskerne entstehen und sich entwickelnkönnen; das ist die richtige Denkweise.
Genau diese Rahmenbedingungen sind in Ostdeutsch-land nicht optimal. Dafür will ich Ihnen ein Beispielnennen: die Energiepolitik. Die sächsischen Grünen ha-ben im letzten Landtagswahlkampf mit dem Slogan aufsich aufmerksam gemacht, dass sie den Ausstieg aus dersächsischen Braunkohleverstromung wollen. DieserBereich ist in Ostdeutschland allerdings einer der ganzwenigen Anker für Dauerbeschäftigung. Diese Theseverfängt außerdem nur in Städten, in denen man zu denBedingungen in den weiter abseits gelegenen Regionengar keine richtige Bindung mehr hat. Ganz abgesehendavon sage ich Ihnen Folgendes: Das Problem ist, dassder Ausstieg aus der ostdeutschen Braunkohleverstro-mung tatsächlich vorprogrammiert ist, zwar nicht kurz-oder mittelfristig, aber langfristig.Aus welchen Gründen? Der erste Grund ist, dass esweiterhin bei der marktverzerrenden Bevorzugung derrheinischen Steinkohle durch Subventionszahlungenbleiben wird. Dadurch werden die Marktchancen verrin-gert.Der zweite Grund ist, dass die Brennstoffbezogenheitbei der Zuteilung von Verschmutzungslizenzen laut Na-tionalem Allokationsplan abgelehnt worden ist. Was be-deutet das? Das bedeutet, dass der naturgemäß geringereWirkungsgrad bei der Verstromung von ostdeutscherBraunkohle für diese wettbewerbsverschärfend zu Bu-che schlagen wird. Jetzt können wir zwar bis zum Endeder Abschreibungsdauer der neuen und nach höchstenUmweltstandards gebauten Kraftwerke mit der Braun-kohleverstromung rechnen. Aber es wird nicht den ge-ringsten Anreiz dafür geben, diese Art der Energiege-winnung über diesen Zeitraum hinaus fortzusetzen undneu zu investieren. Das wird nicht geschehen.Der dritte Grund ist, dass Sie den Preislevel der inDeutschland erzeugten Energien durch die Vergütung fürdie Einspeisung von alternativen Energien so weit nachoben drücken, dass wir mittelfristig sowieso nicht kon-kurrenzfähig sein werden.
Hinzu kommen noch die Kosten, die Sie werden aufbrin-gen müssen, um aus der Nutzung der Kernkraft auszu-steigen und sie zu substituieren. Für all das haben Siekeinerlei Vorkehrungen getroffen. Das wird unsere Wirt-schaft, im Osten wie im Westen, im Mark treffen.
Meine Damen und Herren, die Wirtschaft erwartetvon Debatten wie dieser klare Signale. Das von IhremHaushalt ausgehende Signal bedeutet für die ostdeutscheWirtschaft keine freie Fahrt; denn die Mittel für Ost-deutschland werden um fast 400 Millionen Euro gekürzt.In diesem Betrag eingeschlossen sind 155 MillionenEuro für die Verbesserung der regionalen Wirtschafts-struktur sowie 7 Millionen Euro für die Förderung des
Metadaten/Kopzeile:
13152 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Arnold VaatzAbsatzes ostdeutscher Produkte. Die Mittelstandsförde-rung ist seit 1998 um insgesamt 50 Prozent zurückge-gangen,
obwohl Sie immer betonen, dass der Mittelstand dergrößte Hoffnungsträger unserer Wirtschaft ist.
Das Mindeste, was in den neuen Ländern bzw. inganz Deutschland gebraucht wird, ist Planungssicher-heit. Allerdings habe ich gelesen, dass Sie in Ihren Haus-halt eine globale Minderausgabe in Höhe von 65 Millio-nen Euro einstellen werden.Herr Clement, erinnern Sie sich bitte an die Argu-mente für den Tanz um die Auszahlung der GA-Mittel indiesem Jahr: Auch dieses Argument war dabei. Ich be-schwöre Sie: Nutzen Sie dieses Argument nicht nocheinmal, um den Auszahlungsprozess zu verzögern. AmEnde sehen wichtige Unternehmen von ihrer Absicht, inOstdeutschland zu investieren, ab.
Ein wichtiger Punkt der Planungssicherheit ist auchdie Frage, wie es mit dem Solidarpakt weitergeht. Dazukann ich Ihnen nur sagen: Wir brauchen eine Spezifizie-rung der zugesagten Solidarpaktmittel in Höhe von156 Milliarden Euro. Diese Mittel dürfen nicht zur Dis-position gestellt werden – und das können sie, solangesie nicht spezifiziert sind. Dass die Sorge um Kürzungenberechtigt ist, zeigen die Kürzung der GA-Mittel und dieschleichende Kürzung des Plafonds für die Investitions-zulage von 2,34 Milliarden Euro 2004 und auf rund600 Millionen Euro 2005. Beide Förderinstrumente,Herr Clement, sind wesentliche Bestandteile des Soli-darpaktes.Aus Zeitgründen kann ich jetzt nicht mehr auf einenweiteren Punkt eingehen, der uns sehr am Herzen liegt.Alles das, was Sie im Haushalt vorsehen, ist nicht mit ei-ner plausiblen Weichenstellung für die Reduzierung vonBürokratie und die Verkürzung von Genehmigungsver-fahren verknüpft. Sie haben mit der Verlängerung desVerkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes um einJahr einen ordentlichen Ansatz gemacht. Das reicht abernicht aus und das wissen Sie auch ganz genau: Sie wis-sen, was wir für Planungszeiten haben. Wir brauchen fürdie gesamten Planungen Dispositionssicherheit und auchfür Anschlussplanungen, die sich aus vorhergehendenPlanungen ergeben. Ich bitte Sie also, setzen Sie endlichZeichen, damit wenigstens die Bürokratie und die Zähig-keit der Genehmigungsverfahren in Ostdeutschland einbisschen zurückgehen, sodass wieder etwas stärkereHoffnung auf einen Aufwuchs von Infrastruktur und da-mit ermöglichte neue Arbeitsplätze entsteht.Vielen Dank.
Ich erteile dem Bundesminister für Wirtschaft undArbeit, Wolfgang Clement, das Wort.Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaftund Arbeit:Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich grüßeSie sehr herzlich. Ich bin dieser Debatte sehr aufmerk-sam gefolgt. Ich bin sehr dankbar für das, was in denAusschüssen und auch heute zu den Haushaltsberatun-gen beigetragen worden ist. Ich habe teilweise erregendeBeiträge gehört,
beispielsweise von Ihnen, Herr Kollege Brüderle, demrheinland-pfälzischen Ökonomen. Ich habe Ihren Bei-trag zur Eigenheimzulage aufmerksam verfolgt, wie Siesie begründet haben: auch mit den strukturellen Proble-men, unter denen die Bauwirtschaft derzeit leidet. FälltIhnen dabei nicht auf, dass Sie der Kohle im Grunde ge-nommen das gleiche Argument widmen müssten?
Wenn Sie sich etwas aus Rheinland-Pfalz herausbewe-gen, nach nebenan, ins Saarland oder nach Nordrhein-Westfalen, in eine Bergbauregion, in eine Bergbaustadt,dann sehen Sie, wie die Bergbauförderung, die finan-zielle Unterstützung der Kohleförderung
für den Mittelstand dort – das geht auch an die Adressevon Herrn Gerhardt, der über den Mittelstand gespro-chen hat – von ausschlaggebender Bedeutung ist.
Im Übrigen, Herr Kollege Brüderle, würde ich Sie gernedarauf hinweisen, dass wir mit dem radikalen Zurück-fahren der Subventionen für den Steinkohlebergbau
genau auf der Linie weiterfahren, die 1997 von meinemAmtsvorgänger, Herrn Kollegen Rexrodt, vereinbartworden ist. Auf diesem Wege fahren wir die Subven-tionen zurück. Wenn in allen Bereichen, einschließlichder Eigenheimzulage, so verfahren würde, wären wir mitdem Subventionsabbau heute wesentlich weiter.
Wir wären dann aus der allgemeinen Phraseologie he-raus. Das ist ja das, was einem so auffällt: einerseitsdiese Phraseologie und andererseits das Handeln. Ichsehe jetzt gerade Herrn Kollegen Gerhardt nicht, der vonSteuersenkungen und von den radikalen Schnitten, diedie FDP vornehmen wollte, gesprochen hat. Sie habenviel Zeit gehabt zu solchen Schritten.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13153
(C)
(D)
Bundesminister Wolfgang ClementWir werden ab Januar einen Eingangssteuersatz von15 Prozent haben; das ist der niedrigste Steuersatz in derGeschichte der Bundesrepublik. Weil von Mittelstanddie Rede ist: Wir werden einen Spitzensteuersatz von42 Prozent haben, der gerade für die – mittelständi-schen – Personengesellschaften von großer Bedeutungist. Deshalb empfehle ich Ihnen, das in aller Ruhe zu be-trachten und auch Ihre eigene Phraseologie an den Fak-ten, für die Sie selbst Verantwortung tragen und dieheute geschaffen werden, zu messen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Brüderle?
Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft
und Arbeit:
Das scheint jetzt zur Gewohnheit zu werden. Bitte
sehr, Herr Präsident.
Herr Minister, sind Sie bereit, mir zuzustimmen, dassder einzige wesentliche Schritt zum Abbau der Kohle-subventionen von der Vorgängerregierung und IhremVorvorgänger, Herrn Rexrodt, gemacht wurde?Dies geschah damals trotz heftiger Gegendemonstra-tionen. Lafontaine und Joseph Fischer sind Hand inHand mit den Kumpels gegen den Abbau der Steinkoh-lesubventionen marschiert. Ihr Vorgänger hat die Lauf-zeit ausdrücklich verlängert, um jetzt bei derRuhrkohle AG als Vorstandsvorsitzender die Subventio-nen weiter verwalten zu können.
Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaftund Arbeit:Herr Kollege Brüderle, die letzte Bemerkung be-trachte ich als Erfüllung Ihrer Pflichtaufgabe.Ich erinnere mich sehr gut an die Verhandlungen mitmeinem Amtsvorvorgänger, Herrn Rexrodt. Ich selbsthabe damals nämlich nicht demonstriert, sondern in allerSeriosität mit ihm verhandelt. Wir haben einen vernünf-tigen Weg zum Rückbau der Kohle bis heute gefunden.
Genau nach diesem Prinzip, das damals unter anderemvon mir mit Herrn Rexrodt verhandelt worden ist – die-ses wird bis heute umgesetzt und das setzen wir bis zumJahr 2012 fort –, handeln wir.
Wir bewegen uns also völlig in der Logik des Weges,den mein Amtsvorvorgänger, Herr Kollege Rexrodt, be-schritten hat.
Ich betrachte das als außerordentlich vernünftig. Siesollten dies auch tun.
Herr Kollege Vaatz, Sie haben sehr ruhig und sehreindringlich über die Lage in Ostdeutschland gespro-chen. Zum Ersten. Wir wollen in Ostdeutschland so wiein Westdeutschland vorankommen, indem wir insgesamtein wirtschaftliches Wachstum in einer nennenswertenGrößenordnung erzielen. Die isolierte Betrachtung vonOstdeutschland müssen wir überwinden.
Zum Zweiten. Ich weiß nicht, weshalb Sie die Wachs-tumskerne, die es in Ostdeutschland inzwischen gibt,einfach ignorieren. Das kann nicht in Ihrem und erstrecht nicht im sächsischen Interesse liegen. Ich nehmedas, was Sie sagen, sehr ernst.
Es gibt kaum eine Region – erst recht nicht in Sachsen –,in der nicht neue Wachstumsimpulse und Wachstums-möglichkeiten von den Menschen und Unternehmen vorOrt geschaffen worden sind. Sie müssen davon ausge-hen, dass ich inzwischen ganz gut damit vertraut bin.
Wir tun gut daran und wir werden auch weiterhin gut da-ran tun, diese Wachstumskerne zu fördern. Natürlich tunwir dies nicht, indem wir andere Bereiche des Landes– zum Beispiel den landwirtschaftlichen Bereich, alsodie landwirtschaftlichen Regionen – außer Acht lassen.Wir tun dies, indem wir auf die Wachstumsmöglichkei-ten, die dort erarbeitet worden sind, setzen und dies fort-führen.Im Übrigen: Lassen Sie uns ein bisschen von der Dis-kussion über Subventionen wegkommen und über einenvernünftigen Zugang zu diesen Themen sprechen. Dannwird beispielsweise klar werden, dass die Kapital-marktbedingungen in Ostdeutschland wie in West-deutschland nicht gut genug sind. Deshalb bereiten wirzurzeit eine Kapitalmarktkonferenz in Ostdeutschlandvor. Dies werden wir – das tun wir auch jetzt schon – inverschiedenen Regionen Westdeutschlands ebenfallstun. Wir werden uns mit der Kreditwirtschaft zusam-mensetzen und sie fragen: Wie sieht es mit den Kreditenund mit der Möglichkeit der Eigenkapitalbildung ausund was können die KfW-Gruppe, die hier sehr viel tut,die Sparkassen und die Kreditwirtschaft dazu beitragen?Die eigentlichen Fragen, die in Ostdeutschland gestelltund beantwortet werden müssen, sind Fragen zu Unter-nehmensgründungen, zum Risikokapital und zum Eigen-kapitalaufbau. Wir werden sie beantworten.
In dem Entwurf des Einzelplans sind für 200538 Milliarden Euro vorgesehen. Das sind 3,7 Milliar-den Euro mehr, als wir bei der Einbringung des Haus-halts veranschlagt hatten.
Metadaten/Kopzeile:
13154 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Bundesminister Wolfgang Clement88 Prozent davon – das sind 33,3 Milliarden Euro – sindAusgaben für den Arbeitsmarkt. Das ist ein gewaltigesVolumen. Um die Probleme am Arbeitsmarkt überwin-den zu können, setzen wir aber noch mehr ein.Auch an diesen nackten Zahlen – sehr viel mehr na-türlich an den Schicksalen der Menschen – wird die Not-wendigkeit von grundlegenden Reformen am Arbeits-markt und von Wachstum deutlich.
Wir brauchen in Deutschland Wachstum und Reformen,durch die dieses Wachstum gefördert wird.
Wie ist die Stimmungslage in Deutschland? Sie istso, wie sie hier heute Morgen auf bilderbuchhafte Weisedeutlich geworden ist: himmelhoch jauchzend, zu Todebetrübt. Sie finden das überall in Deutschland. Vor zweiTagen wurden neue Daten von Unternehmen, vonPrivatbanken und vom Institut der deutschen Wirtschaftveröffentlicht. Die „Financial Times“ brachte vor zweiTagen die Schlagzeile „Deutschland dümpelt in der Kon-junkturflaute“. Morgen werden wir das bei den Ifo-Ge-schäftsdaten wiederfinden.
Am selben Tag schrieb das „Handelsblatt“: „Stimmungin der deutschen Wirtschaft wird besser“.
Das charakterisiert uns. Herr Kollege Fuchtel, ich habees Ihnen schon einmal gesagt: Sie müssen es aushalten,dass es in Deutschland noch einen Rest an zuversichtli-chen Menschen und Optimisten gibt. Ich gehöre dazu.
Sie wollen, dass das ganze Land zu Tode betrübt ist, mitgesenktem Haupt herumläuft und nur noch auf die Stie-felspitzen schaut.
Nein, das machen wir nicht. Wir setzen darauf, dass dieSituation besser wird, und wir können sie auch verbes-sern.
Wie ist die Lage? Aus den vorliegenden Daten kannjeder etwas anderes herauslesen. Wir streiten ja heute inDeutschland – das ist unsere Fähigkeit – über die Wachs-tumsprognosen. Liegen sie ein Zehntel höher oder nied-riger? Verschätzt sich Clement um ein Hundertstel?
Ist das nicht wieder ein gebrochenes Versprechen, wenner sich um ein Zehntel verschätzt hat? Das ist dieKampflage und die Art und Weise, wie heute inDeutschland diskutiert wird.
Ich sage Ihnen: Die Stagnation ist vorbei. Wir sind aufdem Weg, die Wachstumsschwäche zu überwinden. Esgeht aufwärts und es wird auch weiter aufwärts gehen;darauf können Sie sich verlassen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Hinsken?
Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft
und Arbeit:
Mit dem größten Vergnügen.
Herr Minister, wie bewerten Sie die Aussage des Prä-
sidenten des Bundesrechnungshofes – ich möchte darauf
verweisen, dass er ein Genosse und damit ein Freund
von Ihnen ist –:
Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft
und Arbeit:
Das weiß ich gar nicht.
„Die Schieflage ist so extrem, dass es einem denAtem verschlägt.“ – Das sagt doch alles. Das widerlegtdas, was Sie gerade zum Besten gegeben haben. Das gibtmir zu denken. Ich glaube ihm das, weil er das sehr in-brünstig vorgetragen hat.Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaftund Arbeit:Es ist gut, wenn Ihnen die Äußerung des Bundesrech-nungshofpräsidenten, den ich übrigens nie nach seinerParteizugehörigkeit gefragt habe, zu denken gibt. Mirgibt es zu denken – das ermutigt mich aber auch –, dassder Sachverständigenrat, deren einzelne Mitglieder ichauch nie nach ihrer Parteizugehörigkeit gefragt habe, diePolitik der Bundesregierung so positiv beurteilt, wie erdas gerade getan hat.
Sie müssen sehr weit in die Vergangenheit schauen, bisSie ein Gutachten des Sachverständigenrates finden, indem die Arbeit der Bundesregierung so gut und so posi-tiv beurteilt wird, wie das jetzt der Fall ist.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13155
(C)
(D)
Bundesminister Wolfgang Clement
Schauen Sie sich ruhig alle verschiedenen Äußerun-gen an. Herr Hinsken, ich kann Sie doch nicht daran hin-dern, dass Sie aus den verschiedenen Äußerungen dasherausfiltern, was Sie gerne haben möchten. In Bayernmöchten Sie gerne jubeln und hier wollen Sie gerne zuTode betrübt sein. Ich werde Sie nicht davon abhaltenkönnen, dass Sie so sind, wie Sie sind.
Ich kann aber alle dazu ermutigen, die Kräfte inDeutschland zu bündeln und zu verstärken. Diese Kräftezeigen sich in einer Weise in der Exportwirtschaft, wiees in der Geschichte der Bundesregierung fast noch nieder Fall gewesen ist. Das Exportwachstum wird in die-sem Jahr wahrscheinlich real 11 bis 12 Prozent betragen.Ich war gerade in Bangkok und habe dort an der Asien-Pazifik-Konferenz der deutschen Wirtschaft teilgenom-men. Dort waren mit 800 deutschen Unternehmen nochnie so viele deutsche Vertreter. Das Ansehen der deut-schen Wirtschaft und der Bundesrepublik Deutschlandist nie besser als heute gewesen.
An diese Performance, wie wir heutzutage sagen, kommtkeine andere Volkswirtschaft heran. Keine andere Volks-wirtschaft der Welt exportiert mehr als die Bundesrepu-blik Deutschland, Herr Kollege Hinsken.
Es ist ein Grund, glücklich zu sein, wenn man an die-sem Punkt ist. Ich habe mir gesagt: Mensch, könnte ichalle 800 Vertreter mit in den Deutschen Bundestag neh-men, damit diese sagen, wie gut die deutsche Wirtschaftist, dann würden Sie das vielleicht für einen Tag akzep-tieren, auch wenn Sie unterstellen, dass das nichts mitder rot-grünen Regierung zu tun hat. – Vielen Dank fürdie Frage.
Zurzeit bestehen noch ein paar Unsicherheiten, wobeisich die Lage auf dem Ölmarkt allmählich entspannt,was aber nicht für unsere Währung gilt. Wir werden dassehr aufmerksam zu beobachten haben. Es ist sehr wich-tig, dass es nicht nur Anzeichen für Bewegung gibt, son-dern dass sich die Investitionen im Inland verstärken,was sich im vergangenen Quartal in einem deutlichenPlus bei den Ausrüstungsinvestitionen gezeigt hat. Esspricht viel dafür, dass die Dinge in Gang kommen.
Der private Konsum hingegen ist die Achillesferseder Konjunktur. Seit dem Jahresende 2002 sinkt der pri-vate Verbrauch und stagnierte im dritten Quartal. Daskann auf Dauer auch nicht durch den stärksten Export-boom ausgeglichen werden. Vielmehr macht uns dies füraußenwirtschaftliche Schocks anfällig, sei es in Gestaltvon Ölpreissteigerungen, sei es in Gestalt von Kursan-stiegen. Wir brauchen beides: Wir brauchen einen exzel-lenten Auftritt der deutschen Wirtschaft – ihre Wettbe-werbsfähigkeit war noch nie besser –, die durch denExport zum Wachstum beiträgt. Wir brauchen zugleichmehr Robustheit und mehr Schutz vor außenwirtschaft-licher Verwundbarkeit. Dazu gehört ein gewisses Wachs-tumspotenzial, an dem wir arbeiten müssen.Das geht nur mit mehr Dynamik auf den heimischenGüter- und Dienstleistungsmärkten. Das geht nur, wennwir bei geringerem Wachstum mehr Beschäftigungschaffen, und das geht nur, wenn wir entsprechende Re-formen in Deutschland in Gang setzen, die auch denBürokratieabbau umfassen. Ich habe Ihre Aussagen ge-hört, dass der Bürokratieabbau schwierig ist. Es lohntsich übrigens, einmal nachzulesen, welche Maßnahmenzum Bürokratieabbau auf den Weg gebracht wordensind.
Ich bin heute Morgen aus Brüssel zurückgekommen.Dort haben wir Diskussionen unter anderem zu diesemThema geführt. Wir kämpfen in Brüssel um jede ein-zelne Vorschrift. Das gleicht manchmal einem Häuser-kampf. Wahrscheinlich waren Sie von der Oppositionauch an manchen Vorschriften beteiligt, die dort entstan-den sind. Ich jedenfalls bin daran beteiligt gewesen. Wirhaben entschieden, dass von 300 Vorschriften, die dortgeprüft worden sind, 15 geändert werden.
Das geschieht Schritt für Schritt. Sie können mich dafürkritisieren, wie Sie wollen, aber ich werde weiterma-chen. Von diesen 15 Vorschlägen stammen sechs ausDeutschland. Wir sind auf der Gewinnerstraße.
Ich weiß, dass man sich dabei die Hörner abstoßenkann. Das braucht mir keiner zu erklären. Ich habe aberSie alle, die Sie davon reden, nie gesehen, als es darumging, Bürokratie abzubauen.
Machen Sie einfach mit! Herr Austermann, als Sie Ver-antwortung hatten, haben Sie das nicht getan. In denLändern, in denen Sie Verantwortung haben, tun Sie esauch nicht.
Herr Kollege Vaatz, das gilt übrigens auch für Sie inOstdeutschland. Sie wenden sich immer an den Bund.Die eigentliche Verwaltungshoheit liegt bei den Län-dern. Bei der Reduzierung von Verwaltungsvorschriften,beim Thema Abschaffung von Überbürokratisierung und
Metadaten/Kopzeile:
13156 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Bundesminister Wolfgang ClementÜberreglementierung muss vor allen Dingen in den Län-dern mehr Tempo gemacht werden. Es gibt auch in Ost-deutschland genügend Bürokratie und Fehlentwicklun-gen. Ich will gar nicht über die Verwendung der Mittelaus dem Solidarpakt reden. Es gibt genügend zu tun. Ichkann uns nur alle auffordern, etwas zu tun.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Vaatz?
Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft
und Arbeit:
Sehr gerne.
Herr Minister, Sie erinnern sich sicher noch an die
Zeit, in der Sie als Staatskanzleichef der Regierung von
Nordrhein-Westfalen in die Verhandlungen über das
Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz einbe-
zogen waren.
Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft
und Arbeit:
Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz. Das sagt
über uns alles.
Ich freue mich, dass Sie sich durch Verwendung derVokabel „uns“ zum ersten Mal einbeziehen.Herr Clement, ist Ihnen noch in Erinnerung, wie da-mals die Konstellation gewesen ist und wer damals ver-sucht hat, dieses Gesetz im Bundesrat zum Scheitern zubringen? Kennen Sie die Namen der entsprechendenMinisterpräsidenten?
Sind unter diesen Ministerpräsidenten Ostdeutsche ge-wesen?Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaftund Arbeit:Das ist mir nicht in Erinnerung.
– Wir beide müssen jetzt stehen bleiben und das tapferdurchhalten.Sie sind mir vor allen Dingen aus diesen Diskussio-nen noch bekannt. Wir beide waren damals Chefs der je-weiligen Staatskanzleien. Sie waren einer der jungen,dynamischen, aufstrebenden Leute. Ich war schon älter.Mir ist das alles noch bekannt. Ich weiß, dass wir damalsFehler gemacht haben. Selbstverständlich.
Ich würde gerne einmal mit Ihnen über die Fehler dis-kutieren, die von allen gemacht worden sind. Ich war anziemlich vielen Verhandlungen dieser Art beteiligt, amVertrag zur deutschen Einheit und allem, was dazu ge-hört.Natürlich haben wir Fehler gemacht, unter anderemden, dass wir das komplette Rechtssystem und damitauch die Verwaltungsordnung Ostdeutschland überge-stülpt haben. Das war damals Gegenstand der Diskus-sion. Da war Herr Schäuble übrigens auf der richtigenSeite. Wir haben das damals falsch entschieden. Ichkönnte aber auch andere Dinge anführen, die von HerrnSchäuble und anderen falsch beurteilt worden sind. Daswissen wir heute alle und korrigieren das.Entscheidend ist doch: Wenn wir für das Verkehrswe-geplanungsbeschleunigungsgesetz einen anderen Namenfinden könnten, wäre es gut. Es ist aber richtig und wich-tig, wir sollten es um mehr als ein Jahr verlängern undauf ganz Deutschland ausdehnen. Das ist meine Ansicht.
Jetzt verlängern wir es erst einmal um ein Jahr. Das ist,wie Sie zu Recht gesagt haben, ein Fortschritt. Der Fort-schritt ist eine Schnecke. Wir werden den Weg weitergehen.Zu den Reformen gehört die soziale Grundsiche-rung für Arbeitsuchende. Das ist ein radikaler System-wechsel, ein Schritt zur neuen Gerechtigkeit von För-dern und Fordern, von Leistung und Gegenleistung undvon Rechten und Pflichten. Sie kennen das alle. Zurzeitbeschäftigt viele Menschen, dass wir die soziale Grund-sicherung einführen. Es gibt viele, gerade in den Reihender FDP, die bezweifelt haben, dass das geht.Wir sind zurzeit dabei, das EDV-System einzuführen.Das betrifft etwa 3 Millionen Menschen. Wir, auch ich,haben versprochen, dass jeder, der berechtigt ist und denAntrag rechtzeitig stellt, Anfang Januar eine Leistungbekommt. Dabei bleibt es. Wir haben jetzt eine Rück-laufquote von über 85 Prozent. Es sind von etwa2,6 Millionen Anträgen über 50 Prozent in das Systemeingegeben. Etwa 700 000 Leistungsbescheide sind be-reits versandt worden.In der Presse wurde über technische Probleme berich-tet. Das wird gleich als Chaos bewertet, für das die Bun-desregierung bzw. ich die Verantwortung tragen. Dabeiverläuft die Einführung eines neuen EDV-Systems – seies auch bei der kleinsten Zeitungsredaktion; ich war sei-nerzeit selber daran beteiligt – niemals ohne technischeProbleme. So ist es auch in diesem Fall. Dadurch ist eszu Verzögerungen gekommen, aber wir liegen im Zeit-plan. Wir machen Fortschritte und kommen voran.Probleme gibt es noch im Zusammenhang mit demAntragsrücklauf bei den kommunalen Trägern. 310 Trä-ger sind befragt worden; der Antragsrücklauf beläuftsich bisher auf durchschnittlich etwa 70 Prozent. Bei
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13157
(C)
(D)
Bundesminister Wolfgang Clementetlichen kommunalen Trägern sind es bisher weniger als50 Prozent. Die Spreizung liegt bei den kommunalenTrägern zurzeit zwischen 15 und 100 Prozent. Ich habedie Bitte, dass jeder, der die Möglichkeit dazu hat, vorOrt mit den kommunalen Behörden, den Arbeitsgemein-schaften und den Agenturen spricht, damit es vorangeht.Gehakt hat es, wie gesagt, bei der Software. Wir ha-ben aber Verbesserungen erzielt. Die BA und T-Systemshaben eine schnelle Eingreiftruppe eingesetzt, die dafürsorgt, dass die Probleme vor Ort erfasst und möglichstgelöst werden. Wir werden bis zum großen „Big Bang“Anfang Januar durch organisatorische Maßnahmen inden einzelnen Ämtern Hilfe leisten. Vor Ort wird imMehrschichtbetrieb und an Wochenenden gearbeitet.Gestern sind 84 000, 74 000 und 73 000 Fälle sind inden letzten drei Tagen im System erfasst worden. Eswird also mit Hochdruck gearbeitet. Darauf weise ich inaller Ruhe hin. Ich möchte an dieser Stelle allen Mitarbeiterinnenund Mitarbeitern der Bundesagentur und der Kommu-nen, die allen Widrigkeiten zum Trotz Großes leisten,meinen herzlichen Dank aussprechen.
Es geht um die größte Sozialreform in der Geschichteder Bundesrepublik und wir sind darauf angewiesen,dass die Menschen, die dafür Mitverantwortung tragen,mitwirken. Das tun sie und dafür danke ich ihnen noch-mals.Wie Sie wissen, sind wir zurzeit dabei, die Zusatzjobsund den „Arbeitsmarkt im Aufbruch“ vorzubereiten. Wirwerden in diesem Bereich der Eingliederung, insbeson-dere auch der Zusatzjobs, die landläufig als 1-Euro-Jobsbezeichnet werden, bereits in diesem Jahr mindestens100 000 Maßnahmen – wahrscheinlich sind es sogarnoch mehr – durchführen. Diese Zahl wird dann nochdeutlich steigen.Herr Kollege Brüderle, Sie sprechen immer wiederdavon, dass diese Maßnahmen nichts an der Arbeitslo-sigkeit ändern und nur aus statistischen und sonstigenGründen durchgeführt würden. Das geht an der Sachevorbei. Tatsache ist, dass diese Maßnahmen notwendigsind, weil wir damit fast 1 Million Menschen aus der So-zialhilfe holen und konzentriert in die Arbeitsvermitt-lung bringen. Selbstverständlich sind stufenweise Über-gänge notwendig, um, wenn irgend möglich, dieMenschen in den ersten Arbeitsmarkt zu bringen. Das istunverändert unser Ziel und es geschieht in Ostdeutsch-land wie in Westdeutschland.
Ich bin davon überzeugt, dass wir Erfolge erzielenwerden. Das zeigt sich übrigens auch am Ausbildungs-markt und am Ausbildungspakt. Herr Müntefering hatdies gestern bereits dargestellt. Mit Stand vom21. Oktober mussten noch rund 25 000 junge Leute ver-sorgt werden. Die Zahl der zur Verfügung stehenden An-gebote ist hingegen größer als 25 000.Ich schätze, dass wir in diesem Monat die Zahl der zuVermittelnden erneut um etwa 10 000 senken konnten.Ich bin fest davon überzeugt, dass jedem und jeder, diezurzeit noch keinen Ausbildungsplatz haben, ein Ange-bot gemacht werden kann, und zwar entweder bezogenauf einen betrieblichen oder außerbetrieblichen Ausbil-dungsplatz oder auf eine Einstiegsqualifikation. Für Ein-stiegsqualifikationen stehen 25 000 Plätze zur Verfü-gung, von denen noch kaum welche vergeben wordensind. Diese Plätze sollten genutzt werden.Ich glaube, dass wir mit dem Ausbildungspakt einenausgesprochen guten und vernünftigen Weg gegangensind. Es ist sehr wichtig, dass wir diesen Erfolg verspre-chenden Weg weiterverfolgen.
Ich möchte noch darauf hinweisen, Herr KollegeVaatz, dass mit dem Haushalt bei der Gemeinschaftsauf-gabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“mit rund 700 Millionen Euro, die überwiegend denneuen Ländern zugute kommen, für Stabilität gesorgtwird – dafür bin ich sehr dankbar – und dass wir dieRückflüsse – das ist in den Ausschussberatungen meinesWissens unter Mitwirkung aller so beschlossen wor-den –, das heißt die Rückzahlungen aus abgerechnetenProjekten, nicht nur begrenzt, sondern in voller Höhe zurSchaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen zur Verfü-gung stellen können. Auch dafür bin ich sehr dankbar. Esschafft sehr viel mehr Spielraum, als auf den erstenBlick zu erkennen ist.
Ich freue mich über die Verpflichtungsermächtigun-gen für die Entwicklung des Airbus 350 und eines Trieb-werks für Regionalflugzeuge. Auch das sind wichtigeSchritte.Ich begrüße es auch, dass wir uns über die Wett-bewerbshilfen für den Schiffbau verständigen konnten.Dabei gehen wir langsam, aber sicher zu einer Innova-tionsförderung über. Dies ist für uns und den weiterenProzess außerordentlich wichtig.Ich freue mich, dass Stellen für die Regulierungsbe-hörde ausgebracht worden sind. Das ist der Vorgriff aufdie Regulierung des Gas- und Strombereiches imNetz, die kommen muss. Meine Bitte von hier aus ist,auf diesem Gebiet zu einer Verständigung zu kommen– vielleicht sogar ohne den Vermittlungsausschuss –, umdas Ziel, das wir uns vorgenommen haben, zu erreichen.Wir wollen so rasch wie möglich den Vorgaben folgenund eine Regulierung in Deutschland in Gang bringen,damit auch in den Strom- und Gasnetzen ein echterWettbewerb stattfinden kann.Meine Damen und Herren, in einer solchen Debatteist es sehr schwer, eine Übersicht über alles zu geben,was geschieht und was getan werden muss. Unser Zielist selbstverständlich, auf allen Feldern zu konsolidieren.Dazu brauchen wir die Reformen in der Bundesrepublik.Unser Ziel ist es, Steuern zu senken; das tun wir. UnserZiel ist eine Senkung der Lohnnebenkosten; das ist in
Metadaten/Kopzeile:
13158 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Bundesminister Wolfgang ClementGang, insbesondere durch die Maßnahmen im Bereichder Gesundheitskosten. Wir müssen den Arbeitsmarkt inOrdnung bringen und es gibt nichts Wichtigeres – daswissen Sie alle – als die Einführung der sozialen Grund-sicherung, die unter dem Schlagwort Hartz IV zusam-mengefasst wird.Ein weiteres wichtiges Vorhaben ist der Bürokratie-abbau. Nicht weniger wichtig ist die Föderalismusre-form, damit wir auch im Staat zwischen Bund, Ländern,Städten und Gemeinden handlungsfähig werden. Ichweiß aus den Diskussionen um Hartz IV – alle, die daranbeteiligt waren, wissen das –, wie schwierig es ist, unterden gegenwärtigen von uns selbst im Laufe der Jahr-zehnte geschaffenen föderalen Bedingungen auf diesemGebiet zu vernünftigen Lösungen zu kommen.Auf eines will ich noch hinweisen, Herr KollegeBrüderle, weil das bei Ihnen jedes Mal zu kurz gesprun-gen ist: Die Mittel und Kräfte, die wir dadurch frei be-kommen, brauchen wir für Schulen und Hochschulen,für Bildung, Wissenschaft und Forschung.
Deshalb müssen Sie jetzt den Weg frei machen durcheine Reduzierung der Mittel für den Eigenheimbau.Das ist auch wichtig für meinen Haushalt. Ich setze da-rauf, dass letztlich doch die Vernunft siegt und wir zu ei-nem Schritt kommen, der nachhaltig wirksam ist.
Sie und die von Ihnen regierten Länder wissen doch,dass das auch im Interesse der Länder ist. Ich kann mirnicht vorstellen, dass es Ihnen auf Dauer gelingt, vonhier aus zu entscheiden, was zum Wohle der Länder ist.Jedenfalls erinnere ich mich noch sehr gut an meine Zeitals Ministerpräsident.
Ich hätte mir das, was Sie den Ländern mit Ihrer Blocka-dehaltung zumuten, nicht gefallen lassen.
Also: Bewegen Sie sich, meine Damen und Herren!Wir alle müssen uns bewegen. Wir verlangen von denMenschen und von den Unternehmen, dass sie sich be-wegen. Wir haben deutliche Anzeigen dafür, dass es bes-ser wird.
Machen Sie sich keine Hoffnungen! Sie werden mit demVersuch, eine Trübsalstimmung in Deutschland zu er-zeugen, scheitern. Verlassen Sie sich darauf!
Wir setzen darauf, dass sich die Dinge ändern, undwir tun alles dafür. Wir brauchen, wie der amerikanischeBotschafter gesagt hat, einen emotionalen Turnaround inDeutschland. Machen Sie dabei mit! Stehen Sie nichtimmer rum und nörgeln – das hat keinen Zweck –, son-dern sehen Sie zu, dass wir vorankommen!Vielen Dank.
Ich erteile das Wort Kollegin Gudrun Kopp, FDP-
Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Da-men! Sehr geehrter Herr Minister Clement, wir stehennicht herum, sondern wir bewegen uns mehr, als Ihnenlieb ist.
Wir haben Ihren Hilferuf an die Opposition, wir mö-gen Ihnen doch helfen bei den Aufgaben, die Sie einfachnicht geregelt bekommen, sehr wohl gehört. Wir habenallerdings schon jede Menge Konzeptionen vorgelegtund Reformvorschläge gemacht; Sie sind diese schuldiggeblieben.
Ich sage Ihnen in dieser Haushaltsdebatte noch ein-mal: Der Wirtschaftsetat ist zu 85 Prozent ausgebuchtdurch Arbeitsmarktmaßnahmen. Es bleibt kaum nochein Spielraum. Bei dem, was Sie beim verbleibendenRest zu tun haben, versagen Sie vollkommen. Das istheute Morgen klar geworden.Unser Hauptproblem ist die Bewältigung derArbeitslosigkeit. An dieser Bewältigung arbeiten Sienicht genügend; das ist defizitär. Sie versuchen mit IhrerRede, dem Deutschen Bundestag Opium zu geben.
Die Wirkung ist jedoch gleich null, weil Sie nicht dienotwendigen Rahmenbedingungen schaffen, die Voraus-setzung für wirtschaftliches Wachstum und Arbeit sind.
Ich finde es sehr bezeichnend, dass Sie mit keinemWort erwähnt haben, was in Deutschland schief läuft.Ich nenne als Beispiel die Energiepolitik. In den Jahrenvon 1998 bis 2004 wurden die Ausgaben für den priva-ten Stromverbraucher durch Steuern, Abgaben, Aufla-gen, Umlagen – EEG und KWK – um 64 Prozent erhöht,ganz zu schweigen von der energieintensiven Industrie.Sie begehen hier eine Verfehlung.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13159
(C)
(D)
Gudrun KoppSie reagieren nicht und schauen hilflos zu, wie Ihr Um-weltminister Energiepolitik betreibt. Sie stehen rum undsind bewegungslos.
– Richtig, auch in Ostwestfalen-Lippe.Der Bürokratieabbau ist nur heiße Luft. Es stecktnichts dahinter.Lassen Sie mich noch ein Wort zum Abbau der Stein-kohlesubventionen sagen. Dies ist ja ein ewig Ding, beidem wir nicht vorankommen. Mein Kollege Brüderle hatvollkommen Recht: Die FDP bemüht sich seit Jahren umeine Beendigung dieser Subventionen, und zwar ab2005. Wir wollen keine Fortführung der Steinkohlesub-ventionen bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag. Herr Clement, ich finde es bezeichnend – Sie habenheute Morgen nichts dazu gesagt –, dass Sie16 Milliarden Euro, die für die getroffene Anschlussre-gelung für den Zeitraum von 2006 bis 2012 benötigtwerden, noch nicht einmal rechtlich abgesichert haben.16 Milliarden Euro für Steinkohlesubventionen!
Auf welcher Basis haben Sie eigentlich diese Vereinba-rung getroffen? Sie haben zwar im Haushalt 2005 Vor-sorge für die erste Rate getroffen. Aber was soll danachgeschehen?
Auf welcher rechtlichen Grundlage bzw. mit welcherBerechtigung, meinen Sie, können wir weiter die Ver-gangenheit finanzieren? Die betroffenen Arbeitnehmerwissen längst, was die Stunde geschlagen hat. Sie aufeine Beendigung der Steinkohlesubventionen vorzube-reiten ist unumgänglich. Hier haben Sie komplett ver-sagt.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.
Ich komme zum Schluss.
Völlig versagt haben Sie beim ERP-Sonderver-
mögen. Sie gehen an die Mittelstandsförderung heran,
obwohl die dafür vorgesehenen Mittel nicht bundeseigen
sind. Vielmehr handelt es sich um ein Sondervermögen
aus dem Marshallplan,
das bei Existenzgründungen helfen soll, Eigenkapital
aufzubauen. Sie lassen es zu, dass Herr Eichel das ERP-
Sondervermögen als Steinbruch nutzt, um Milliarden für
den Schuldenabbau zu transferieren. Aber auch das wird
nichts mehr nutzen.
Sie lassen jedenfalls die mittelständische Wirtschaft
wieder einmal bluten. Darüber haben Sie allerdings kein
Wort verloren. Erzählen Sie uns nicht, dass die Lage
prima sei! Sie ist tatsächlich katastrophal. Aber Sie ste-
hen beiseite und schauen tatenlos zu. Das ist eine
Schande.
Frau Kollegin, Sie haben Ihre Redezeit schon verdop-
pelt.
Zum Schluss halte ich noch einmal unser Sparbuch
hoch. Wir sind fleißig. 12,5 Milliarden Euro Einsparun-
gen. Machen Sie mit! Folgen Sie dem FDP-Beispiel!
Vielen Dank.
Ich erteile das Wort Kollegen Werner Schulz, Frak-tion des Bündnisses 90/Die Grünen.Werner Schulz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):Herr Präsident! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen von der FDP, wenn es um dieKohlesubventionen geht, vergessen Sie mit regelmäßigerHartnäckigkeit, dass Sie, als Sie mutig eine Subventionhätten kürzen können – Ende der 90er-Jahre sollte derKohlepfennig abgeschafft werden, weil das Bundesver-fassungsgericht es nicht mehr zuließ, ihn mit der Strom-rechnung zu erheben –, dafür gesorgt haben, dass dieEinnahmen aus dem Kohlepfennig zusätzlich in dieSteinkohlesubventionen fließen. Das ist eine Altlast, diewir heute noch abzutragen haben.
So viel zum Mut der FDP, Kohlesubventionen abzu-bauen.
Ich möchte mich an der Kurvendiskussion darüber,wie viel Wachstum wir im nächsten Jahr erreichen wer-den – die Bandbreite reicht von 1,4 über 1,6 bis zu2 Prozent –, nicht unbedingt beteiligen; denn es ist mü-ßig, über die Stellen hinter dem Komma zu diskutieren.Fakt ist auf jeden Fall: Es gibt Wachstum und es liegttendenziell etwa im Durchschnitt der letzten zehn Jahre.
Metadaten/Kopzeile:
13160 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Werner Schulz
Der eine oder andere mag das für nicht ausreichend hal-ten. Man kann sich sicherlich mehr vorstellen. Aber ichbefürchte, dass wir ein höheres Wachstum nicht soschnell erzielen können. Deswegen ist es realistisch, mitden prognostizierten Wachstumsraten zu rechnen undsich darauf einzustellen.Es ist klar, dass wir damit allein die Arbeitslosigkeit,das Hauptproblem in unserem Land, nicht bewältigenkönnen. Deswegen brauchen wir – auch über Hartz IV –arbeitsmarktpolitische Flankierungen. Auf diesem Ge-biet werden wir allerdings noch die eine oder andereVerbesserung vornehmen müssen.Erfolgreich ist die deutsche Wirtschaft – Erfolge gibtes zweifellos in der Außenwirtschaft, noch nicht so beider Bewältigung der Probleme und Herausforderungender Binnenkonjunktur; das besagt auch das Gutachtendes Sachverständigenrats. Gewisse Risiken bestehendurch die Schwäche des Dollars und durch das doppelteDefizit in den USA. Die damit verbundenen Lasten ha-ben natürlich alle europäischen Länder zu tragen. Daraufhat Frau Merkel gestern hingewiesen. Sie hat rhetorischgefragt: Wieso liegen wir dann an letzter Stelle?Der Nationalfeiertag wurde wacker verteidigt. Übri-gens haben auch wir wenig davon gehalten, den 3. Okto-ber zum kalendarischen nationalen Wandertag zu ma-chen. Das gilt auch für die fiskalische Begründung derVerschiebung dieses Feiertags. Es hätte viele gute politi-sche Gründe gegeben, den 9. November als Nationalfei-ertag auszurufen. An diesem Tag ist in unserer Schick-salsnation manches zusammengekommen: Demut undStolz auf die errungene Demokratie, aber auch Schamwegen des Absturzes in die Barbarei.
All das ist innerhalb von 150 Jahren passiert.
Frau Merkel und auch Herr Merz haben etwas verges-sen. Herr Merz hat in seiner Rede ein surrealistisch an-mutendes Bild eines kleinen Kindes mit einem Mühl-stein um den Hals gemalt – das war fast wie ein Goya-Gemälde – und so versucht, darzustellen, was wir denkünftigen Generationen aufbürden. Sie haben allerdingsvergessen, dass wir die Lasten, die Hypotheken, die Ver-werfungen der deutschen Einheit nach wie vor als Trans-ferleistung schultern, und das sind immerhin 4 Prozentdes Bruttoinlandsprodukts.
– Herr Kampeter, ich kann Ihnen ganz klar sagen, waswir anders gemacht hätten: Wir hätten nicht auf Pump fi-nanziert. Wir hätten nicht zugelassen, dass die Lohnne-benkosten in die Höhe getrieben werden; sie sind ummehr als 7 Prozent gestiegen. Noch heute sind 4 Prozentder Lohnnebenkosten durch die deutsche Einheit be-gründet. Das kostet Arbeitsplätze in Ost und in West.
Durch Ihre Politik kam es zu Überkapazitäten in derBauindustrie, was heutzutage konjunkturelle Schwierig-keiten hervorruft.Von den industriellen Kernen, die die Treuhand schaf-fen wollte, ist doch nichts übrig geblieben. Erst heutesind im Osten allmählich Cluster zu erkennen. Das istmit Wirtschaftsförderung und übrigens auch mit neuenAnsätzen der Strukturförderung erreicht worden. Siehaben sich an dieser Stelle also wirklich nicht zu be-schweren. Im Gegenteil: Sie haben einen Großteil dazubeigetragen, dass wir diese Lasten heute zu tragen ha-ben.Es gibt sicherlich viele Gründe, sich über Kostensen-kungen und über Kostenoptimierung am StandortDeutschland den Kopf zu zerbrechen; schließlich mussman die inneren Probleme lösen. Man sollte aber zurKenntnis nehmen, dass wir keine Basarökonomie haben.Es ist eine Unterstellung, dass die Wertschöpfung über-wiegend oder nur noch im Ausland stattfindet und dassin Deutschland nur noch die Endmontage erfolgt. Im Ge-genteil: Es ist der deutschen Wirtschaft durch ihre relativgute Wettbewerbsfähigkeit gelungen – das sagt derSachverständigenrat ganz klar –, die internationale Ar-beitsteilung für sich gewinnbringend zu nutzen. Das un-terscheidet unsere Wirtschaft von der früherer Jahre, alsganze Industriezweige wie die Unterhaltungselektronikverschwunden sind.Dennoch gibt es vernünftige Gründe, die Kosten zusenken. Ich habe allerdings etwas dagegen, wenn das miteiner ideologischen Offensive, sprich: mit der Forderungnach einer Einschränkung des Kündigungsschutzes,einhergeht, wie wir das momentan erleben. Der Kündi-gungsschutz ist in der Ära Kohl eingeschränkt worden.Wir haben dies rückgängig gemacht. Wir führen hiereine reine Ideologiediskussion. Möglicherweise sind mitder Einschränkung des Kündigungsschutzes, was dieEinstellungsbarriere anbelangt, psychologische Mo-mente verbunden, aber keine beschäftigungsförderndenEffekte. Ihr ehemaliger Arbeitsminister Blüm sagt: Da-mals sind als Gegenleistung für die Herabsetzung derKündigungsschwelle 300 000 Arbeitsplätze verspro-chen worden. Auf diese Arbeitsplätze wartet er nochheute; es ist in dieser Richtung nichts passiert.
Nehmen wir die Mitbestimmung als Beispiel: DerBDI-Präsident Rogowski spricht sogar von einem „Irr-tum der Geschichte“. Allein diese Wortwahl deutet aufden Bildungsnotstand auch in den hohen Etagen der In-dustrie; die Geschichte kann kein Akteur sein. Rogowskimeint möglicherweise, dass die Mitbestimmung ana-chronistisch ist. Willy Brandt hat in den 70er-Jahren„Mehr Demokratie wagen“ und Wolfgang Ullmann hat1989 „Demokratie jetzt“ gesagt. Ich meine, dass daskeine Irrtümer waren. Das galt für alle Bereiche. Wirdürfen den demokratischen Sektor im 21. Jahrhundert
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13161
(C)
(D)
Werner Schulz
nicht vor den Betriebstoren in unserer Republik endenlassen.
So war das nicht zu verstehen. Ich meine, dass nur Igno-ranten und Abenteurer ernsthaft glauben können, dassman Solidarität und Partnerschaft aufs Spiel setzen kann,ohne dass das Ganze ein politisches Nachspiel und einenpolitischen Preis hat.Wir wissen, dass die Mitbestimmung den sozialenFrieden am Standort erhalten hat. Wir wissen, dass dieMitbestimmung gerade bei den letzten Konflikten– Karstadt-Quelle und Opel – der Konfliktbereinigunggedient hat. Also: Kostensenkung ja, aber vielleicht aufeinem anderen Gebiet.Wir sollten uns nicht nur die Arbeitsproduktivität unddie Lohnstückkosten, sondern vielleicht auch einmal dieMaterialökonomie anschauen; denn da sind wirklichSchätze verborgen. Wir haben deswegen die Verpflich-tungsermächtigungen beim Titel „Verbesserung derMaterialeffizienz“ deutlich erhöht. Gerade im Material-verbrauch, in der Materialausbeute liegen enorme Reser-ven. Wir haben in der deutschen Volkswirtschaft etwa180 Milliarden Euro pro Jahr Materialreserve. Nach ei-ner Prognos-Studie könnten wir, wenn wir das ausschöp-fen, eine Steigerung des Bruttoinlandsprodukts um etwa14 Prozent erreichen. Das wären etwa 760 000 Arbeits-plätze. Uns geht es vor allem um das Know-how, wasvorhanden ist. Es gilt die vorhandenen Methoden undTechnologien zu nutzen und dem Mittelstand zur Verfü-gung zu stellen.Das Gleiche gilt beispielsweise für die Energieeffi-zienz. Es geht darum, intelligentere Energiesysteme zumEinsatz zu bringen, mehr Ausbeute aus der Verbrennungvon fossilen Energieträgern zu erzielen und neue Ener-gieträger zu entwickeln, Biotreibstoffe zu entwickeln,beispielsweise im Zuge der Wiedernutzung der Fischer/Tropsch-Synthese. Das sind Zukunftsfelder – neben demExport der erneuerbaren Energien. Das sind die Felder,auf denen wir Wachstum generieren können, auf denenzukünftige Arbeitsplätze entstehen können.Wir sollten uns vielleicht an einen Lehrsatz vonHenry Ford, dem Pionier des Industriezeitalters, erin-nern,
nicht an den, dass Autos keine Autos kaufen können– der ist ja auch bekannt –, sondern an den, dass sich dieWettbewerbsfähigkeit eines Landes nicht in den Fabri-ken oder Forschungslabors, sondern in den Schulen be-weisen wird. Deswegen kämpfen wir darum, dass dieMittel für die Eigenheimzulage nicht mehr in den Bauvon Eigenheimen, sondern in Schulen, in Bildung, inWissenschaft und Forschung fließen. Nur wenn wir dortentsprechend vorankommen, können wir uns auch das„schönere Wohnen“ künftig leisten.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Kollege Kurt Rossmanith, CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Herr Kollege Schulz, nur einen Satz von Ihnenmöchte ich korrigieren; es gäbe vieles zu korrigieren,aber das ist für mich elementar. Wir beschäftigen unshier nicht mit den Lasten der deutschen Einheit, sondernmit den Lasten, die der Sozialismus in einem TeilDeutschlands hinterlassen hat. Das ist das Problem unddas sollten wir uns immer wieder vor Augen führen.
– Wenn solche Zwischenrufe kommen, dann kann ichauch das sagen, was ich eigentlich nicht sagen wollte:Und mit diesen Sozialisten regieren Sie in einigen Bun-desländern zusammen. Das ist an sich eine Schande.
Wenn man erst später in die Debatte eingreifen darf,hat das den Vorteil, dass man sich auf das eine oder an-dere beziehen kann, was die Kolleginnen und Kollegendargelegt haben. Herr Kollege Kröning, ich schätze Siesehr wegen Ihrer Aufrichtigkeit. Sie haben uns dafür ge-rügt, dass wir sparen wollen.
– Vielleicht wollten Sie das nicht zum Ausdruck brin-gen, aber Sie haben es wortwörtlich gesagt.
Bei Hans Eichels Weltrekord im Schuldenmachen– 45 Milliarden Euro; das sind in der alten Währung inDeutschland annähernd 100 Milliarden DM – uns alsOpposition dann, wenn wir uns bemühen, Beiträge zuleisten und Vorschläge dafür zu machen, wo sinnvoller-weise Sparmaßnahmen angesetzt werden könnten, zurügen und zu beschimpfen, finde ich nicht ganz korrekt.
Bei diesem Haushalt müssten wir an sich sagen: Wirverweigern schlicht und einfach die Debatte darüber.Nicht nur ein juristisch gebildeter Mensch, sondern jeder
Metadaten/Kopzeile:
13162 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Kurt J. Rossmanithkann es an sich mit den Händen greifen, dass dieserHaushalt, über den wir in dieser Woche sprechen, verfas-sungswidrig ist.
Es ist in den 55 Jahren seit dem Bestehen der Bundesre-publik Deutschland noch nicht vorgekommen, dassselbst der Präsident des Bundesrechnungshofes, HerrEngels,
der, auch wenn er Ihr Parteibuch besitzt, ein ehrenwerterMensch ist
– lieber Kollege, ich stamme von Bauern ab; alle meineVorfahren waren Bauern und ich bin stolz darauf, dassich ein Sohn von Bauern bin; da stimme ich Ihnen zu –,
sagt, dass die Schieflage des Etats einem den Atem ver-schlägt.
Lieber Herr Bundesminister Clement, Sie haben in Ih-rer Art die 20 Minuten Redezeit an diesem Pult sehr ge-konnt genutzt.
Nur inhaltlich habe ich von Ihnen wenig bis gar nichtsgehört. Ich bin jedoch der Meinung, dass man nicht ein-fach so nonchalant über das eine oder andere hinwegge-hen sollte. Es macht schon einen Unterschied, lieberHerr Bundesminister Clement, ob es 0,1 ProzentpunktWirtschaftswachstum mehr oder weniger gibt, ob einWirtschaftswachstum von 1,8 Prozent, auf das Sie nachwie vor setzen, erreicht wird oder nur noch eines vonmaximal 1,4 Prozent, wie es die Wirtschaftsweisen ge-sagt haben. Wenn unser Wachstum, wie die Wirtschafts-weisen prognostiziert haben, um 0,4 Prozentpunkteniedriger ausfällt, hätte das nämlich zur Folge, dass nochmehr Menschen aus dem Arbeitsleben in die Arbeitslo-sigkeit geschickt werden. Dabei habe ich die Auswir-kungen, die das auf den Haushalt hätte, noch gar nichtberücksichtigt.
Der Punkt ist doch, Herr Bundesminister, dass die Be-schäftigtenzahl permanent zurückgeht und die Arbeitslo-senzahl steigt.
Kollege Fuchtel hat schon darauf hingewiesen undauch Sie selber haben es bestätigt, dass 88 Prozent derHaushaltsmittel des Bundesministeriums für Wirtschaftund Arbeit für Arbeitsmarktmaßnahmen vorgesehensind.
Das heißt, dass 34 Milliarden Euro rein konsumtiv aus-gegeben und in die Landschaft verstreut werden. Für dieeigentlichen Aufgaben, für die ein Bundesminister derWirtschaft zuständig wäre, bleibt nur ein ganz schmalerFinanzrahmen von etwa 3,5 Milliarden Euro. An diesemPunkt kranken wir doch.
Sie haben gesagt, wir sollten uns bewegen, Herr Bun-desminister Clement. Die beste Bewegung, die die Bun-desregierung unter Kanzler Schröder machen könnte, ist,sich hinauszubewegen und zurückzutreten. Machen Siediese Bewegung! Nur damit und mit nichts anderemwäre Deutschland geholfen.
Sie, Herr Bundesminister Clement, haben vom Kon-solidieren gesprochen. Ihnen müsste man eigentlich kon-dolieren, dass Sie Mitglied einer derartigen Bundesre-gierung sind.
Bis 2006 wird die Situation in Deutschland noch schlim-mer, aber dann werden Sie sich bewegen müssen. Dannwird Ihnen nichts anderes mehr übrig bleiben.Lassen Sie mich noch etwas zum Verkehrswegepla-nungsbeschleunigungsgesetz sagen. Sie haben es natür-lich vermieden, Ausführungen darüber zu machen. Ichmöchte Sie daran erinnern, dass 1991 der Vorsitzendeder Ministerpräsidentenkonferenz – der hieß damalsGerhard Schröder – zusammen mit seinem Gehilfen– das war ein gewisser Trittin – massiv gegen dieses Ge-setz Stellung bezogen hat. Von der Haltung von HerrnLafontaine will ich gar nicht erst reden.
Ich könnte als Bundesminister für Wirtschaft nicht sofröhlich in diese Runde blicken, wenn mir der Kreditver-sicherer Euler Hermes mitteilen würde, dass in diesemJahr über 40 000 Unternehmensinsolvenzen zu erwartensind; gegenüber dem Vorjahr bedeutet das einen 3-pro-zentigen Anstieg.Deshalb stellen wir jetzt – der Kollege Vaatz hat dasschon angesprochen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13163
(C)
(D)
Kurt J. Rossmanithund die Gründe erläutert – den Antrag auf Anhebung derVerpflichtungsermächtigung für die Gemeinschafts-aufgabe; denn damit werden Arbeitsplätze geschaffen.
Man kann nicht einfach sagen, die Subventionen werdengestrichen, sondern muss erläutern, was Unfug ist undwas notwendig, weil es die Wirtschaftskraft fördert undArbeitsplätze schafft. Wir fordern, dass die Verpflich-tungsermächtigung für die Gemeinschaftsaufgabe ange-hoben wird, weil dadurch 260 000 bis 300 000 Arbeits-plätze geschaffen werden können.
Auch das Thema Werften will ich erwähnen. Sieverhandeln mit den Ministerpräsidenten und vereinba-ren, aus dem Verhältnis von einem Drittel Bund undzwei Dritteln Länder ein Verhältnis von 50 zu 50 zu ma-chen. Aber mit welcher Konsequenz? Dadurch wird derFörderrahmen eingeengt, den wir ohnehin nur noch bis31. März nächsten Jahres haben, in den wir jetzt die Mit-tel fließen lassen müssten und für den wir vielleicht nochzusätzliche Mittel ansetzen müssten, weil wir alle Auf-träge, die wir bis 31. März nächsten Jahres bekommen,in diesen EU-Förderrahmen mit aufnehmen können, wo-durch Arbeitsplätze und Wirtschaftskraft für unsere Notleidende Werftindustrie hier in Deutschland geschaffenwerden könnten statt in Korea und anderen Ländern.
Aber hier wird gestrichen.
Herr Kollege Rossmanith, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Ich bedanke mich und komme zu meinem letzten
Satz, Frau Präsidentin.
Eines hat mich besonders geärgert: Sie haben selber
wieder gesagt, dass in China 800 Unternehmer waren
und Deutschland in Südostasien hohes Ansehen genießt.
Warum brauchen wir denn dann eine Gesellschaft mit
dem Namen Invest in Germany, die den Standort
Deutschland verbessern soll? Die dafür vorgesehenen
8,5 Millionen Euro könnten wir einsparen. Streichen Sie
einfach diesen Unfug! Dann haben wir schon wieder
8,5 Millionen Euro, die wir sinnvoll einsetzen könnten.
Herr Kollege Rossmanith, das war aber ein etwas län-
gerer Satz.
Deshalb müssen wir leider – auch wenn ich mich für
die Zusammenarbeit mit Ihrem Haus und den Kollegin-
nen und Kollegen im Haushaltsausschuss bedanke – die-
sen Haushalt ablehnen. Er ist nicht nur unehrlich, er ist
auch falsch und setzt völlig falsche Schwerpunkte. Des-
halb schadet er unserem Land.
Das Wort hat der Kollege Klaus Brandner, SPD-Frak-
tion.
Sehr geehrte Präsidentin! Meine sehr verehrten Da-men und Herren! Heute Morgen haben wir ja schon einespaßige Debatte gehört;
aber ich glaube, wir können es uns nicht ersparen, dieFakten sprechen zu lassen.
Herr Fuchtel hat vorgetragen, Rot-Grün macheschwarz
– ich meine: arm und arbeitslos;
aber richtig ist: Nicht Rot-Grün, sondern Schwarz-Gelbmachte arm und arbeitslos,
arm, weil Sie in den vielen Jahren Ihrer Regierungszeitnichts anderes gemacht haben, als die Sozialversiche-rungsbeiträge in die Höhe zu treiben –
wir haben sie abgesenkt –, weil Sie die Steuern in dieHöhe getrieben haben – wir haben die Steuern abge-senkt –, weil die Abgabenlast in diesem Lande unter Ih-nen hoch war; wir haben sie begrenzt, sicherlich nochnicht so weit, wie wir es uns vorstellen können, aber imKern sind die verfügbaren Einkommen nicht geringer,sondern höher geworden. Insofern haben Sie nichtRecht, wenn Sie hier vollmundig behaupten, Rot-Grünmache arm und arbeitslos. Das fällt auf Sie zurück, HerrFuchtel.Auch, dass Schwarz-Gelb arbeitslos gemacht hat,müssen Sie sich vorhalten lassen. Die höchste Arbeits-losigkeit hatten wir im Februar 1998 mit 4,82 MillionenArbeitslosen.
Metadaten/Kopzeile:
13164 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Klaus BrandnerDas sollten Sie sich hinter die Ohren schreiben oder zu-mindest vor den Spiegel stecken, damit Sie jeden Mor-gen beim Rasieren sehen, über was wir hier reden.
Rot-Grün hat den Trend gestoppt und in vielen Fällenauch umkehren können. Von einer Zweiklassengesell-schaft – das ist Panikmache – kann angesichts dessen,was wir von Ihnen übernommen haben – ich habe es ge-rade angesprochen –, überhaupt keine Rede sein.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Rossmanith?
Ich möchte weiter vortragen; denn sonst werden wirheute überhaupt nicht fertig.
Die Arbeitslosigkeit in den neuen Ländern, von derHerr Vaatz gesprochen hat, ist bedrohlich hoch. Wir kön-nen darüber nicht jubeln. Aber Sie müssen auch da beider Wahrheit bleiben, Herr Vaatz. Die Arbeitslosigkeit inden neuen Ländern geht zurück. Die Arbeitslosigkeit imOsten liegt in diesem Monat bei durchschnittlich17,5 Prozent. 1998 betrug sie durchschnittlich 18,2 Pro-zent. Auch das sind harte Fakten, die Sie zur Kenntnisnehmen müssen.
Da Sie von zerstörten Hoffnungen reden, möchte ichSie fragen: Wer hat denn die Hoffnungen der Menschenin den neuen Ländern zerstört?
Das war doch wohl Helmut Kohl, der davon gesprochenhat, die deutsche Einheit könne aus der Portokasse fi-nanziert werden. Er wollte es ohne Steuererhöhungenschaffen und hat dafür die Sozialkassen missbraucht.Damit hat er die Menschen getäuscht.
Das wollen wir Ihnen nicht durchgehen lassen. Sie müs-sen sich das schon vorhalten lassen.
Ich will ganz deutlich sagen, dass das, was in denneuen Bundesländern passiert ist, kein Schritt nachvorne ist. Auch hier muss der Wahrheit die Ehre gegebenwerden. Deswegen will ich daran erinnern, dass HerrMilbradt der größte Befürworter für schärfere Ein-schnitte auf dem Arbeitsmarkt war. Danach aber wollteer mit den Demonstranten Arm in Arm dafür eintreten,dass die Schärfen abgemildert werden. Ähnlich hat sichder nordrhein-westfälische Herausforderer Rüttgers ver-halten. Er hat von einer Generalrevision bei Hartz ge-sprochen. Das zeigt, dass er sich nicht der Verantwor-tung für den notwendigen Wandel in diesem Land stellt.
Lassen Sie uns zu weiteren harten Fakten kommen.Die Konjunkturentwicklung in diesem Land ist sicher-lich mit Unsicherheiten behaftet. Ich nenne beispiels-weise die Entwicklung des Ölpreises, die Stärke des Eu-ros und die Wechselkursschwankungen. Diese Faktorenbringen natürlich Unsicherheiten mit sich. Aber in demHerbstgutachten wird von einem Wirtschaftswachstumvon 1,5 Prozent gesprochen. Der Sachverständigenratspricht von 1,4 Prozent und das Institut der deutschenWirtschaft sogar von 2 Prozent. Ich denke, dass die Bun-desregierung richtig liegt, wenn sie von einem wirt-schaftlichen Wachstum zwischen 1,5 und 2 Prozent aus-geht.Man kann feststellen, dass es schon jetzt deutlicheAnzeichen für eine konjunkturelle Erholung der Binnen-wirtschaft gibt. Ich will in diesem Zusammenhang nurdaran erinnern, dass die Ausrüstungsinvestitionen imdritten Quartal gegenüber dem zweiten Quartal 2004 um4,1 Prozent gestiegen sind. Das zeigt, dass die deutschenUnternehmen Vertrauen in die wirtschaftliche Entwick-lung haben. Ich kann Sie nur auffordern, die Unterneh-men in diesem Vertrauen zu bestärken. Mäkeln Sie des-halb nicht rum, wenn sie keine Alternativen haben,sondern unterstützen Sie diesen positiven Kurs!
Die Konjunktur in diesem Lande belebt sich. Dafürgibt es harte Fakten. Diese positive Konjunkturentwick-lung wird vom Sachverständigenrat bestätigt. Man mussaber auch feststellen, dass das Volumen der Kommunal-finanzen aufgrund der Reform der Gewerbesteuer imersten Halbjahr 2003 im Vergleich zum ersten Halbjahr2004 um 12,8 Prozent gestiegen ist. Durch die Gewerbe-steuerumlage kommt eine weitere Verbesserung der Ge-werbesteuereinnahmen auf der kommunalen Ebene inHöhe von circa 3 Milliarden Euro hinzu. Sie wissen,dass sich im nächsten Jahr zusätzlich Einsparungendurch Hartz in Höhe von 2,5 Milliarden Euro ergebenwerden.
Das zeigt, dass wir bei der Stimulierung der Konjunkturerfolgreich waren.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13165
(C)
(D)
Klaus Brandner– Das stellen wir über unsere Revisionsklausel sicher.Herr Kampeter, das wissen Sie doch genau. Verunsi-chern Sie die Menschen nicht, sondern helfen Sie mit,dass sie Vertrauen in die Zukunft haben!
Auch die Stabilisierung der Lohnnebenkosten ist einweiterer harter Fakt. Verschiedene Maßnahmen dazuwerden die Konjunktur ebenfalls stimulieren. Der An-stieg der verfügbaren Einkommen – der Sachverständi-genrat geht von 2,3 Prozent aus – ist ein deutliches Zei-chen dafür, dass die Binnennachfrage steigt. Der privateKonsum wird erstmals wieder im Jahre 2005 um0,8 Prozent ansteigen, nachdem es mehrere Jahre entwe-der überhaupt keinen Anstieg oder sogar einen Rück-gang gab.Das sind die harten Fakten, die deutlich machen, dassdie Konjunktur in diesem Land stimuliert wird und dassdeshalb Vertrauen in diese Entwicklung angesagt ist.Ich will aber auch darauf hinweisen, dass unser Haus-halt andere qualitative Maßnahmen beinhaltet, indemwir zum Beispiel dafür sorgen – das ist von einigen Red-nern angesprochen worden –, dass wir ein Programm mitdem Namen „Materialeffizienz“ auflegen, das endlichauch dazu führt – die gesamtwirtschaftliche Diskussionkonzentriert sich aus meiner Sicht viel zu sehr auf diePersonalkosten, die Arbeitszeit, die Flexibilisierung unddie Kostensenkung im Hinblick auf den Faktor Arbeit –,dass der Faktor Material stärker beachtet wird. Obwohldie Kosten für das Material im verarbeitenden Gewerbeetwa doppelt so hoch sind wie die Kosten, die durch denFaktor Arbeit entstehen, ist die Aufmerksamkeit in Be-zug auf diesen Bereich leider zu gering.
Die Materialproduktivität gilt gemeinhin als selbstop-timierende Größe eines Unternehmens. Sie ist in denletzten Jahrzehnten deutlich gestiegen. Allerdings ist dieArbeitsproduktivität – das muss uns aufmerksam ma-chen – sehr viel stärker gestiegen. Studien belegen, dassnur 50 Prozent des Effizienzpotenzials genutzt werdenund dass das Bruttoinlandsprodukt durch Produkt- undProzessinnovationen erheblich gesteigert werden kann,wenn wir diesem Themenfeld mehr Aufmerksamkeitwidmen.
Um die Potenziale in der Materialeffizienz zu nutzen,hat die Koalition dankenswerterweise ein Impulspro-gramm mit dem Namen „Materialeffizienz“ aufgelegt,das – davon bin ich überzeugt – mithelfen wird, das wirt-schaftliche Wachstum in diesem Land nachhaltig zu för-dern und die Nutzung der Ressourcen zu verbessern. Ichdarf unseren Haushältern und unserem Minister dafürdanken, dass sie dieses Programm so deutlich unterstüt-zen.
Ich darf in diesem Zusammenhang auch darauf hin-weisen, dass die Wachstumsförderung durch ÖPP, durchöffentlich-private Partnerschaften, ein wichtiger As-pekt ist, um die Konjunktur in diesem Lande zu stimulie-ren. Immer mehr Kommunen erkennen zwischenzeitlichdie Chance, die öffentlich-private Partnerschaften bie-ten. Nehmen wir das Beispiel einer rheinischen Klein-stadt: Dort gibt es einen Instandhaltungsstau und Sanie-rungsbedarf von gut 27 Millionen Euro im Hinblick aufihre 13 Schulkomplexe.
– Auch das ist ein gutes Beispiel, Herr Kampeter. Ichkenne mich in meinem Heimatwahlkreis aus. Über diepositiven Dinge sollten wir reden; darum trage ich siegerade vor.Jedes Jahr ergibt sich in vielen Kommunen ein Staubei notwendigen Investitionen, auch bei Investitionen indie Erneuerung. In der mittelrheinischen Stadt Monheimist es letztlich so, dass der Betriebsaufwand von3,15 Millionen Euro oft nicht ausreichte, um die Schulenin einen vernünftigen Zustand zu versetzen.Mit dem Programm ÖPP lassen sich in diesem Landwichtige Investitionen schneller und auch effizienterumsetzen. In Deutschland ist ein Milliardenmarkt in Be-zug auf öffentlich-private Partnerschaften im Entstehen.Wir wollen diesen Markt – das sage ich ganz deutlich –fördern, und zwar nicht nur im öffentlichen Hochbau,sondern auch in anderen Bereichen, zum Beispiel imVerkehrsbereich, bei den sozialen Dienstleistungen, imVerteidigungsbereich, bei der Modernisierung des Staa-tes, also auf allen anderen Feldern, wo sich dieses Instru-ment einsetzen lässt.Deshalb wollen wir als SPD-Bundestagsfraktion unsdieser Aufgabe konzentrierter stellen. Wir arbeiten an ei-nem ÖPP-Beschleunigungsgesetz, das sicherstellt, dasssolche Maßnahmen in diesem Land noch schneller undeffizienter implementiert werden können, damit weitereInvestitionen, die möglich sind, zur wirtschaftlichen Ent-wicklung beitragen.
Ich möchte ansprechen, dass der Sachverständigen-rat das, was ich gerade vorgetragen habe, in seinemGrundduktus sehr deutlich stützt. Er sagt wörtlich:Die andauernde Binnenschwäche … drückt sich ineiner inzwischen in Deutschland weit verbreitetenAuffassung aus, die wirtschaftlichen Zukunftsper-spektiven seien in düsteren Farben zu malen.Ich darf an dieser Stelle anmerken: Der Sachverständi-genrat meint anscheinend die Opposition, die dies seitJahren tut.
Metadaten/Kopzeile:
13166 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Klaus BrandnerDer Sachverständigenrat stellt weiter fest:Dies übersieht …: Zum einen verfügt die deutscheVolkswirtschaft über eine im Grundsatz wettbe-werbsfähige unternehmerische Basis, die es selbstin den … wirtschaftlich schwierigen Jahren ge-schafft hat, die Vorteile der internationalen Arbeits-teilung gewinnbringend zu nutzen.Das macht deutlich: Wir haben allen Grund, positiverin die Zukunft zu schauen. Wir sollten dies tun, wennwir über unsere Stärken reden: die hohen Exportüber-schüsse und die Wettbewerbsfähigkeit trotz des starkenEuro. Der Standort ist auch für Unternehmen mit auslän-dischen Forschungsaktivitäten – wie zum Beispiel fürGeneral Electric in München – attraktiv. Warum redenwir nicht über die positiven Beispiele? Der Standort istattraktiv, weil der Strukturwandel, der die Wettbewerbs-fähigkeit in diesem Land unterstützt, gemeinsam mit denArbeitnehmern getragen und nicht gegen sie durchge-setzt wird.
Das ist nur möglich, weil wir in diesem Land flexibelhandelnde Gewerkschaften und Betriebsräte haben.Die Flexibilität zeigt sich unter anderem in differenzier-ten Tarifverträgen. Ich nenne als Beispiele Siemens inKamp-Lintfort und Bocholt, DaimlerChrysler in Sindel-fingen oder auch VW. Diese Beispiele machen deutlich,wo die Wachstumspotenziale liegen. Sie liegen nicht inder Abschaffung der Tarifautonomie, sondern in derenStärkung. Wir müssen das konstruktive Potenzial in die-sem Land stärken.
Ich möchte abschließend sagen: Moderne Tarifver-träge erweitern den Handlungsspielraum in diesemLand. Moderne Tarifverträge differenzieren und sie las-sen und schaffen Raum für die Gestaltung der Innova-tion.
Das ist mit Mitbestimmung zu erreichen. Dass die Unionund die FDP die Mitbestimmung quasi abschaffen wol-len,
ist ein Zeichen dafür, dass sie die Zukunftsfähigkeit nochnicht erreicht haben.
Ich bitte Sie, darüber nachzudenken. Helfen Sie mit,dass unser Land zukunftsfähig bleibt.
Das Wort hat der Kollege Karl-Josef Laumann, CDU/
CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Nachdem ich die Rede des Wirtschaftsminis-ters gehört habe, in der es hieß, die Lage in Deutschlandsei zunehmend optimistisch zu sehen und werde besser,frage ich mich: Wie passt diese Aussage damit zusam-men, dass der Finanzminister für den Haushalt 2004 zumwiederholten Mal feststellt, dass das gesamtwirtschaftli-che Gleichgewicht in unserem Land gestört ist?
Wie diese beiden Aussagen von Mitgliedern dieser Bun-desregierung zusammenpassen, müssen Sie mir erklären.Kollege Brandner, Sie haben gerade gesagt, Schwarz-Gelb habe arm gemacht, während die Sozialversiche-rungsbeiträge bei Ihnen gesunken seien. Eine Zwischen-frage haben Sie nicht zugelassen und ich weiß auch, wa-rum.
Sie haben nämlich verschwiegen, dass Sie durch die Er-höhung der Mineralölsteuer 5 Milliarden Euro, durch dieErhöhung der Tabaksteuer 4 Milliarden Euro und durchdie Ökosteuer 6,6 Milliarden Euro zusätzlich eingenom-men haben. Allein durch diese Verbrauchsteuern habenSie dem deutschen Volk zwischen 15 und 16 MilliardenEuro entzogen und beklagen sich jetzt über die Entwick-lung in der Binnenkonjunktur. Ein bisschen redlichersollte man in einer solchen Auseinandersetzung schonsein.
Herr Clement, es gehört schon Mut dazu, zu sagen,wir seien bei der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt– diesen möchte ich zuerst ansprechen – auf gutem Weg.Der Bundeskanzler hat 1998 gesagt, er wolle dieArbeitslosigkeit senken. Als er das sagte, gab es in un-serem Land 3,8 Millionen Arbeitslose. Als Sie Ihr Amtübernahmen, gab es bereits 4 Millionen Arbeitslose. Einhalbes Jahr vor Ihrem Amtsantritt hat die Hartz-Kom-mission getagt und versprochen, drei Jahre später – daswäre im nächsten August – solle die Arbeitslosigkeitmithilfe ihrer Instrumente bei 2 Millionen liegen. DerSachverständigenrat sagt uns aber leider fürs nächsteJahr 5 Millionen Arbeitslose voraus.
Ich bin gespannt, wie Sie mithilfe der Hartz-Instru-mente bis August Ihr Ziel, die Arbeitslosigkeit auf2 Millionen abzubauen, erreichen wollen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13167
(C)
(D)
Karl-Josef LaumannWenn Sie redliche Politik betreiben würden, müssten Siezugeben, dass Sie mit Ihrer Arbeitsmarktpolitik gänzlichgescheitert sind.
Wir haben in den letzten zwei Jahren in Deutschland1,1 Millionen sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätzeverloren, zurzeit gibt es 26,3 Millionen. Im gleichen Zeit-raum hat es 80 000 Unternehmensinsolvenzen gegeben.Der Sachverständigenrat sagt uns voraus, dass die Zahlder sozialversicherungspflichtig Beschäftigten nächstesJahr noch einmal um 3,5 Prozent abnehmen wird. Folg-lich wird es im nächsten Jahr in Deutschland weniger als26 Millionen sozialversicherungspflichtige Beschäftigtegeben. Das ist die Lage am Arbeitsmarkt.Was tun wir, um da rauszukommen? Wie sieht es mitder Vermittlung der Arbeitslosen in Deutschland aus?2001 gab es bei der Bundesagentur nach Auswahl undVorschlag 1,4 Millionen Vermittlungen. 2002 waren esnoch 886 000, 2003 714 000. Die Zahlen für dieses Jahr,die bis Oktober vorliegen, zeigen, dass die Vermittlungs-tätigkeit der Bundesagentur noch einmal um ein Viertelzurückgegangen ist. Dass Sie in einer solchen Situation,in der die Bundesagentur das Kerngeschäft immerschlechter hinbekommt, die Agentur im Rahmen der Zu-sammenlegung von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe– die wir inhaltlich unterstützen – beauftragen, für wei-tere Millionen von Personen zuständig zu werden, ist an-gesichts der Tatsache, dass sie ihre eigentliche Aufgabe,nämlich vermitteln, immer weniger bewältigt, schon einpolitischer Fehler, den wir Ihnen vorhalten müssen. Siehaben damit eine große Verantwortung dafür übernom-men, dass die Arbeitsverwaltung in diesem Land über-haupt nicht mehr funktioniert.
Ich will einen weiteren Punkt ansprechen. Wenn wirdie Lage auf dem Arbeitsmarkt und die Leistungsfähig-keit der Arbeitsverwaltung realistisch einschätzen wür-den – ich bin gern bereit, diese Debatte im Ausschussmit der Regierung und den Regierungsfraktionen zu füh-ren –, dann würden wir einsehen: Es ist notwendig, dasswir eine emotionslose, sehr sachliche Debatte über dieArbeitsmarktpolitik, die wir in Deutschland traditionellbetreiben, führen. Traditionell stecken wir viel Geld inden Qualifizierungsbereich und führen dort viele Maß-nahmen durch; traditionell arbeiten wir relativ viel mitBeschäftigungszuschüssen. Ich glaube, dass wir gut be-raten wären, wenn wir einmal in andere Länder schauenwürden, die in den von mir genannten Bereichen wesent-lich weniger machen, die dafür aber den Schwerpunktauf eine bessere Betreuung setzen. Ich könnte mir vor-stellen, dass die Bundesagentur die Möglichkeit erhält– so wie sie Bildungsprogramme vergibt –, auch mit pri-vaten Agenturen zusammenzuarbeiten, um die Vermitt-lungstätigkeit zu verbessern, sodass die Menschen ziel-genauer vermittelt werden können und die Arbeitgeberfür sie passende Vorschläge bekommen.
Herr Kollege Laumann, gestatten Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Andres?
Gern.
Lieber Kollege Laumann, wenn Sie eine arbeits-marktpolitische Diskussion fordern, dann stelle ich mirdie Frage
– ich weiß schon, wem ich die Frage stellen muss, HerrKollege; herzlichen Dank für den Hinweis –, was wir ei-gentlich in den letzten sechs Jahren gemacht haben.
– Ich kann es Ihnen sagen: Wir haben mit Hartz I, mitHartz II, mit Hartz III
und jetzt mit Hartz IV genau die arbeitsmarktpolitischenSchritte umgesetzt, die wir gemeinsam diskutiert haben –im Ausschuss, im Parlament und überall sonst.Aber ich wollte etwas anderes fragen.
Sie haben, Herr Laumann, die Zahlen über die Vermitt-lungstätigkeit der Bundesagentur genannt. Würden Siebitte zur Kenntnis nehmen, dass es für die Bundesagen-tur in einer wirtschaftlich schwierigen Situation, die wirunzweifelhaft hatten, schwieriger ist, Jobs zu vermitteln?Und würden Sie bitte Ihre Aussage korrigieren, derSachverständigenrat erwarte, wir würden im nächstenJahr sozialversicherungspflichtige Beschäftigung verlie-ren?
Er erwartet nämlich das genaue Gegenteil. Ferner hat derSachverständigenrat mitgeteilt, dass die Stagnations-phase überwunden ist und die sozialversicherungspflich-tige Beschäftigung im nächsten Jahr aufwächst. WürdenSie das bitte zur Kenntnis nehmen, Herr Laumann?
Metadaten/Kopzeile:
13168 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Herr Kollege Andres, es ist ja richtig, dass Sie dieHartz-Gesetze durchgezogen haben.
Aber als wir Hartz I gemacht haben, war die Erwartung:Wir erreichen in drei Jahren eine Halbierung der Ar-beitslosigkeit. Sie haben jetzt noch ein halbes Jahr dafürZeit.
Das heißt, Hartz ist gescheitert: Die PSA ist gescheitert;die Ich-AG ist gescheitert. Es ist viel Geld versenkt wor-den. Wir sollten jetzt, da es mit diesen Instrumentennicht klappt, darüber reden, wie wir in dieser Beziehungbesser werden können. Da können Sie sich aufregen, wieSie wollen.
Die Welt, Herr Kollege Andres, ist Gott sei Dank wei-ter, als Sie denken. Ich habe vor ein paar Tagen die Bun-desagentur in Hanau besucht. Ich habe mir ein Projektangeschaut, in dem diese Agentur bei der Vermittlungmit einem privaten Unternehmen zusammenarbeitet. DieArbeitgeber sagen: Wir bekommen passgenaue Vor-schläge. Die Arbeitnehmer sagen: Wir bekommen mehrStellen vorgeschlagen, die besser zu uns passen. Aberleider gibt es noch viel zu wenige solcher Modelle. Hiermüssen wir viel mehr tun. Aber dann sollten wir auchdie Mittel freischaufeln. Ich würde lieber weniger Maß-nahmen durchführen, dafür aber mehr in die zielgenaueVermittlung investieren. Das ist ein ganz konkreter Vor-schlag, den wir an dieser Stelle machen.
Ich will einen weiteren Punkt ansprechen. Alle Frakti-onen in diesem Hause wissen, dass wir in Deutschlandmehr Wachstum und mehr Arbeitsplätze brauchen, umaus unserer Situation herauszukommen. Aber die Bun-desregierung geht in ihrer mittelfristigen Finanzplanungdavon aus, dass die Arbeitnehmer in den nächsten fünfbis sieben Jahren einen Nettolohnverlust hinnehmenmüssen. In Ihrem Haushalt, Herr Clement, heißt es näm-lich: Die Steuern und Sozialabgaben werden stärker stei-gen als die Löhne. Wie soll die Binnenkonjunktur in ei-ner solchen Situation anspringen? Auch hierzu hat dieUnion ganz klare Vorschläge erarbeitet, was uns in denletzten zwei Wochen wahrlich nicht leicht gefallen ist.Wir sagen: In einer solchen Situation muss man zumin-dest die Beiträge einer großen Sozialversicherung vomArbeitsverhältnis und damit vom Lohn abkoppeln. Da-mit haben wir erneut einen ganz konkreten Vorschlag ge-macht, wie wir der Entwicklung, dass die Nettolöhnelangsamer steigen werden als die Sozialabgaben undSteuern, entgegenwirken können. Schlagen doch auchSie diesen Weg ein!Wenn wir Wachstum schaffen wollen, müssen wirsehr stark auf innovative Produkte setzen. Ich sehe, dassSie in Ihrem Haushalt riesige Anstrengungen zur Förde-rung der Nanotechnologie unternehmen. Das begrüßeich; denn in diesem Bereich sind hohe Zuwachsraten zuerwarten. Aber gleichzeitig ist festzustellen, dass diegleiche Bundesregierung die Grüne Gentechnik, dieein ähnlicher Schlager werden kann, politisch diffamiertund in Deutschland unmöglich macht. Das, was Sie beider Nanotechnologie aufbauen, schmeißen Sie bei derGrünen Gentechnik mit dem Hintern wieder um. Einesolche Regierung kann kein Wachstum schaffen. Das istdie Wahrheit.
In den letzten drei Wochen wurde in Deutschland– das sage ich Ihnen ganz offen – eine irre Diskussionüber das Thema Arbeitszeiten geführt. Die Bundesre-gierung hat gesagt: Wir können unser Land retten, indemwir den Nationalfeiertag abschaffen. Andere meinten,man müsse sich in der Politik jetzt auch mit den Rau-cherpausen in den Betrieben beschäftigen. Aus diesemThema sollten wir uns lieber fein heraushalten; denn daskann in den Betrieben besser als im Deutschen Bundes-tag geregelt werden.Wahr ist aber, dass wir flexiblere Arbeitszeiten brau-chen. Zur Wahrheit gehört auch, dass die Arbeitszeitenin Deutschland eher länger als kürzer werden müssen,damit wir wieder aus der gegenwärtig problematischenSituation herauskommen.
Auch hierzu hat die Union einen ganz praktischen Vor-schlag gemacht. Wir sagen: Im Tarifvertragsgesetz mussklargestellt werden, dass betriebliche Bündnisse für Ar-beit möglich sind. Denn dann wird sich diese Entwick-lung in den Betrieben sehr passgenau einstellen. Das istim Rahmen großer Tarifverhandlungen gar nicht zu ma-chen. Auch hier haben wir einen konkreten Vorschlaggemacht, um zu mehr Wachstum und mehr Beschäfti-gung zu kommen.Zur Wahrheit gehört auch: Viele unserer Botschaftenbedeuten insbesondere für die Arbeitnehmer in unseremLand, dass sie sich für das gleiche Geld mehr anstrengenmüssen. Wenn wir das aber mit einer Debatte verbinden,die zu der Erkenntnis führt, dass sich auch die Eliten inunserem Land eine neue Bescheidenheit auferlegen müs-sen, damit der Kitt in unserer Gesellschaft erhaltenbleibt, dann ist das hinzukriegen.In diesem Zusammenhang verstehe ich nicht, dass derBundeskanzler in der letzten Woche eine Gesetzesinitia-tive zur Veröffentlichung von Managergehältern ge-stoppt hat. Denn wenn man weiß, dass in den 70er-JahrenManager ungefähr das Dreißigfache eines durchschnittli-chen Arbeitnehmereinkommens verdient haben, sie aberheute das Zweihundertfünfzigfache dessen verdienen,der wird einsehen, dass wir diesen Kitt in der Gesell-schaft brauchen, um die notwendigen Veränderungen dernächsten Monate und Jahre den Menschen zumuten zukönnen.
Herr Clement, ich bin der Meinung, dass im Bereichvon Wirtschaft und Arbeit nichts erreicht wurde. DieSituation auf dem Arbeitsmarkt ist so trostlos wie nie
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13169
(C)
(D)
Karl-Josef Laumannzuvor. Mit Ihrer Politik werden Sie in die Geschichte un-seres Landes nicht als erfolgreicher Wirtschaftsministereingehen, sondern als jemand, der die schwierigste Lageauf dem Arbeitsmarkt zu verantworten hatte und unterdem die Situation von Monat zu Monat eher schlimmerals besser geworden ist.Schönen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Petra Pau.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich beginne mit einer Meldung, die gestern von der Bun-
desbank verbreitet wurde. Demnach haben die Gewinne
von Unternehmen und Vermögenden einen neuen Re-
kordstand erreicht. Zugleich liegt die Lohnquote der Be-
schäftigten auf dem niedrigsten Stand seit 30 Jahren. Da-
mit belegt die Bundesbank das, was die PDS im
Bundestag wiederholt kritisiert hat: Die Reichen werden
immer reicher und die Armen immer zahlreicher.
Das ist allerdings kein Naturgesetz, sondern das Erbe
aus der Ära Kohl, das von Rot-Grün weitergeführt wird.
Das finden wir falsch, ungerecht und unsozial.
Nun bin ich mitten in der Diskussion über die so ge-
nannte Arbeitsmarktreform, über Hartz IV. Durch sie
wird die Schere zwischen Arm und Reich weiter geöff-
net – vorsätzlich. Auch deshalb lehnt die PDS Hartz IV
ab.
Dagegen sprechen aber auch wirtschaftliche Gründe:
Die Rekordgewinne entspringen nämlich, wenn nicht
Spekulationsgeschäften, vor allem dem Exportboom.
Der Binnenmarkt hingegen lahmt. Durch Hartz IV wird
er noch lahmer, weil die Kaufkraft sinkt. Das ist bekannt,
Rot-Grün setzt es dennoch durch und die Opposition zur
Rechten zollt dem Ganzen auch noch Beifall – die PDS
nicht.
Das Wohl und Wehe vieler Unternehmen hängt von
der Kaufkraft auf dem Binnenmarkt ab. Die ostdeut-
schen Wirtschafts- und Arbeitsminister – von CDU bis
PDS – haben hochgerechnet: Mit Hartz IV wird die
Kaufkraft allein in den neuen Bundesländern um 1 Mil-
liarde Euro sinken. Das macht viele arm. Das bedroht
kleine und mittlere Unternehmen und damit weitere Ar-
beitsplätze. Deshalb unsere Prognose: Hartz IV schafft
nicht weniger Arbeitslose, sondern mehr, arme Arbeits-
lose, nebst Angehörigen. Auch deshalb sagen wir Nein.
Rot-Grün hat mit Hartz IV ein Doppelmotto verkün-
det: Fordern und Fördern. Ganz egal, was ich davon
halte, es geht nicht auf – das Fordern schon, das Fördern
aber nicht. Das gilt insbesondere für strukturschwache
Regionen, und zwar in Ost und West. Hinzu kommen die
nackten Fakten: Die geplante Finanzausstattung der
Bundesagentur für Arbeit reicht nicht. Es wäre daher nur
ehrlich und auch zwingend, den vorliegenden Haushalt
zu korrigieren. Deshalb haben wir beantragt, den Etat
der Bundesagentur für Arbeit um 2 Milliarden Euro auf-
zustocken.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Bedenken
gegenüber Hartz IV sind übrigens nicht nur sozialer oder
wirtschaftlicher Natur, unsere Kritik hat auch einen
rechtlichen Boden: Wir halten Hartz IV für mit dem
Grundgesetz nicht vereinbar. Dazu wird die PDS in der
nächsten Woche ein Gutachten vorstellen und wir wer-
den Betroffene ermutigen, auf dieser Basis ihr Recht ein-
zuklagen. Schließlich möchte ich noch anmerken, dass
Hartz IV mit dem Datenschutz gründlich über Kreuz
liegt. Auch das geht auf das Konto von Rot-Grün.
Noch ein Extrawort an die Grünen – nicht an alle; ei-
nige haben sich ihr soziales und bürgerrechtliches Ge-
wissen sehr wohl bewahrt; aber sie sind bekanntlich in
der Minderheit –: Ich höre aus Ihrer Fraktion immer wie-
der, dass Sie die Hartz-Gesetze nach Jahresfrist überprü-
fen und notfalls korrigieren wollen. Das ist schwarzer
Humor pur, jedenfalls für alle, die bis dahin ihr Vermö-
gen aufbrauchen mussten, nebst dem ihrer Angehörigen.
Außerdem – das habe ich Ihnen gestern schon gesagt –
treiben Sie vor allen Dingen Frauen in neue Abhängig-
keiten. Das ist das Gegenteil von Emanzipation.
Vor diesem Hintergrund ist es geradezu obszön, wenn
die Bundestagsgrünen solche Gesetze beschließen und
anschließend die Hauptstadtgrünen ausgerechnet von der
PDS fordern, dass sie diese Gesetze umsetzt, und zwar
so, dass niemandem etwas genommen wird und dass es
niemandem wehtut.
Das Wort hat der Kollege Johannes Singhammer,CDU/CSU-Fraktion.
Metadaten/Kopzeile:
13170 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Herr Minister Clement, nach Ihrer Rede kann
man nur feststellen: Sie leiden an fortgeschrittenem
Wahrnehmungsverlust; denn seit der Haushaltsdebatte
im vergangenen Jahr hat sich wenig geändert.
Nach wie vor schwebt die Abrissbirne über viel zu vie-
len Arbeitsplätzen in Deutschland. Allein in Jahresfrist
haben wir 450 000 voll sozialversicherungspflichtige
Arbeitsplätze verloren.
Die Deindustrialisierung des Standortes Deutschland ist
ein gutes Stück weiter vorangekommen und die Erosion
der Industriearbeitsplätze ist von Ihrer Regierung in kei-
ner Weise gestoppt worden.
Täglich verschwinden 900 Industriearbeitsplätze. Sie
werden ins Ausland verlagert, schlichtweg eingedampft,
verdunsten, sind nicht mehr da. Herr Bundesminister,
Sie selbst haben in Ihrer Haushaltsrede am 5. Dezem-
ber 2002 für sich die Maßstäbe gesetzt, an denen wir Sie
heute messen wollen. Sie haben damals gesagt – ich zi-
tiere –:
… nicht einmal 1,5 Prozent Wachstum, wie Sie es,
meine Damen und Herren von der Opposition, im
Schnitt von 1995 und 1998 trotz boomender US-
Konjunktur „eingefahren“ haben – das ist einfach
zu wenig.
Herr Bundesminister, vor wenigen Tagen prognostizierte
der Sachverständigenrat für das kommende Jahr ein
Wachstum von lediglich 1,4 Prozent. Herr Minister, das
ist zu wenig für Deutschland.
Wenn wir uns die Prognosen des Ifo-Instituts einmal
vergegenwärtigen, das voraussagt, dass in den kommen-
den Jahren gerade auch im Mittelstand ein weiterer Ver-
lust von Arbeitsplätzen ins Ausland zu erwarten ist, dann
ist das alles andere als erfolgversprechend. Den Silber-
streif am Horizont, den Sie glauben zu entdecken, müs-
sen Sie uns einmal deutlich zeigen.
Was ist nämlich die Realität? Karstadt, Opel in Bo-
chum und in Rüsselsheim – jeden Tag kommt eine neue
Tatarenmeldung in Deutschland. Wo hier Zuversicht auf-
kommen soll, bleibt Ihr Geheimnis.
– Schreien Sie nicht so! – Nicht die Opposition, sondern
die Bundesregierung mit ihrem Kurs der planvollen
Wachstumsverweigerung bzw. Wachstumsverhinderung
verbreitet hier ein Klima der Perspektivlosigkeit; das ist
es.
Unser Land wird unter Wert regiert. Die Menschen in
Deutschland haben eine bessere Regierung verdient. Der
Königsweg lautet Wachstum. Ich nenne Ihnen drei Be-
reiche, in denen Sie dieses Hauptziel verfolgen sollten,
um aus dem Schlamassel herauszukommen.
Ein erster Punkt ist die Energieversorgung: Sie ha-
ben ein Energiegesetz jahrelang verschleppt. Nach den
Vorgaben der Europäischen Union hätten Sie schon zum
1. Juli 2004 ein derartiges Gesetz vorlegen sollen. Nicht
zuletzt deshalb liegen 40 Milliarden Euro für Ersatzin-
vestitionen im Bereich der Energiewirtschaft brach.
Diese Investitionen, die zunächst keine Steuergelder be-
dingen, werden nur dann getätigt werden, wenn Klarheit
herrscht. Wenn Unklarheit das Wesensmerkmal Ihrer Po-
litik ist, dann wird nicht investiert, dann herrscht Still-
stand.
Ich möchte einen zweiten Punkt herausgreifen. Wir
sehen mit Sorge, dass die Konkurrenzfähigkeit Deutsch-
lands bei bestimmten Produkten im Zuge der Globalisie-
rung abnimmt. Was ist die Folge daraus? – Wir müssen
um so viel besser sein, wie wir in Deutschland teurer
sind. Dieser Abstand muss immer eingehalten werden.
Erreichen können wir das mit einer engen örtlichen und
systematischen Vernetzung von Innovation, For-
schung und Produktion, der so genannten Clusterbil-
dung. Dabei müssen die Schwerpunkte eindeutig auf der
Spitzentechnologie liegen. Nur so wird Deutschland sei-
nen Vorsprung erhalten und einen neuen Vorsprung
schaffen. Wir brauchen die forschungsintensive kom-
plexe Wertschöpfung mit Systemlösungen, die von der
Billigkonkurrenz nicht leicht imitiert werden kann.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Willsch?
Gerne.
Herr Kollege Singhammer, Sie haben gerade überForschung und Innovation gesprochen. In diesem Zu-sammenhang möchte ich Ihnen folgenden Vorgang schil-dern:Die Bundesregierung hat sich bei der Verabschiedungdes Einzelplanes 30 dafür feiern lassen, dass seitens derKoalition 10 Millionen Euro für die nationale Weltraum-forschung zusätzlich zur Verfügung gestellt wurden.Nun hat mich unmittelbar danach folgende Informationerreicht: Nachdem zur Erwirtschaftung der globalen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13171
(C)
(D)
Klaus-Peter WillschMinderausgabe schon für das laufende Jahr 8 Millio-nen Euro zulasten der nationalen Weltraumforschunggingen, sind für das nächste Jahr gleich noch einmal5,5 Millionen Euro vorgesehen.Stimmen Sie mir zu, dass von der Regierung vor allenDingen Rosstäuscherei betrieben wird und in diesem Be-reich keine reale Politik gemacht wird?
Ich stimme dem zu, und zwar aus gutem Grund. An
diesem Beispiel sehen wir wiederum, dass Taten und
Worte weit auseinander klaffen. Wenn es zukünftig eine
Chance auf sichere Arbeitsplätze in Deutschland geben
soll, dann im Bereich der Hochtechnologie. Wenn wir
die wenigen Ressourcen bündeln, dann dort. Für jeden
Euro, den wir an der falschen Stelle einsparen, müssen
wir doppelt so viel bei der Bundesagentur für Arbeits-
lose ausgeben. Das ist die Wahrheit. Deshalb ist dies
eine falsche Politik.
Es ist richtig und notwendig, dass sich auch die Bun-
desregierung systematisch überlegt: Wie kommen wir
mit der so genannten Clusterbildung voran? Es gibt ei-
nige Bundesländer – es sind vor allem die unionsregier-
ten Länder –, die hier erfolgreich sind. Ich nenne zum
Beispiel Sachsen mit der Chipindustrie am Standort
Dresden. Ich denke hier auch an Bayern, wo wir in Mün-
chen vor kurzem die so genannte Neutronenquelle in Be-
trieb genommen haben – heftig kritisiert und lange blo-
ckiert von dieser Bundesregierung. Die Folgen sind sehr
schnell sichtbar geworden: Nach nur wenigen Monaten
Betriebszeit eröffnet dort General Electric ein großes
Forschungszentrum und mittelständische Industrie sie-
delt sich an. Es entsteht ein so genannter industrieller
Kern mit sicheren Arbeitsplätzen in der Hochtechnolo-
gie. Diese Art der Vernetzung in vielen unserer Lan-
desteile mit einem klaren Plan und einer klaren Strategie
vermissen wir bei der Bundesregierung. Wir stellen hier
nur fest: Ideenlosigkeit regiert allenthalben.
Mein dritter Punkt: Wir brauchen zur Sicherung von
Arbeitsplätzen und des industriellen Standorts Deutsch-
land eine Bundesregierung, die deutsche Interessen
vertritt. Was meine ich damit, Herr Bundesminister
Clement? Was war Ihre Reaktion auf die unredlich ge-
führte Übernahmeschlacht zwischen Sanofi und Aventis,
bei der die französische Regierung in massivster Form
eingegriffen hat, um den Standort Frankreich durchzu-
setzen? Was haben Sie in der Folgezeit getan, um für den
deutschen Industriestandort gleiche und faire Bedingun-
gen zu erreichen? Was haben Sie getan, um derartig ag-
gressive Praktiken in Zukunft zu verhindern? Was haben
Sie getan, als Siemens überlegte, mit Alstom ins Ge-
schäft zu kommen, und die französische Regierung die
Verhandlungen gestoppt hat?
Wir wollen nicht interventionistisches Fehlverhalten
mit gleicher Münze zurückzahlen; das sage ich ganz
klar. Aber eine Arbeitsteilung in Europa mit der Grundli-
nie „Zentrale in Paris und Filiale in Berlin“ liegt – so
empfinden wir das – nicht im deutschen Interesse. Dabei
geht es nicht um theoretische Diskussionen, sondern
massiv um Arbeitsplätze. Wo werden denn die Arbeits-
plätze zuerst abgebaut: in der Zentrale oder in der Filiale?
Jeder von uns kennt die Antwort.
Deshalb erwarten wir von Ihnen, Herr Minister, und
von dieser Bundesregierung einen Einsatz für deutsche
Interessen und deutsche Arbeitsplätze mit messbaren Ef-
fekten. Denjenigen, die in den vergangenen zwölf Mona-
ten ihren Arbeitsplatz verloren haben, hat die rot-grüne
Wirtschaftspolitik nicht geholfen. Wir wollen, dass nicht
weitere Hunderttausende ein ähnliches Schicksal erlei-
den. Deshalb sage ich: Statt einer asozialen Haushaltspo-
litik brauchen wir eine soziale Wachstumspolitik für
Deutschland.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-plan 09, Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit,in der Ausschussfassung. Hierzu liegen vier Änderungs-anträge vor, über die wir zuerst abstimmen. Wer stimmtfür den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU aufDrucksache 15/4348? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen derKoalition, der FDP und der beiden AbgeordnetenDr. Lötzsch und Pau gegen die Stimmen der CDU/CSUabgelehnt.Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion derCDU/CSU auf Drucksache 15/4349? – Wer stimmt da-gegen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist mitden Stimmen der Koalition, der FDP und der beiden Ab-geordneten Dr. Lötzsch und Pau gegen die Stimmen derCDU/CSU abgelehnt.Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktionder CDU/CSU auf Drucksache 15/4350. Die Fraktionder CDU/CSU verlangt namentliche Abstimmung. Ichbitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorge-sehenen Plätze einzunehmen. Sind die Plätze an den Ur-nen besetzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Ab-stimmung.Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seineStimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall.Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schrift-führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zubeginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnenspäter bekannt gegeben.Ich weise darauf hin, dass wir jetzt noch über einenweiteren Änderungsantrag abstimmen und nach der Aus-zählung über den Einzelplan 09 – Bundesministeriumfür Wirtschaft und Arbeit – abstimmen werden.
Metadaten/Kopzeile:
13172 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Holger HaibachGerda Hasselfeldt
Dr. Klaus W. Lippold Heinrich-Wilhelm RonsöhrManfred Carstens
Peter H. Carstensen
Gitta ConnemannLeo DautzenbergHubert DeittertAlexander DobrindtVera DominkeThomas DörflingerMarie-Luise DöttMaria EichhornRainer EppelmannHelmut HeiderichUrsula HeinenSiegfried HeliasUda Carmen Freia HellerMichael HennrichJürgen HerrmannBernd HeynemannErnst HinskenPeter HintzeRobert HochbaumKlaus HofbauerDr. Michael LutherDorothee MantelErwin Marschewski
Stephan Mayer
Dr. Conny Mayer
Dr. Martin Mayer
Wolfgang MeckelburgDr. Michael MeisterDr. Angela MerkelDr. Norbert RöttgenDr. Christian RuckVolker RüheAlbert Rupprecht
Peter RzepkaAnita Schäfer
Dr. Wolfgang SchäubleAndreas ScheuerNorbert SchindlerGeorg SchirmbeckAngela SchmidCajus Julius Caesar Klaus-Jürgen Hedrich
Patricia LipsDr. Klaus RoseKurt J. RossmanithWir kommen zur Abstimmantrag der Abgeordneten DrPau auf Drucksache 15/4351.derungsantrag? – Wer stimmtDer Änderungsantrag ist mitder CDU/CSU und der FDPden PDS-Abgeordneten abgeBis zum Vorliegen des ErAbstimmung unterbreche ichEndgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 577;davonja: 236nein: 341JaCDU/CSUUlrich AdamIlse AignerPeter AltmaierArtur AuernhammerDietrich AustermannNorbert BarthleDr. Wolf BauerGünter BaumannErnst-Reinhard Beck
Veronika BellmannDr. Christoph BergnerOtto BernhardtDr. Rolf BietmannClemens BinningerRenate BlankPeter BleserAntje BlumenthalDr. Maria BöhmerJochen BorchertWolfgang Börnsen
Dr. Wolfgang BötschKlaus BrähmigDr. Ralf BrauksiepeHelge BraunGeorg BrunnhuberVerena ButalikakisHartmut Büttnerung über den Änderungs-. Gesine Lötzsch und Petra Wer stimmt für diesen Än-dagegen? – Enthaltungen? –den Stimmen der Koalition,gegen die Stimmen der bei-lehnt.gebnisses der namentlichen die Sitzung.Anke Eymer
Georg FahrenschonIlse FalkDr. Hans Georg FaustAlbrecht FeibelEnak FerlemannHartwig Fischer
Dirk Fischer
Dr. Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachHerbert FrankenhauserDr. Hans-Peter Friedrich
Jochen-Konrad FrommeDr. Michael FuchsHans-Joachim FuchtelDr. Jürgen GehbNorbert GeisRoland GewaltEberhard GiengerGeorg GirischMichael GlosRalf GöbelDr. Reinhard GöhnerJosef GöppelPeter GötzDr. Wolfgang GötzerUte GranoldKurt-Dieter GrillReinhard GrindelHermann GröheMichael Grosse-BrömerMarkus GrübelManfred GrundKarl-Theodor Freiherr vonund zu GuttenbergOlav Gutting
Volker KauderGerlinde KaupaEckart von KlaedenJürgen KlimkeJulia KlöcknerKristina Köhler
Manfred KolbeNorbert KönigshofenHartmut KoschykThomas KossendeyRudolf KrausMichael KretschmerGünther KrichbaumGünter KringsDr. Martina KrogmannDr. Hermann KuesWerner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers
Dr. Norbert LammertHelmut LampBarbara LanzingerKarl-Josef LaumannVera LengsfeldWerner LensingPeter LetzgusUrsula LietzEduard Lintner2.05 bis 12.11 Uhr) ist wieder eröffnet.riftführerinnen und Schrift-er namentlichen Abstim-trag der Fraktion der CDU/ucksache 15/4350 bekannt.it Ja haben gestimmt 236,341, Enthaltungen gab esist damit abgelehnt.Friedrich MerzLaurenz Meyer
Doris Meyer
Maria MichalkHans MichelbachKlaus MinkelMarlene MortlerDr. Gerd MüllerStefan Müller
Bernward Müller
Hildegard MüllerBernd Neumann
Henry NitzscheMichaela NollGünter NookeDr. Georg NüßleinFranz ObermeierMelanie OßwaldEduard OswaldRita PawelskiDr. Peter PaziorekUlrich PetzoldDr. Joachim PfeifferSibylle PfeifferDr. Friedbert PflügerBeatrix PhilippRonald PofallaRuprecht PolenzThomas RachelHans RaidelDr. Peter RamsauerHelmut RauberPeter RauenChrista Reichard
Katherina ReicheKlaus RiegertDr. Heinz RiesenhuberHannelore RoedelFranz Romer
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13173
(C)
(D)
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne KastnerBernd SchmidbauerChristian Schmidt
Dr. Andreas SchockenhoffDr. Ole SchröderBernhard Schulte-DrüggelteUwe SchummerWilhelm Josef SebastianHorst SeehoferKurt SegnerMatthias SehlingMarion SeibHeinz SeiffertBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerJens SpahnErika SteinbachGero StorjohannAndreas StormMax StraubingerMatthäus StreblThomas Strobl
Lena StrothmannMichael StübgenAntje TillmannEdeltraut TöpferDr. Hans-Peter UhlArnold VaatzVolkmar Uwe VogelAndrea Astrid VoßhoffGerhard WächterMarko WanderwitzPeter Weiß
Gerald Weiß
Ingo WellenreutherAnnette Widmann-MauzKlaus-Peter WillschWilly Wimmer
Matthias WissmannWerner WittlichElke WülfingWolfgang ZeitlmannWolfgang ZöllerWilli ZylajewFraktionslose AbgeordneteDr. Gesine LötzschPetra PauNeinSPDDr. Lale AkgünGerd AndresIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHermann BachmaierErnst Bahr
Doris BarnettDr. Hans-Peter BartelsEckhardt Barthel
Klaus Barthel
Sören BartolSabine BätzingUwe BeckmeyerKlaus Uwe BenneterDr. Axel BergUte BergHans-Werner BertlPetra BierwirthRudolf BindigLothar Binding
Kurt BodewigGerd Friedrich BollmannKlaus BrandnerWilli BraseBernhard Brinkmann
Hans-Günter BruckmannEdelgard BulmahnMarco BülowUlla BurchardtDr. Michael BürschHans Martin BuryMarion Caspers-MerkDr. Peter DanckertDr. Herta Däubler-GmelinKarl DillerMartin DörmannPeter DreßenElvira Drobinski-WeißDetlef DzembritzkiSebastian EdathySiegmund EhrmannHans EichelMartina EickhoffMarga ElserGernot ErlerPetra ErnstbergerKarin Evers-MeyerAnnette FaßeElke FernerGabriele FograscherRainer FornahlGabriele FrechenDagmar FreitagLilo Friedrich
Iris GleickeGünter GloserUwe GöllnerRenate GradistanacAngelika Graf
Dieter GrasedieckMonika GriefahnKerstin GrieseGabriele GronebergAchim GroßmannWolfgang GrotthausKarl Hermann Haack
Hans-Joachim HackerBettina HagedornKlaus HagemannAlfred HartenbachMichael Hartmann
Nina HauerHubertus HeilReinhold HemkerRolf HempelmannDr. Barbara HendricksGustav HerzogPetra HeßMonika HeubaumGisela HilbrechtGabriele Hiller-OhmStephan HilsbergGerd HöferJelena Hoffmann
Walter Hoffmann
Iris Hoffmann
Frank Hofmann
Eike HovermannKlaas HübnerChristel HummeLothar IbrüggerRenate JägerJann-Peter JanssenJohannes KahrsUlrich KasparickDr. h.c. Susanne KastnerUlrich KelberHans-Peter KemperKlaus KirschnerHans-Ulrich KloseAstrid KlugDr. Bärbel KoflerDr. Heinz KöhlerWalter KolbowFritz Rudolf KörperKarin KortmannRolf KramerAnette KrammeErnst KranzNicolette KresslVolker KröningDr. Hans-Ulrich KrügerAngelika Krüger-LeißnerHorst KubatschkaHelga Kühn-MengelUte KumpfDr. Uwe KüsterChristine LambrechtChristian Lange
Christine LehderWaltraud LehnEckhart LeweringGötz-Peter LohmannGabriele Lösekrug-MöllerErika LotzDr. Christine LucygaDirk ManzewskiTobias MarholdLothar MarkCaren MarksHilde MattheisMarkus MeckelUlrike MehlPetra-Evelyne MerkelUlrike MertenAngelika MertensUrsula MoggMichael Müller
Christian Müller
Gesine MulthauptFranz MünteferingDr. Rolf MützenichVolker Neumann
Dietmar NietanDr. Erika OberHolger OrtelHeinz PaulaJohannes PflugJoachim PoßDr. Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr. Sascha RaabeKarin Rehbock-ZureichGerold ReichenbachDr. Carola ReimannChristel Riemann-HanewinckelWalter RiesterReinhold RobbeRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannKarin Roth
Michael Roth
Gerhard RübenkönigOrtwin RundeMarlene Rupprecht
Thomas SauerAnton SchaafAxel Schäfer
Gudrun Schaich-WalchBernd ScheelenDr. Hermann ScheerSiegfried SchefflerHorst SchildOtto SchilyHorst Schmidbauer
Ulla Schmidt
Silvia Schmidt
Dagmar Schmidt
Wilhelm Schmidt
Heinz Schmitt
Carsten SchneiderWalter SchölerOlaf ScholzKarsten SchönfeldFritz SchösserWilfried SchreckOttmar SchreinerGerhard SchröderBrigitte Schulte
Reinhard Schultz
Swen Schulz
Dr. Angelica Schwall-DürenDr. Martin SchwanholzRolf SchwanitzErika SimmDr. Sigrid Skarpelis-SperkDr. Cornelie Sonntag-WolgastWolfgang SpanierDr. Margrit SpielmannJörg-Otto SpillerDr. Ditmar StaffeltLudwig StieglerRolf StöckelChristoph SträsserRita Streb-HesseDr. Peter StruckJoachim StünkerJörg TaussJella TeuchnerDr. Gerald Thalheim
Metadaten/Kopzeile:
13174 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne KastnerDr. Wolfgang WodargVerena WohllebenRenate KünastMarkus KurthErnst BurgbacherHelga Daub Dr. Dieter ThomaeWaltraud Wolff
Heidi WrightUta ZapfWir stimmen nun über denschussfassung ab. Wer stimmgegen? – Enthaltungen? – DeStimmen der Koalition beiCSU, der FDP und der beidenommen.Ich rufe die TagesordnungI.19 Einzelplan 15BundesministeriumSoziale Sicherung– Drucksachen 15/431Berichterstattung:Abgeordnete WaltraudDr. Michael LutherAnja HajdukOtto FrickeI.20 Erste Beratung des vogebrachten Entwurfs efachung der Verwalt
–nd Soziale Sicherung
Jörg van EssenUlrike FlachOtto FrickeHorst Friedrich
InnenausschussRechtsausschussFinanzausschussI.21 Beratung des AntragSeehofer, Andreas SMauz, weiterer Abgeder CDU/CSUWirkungen und NeModernisierungsgesestandsaufnahme– Drucksache 15/4135Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Gesundheit uInnenausschussRechtsausschussFinanzausschussAusschuss für Wirtschaft unAusschuss für Familie, SenHaushaltsausschussÜber den ÄnderungsantraCSU auf Drucksache 15/43Einzelplan 15 bezieht, ist bergestimmt worden.Nach einer interfraktionedie Aussprache eineinhalb Shöre keinen Widerspruch.Jürgen TürkDr. Guido WesterwelleDr. Claudia WintersteinDr. Volker Wissings der Abgeordneten Horsttorm, Annette Widmann-ordneter und der Fraktionbenwirkungen des GKV-tzes – Kritische Be- –nd Soziale Sicherung
d Arbeitioren, Frauen und Jugendg der Fraktion der CDU/40, der sich auch auf deneits beim Einzelplan 08 ab-llen Vereinbarung sind fürtunden vorgesehen. – IchWolfgang ThierseFranz ThönnesHans-Jürgen UhlRüdiger VeitSimone ViolkaJörg VogelsängerUte Vogt
Dr. Marlies VolkmerHans Georg WagnerHedi WegenerAndreas WeigelPetra WeisReinhard Weis
Gunter WeißgerberGert Weisskirchen
Dr. Ernst Ulrich vonWeizsäckerDr. Rainer WendHildegard WesterLydia WestrichInge Wettig-DanielmeierDr. Margrit WetzelAndrea WickleinJürgen Wieczorek
Heidemarie Wieczorek-ZeulDr. Dieter WiefelspützBrigitte Wimmer
Engelbert WistubaBarbara WittigManfred Helmut ZöllmerDr. Christoph ZöpelBÜNDNIS 90/DIEGRÜNENKerstin AndreaeMarieluise Beck
Volker Beck
Cornelia BehmBirgitt BenderMatthias BerningerGrietje BettinAlexander BondeEkin DeligözDr. Thea DückertJutta Dümpe-KrügerFranziska Eichstädt-BohligDr. Uschi EidHans-Josef FellJoseph Fischer
Katrin Göring-EckardtAnja HajdukWinfried HermannAntje HermenauPeter HettlichUlrike HöfkenThilo HoppeJutta Krüger-JacobFritz KuhnKerstin Müller
Winfried NachtweiChrista NickelsFriedrich OstendorffSimone ProbstClaudia Roth
Krista SagerChristine ScheelIrmingard Schewe-GerigkRezzo SchlauchAlbert Schmidt
Werner Schulz
Petra SelgUrsula SowaRainder SteenblockSilke Stokar von NeufornHans-Christian StröbeleMarianne TritzDr. Antje Vogel-SperlDr. Antje VollmerDr. Ludger VolmerJosef Philip WinklerMargareta Wolf
FDPDr. Karl AddicksDaniel Bahr
Rainer BrüderleAngelika BrunkhorstRainer FunkeDr. Wolfgang GerhardtHans-Michael GoldmannJoachim Günther
Dr. Karlheinz GuttmacherDr. Christel Happach-KasanUlrich HeinrichBirgit HomburgerDr. Werner HoyerMichael KauchDr. Heinrich L. KolbHellmut KönigshausGudrun KoppJürgen KoppelinSibylle LaurischkHarald LeibrechtIna LenkeSabine Leutheusser-SchnarrenbergerMarkus LöningDirk NiebelGünther Friedrich NoltingHans-Joachim Otto
Eberhard Otto
Cornelia PieperGisela PiltzDr. Andreas PinkwartDr. Hermann Otto SolmsCarl-Ludwig Thiele
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13175
(C)
(D)
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne KastnerIch eröffne die Aussprache. Das Wort hat der KollegeWolfgang Zöller, CDU/CSU-Fraktion.
Grüß Gott, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Gestatten Sie mir zunächst, dass ich der Ge-sundheitsministerin von ganzem Herzen Gesundheitwünsche. Ich kann verstehen und als Politiker nachemp-finden: Es kann wohl nichts Schlimmeres geben, alswenn man seine Stimme verliert.Meine sehr geehrten Damen und Herren, nichtsdesto-trotz muss man natürlich, wenn wir heute über denHaushalt beraten, auch über die Halbzeitbilanz von Rot-Grün reden, die nun einmal von anhaltendem wirtschaft-lichen Niedergang und anhaltender hoher Arbeitslosig-keit geprägt ist. Das belegen Ihre eigenen Zitate, meinesehr geehrten Damen und Herren. Ich darf aus dem Ge-setzentwurf der Bundesregierung zitieren:Das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht ist imJahre 2004 ernsthaft gestört … Das Ziel eines ho-hen Beschäftigungsstandes wird nach wie vor gra-vierend verfehlt … Es zeichnet sich ab, dass derBeschäftigungsrückgang deutlich stärker ausfallenwird.Meine sehr geehrten Damen und Herren, damit doku-mentiert die Bundesregierung selbst, dass sie mit ihrerWirtschafts- und Beschäftigungspolitik völlig geschei-tert ist.
Das Schlimme daran ist, dass wir dieses Trauerspiel nunim fünften Jahr in Folge erleben müssen.
Dies hat natürlich auch Folgen für die bestehendensozialen Sicherungssysteme. Die Rentenkassen sindleer. Die Rücklagen sind aufgebraucht. Es ist zu befürch-ten, dass die Rentner immer öfter eine Nullrunde hinneh-men müssen. Kein Problem ist nachhaltig gelöst. Alleswird ständig auf künftige Generationen verschoben.Auch in der Pflegeversicherung hat die Bundesregie-rung in den letzten Jahren die Einnahmeseite durch poli-tische Fehlentscheidungen verschlechtert. Noch 1998hatte die Pflegeversicherung einen Überschuss in Höhevon rund 5 Milliarden Euro. Nun ist zu befürchten, dassim kommenden Jahr die Mindestreserve in Höhe von0,8 Milliarden Euro nicht mehr gehalten werden kann.Das bedeutet im Umkehrschluss, dass der seit 1995 sta-bile Beitragssatz in Höhe von 1,7 Prozent nicht mehrausreichen wird, um die Pflegeleistungen verlässlich zufinanzieren.
Was hat die Bundesregierung dagegen unternommen?Sie hat eine – nach meiner Meinung: einfallslose – Bei-tragserhöhung vorgenommen, indem sie versucht hat,das Bundesverfassungsgerichtsurteil, das – man be-achte! – am 3. April 2001 erlassen wurde, dreieinhalbJahre später, also kurz vor Toresschluss, umzusetzen, al-lerdings auf eine Art, die in keiner Weise den Vorgabendes Bundesverfassungsgerichtsurteils entspricht. StattVersicherte mit Kindern zu entlasten, wird das Bundes-verfassungsgerichtsurteil durch die einseitige Beitragser-höhung für Kinderlose zum Stopfen von selbst verschul-deten Finanzlöchern missbraucht.
Ein solcher Strafbeitrag für Kinderlose widerspricht demGeist des Bundesverfassungsgerichtsurteils.Die gesetzliche Krankenversicherung tritt trotzMehreinnahmen und Einsparungen ebenfalls auf derStelle. Die Krankenkassen sind nicht in der Lage, dieEntlastungen als Beitragssenkungen an die Versichertenweiterzugeben.
Dafür gibt es zwei wesentliche Gründe: zum einen dasWegbrechen der Einnahmen – auch hier müssen Sie sichwieder den Vorwurf gefallen lassen, eine verfehlte Wirt-schafts- und Beschäftigungspolitik betrieben zu haben –und zum anderen die falschen Angaben über die tatsäch-liche Verschuldung der Krankenkassen. Während dieBundesregierung noch im letzten Jahr von 4 MilliardenEuro gesprochen hat, muss man heute fairerweise von8 Milliarden Euro Verschuldung ausgehen.
– Herr Kollege Tauss, Ihre Zurufe sind vom Inhalt hernicht immer die interessantesten. Aber als Gesundheits-politiker sei mir gestattet, darauf hinzuweisen, dass IhreZurufe von der Lautstärke her allmählich gesundheitsge-fährdend für Ihre Nachbarn sind.
Ohne das gemeinsam mit uns verabschiedete Gesund-heitsmodernisierungsgesetz läge der Beitragssatz inder gesetzlichen Krankenversicherung heute über15 Prozent.Den Sozialkassen droht der finanzielle Offenba-rungseid. Aber hier geht es nicht nur um ein finanziellesProblem. Dies hätte vielmehr auch massive Auswirkun-gen auf die Stabilität und den inneren Zusammenhalt un-serer Gesellschaft. Dieser steht auf dem Spiel. Wer diesoziale Sicherung in ihren Grundfesten gefährdet, derriskiert gesellschaftspolitische Konflikte. Deshalb ist esdie politische Pflicht aller demokratischen Parteien – da-rin sollten wir uns in diesem Hohen Hause einig sein –,Konzepte zu entwickeln, die uns aus dieser Misere he-rausführen.
Metadaten/Kopzeile:
13176 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Wolfgang ZöllerDie Union hat sich dieser Verantwortung gestellt. Ob-wohl sie in der Opposition ist, hat sie klare Reformvor-schläge gemacht.
– Da Sie unruhig auf den Stühlen herumrutschen, ver-mute ich, dass Sie mehr über unsere solidarische Ge-sundheitsprämie wissen wollen. Ich möchte in diesemZusammenhang zwei wesentliche Punkte ansprechen.Erstens. Durch die Festschreibung der Arbeitgeberbei-träge kommt es erstmals zu einer Entkopplung der Ar-beitskosten von den Gesundheitskosten. Dadurch ver-bessern wir die Chancen für die Schaffung vonArbeitsplätzen. Dies sollte eigentlich unser gemeinsa-mes Anliegen sein, damit es in Deutschland wieder auf-wärts geht.
Zweitens. Es werden erstmals auch die Besserver-dienenden zum solidarischen Ausgleich herangezogen.Gesamtgesellschaftliche Aufgaben sollten auch von derGemeinschaft finanziert werden.
Deshalb ist eine Finanzierung der Beiträge für Kinderaus Steuermitteln system- und sachgerecht.
Dies ist übrigens eine konsequente Fortführung unsererBestrebungen, versicherungsfremde Leistungen aus dergesetzlichen Krankenversicherung herauszunehmen.
Das von der Union vorgelegte Reformkonzept
bietet darüber hinaus weitere Ansätze für eine konkreteAusgestaltung.
Herr Kollege Zöller, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Dreßen?
Ja, bitte schön.
Herr Kollege Zöller, können Sie mich einmal darüber
aufklären, wie es mit der Finanzierung nun wirklich aus-
sieht?
Bei Einführung der Kopfpauschale wollen Sie den Spit-
zensteuersatz um drei Prozentpunkte senken. Das heißt,
der Staat hat 6 Milliarden Euro weniger in der Kasse.
Hinzu kommt – das geben Sie selbst zu –, dass Ihr Kom-
promiss einen Zuschuss aus Steuermitteln in Höhe von
14 Milliarden Euro vorsieht. Insgesamt sind also zusätz-
lich 20 Milliarden Euro aufzubringen. Können Sie mich
jetzt einmal darüber aufklären, von welcher Stelle des
Haushalts Sie diese 20 Milliarden Euro nehmen wollen?
Wollen Sie die Rente oder irgendwelche Subventionen
kürzen?
Herr Kollege Dreßen, es wäre mir wesentlich lieber,wir könnten uns einmal über ein Konzept von Ihnen un-terhalten.
Sie sind nämlich an der Regierung und nicht wir.Um auf Ihre Frage konkret zu antworten: Es ist nichtredlich, immer nur die eine Seite zu sehen. Wir habengesagt: Die Finanzierung muss im Zusammenhang mitder Steuerreform gesehen werden. Sie werden sich wun-dern, wie gut man unsere Vorschläge bei den Beratungenin diesem Haus finden wird.
Wir wollen auch strukturelle Komponenten einbauen.Dadurch wollen wir mehr Transparenz, mehr Wettbe-werb und – das ist ganz wichtig – endlich einmal weni-ger staatliche Reglementierung im Gesundheitswesen er-reichen.
Wir wollen auch, dass die Wahlmöglichkeiten der Ver-sicherten wesentlich verbessert werden.Die Opposition legt konkrete Vorschläge vor.
Von der Regierung dagegen habe ich bisher kein schlüs-siges Konzept gehört.
– Ich bin für das Stichwort „Bürgerversicherung“ dank-bar. Korrekterweise müssten Sie es „Bürgerzwangsver-sicherung“ nennen.
Es ist besonders bemerkenswert, dass sich bisher wederdie Fraktion noch die Ministerin noch der Kanzler öf-fentlich zur Bürgerzwangsversicherung bekannt haben.Das wundert mich. Ich will einmal sehen, wie Sie dazustehen. Auch Sie sollten endlich kapieren: Sozial ist, was
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13177
(C)
(D)
Wolfgang ZöllerArbeit schafft. Danach sollten wir die Maßnahmen aus-richten, um das Ziel zu erreichen.
Leider ist festzuhalten: Unter Rot-Grün wurden dieSozialsysteme, ob Renten-, Pflege-, Arbeitslosen- oderKrankenversicherung, finanziell an die Wand gefahren.Das Schlimmste dabei ist: Man sieht keine Konzepte.Die Bürger sehen keine Perspektive, wie man aus dieserMisere herauskommt. Rot-Grün hat zwei Jahre vor derBundestagswahl keinen Mut mehr, die notwendigen Re-formen anzupacken. Die Union handelt getreu einer Kol-ping-Devise: Wer Mut hat, macht Mut.Vielen Dank.
Dr. h. c. Susanne Kastner Vizepräsidentin:Das Wort hat die Kollegin Waltraud Lehn, SPD-Frak-tion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Der Haushalt des Bundesministeriums für Gesundheitund Soziale Sicherung ist vor dem Hintergrund einerzweifelsfrei schwierigen Haushaltssituation beraten wor-den. Dennoch: Dieser Haushalt bleibt ein sozialer Haus-halt. Die aktuelle Steuerschätzung erwartet für dasnächste Jahr Steuereinnahmen von etwa 190 MilliardenEuro. Davon werden wir allein 128 Milliarden Euro fürsoziale Leistungen ausgeben, also gut 67 Prozent. Dasheißt im Klartext: Von 100 Euro, die wir an Steuerein-nahmen haben, geben wir 67 Euro für soziale Leistungenaus:
bei der Arbeitslosenhilfe angefangen über die Jugend-hilfe bis hin zur Rente.Wir unterstützen und begleiten mit dem Haushalt2005 die Reformpolitik von Bundeskanzler GerhardSchröder mit einem starken sozialen Beitrag. OhneFrage: Wir muten den Menschen mit unserer Reformpo-litik Veränderungen zu, aber nehmen unsere soziale Ver-antwortung ernst – ganz im Gegensatz zu Ihnen.
Eine Streichorgie ohne Ende bei den sozialen Leis-tungen wollte die Union bei der Beratung im Haushalts-ausschuss durchsetzen.
Es ist beschämend, Herr Zöller, dass Sie hier so reden.Entweder haben Sie keine Ahnung oder Sie sagen be-wusst die Unwahrheit. Beides disqualifiziert Sie.
Sie haben 19 Kürzungsanträge mit Eingriffen zum Bei-spiel bei den Leistungen für chronisch Kranke und Pfle-gebedürftige oder bei den Mitteln für die Aidsbekämp-fung gestellt!
– Oh nein, kein Blödsinn! Ich gebe Ihnen die Anträgegleich zum Einrahmen, damit Sie das nachlesen kön-nen. – Der designierte Nachfolger von Herrn Seehoferstellt sich hierhin und tut so, als wäre die Absicht derUnion, eine Wohltat nach der anderen zu verteilen. Da-von sollte sich das ganze Parlament distanzieren. So gehtes nicht.
Gleich ganz streichen wollten Sie den Bundeszu-schuss zu den familienpolitischen Leistungen. Wennich mich nicht irre, Herr Zöller, waren Sie doch dabei,als Herr Seehofer das in den Koalitionsverhandlungen –in den Verhandlungen zur Gesundheitsreform durchge-setzt hat.
– Das war gut, nicht? Aber das war ja auch so etwas wieeine große Koalition in Fragen der Gesundheit. Wir wür-den uns wünschen, dass wir in den Fragen, die für dieBevölkerung so zentral sind, weiterhin gut zusammenar-beiten können.
Aber die Zusammenarbeit haben Sie durch das, was Siejetzt vorgelegt haben, denke ich, eindeutig aufgekündigt.Der Zwangsgemeinschaft Merkel/Stoiber ist nichtsmehr heilig, kein sozialpolitisches Handeln und kein So-zialpolitiker. Horst Seehofer wurde auf dem Altar einesschon jetzt erkennbar brüchigen inneren Friedens geop-fert. Kein Wunder, dass er jetzt ins Kloster will!Die mühsam versammelte Union geht auch, und zwarweit weg, weit weg von sozialer Verantwortung und weitweg von sozialer Gerechtigkeit. Mit ihrem Lohn-nebenkostenabkopplungs-Einheitspauschale-Steueran-teils-Modell hat die Union ein ebenso unsoziales wie bü-rokratisches Monstrum vorgelegt.
Sie von der Union wurden getrieben – von der Notwen-digkeit, endlich mehr als Allgemeinplätze auf den Tischzu legen und endlich den Streit in den eigenen Reihen zuschlichten, und zwar den Streit zwischen den Radikalre-formern der CDU und den doch wertebewussteren Mit-gliedern der CSU.
: Sagen Sie doch
mal, was Sie wollen! – Jens Spahn [CDU/
Metadaten/Kopzeile:
13178 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Waltraud LehnCSU]: Was wollen Sie denn? – Gegenruf desAbg. Klaus Kirschner [SPD]: Bürgerversiche-rung, ist doch klar!)Was ist das Resultat? Verriss des Papiers durch alle,aber wirklich alle Experten. Alle stimmen in Folgendemüberein: zu bürokratisch, sozial unausgewogen, ohneAntworten auf Zukunftsfragen. Das Allerbezeichnendsteaber ist: Sie von der CDU/CSU können nicht mit Geldumgehen; Sie können nicht rechnen.
– Ich verstehe, dass Ihnen das wehtut. Sie können nach-weislich nicht rechnen.
Unklar bleibt nur, was zuerst da war: die gedanklicheVerwirrung oder das Zahlenwirrwarr in Ihrer Rechnung.Wirr jedenfalls ist das, was hinten herauskommt.
Wenn Sie fragen, wie ich dazu komme, so etwas zusagen, dann antworte ich Ihnen: Die Experten, und zwaralle, haben Ihnen gesagt, dass Sie in Ihrem Konzept eineFinanzierungslücke – das war die Krönung – in Höhevon rund 18 Milliarden Euro haben.
Wir reden nicht von ein paar Hunderttausend, wir redenauch nicht von ein paar Millionen, wir reden von18 Milliarden Euro.
Das gilt schon jetzt. Weiterhin ist völlig unklar, wie esmit der Prämie in Höhe von 109 Euro, die, wie schongesagt, völlig falsch berechnet wurde, weitergehen soll.Wir haben nämlich – auch das sagen die Experten über-einstimmend – steigende Gesundheitskosten. Die fünfWirtschaftsweisen erwarten, dass eine solche Prämie inden nächsten Jahrzehnten massiv angehoben werdenmüsste. Ganz konkret sagen die Wirtschaftsweisen, dassdie Prämie bereits in zehn Jahren – das ist ein überschau-barer Zeitraum – bei 239 Euro,
2030 bei 331 Euro und 2050 sogar bei 500 Euro liegenwürde. Wer soll das denn bezahlen?
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Luther?
Selbstverständlich. Wenn er schon nicht als Erster re-
den durfte, dann soll er jetzt wenigstens als Erster das
Wort zu einer Zwischenfrage haben.
Bitte, Herr Kollege Luther.
Liebe Kollegin Lehn, Sie haben ja jetzt sehr ausführ-
lich Stellung zu dem Gesundheitsreformkonzept genom-
men, das die Union umsetzen möchte, wenn sie in der
Regierungsverantwortung steht, also sicher ab 2006.
Mich interessiert jetzt natürlich ganz besonders, was Sie
bis 2006 machen wollen. Auch Sie wissen, dass wir die
sozialen Sicherungssysteme nicht einfach so weiterlau-
fen lassen können. Ich bin auf Ihre Antwort sehr ge-
spannt.
Das ist eine gute Frage, weil ich jetzt etwas Redezeiteinspare. Ich springe nämlich jetzt fast an das Ende mei-ner Rede
– das ist wahr – und kann Ihnen dazu Folgendes sagen:Zunächst einmal haben wir bereits Änderungen in denSozialsystemen vorgenommen. Wir haben das mit Au-genmaß gemacht und dabei immer das Ziel vor Augengehabt, den Sozialstaat zu erhalten.
Herr Luther, Sie wissen, dass Sie dabei erfreulicherweisemitgeholfen haben.
Es ist positiv, dass fast das ganze Haus mitgemacht hat.
Nur die FDP hat nicht mitgemacht. Wir setzen in der Ge-sundheitspolitik – das wissen doch auch Sie – auf dieBürgerversicherung,
an der auch Selbstständige, an der auch Beamte und ander auch Gutverdienende beteiligt werden sollen, undzwar entsprechend ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit.
Wer viel hat, der soll viel geben. Wer wenig hat, dermuss nicht so viel bezahlen. Unser Modell der Bürger-versicherung ist sozial gerecht, familienfreundlich und
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13179
(C)
(D)
Waltraud Lehnzukunftsfähig. Im Übrigen bin ich gerne bereit, Ihnen,damit Sie das auch im Detail nachlesen können – ichverstehe ja, dass man das, was man nicht hören will, un-gern zur Kenntnis nimmt –, das schriftlich zu geben. Siekönnen das dann nachlesen und nacharbeiten.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine weitere Zwischen-
frage des Kollegen Kolb?
Aber selbstverständlich.
Ich bedanke mich, Frau Kollegin. – Es klingt ja immer
so schön, wenn gesagt wird, auch diejenigen, die mehr
verdienen, sollen zur Finanzierung der GKV beitragen. Es
gibt aber doch eine Beitragsbemessungsgrenze in der
gesetzlichen Krankenversicherung. Denken Sie denn da-
ran, diese Beitragsbemessungsgrenze anzuheben? Das
wäre ja fatal, weil dadurch die Lohnnebenkosten steigen
würden. Wenn Sie sie nicht anheben, würde das Konzept
einer Bürgerversicherung darauf hinauslaufen, dass die
Mittelschicht in unserem Land mehr Beiträge zahlt, weil
neben dem Bruttoeinkommen zukünftig beispielsweise
Festgeldzinsen und Mieteinnahmen zusätzlich verbei-
tragt werden sollen und damit die Bemessungsgrundlage
verbreitert wird. Sie erzählen hier doch eine Mär! Von
der Bürgerversicherung werden doch nicht diejenigen
betroffen, die viel verdienen, sondern diejenigen, die ein
mittleres Einkommen haben!
Stimmt das?
Wenn eine Bürgerversicherung eingeführt wird, be-deutet das selbstverständlich, dass das ganze System insich überdacht wird; sonst macht das keinen Sinn.
– Natürlich gehört das dazu, da muss man gar nicht„Ah!“ sagen. Alles andere wäre doch geradezu blöd.
Natürlich haben wir das System überdacht. Wir lassenuns von dem Prinzip leiten, dass stärkere Schultern mehrtragen können müssen als schwache Schultern.
– Es macht natürlich Sinn, dass man nach oben eineGrenze zieht, genauso wie man mit Blick auf die unterenEinkommen sagt: Niemand soll prozentual übermäßigbelastet werden. Aber im Gegensatz zu dem Modell, dasdie CDU/CSU auf den Tisch gelegt hat und von dem Sievon der FDP sich, wie ich meine, zu Recht distanzieren,weil Sie das selber für unsinnig halten, ist es bei unseremModell nicht so, dass der einzige Gewinner die Privat-krankenkassen sind. Denn was machen Sie? Sie treibendie Leute durch die Vielzahl von Entscheidungen, dieSie schon in dem Papier stehen haben, zu den privatenKassen und sorgen dafür, dass sich zukünftig alle in vie-len Bereichen – darauf komme ich gleich noch – zusätz-lich versichern müssen.
Ich sage der CDU/CSU: Vielleicht wäre es klug ge-wesen, Sie hätten vorher einmal etwas intensiver, als Siees getan haben, über die Grenze in die Schweiz ge-schaut, wo es, wie man weiß, die Kopfpauschale gibt.1996 wurde dieses System dort eingeführt und innerhalbvon sieben Jahren ist die Durchschnittspauschale um50 Prozent angestiegen.
Heute muss fast jeder Zweite in der Schweiz vom Staatalimentiert werden, weil er die Beiträge selbst nichtmehr aufbringen kann. Zurzeit findet in der Schweizeine Diskussion unter den Regierungsparteien darüberstatt, in welchem Umfang man Leistungen zukünftig be-grenzen muss, wobei dort aus der allgemeinen Kopfpau-schale ohnehin nicht so viel bezahlt wird, wie inDeutschland bezahlt werden soll.Das Unionskonzept ist schlecht gedacht und schlechtgemacht. Aber geradezu gemeingefährlich ist, dass Siedabei etwas zu verschweigen versuchen, obwohl das un-mittelbare und unvermeidbare Folge Ihres Konzeptes ist.Nach dem Vorhaben der Union gibt es zukünftig wederKrankengeld noch Zahnersatz. Viele familienpolitischeLeistungen der Krankenkassen wie beispielsweise dasMutterschaftsgeld werden dann abgeschafft.
Häusliche Krankenpflege und Mutter-Kind-Kuren fal-len aus dem Leistungskatalog der Krankenkassen he-raus. Jeder wird diese Risiken dann privat absichernmüssen,
wenn er es denn überhaupt bezahlen kann. Auch jetztgeht es doch schon lange nicht mehr um die 109 Europro Person, sondern um viele weitere Euro für Zahner-satz, Krankengeld und Steuern.
Metadaten/Kopzeile:
13180 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Waltraud Lehn
– Herr Zöller, ich glaube, dass Sie das bis ins Mark trifft,aber Sie hätten erst nachdenken sollen, bevor Sie einKonzept auf den Tisch legen.Der Kommentar in der „Süddeutschen Zeitung“ am15. November dieses Jahres zu Ihrem Konzept hat tref-fend festgestellt:Wenn der Gesundheitskompromiss das Gesellen-stück zum Nachweis der Regierungsfähigkeit seinsollte, kann man nur hoffen, dass diese Gesellen ...nicht so schnell als Meister die Werkstatt Deutsch-land übernehmen.Dem ist nichts hinzuzufügen.
Ich sage noch einmal:
Auch wir haben Veränderungen bei den Sozialleistungenvorgenommen.
Aber wir wollen den Sozialstaat im Rahmen des Mögli-chen und mit den Menschen gemeinsam umbauen, umihn zu erhalten. Sozialstaat heißt für uns: Die Menschenwerden unterstützt, die Hilfe benötigen. Sozialstaat heißtfür uns aber auch: Wenn jemand Unterstützung nicht be-nötigt, dann muss er auf Leistungen verzichten. Schließ-lich heißt Sozialstaat für uns, dafür zu sorgen, dass sichdiejenigen, die mehr leisten können, stärker beteiligen.Ich glaube deswegen, dass an der Bürgerversicherung– wie immer sie im Detail ausgeprägt sein mag –
kein Weg vorbeigeht.
Meine Damen und Herren, zum Schluss meiner Redemöchte ich mich bei meinen Mitberichterstattern, beiHerrn Luther, Herrn Fricke und bei Frau Hajduk, rechtherzlich bedanken. Es war eine nicht einfache, aber letzt-endlich sehr effektive Zusammenarbeit. Ich möchte michauch bei der Frau Ministerin und bei den Mitarbeiterin-nen und Mitarbeitern ihres Ministeriums, insbesonderebei der Haushaltsabteilung, sowie bei den Mitarbeiterin-nen und Mitarbeitern des BMF herzlich bedanken.Ich wünsche mir, dass wir trotz der Schwierigkeiten,vor denen wir stehen, die gute Kooperation beibehaltenwerden.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Heinrich Kolb, FDP-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wenn man Sie so hört, Frau Kollegin Lehn, und dieWahrheit nicht kennt, könnte man meinen, im Bereichder sozialen Sicherung in Deutschland sei alles in Ord-nung.
Aber eine kritische Bestandsaufnahme zeigt, dass dasGegenteil der Fall ist. Im Einklang mit dem aktuellenSachverständigengutachten kann ich sagen: Die Systemeder sozialen Sicherung in Deutschland befinden sich ineiner schweren Krise.
Die rot-grüne Bundesregierung – an dieser Stelleherzliche Genesungswünsche an Frau MinisterinSchmidt – steht nach sechs Jahren Amtszeit in allen Be-reichen der sozialen Sicherung, also in der Rentenversi-cherung, in der Krankenversicherung, in der Pflegeversi-cherung sowie auch in der Unfallversicherung und in derKünstlersozialversicherung – es bleibt wirklich keineVersicherung außen vor –, vor einem Scherbenhaufen.Das ist kein Zufall, sondern das Ergebnis Ihrer Politik.Diese Versäumnisse haben Sie zu verantworten.
Man muss hier einmal klipp und klar sagen: Dieschwachen Finanzen der Sozialkassen haben natürlichetwas damit zu tun, dass in diesem Jahr, in dem dasWeltwirtschaftswachstum mit fast 5 Prozent den höchs-ten Wert seit drei Jahrzehnten erreicht hat, unsere Wirt-schaft nur um 1,8 Prozent wächst, und das auch nur des-wegen, weil in diesem Jahr die beweglichen Feiertagegünstig liegen. Ansonsten würde das Wachstum unsererWirtschaft nur 1,3 Prozent betragen. Ihre verfehlte Wirt-schaftspolitik hat dazu geführt, dass wir am Ende derWachstumstabelle stehen.
Die schwachen Finanzen der Sozialkassen haben na-türlich etwas damit zu tun, dass die Beitragsbasis der so-zialen Sicherungssysteme schwindet. Mit geringfügigerBeschäftigung und mit Ich-AGs lassen sich weder dieRente noch die Gesundheitsversorgung auf Dauer finan-zieren. Allein von Juli 2003 bis Juli 2004 haben wir487 000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigungs-verhältnisse in Deutschland verloren. Das sind 1 334 Ar-beitsplätze pro Kalendertag. Das ist das Ergebnis IhrerPolitik ebenso wie der traurige Rekord bei den Insolven-zen. Jahr für Jahr verschwinden rund 40 000 – vor allenDingen mittelständische – Unternehmen vom Markt.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13181
(C)
(D)
Dr. Heinrich L. KolbDie schwachen Finanzen haben natürlich auch mitden Entscheidungen zu tun, die Sie im System der sozia-len Sicherung getroffen haben. Ich will das in aller gebo-tenen Kürze am Beispiel der Rentenversicherung erläu-tern. Die gesetzliche Rentenversicherung ist deshalb eingutes Beispiel, weil die Zuschüsse aus dem Bundeshaus-halt mit 78,2 Milliarden Euro rund 92 Prozent des Ge-samtvolumens des Einzelplans 15 ausmachen. Nach demRegierungswechsel glaubten Sie, liebe Kolleginnen undKollegen von der Koalition, auf den noch von der Regie-rung Kohl/Kinkel beschlossenen demographischen Fak-tor in der Rentenversicherung verzichten zu können. Daswar, wie selbst Bundeskanzler Schröder heute zugibt,ein großer Fehler.
Stattdessen wollten Sie mit der im Jahre 1999 be-schlossenen Ökosteuer frisches Geld in das alte Systembringen. Das zusätzliche Aufkommen sollte zur Bei-tragssatzsenkung eingesetzt werden. Das war, wie wirheute wissen, ein Trugschluss, Herr Kollege Dreßen. DieRealität des Jahres 2004 sieht nämlich so aus: Wir zah-len in diesem und auch im nächsten Jahr 17 MilliardenEuro Ökosteuer als – wenn Sie so wollen – Rentenbei-trag an der Zapfsäule, allerdings ohne den Erwerb vonRentenanwartschaften. Der Beitragssatz der gesetzlichenRentenversicherung steht aber nicht bei 18,5 oder18,6 Prozent,
wo er eigentlich sein müsste. Er liegt vielmehr bei19,5 Prozent – und das, Frau Kollegin Dückert, obwohlin der Rentenversicherung zwischenzeitlich die Bei-tragsbemessungsgrenze erhöht, die Schwankungsreserveum 10 Milliarden Euro abgeschmolzen bzw. – so könnteman auch sagen – geplündert worden ist, obwohl Sie vonden Rentnern den vollen Pflegeversicherungsbeitrag ver-langen und Sie die GAGFAH verkauft haben und dabeinoch einen Buchgewinn von 500 Millionen Euro erzielthaben.
Man muss es hier einmal ganz nüchtern sehen: WieSchnee in der Sonne haben sich in den letzten Jahren dieReserven der Rentenkasse unter Ihrer Verantwortungaufgelöst.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Kirschner?
Nichts lieber als das, Herr Ausschussvorsitzender.
Herr Kollege Dr. Kolb, wenn Sie darauf hinweisen,
dass der Beitragssatz niedriger sein sollte, und Sie
gleichzeitig auf die schwierige Finanzlage der Renten-
kassen und den Bundeszuschuss einschließlich der öko-
logischen Steuerreform hinweisen – das alles ist völlig
richtig; das wird hier niemand bestreiten –, frage ich Sie:
Wie sieht eigentlich Ihr Vorschlag aus? Wollen Sie die
Renten senken? Wenn Sie diese Probleme an die Wand
malen – sie sind da; niemand bestreitet das – und Sie all
das, was wir gemacht haben, ablehnen, müssten Sie auch
einmal sagen, wie Ihr Lösungsvorschlag aussieht.
Vielen Dank, Herr Kollege Kirschner. – Zunächst istes so: Wenn man mit dem Gesicht vor der Wand steht,hat man natürlich, kurzfristig gesehen, keine Alternati-ven. Deswegen muss man zunächst einmal mit einer rea-listischen Bewertung der Situation beginnen. Das Pro-blem ist doch, dass Sie in den letzten fünf Jahren dasreale Wachstum um durchschnittlich 0,7 Prozent über-schätzt haben. Das heißt, Sie haben am Jahresanfang ge-sagt, das werde schon gut gehen, der Aufschwungkomme.
Tatsächlich hatten wir aber Wachstumszahlen, die beiplus oder minus 0,1 Prozent lagen.
Das Ganze fängt damit an, dass Sie vollkommen überzo-gene Erwartungen haben, was die Entwicklung der Ren-tenfinanzen anbelangt.
Es gab Überlegungen – sie lagen diesem Hause vor –,wie man das Problem entschiedener hätte angehen kön-nen. Beispielsweise haben wir uns dafür ausgesprochen,
die Möglichkeit der Frühverrentung klarer zu beenden,als Sie das getan haben. Sie haben zwar etwas auf denWeg gebracht; dies beinhaltet aber eine sehr lange Über-gangsfrist.
Das führt natürlich dazu, dass die Belastungen der Ren-tenkasse, kurzfristig gesehen, unverändert hoch bleiben.
– Frau Bender, auch darüber kann man diskutieren. Ichmüsste Sie aber bitten, eine Zwischenfrage zu stellen;denn ansonsten läuft mir die Zeit davon.Man sieht im Hinblick auf die Rentenkasse: Der An-schlag ist erreicht. Es gibt mittlerweile sehr interessante
Metadaten/Kopzeile:
13182 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Dr. Heinrich L. KolbZeugen dafür. Selbst Frau Engelen-Kefer – man reibtsich die Augen – hat als turnusmäßige Vorsitzende desVDR die Befürchtung geäußert, dass der auf Kante ge-nähte Finanzmantel der Rentenversicherung nicht hält –und das bei einer weiteren Nullrunde, die Sie den Rent-nern in diesem Lande im nächsten Jahr zumuten werden.
Man muss hier klipp und klar fragen
– am Beispiel der Rentenversicherung habe ich es deut-lich gemacht; aber in der Krankenversicherung sieht esnicht besser aus –: Wo sind die von Ihnen versprochenenSenkungen des Beitragssatzes? Wir stehen aktuell bei14,2 Prozent. 13,6 hätten es sein müssen.
– Stellen Sie Zwischenfragen! Dann habe ich ein biss-chen mehr Zeit.Jetzt versteigt sich die Ministerin dazu, zu sagen:
Wir werden Mitte Juli nächsten Jahres nahe bei 13 Pro-zent sein. Es ist doch eine dreiste Volksverdummung, diehier betrieben wird.
Ab 1. Juli 2005 ist ein Sonderbeitrag von 0,9 Prozent zuleisten, der natürlich von den Krankenkassen weiterge-geben wird. Die Versicherten zahlen nicht weniger; siezahlen diesen Sonderbeitrag voll.
Sie haben dann im Ergebnis eine höhere Belastung, alses heute der Fall ist. So kann man mit den Menschen indiesem Lande wirklich nicht umgehen.
Ich habe versucht – Frau Kollegin Dückert, Sie habenleider keine Zwischenfragen gestellt –, in der Kürze derZeit deutlich zu machen: Wir stehen in der Sozialversi-cherung vor gewaltigen Problemen, vor Problemen, diekeinen Aufschub dulden. Wenn die Deiche zu brechendrohen, genügt es nicht, Sandsäcke auf die undichtenStellen zu legen, sondern dann muss man den Druck aufdie Dämme reduzieren.
Herr Kollege Kolb, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Dazu haben wir Ihnen eine Reihe guter Vorschläge
vorgelegt, die ich Sie zu überprüfen bitte, damit wir sie
anschließend hoffentlich einer Mehrheitsbeschlussfas-
sung in diesem Hause zuführen können.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Kollegin Birgitt Bender, Bünd-
nis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! HerrKollege Kolb, wenn Sie schon die Omnipotenzfantasiehaben, Sie könnten das Meer zurückweichen lassen,dann lautet mein Rat: Gehen Sie einmal zum Psychiater.Jedenfalls ist das kein Thema für die Politik.
Nun komme ich zum Thema. Angela Merkel hatRecht! Sie hat nämlich in einem in der letzten Wocheveröffentlichten Interview gesagt, das Werben für Verän-derungen müsse mit einer Debatte über Werte und Wur-zeln einhergehen. Dem kann ich zustimmen, auch wennich Frau Merkel nicht oft zustimmen kann. Es ist einewertbezogene Perspektive, aus der heraus man den sogenannten Gesundheitskompromiss zwischen CDUund CSU kritisieren muss.Gewiss gibt es auch eine ganze Reihe von mehr oderweniger technischen Argumenten. So wollen Sie bei-spielsweise eine Behörde zum Einsammeln der Arbeitge-berbeiträge und der Steuermittel schaffen. Damit würdenSie einen riesigen bürokratischen Aufwand erzeugen,den Sie angeblich immer abschaffen wollen.Ein weiteres Argument: Die Prämiensubventionie-rung, die Sie den Niedrigverdienern versprechen, hättezur Folge, dass 18 Millionen Haushalte mit 40 MillionenMitgliedern jedes Jahr Anträge auf soziale Unterstüt-zung ausfüllen müssten und diese Anträge geprüft undgenehmigt werden müssten.Darüber hinaus sagen Sie, Sie wollten den Wettbe-werb um niedrige Beitragssätze. Tatsächlich aber schlie-ßen Sie für Geringverdienende diesen Wettbewerb aus;denn wenn man nie mehr als 7 Prozent des eigenen Ein-kommens zahlen muss, hat man keinerlei Anreiz, sichum eine Kasse mit günstigeren Beitragssätzen zu bemü-hen.Ein weiteres Argument: Bei Ihnen gibt es keinenWettbewerb zwischen privater und gesetzlicher Kran-kenversicherung. Sie wollen die Zweiteilung bestehenlassen. Inzwischen sagen selbst Professor Rürup und dieWirtschaftsweisen, man müsse einen einheitlichen Versi-cherungsmarkt im Gesundheitswesen herbeiführen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13183
(C)
(D)
Birgitt BenderNur die Union verteidigt nach wie vor das Reservat derprivaten Krankenversicherung.
Diese Mängel sind sehr gut in der Äußerung vonArbeitgeberpräsident Hundt zusammengefasst worden.Er sagte, das sei die gemischt lohnabhängige arbeitge-berbeitragsfondssteuerergänzungsfinanzierte Teilpauschal-prämie der Union. Dazu kann man nur sagen: Bravo!Viele, die um dieses Problem wissen – so hört man –,hoffen auf die Hilfe der FDP, damit dieses Konzept niedurchgesetzt werden muss.
Dazu kann ich nur sagen: Weit muss es mit der Uniongekommen sein!
Wichtiger ist aber die Frage der Finanzierungslückedes Konzepts. Das ist eine echte Wertedebatte. Sie ver-sprechen einen sozialen Ausgleich und eine steuerfinan-zierte Kindermitversicherung. Nun wollen Sie dieSteuern etwas weniger senken, als Sie es vorab beab-sichtigten. Man muss nicht Mathematik studiert haben,um zu wissen, dass dann, wenn man Steuern weniger alsvorher beabsichtigt senkt, die zusätzliche Staatsverschul-dung niedriger als vorher von Ihnen vorgesehen ausfällt,dass damit aber noch kein einziger Euro für den sozialenAusgleich verdient worden ist.
Im Übrigen haben Sie die Arbeitgeberbeiträge zuhoch angesetzt und die Ausgaben zu niedrig. Das alleinbedeutet eine Finanzierungslücke in Höhe von 20 Milli-arden Euro. Meine Damen und Herren von der CDU, dasist kein neues Problem. Sie haben von Anfang an ge-wusst, dass das für das Kopfpauschalenmodell ein Pro-blem ist. Inzwischen haben sich nur die Ausmaße derLücke und die Finanzierungsströme verändert, die umdie Lücke herumfließen. Das wissen ja auch viele ausder CSU und auch aus der CDU. Der baden-württember-gische CDU-Fraktionsvorsitzende Günther Oettingerdrückt das in wohlgesetzten Worten aus, indem er sagt:Die Schwächen dieses Konzepts sind zu groß.Man könnte es auch deutlicher sagen: Wenn man einesolche Finanzierungslücke in Kauf nimmt, dann heißtdas doch nichts anderes, als dass der soziale Ausgleichfür Sie vernachlässigenswert ist. Sie nehmen es wissent-lich in Kauf, dass der gleiche Zugang aller Bürgerinnenund Bürger zu medizinisch notwendigen Leistungenmangels sozialen Ausgleichs infrage gestellt wird.
Ich möchte wissen, wo da die Werte der Union gebliebensind. Hat das Soziale in der Union eigentlich noch Platz?
Und wo, Herr Zöller, ist dann auch das S in der CSU ge-blieben? Ich kann es nicht finden.Das Prinzip der Sozialversicherung bedeutet, dassder Solidarausgleich eingebaut ist. Das spart Kosten; daserspart den Leuten, die in den Genuss dieses Ausgleichskommen, die Stigmatisierung und es garantiert gleich-zeitig soziale Stabilität
und ist damit von einer Geisteshaltung geprägt, die densozialen Zusammenhang mitdenkt und ihn nicht jedesJahr von den Haushaltsdebatten im Parlament abhängigmacht. Deswegen ist die Frage „einkommensabhängigeBeiträge versus einkommensunabhängige Pauschale“nicht einfach eine Frage der Technik. Vielmehr geht eshier um Integration oder Ausgrenzung. Für den Weg,den Sie gehen wollen, liebe Kollegen und Kolleginnenvon der Union, müssen Sie die Werte, die Angela Merkeleinfordert, erst einmal finden.
Im Übrigen, Herr Kollege Storm, gibt es in dem Kon-zept ja auch einen Absatz über Wettbewerb, der mirganz gut gefällt. Darin sagen Sie nämlich, es müsseWettbewerb zwischen den Krankenkassen und mehrWettbewerb zwischen den Leistungsanbietern geben. Siekritisieren, jedenfalls ansatzweise, die Planwirtschaft imKrankenhausbereich
und auch die Anbieterdominanz im Arzneimittelmarkt.Nun frage ich mich aber, wie das zu Ihrer Politik derletzten Jahre passt. Bei der Gesundheitsreform waren Siees, die die Anbieterinteressen im Gesundheitswesen ge-schützt haben. Heute legen Sie einen Antrag vor, derebenfalls in dieser Debatte behandelt werden soll undder alles andere als frei von Klientelismus ist. Sie sorgensich vor allem wieder um die Konkurrenzängste derApotheker und auch einzelner Ärzte, die nicht den Wett-bewerb wollen, weil sie sich nicht sicher sind, ob sie da-rin bestehen können.
Metadaten/Kopzeile:
13184 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Birgitt BenderWie passt das eigentlich zu diesem Papier? Das wäredoch auch eine interessante Frage.Im Übrigen findet der angekündigte Wettbewerb zwi-schen privater und gesetzlicher Krankenversicherung beiIhnen nicht statt. Ich sage Ihnen: Rot-Grün steht für ei-nen anderen Weg und dieser ist sehr werthaltig. Wir wol-len Solidarität ausweiten, nicht abbauen. Wir wollen,dass auch in Zukunft alle Bürgerinnen und Bürger Zu-gang zu medizinisch notwendigen Leistungen haben.Wir verbinden das mit einem nachhaltigen Finanzie-rungsmodell. Das kann man von Ihnen wahrlich nichtsagen.
Lassen Sie mich, liebe Kolleginnen und Kollegen,noch ein paar Worte zur Rente sagen.
Auch da kann ich einen Wertehorizont nicht erkennen.
Kollege Storm – er wird ja nachher sprechen – hat nochim Dezember letzten Jahres gesagt:Auf keinen Fall dürfen wir einseitig nur die Bei-tragszahler belasten; denn dann würde sich die ver-hängnisvolle Spirale aus steigenden Sozialabgabenund wegbrechenden Arbeitsplätzen immer weiter inSchwindel erregende Höhen schrauben.
Dem kann ich beipflichten.
Und jetzt? Wir sehen alle, dass die Finanzdecke derRentenversicherung knapp ist.
Die Regierung bemüht sich, den Beitragssatz, Herr Kol-lege Kolb, stabil zu halten. Was tun Sie? Sie schreien„Alarm!“ und behaupten dann noch, die Regierung habedie Rentenkassen geplündert.
– Das wissen Sie doch besser, Herr Kollege Storm. Nie-mand hat die Rentenkasse geplündert. Es bestand bereitsin Ihrer Regierungszeit die Absicht, die Immobilien, diezum Kapital der Rentenversicherung gehören, zu ver-kaufen.
Sie haben es nur wieder nicht auf die Reihe bekommen.Wir haben es gemacht. Wäre das nicht erfolgt, dannwäre der Rentenbeitragssatz jetzt höher. Ist es das, wasSie wollen? Was Sie real tun, ist, Ihren eigenen Wortenzu widersprechen, und zwar nur um des oppositionellenGebarens willen. Das führt dazu, dass die Rentner undRentnerinnen verunsichert werden.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Luther?
Ja.
Liebe Kollegin Bender, ich habe folgende Frage: Sind
Sie wie ich der Meinung, dass der Bundesrechnungshof
den Deutschen Bundestag immer beauftragt hat, die
GAGFAH-Immobilien zu privatisieren, mit dem Ziel,
dass ihre Rendite als Geldanlage höher ist als der Wert
des Immobilienvermögens,
und dass niemals daran gedacht wurde, dieses Geld so-
fort auszugeben, sodass es weg ist?
Es bleibt bei meiner Frage – auf die ich von Ihnen
noch keine Antwort bekommen habe –: Ist Ihre Alterna-
tive, dass der Rentenbeitragssatz steigt?
Wenn Sie das wollen – das wäre ein Widerspruch zu
dem, was Herr Kollege Storm neulich noch gesagt hat –,
dann müssen Sie das sagen. Irgendwann müssen Sie ein-
mal Alternativen vorlegen, die auch finanziell aufgehen.
Ich kann mich nur einer Kommentierung aus der „Stutt-
garter Zeitung“ anschließen, in der es, bezogen auf den
Gesundheitskompromiss, hieß:
Für die Union bleibt so nur eine Erkenntnis: Sie ist
Opposition, und sie ist es derzeit zu Recht.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Michael Luther.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Frau Bender, ich will an dieser Stelle etwasGrundsätzliches festhalten
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13185
(C)
(D)
Dr. Michael Luther – das sage ich auch für die Zuschauer –: Die Regierungstellen zurzeit Sie.
Es wundert mich, dass die bisherigen zwei Redner derKoalition zu 90 Prozent über ein Konzept der Union ge-sprochen haben, aber überhaupt keine eigenen Vorstellun-gen über die Reform der sozialen Sicherungssystemevorgestellt haben.
Lassen Sie mich, da wir Haushaltsberatungen durch-führen, kurz eine allgemeine Bemerkung dazu machen:Wir haben über diesen Haushalt mit großer Ernsthaftig-keit diskutiert; Frau Lehn, auch Sie haben das gesagt.Was diesen Haushalt betrifft, gibt es eine Menge Pro-bleme, die aufgezeigt worden sind. Das war aufgrundder guten Unterlagen für die Berichterstatter, die wesent-lich besser als die des letzten Jahres sind, möglich. Des-halb, Frau Ministerin, möchte ich mich an dieser Stellerecht herzlich bei den Mitarbeitern Ihres Hauses bedan-ken, die uns zugearbeitet haben.
Auch möchte ich mich für die kollegiale Zusammenar-beit unter den Berichterstattern bedanken.Ich will noch ein anderes Thema aufgreifen, das indiesen Beratungen oft zu kurz kommt. Wem ist schonbewusst, dass zum Bundesministerium eine Vielzahlwichtiger Institute gehört? Ich will sie einmal nennen:Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Deut-sches Institut für Medizinische Dokumentation und In-formation, Paul-Ehrlich-Institut, Bundesinstitut für Arz-neimittel und Medizinprodukte, Robert-Koch-Institut,Bundesversicherungsamt und Bundessozialgericht. DieAufgaben dieser Institute reichen von der Überwachungvon Medizinprodukten und der Aufklärung über die Be-wertung der Lage bei möglichen Bioterroranschlägen bishin zur Aufsicht über Sozialversicherung und Rechtspre-chung.An dieser Stelle muss einmal gesagt werden, dass indiesen Instituten hervorragende Arbeit geleistet wird;davon konnte ich mich überzeugen, als ich im letztenJahr viele dieser Institute besuchte. Ferner ist das auch inden Berichterstattergesprächen deutlich geworden.
Ich habe einmal die Aufgaben aufgelistet, die die Po-litik diesen Instituten in den letzten Jahren neu auferlegthat – und das vor dem Hintergrund, dass kaum Aufgabenvon ihnen genommen wurden und sie mit immer weni-ger Personal auskommen müssen. Das halte ich für pro-blematisch. Ich will einen solchen Punkt ansprechen:Das RKI betreibt ein Hochsicherheitslabor in seinemHaus. Stellen Sie sich einmal vor, dass es personell nichtmehr in der Lage wäre, dieses Labor zu betreiben! Es istnicht so! Aber so eine Situation wäre für unser Land eingroßes Risiko. Ich denke, das Risiko ist groß. Deswegenmüssen wir sehr aufpassen, was wir hier im DeutschenBundestag beschließen. Deshalb formuliere ich nocheinmal: Angesichts knapper Kassen kann man nicht allesWünschenswerte machen, man muss sich auf Schwer-punkte konzentrieren; diese festzusetzen ist Aufgabe derPolitik. Mein Appell als Haushaltspolitiker geht insbe-sondere an die Mitglieder des Fachausschusses – undzwar von allen Fraktionen –, sich dieser Verantwortungstets bewusst zu sein.
– Danke schön.Leider muss ich auch kritische Bemerkungen loswer-den: Der Bundeshaushalt ist aus meiner Sicht nur schein-bar verfassungskonform. Wir wissen, dass die ihmzugrunde gelegten Wirtschaftsdaten schon heute Maku-latur sind. Wir werden wie in diesem Jahr im nächstenJahr wieder erleben, dass man sich geirrt hat; wir werdenerneut einen Nachtragshaushalt mit einer Riesenneuver-schuldung bekommen.Wir müssen sparen. Die CDU/CSU hat sich bemüht,in den Einzelberatungen bis ins Detail gehende Einspar-vorschläge zu machen. Frau Lehn, es ist richtig: Ich habe19 Änderungsvorschläge gemacht. Aber ich habe nichtvorgeschlagen, soziale Leistungen zu kürzen. Ich habevorgeschlagen, Programme zu kürzen, die so, wie siemomentan im Raum stehen, vor dem Hintergrund derknappen Haushaltslage nicht im vorgesehenen Umfangerforderlich sind; die Einsparvorschläge umfassen20 Millionen Euro. Ich hätte nicht von Ihnen erwartet,dass Sie alle meine Einsparvorschläge unkommentiertablehnen. Das hat mir nur gezeigt, dass Sie überhauptnicht bereit sind, auch nur darüber nachzudenken, spar-sam mit öffentlichen Mitteln umzugehen.
Ich frage Sie noch einmal: Können Sie mir erklären,warum der Personaltitel des Ministeriums um6,15 Prozent wachsen muss? Können Sie mir erklären,warum plötzlich ein neuer Titel „Prävention“ im Bundes-ministerium angesiedelt wird? Diese Aufgabe gehört indie Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. InWahrheit handelt es sich bei diesem Titel um einenneuen Titel für die Öffentlichkeitsarbeit der Ministerin.Ich denke, so etwas gehört sich in Zeiten knapper Kas-sen nicht!
Lassen Sie mich den Bundeskanzler aus seiner gestri-gen Haushaltsrede zitieren:Jenseits dessen sollten wir klar machen …, dass eswahrscheinlich ein Fehler gewesen ist, nicht sehrviel früher darauf hinzuweisen …, dass die wich-tigste Voraussetzung für die Integration in eine Ge-sellschaft, in die man hineingeht, die Sprache ist.Deswegen ist es unerhört wichtig, einzusehen, dassdie Sprache gelernt werden muss. Das sollten wirals Gesellschaft auch abverlangen.Ich halte das für richtig.
Metadaten/Kopzeile:
13186 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Dr. Michael LutherIch frage Sie deshalb – ich habe das schon bei derHaushaltsberatung im Ausschuss und in den Berichter-stattergesprächen gefragt –: Ist es dann gerechtfertigt,dass Sie eine Broschüre „Soziale Sicherungen im Über-blick“ zum Beispiel auch in türkischer Sprache heraus-geben?
Auf meine Frage im Berichterstattergespräch, was dassoll, sagte man mir: Diese Broschüre geht aber gut. Daszeigt doch nur Folgendes: dass das Thema die türkischsprechende Bevölkerung interessiert.
Ich denke, wenn wir, wie der Bundeskanzler gesagt hat,den Leuten abverlangen sollen, dass sie die für die Inte-gration wichtige Voraussetzung erfüllen, die Sprache zulernen, sollte man auch bei den eigenen Publikationendiesen Weg beschreiten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, 20 Millionen Euroeinzusparen erscheint sinnlos, wenn man sich den Ein-zelplan insgesamt ansieht: Er hat ein Volumen von84,7 Milliarden Euro. Würde man das gesamte Ministe-rium und alle Institute einsparen, käme man auf ein Vo-lumen von 670 Millionen Euro. Das macht nur 0,8 Pro-zent aus. Die entscheidenden Ausgabenvolumina findensich woanders: Zum einen ist da der Bereich Kriegsop-ferfürsorge. Das Etatvolumen dafür umfasst 3 Milliar-den Euro, es ist stark rückläufig. Daran sollten wir abernicht herangehen; denn das sind wir den Menschenschuldig, die für unser Vaterland gedient haben.
Wichtiger ist die Frage: Was passiert im Bereich So-zialversicherung, der 81 Milliarden Euro umfasst? Hierist die Entwicklung der letzten Jahre dramatisch, insbe-sondere beim Bundeszuschuss zur Rentenkasse. Ichmöchte mit allem Nachdruck auf die schlimme Entwick-lung hinweisen. Sie sagen voller Stolz und sicherlichauch zu Recht: Wir konnten den Rentenbeitrag in denletzten Jahren bei 19,5 Prozent konstant halten. Aber zuwelchem Preis!
Sie haben den Bundeszuschuss von 1998 bis 2003 erheb-lich gesteigert. Das wurde durch die Ökosteuer finan-ziert. Die Folgen der Ökosteuer für die Gesamtwirtschaftsind aus meiner Sicht erheblich. Das gehört heute abernicht in diese Debatte und soll auch nicht mein Themasein.Diese Maßnahme brachte nur eine kurzfristige Ent-spannung. Deshalb haben Sie die Schwankungsreservefür die Renten im weiteren Verlauf von einer vollen Mo-natsausgabe auf magere 0,2 abgesenkt. Sie haben dieBarreserve der Rentenversicherer also fast aufgebraucht.
Auch das hat in diesem Jahr aber nicht gereicht. Dane-ben haben Sie nämlich die GAGFAH-Immobilien – daswar in dieser Debatte schon ein Thema – für 2,1 Mil-liarden Euro verkauft. Ich will noch einmal sagen: DiePrivatisierungsaufforderung des Bundesrechnungshofeslautete, dass diese zu veräußern sind, weil eine höhereRendite zu erzielen ist, wenn man den Erlös als Barver-mögen anlegt, als wenn man das Immobilienvermögenbehält. Niemand wird dabei bedacht haben – sicherlichauch der Bundesrechnungshof nicht –, dass Rot-Gründas Geld, sobald es zur Verfügung steht, sofort ausgibtund nicht spart.
Frau Lehn, Sie haben vorhin in Ihrer Rede gesagt, dieCDU/CSU könne nicht mit Geld umgehen.
Wenn es ein Beispiel dafür gibt, dass Sie nicht mit Geldumgehen können, dann ist es Ihr Umgang mit der Priva-tisierung der GAGFAH.
– Frau Lehn, hören Sie zu!
Nun kommt die spannende Frage, wie es weitergeht.Ich hätte mir gewünscht, dass Sie als Haushälterin dieseFrage heute einmal angesprochen hätten.
Im nächsten Jahr steigt der Bundeszuschuss kaum. DieSchwankungsreserve können Sie nicht weiter abbauenund Sie haben nichts mehr, was Sie für die Rente ver-ramschen können.
Was passiert also im nächsten Jahr?Die Rentenversicherer warnen in diesen Tagen davor,dass die Rentenrefinanzierung aus der Rentenkasse nichtmehr gesichert ist, sodass der Bundeshaushalt herhaltenmuss. Sie haben Recht.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13187
(C)
(D)
Ich frage Herrn Eichel und Sie, meine Damen und Her-ren Haushälter der Regierung: Sehen Sie nicht, in wel-ches finanzielle Fiasko wir hineinlaufen?Frau Schmidt, ich muss ganz deutlich sagen: An die-ser Stelle zeigt sich, dass Sie versagt haben. Sie wissen,dass wir bei allen sozialen Sicherungssystemen Struktur-reformen brauchen. Sie aber haben beschlossen, bis zumEnde der Legislaturperiode nicht mehr zu handeln.
Sie sehen zu, wie der Karren vor die Wand fährt. Ichdenke, das ist die eigentliche dramatische Aussage zumBundeshaushalt 2005.
Ich will es noch einmal sagen: Es reicht nicht aus,dass nur die Union Überlegungen darüber anstellt, wiedie sozialen Sicherungssysteme zu reformieren sind.Diese wird die Union, wenn sie 2006 an die Regierungkommt – davon gehe ich aus –, umsetzen. Auch Siemüssen hier und heute sagen, welche Konzepte Sie ha-ben.Ich stelle fest: Sie haben keine Konzepte. Das ist sehrbedauerlich. Deswegen will ich auch noch einmal deut-lich sagen: Sie tragen die Verantwortung für das finan-zielle Fiasko, das wir erleben werden.Danke schön.
Zu einer Kurzintervention erhält jetzt die Abgeord-
nete Marieluise Beck das Wort.
Marieluise Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
Sehr geehrter Herr Dr. Luther, Sie haben eben mo-
niert, dass im Haushalt des Gesundheitsministeriums
auch Geld für eine Aufklärungsbroschüre über das
Gesundheitswesen in türkischer Sprache zur Verfü-
gung gestellt wird.
Ich möchte Sie noch einmal darauf hinweisen, dass
die Anwerbung türkischer Arbeitskräfte in Deutschland
1961, zwei Monate nach dem Bau der Mauer, begonnen
hat, weil keine Arbeitskräfte aus der damaligen DDR
mehr in den Westen kommen konnten. Diese Anwer-
bung wurde gezielt für die Bereiche durchgeführt, in de-
nen harte Arbeit geleistet werden muss: den Bergbau,
die Stahlindustrie, den Straßenbau und die Bauwirtschaft
insgesamt.
Vielleicht sollte ich Ihnen auch noch sagen, wie diese
Anwerbung vonstatten gegangen ist. Durch eine Ge-
sundheitsprüfung wurden in der Türkei die Menschen
ausgewählt, die auf der Stelle am Arbeitsplatz einsatzfä-
hig waren. Keinem dieser Menschen ist ein Sprachkurs
angeboten worden. Sie sollten gar nicht die deutsche
Sprache erlernen. Sie sollten nur arbeiten und dann wie-
der nach Hause zurückkehren. Deswegen wurden sie
„Gäste“ genannt.
Die gesundheitliche Situation dieser Menschen, die
jetzt 40 Jahre älter sind, ist in der Regel sehr schlecht,
weil sich die Tatsache, dass sie die harten Arbeiten ge-
macht haben, die Deutsche oft nicht mehr machen woll-
ten, physisch niederschlägt. Dass Sie nun monieren, dass
diesen Menschen Aufklärung in hoch komplexen und
sprachlich sehr schwierigen Bereichen wie dem Gesund-
heitswesen angeboten wird, zeigt, dass Ihr vorgegebenes
Interesse an Integration in keiner Weise ehrlich ist, son-
dern dass es Ihnen nur darum geht, Menschen zu stigma-
tisieren, die Sie hierher geholt haben und die Sie jetzt
nicht mehr hier haben wollen.
Ich bin darüber entsetzt. Es zeigt noch einmal, dass
die notwendige Debatte um Integration, die unsere Ge-
sellschaft vor große Herausforderungen stellt, offen-
sichtlich doch den Unterton hat, dass man diese Men-
schen, die man gerufen hat, eigentlich nicht mehr haben
will, dass sie uns lästig sind und dass sie wieder gehen
sollen.
Herr Luther, bitte. Sie haben das Wort.
Ihre Kurzintervention gibt mir die Gelegenheit, dazuStellung zu nehmen und noch einmal klar zu machen,was das Ansinnen meiner Rede war. Erst einmal will ichfesthalten, dass der Anwerbestopp seit über 20 Jahrengilt. Seitdem leben diese Menschen hier und sollen auchhier leben. Aber unser gemeinsames Anliegen muss dassein, was unser Bundeskanzler – das unterstütze ich aus-drücklich – gestern gesagt hat – ich will es noch einmalzitieren –:Deswegen ist es unerhört wichtig, einzusehen, dassdie Sprache gelernt werden muss. Das sollten wirals Gesellschaft auch abverlangen.Wenn wir als neue Qualität erkennen, dass das, waswir bislang gemacht haben, nicht mehr so weitergehenkann, nämlich einfach zuzusehen, dass sich Subkulturenentwickeln, in denen keiner auf die Idee kommt, dieSprache des Landes zu lernen, in dem man lebt – dieseMenschen sind aber nicht erst vor kurzem angeworbenworden und seit einem Jahr hier, sondern schon seit vie-len Jahrzehnten hier im Lande –, dann muss man mit al-len Mitteln der Politik versuchen, da gegenzusteuern.Einen Punkt, den ich angesprochen habe, haben Sienicht aufgegriffen. Ich möchte ihn daher noch einmal an-führen. Wenn wir Öffentlichkeitsarbeit durchführen
Metadaten/Kopzeile:
13188 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Dr. Michael Lutherund dazu Broschüren herausgeben, die nicht das Auslän-derrecht, sondern für alle Menschen in Deutschland gel-tendes Recht betreffen, dann sollten wir alle Möglichkei-ten nutzen, damit ein Anreiz geschaffen wird, diedeutsche Sprache zu erlernen. Die Tatsache, dass dieseBroschüre auf Türkisch erschienen ist, war sicherlich zueinem früheren Zeitpunkt einmal richtig. Aber heute istdies aus meiner Sicht nicht mehr zeitgemäß. Wir solltengerade in diesem Bereich eine Änderung überlegen.Meine herzliche Bitte ist, darüber einmal ernsthaft nach-zudenken.Danke schön.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Erika Lotz.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-
gen! Herr Kollege Luther, darüber, dass Migrantinnen
und Migranten die deutsche Sprache erlernen sollen und
müssen, sind wir uns alle einig. Aber Ihre Antwort auf
die Kurzintervention der Kollegin Beck war keine Hilfe.
Sie müssen doch daran denken, dass in unserem Land
sehr viele ältere türkische Mitbürgerinnen und Mitbürger
wohnen, die die deutsche Sprache nicht beherrschen.
Genau sie brauchen diese Broschüren. Kritisieren Sie
das doch nicht! Wenn Sie der Auffassung sind, es sei
notwendig, dass diese Menschen unsere Sprache erler-
nen, dann müssen wir auch an die älteren Mitbürgerin-
nen und Mitbürger denken, die die deutsche Sprache
noch nicht beherrschen und sie aufgrund ihres Alters
vielleicht auch nicht mehr so erlernen werden, dass sie
die Sozialgesetzgebung verstehen.
Was wir derzeit erleben, ist ein Grabenkrieg zulasten
der sozialen Sicherheit der Menschen in unserem Land,
aber nicht etwa zwischen Regierung und Opposition.
Nein, er findet in den Reihen der Opposition selber statt.
Nun ist unter Ihnen, meine Damen und Herren von der
CDU/CSU, ein neues Opfer zu beklagen. War es zuerst
Norbert Blüm,
der Arbeits- und Sozialminister Ihrer letzten fünf Bun-
desregierungen, der im vergangenen Jahr für seine so-
zialpolitische Überzeugung von Ihnen ausgelacht und
mit Buhrufen bedacht wurde, so ist es nun Horst
Seehofer, der den Gesundheitspakt von CDU und CSU
aus fachlichen Erwägungen ablehnt. Er hat den stellver-
tretenden Fraktionsvorsitz abgeben müssen
und auch mit seiner Funktion als stellvertretender Partei-
vorsitzender der CSU wird es bald zu Ende sein. Es gibt
noch weitere Opfer in den Reihen der christlichen Ar-
beitnehmerschaft, namenlose Opfer, deren Gemeinsam-
keit ist, dass es sich bei ihnen um Fachleute der Sozial-
politik handelt, die die Überzeugung haben, dass unser
Sozialstaat den Schwachen in unserer Gesellschaft
helfen soll. Die Sieger in CDU und CSU denken anders.
Sie wollen unseren Sozialstaat demontieren.
Bei der zweitgrößten Fraktion in diesem Hause muss
man schon genauer hinsehen, besonders was ihre politi-
schen Konzepte für unser Land betrifft. Schauen wir uns
ihre Pläne zur Gesundheit und zur Rente doch einmal ge-
nauer an.
Die Konzeptionslosigkeit Ihrer Politik, meine Damen
und Herren von der CDU/CSU, zeigt sich unter anderem
in Ihrem Antrag „Wirkungen und Nebenwirkungen des
GKV-Modernisierungsgesetzes – Kritische Bestandsauf-
nahme“. Das ist ein Gesetz, das von Ihnen mitgetragen
wurde und auch Ihre Handschrift trägt. Ich denke dabei
zum Beispiel an die Praxisgebühr. In diesem Antrag,
der immerhin 16 Seiten umfasst, lässt sich auch bei bes-
ter Absicht kein inhaltlicher roter Faden erkennen. Sie
haben gut zwei Wochen an diesem Antrag gearbeitet. Er
stand schon zweimal auf der Tagesordnung, wurde dann
aber wieder abgesetzt, weil Sie sich offensichtlich noch
nicht einig waren. Wenn man ihn liest, dann erkennt
man, dass es dort eine Aneinanderreihung von Lob, Kri-
tik, Behauptungen und Forderungen gibt, ohne dass ein
konzeptioneller Zusammenhang sichtbar wird.
Ich frage Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
Union: Wohin wollen Sie? Welches Ziel verfolgen Sie in
der Gesundheitspolitik? Eine Antwort auf diese Frage
gibt Ihr Antrag jedenfalls nicht. Ich bin gespannt, ob es
dazu in der heutigen Debatte noch Antworten geben
wird.
Sie kritisieren wieder einmal, dass der Zahnersatz
künftig nicht über die Pauschale finanziert werden wird.
Dabei wissen Sie genau wie ich, dass die vereinbarte
Lösung vom Sommer letzten Jahres nicht praktikabel,
äußerst verwaltungsaufwendig und für Versicherte mit
höheren Kosten verbunden ist. Es hilft nichts, wenn Sie
bei jeder Gelegenheit darauf hinweisen, dass Sie es
gerne anders gehabt hätten. Das wissen wir. Sie von der
CDU/CSU sollten endlich akzeptieren, dass die Kopf-
pauschale weder im Kleinen noch im Großen funktionie-
ren wird.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Müller?
Ja, bitte.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13189
(C)
(D)
Frau Kollegin Lotz, ich möchte Sie fragen, worauf
Sie Ihre Behauptung gründen, dass sich die Zahnersatz-
regelung nicht realisieren ließ. Ich möchte zwei Stellen
aus dem Protokoll der Anhörung zitieren. So sagt der
Vertreter des Verbandes Deutscher Rentenversicherungs-
träger:
Der VDR hat niemals behauptet, dass ein Quellen-
abzugsverfahren nicht möglich ist.
Herr Schweiger von der Bundesagentur für Arbeit
sagte:
Im Kern kann ich mich dem anschließen, … Wir
haben auch nie behauptet, dass es … nicht möglich
gewesen wäre, das umzusetzen.
Woher nehmen Sie die Gewissheit, dass Ihre Behaup-
tung, die Sie im Laufe des parlamentarischen Verfahrens
aufgestellt haben, richtig ist
und welche Zeugen können Sie benennen, die belegen,
dass Ihre Behauptung zutrifft?
Liebe Frau Kollegin Müller, ich habe die Protokolleder Anhörung nicht mitgebracht. Wenn ich gewussthätte, dass Sie dazu Fragen stellen würden, hätte ichauch einen Stapel Papier mitgebracht und die entspre-chenden Passagen herausgesucht.
Sie wissen doch genau, dass auch die Anhörung gezeigthat, dass die Umsetzung der kleinen Kopfpauschale ei-nen hohen Verwaltungsaufwand bedeutet hätte. Die Ver-sicherten wären mit etwa 2,50 Euro zusätzlich belastetworden, wobei sich das nicht in einer verbesserten Qua-lität der Behandlung niedergeschlagen hätte.
Die 2,50 Euro wären auch nicht bei den Zahntechnikernoder bei den Zahnärzten angekommen.Sie können sich noch so sehr auf die Sachverständi-gen berufen, Frau Müller;
es wäre in jedem Fall ein Monster geworden, das dieMenschen stärker belastet hätte. Wir sind uns sicherlichdarin einig, dass die Kopfpauschale unsolidarisch ist,
weil sie diejenigen mit niedrigeren Einkommen stärkerbelastet als diejenigen mit höheren Einkommen. Das giltauch für Ihre anderen Pläne im Zusammenhang mit derKopfpauschale.
Sie reden aber nicht mehr von einer Kopfpauschale;vielmehr nennen Sie es jetzt Gesundheitsprämie undwollen ihr auch noch die Eigenschaft „solidarisch“ an-dichten. Aber dass sie das nicht ist, werden die Men-schen schon merken. Dazu muss ich keine Prophetinsein. Darin sind sich die Fachleute – auch Ihre eigenen –einig.Sie haben eine Woche lang über die Kopfpauschalegestritten. Was ist das Ergebnis? – Wer hat, dem wird ge-geben. Das ist das Leitmotiv für Ihre künftigen Refor-men. Um dieses Leitmotiv sollten Sie kein Mäntelchenhängen, sondern Sie sollten es den Wählerinnen undWählern offen sagen.
Sie schlagen eine Umverteilung von oben nach untenvor: Ein Geringverdiener soll bei einer Kopfpauschalevon 109 Euro 7 Prozent seines Einkommens bezahlen.Bei einem Arbeitnehmer mit einem Einkommen von bei-spielsweise 4 000 Euro machen die 109 Euro eine Belas-tung von 2,7 Prozent aus. Das nenne ich wahrlich solida-risch!Nach Ihren Vorstellungen soll für jede erwachsenePerson die gleiche Kopfpauschale bezahlt werden. Dasgilt beispielsweise auch für eine Mutter, die nicht mehrarbeiten geht. Sie soll ebenfalls einen eigenen Beitragvon 109 Euro leisten. Wenn das Ihre neue Familienpoli-tik ist, dann müssen Sie noch erläutern, wie das in derPraxis aussehen soll. Es ist aber keine neue Familienpo-litik; denn die Kopfpauschale muss von allen gezahltwerden. Auch das ist in Ihren Augen Solidarität. Ichdenke, dass das nicht stimmt.
Sie sollten den Wählerinnen und Wählern auch erklä-ren, wie Sie die Finanzierungslücke von 23 MilliardenEuro schließen wollen. Sie haben zunächst angegeben,dass Sie den Arbeitgeberbeitrag mit 6,5 Prozent fest-schreiben wollen. Bei den weiteren Zahlen – die Kolle-gin Bender ist schon darauf eingegangen – gehen Sieaber bei der Berechnung der Einnahmen von einemArbeitgeberbeitrag von über 7 Prozent aus. Das Ganzestimmt also hinten und vorne nicht. Das haben auch IhreExperten gemerkt. Von daher kann ich Herrn Seehoferverstehen.Es muss klargestellt werden, dass die Finanzierungdes von Ihnen vorgeschlagenen Modells nur durch mas-sive Leistungskürzungen möglich ist. Sie haben auf IhrerPressekonferenz auch deutlich gemacht, dass Zahnersatzund Krankengeld in der Kopfpauschale nicht enthalten
Metadaten/Kopzeile:
13190 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Erika Lotzseien. Sie haben aber nicht gesagt, wie Sie die Kopfpau-schale finanzieren wollen.
In diesem Punkt fordere ich Sie zu mehr Ehrlichkeitauf. Sie sollten den Wählerinnen und Wählern mitteilen,welche Kosten zu der Kopfpauschale hinzukommen. Sa-gen Sie ihnen, dass sie zukünftig im Krankheitsfall nachsechs Wochen kein Geld mehr bekommen sollen! SagenSie ihnen, dass in Zukunft der Zahnersatz zu 100 Prozentaus der eigenen Tasche zu finanzieren ist!
Angesichts Ihrer Berechnungen zur Kopfpauschale kannman das gar nicht anders auslegen.Im Übrigen ist mit der Kopfpauschale ein ungeheurerBürokratieaufwand verbunden. „Bürokratiemonster“ist noch eine harmlose Bezeichnung dafür.
Lassen Sie mich noch etwas zu den Kürzungen imHaushalt des Ministeriums ausführen, die Herr Luthervorgeschlagen hat.
Ich frage mich, wo die Fachpolitikerinnen und Fachpoli-tiker waren, als es um diese Vorschläge ging.
Vorgeschlagen wurden Kürzungen bei der Bekämpfungdes Drogen- und Suchtmittelmissbrauchs, bei derAidsprävention und bei der Versorgung chronisch Kran-ker. Im Ausschuss immer wieder zu fordern, dass in die-sen Bereichen – gerade angesichts der Gefahr von Aids –mehr gemacht werden müsse, aber dann Kürzungen indiesen Haushaltstiteln zu beschließen, passt doch vorneund hinten nicht zusammen. An dieser Stelle sollten Siesich um mehr Redlichkeit bemühen. Oder haben sichIhre Fachpolitiker nicht darum gekümmert?
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Luther?
Bitte, Herr Dr. Luther.
Frau Lotz, können Sie mir folgen, wenn ich sage, dass
ich meine Anträge im Haushaltsausschuss immer damit
begründet habe, dass die entsprechenden Haushaltsan-
sätze in den vergangenen Jahren niemals ausgeschöpft
wurden, das Geld also nicht ausgegeben wurde?
Ich habe lediglich eine Begrenzung auf die Summe vor-
genommen, die wirklich ausgegeben worden ist. Demzu-
folge ist das keine richtige Kürzung.
Es wird lediglich dem Ministerium die Möglichkeit ge-
nommen, das Geld irgendwo anders auszugeben, wie es
bislang geschehen ist. Können Sie mir in dieser Sache
folgen?
Herr Kollege Luther, Sie begründen Ihre Anträge im-mer damit, die Kürzungen seien notwendig, damit dieMaastricht-Kriterien des Haushalts erfüllt werden.
Ich sage noch einmal: Die Maastricht-Kriterien werdenmit unserem Haushalt erfüllt.
Lassen Sie mich noch drei Takte zu Ihrer Einigungzur Rente sagen. Sie stellen sich heute hier hin und tunso, als seien Sie sich bei der Rente einig. Die CSU-Be-schlüsse vom vergangenen Wochenende und die Renten-vorstellungen der CSU laufen doch einerseits auf einenBeitragssatz von 20 Prozent hinaus. Ihre Vorstellungenbedeuten andererseits Kürzungen bei der Rente von20 Milliarden Euro und wir landen dann bei einem Brut-torentenniveau von 36,5 Prozent. Hinzu kommen wei-tere Belastungen für die Beitragszahler in Höhe vonknapp 15 Milliarden Euro. Sie wollen den Kinderbonus,eine Kinderrentenregelung und eine volle Rente nach45 Jahren. Dass diese Kürzungen vor allem durch Kür-zungen bei der Hinterbliebenenrente erreicht werden sol-len, verschweigen Sie. Sie verschweigen auch Mehrbe-lastungen der Kinderlosen, die notwendig würden,
und zwar in einer Höhe, die mit dem Grundgesetz über-haupt nicht vereinbar wäre. Bevor Sie uns in der Diskus-sion über die Rente Vorwürfe machen, einigen Sie sichalso erst einmal und sagen Sie, was Sie eigentlich wol-len. Wollen Sie Beitragssatzstabilität, wollen Sie höhereBeiträge oder wollen Sie Leistungskürzungen?Sie wissen doch auch, dass die Rente im Umlagesys-tem natürlich von den Einkommen der Arbeitnehmerund Arbeitnehmerinnen und auch von der Situation amArbeitsmarkt und der Beschäftigung abhängig ist. Des-halb können Sie doch nicht solche Anträge stellen undsolche Beschlüsse fassen, die – das wissen Sie auch ge-nau – letztendlich entweder Leistungskürzung oder Bei-tragserhöhung bedeuten. Das kann es doch nicht sein;
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13191
(C)
(D)
Erika Lotzdarüber sind wir uns doch alle einig. Wir müssen also füreine Stabilität der Beiträge sorgen und diese Regierungtut es.Ich will auch noch einmal daran erinnern, dass wir inder Diskussion über die Reformen im Gesundheitswesenschon ein Stück weiter wären, wenn Sie nicht eine ganzeReihe von Vorschlägen der Koalition blockiert hätten.Danke schön.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Otto Fricke.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-legen! Wir führen hier schon eine sehr gespenstische De-batte. Die Koalition hat in einer Haushaltsdebatte übereinen Haushalt, der nicht knackt, sondern inzwischenquietscht, nichts anderes zu tun, als sich mit einer Oppo-sitionspartei auseinander zu setzen, die ein Projekt vor-legt, das angreifbar ist und das auch nach Ansicht derFDP falsch ist. Aber die Opposition legt wenigstens einkonkretes Konzept vor. Was tun Sie? Sie legen nichtsKonkretes vor.
Was Sie vorlegen, ist ein Haushalt mit einer Verschul-dung, die – das garantiere ich Ihnen und ich bin mir sicher,dass kein Haushälter eine Wette dagegen annimmt – nichtbei den jetzt veranschlagten 20 Milliarden Euro stehenbleiben, sondern eine Drei in der Zehnerziffer habenwird. Das sind Ihre konkreten Zukunftspläne im Bereichder sozialen Sicherheit!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, eines ist be-merkenswert: Wir als Haushälter empfehlen den Fach-politikern immer: Tretet mal auf die Bremse, versprechtnicht zu viel. Bei der Gelegenheit möchte ich ausdrück-lich sagen, dass das Verhältnis unter den Haushälternkollegial und auch befruchtend ist. Wir hören in denHaushaltsberatungen von allen Fachgremien immer wie-der: Das kriegen wir hin, das schaffen wir. Auch bei denRenten hieß es jetzt wieder: Das wird in 2005 alles nochso klappen. Kollegin Lehn, Kollegin Hajduk, Sie habenan dem Berichterstattergespräch teilgenommen.Ein paar Wochen später sagen nun auf einmal alle:Hm, nein, es dürfte wohl schwierig werden, es klapptwohl doch nicht. Wie das mit einer vernünftigen und vo-rausschauenden Haushaltspolitik in Einklang zu bringenist, müssten Sie mir einmal erklären.
Wir sind auch nicht in der Lage, die – gemessen amGesamthaushalt – kleinen Sozialsysteme mit einem ge-meinsamen Ruck zu reformieren. Sie können sich ja ein-mal mit Ihren Kollegen in der Enquete-Kommission da-rüber austauschen. Ein Beispiel: Das Defizit der Künst-lersozialkasse wird Stück für Stück höher. In diesem Jahrwird sogar vorzeitig ein Kredit gewährt, damit es in dennächsten Jahren noch Rückzahlungen gibt. Fast kannman sagen, dass es sich hier umgekehrt wie bei der Post-pensionskasse verhält. Aber Sie bringen weder eine Re-form zustande, die den Menschen deutlich macht, wo eslang geht, noch eine Reform – das wäre noch besser –,die den Menschen klar macht, dass es so nicht mehr wei-tergeht. Sie betreiben noch immer Ihr altes Spiel: Allesist sicher, also nicht nur die Renten, wie Herr Blüm eseinmal gesagt hat. Wir alle wissen aber – hier sind wiralle in der Pflicht –, dass die Bürger der Meinung sind,dass nichts, weder die Renten noch die Leistungen derKrankenversicherung und der Pflegeversicherung, sicherist. Die Bürger fühlen sich ständig verunsichert.
Nun komme ich auf unser Gesundheitssystem undinsbesondere die Krankenkassen zu sprechen. Frau Mi-nisterin, ich glaube, auch bei Ihnen beginnt ein Umden-kungsprozess, was den Umgang mit den gesetzlichenKrankenkassen angeht. Sie merken selber, dass dieKrankenkassen in ihrem Bereich geradezu herrschaftlichhandeln, wie es ihnen nicht zusteht. Der FDP-Vorschlagist klar: Wir müssen für mehr Wettbewerb zwischen denKrankenkassen sorgen. Ich habe gemeinsam mit allenanderen Berichterstattern die große Hoffnung, dass derBundesrechnungshof, der eine neue Kontrollkompetenzbekommen hat, genau darauf achtet, wo hier die eigentli-chen Probleme liegen, und dass er verhindert, dass wei-terhin das Prinzip bei den Krankenkassen gilt: Immererst wenn man gar nicht mehr anders kann, gibt man zu,dass man eigentlich noch viel mehr Schulden hat. Dasdarf nicht sein.
Ich bin sehr glücklich, dass Sie mit der Gesundheits-reform das Krankenversicherungssystem für einen steu-erlichen Zuschuss geöffnet haben. Es ist grundsätzlichin Ordnung, Steuermittel in das Gesundheitssystem flie-ßen zu lassen. In diesem Zusammenhang kann ich denVorrednern von SPD und Grünen nur sagen: Inwieweitdie von Ihnen so genannten Besserverdienenden, alsodie Leistungsträger, Solidarität üben und Verantwortungwahrnehmen, sollte man nicht nur daran messen, wieviel in den sozialen Sicherungssystemen umverteiltwird. Die Frage einer solidarischen Gesellschaft ent-scheidet sich vor allem im Steuersystem. Dort sollte sichSolidarität deutlich zeigen.
– Meinetwegen sowohl als auch! – Je mehr Sie das ver-wischen, desto weniger merkt jemand, der Geld be-kommt, damit er seine Krankenversicherung zahlenkann, welche solidarische Aufgabe die Gesellschaft ihmgegenüber wahrnimmt.Da ich sehe, dass meine Redezeit zu Ende ist und ichnicht von der Präsidentin ermahnt werden möchte,komme ich zum letzten Satz.
Metadaten/Kopzeile:
13192 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Otto Fricke
– Frau Präsidentin, Sie müssen entscheiden, ob Sie nocheine Zwischenfrage zulassen oder nicht. Ich würde siezulassen.
Okay. – Bitte, Herr Kirschner.
Herr Kollege Fricke, Sie haben den Satz in die Welt
hinausposaunt: Derjenige, der nichts in die Krankenver-
sicherung einzahlt, sieht auch nicht, was es kostet. Ist Ih-
nen schon einmal aufgegangen, dass man als Mitglied
einer gesetzlichen Krankenkasse – falls Sie das über-
haupt schon einmal waren –
Ich war es sehr lange.
– Sie waren es also – Beiträge und eine Selbstbeteili-
gung zahlen muss? Das heißt, wenn jemand Leistungen
in Anspruch nimmt, dann muss er auch dafür zahlen, und
zwar von der Praxisgebühr über Zuzahlungen bis hin
– das ist das Entscheidende – zum Beitragssatz. Wollen
Sie das leugnen?
Nein, ich will das überhaupt nicht leugnen.
– Herr Kollege, ich habe Ihnen eben zugehört, als Sie
Ihre Frage gestellt haben. Jetzt sollten Sie sich in Geduld
üben. Ich habe das als junger Mann ebenfalls lernen
müssen. Ich gebe Ihnen nun meine Antwort und erkläre
Ihnen das.
Herr Fricke, kommen Sie nun zur Antwort.
Werter Herr Kollege, während meiner Referendarzeit
war ich Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung.
– Nein, nicht als Student, sondern als Referendar. – Da-
mals habe ich 60 DM pro Monat für meine Krankenver-
sicherung gezahlt. Dafür habe ich die gleichen Leistun-
gen erhalten, für die andere weit mehr zahlen mussten.
– Das ist nicht falsch. – Ich habe damit nur von denjeni-
gen profitiert, die Mitglied des Systems waren und weit
höhere Beiträge gezahlt haben, nicht von denjenigen, die
höhere Steuern gezahlt haben.
Ich als Liberaler sage Ihnen ganz deutlich: Ich will,
dass dieser soziale Ausgleich nicht im geschlossenen
System derjenigen stattfindet, die in einer gesetzlichen
Krankenkasse sind. Ich will vielmehr, dass alle über die
Steuer an diesem System beteiligt sind, egal wie viel sie
verdienen, egal wie sie ihr Geld verdienen.
Das ist wahrscheinlich der Unterschied. Für mich findet
Solidarität eben nicht nur innerhalb der Systeme statt.
Ein letztes Wort noch an die Kolleginnen und Kolle-
gen von den Grünen: Wenn Sie mit der Sozial- und Ren-
tenpolitik so weitermachen, dann handeln Sie zwar nicht
mit Zitronen, aber, wie man sieht, zumindest mit Oran-
gen.
Danke sehr.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Andreas Storm.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wir erleben heute eine merkwürdige Haushaltsdebatteüber den Sozialetat; denn die rot-grünen Kolleginnenund Kollegen haben fast kein einziges Wort zu ihremHaushalt verloren.
Das kommt wahrscheinlich nicht von ungefähr. DieMitte der Wahlperiode ist ein guter Zeitpunkt, einmaleine sozialpolitische Zwischenbilanz zu ziehen. Ichmöchte Sie an Ihren eigenen Maßstäben, an der Agenda-2010-Rede des Bundeskanzlers vor 20 Monaten, mes-sen. Das Hauptmotiv der Operation Agenda 2010 wardoch, dass die Sozialbeiträge, dass die Lohnnebenkostengesenkt werden.
Heute muss man fragen: Was ist aus Ihren vollmundigenVersprechen geworden? Sind wir, was die Senkung derSozialabgaben angeht, etwa ein gutes Stück vorange-kommen?Die Bilanz fällt mehr als ernüchternd aus. AllenHartz-Reformen zum Trotz – am 1. Januar tritt diegrößte Reform der Arbeitsmarktpolitik seit Jahrzehnten
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13193
(C)
(D)
Andreas Stormin Kraft – bleibt der Beitrag in der Arbeitslosenversi-cherung unverändert. Die Beiträge in der Rentenversi-cherung und in der Pflegeversicherung sind nur des-halb nicht angestiegen, weil Rot-Grün alle Rücklagenschamlos geplündert und das letzte Tafelsilber verscher-belt hat.
Die Rentenversicherung ist im nächsten Jahr Pleite.Was die Pflegeversicherung angeht, stellt sich nur dieFrage, ob man sich noch über die nächste Bundestags-wahl retten kann. Hinsichtlich der Krankenversiche-rung stehen wir, wenn man dem Schätzerkreis der Kran-kenkassen glauben darf, im ersten Halbjahr 2005 wiedergenau dort, Frau Ministerin, wo wir zu Beginn der Kon-sensgespräche gewesen sind, nämlich bei einem Bei-tragssatz von 14,3 Prozent.Fazit: Von einer Senkung der Sozialabgaben kannkeine Rede sein. Sie verharren auf dem Rekordniveauvon 42 Prozent.
Wir sind seit der Agenda-2010-Rede im Ergebnis keinenSchritt vorangekommen. Deshalb ist es kein Wunder, dassin Deutschland weiterhin Tag für Tag etwa 1 000 Arbeits-plätze verloren gehen. An ihren eigenen Maßstäben ge-messen ist die Sozialpolitik dieser Regierung zur Halbzeitgrandios gescheitert.
Man muss einmal die Frage stellen, warum die rot-grünen Therapieversuche nicht greifen. Sie greifen des-halb nicht, weil Sie von Anfang an eine falsche Dia-gnose gestellt haben.
Wer auf die alljährlich wiederkehrenden Defizite der So-zialkassen ständig mit Notoperationen, mit Streichkon-zerten und mit Nullrunden reagiert, der kuriert an denSymptomen herum, aber er beseitigt nicht die Ursacheder Misere. Diese Ursache ist die schwache Einnahme-basis. Sie tun auch nichts für die Prävention, nämlich fürden Aufbau von Rücklagen.Ich sage Ihnen deshalb an dieser Stelle ganz klar:Eine gute Sozialpolitik muss sich an einem Maßstabmessen lassen, den Sie ansonsten immer gerne bei ande-ren anlegen, nämlich am Maßstab der Nachhaltigkeit.Nachhaltigkeit bedeutet für die Sozialkassen zunächsteinmal eine solide Einnahmebasis. Tatsache ist: Da soviele Arbeitsplätze wegfallen und da die Arbeitslosigkeitgestiegen ist, brechen die Einnahmen aller Zweige derSozialversicherung weg. Da ist es eben kein Wunder,dass trotz der – zugegebenermaßen massiven – Einspa-rungen im Gesundheitswesen dank der gemeinsamenGesundheitsreform – sie greift ja –, dass trotz mehrfa-cher Nullrunden bei der Rente – im nächsten Jahr gibt eswieder eine Nullrunde – und dass trotz faktisch eingefro-rener Leistungen der Pflegeversicherung die Beiträgenicht sinken und dass die Rücklagen dahinschmelzen.
Nachhaltigkeit bedeutet aber auch, dass steigende So-zialausgaben nicht zu steigenden Arbeitskosten in denBetrieben führen dürfen; denn steigende Arbeitskostenbedeuten, dass wir weiter immer mehr Arbeitsplätze ver-lieren und dass jede kleine Konjunkturschwankung er-neut zu Einnahmeverlusten der Sozialkassen führt. Des-wegen müssen wir von der engen Anbindung derGesundheitskosten an die Arbeitskosten wegkommen.
Nachhaltigkeit heißt weiter,
dass wir der heute jungen Generation auf Dauer nichtwesentlich höhere Kosten zumuten dürfen, als die ande-ren Generationen heute zu tragen bereit sind. Deshalbbrauchen wir eine Ergänzung der umlagefinanziertenSozialsysteme durch mehr Kapitaldeckung.
Wir müssen bereits heute vorsorgen, um morgen wesent-lich höhere Beiträge vermeiden zu können.Sie reden zwar häufig von Nachhaltigkeit, hatten so-gar eine Nachhaltigkeitskommission eingesetzt, aber IhrHandeln ist durch das Gegenteil gekennzeichnet. Die ge-meinsame Gesundheitsreform trägt den Charakter einerNotoperation, bringt aber nicht die Lösung des eigentli-chen Problems. Die Lösung kann nur darin bestehen,dass wir die Einnahmen der Krankenkassen von den Ar-beitskosten entkoppeln.Wir brauchen eine solide Finanzbasis, um sicherzu-stellen, dass die Erträge des medizinischen Fortschrittsdauerhaft für alle zu bezahlbaren Preisen bereitgestelltwerden können, ohne dass die Arbeitskosten explodie-ren. Genau das ist der Kern des Unionskonzeptes einersolidarischen Gesundheitsprämie.Wir begrenzen die Belastung der Arbeitgeber auf6,5 Prozent. Das bedeutet, sie haben eine planbare, lang-fristig voraussehbare Belastung, und sie sind an der Fi-nanzierung des Gesundheitswesens beteiligt, allerdingsnicht mehr mit einem steigenden Beitrag.Wir stellen sicher, dass die Krankenkassen für jedenVersicherten, egal ob er einen Arbeitsplatz hat odernicht, egal ob er aktiv beschäftigt oder schon im Ruhe-stand ist, egal ob er ein hohes Einkommen oder ein nied-riges Einkommen hat, eine feste Prämie bekommen, mitder die Gesundheitskosten für die Erwachsenen verläss-lich abgedeckt sind. Wir stellen gleichzeitig sicher, dassMenschen mit niedrigem Einkommen nicht mehr bezah-len als heute
Metadaten/Kopzeile:
13194 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Andreas Stormund dass auch Besserverdienende, die nicht in der GKVsind, die Versicherung von Kindern mitfinanzieren.Schließlich schaffen wir auch die Voraussetzung fürdie künftige Einführung einer zusätzlichen kapitalge-deckten Vorsorge in der Krankenversicherung.
Damit ist klar: Die Union hat die Karten auf den Tischgelegt.
Das Konzept macht deutlich, wie die Probleme gelöstwerden können.
Wir haben im Gegensatz zu Rot-Grün einen konkretenVorschlag. Wer die Kollegin Lehn vorhin gehört hat, hatden Eindruck gewonnen, dass Sie von Rot-Grün erst ein-mal ein paar Klausurtagungen einlegen müssen, um zuüberlegen, was Sie denn mit der Überschrift „Bürgerver-sicherung“ noch anfangen sollen, damit es wenigstensein halbwegs verständliches Konzept wird.
Kommen wir zum nächsten Kapitel: zur Rentenpoli-tik. Das übliche Novemberfieber der Rentenkassen ken-nen wir ja.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Gern, Herr Kollege Kirschner.
Herr Kollege Storm, in Ihrem Papier mit dem Titel
„Reform der gesetzlichen Krankenversicherung – Soli-
darisches Gesundheitsprämien-Modell“ sagen Sie:
Dazu soll eine Absenkung des Spitzensteuersatzes
von 42 Prozent auf 39 Prozent statt wie bisher vor-
gesehen auf 36 Prozent erfolgen.
Können Sie mir zwei Dinge erklären? Können Sie mir
erstens erklären, woher Sie das Geld, das Sie sowieso
nicht haben, zur Senkung des Spitzensteuersatzes auf
unter 42 Prozent nehmen? Zweitens. In Ihrem Partei-
tagsbeschluss von vor einem Jahr steht, dass der Spitzen-
steuersatz auch im Interesse der privaten Vorsorge in der
Rentenversicherung gesenkt werden soll. Wenn ich da-
raus den richtigen Schluss ziehe, heißt das, dass Sie Geld
verteilen, das Sie gar nicht haben, und dieses nicht vor-
handene Geld auch noch zweimal verteilen. Können Sie
mir das erklären?
Herr Kollege Kirschner, mit den Beschlüssen ist dasso eine Sache. Wenn man Parteitagsbeschlüsse konkur-rierender Parteien liest, dann kann es natürlich schonpassieren, dass man durcheinander kommt.
Kollege Kirschner, Sie haben zu Recht darauf hingewie-sen, dass die Union nach ihrem Konzept vom vergange-nen Dezember eine Steuerreform mit einem Spitzen-steuersatz von 36 Prozent machen wollte. Wenn wir nunden Spitzensteuersatz 3 Prozentpunkte höher legen,
dann bedeutet das, dass die Besserverdienenden mehrGeld in die Bundeskasse einzahlen und dieses Geld fürdie Krankenversicherung bereitgestellt werden kann.Zum ersten Mal beteiligen sich damit die Steuerzahler ander Finanzierung der Kosten für Familien im Systemder GKV. Das stellen wir mit unserem Konzept sicher.
Das ist ein ganz entscheidender Fortschritt.
Meine Damen und Herren, ich komme zurück zumThema Rente. Dass wir jedes Jahr im November ein No-vemberfieber erleben, weil die von Ihnen vorausge-schätzten Daten hinten und vorne nicht stimmen, istnichts Neues. Neu ist aber, dass diese Novemberfieber-schübe inzwischen zu einer schweren Grippe gewordensind. An der Stelle muss ich Ihnen, liebe KolleginBender, schon sagen: Das, was Sie vorhin vorgetragenhaben, entspricht nicht Ihrer sonstigen parlamentari-schen Arbeit. Sie haben nämlich aus meinem Redebei-trag vom vergangenen Dezember unvollständig zitiert.Damals habe ich deutlich gemacht – das gilt heute un-verändert –, dass vor dem Hintergrund der demographi-schen Entwicklung die künftigen finanziellen Lastenfair zwischen Jung und Alt verteilt werden müssen. Jetztkommt der entscheidende Satz: Auf keinen Fall dürfenwir einseitig nur die Beitragszahler belasten, denn dannwürde sich die verhängnisvolle Beitragsspirale inSchwindel erregende Höhen drehen und zahllose Ar-beitsplätze vernichten. – Diesen Teil meiner Aussage ha-ben Sie nicht zitiert. Da steht aber der entscheidendePunkt. Aus dieser Rede ableiten zu wollen, die Unionliefere Ihnen ein Alibi dafür, die Haushaltslöcher im lau-fenden Rentenhaushalt dadurch stopfen zu dürfen, dassersatzlos die letzten Reserven der Rentenversicherung,nämlich die Wohnungsbestände der Bundesversiche-rungsanstalt für Angestellte, veräußert werden, ist eindreistes Stück aus dem Tollhaus.
Meine Damen und Herren, die tatsächliche Verfas-sung der Rentenfinanzen ist noch viel ernster, als es die
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13195
(C)
(D)
Andreas Stormoffiziellen Bulletins aus dem Hause von Ulla Schmidtuns glauben machen wollen. Professor Ruland hat amletzten Montag vorgerechnet, dass für das nächste Jahreigentlich ein Rentenbeitrag von 19,7 Prozent erforder-lich wäre. Das bedeutet, Rot-Grün entlässt die Renten-kassen mit einem ungedeckten Scheck in das nächsteJahr.Nun ein Zitat; hören Sie gut zu.
Herr Kollege Storm, Sie müssen zum Schluss kom-
men.
Jawohl, das ist der Einstieg in die Schlussrunde.
Der Einstieg in den Ausstieg – das geht nicht.
Nun zu dem spannenden Zitat:
Die gesamte Gesellschaft ist auf ein verlässliches
Rentensystem essentiell angewiesen.
– Hören Sie nur gut zu!
Die finanziellen Bedingungen für die Rentenversi-
cherung werden dieser Anforderung gegenwärtig
nicht gerecht.
Kollege Dreßen, nun dürfen Sie raten, von wem das Zitat
stammt. Es stammt weder von mir noch von einem ande-
ren Kollegen aus der Unionsfraktion, sondern von je-
mandem, den ich normalerweise nicht zitiere, nämlich
von Frau Engelen-Kefer.
Herr Kollege Storm, jetzt reicht es.
Sie hat aufgrund des alternierenden Verfahrens neu
die Funktion als Vorstandsvorsitzende des VDR über-
nommen.
Wo sie Recht hat, hat sie Recht. Das ist der beste Beleg
dafür, dass Ihre Politik die Rentenfinanzen systematisch
gegen die Wand fährt.
Das Wort hat jetzt die Parlamentarische Staatssekretä-
rin Marion Caspers-Merk.
M
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-legen! Herr Storm, Sie haben es mir sehr leicht gemacht.Bildlich gesprochen haben Sie mir mit Ihren Ausführun-gen gleichsam den Ball auf den Elfmeterpunkt gelegt.Das ist super.
Sie haben sich mit Ihren Behauptungen absolut lächer-lich gemacht.
Sie haben hier erklärt, die Union stehe dafür, dass imPrinzip für alle sozialen Sicherungssysteme Rückstel-lungen gebildet werden sollen. Sie haben hier erklärt,man brauche diesen Aufwuchs wegen der Sicherheit.Gleichzeitig nehmen Sie solche Ansätze aus all IhrenModellen wieder heraus.
Was gilt denn jetzt? In Ihrem jetzt neu konzipierten Prä-mienmodell fehlt dieser Ansatz, denn eine Kopfpau-schale würde normalerweise 169 Euro kosten. In den109 Euro ist eine Rückstellung nicht mehr enthalten.
Auch in Ihrem Konzept zur Pflegeversicherung, das Sieals Alternative zu unserem Konzept vorgelegt haben,wird die Bildung einer Rückstellung nicht angesprochen.Auch Sie setzen, wie wir, nur das Verfassungsgerichts-urteil um.
– Wir reden ja über die in diesem Haus vorgelegten Kon-zepte.
Natürlich reden wir auch über das, was die Oppositionals „große Strukturreform“ vorlegt.
Ebenso reden wir über die von Ihnen formulierten An-träge; auch darüber wird beraten.
Metadaten/Kopzeile:
13196 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Parl. Staatssekretärin Marion Caspers-MerkInteressant ist, dass Sie hier im Prinzip kneifen. Siekneifen doppelt:
Zum einen enthalten die Konzepte, die Sie jetzt im Deut-schen Bundestag vorgelegt haben, keine Kapitalde-ckung. Zum anderen haben Sie zu dem gemeinsam aus-gehandelten Gesundheitskompromiss, mit dem wirmühsam versucht haben, die sozialen Sicherungssys-teme wieder ins Gleichgewicht zu bringen, einen Antragvorgelegt, der vieles infrage stellt und rückgängig macht.Wie passt denn das zusammen? Sie können doch nicht– nachdem Sie bei den Verhandlungen zunächst immermehr Privatisierungen und Zuzahlungen gefordert ha-ben, was wir mühsam zurückgedrängt haben – erst mituns gemeinsam einen Konsens aushandeln und anschlie-ßend im Rahmen der Haushaltsberatungen einen Antragvorlegen, der vieles von dem Konsens rückgängigmacht. Wenn wir diesen Antrag ernst nehmen würden,hätten wir deutliche Probleme bei den Beiträgen.Insofern kann ich nur sagen, dass Sie hier nicht ganzredlich argumentieren.
– Herr Kollege Storm, ich möchte den Gedanken im Zu-sammenhang vortragen, nachher erlaube ich die Zwi-schenfrage gerne. – Entweder sagen Sie, die sozialen Si-cherungssysteme sind in Gefahr und es muss über neueKonzepte geredet werden. Dann müssen Sie hier aberauch einen Beitrag zur Konsolidierung liefern. Oder Siehaben ein neues System; dann müssen Sie dazu auch ste-hen. Aber so, wie Sie es machen, sind Sie nicht ernst zunehmen.Ich will Ihnen das, Herr Kollege Storm, anhand einesanstehenden Parteitagsbeschlusses erläutern. Die CDUwill auf ihrem bevorstehenden Parteitag eine so ge-nannte Kombirente einführen. Danach soll zum Bei-spiel jemand, der mit 60 in Rente geht, nebenher bei-tragsfrei berufstätig sein können. Wenn man das ernstnehmen würde, bedeutete das, dass wieder Beiträge inder Rentenkasse fehlen würden. Wie passt das mit IhrerAnklage zusammen? Sie haben uns doch gerade vorge-halten, dass die Rente auf Kante genäht sei. Das wissenwir. Aber ich verstehe nicht, wie man in einer solchenSituation auf einem Parteitag einen Vorschlag machenkann, der die Finanzen der Rentenkasse zusätzlich ge-fährdet. Das ist unredlich, Herr Kollege Storm.
Man könnte jetzt fragen, warum wir uns mit bevorste-henden CDU-Parteitagen beschäftigen.
– Nein, Herr Kollege Kolb, ich erkläre es Ihnen. – Wirwissen ja, wie das bei Parteitagen der Union ist: Die, dieanderer Meinung sind, dürfen bei der CSU nicht reden.Insofern wird die Kritik praktisch von vorneherein aus-geschaltet. Man hat zwar Herrn Kollegen Merz in dieserHaushaltswoche reden lassen, aber bei Herrn KollegenSeehofer hatte man nicht so viel Anstand; ihn habe ichheute auf der Rednerliste vermisst. So viel Anstand hätteman doch wenigstens aufbringen können, dass der lang-jährige stellvertretende Fraktionsvorsitzende die Chancebekommt, in der Haushaltswoche zu reden.
Sie haben hier ein Stück weit nicht redlich argumentiert,Herr Storm.
Zu der Frage, was wir bislang vorgelegt haben. Wirhaben eine Gesundheitsreform, von Ihnen mitgetragen,vorgelegt. Diese Gesundheitsreform trägt die erstenFrüchte. Das räumen Sie in Ihrem Antrag selbst ein.
In Ihrem Vortext weisen Sie darauf hin, dass Sie ersteErfolge sehen. Es wird gelobt, dass die Strukturen sichverändert hätten.
Es wird gelobt, dass zum ersten Mal die Arzneimittel-kosten zurückgehen. Es wird gelobt, dass sich die Bei-träge nach unten statt nach oben bewegen. Außerdemwird gelobt, was wir an Strukturveränderungen vorge-nommen haben.Im zweiten Teil des Antrags werden dann neue Forde-rungen gestellt, bei denen Sie der Redlichkeit halber hin-zufügen müssten, was deren Umsetzung für die Beiträgebedeuten würde. Aber auch hier kneifen Sie. Auch hierargumentieren Sie nicht ehrlich.Ich will ein Weiteres zu dem Thema Pflegeversiche-rungskonzept sagen, weil der Kollege Zöller das in sei-nem Wortbeitrag angesprochen hat. Wir wissen, dass diePflegeversicherung in ernste Schwierigkeiten kommt,wenn wir nicht handeln. Aus diesem Grunde verknüpfenwir in unserem Gesetz zur Pflegeversicherung zwei As-pekte: Wir setzen zum einen das Urteil des Bundesver-fassungsgerichts um und wir sorgen zum anderen dafür,dass die Pflegekasse wieder gefüllt wird. Damit beseiti-gen wir die Unsicherheit bei den Menschen, die aufPflege angewiesen sind. Darum geht es doch.Ihr Konzept zur Pflegeversicherung beruht auf demPrinzip „linke Tasche, rechte Tasche“. Zunächst wird füralle der Beitrag zur Pflegeversicherung erhöht. Damitwird dann eine Prämie für diejenigen bezahlt, die Kindererziehen. Das nenne ich unsolidarisch.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13197
(C)
(D)
Frau Staatssekretärin, gestatten Sie jetzt Zwischenfra-
gen?
M
Aber selbstverständlich.
Bitte, Herr Kollege Bahr.
Frau Staatssekretärin Caspers-Merk, Sie sagen, dass
wir in der Pflegeversicherung handeln müssen. Ich
möchte Sie daher fragen, warum die Bundesregierung
das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nur dazu ge-
nutzt hat, um eine verkappte Beitragserhöhung durchzu-
führen. Die Fünf Wirtschaftsweisen haben darauf hinge-
wiesen, dass die Rücklagen der Pflegeversicherung
spätestens im Jahre 2007 aufgebraucht sein werden.
Daher frage ich Sie: Wo ist das Konzept der Regierung
– über eine verkappte Beitragserhöhung hinaus –, die
Pflegeversicherung wirklich grundlegend zu reformie-
ren?
M
Lieber Herr Kollege, es liegen drei Konzepte auf demTisch. Ihr Konzept hat in den Anhörungen, die wir ge-meinsam durchgeführt haben, nicht einmal das Attest„verfassungskonform“ bekommen.
Sie wollen bei der Entlastung nämlich nur diejenigen be-rücksichtigen, die Kinder im Alter von bis zu 3 Jahrenhaben.Ihr Konzept ist außerdem unehrlich. Sie hätten dieEntlastung steuerfinanziert.
Sie werfen uns ständig vor, dass sich der Haushalt in ei-ner Schieflage befinde. Andererseits fordern Sie, dasswir die Steuern senken sollen. Was, bitte schön, gilt nun?Sollen wir die Steuern erhöhen oder senken? Sie müssensich schon auf eine Linie einigen. Sie machen sich un-glaubwürdig, wenn Sie immer beides fordern.
Ich will mich noch zu dem Punkt Gesundheits-prämie äußern, der von dem Kollegen Storm ausführ-lich dargelegt wurde. Mir ist der Begriff Kopfpauschalelieber, denn er ist ehrlicher. Was ist Ihr Konzept?
Ich bin als Staatssekretärin nach wie vor gesetzlich kran-kenversichert. Ich zahle an die AOK Baden-Württem-berg einen Beitrag von 544 Euro pro Monat.
– Ich spreche von dem gesamten Beitrag, also von demArbeitnehmerbeitrag plus dem Arbeitgeberbeitrag.
Das sind zusammen 544 Euro. Davon zahle ich dieHälfte.
Ich komme jetzt zu Ihrem Konzept. Danach würde ich169 Euro zahlen.
– Moment. Das ist der Gesamtbeitrag. Ich zahle109 Euro und der Arbeitgeber zahlt 60 Euro. – Warumwerden nach Ihrem Konzept die Bezieher hoher Ein-kommen entlastet, während die Bezieher niedriger Ein-kommen belastet werden?
Diese Antwort bleiben Sie uns schuldig.Ich will an dieser Stelle sagen, dass nicht nur wir IhrKonzept kritisieren. Es gibt keinen einzigen Experten,der Ihr Konzept unterstützt. Herr Oettinger – er ist derneue Stern am sozialpolitischen Himmel der Union, weilSie keine anderen mehr haben; Ihr letzter Sozialpolitikermusste von Bord gehen; das ist der Sachverhalt – sagtelaut „Handelsblatt“, dass das Konzept nicht so umgesetztwerden würde und dass eine Lücke von 8 oder16 Milliarden Euro klaffen würde. Herr Ramsauer hatsich in der Presse dahin gehend geäußert, man müssesich keine Sorgen machen; denn so, wie das Konzeptaufgeschrieben sei, werde es nicht umgesetzt.Sie kennen die ablehnenden Stimmen. Niemand be-jaht Ihr Konzept. Schauen Sie einmal in die „Süddeut-sche Zeitung“ von heute. In dem Kommentar von HerrnHoffmann wird ausführlich dargestellt, dass die Schweizmit der Kopfpauschale keine guten Erfahrungen ge-macht hat.
Die Schweiz ist das einzige europäische Land, in demein solches Konzept umgesetzt wurde. Dort gibt es mas-sive Schwierigkeiten: Erstens wird die Pauschale auch indiesem Jahr wieder – um mehr als 7 Prozent – erhöht,weil die Ausgaben davonlaufen. Wir dagegen haben ge-meinsam Maßnahmen gegen die steigende Ausgabenent-wicklung auf den Weg gebracht.
Metadaten/Kopzeile:
13198 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Parl. Staatssekretärin Marion Caspers-MerkZweitens sind mittlerweile viele Haushalte auf Trans-fereinkommen angewiesen. Jeder zweite Rentnerhaus-halt muss ein Zubrot vom Staat bekommen, damit dieKopfpauschale gezahlt werden kann.Die Schweiz steht drittens auch beim Wachstum undder Beschäftigung nicht besser da als wir. Bei denWachstumszahlen liegt sie vielmehr unterhalb des euro-päischen Durchschnitts. Also stimmen auch die Verhei-ßungen, dass die Einführung der Kopfpauschale automa-tisch zu mehr Wachstum und mehr Beschäftigung führt,nicht.Stellen Sie sich bitte der Realität und versprechen Sienicht irgendwelche theoretischen Konstrukte! SchauenSie sich vielmehr um: Dort, wo die Kopfpauschale Rea-lität ist, führt sie zu dem, was der Kollege Seehofer zuRecht beschrieben hat. Er sagt, sie sei unterfinanziert,bürokratisch und unsolidarisch. In allen drei Punkten hater völlig Recht.
Ich will noch auf das Thema Standfestigkeit einge-hen, Herr Kollege Storm. Ich finde es interessant, dassbislang keiner Ihrer Redner zu dem Antrag gesprochenhat, den Sie in der Haushaltswoche vorgelegt haben.
Deswegen will ich an dieser Stelle sagen: Wir lassen Ih-nen nicht durchgehen, dass Sie den Bürgerinnen undBürgern auf der einen Seite in den Verhandlungen immermehr aufbürden wollten. Auf der anderen Seite darf esjetzt, da wir das Ganze beschlossen haben, überall einbisschen weniger sein und es wird an dem beschlossenenKonsens gerüttelt. Das ist aus meiner Sicht wenig stand-fest.Wenn ich mir Ihre Sozialpolitik anschaue, dann stelleich Ähnliches fest, Herr Kollege Storm. Sie verschwei-gen ja, wie Ihre Konzepte wären. Was würden Sie in derjetzigen Situation tun?
In einer Situation, in der die Rente auf Kante genäht ist,verlangen Sie neue Leistungen, die nicht gegenfinanziertsind. Nachdem es sehr mühsam war, einen gemeinsamenGesundheitskonsens auszuhandeln, drücken Sie sichnun, indem Sie Anträge formulieren, um sich bei denLeistungserbringern lieb Kind zu machen. Sie haben mitIhrem Konzept „rechte Tasche, linke Tasche“ nicht dazubeigetragen, dass die Pflegeversicherung bis zum Jahr2008 finanziell einigermaßen auf den Beinen stehenkann.Deswegen meine ich, die Sozialpolitik ist bei uns inguten Händen. Wir würden eine solch unseriöse Politiknicht betreiben.
Meine Ministerin ist zwar heute stimmlos; aber unserHaus ist weder kopflos noch konzeptlos. Kopflosigkeitund Konzeptlosigkeit gibt es vielmehr bei Ihnen.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Gesine Lötzsch.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! Mir wurde gerade von der FDP zugerufen: „Dasist doch eine Abgeordnete der PDS.“ – Das stimmt.
– Richtig.Ich möchte zunächst etwas zur Kopfpauschale derCDU/CSU sagen. Nach einer quälenden Diskussion undeinem Rücktritt ist aus der Kopfpauschale der konserva-tiven Opposition eine monströse Wasserkopfpauschalegeworden.
Alle Experten sind sich einig, dass die Kopfpauschaleeine Kopfgeburt ist. Wer wenig zahlt, hat mehr als bisherin der Tasche und wer mehr hat, zahlt weniger als bisher;von den Vorrednern wurden ja schon genügend Beispieledazu genannt. Dieses Modell ist wirklich verfehlt undsollte von Frau Merkel schnell aus dem Verkehr gezogenwerden. Sie schauen sich ja gern Umfragen an: DieMehrheit der Bundesbürger sieht das übrigens genauso.Aber, meine Damen und Herren von der Koalition,die Bundesregierung sollte sich in Anbetracht des völli-gen Versagens von CDU und CSU in der Gesundheits-politik nicht selbstverliebt nach hinten lehnen.
Auch wenn das Kopfpauschalenmodell schlecht ist,heißt das nicht, dass Ihre Politik wirklich besser wäre.Die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land haben imMoment augenscheinlich nur die Wahl zwischen einemsehr unsozialen Modell, das von CDU und CSU, und ei-nem unsozialen Modell. Da kann man nicht wirklich vonWahlfreiheit reden.Die Bundesregierung spricht besonders gern über diegeplante Bürgerversicherung. Leider geistert die nurals ein Phantom durch die Medien. Sie soll den Blick aufdie gegenwärtige Gesundheitspolitik verstellen. Erin-nern Sie sich: Von einer ganz großen Koalition aus SPD,CDU, CSU und Grünen sind die Gesetze zur Gesund-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13199
(C)
(D)
Dr. Gesine Lötzschheitspolitik und damit der Abschied von der solidari-schen Krankenversicherung konstruiert worden.
– Ich habe Sie auch nicht genannt. – Ob Sie Ihre ModelleKopfpauschale, Bürgerversicherung oder Bürgerpau-schale nennen, Fakt bleibt: Alle Parteien außer der PDSwollen aus der paritätischen Finanzierung der Kranken-versicherung aussteigen. Die ersten Schritte haben Siemit Krankengeld und Zahnersatz bereits gemacht, wei-tere werden folgen.Wir, die PDS, sind gegen die Kopfpauschale der CDUund warnen SPD und Grüne vor einem Etikettenschwin-del. Machen Sie nicht aus der Bürgerversicherung eineverkappte Kopfpauschale.Sie fordern die Bürger gern zu mehr Eigenverantwor-tung auf, meinen aber mehr Zuzahlung und schröpfendie Bürger, ohne dass sie dafür mehr Gesundheit bekom-men. Am Ende des Jahres 2004 wird es für jeden Bei-tragszahler deutlich: Die große Koalition von SPD, Grü-nen, CDU und CSU hat die Bürger getäuscht. Dieversprochenen Beitragssenkungen kommen nicht undtrotzdem tragen die Bürger zusätzlich zu ihrem hohenKassenbeitrag die Praxisgebühr und die Zuzahlungen fürMedikamente und Krankenhausaufenthalt.
Da frage ich: Wo bleibt eigentlich das zusätzlicheGeld der Bürger? Was machen die Kassen mit denMehreinnahmen? Der Bundesverband der Pharmazeu-tischen Industrie hat moderate Preiserhöhungen zumJahresende oder zu Anfang 2005 angekündigt. Tatsäch-lich aber haben viele Hersteller bereits Mitte des Jahresdie Herstellerabgabepreise deutlich erhöht. Moderatkann man Preissteigerungen um bis zu 60 Prozentwirklich nicht nennen.Das Preismoratorium für die Hersteller läuft Ende desJahres aus und auch der Zwangsrabatt für die Herstellerwird wieder gesenkt. Nun versuchen einige Pharmapro-duzenten durch wahre Preissprünge, das Preismorato-rium und die Zwangsrabatte nachträglich zu kompensie-ren. Hier wäre das Handeln der Ministerin und alleranderen Verantwortlichen gefragt. Was tun sie? Bishernichts. Sie schauen zu, wie sich einige Hersteller aus derVerantwortung ziehen und die Lasten der verunglücktenGesundheitsreform bei den Beitragszahlern abladen.Die so genannte Gesundheitsreform zieht den Patien-ten das Geld aus der Tasche und wird das Gesundheits-system nicht billiger machen. Das schwerwiegendsteProblem ist: Diese Reform bringt nicht mehr, sondernweniger Gesundheit für die Menschen. Die Gesundheits-ministerin, Frau Schmidt, feiert – heute tut sie es zwarnicht, weil sie nicht sprechen kann – die Einsparungenbei den Krankenkassen und erklärt unermüdlich, dassdie Gesundheitsreform jetzt greifen würde. Ja, sie greift;sie greift vor allem kranken Menschen in die Tasche. DieGesundheitsreform hat bisher keinen Menschen gesün-der, aber viele ärmer gemacht.Die Praxisgebühr und die Zuzahlungen für Medika-mente haben wirklich eine Steuerungswirkung – wie vonder Bundesregierung vorausgesagt –, sie steuern aber indie falsche Richtung, sie steuern sozial Schwache ausdem Gesundheitssystem heraus. Das ist weder gerechtnoch solidarisch, wir, die PDS, lehnen das ab.
Danke schön. – Das Wort hat jetzt die Abgeordnete
Annette Widmann-Mauz.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-gen! Frau Staatssekretärin, Ihre heutige Rede war mehrals enttäuschend und weit unter dem Niveau, das Sie zu-mindest ab und an in diesem Hause präsentieren. GeradeSie als Staatssekretärin und Abgeordnete des DeutschenBundestages wissen ganz genau, dass Sie mit Ihrer Ab-geordnetendiät und Ihrer Staatssekretärsversorgung beieinem um 3 Prozent höheren Spitzensteuersatz deutlichmehr in unser solidarisches Gesundheitsprämiensystemeinzahlen würden, als Sie es heute tun.
Dass Sie unseren Antrag, unsere kritische Bestands-aufnahme, nicht gern hören, Frau Staatssekretärin, kannich verstehen. Wir stellen Ihnen nämlich 23 unange-nehme Fragen. Sie stellen sich diese Fragen nicht
und das allein ist schon Beweis genug, wie wenig ernstSie Ihre Regierungsaufgabe nehmen und wie wenig ver-antwortungsvoll Sie diesen Kompromiss umsetzen.
Frau Schmidt, Sie haben eine zweite Chance erhalten.Einige Ihrer Kollegen aus der SPD-Fraktion meinten2002, dass Ihre Berufung nur den fehlenden Alternativenzuzuschreiben gewesen wäre. Sie haben diese Chanceerhalten, Sie wollten sie nutzen. Sie wollten alles andersund alles besser machen als in der letzten Legislatur-periode.Nach zwei Jahren wissen wir: Sie machen nichts an-ders und richtig besser wird es auch nicht. Sie haben dieWähler 2002 über die Finanzlage der Renten- und derKrankenversicherung getäuscht und das tun Sie jetztwieder.
Schon im Frühsommer zeichnete sich doch ab, dass trotzReform die Beitragssätze nicht in dem von uns erwarte-ten Umfang sinken werden. Ulla Schmidt im Juni diesesJahres: Ganz sicher 13,6 Prozent. Im September diesesJahres: Keine Bange; wir werden unter 14 Prozent lan-den. Auf Nachfrage im November, warum das dennnicht passiert, sagen Sie: Die Krankenkassen jonglieren
Metadaten/Kopzeile:
13200 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Annette Widmann-Mauzmit falschen Zahlen. Frau Schmidt, die Menschen fragensich, wer denn wohl mit den falschen Zahlen und Ver-sprechungen agiert hat.
Jetzt, dieser Tage, räumen Sie ein: „Es könnten doch14 Prozent werden“, obwohl der Schätzerkreis Ihnen14,1 Prozent ins Stammbuch schreibt und die Kranken-kassen von 14,2 Prozent ausgehen. Im nächsten Jahr:Tendenz steigend.Ich sage Ihnen – das zeigt ja auch unser Antrag auf –:Die hohe Verschuldung der Krankenkassen und die wei-ter wegbrechenden Einnahmen gefährden die Finanzender gesetzlichen Krankenversicherung. Ihre miserableWirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik hat die Einnahme-basis der Krankenkassen weiter geschwächt. Sie habendoch in den Konsensverhandlungen die Verschuldungder Kassen schöngerechnet. Statt 8 Milliarden EuroSchulden haben Sie 4 Milliarden Euro angegeben. IhreSchulden sind mit verantwortlich dafür, dass wir dieMaastrichtkriterien wieder einmal nicht erfüllen. Dazukommt, dass Sie die Lasten auf zukünftige Generationenvon Beitragszahlern verschieben.
Spätestens das Urteil der Wirtschaftsweisen, die dasWirtschaftswachstum wieder nach unten haben korrigie-ren müssen, müsste Ihnen doch zu denken geben. Des-halb fordern wir in unserem Antrag von Ihnen eine ehrli-che Beurteilung der Finanzentwicklung der gesetzlichenKrankenversicherung bis zum Ende dieser Legislaturpe-riode. Der weitergehende Reformbedarf darf von Rot-Grün vor den Wahlen 2006 nicht ein weiteres Mal ver-schleiert werden. Frau Schmidt, wir werden es nicht zu-lassen, dass die Menschen vor der nächsten Bundestags-wahl erneut von Ihnen getäuscht werden.
Aber nicht nur die Einnahmen der Kassen sind insta-bil. Sie schaffen auch neue Verschiebebahnhöfe zulastender gesetzlichen Krankenversicherung. Ich hätte eigent-lich erwartet, dass die Bundesregierung etwas zu dem sogenannten Verwaltungsvereinfachungsgesetz sagt, daswir ja heute mit beraten. Davon höre ich überhauptnichts. Sie verschieben mir nichts, dir nichts den Aus-zahlungstag der Beiträge zur Krankenversicherung derRentner um einige Tage, und das doch nur, um die Liqui-dität der Rentenkassen zu verbessern. Aber Sieverschweigen, dass dies allein die AOK 1 Milliarde Li-quidität kosten wird.
– Doch, so ist es.Frau Schmidt, Sie dürfen sich nicht wundern, wenndie Kassen das Geld der Beitragszahler vor Ihrer Politikin Sicherheit bringen.Darüber hinaus muss uns auch die Ausgabenentwick-lung bei den Arzneimitteln besorgt machen.
Gestern haben Sie den Pharmagipfel inszeniert undheute hören wir nicht ein einziges Wort der Bundesregie-rung darüber. Was haben Sie denn dort veranstaltet? Eswar wohl so: Außer Spesen nichts gewesen. Dass dieKosten für Arzneimittel steigen, ist doch auf den Jo-Jo-Effekt Ihrer Politik zurückzuführen.
Sie machen in vielen Bereichen, was Sie in der Ver-gangenheit immer schon gut konnten, nämlich Bürokra-tie erweitern und knappe Beitragsmittel in eine bürokra-tische Gigantomanie stecken. Das beste Beispiel dafürsind doch die Disease-Management-Programme. DerSchätzerkreis der Spitzenverbände der Krankenkassenveranschlagt die Verwaltungskosten für diese Chroniker-programme für das Jahr 2004 mit sage und schreibe88 Millionen Euro. Dazu kommen Dokumentationskos-ten in Höhe von weiteren 79 Millionen Euro. Diese Ten-denz wird sich in den kommenden Jahren fortsetzen. Da-bei denke ich noch gar nicht an die bürokratischenMonster, die mit dem prospektiven morbiditätsorientier-ten Risikostrukturausgleich – ein schönes Wort –
auf uns zukommen, oder an das, was Sie im Präventions-gesetz alles planen. Wir sagen Ihnen klar: Setzen Sie dasGeld der Beitragszahler für die medizinische Versorgungein und nicht für immer mehr Bürokratie!
Die Umsetzung des GMG, also des Kompromissesdes letzten Sommers, ist schlampig vollzogen worden.Die Stichworte lauten „Praxisgebühr“ und „Chronikerre-gelung“. Wenn ich mir überlege – das scheint Sie über-haupt nicht zu betreffen bzw. völlig an Ihnen vorbeizu-gehen –, wie viel Verunsicherung in der Bevölkerungallein beim Thema Sterbegeld herrscht – die Sozialver-bände werden von Anfragen überschwemmt, ob es indiesem Jahr gestrichen wurde oder nicht –, dann kannman klar sagen: Das, was die Menschen beschäftigt,scheint diese Regierung nicht mehr zu beschäftigen.
Auch das ambitionierte Vorhaben der Einführung ei-ner elektronischen Gesundheitskarte haben Sie vonAnfang an falsch angepackt. Jetzt zeichnet sich ab, dassdieses Projekt überhaupt nicht mehr zu halten ist. So istes auch bei der integrierten Versorgung, einem ganzwichtigen Herzstück dieser Reform, das auch wir als ele-mentaren Bestandteil angesehen haben. Nur 20 Prozentder dafür zur Verfügung stehenden Finanzmittel sind bis-lang abgerufen worden. Die meisten Mittel fließen in dietraditionelle „Hüfte“ und in Disease-Management-Pro-gramme. Von einer echten fächer- und sektorenübergrei-fenden bevölkerungsbezogenen Versorgung kann alsonoch keine Rede sein. Von Ihnen haben wir dazu heutekein einziges Wort gehört. Wenn dieses Projekt dasHerzstück der Reform ist, dann sollten Sie endlich dafürsorgen, dass das Herz kräftig schlagen kann. Aber dazuhört man von Ihnen kein Wort.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13201
(C)
(D)
Annette Widmann-MauzDass Rot-Grün nicht in der Lage ist, die aktuellenProbleme in der Gesundheitspolitik zu lösen, ge-schweige denn zukunftsweisende Konzepte zur Lösungder Probleme der sozialen Sicherungssysteme zu entwi-ckeln, hat die heutige Debatte mehr als eindrucksvoll be-wiesen. Sie setzen sich zwar mit den Konzepten derkünftigen Regierungsparteien, der CDU und der CSU,auseinander, aber nicht mehr mit Ihren eigenen Vor-schlägen; denn Sie haben keine, die tragen. Deshalb wirdes Zeit, dass wir unsere Konzepte in die Realität umset-zen.
Sie haben am heutigen Tag keine einzige Antwort aufdie wegbrechenden Einnahmen in unseren sozialenSicherungssystemen gegeben; denn Sie haben keineAntworten auf die Probleme unserer Zeit. Daher ist es ander Zeit, dass Sie gehen.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über Einzelplan 15,
Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Siche-
rung, in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Einzelplan 15 ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen.
Tagesordnungspunkte I.20 und I.21. Interfraktionell
wird Überweisung der Vorlagen auf den Druck-
sachen 15/4228 und 15/4135 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit
einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Über-
weisungen so beschlossen.
Ich rufe Zusatztagesordnungspunkt 3 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Aus-
Änderung der Vorschriften zum diagnose-
orientierten Fallpauschalensystem für Kran-
kenhäuser und zur Änderung anderer Vor-
– Drucksachen 15/3672, 15/3974, 15/4177,
15/4272 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Gudrun Schaich-Walch
Hierzu liegt eine persönliche Erklärung der Abgeord-
neten Gisela Piltz vor, die wir zu Protokoll nehmen.1)
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? – Das
ist nicht der Fall. Wird das Wort für Erklärungen ge-
wünscht? – Auch das ist nicht der Fall.
1) Anlage 2
Wir kommen zur Abstimmung. Der Vermittlungsaus-
schuss hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäfts-
ordnung beschlossen, dass im Deutschen Bundestag
über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist.
Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Vermitt-
lungsausschusses auf Drucksache 15/4272? – Gibt es
Gegenstimmen oder Enthaltungen? – Das ist nicht der
Fall. Damit ist die Beschlussempfehlung des Vermitt-
lungsausschusses einstimmig angenommen worden.
Ich rufe Tagesordnungspunkt I.22 auf:
Einzelplan 10
Bundesministerium für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft
– Drucksachen 15/4310, 15/4323 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Jürgen Koppelin
Ernst Bahr
Ilse Aigner
Franziska Eichstädt-Bohlig
Zu Einzelplan 10, über den wir später namentlich ab-
stimmen werden, liegt ein Änderungsantrag der Fraktion
der CDU/CSU vor.
Über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/
CSU auf Drucksache 15/4340, der sich auch auf
Einzelplan 10 bezieht, ist bereits bei Einzelplan 08 abge-
stimmt worden.
Des Weiteren liegen zwei Entschließungsanträge der
Fraktion der FDP vor, über die wir morgen im Anschluss
an die Schlussabstimmung abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Wi-
derspruch gibt es nicht. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
die Abgeordnete Gerda Hasselfeldt.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die deutschen Landwirte stehen im kommenden Jahr an-gesichts der Umsetzung der EU-Beschlüsse auf nationa-ler Ebene vor riesigen Herausforderungen und Umwäl-zungen. Gerade in dieser Zeit wäre es dringend geboten,dass die Landwirtschaftspolitik Verlässlichkeit undGlaubwürdigkeit aufweist und dass sie ihnen Perspekti-ven und Konzepte aufzeigt. Beides ist mit dem vorlie-genden Haushalt nicht getan.
Wie schon in den vergangenen Jahren ist der Land-wirtschaftshaushalt ein Steinbruch für den Finanzminis-ter: Kürzungen bei der landwirtschaftlichen Kranken-versicherung, Kürzungen bei der landwirtschaftlichenUnfallversicherung, Kürzungen bei der Gemeinschafts-aufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küs-tenschutzes“ – Erhöhungen, aber nicht bei irgendwel-chen Bundeszuschüssen, sondern bei Steuern, genauer:
Metadaten/Kopzeile:
13202 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Gerda Hasselfeldtbei der Agrardieselsteuer. Haushalts- und Haushaltsbe-gleitgesetz treffen die wirtschaftenden Betriebe nicht nurein bisschen, sondern ins Mark. Mit diesen Entscheidun-gen, mit diesen Kürzungen und Steuererhöhungen, ver-schlechtern Sie die ohnehin angeschlagene Wettbe-werbsfähigkeit unserer Landwirte aufs Neue.
Ein paar Sätze zur Verlässlichkeit und Glaubwürdig-keit: Wir alle miteinander haben Ende letzten Jahres – esist noch gar nicht so lange her – im Vermittlungsaus-schuss entschieden, und zwar aus guten Gründen, dassdie notwendigen Kürzungen im Haushalt nicht bei denlandwirtschaftlichen Betrieben und nicht im Landwirt-schaftshaushalt vorgenommen werden. Jetzt kommenSie wieder mit genau denselben Vorschlägen. Doch die-selben Gründe, die damals dagegen sprachen, sprechenauch heute dagegen: die Einkommenssituation der Land-wirte, die Tatsache, dass die Landwirte bei allen vergan-genen Haushalten einen überproportionalen Anteil anden Sparmaßnahmen tragen mussten, und die Tatsache,dass sie in ihrer Wettbewerbsfähigkeit ohnehin ge-schwächt sind, und zwar durch Ihre ständigen nationalenAlleingänge. All das gilt auch heute noch, aber Sie wi-schen es einfach beiseite und kalkulieren auch die neuenHerausforderungen und Belastungen durch die EU-Be-schlüsse nicht ein.
So kann man mit einem wichtigen Wirtschaftszweig– ich sage bewusst: wichtiger Wirtschaftszweig – nichtumgehen. Es geht hier nicht um einen Berufsstand al-leine, sondern es geht um einen wichtigen mittelständi-schen Wirtschaftszweig mit 4,3 Millionen Beschäftigtenim vor- und nachgelagerten Bereich.
Nun ist es ja nicht so, dass wir von der Oppositionnicht eine Menge von Sparvorschlägen gemacht hätten.Nur, unsere Vorschläge würden nicht die wirtschaften-den, die leistungsbereiten und leistungsfähigen Betriebetreffen, sondern sie würden beispielsweise Ihre Öffent-lichkeitsarbeit, Ihre PR-Arbeit, betreffen. Dabei bietensich ein paar Sätze dazu an, wie Sie mit öffentlichenGeldern umgehen. Im Bericht des Bundesrechnungsho-fes, der erst vor ein paar Tagen erschienen ist, ist nachzu-lesen:Das Bundesministerium … hat aus dem Bundespro-gramm Ökologischer Landbau in weitem UmfangMaßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit finanziert,um die politische Grundausrichtung der Bundesre-gierung darzustellen. Es hat damit gegen Haushalts-recht verstoßen.Unter dem Deckmantel „Ökologischer Landbau“ habenSie Steuergelder verschwendet. Das Geld steht nichtdem Ministerium für Öffentlichkeitsarbeit zu, sondern esist vom Parlament für die Landwirte vorgesehen, es istGeld, das den Landwirten zusteht.
Wer die Landwirte, wer die Steuerzahler und das Par-lament so belügt, der hat jedes Vertrauen, aber auchwirklich jedes Vertrauen, und jede Glaubwürdigkeit ver-spielt.
Wie auf den anderen Feldern Ihrer Haushalts- und Fi-nanzpolitik strotzt auch Ihre Landwirtschaftspolitik vorKonzeptionslosigkeit; das ist in diesen Tagen ja deutlichgeworden. Die einzige Antwort, die Sie auf die drängen-den Fragen in allen Bereichen zur Lösung der wirklichdrängenden Wirtschaftsprobleme haben, lautet: Kürzungder Mittel. Ein Beispiel ist die Agrarsozialpolitik. Siekürzen auch hier: bei der landwirtschaftlichen Kranken-versicherung, bei der landwirtschaftlichen Unfallversi-cherung. Ich will einmal deutlich darauf hinweisen: Dassind keine Subventionen, die man einfach in einem Jahrnach oben, in anderen nach unten oder – wie Sie es inden vergangenen Jahren getan haben – permanent nachunten anpassen kann. Das System der eigenständigenSozialversicherung in der Landwirtschaft ist einZwangsversicherungssystem, das damals im Konsensaller Fraktionen im Deutschen Bundestag beschlossenwurde. Es hätte keine Zustimmung bekommen, wenn da-mals nicht geregelt worden wäre, dass die Defizite ausdem Strukturwandel in der Landwirtschaft aus denöffentlichen Mitteln,
das heißt aus den Bundesmitteln, übernommen werden.Das war Geschäftsgrundlage und gehört zu diesem Sys-tem.
Nicht zuletzt durch Ihre Landwirtschaftspolitik habenSie dazu beigetragen, dass sich der Strukturwandel wei-ter beschleunigt hat. Was machen Sie in diesen Zeiten, indenen – darauf kommt man, wenn man im System denkt –eigentlich eine Erhöhung der Bundeszuschüsse notwen-dig wäre? Sie senken die Zuschüsse laufend. Deshalbbrauchen Sie sich nicht zu wundern, dass diese Senkungder Zuschüsse zu Beitragssatzsteigerungen, zur weiterenBeschleunigung des Strukturwandels und dazu führt,dass dieses System letztlich zerstört und nicht mehr zuhalten sein wird. Das müssen Sie wissen. Dies ist inhöchstem Maße verantwortungslos.
Hier fehlt ein Konzept – genau wie bei der landwirt-schaftlichen Unfallversicherung auch. Dort lautet Ihreeinzige Antwort ebenfalls: Kürzung der Mittel. Dabeigeht es nicht nur um ein paar Millionen, sondern um ge-waltige Summen, was mit Sicherheit auch wieder zuBeitragssatzsteigerungen führen wird.Warum greifen Sie eigentlich nicht die vorliegendenVorschläge des Berufsstandes auf? Warum diskutierenSie nicht mit denen, die davon betroffen sind, über Lö-sungsansätze vom Kern her? Es dürfen nicht einfach nurGelder gestrichen werden, sondern die Lösung des Pro-blems, ein neues Konzept ist gefragt. Es darf nicht nur
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13203
(C)
(D)
Gerda Hasselfeldtdie einfache Antwort „Kürzung der Mittel“ gegebenwerden.
In den letzten Monaten gab es in der Föderalismus-kommission auch eine lebhafte Diskussion nicht zuletztüber die Frage, ob wir die Gemeinschaftsaufgabe„Agrarstruktur und Küstenschutz“ in der jetzigenForm erhalten sollen oder nicht. Frau Ministerin, ichteile ausdrücklich Ihre Meinung, dass die Gemein-schaftsaufgabe „Agrarstruktur und Küstenschutz“ erhal-ten werden sollte. Wir müssen aber ehrlich miteinanderumgehen. Es nützt nichts, wenn die Gemeinschaftsauf-gabe auf dem Papier erhalten bleibt und Sie die MittelJahr für Jahr und bei jeder passenden Gelegenheit zu-rückfahren. Sie muss schon mit Leben erfüllt werden. Esmuss also Geld zur Verfügung stehen; ansonsten machtdas Ganze keinen Sinn.
Mehr als in anderen Bereichen wird in der Landwirt-schaftspolitik vieles EU-weit geregelt. Umso wichtigerist es erstens, dass die Verhandlungen auf der europäi-schen Ebene so geführt werden, dass die deutschen Inte-ressen dort wirklich vertreten werden, und zweitens,dass die vorhandenen nationalen Spielräume wirklichausgenutzt werden. Ich will Ihnen ein Beispiel für einenBereich nennen, in dem sie viel besser ausgenutzt wer-den könnten, nämlich den Agrardiesel. 1998 wurde jederLiter Agrardiesel mit 10,7 Cent besteuert. Im Jahre 2004waren es 25,6 Cent pro Liter, also mehr als das Dop-pelte. In Frankreich wurde die Steuer in jüngster Zeitvon 5,6 Cent auf 1,6 Cent pro Liter abgesenkt. In Öster-reich wurde sie von 30 Cent auf 9,8 Cent abgesenkt. Wasist im nächsten Jahr in Deutschland? Der ohnehin schonhohe Satz von 25,6 Cent wird auf durchschnittlich40 Cent pro Liter erhöht.Dass man in der Landwirtschaft angesichts dieserGrößenordnungen nicht von einer Wettbewerbsgleich-heit und nicht von gleichen Bedingungen im Wettbewerbder Produktion reden kann, liegt doch auf der Hand. Diedeutschen Landwirte müssen sich mit der gleichenAgrarmarktordnung wie die anderen auseinander setzenund sich innerhalb dieser behaupten, gleichzeitig habensie aber wesentlich schwierigere Ausgangspositionen beider Produktion. Das kann es doch nicht sein.
Sehr geehrte Frau Ministerin, wenn man dann nochberücksichtigt, dass die Landwirte auch bei der Öko-steuer die großen Verlierer waren – was erst in den letz-ten Tagen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsfor-schung schriftlich bestätigt worden ist; wir habenübrigens immer darauf hingewiesen –,
dann wird klar, dass es an der Zeit ist, in der gesamtenBundesregierung auf diesen Sachverhalt deutlich hinzu-weisen und dem Bundesfinanzminister zu sagen, dassdie Landwirte nicht immer nur die Melkkühe der Nationsein können. Im Wettbewerb mit anderen europäischenLändern muss ihre Situation viel stärker als jetzt berück-sichtigt werden.
Nun will ich gerade in dieser Haushaltsdebatte, die ineiner schwierigen wirtschaftlichen Situation geführtwird – und die durch Ihre Politik immer schwierigerwird –, deutlich machen, dass es durchaus eine Reihevon Maßnahmen gibt, die nicht unbedingt Geld kosten.Wenn Sie beispielsweise für die Haltung eines Mast-schweins in Deutschland eine doppelt so große Stell-platzfläche wie in Dänemark oder den Niederlanden vor-schreiben,
dann brauchen Sie sich nicht zu wundern, dass die Pro-duktion dorthin verlagert wird.Wenn Sie den deutschen Bauern strengere Vorschrif-ten für Pflanzenschutz- und Düngemittel auferlegen, alsdies andere Länder tun, dann brauchen Sie sich nicht zubeklagen, dass die Ausgangsposition der deutschenLandwirte bei der Produktion schwieriger ist und da-durch Landwirte eher aus der Produktion aussteigen, alsdies sonst der Fall wäre.
Wenn Sie, wie Sie dies getan haben, im deutschen Al-leingang durch das Bio-Siegel nationale Standards fest-legen, die niedriger sind als die Standards, zu denen sichdie Biobauern selbst verpflichtet haben, dann brauchenSie sich auch nicht darüber zu wundern, dass Sie durcheine solche Entscheidung den Markt für den Import ausanderen Ländern öffnen.An diesen Beispielen sehen Sie, dass weder der Tier-schutz noch der Umweltschutz verbessert worden istnoch den Verbrauchern geholfen wurde.
Im Gegenteil: Durch solche Maßnahmen tragen Sie dazubei, dass zum einen die Situation für die deutschenLandwirte immer schwieriger wird, weil sie schlechtereWettbewerbsbedingungen als andere haben, und dass Siezum anderen den Markt für Produkte von außen öffnen,sodass die Wahlmöglichkeiten für die Verbraucher durchden Verdrängungswettbewerb geringer werden.
Wenn Sie also so tun, als würden Sie den Verbrauchernhelfen, dann täuschen Sie die Verbraucher.Wir wollen, dass die regionale Vielfalt der Produktein Deutschland für die Verbraucher erhalten bleibt. Auchdies ist ein wichtiger Punkt.
Metadaten/Kopzeile:
13204 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Gerda HasselfeldtWir wollen eine Verbraucherpolitik, die den Verbrau-chern nichts vorschreibt, sondern die ehrlich ist und denmündigen Verbraucher akzeptiert. Wir wollen eineLandwirtschaftspolitik, die es den deutschen Landwirtenermöglicht, im internationalen Wettbewerb tatsächlichbestehen zu können. Wir wollen eine Landwirtschaftspo-litik, die die Landwirtschaft im Kontext des gesamtenWirtschaftsbereichs als bedeutenden mittelständischenWirtschaftssektor mit den vorgelagerten und nachgela-gerten Bereichen betrachtet, der mit dazu beiträgt, denStandort Deutschland zu sichern. Mit Ihrer Politik schaf-fen wir das – mit Verlaub – nicht. Deshalb werden wirIhren Haushalt ablehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Ernst Bahr.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolle-ginnen und Kollegen! Frau Hasselfeldt hat hier einigesangeführt, was ich gerne kurz aufgreifen möchte. WennSie das, was Sie zum Schluss gefordert haben, nämlichim Kontext zu denken und zu reden, ernst genommenhätten, dann hätten Sie sich einen Teil Ihrer Rede schen-ken können. Wenn man sich nur auf einen bestimmtenBereich, in Ihrem Fall auf die Landwirtschaft, konzen-triert, dann kann man natürlich eine so populistischeRede halten, wie Sie es getan haben.
Aber dies bringt den Landwirten, über die wir hier reden,absolut nichts.
Ich will hier noch einmal die Stichworte aufgreifen.Wenn Sie die Größe der Stellplätze für die Schweinehal-tung als Wettbewerbsproblem bezeichnen, dann frageich mich wirklich, ob es in Ihrer Fraktion überhaupt Um-welt- und Tierschützer gibt. Oder nehmen wir den an-geblichen Wettbewerbsnachteil der Besteuerung vonAgrardiesel. Es ist leider so, dass in Deutschland derWettbewerb auch durch die Kosten für Agrardiesel be-einträchtigt wird. Wir haben beim Wettbewerb in derLandwirtschaft aber auch die sozialen Rahmenbedingun-gen zu sehen. Da sind die deutschen Landwirte europa-weit mit am besten aufgestellt. Die Landwirte stehennicht, wie Sie es in Ihrer Rede suggeriert haben, amEnde aller Statistiken. Ihnen geht es nicht so schlecht.Die Landwirte in Deutschland sind sehr leistungsfähig,
sehr flexibel und willig, sich den Herausforderungen zustellen. Dem sollten wir in der Politik Rechnung tragen.Wir sollten nicht versuchen, eine in 50 Jahren geschei-terte Subventionspolitik fortzusetzen.
– Herr Goldmann, auf Sie und das, was Ihre Partei dazugesagt hat, komme ich noch zurück. – Das, was in die-sem Zusammenhang geäußert wurde, müssen wir imRahmen einer Debatte über die Modernisierung derLandwirtschaft aufgreifen. In dieser Beziehung habenwir eine Reihe von guten Schritten getan.
Ein Wort, das hier gefallen ist, war: Steinbruch fürden Bundesfinanzminister. Ich frage mich, was Sie vonder Opposition Ihren Finanzexperten sagen, die auch derAuffassung sind, dass wir in Deutschland eine Reihe vonEinsparungen vornehmen müssen, weil wir die Schuldennicht erhöhen dürfen und andere Schwerpunkte in derPolitik setzen müssen. Woher wollen Sie das Geld neh-men, wenn Sie immer einen Bereich von Sparvorschlä-gen ausnehmen?In Bezug auf Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeitmüssen wir Ihnen die Frage stellen, wer unsere Vor-schläge durchkreuzt hat. Sie vertreten heute noch dieAuffassung, dass auf Jahrzehnte gesichert ist, dass dieSteuer auf Agrardiesel nicht erhöht wird. Im Vermitt-lungsausschuss ist im vergangenen Jahr lediglich ein Be-schluss für das vergangene Haushaltsjahr gefasst wordenund nicht für alle Ewigkeit. Wenn wir das Thema jetztwieder aufgrund sachlicher Notwendigkeiten aufgreifen,dann hat das etwas mit Verlässlichkeit unserer Politik zutun.
Wir haben den Landwirten im vorigen Jahr gesagt, dasses keine andere Möglichkeit gibt, als das zu tun, was wirgemacht haben. Es gehört zur Verlässlichkeit, auch un-angenehme Wahrheiten zu sagen.
Sie greifen den Ökolandbau an. Ich frage mich: Wa-rum wollen wir dem Ökolandbau keine Chance geben?Sie beklagen sich über den hohen Anteil von importier-ten Bioprodukten. Wir wollen auch unseren Landwirtendie Chance geben, Bioprodukte herzustellen. Wenn wirdiese Produktion fördern wollen, müssen wir auch Haus-haltsmittel einstellen. Das haben wir getan, und zwar ineinem größeren Umfang als je zuvor.Die Aussagen des Berufsstandes in Bezug auf Agrar-diesel – wenn es die Zeit erlaubt, komme ich darauf nochzurück – gehen dahin, dass sich 40 Prozent der Land-wirte auf die Verwendung von Biodiesel einstellen wür-den,
wenn wir das Haushaltsbegleitgesetz umsetzen. Ichfrage mich, warum wir das dann nicht machen sollen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13205
(C)
(D)
Ernst Bahr
: Jetzt stellen die sich darauf ein?)
– Wir haben den Landwirten das schon im vorigen Jahrgesagt. Durch Ihre Blockadepolitik im Bundesrat ist dasum ein Jahr verschoben worden. Wir haben angekündigt,dass wir darauf zurückkommen. Das tun wir jetzt.
Wir verfahren in der Landwirtschaftspolitik nichtnach dem Motto „Weiter so“, sondern wir geben denLandwirten Chancen zur Modernisierung. Dazu gehört,dass wir ihnen helfen, die Qualität der Produkte zu ver-bessern. Wir wollen ihnen helfen, Innovationen einzu-führen und alternative Produkte und Dienstleistungen alsneue Einkommensquellen zu erschließen.Wir haben mit der Agrarreform einen entscheiden-den Schritt in diese Richtung gemacht. Stichworte sinddie Entkoppelung der Direktzahlungen oder die Einfüh-rung der Modulation. Dabei waren wir in der Tat Vorrei-ter in Europa. Aber der Beschluss gilt für alle. Wennnicht wir als eines der stärksten Länder in Europa auchim landwirtschaftlichen Bereich – wenn nicht als dasstärkste – vorangehen,
wer dann? Als starkes Land haben wir die Verpflichtung,Vorreiter zu sein.
Wir haben mit diesen Schritten auch dazu beigetra-gen, dass das WTO-Rahmenabkommen überhaupt erstunterzeichnet werden konnte. Sie wissen, welche Bedeu-tung das für die Weltwirtschaft hat. Wir sind mit unsererPolitik dabei, den Landwirten zuverlässige Rahmenbe-dingungen und Planungssicherheit zu geben. Das ma-chen wir sehr verantwortungsbewusst. Wir sagen nichtzu allem Nein, so wie wir es von Ihnen in allen Berei-chen hören.Wir stehen für eine innovative Landwirtschaft, mitder wir der internationalen Konkurrenz einen Schritt vo-raus sind. Wir stehen für Reformen, auch bei der Ge-meinschaftsaufgabe. Sie haben auch dazu etwas gesagt.Wir wollen die Gemeinschaftsaufgabe eben nicht ab-schaffen, wie es Teile der Opposition fordern, sondernwir wollen sie in einer Form beibehalten, die uns dieMöglichkeit bietet, die Vorteile weiterhin zu nutzen.Man muss allerdings auch sagen, dass die Mittel nichtimmer in vollem Umfang abgeflossen sind. Deswegensind wir der Auffassung, dass wir dort Kürzungen vor-nehmen konnten. Wir haben auch in der Föderalismus-kommission Äußerungen gehört, dass die Gemein-schaftsaufgabe abgeschafft werden soll. Ich denke, wirsind uns einig, dass das nicht gehen kann.Lassen Sie mich kurz auf die Anträge der FDP ein-gehen. Was die darin erhobenen Forderungen angeht,sieht es so aus, als müssten wir in die Vergangenheit zu-rückfallen: Mehr Subventionen und alles so lassen, wiees ist; dann werden die Landwirte schon irgendwie zu-rechtkommen. Das kann nicht funktionieren. Wir müs-sen die Landwirte bei der Neuausrichtung ihrer Tätigkeitunterstützen.
In den Anträgen der FDP wird die Kürzung der Mittelfür die Förderung von Innovationen vorgeschlagen, HerrGoldmann.
Sie wollen die 5 Millionen Euro einsparen und die För-derung auf null zurückfahren.
– Wenn Sie so viel dazwischenreden, dann können Sienicht zuhören. Das ist doch klar. Ich will es Ihnen erklä-ren. Hören Sie geduldig zu! Sie können gleich daraufeingehen. Sie sind ja der nächste Redner.Sie wollen die Zuschüsse für Modell- und Demon-strationsvorhaben um 16 Millionen Euro auf null zurück-fahren. Sie wollen das Bundesprogramm ÖkologischerLandbau von 20 Millionen Euro auf null fahren.
Ich frage mich in diesem Zusammenhang, wo wir dannnoch den Landwirten die Chance bieten würden, Biopro-dukte zu produzieren.Zur GAK habe ich schon einiges ausgeführt. Wennwir die Vorschläge der FDP zusammenfassen, dann kä-men zusätzliche Kürzungen in Höhe von 231 MillionenEuro auf den Haushalt des Ministeriums zu. Dann wäredie Landwirtschaftspolitik in der Tat am Ende; wir hät-ten keine Gestaltungsmöglichkeiten mehr in diesem Be-reich.Wir haben deshalb in einigen Bereichen eine Förderungvorgenommen. Wir werden neben den Kürzungen, die wirvorgenommen haben, weil wir sie für richtig halten, ver-stärkt auf die Förderung nachwachsender Rohstoffe set-zen. Wir werden die Umstellung auf Biodiesel mit zusätz-lich 10 Millionen Euro fördern. Damit sind insgesamt53 Millionen Euro zusätzlich für diesen Bereich vorhan-den. Ich halte die biogenen Treibstoffe für ein Zukunfts-modell in der Landwirtschaft.Wir haben im Rahmen der Beratungen zum Haus-haltsbegleitgesetz eine Anhörung durchgeführt. Ichmöchte daran erinnern, dass uns die Experten – weil siekeine Interessenvertreter der Landwirtschaft waren, wa-ren sie unabhängig – bestätigt haben, dass unsere Vorha-ben richtig sind.
Denn die Subventionierung ist ein Problem, das auch inanderen Bereichen als der Landwirtschaft besteht. WennSie Subventionsabbau fordern, dann muss das für alleBereiche gelten.
Metadaten/Kopzeile:
13206 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Ernst Bahr
Es geht nicht an, irgendeinen Bereich davon auszuneh-men. Insofern ist es wichtig, dass wir damit fortfahren.Wir haben die Schwierigkeit, dass bei einem Haushaltmit einem Volumen von 5,1 Milliarden Euro imEinzelplan 10 allein 3,7 Milliarden Euro für Sozialleis-tungen ausgegeben werden. Das sind mehr als 70 Pro-zent. Wir halten zwar Kürzungen für notwendig – das istrichtig –, aber wir halten es trotzdem für angemessen,die Landwirte in der Kranken- und Unfallversicherungsowie der Alterssicherung zu unterstützen. Wenn wirSpielräume in der politischen Gestaltung der Landwirt-schaft schaffen wollen, dann müssen wir in diesem Be-reich etwas tun.
Der Subventionsabbau ist aus unserer Sicht in allenpolitischen Bereichen notwendig. Deshalb werden wirauch hier daran festhalten.Wir haben die Preisentwicklung beim Rohöl vor Au-gen. Wir wissen, dass die Agrardieselverteuerung für dieLandwirte selbst dann nicht abzuwenden wäre, wenn wirdie Subventionen beibehalten würden.
Herr Kollege, denken Sie an Ihre Redezeit!
Ich bin sofort fertig, Frau Präsidentin. Deshalb geben
wir unseren Betrieben die Chance, Vorreiter einer neuen
Technik zu werden und dadurch vom Mineralöl unab-
hängig zu werden. Wir wollen, dass unsere Landwirte
wettbewerbsfähiger werden, als es bisher der Fall ist.
Unsere politischen Maßnahmen und auch die Finanzie-
rung sind dazu sehr gut geeignet.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hans-Michael
Goldmann.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Bahr, bei dem, was Sie eben vorgebracht haben, be-komme ich Herz- und Bauchschmerzen.
Ich frage mich, in welcher Welt Sie leben.Ich hatte eigentlich einen anderen Einstieg in meineRede geplant. Ich wollte sagen: Ich mag Sie zwar, FrauKünast, aber ich mag Ihre Politik nicht. Ich meine, wirsollten zwischen dem Menschlichen und dem Fachlichenunterscheiden. Die Agrarpolitik, wie sie seit dem12. Januar 2001 – ich habe es mir aufgeschrieben – ge-staltet wird, ist eine einzige Katastrophe für die Agrar-wirtschaft, die ländlichen Räume, die Ernährungswirt-schaft und den Verbraucherschutz, Herr Bahr.
Das hat mit einer substanziellen Agrarwende nichts zutun.Frau Ministerin Künast ist mittlerweile fast vier Jahreim Amt. Der Ökomarktanteil beträgt inzwischen4 Prozent. Das bedeutet eine jährliche Zunahme um ei-nen Prozentpunkt. Wir hätten diesen Ökomarktanteil mitSicherheit auch ohne diese Ökospielereien erreicht, diewir jetzt im Haushalt streichen. Denn wir möchten, dassjeder, der sich unternehmerisch betätigt, die Chancedazu erhält. Fragen Sie doch Ihren Kollegen Ostendorff,inwiefern er marktökologisch orientiert ist. Er brauchtdiesen ganzen Subventionskram, den Sie verteidigt ha-ben, nicht, weil er für seine Ökoprodukte einen unter-nehmerischen Markt hat. Diesen unternehmerischenMarkt wollen wir auch, aber wir wollen ihn nicht aus-spielen gegen einen konventionellen Markt von Bedeu-tung.Frau Hasselfeldt hat hundertprozentig Recht: In die-sen Bereichen entstehen Arbeitsplätze; in diesen Berei-chen gibt es Investitionen; in diesen Bereichen gibt esExportchancen. Bewegen Sie sich doch einmal in derWelt! Gehen Sie doch einmal in ein Fachgeschäft! Dannwerden Sie sehen, wie viel deutsche Ernährungspro-dukte in den Regalen stehen. Unsere Landwirtschaft istnach wie vor hoch leistungsfähig und wir müssen dazubeitragen, dass sie es auch bleibt.
Herr Bahr, ich will mit Ihnen und den Kollegen garnicht darüber reden, dass ich es eigentlich nur noch be-scheiden finde, wenn Bauern ausspioniert und an denPranger gestellt werden.
Das ist doch Schwachsinn. Wir haben das gestoppt unddie Bauern sind froh darüber. Herr Zöllmer, auch Siesind doch froh darüber.Herr Bahr, Sie reden von Schweinestellplätzen – esist interessant, welches Wort Sie benutzen – und sagen,das mache alles nichts.
Sagen Sie doch einmal, wie dieser Produktionsbereicheine mehr als 30-prozentige Kostensteigerung durch na-tionale Vorgaben verkraften soll. Das ist eben kein Ver-braucherschutz, Frau Künast – das muss man einmaldeutlich sagen –; denn damit jagen Sie die Produktionaus Deutschland heraus.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13207
(C)
(D)
Hans-Michael GoldmannDie Kontrolle über das, was bei uns eingeführt wird, istviel schwieriger. Im Grunde ist das, was Sie hier auf denTisch legen, eine Kette von Missverständnissen.
Das kann überhaupt nicht erfolgreich sein. Der Bereichkönnte exzellent sein; aber dann müssen Sie, liebe Kol-legen, sich auch informieren. Schauen Sie sich auf der„Euro-Tier“ einmal an, was dort abends prämiert wirdund welche Innovationen es dort in vielen Bereichengibt, in denen Arbeitsplätze entstehen und wo wir unsfür den Exportmarkt rüsten können.Wir sind für Innovationen; Ihr Kanzler hat das Jahrder Innovation ausgerufen. Aber leider betreiben Sie,Frau Künast, das Jahr der Beerdigung, sowohl bei derGrünen Gentechnik als auch im Bereich der Agrartech-nologie insgesamt.Lassen Sie mich noch auf einen Bereich eingehen, dermir wichtig ist, Herr Bahr, weil ich glaube, dass in IhrerFraktion und – vielleicht noch ein Stück mehr – bei denGrünen ein Grundmissverständnis vorliegt. Wir sagen Jazur EU-Agrarreform. Wir sagen Ja zur Entkoppelung.Wir sagen Ja, wenn Sie die Landwirte an mehr Wettbe-werb heranführen und ihnen die unternehmerische Füh-rung ihrer Betriebe ermöglichen. Wenn Sie jedoch diedeutschen Landwirte durch den Agrardiesel so sehr be-lasten, dass sie überhaupt nicht mehr wettbewerbsfähigsind, dann ist das Totmachen und sonst gar nichts.
Die Landwirte im Emsland, an der niederländischenGrenze und an der französischen Grenze stehen im direk-ten Wettbewerb mit ihren Kollegen jenseits der Grenzen,beispielsweise mit einem Landwirt, der in FrankreichToprahmenbedingungen hat, weil dort die Steuerlast umein Vielfaches niedriger ist. Die Holländer sind noch pfif-figer: Die mischen ein bisschen Rotes hinzu – das kannman nämlich nicht unterscheiden – und dann bezahlt derLandwirt noch weniger dafür. So erobert man Märkte.Mit Ihrer Position zum Agrardiesel und mit Ihrer Po-sition zu den agrar-sozialen Sicherungssystemen schla-gen Sie gerade den unternehmerischen Landwirten dieBeine weg und zerstören gerade da Zukunftsfähigkeit.Also Ja zu Reformen, aber bitte ein Stück Begleitung beiden Reformen.
Ich hatte, ehrlich gesagt, eher bei den Grünen dieHoffnung aufgegeben. Heute habe ich allerdings einkleines Signal aus Ihrer Partei bekommen; denn Sie sa-gen jetzt – mittlerweile auch einige Länder –, dass dieWirkungen des Hochwasserschutzgesetzes nicht so sind,wie wir uns das gedacht haben. Besinnen Sie sich! SagenSie von mir aus Ja zur ökologischen Landwirtschaft– das sage ich auch –, aber sorgen Sie bitte dafür, dassdie deutsche unternehmerische Landwirtschaft in Europaeine Zukunft hat.Deswegen kann ich Sie nur herzlich bitten: StoppenSie das Haushaltsbegleitgesetz und sagen Sie endlich Jazu innovativen Technologien, auch zur Grünen Gentech-nik.Herzlichen Dank.
Zu einer Kurzintervention erhält jetzt der Abgeord-
nete Ostendorff das Wort, weil er angesprochen wurde.
Herr Kollege Goldmann, Sie haben mich direkt ange-sprochen. Ich folge Ihnen insoweit, als es richtig ist – ichweiß allerdings nicht, ob wir so weit privatisieren soll-ten –, dass ich auf meinem Hof für die Vermarktung mei-ner Produkte keinerlei Subventionen brauche. Das istZukunftsfähigkeit; genau das wollen wir in Zukunft ha-ben. Wir wollen davon wegkommen, dass Produkte er-zeugt werden, die ohne Stützung des Staates keinenMarkt haben.Genau das macht der biologische Landbau vor. Des-halb ist er wichtig und deshalb unterstützen wir diesenBereich, der im Aufwuchs begriffen ist. Sie wissen, dassder ökologische Landbau im letzten Jahr als einzigerBereich der Lebensmittelwirtschaft ein Plus von3,5 Prozent aufzuweisen hatte. Alle anderen Bereichemussten Rückgänge verkraften. Die Entwicklung desökologischen Landbaus ist ermutigend. Da wir aber derMeinung sind, dass das Wachstum in diesem Bereichnoch stärker sein könnte, gewähren wir Hilfen.Zeitgleich zur heutigen Debatte findet in Berlin dievon der ökologischen Lebensmittelwirtschaft organi-sierte Tagung „Zukunft, die schmeckt“ statt, zu der auchSie sicherlich eingeladen sind. Dort diskutieren wir imAnschluss an diese Debatte über das Thema „Stärkennutzen – Rahmenbedingungen verändern“. Es geht da-rum, den biologischen Landbau weiterzuentwickeln undihm zu helfen, damit er innovativ bleibt, so wie die Bun-desregierung das mit ihrer Politik in allen anderen inno-vativen Bereichen macht; das ist richtig.
Das sollte man zur Kenntnis nehmen.Die Frage, die der Kollege gestellt hat, ist von tieferUnkenntnis geprägt. Er hat gefragt, ob wir als Biobauereine Flächenprämie bekommen. Flächenprämien erhältjeder, der extensiviert. Sowohl Biobauern als auch kon-ventionell wirtschaftende Bauern erhalten eine zusätzli-che Unterstützung, wenn sie extensivieren. Hier handeltes sich also nicht um ein Förderprogramm des biologi-schen Landbaus.
– Herr Schindler, es wird auch durch ständiges Wieder-holen nicht besser. Ich habe versucht, es zu erklären. Ich
Metadaten/Kopzeile:
13208 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Friedrich Ostendorffkann es gerne noch einmal erklären. Vielleicht sind Sienicht in der Lage, mir intellektuell zu folgen.
Der Bauernverband sollte vielleicht bei Herrn Schindlerunterstützend tätig werden.Nichtsdestotrotz erkläre ich es noch einmal: Wir, dieBiobauern, bekommen für Extensivierungen genausoviele Gelder wie konventionell wirtschaftende Bauern.Ich weiß nicht genau, ob das auch für den Weinanbaugilt. Aber in der übrigen Landwirtschaft gibt es für Ex-tensivierungen Unterstützungen. Wenn Sie mir nichtglauben, sollten Sie bei Ihren Kollegen nachfragen.Das war meine Kurzintervention.
Herr Kollege Goldmann, wollen Sie antworten? –
Bitte.
Kollege Ostendorff, ich glaube, wir bekommen das
alles ganz unproblematisch hin. Wir sind uns in der Re-
formfrage einig. Sie wissen, dass die Ökobetriebe bei
der nationalen Umsetzung der EU-Agrarreform nicht
schlecht wegkommen. Es gibt an der einen oder anderen
Stelle sogar Sonderkonditionen. Die Flächenprämie ist
für die Ökobetriebe durchaus hilfreich, da sie im Allge-
meinen mehr Fläche haben als intensiv arbeitende Be-
triebe.
– Herr Ostendorff, von mir aus können Sie arbeiten, wie
Sie es verantworten können. Das ist der Unterschied
zwischen unserer Ausrichtung und Ihrer Ideologie.
– Hören Sie doch bitte zu! Ich habe auch Ihnen zugehört.
Wir möchten, dass jeder das an seinem Standort tut,
was er am besten kann. Wenn sich jemand für einen öko-
logisch orientierten Betrieb entscheidet, weil er entspre-
chende Märkte vor der Tür hat, dann bin ich hundertpro-
zentig dafür. Ich habe neulich einen Milchbauern im
Hochschwarzwald besucht, der die wunderbare Rasse
„Hinterwäldler“ – ich hoffe, dass der Name korrekt ist –
hält. Dieser Betrieb bekommt 37 Cent pro Liter Milch
von der Molkerei in Freiburg. Er erhält demnächst noch
eine Prämie sowie – von uns aus: gerne – Modulations-
mittel oder eine Hilfe aus Sonderprogrammen des Lan-
des, um unsere Kulturlandschaft zu erhalten. Damit
kommt dieser Betrieb klar. Er benötigt also nicht das,
was ein solcher Betrieb nach Meinung von Frau Künast
braucht.
Die Ergebnisse zeigen ebenfalls, dass gerade Ihre Kli-
entel gar nicht alle Mittel abgerufen hat. In diesem Be-
reich gibt es ja große Rückstände, weil diejenigen das,
was Sie ihnen Gutes tun wollen, gar nicht haben wollen
und so klarkommen.
Ich habe mich sehr geärgert, als Sie das Motto „Zu-
kunft, die schmeckt“ genannt haben. Ich halte das für
schlimm; denn mir haben die Produkte der deutschen
Agrar- und Lebensmittelwirtschaft schon immer ge-
schmeckt.
Ich bin nicht bereit, zu akzeptieren, dass die Produkte,
mit denen wir uns im Grunde genommen den Weltmarkt
erobert haben, nicht schmackhaft und gut sein sollen.
Hier sind wir entschieden anderer Meinung als Sie. Aber
lassen Sie nicht zu, dass bei uns ein Kampf zwischen
ökologischer und konventioneller Landwirtschaft ge-
führt wird! Einen solchen Kampf wird die gesamte deut-
sche Ernährungswirtschaft, also auch Ihr Ökolandbau,
nicht überstehen.
Sie wissen doch ganz genau, dass die Belastungen der
Ökobetriebe insbesondere deshalb größer geworden
sind, weil es bei uns ein Ökosiegel gibt, dessen Wirkung
im Grunde genommen viel schwächer als das ist, was
wir auf nationaler Ebene schon einmal hatten. Dadurch
sind in Ihren Bereichen Einkommenseinbußen zustande
gekommen – wir wollen sie nicht –, die Sie durch das,
was Sie angesprochen haben – wir nennen das „Ökospie-
lereien“ –, nicht kompensieren können.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt die Bundesministerin RenateKünast.Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucher-schutz, Ernährung und Landwirtschaft:Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Zunächst einmal an Herrn Goldmann – das ist austiefstem Herzen gesprochen –: Schade. Sie haben vorhingesagt, dass Sie Ihre Rede eigentlich anders anfangenwollten, nämlich mit dem Satz: Ich mag Sie ja, FrauKünast, aber ich mag Ihre Politik nicht. Das ist eben garnicht so richtig herausgekommen;
es hätte aber zur Stimmungsverbesserung beitragen kön-nen. Herr Goldmann, gleichwohl muss ich Ihnen in einergewissen Verbundenheit sagen: Selbst wenn der Satzumgekehrt gelautet hätte, hätte ich damit leben können.
– Sie wissen das.Des Weiteren möchte ich noch kurz auf die Kurzinter-vention von Herrn Ostendorff und auf Ihre Erwiderungdarauf eingehen. Ich wäre ganz froh, wenn man ein Se-minar der ökologischen Lebensmittelwirtschaft mit dem
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13209
(C)
(D)
Bundesministerin Renate KünastTitel „Zukunft schmeckt“ nicht gleich ideologisch be-handeln und in eine bestimmte Schublade steckenwürde. Seien wir doch froh, dass dieser Wirtschafts-zweig versucht, dieses Thema zu besetzen. Ich bin frohdarüber, dass sich die entsprechenden Personen Gedan-ken über Marketing machen, dass sie mit Politikerinnenund Politikern darüber reden und dass sie diesen Punktin Angriff nehmen, dessen Mängel wir alle immer wie-der bedauern.Es gibt exzellente regionale Produkte. Dazu gehörenauch Ökoprodukte. Man hört es immer wieder: DieLeute laufen wie verrückt hinter „billig, billig, billig“her. Danach fragen sie, wo die Arbeitsplätze sind. EinAnsatz kann sein, den Menschen nicht irgendetwas zuoktroyieren, sondern zu versuchen, ihnen Geschmack,Genuss, vielleicht Genuss ohne Reue nahe zu bringen.
– Natürlich, jetzt und gestern.Man sollte dieses Problem anpacken und danach fra-gen, wo der Genuss herkommt. Man sollte dafür sorgen,dass mehr Menschen die Zusammenhänge kennen ler-nen. Mehr Menschen sollten verstehen, dass ihnen einStück Genuss verloren geht, wenn sie nur nach demMotto „billig, billig“ einkaufen.
– Doch, das will auch Ostendorff.Nach fast vier Jahren, die ich mittlerweile Ministerinbin, hat die Behauptung, mein Eintreten für den Öko-landbau sei ideologisch motiviert, doch einen Bart, derso lang ist, dass man geradezu eine Bartwickelmaschinebraucht.
Lassen Sie uns doch lieber über moderne Politik dis-kutieren. Dieser Haushalt ist ein Ausdruck unseres Be-mühens, zu fragen, wohin wir wollen, wo Innovations-felder liegen und was der Nutzen für die ganzeGesellschaft sein kann; schließlich entstehen Arbeits-plätze, wenn man es richtig macht. Das heißt, dass wirnicht stehen bleiben, sondern überlegen, womit man hierim 21. Jahrhundert Geld verdienen kann.
– Eben nicht. Sie wollten wahrscheinlich „mit einer Sen-kung der Agrardieselsteuer“ sagen. Ich hoffe, ich habenoch genug Zeit, das richtig zu stellen.Wir müssen den Haushalt konsolidieren. Wir alle wis-sen: Wenn wir mehr Gelder in Forschung und Entwick-lung, also in Bereiche, wo neue Einkommensmöglich-keiten sind, investieren wollen – damit meine ich auchmein Ressort –, dann muss man woanders sparen. Des-halb kann die Landwirtschaft keine Oase der Glückseli-gen sein. Es geht nicht an, dass wir den Haushalt konso-lidieren, eine Neuausrichtung vornehmen und imRahmen der Lissabon-Strategie in Europa neue Schwer-punkte setzen, ohne irgendwo Einsparungen vorzuneh-men. Mit einem solchen Vorgehen kann kein Menschrechnen.Die Zukunftsfähigkeit der Landwirtschaft sichernheißt für uns, zu schauen, wo es Subventionen nach demGießkannenprinzip gibt, die man kürzen kann, und wiedie Landwirtschaft in eine Gesamtstrategie zur Entwick-lung der ländlichen Räume eingebunden werden kann.Ich bitte darum, nicht nur die Agrarreform des letztenSommers ab 1. Januar umzusetzen, sondern auch überweitere Entwicklungsmöglichkeiten nachzudenken.Frau Hasselfeldt, an dieser Stelle möchte ich mich beiIhnen für Ihren Einsatz im Rahmen der Gemeinschafts-aufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und desKüstenschutzes“ bedanken. Aber ich muss eines hinzu-fügen: Wir sind mit unserer Hausaufgabe wegen derHaltung bestimmter Ministerpräsidenten noch nicht fer-tig. Herr Stoiber sagt nämlich: Ich nehme zur Kenntnis,dass die Bundesregierung die Gemeinschaftsaufgabe„Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschut-zes“ nicht zerfleddern und den Ländern zum Löcherstop-fen geben möchte.
– Das sage ich gleich. – An der Stelle brauchen wir nochmehr Druck.
Ich will noch etwas zum Geld sagen. Sicherlich habenwir auch in dem Bereich das eine oder andere gekürzt.Frau Hasselfeldt, wenn Sie sich das genau anschauen,dann stellen Sie aber fest, dass wir exakt immer nur dagekürzt haben, wo die Länder Kofinanzierungsmittelerst gar nicht haben.
– Schlitzohrig sind wir; das wissen Sie, Herr Goldmann. –Ich habe im Disput mit dem Kollegen Eichel immer ge-sagt: Nein, nein, so viel nehmen wir. – Tatsache ist: DieLänder sind im Hinblick auf die notwendige Kofinanzie-rung immer bedient worden.Was ist unsere Neuausrichtung? Unsere Neuausrich-tung bedeutet, statt 30,5 Millionen Euro im nächstenJahr 53,6 Millionen Euro im Bereich der Markteinfüh-rung für nachwachsende Rohstoffe einzusetzen; genauda gibt es Entwicklungspotenziale.
Metadaten/Kopzeile:
13210 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Bundesministerin Renate KünastDas heißt auch, 18 Modellregionen in Deutschland– Vorhaben „Regionen aktiv“ – weiterzuentwickeln, ausdenen wir schon lernen, und andere Fördermöglichkei-ten zu entwickeln, die wir auch in der Verordnung zumländlichen Raum in Brüssel umsetzen wollen; das wis-sen Sie, Frau Hasselfeldt. Das finden alle positiv.
– Es schafft doch Arbeitsplätze. Herr Goldmann, ichlade Sie ein; ich nehme Sie mit. Selbst im Emsland
und in den neuen Bundesländern gibt es damit neue Ar-beitsplätze.Dann kommt natürlich die Frage: Wo überall kannman im weitesten Sinne noch innovativ sein? Wo sindim wahrsten Sinne des Wortes Wachstumsbereiche? An-fang nächsten Jahres auf der Grünen Woche werden wiranfangen, darüber zu informieren, wo Innovationen inder Landwirtschaft, zum Beispiel bei nachwachsendenRohstoffen und erneuerbaren Energien, möglich sind.Die Landwirte steigen ein. Wir haben unsere Fördertat-bestände auch so geändert, dass nicht der einzelne Land-wirt allein mit der Sorge vor dem Thema steht. Wir kön-nen auch fördern, dass sich Landwirte gemeinsam eineBeratung holen, die ihnen Antwort auf die Fragen gibt:Rechnet sich eine Biogasanlage für mich? Welche Sach-kunde brauche ich? Moderne Politik ist, dass man dieLandwirte nicht allein am Abendbrottisch lässt, sondernihnen hilft, sich weiterzuentwickeln.
Das sage ich auch in dem Bewusstsein, dass wir so etwasnur machen können, wenn wir an einer anderen Stelle, soschwer es auch fällt, etwas streichen.Es gibt viele Dinge, die kritisiert werden, der Öko-landbau zum Beispiel. Aber ich sage Ihnen: Der welt-weite Biomarkt hat nach OECD-Studien jährlicheWachstumsraten von 15 bis 30 Prozent.
– Ich habe die Zahl weltweit genannt.
Die ZMP, die nicht verdächtig ist, grün zu sein, sagt– das ist auch auf der Basis von Daten des Lebensmittel-handels –, dass wir in Deutschland weiterhin Steigerun-gen von 5 bis 10 Prozent haben werden. Ich bin nichtbereit, zuzulassen, dass allein Importe diese Umsatzstei-gerung abgreifen. Daran sollen auch die deutschenLandwirte teilhaben.
– Sie wissen, dass die Umstellung auf den Euro und derNitrofen-Skandal in der Zeit war, wobei letzterer auchmithilfe des Deutschen Bauernverbandes zu einem Öko-problem gemacht wurde, obwohl er keines war.
– Ich nehme zur Kenntnis, dass Sie in Zukunft helfen. –Die Wahrheit muss ausgesprochen werden.
– Wir sind im Deutschen Bundestag.Es gibt jede Menge Ansätze. Wir haben nicht nur eineNeuausrichtung im Agrarbereich, sondern wir machenauch eine grundsätzliche Neuausrichtung beim Verbrau-cherschutz. Wir stärken die Einrichtungen des Verbrau-cherschutzes und wir tragen für eine umfassendeVerbraucherinformation Sorge. Ich will, dass die Ver-braucherinnen und Verbraucher die Qualität „Made inGermany“ erkennen. Genau das muss unser Ansatzpunktin einer immer komplexer werdenden Welt sein.
Sie alle wissen, dass das nicht nur für Waren gilt. Nichtzu Unrecht ist die beste und glaubwürdigste Institutiondie Stiftung Warentest. Die sagt Ihnen, ob das Geld guteingesetzt ist.Wir haben in diesem Haushalt das Thema „falscheund ungesunde Ernährung als eines der Hauptpro-bleme des 21. Jahrhunderts“. Ich freue mich, dass zumBeispiel Herr Schnappauf bei der Plattform, die wir zu-sammen mit der Ernährungswirtschaft gegründet haben,mitmacht, als einer unter anderen.
Klar ist nämlich, dass wir hier ein zentrales Gerechtig-keitsproblem haben.
Kinder aus finanziell und sozial schwachen Familiensind überproportional betroffen. Kinder aus Migranten-familien sind überproportional betroffen. Zu unsererModernisierungsstrategie gehört, dass diese Kinder Un-terstützung erfahren.
– Ich kontrolliere nicht, ob sie zertifizierte Produkte es-sen, Herr Goldmann. Wir versuchen, ihnen Freude anBewegung und gesunder Ernährung zu vermitteln.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13211
(C)
(D)
Bundesministerin Renate KünastWir können mal zusammen mit Kindern Essen gehen,Herr Goldmann;
das sind die schönsten Termine, weil Kinder eine Art un-befangener Neugier haben. Das entspannt ungemein.Ich glaube, wir haben durchaus fraktionsübergreifendin diesem Hause erkannt, dass dies ein zentrales Problemist. Ich muss Ihnen aber ehrlich sagen, dass ich vor die-sem Hintergrund solche Anträge, wie sie die Oppositionim Ausschuss gestellt hat, nämlich den Etat für Modell-und Demonstrationsvorhaben auf null zu setzen oder dieMittel der Verbraucheraufklärung um mehr als die Hälftezu reduzieren, nicht für zukunftsweisend halte.
In dieser Debatte konnte ich nur ein paar Punkte an-sprechen. Eines möchte ich aber klar sagen: Wir habenden Mut zum Kürzen. Um Kürzungen kommen wir nichtherum; denn der Haushalt des Ministeriums für Verbrau-cherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ist keine In-sel der Glückseligen in einem Gesamthaushalt, in demgrundsätzlich gespart werden muss. Das ist in der Ele-fantenrunde wie auch in den Grundsatzrunden immerwieder gesagt worden. Wir müssen es aber hinbekom-men, zur Haushaltskonsolidierung beizutragen und zu-gleich trotzdem noch in bestimmte Bereiche Geld zu in-vestieren. Auf die Landwirtschaft bezogen heißt das,dass wir immer dann Geld investieren, wenn es um dieFörderung nachwachsender Rohstoffe für die Energie-erzeugung geht. Von Biokraftstoffen über Dämmstoffebis hin zu Polsterstoffen im Auto eröffnen wir damitMöglichkeiten für den Einsatz landwirtschaftlicher Pro-dukte in der chemischen Industrie oder dem Automobil-bau in Deutschland. Hier passt der Satz, dass die Zukunftder Bundesrepublik nicht nur in den Forschungslaborsder großen Unternehmen und in den Universitäten ent-wickelt wird, sondern im wahrsten Sinne des Wortesvom Lande kommt. Genau das versuchen wir in diesemHaushalt zu organisieren. Deshalb bitte ich um Zustim-mung.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Julia Klöckner von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Frau Ministerin Künast, Mut zum Kürzen ist sicherlichnotwendig, da wir keine Geldnoten nachdrucken undauch nicht aus dem Vollen schöpfen können.
Aber erklären Sie uns bitte, warum Sie auf der einenSeite vom Mut zum Kürzen sprechen, aber auf der ande-ren Seite der Öffentlichkeitsetat des Ministeriums alseinziger Etat gestiegen ist.
– Schlechte Politik muss gut verkauft werden, Sie sagenes.Frau Ministerin, Sie sagten, dieser Haushalt soll dazuAnstöße geben, über moderne Politik zu diskutieren.Vielleicht hören Sie auch zu; das kann ja nicht schaden.
Wenn Sie unter moderner Politik verstehen, eine PR-Kampagne in eigener Sache zu führen, dann verzichteich lieber auf moderne Politik und entscheide mich fürsolide Politik.
Das möchte auch der Bundesrechnungshof. Er hat Ih-nen die Quittung für Ihren Versuch, moderne Politik zumachen, gegeben. Er sagt, was Sie machen, ist nichtkonform.Sie haben hier schön über eine Neuausrichtung gere-det.
Über einige grundsätzliche Fragen sind wir ja miteinan-der im Gespräch. Dass hier etwas getan werden muss, istja nicht von der Hand zu weisen. Wir könnten da überviele Punkte reden. Aber warum sagen Sie nichts zu demAnsatz für Ihre Öffentlichkeitsarbeit? Diese Frage habenwir schon vorher angesprochen.Weiterhin haben Sie gesagt, Sie würden den Bauernhelfen, sich weiterzuentwickeln. Damit beleidigen Sieeigentlich die, die Sie verteidigen und für die Sie einste-hen sollen.Dass Minister Eichel im Haushalt für Sie, FrauKünast, nichts auf der hohen Kante hat, na ja, dafür kön-nen Sie wahrscheinlich nichts. Die Haushaltslöcher wer-den eben immer größer. Wir befürchten aber, dass diesesTaschengeld, was der Minister Ihnen noch zugesteht, imnächsten Jahr noch mehr gekürzt wird, und zwar wegenunnützer Ausgaben an der falschen Stelle – und das beileeren Kassen!
Wenn das Geld knapp ist, dann bemüht sich doch ei-gentlich jeder darum – fragen Sie zum Beispiel Fami-lien, die mit wenig Geld hauswirtschaften müssen –, dasvorhandene Geld für das Nötigste und nicht für Spiele-reien auszugeben.
Metadaten/Kopzeile:
13212 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Julia KlöcknerJeder, der hauswirtschaften kann, achtet ganz genau da-rauf. Nur Sie, Frau Künast, tun das nicht. Sie gehen lie-ber mit den Millionen auf Bummeltour. Auf Werbung inForm von bunten Ministeriumspostkarten mit Schwein-chen und Biosiegel, auf denen steht: „Kein Schwein ruftmich an“ – das ist nicht unser Problem –, können wirverzichten. Auch auf Bücher mit Künast-Porträt und aufgoldige Aktionsspielchen mit der Biokuh kann manleichten Herzens verzichten. Auf die Sicherung des land-wirtschaftlichen Standortes Deutschland können wir je-doch nicht verzichten. Unsere Landwirte haben keineLust mehr auf Spielereien.
– Das seien Peanuts, sagen Sie? Das erläutern Sie bitteeinmal den Landwirten, Frau Höfken. Ich kann mir vor-stellen, dass Sie das als Peanuts bezeichnen, diese Mil-lionen von Euro; aber bei den Landwirten schlägt dieAgrardieselsteuererhöhung um mehrere Cent zu Buche.Für Sie mögen das Peanuts sein; Sie haben eine guteDiät, wie wir alle. Aber ich kann mir vorstellen, wie esden Landwirten da draußen geht.Sie reisen, Frau Künast, auch einmal ganz gerne nachChina, um sich – man höre – dem dortigen Ökoanbau zuwidmen. Offiziell zu verhandeln gab es in China nichts.Deshalb wurde die Reise auch mehrfach verschoben.
Weder wurden die Exportchancen unserer deutschenLandwirte angesprochen noch hat man daran gedacht,die dortige CMA-Außenstelle zu besichtigen. Die Ver-treter der Viehwirtschaft mussten sich erst einmal einkla-gen. Eigentlich ist es ein Unding, dass Sie sich in Chinalieber im Kempinski der chinesischen Biowirtschaft ge-widmet haben, was vielleicht für die oberen Zehntau-send von Interesse ist. Sie hatten auf jeden Fall ein rich-tig gutes Gefühl. Kostenpunkt: 55 000 Euro, wie dieAnfrage von meiner Kollegin Gitta Connemann ergebenhat – 55 000 Euro für ein gutes Gefühl an einem gutenTag für Sie in China! Das machen Sie bitte einmal unse-ren Landwirten klar, wenn Sie sagen, gekürzt werdenmüsse überall.
Wenn Sie für so etwas noch Geld haben und nicht be-reit sind, zu sparen, aber die Produzenten aus der Ernäh-rungswirtschaft immer um Geld bitten, dann stellt sichschon die Frage, ob man sich die Mitsprache irgendwannerkaufen muss.
Ein Gesetzentwurf von Ihnen sieht vor, die drei Sitze derCMA im Absatzfonds ersatzlos zu streichen. Konkretheißt das, dass die Vertreter der Land- und Ernährungs-wirtschaft, also die Beitragszahler, diejenigen, die Ihnenletztlich das Geld liefern, die Plätze räumen müssen undgeschwächt werden sollen. Verfassungsrechtlich habenwir da ein Problem, weil Sie dadurch den Grundsatz derGruppennützigkeit gefährden.Aber es ist gut, zu wissen, dass es noch unabhängigeInstitutionen gibt, die sich nicht einlullen lassen. Wirsind sehr dankbar, dass es den Bundesrechnungshofgibt, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Dessen Ernsthaftigkeit wollen Sie wohl nicht infragestellen. Mich wundert schon, Frau Ministerin Künast,dass Sie heute kein einziges Wort darüber verloren ha-ben, vielleicht eine Entschuldigung oder einen Hinweis,wie Verbesserungen herbeigeführt werden könnten,wenn Sie schon die anderen zur Solidarität aufrufen.
Aber wenn Sie die Ernsthaftigkeit des Bundesrech-nungshofs infrage stellen, Herr Zöllmer, müssen Sieletztlich auch dessen Abschaffung beantragen. Tun Siedas, dann wären Sie konsequent!Es heißt, das Bundesministerium habe aus dem „Bun-desprogramm Ökologischer Landbau“ in weitemUmfang Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit finan-ziert, um die politische Grundausrichtung der Bundesre-gierung darzustellen.
Aber für Öffentlichkeitsarbeit gibt es einen anderenTopf. Das Ministerium, so heißt es hier, „hat damit ge-gen Haushaltsrecht verstoßen“.
Das sind nicht meine Worte, sondern die des Bundes-rechnungshofes.Ein Beispiel aus der Heimatstadt meiner KolleginUlla Heinen: In Köln wurde genau eine Woche vor derKommunalwahl im September auf dem Kölner Neu-markt durch Ihr Bundesministerium im Rahmen des„Bundesprogramms Ökologischer Landbau“ ein Bio-Er-lebnistag veranstaltet.
Eine solche Veranstaltung dient eindeutig der Darstel-lung und Werbung der grünen Politik. Somit wurde von-seiten der Bundesregierung in die Endphase des Kom-munalwahlkampfes eingegriffen, was bereits 1977 vomBundesverfassungsgericht verboten wurde.
Vielleicht sollten Sie sich einmal damit beschäftigen.
Schauen wir uns jetzt einmal den Verbraucherschutzan, Frau Künast. Sie überlegen ja, wo überall gestrichenwerden kann. Sie wollen nicht bei Ihren eigenen Anlie-gen sparen. Darüber muss man nicht froh sein. Sie störtdas wahrscheinlich ganz und gar nicht, auch Ihre Kolle-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13213
(C)
(D)
Julia Klöcknergen nicht. Am meisten wundert mich aber, dass Sienichts zum Thema Stiftung Warentest gesagt haben.Die Stiftung Warentest müssten wir in die Unabhängig-keit entlassen,
statt sie am Bändel zu führen. Die Stiftung könnte zu100 Prozent in die Unabhängigkeit entlassen werden.
Den dafür benötigten Sockelbetrag könnten wir inner-halb von fünf Jahren aus dem Titel „Aufklärung der Ver-braucher“ erwirtschaften. Sie müssten nur etwas kreativim Rechnen sein und das letztlich wollen.
Sie haben ja eine ganze Reihe von Kampagnen ge-plant. Sie spielen gerne die Mutter Teresa für ausge-suchte Gruppen, zum Beispiel die dicken Kinder. AberSie sollten auch die Themen Über- und Untergewicht so-wie Fehlernährung behandeln, statt immer nur eineGruppe herauszusuchen, weil man mit dieser gerade gutSchlagzeilen machen kann.Im Bereich der Ernährung haben Sie viele Ideen. Mirfehlen aber Ihre Ideen zum wirtschaftlichen Verbrau-cherschutz. Ich habe von Ihnen nichts zu den steigendenEnergiepreisen gehört. Diese gehen zulasten der Fami-lien; denn sie können nicht einfach die Heizung abstel-len. Da habe ich keine Frau Künast gesehen. Aber auchdas gehört für mich zum Verbraucherschutz.Auch als es um die Versorgung des ländlichen Rau-mes mit Postdienstleistungen ging, habe ich nichts vonIhnen gehört. Auch Finanzdienstleistungen, die Frageder Überschuldung oder der Verbraucherschutz bei Gen-tests tangieren Sie nicht, weil man damit nicht punktenkann.
Den nächsten Punkt muss man sich einmal auf derZunge zergehen lassen.
Sie fordern ein Puppensiegel. Das macht sich gut sokurz vor Weihnachten. Frau Künast, wie man hört, pla-nen Sie für den 6. Dezember, passend zum Nikolaustag,auf dem Potsdamer Platz eine Selbstdarstellung der ganzbesonderen Art. Es soll eine Veranstaltung für nachhalti-ges Spielzeug durchgeführt werden.
– Klatschen Sie aber noch, wenn Sie hören, dass dafür,so wird zumindest gemunkelt, bis zu 900 000 Euro ver-anschlagt werden?
Man muss sich einmal vorstellen: Dafür ist Geld vorhan-den.Die Ministerin – das ist der Hammer –, ist sich auchnicht zu schade, unverbrämte PR-Aktionen und Partei-politik in die politische Bildung einfließen zu lassen. Siewissen, dass die Bundeszentrale für politische Bildungüberparteilich sein soll und dass sie keine Parteiinhaltetransportieren soll. Diese Bundeszentrale schreibt nuneinen Wettbewerb für Jugendliche aus. Hauptpreis?– Ein Tag mit Ihnen, Frau Künast.
Ich zitiere:Sie ist für alles zuständig: für die Kühe auf denWeiden, den Käse im Kühlregal, die Bäume imWald und sogar für den Spam-Müll in der Mail-box. – Und Du erlebst, was diese spannende Frautut.
Ich sage Ihnen: Das ist kein Hauptpreis; das ist maximalein Trostpreis.
Es ist keine Frage: Wir können das Geld nicht mitvollen Händen ausgeben; wir können es auch nicht dru-cken. Aber wir können darüber nachdenken – das habenschon meine Kollegen Gerda Hasselfeldt und HerrGoldmann gesagt –, welche Schwerpunktverlagerungwir vornehmen können. Sie müssen sich fragen: Wowird gestrichen? Wo habe ich meine Spielwiesen? Wobin ich auf einem Auge blind?
Frau Kollegin Klöckner, kommen Sie bitte zum
Schluss.
Auch die Ökolandwirte haben sicherlich ihre Berech-
tigung. Aber auch das ist für uns wichtig, festzustellen:
Die Landwirte, die konventionell und modern wirtschaf-
ten, haben nichts verbrochen. Sie müssen sie nicht be-
strafen. Deshalb lehnen wir Ihren Haushaltsentwurf ab.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Jella Teuchner von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Alswir Anfang September über den Haushalt in erster Le-sung debattiert haben, haben wir deutlich gemacht, dasswir in diesem Einzelplan sparen müssen. Damals habenSie keine Vorschläge gemacht, sondern nur deutlich
Metadaten/Kopzeile:
13214 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Jella TeuchnerKritik geübt. Auch heute haben wir keine Vorschlägevon Ihnen zu hören bekommen.
Bei der Debatte im September hat die KolleginAigner gesagt, sie könne keine Vorschläge präsentieren,weil ihre Redezeit nicht ausreichen würde.
Anscheinend hat sie ihre Vorschläge am Rednerpult lie-gen gelassen; denn auch in den Beratungen im Aus-schuss sind keine Vorschläge vorgelegt worden.Die Opposition hat zwar keine Möglichkeit ausgelas-sen, uns zu sagen, was wir alles falsch machen würden.Alternativen waren aber Fehlanzeige. Ich frage Sie da-her: Wo sind jetzt Ihre Vorschläge – wie gesagt, ich habesie auch heute nicht gehört –, die das Haushaltsbegleit-gesetz überflüssig machen?
– Da macht gerade die Richtige einen Zwischenruf. Siehaben erst recht keine Vorschläge gemacht.
Wenn Sie uns damals gesagt hätten, wie Sie es bessermachen würden, dann hätten wir schon damals darüberdiskutieren können. Stattdessen nur große Worte undheiße Luft!
Wir haben Prügel für das Haushaltsbegleitgesetz einste-cken müssen. Wir wissen, dass wir die Landwirte belas-ten, sehen dazu allerdings kaum Alternativen.Dann möchte ich auf das eingehen, was FrauKlöckner gesagt hat. Wo waren denn die Fakten?
Sie haben hier die reinste Polemik vorgetragen.
Sie brauchen gar nicht „Bundesrechnungshof“ zuzuru-fen. Sie sollten sich den Bericht des Bundesrechnungs-hofes einmal genauer anschauen.
Wenn Sie dies tun würden, würden Sie sehen, für welcheProgramme und für welche Dinge die Mittel verwendetwurden. Genau das sollten Sie sich anschauen.Sie haben in polemischer Art und Weise festgestellt,dass wir dieses Jahr zufällig 40 Jahre Stiftung Waren-test feiern. Das heißt, es gibt sie seit 1964. Daher ist zufragen: Was haben Sie in der Zeit bis 1998 gemacht?
Damals gab es doch genauso die Forderung, die StiftungWarentest in die Unabhängigkeit zu entlassen. Was ha-ben Sie gemacht? Welche Basis haben Sie gelegt?
– Sie werden doch heute nicht für sich persönlich, son-dern für Ihre Partei gesprochen haben. Von daher könnenSie den Vorwurf nicht damit zurückweisen, Sie seien da-mals nicht im Parlament gewesen. Das kann es wohlnicht sein. – Sie können hier im Plenum nicht einerseitsfordern, dass Sie heute alles geändert haben wollen, undanderseits sagen: Das, was früher war, interessiert unseinen feuchten Kehricht.
Fakt ist – das ist heute schon des Öfteren angespro-chen worden –, dass wir die Landwirtschaft nicht vomKonsolidierungskurs ausnehmen können. Fragen Sieeinmal Ihre Parteifreunde in den Ländern, an welcherStelle Verantwortung für den Haushalt übernommenwerden muss und welche Erfahrungen da gemacht wur-den! Fragen Sie einmal Herrn Stoiber, warum er bei denLandwirten sparen muss! Er wird Ihnen dazu sagen: Esgeht nicht anders. Es geht nicht, dass ein Wirtschaftssek-tor, der wie kaum ein anderer von Sonderregelungen undAusgleichszahlungen profitiert, vom Konsolidierungs-zwang ausgenommen wird. Fragen Sie ihn einmal, waser machen würde! Ich glaube, das, was er macht, würdeer sogar in Ihr Parteibuch schreiben.Was haben wir in den Haushaltsberatungen erlebt?Ständig fordert die Union, dass wir das Haushaltsbe-gleitgesetz zurücknehmen. Das kostet Geld; das ist auchIhnen klar. Aber die Antwort auf die Frage, woher diesesGeld kommen soll, sind Sie uns auch heute schuldig ge-blieben. Denn die Änderungsanträge, die Sie eingebrachthaben, reichen in der Summe überhaupt nicht aus. DieWirkung dieser Vorschläge – da hat die Union leider mitder FDP an einem Strang gezogen – wäre fatal gewesen.Sie haben vorgeschlagen, dass wir die Axt an die Zu-kunft der Landwirtschaft legen. Das werden wir nichtmitmachen.Wir haben es bei der ersten Lesung zum Haushaltdeutlich gemacht – wir tun dies auch heute –: Die Agrar-politik darf nicht mit der Haushaltspolitik gleichgesetztwerden. Ernst Bahr hat gerade darauf hingewiesen, dasses darum geht, Subventionen zurückzuführen undgleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. Dazugehört die Agrarreform, die den Landwirten die Frei-heit gibt, für den Markt zu produzieren, und bei der dieLeistungen der Landwirtschaft, die auf dem Markt nichtbezahlt werden, über Flächenprämien honoriert werden.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13215
(C)
(D)
Jella TeuchnerDazu gehören die Förderung der Qualität und neuerTechnologien und das Erschließen neuer Einkommens-quellen. Hier müssen wir unsere Schwerpunkte setzen.Wir setzen sie in dem Rahmen, wie es die Finanzlage zu-lässt.Genau hier wollen Sie die Axt ansetzen, indem Siefrei nach dem Motto „Vorwärts nimmer, rückwärts im-mer“ vorgehen.
So wie es einmal war, wird es nicht mehr weitergehenkönnen.Bei der Zuckermarktreform sehen Sie, unter wel-chem Druck unsere Agrarpolitik steht, unter einemDruck, der in Zukunft aufgrund der WTO-Vereinbarun-gen wachsen wird, wenn wir keine Agrarpolitik machen,die WTO-konform ist. Auch das müssen wir hinbekom-men. Deswegen brauchen wir eine Agrarreform, die dieFörderung neuer Technologien vorsieht und Alternativenfür die Landwirtschaft aufzeigt.Forschung und Einkommensalternativen sollen nachdem Willen der Opposition nicht mehr gefördert werden.Die Gemeinschaftsaufgabe wird infrage gestellt, wäh-rend wir für deren Erhalt innerhalb der Föderalismus-kommission kämpfen.Die Union nichts unversucht gelassen, um die Umset-zung einer guten Agrarpolitik zu blockieren. Wenn Sieals Bremsklotz in die Geschichte eingehen wollen, dannwünsche ich Ihnen dabei viel Spaß. Den Landwirten hel-fen Sie damit nicht.
Wie Sie mit den Landwirten umgehen, wurde gesterndeutlich, als der Kollege Michael Glos in seiner Redegegen Ökosteuer und Windkraftförderung polemisiertund sich für die Atomenergie eingesetzt hat. Ich zitiere:Mit dem so genannten EEG und Ähnlichem sind imGrunde Steuern für Spinnereien verbunden, die Ih-rer Ideologie entsprechen, die aber an der wirt-schaftlichen Wirklichkeit der Welt ein ganzes Stückvorbeigehen.So war die Aussage von Michael Glos gestern. Sind alsodie Landwirte, die durch das EEG ein zusätzlichesStandbein und eine wirtschaftliche Perspektive bekom-men haben, ideologische Spinner?
– Sie brauchen gar nicht so dazwischenzuschreien. ImZweifelsfall würden Sie mich sowieso nicht übertönen.
Wollen Sie den Landwirten diese Perspektive nehmen?Ich jedenfalls wünsche dem Kollegen Glos viel Glück,wenn er dies seinen bayerischen Bauern verkaufen will.
– Schrei nicht so dazwischen!Man kann der Landwirtschaft sicher nicht vorwerfen,sie würde eine ideologische Umweltpolitik betreiben.Dennoch ist es auch die Landwirtschaft, die sich für dasEEG stark gemacht hat, weil sie weiß, dass gerade auchdie Biomasse eine zusätzliche, nachhaltige Einkom-mensquelle ist. Das hat auch der Bayerische Bauernver-band in verschiedenen Stellungnahmen, zuletzt am29. Oktober, kundgetan.Ich darf noch einmal auf den bayerischen Minister-präsidenten zurückkommen. Er spart im Nachtragshaus-halt 2004 7,5 Prozent bei der Landwirtschaft ein.Roland Koch hat gemeinsam mit Peer Steinbrück Kür-zungen in Höhe von 4 Prozent pro Jahr vorgeschlagen.Auch die Anträge der Opposition sehen Kürzungen fürdie Landwirtschaft vor. Uns allen ist klar, dass wir dieLandwirtschaft nicht von der Konsolidierung ausnehmenkönnen.
Der Haushalt – lassen Sie mich das zum Schluss nochsagen – setzt noch einen weiteren Schwerpunkt: DieAusgaben für den Verbraucherschutz bleiben auf ho-hem Niveau. Damit bleiben wir ein verlässlicher Partnerfür die Verbraucherinnen und Verbraucher. Ich erwarte janicht, dass Sie durch die Lande ziehen und uns für un-sere Steuerreform loben, aber hören Sie endlich auf, sozu tun, als könnten Sie goldene Zeiten für die Landwirteherbeizaubern. Die Haushaltsberatungen haben gezeigt,dass auch Sie nicht zaubern können. Stellen Sie sich lie-ber der Realität!
Das Wort hat jetzt der Kollege Jürgen Koppelin von
der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DerBundesfinanzminister erklärt immer wieder, sein Haus-halt sei auf Kante genäht. Wenn ich mir den Haushaltvon Frau Künast ansehe, dann stelle ich fest, dass dareichlich Geld vorhanden ist. Allerdings ist dies auch inanderen Bereichen so. Es ist ein Spiegelbild des Bundes-haushaltes insgesamt. Man kassiert – teilweise ohneRechtsgrundlage – vor allem bei dem Teil der Bevölke-rung ab, der keine Chance hat, den Betrieb ins Auslandzu verlegen: bei den Landwirten. Das hat System.
Metadaten/Kopzeile:
13216 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Jürgen KoppelinIch will dieses Abkassieren an einem Beispiel deut-lich machen. Wir sollten doch froh sein über all diejeni-gen, die außerhalb des Ministeriums und der Programmenoch fördern. Wir haben einen Antrag gestellt – insofernspreche ich durchaus auch die Union an –, der die Land-wirtschaftliche Rentenbank betrifft. 45 Millionen Eurokassiert Frau Künast bei der Landwirtschaftlichen Ren-tenbank ab. Nun werden Sie nicht auf die FDP hören,aber vielleicht auf den Wissenschaftlichen Dienst desDeutschen Bundestages. Ich zitiere ein Schreiben:Das Entschuldungsabwicklungsgesetz wurde durchArt. 8 Nr. 1 des Gesetzes zur Änderung der Insol-venzordnung und anderer Gesetze vom 26.10.2001… versehentlich aufgehoben … Aufgrund der ver-sehentlichen Aufhebung– von der Koalition wohlgemerkt –des Entschuldungsabwicklungsgesetzes ist die der-zeitige Rechtslage hinsichtlich des Rechtsstatus derLandwirtschaftlichen Rentenbank und der auf sieanwendbaren Rechtsvorschriften unklar.Das schreibt der Wissenschaftliche Dienst des Deut-schen Bundestages. Es gibt andere Gutachten, auch vonder Rentenbank selbst, die sagen: Der Bund darf in derHöhe gar nicht abkassieren. Ich habe bereits Schreibenvon Landwirten, die dort Anträge gestellt haben und nundie Antwort bekommen: Wir können euch im Augen-blick keinen Bescheid geben, weil wir nicht wissen, wieviel Frau Künast bei uns abkassieren wird.Das ist der Zustand: Es gibt keine Rechtsgrundlageund es wird trotzdem abkassiert. Das ist etwas, was nichtgeht. Ich bitte die Union, bei der entsprechenden Ab-stimmung unserem Antrag zuzustimmen, in dem wir for-dern, dass diese Position im Etat von Frau Künast aufge-hoben wird. Die Union sollte sich nicht, wie sie das wohlvorhat, enthalten; Sie sollten sich das noch einmal über-legen.
Wir wollen den Landwirten wieder zu der Förderungverhelfen, die sie verdient haben. Es kann nicht angehen,dass Frau Künast abkassiert.Damit komme ich zu meinem nächsten Punkt, einemPunkt, den auch die Kollegin Klöckner und andere Red-ner von der Union angesprochen haben, nämlich zu demBereich Öko-Landwirtschaft. Sie müssten der FDP ei-gentlich dankbar sein. Die Kollegen Happach-Kasan, derKollege Goldmann und ich hatten die Idee – das habenwir ja bei der Haushaltsberatung im letzten Jahr ange-kündigt –, den Bundesrechnungshof aufzufordern, daseine oder andere bei Frau Künast zu überprüfen. Undsiehe da, zum ökologischen Landbau sagt uns der Rech-nungshof auf Antrag der FDP – das alles ist ja schon ge-sagt worden –: Nur Propaganda; die 20 Millionenbraucht die Ministerin für Propaganda, für Broschüren.Das hat aber nichts mit der Förderung des ökologischenLandbaus zu tun. Kollege Bahr, Sie haben vorhin gesagt,dieses Geld komme bei den Landwirten an. Es kommtaber nichts bei den Landwirten an.
Wollten Sie eine Zwischenfrage stellen, Kollege
Bahr? – Herr Kollege Koppelin, erlauben Sie die Zwi-
schenfrage?
Ja, selbstverständlich. Da ich so wenig Redezeit habe,
bin ich für die Zwischenfrage dankbar.
Bitte schön, Herr Bahr.
Dass Sie das geschickt nutzen können, Herr Kollege
Koppelin, weiß ich ja. Dennoch wage ich die Frage: Ist
Ihnen nicht bekannt, dass der Bundesrechnungshof hin-
sichtlich der Problematik, die Sie gerade dargestellt ha-
ben, in der Tat meint, dass es da Unsicherheiten gibt,
dass er aber zum Schluss die Feststellung trifft, dass die
Verwendung dieser Gelder der Rentenbank eine politi-
sche Entscheidung des Gesetzgebers ist, und dass sich
der Bundesrechnungshof aus dieser Bewertung heraus-
hält? In Bezug auf die andere Problematik, die Sie eben-
falls dargestellt haben, kritisiert der Bundesrechnungs-
hof nicht die Verwendung der Gelder, sondern die Art,
wie diese Mittel im Haushaltsplan ausgewiesen sind.
Wir haben im Ausschuss, wie Sie sicher mitbekommen
haben, darüber geredet, dass dort, wo es notwendig ist,
es in Zukunft anders gemacht werden soll. Das betrifft
aber nicht den Grundsatz, sodass Ihre diesbezüglichen
Aussagen nicht zutreffend sind.
Das ist so nicht korrekt, Kollege Bahr. Sie müssenden Bericht des Rechnungshofs vollständig zitieren. Ichstelle Ihnen die Unterlagen gern zur Verfügung; weiß al-lerdings auch, dass Sie sie haben. Der Rechnungshofmacht deutlich, dass es keine gesetzliche Grundlage gibt.Die politische Entscheidung abzukassieren liegt natür-lich in der Verantwortung von Rot-Grün; das können Sieso machen. Wir kritisieren das. Aber als Haushältermüssten Sie doch sagen: Für Haushaltsentscheidungenmuss es haushaltsrechtliche Grundlagen geben. Diesegibt es zurzeit nicht, weil die entsprechende gesetzlicheGrundlage fehlt. Das rührt daher, dass Rot-Grün aus Ver-sehen ein anderes Gesetz aufgehoben hat; das haben Sieals zuständiger Berichterstatter anscheinend auch nichtgemerkt. Das ist zu kritisieren. Darum geht es.Sie müssen doch einen Haushalt aufstellen – diesesThema wird uns ja morgen noch beschäftigen –, der ver-fassungsgemäß ist. Dieser Punkt – auch wenn er nur einkleiner ist – zeigt doch, dass dieser Haushalt nicht ver-fassungsgemäß ist. Wir werden ja morgen noch anderePunkte erörtern, bei denen wir aufzeigen, dass Ihr Haus-halt nicht verfassungsgemäß ist.
Was die Öffentlichkeitsarbeit beim ökologischenLandbau angeht, will ich noch ein Zitat aus dem Bericht
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13217
(C)
(D)
Jürgen Koppelindes Rechnungshofs anführen – die Kollegin Klöcknerhat ja ebenfalls schon ein Zitat gebracht –:Nicht die Fachinformation, sondern die Werbungfür politische Ziele des Bundesministeriums stehtdabei im Vordergrund. Die Maßnahmen hätten da-her nicht aus dem Bundesprogramm finanziert wer-den dürfen.Wozu ist denn der Bundesrechnungshof da? Er ist füralle Bürger da; er soll kritische Punkte aufzeigen. Andas, was er herausgefunden hat, haben wir uns alle zuhalten.
Der ganze Haushalt von Frau Künast passt zu ihr. Inder Vergangenheit hat sie sich – hier ist vorhin schon ge-sagt worden: als Mutter Theresa;
das will ich gar nicht sagen, das hat sie nicht verdient –als Heilige der Legehennen oder der artgerechten Tier-haltung aufgespielt.
Was ist gewesen? Alles nur heiße Luft! 2003 wurden31 Millionen für artgerechte Tierhaltung zur Verfü-gung gestellt. Nur, das Geld hat keiner haben wollen.Frau Künast, ich kann Ihnen auch sagen, warum das kei-ner haben wollte: weil das von unseren Landwirtenschon längst gemacht wurde, weil sie das Geld also garnicht brauchten.
Sie hatten sich diese Idee in den Kopf gesetzt. Das wareine einzige grüne Spinnerei. Hinterher müssen Sie fest-stellen: Die Mittel fließen nicht ab.So ziehen Sie ein Ding nach dem anderen hoch. Viel-leicht sehen wir uns bei dem von Ihnen veranstalteten„Aktionstag nachhaltiges Waschen“ wieder. Das will ichmir gern angucken; auch das wird ja mit mehr als1 Million finanziert. Da kann ich ja sehen, wie Sie amWaschtrog stehen, wenn Sie uns das in einem Landtags-wahlkampf präsentieren werden.Dieses Ministerium hat unglaublich viel Geld für Pro-paganda für eine grüne Politik übrig. Die Sozialdemo-kraten sollten sich diesen Etat wirklich einmal genau an-sehen. Ich habe nichts gegen ökologischen Landbau; ichhabe nichts dagegen, dass unsere Landwirte gefördertwerden. Aber das, was hier beschlossen werden soll, isteine ausschließlich grüne Politik, die unsere Landwirtenicht verdient haben.
Das Wort hat die Kollegin Franziska Eichstädt-Bohligvom Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Auch wenn Kollege Koppelin nicht nur in der heutigen,sondern auch in anderen Debatten gerne spitz wird,
– ihr müsst das nicht immer gleich doppeldeutig verste-hen; ich meinte unsere Berichterstattergespräche; keineBange! –, möchte ich mich als Erstes bedanken: bei mei-nen drei Berichterstatterkollegen – bei Ilse Aigner, ErnstBahr und Jürgen Koppelin –, beim Ministerium, bei derMinisterin, bei Herrn Staatssekretär Berninger und vorallem bei Herrn Kuhlmann, der wirklich hart arbeitenmuss, um diesen Etat zusammenzuhalten.Als Zweites muss ich allerdings sagen, dass ich ange-sichts der Widersprüche, die insbesondere in der Redevon Frau Hasselfeldt zum Ausdruck kamen, etwas irri-tiert bin; denn im Mittelpunkt Ihrer Rede stand immerwieder die große Sehnsucht nach dem ehemals hoch sub-ventionierten Agraretat.
– Doch! Sie wollen lediglich ein paar geringe Kürzungenin den Bereichen Öffentlichkeitsarbeit und PR vorneh-men, weil Sie der Meinung sind, dass der Politik vonheute keine moderne Öffentlichkeitsarbeit und keine ge-sellschaftliche Kommunikation zustehen. Ich meine,dass genau das Gegenteil richtig ist.
Sie sollten sich an die harten Diskussionen erinnern,die wir im Rahmen der allgemeinen Finanzdebatte ge-führt haben. Auch in der Schlussrunde wird wieder dieFrage im Zentrum stehen, ob unser Haushalt verfas-sungsgemäß ist. Zu meinen, dass sich der Agraretat demgroßen Konsolidierungsdruck entziehen kann,
ist wirklich enorm naiv. Auch Ihre Fraktion sollte dasendlich lernen.
Nun möchte ich eine kurze Bemerkung zum Umgangmit der Landwirtschaftlichen Rentenbank machen. Inunseren Berichterstattergesprächen im Ausschuss habenwir über dieses Thema diskutiert. Tatsache ist, dass sichdas Zweckvermögen auf 105 Millionen Euro beläuft.Davon werden aufgrund der Korrektur, die wir in derBereinigungssitzung vorgenommen haben, 45 MillionenEuro zweckgebunden für die Landwirtschaftliche
Metadaten/Kopzeile:
13218 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Franziska Eichstädt-BohligUnfallversicherung verwandt. Ich weiß nicht, ob Siedem zugestimmt haben; zumindest hat die Koalitions-mehrheit das so beschlossen.Für das restliche Vermögen wird eine neue Rechts-grundlage geschaffen. Dazu wird vom Ministerium einGesetzentwurf erarbeitet, der sich bereits in der Ressort-abstimmung befindet. Daher wird das Problem, das Siezu Recht angesprochen haben, ganz regulär gelöst. Es istnicht so, dass der Haushalt, weil wir diese Mittel in dasHaushaltsgesetz eingestellt haben, nicht verfassungsge-mäß ist.Lassen Sie mich noch ein paar Punkte zur allgemei-nen Diskussion über den Haushalt sagen. Ich glaube, eswird nicht hinreichend wahrgenommen, dass in diesemEtat ein sehr stimmiges Verhältnis zwischen der Förde-rung der konventionellen und der alternativen Landwirt-schaft gegeben ist.
– Ja, Ilse Aigner, darüber muss man nicht lachen.
– Ach, jetzt hört doch mal auf! Ihr wisst ganz genau,dass 72 Prozent dieses Etats für die landwirtschaftlichenSozialversicherungen ausgegeben werden und dass daseine ganz wesentliche, grundlegende Förderung derLandwirtschaft darstellt.
Diesen riesigen Brocken in Höhe von knapp3,7 Milliarden Euro kleinzureden,
das ist unter den finanzpolitischen Bedingungen, unterdenen wir heute arbeiten, wirklich naiv.
Darüber hinaus – das haben wir vorhin festgestellt –engagiert sich Rot-Grün in hohem Maße dafür, dass dieGAK erhalten bleibt und solide finanziert wird.
Es ist tatsächlich so: So viel, wie die Länder für die Fi-nanzierung der Gemeinschaftsaufgabe bereitstellen, soviel hat auch der Bund im Wege der Kofinanzierung ge-tragen. Auch daran lässt sich nicht herumdeuteln. Das istein sehr wichtiger Baustein, zu dem diese Regierung unddiese Koalition stehen.Von Ihrer Seite wird immer wieder das Spektrum voninnovativen, modernen und neuen agrarpolitischen Im-pulsen angegriffen: von den Modell- und Demonstra-tionsvorhaben, bei denen insbesondere die FDP gernekürzen würde,
bis zur artgerechten Tierhaltung. Wenn hier ständig überStellplätze gesprochen wird
– ich kenne nur Stellplätze für Autos; für mich sind das,wenn überhaupt, Stallplätze –, so sollte man doch nichtvergessen, dass das Ziel einer artgerechten Tierhaltungvon Hühnern und Hennen, aber auch von Schweinen, fürdas sich das Ministerium einsetzt, sehr wichtig ist. Wenndie Agrarbetriebe das nicht annehmen, dann ist das de-ren Problem; wir sind auch bereit, den Ansatz wiederetwas zu kürzen. Aber zu meinen, dass das deswegen einschlechter Impuls wäre, ist die falsche politische Hal-tung.Dasselbe gilt auch für den Ökolandbau. Der Öko-landbau ist schrittweise vorangekommen. Selbstver-ständlich ist es sehr wichtig, dass bei den Verbrauchernfür den Ökolandbau geworben wird. Ich verstehe über-haupt nicht, dass die in der heutigen Zeit übliche Kom-munikation zwischen Politik und Gesellschaft von Ihnenimmer angegriffen wird.
Wären Sie an der Regierung, Sie würden es genauso ma-chen, weil die Politik der Gesellschaft ohne moderneKommunikation – dazu bedarf es vielfältiger Instru-mente – keine neuen Impulse geben kann. Von dahersollten Sie nicht ständig mäkeln.
Wir sind stolz darauf, dass wir da wirklich neue Impulsegeben.
Ich möchte noch die nachwachsenden Rohstoffe an-sprechen. Sie sind sehr wichtig, weil sie eine neue Formdes Umgangs der Landwirtschaft mit modernen Produk-ten darstellen: des Umgangs mit Dämmstoffen, mit Pro-dukten in den Bereichen Biogas, Biodiesel, Bioschmier-stoffe, aber auch dabei, aus Pflanzenfasern moderneStoffe zu machen.
Damit erwächst der Landwirtschaft ein ganz neues Ar-beitsfeld.Es ist sehr wohl so, dass wir die Umstellung auf Bio-diesel mit der Kürzung der Agrardieselsubventionen ak-tiv befördern. Wir machen den Landwirten damit Mut,diesen Umstieg selbst in Angriff zu nehmen, so konkret,wie sie das bei der Windenergie gemacht haben. Ichkenne nämlich wenige Landwirte, die sich über dieWindenergie so beschweren, wie das die Oppositions-parteien immer tun.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13219
(C)
(D)
Franziska Eichstädt-BohligIn diesem Sinne wünsche ich mir, dass Sie nicht stän-dig bloß herummeckern, sondern dass Sie endlich ein-mal den Mut haben, diese Impulse auch positiv zu sehen.Denn sie wirken: in unserer Landwirtschaft, in unsererGesellschaft und vor allem beim Verbraucherschutz –den Sie klein kürzen wollen, während Sie sich gleichzei-tig über die Ausstattung der Stiftung Warentest beschwe-ren.
– Es ist doch eine Tatsache, dass Sie dort kürzen wollen.Insofern stimmen wir diesem Haushalt aus vollerÜberzeugung zu.
Das Wort hat der Kollegen Manfred Zöllmer von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, wer beider Landwirtschaft so kürzt, wie es die CSU in Bayernmacht, der ist völlig unglaubwürdig,
wenn er hier notwendige Kürzungen wortreich beklagtund verurteilt.
Heute läuft im Kino ein international bereits sehr be-achteter Film mit dem Titel „Die fetten Jahre sind vor-bei“.
Der Titel des Films beschreibt ziemlich genau das Emp-finden vieler Menschen in der aktuellen Situation.
– Randalieren Sie ruhig ein bisschen.Wir wissen es alle: Nicht nur die privaten Haushaltesind enormen Belastungen ausgesetzt, sondern auch dieRahmenbedingungen für die öffentlichen Haushalte sindalles andere als leicht. Dies gilt auch für denBundeshaushalt 2005 insgesamt und den Einzelplan fürden Geschäftsbereich Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaft. Wir stehen vor großen Herausforderun-gen, die wir politisch meistern müssen. Aber wenn dieKassen leerer werden und wir nicht mit dem Füllhornfinanzielle Zuwendungen verteilen können, bedeutetdies für uns nicht die Aufgabe des politischen Gestal-tungswillens. Im Gegenteil: Politische Gestaltung undPrioritätensetzung sind gerade dann in besonderemMaße gefragt. Dies tut diese Bundesregierung: Sie ge-staltet Politik und setzt ihre Prioritäten eindeutig. Hierzuzählt ganz besonders der Bereich des Verbraucherschut-zes.
Ich darf einmal zitieren:Verbraucherschutz ist zentrale politische Aufgabein Deutschland, Europa und weltweit: Er sichert dieLebensqualität der Menschen und gewährleistet alsGrundanliegen unserer wettbewerblichen Ordnungdas Funktionieren der sozialen Marktwirtschaft.Dies ist richtig. Ich sage das, obwohl dieses Zitat von derCDU/CSU-Fraktion stammt. Ich kann nur sagen: In die-ser Beschreibung sind wir uns vollkommen einig.Wir wissen aber auch, dass Papier geduldig ist, beson-ders dann, wenn es sich um Aussagen der Oppositionhandelt.
Das, was Sie hier formuliert haben, bleibt letztendlichpolitische Lyrik. Sie sind stark bei der Formulierung,aber ganz schwach bei der Umsetzung.
Ich will das an einem aktuellen Beispiel deutlich ma-chen:
Das Gesetz zur Neuordnung des Lebensmittel- unddes Futtermittelrechts kodifiziert endlich die einzelnenGesetze im Bereich Lebensmittel- und Futtermittelrecht:Es bringt mehr Sicherheit für Verbraucherinnen und Ver-braucher, leistet einen erheblichen Beitrag zum Bürokra-tieabbau und gewährt den Verbraucherinnen und Ver-brauchern Informationsrechte.
Auf diesen Punkt möchte ich jetzt eingehen. In derletzten Legislaturperiode haben wir ein umfassendesVerbraucherinformationsgesetz vorgelegt. Dieses Gesetzwurde von der CDU/CSU-Opposition im Bundesrat blo-ckiert.
– Frau Heinen, ich weiß, dass Sie durch die Lande gezo-gen sind und uns vorgeworfen haben, dass es ein solchesGesetz nicht gibt. Sehr schön! – In einem Teilbereich hatder Bundesrat jetzt Vorschläge zur Verbraucherinforma-tion gemacht. Wir haben diese Vorschläge aufgegriffen
Metadaten/Kopzeile:
13220 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Manfred Helmut Zöllmerund im Gesetz konkretisiert. Wir setzen das um, was po-litisch möglich ist. Der Verbraucherzentrale Bundesver-band hat dies ausdrücklich begrüßt.
Liebe Frau Heinen, was passiert nun? Die Oppositionist mal wieder dagegen. Ich kann nur sagen: Dies istschlichtweg unseriös und zeigt, dass Ihre Fähigkeit zueiner aktiven Verbraucherpolitik so weit entwickelt istwie das bulgarische Raumfahrtprogramm.
– Das war gut, nicht wahr? Ich finde das auch. – Wirkönnen noch weiter gehen. Wie hat sich die CDU/CSUbei diesem Haushalt eigentlich verhalten? Im Fachaus-schuss gab es von der CDU/CSU jede Menge Kritik– sie wurde auch heute hier vorgetragen –, aber keineneinzigen konkreten Einsparvorschlag.
Ich habe noch die großen Ankündigungen im Ohr, manwerde weit reichende Anträge einbringen. Von diesenAnkündigungen ist nichts geblieben.
Herr Kollege Zöllmer, erlauben Sie eine Zwischen-
frage der Kollegin Heinen?
Aber sicher.
Frau Heinen, bitte.
Kollege Zöllmer, obwohl Sie sich bereits in der De-
batte von morgen befinden – ich vermute, dass Sie mor-
gen keine Redezeit haben, weshalb Sie das Thema gleich
jetzt mit abhandeln –,
gestatten Sie mir doch die Frage, warum im ursprüngli-
chen Gesetzentwurf überhaupt nichts zu Informations-
rechten drinstand und dies erst auf Hinweis des Landes
Baden-Württemberg aufgenommen wurde. Jetzt wurde
mit der heißen Nadel ein komplettes Verbraucherinfor-
mationsgesetz ins Fachrecht eingefügt, obwohl überein-
stimmende Grundlage unserer Diskussion war, das ge-
sondert zu regeln.
Auf Anfrage der FDP-Fraktion haben Sie angekün-
digt, dass noch in diesem Jahr – es gibt noch zwei
Sitzungswochen – ein Informationsfreiheitsgesetz vor-
liegen wird, in dem all diese Themen beurteilt werden.
Also: Warum ist das nicht gleich von Anfang an gesche-
hen, sondern erst auf Hinweis des CDU-geführten Lan-
des Baden-Württemberg?
Liebe Kollegin Heinen, mit Ihrer Frage machen Sie
den Unterschied zwischen uns und der Opposition sehr
deutlich. Uns geht es darum, die konkrete Situation der
Verbraucherinnen und Verbraucher in der Bundesrepu-
blik Deutschland zu verbessern.
Sie selbst haben eben gesagt, dass die Verbraucherrechte
durch dieses Gesetz deutlich verbessert werden. Wir ver-
ankern sie dort. Sie blockieren das mit Hinweis auf For-
malien. Sie reden einem eigenständigen Gesetz das
Wort, das Sie dann aber doch wieder nicht wollen.
Sie wissen genau, dass interfraktionelle Gespräche zu
dem Ergebnis geführt haben, dass Sie nicht bereit sind,
ein eigenständiges Informationsgesetz zu unterstützen.
Das ist die Wahrheit.
Im Fachausschuss war die CDU/CSU mit den Haus-
haltsberatungen so überfordert, dass sie noch nicht ein-
mal darüber diskutieren wollte.
Herr Kollege Zöllmer, gestatten Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Goldmann?
Nein, jetzt nicht mehr. Das haben wir abgehandelt.
– Das können wir morgen gerne machen.
Also keine Zwischenfrage.
Ich kann nur sagen: Das Verhalten der Opposition imAusschuss war wirklich ein politisches Armutszeugnis.Wer, wie der Kollege Carstensen, als Sprecher der Unionim Ausschuss beim Thema Haushalt sprachlos bleibt,der kann auch nicht Ministerpräsident von Schleswig-Holstein werden.
Der vorliegende Haushalt macht deutlich: Die wichti-gen Verbraucherinstitutionen wie die Stiftung Warentest
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13221
(C)
(D)
Manfred Helmut Zöllmeroder der VZBV werden wie in den letzten Jahren vomBund unterstützt. Es wäre im Übrigen sehr schön, wenndie Unterstützung der Verbraucherzentralen auch inden Bundesländern so gesehen würde und sie sich ent-sprechend verhalten würden. Die Verbraucherzentralenmüssen flächendeckend erhalten bleiben. Gerade in die-sem Bereich ist der Beratungsbedarf in den letzten Jah-ren sehr stark gestiegen. Letztendlich zeigt sich, dass dieFinanzblockade der Union nicht nur dem Bund schadet.Sie schadet auch den Bundesländern. Sie verhindern da-mit, dass sich Verbraucherinnen und Verbraucher in denLändern die notwendigen Informationen beschaffenkönnen.Die Etats des Bundesinstituts für Risikobewertungund des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Le-bensmittelsicherheit werden in diesem Haushalt deutlichaufgestockt. Das zeigt die Prioritätensetzung. Trotz derschwierigen Haushaltslage haben wir für die bilateraleZusammenarbeit mit der FAO einen Etat von14 Millionen Euro vorgesehen. Damit leistet das Bun-desministerium in seinem Zuständigkeitsbereich einenwichtigen Beitrag zur Verbesserung der Welternährungs-situation.
Der Einzelplan 10 leistet seinen Beitrag zur Haus-haltskonsolidierung, vergisst aber nicht die politischePrioritätensetzung im Bereich des Verbraucherschutzes;
das habe ich deutlich gemacht. Vielleicht sind die fettenJahre tatsächlich vorbei. Aber jeder weiß: Fett zu seinkann auch bedeuten, träge zu werden. Wir sind nichtträge. Wir nehmen die Herausforderungen an und stellendie Weichen für eine zukunftsweisende Verbraucherpoli-tik.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Ilse Aigner von der
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Wenn man es, wie Sie, Herr Zöllmer,fertig bringt, in einer Haushaltsdebatte praktisch keineZahlen zu nennen – ich glaube, eine haben Sie tatsäch-lich angeführt –, ist das schon beachtlich. Vielleicht soll-ten Sie einmal in den Haushalt hineinschauen, damit Siewissen, was dort steht; das nur als kleiner Hinweis.
Zunächst ein paar verbindliche Worte – ich schließemich damit der Kollegin Franziska Eichstädt-Bohligan – des Dankes: Ich bedanke mich vor allem beim Mi-nisterium und beim Bundesrechnungshof, aber auch beiden Mitarbeitern des Haushaltsausschusses für die inten-sive Betreuung, die wir während der langen Beratungenerfahren haben. Mein Dank geht selbstverständlich auchan die Kollegin und die Kollegen aus dem Kreis der Be-richterstatter für die menschlich gute Zusammenarbeit.Allerdings gibt es einen Wermutstropfen: Wir haben unszwar menschlich gut verstanden, aber nicht unbedingtinhaltlich. Da gibt es durchaus sehr unterschiedliche Be-trachtungsweisen.Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, es geht zwarhier nur um einen Teil des Haushalts, aber man mussauch einmal die Relationen mit anderen Einzelplänen se-hen. Daher sei mir ein kleiner Vergleich gestattet. Was indieser Woche in den Haushaltssitzungen vorgefallen istund was im Haushalt neu eingestellt wurde, nachdemsich – das haben wir vorhergesagt – erwartungsgemäßriesige Löcher in diesem Haushalt aufgetan haben, spot-tet jeder Beschreibung.Ihre Planung sieht so aus, dass Sie sich Forderungenaus den Pensionskassen, die wir erfüllen müssen, in ei-ner Größenordnung von 5,45 Milliarden Euro abkaufenlassen. Man muss sich einmal vor Augen halten, dass dasmehr ist als der gesamte Umfang des Einzelplans 10,über den wir heute beraten. Ich sage das, damit Sie sicheine Vorstellung von der Größenordnung machen kön-nen. Zwar hört sich noch alles sehr gut an. Aber manmuss davon ausgehen, dass dies eine Verschiebung derLasten auf künftige Generationen ist.Sehr geehrter Herr Staatssekretär Diller, Sie haben be-hauptet, der Bundesrechnungshof habe sich konziliant-zurückhaltend geäußert.
Das kann man wirklich nicht sagen.
Ich lese Ihnen einige Zitate vor. Der Bundesrechnungshofschreibt:Das Verwertungsgeschäft bewirkt damit eine Haus-haltsentlastung des Bundes im nächsten Jahr zulastenkünftiger Haushalte. Die bereits bestehenden erhebli-chen mittel- und langfristigen Haushaltsbelastungendes Bundes werden dadurch zusätzlich verschärft.Oder:Der Bund reduziert durch die Maßnahme zwar sei-nen Kreditbedarf im Bundeshaushalt 2005, gehthierfür aber zusätzliche Verpflichtungen in denkommenden Haushaltsjahren ein, ohne dass dieseim Bundeshaushalt ausgewiesen werden.Noch ein Zitat:Vorrangiger Zweck des Verwertungsgeschäfts ist es,eine noch höhere Kreditaufnahme im Bundeshaus-
Metadaten/Kopzeile:
13222 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Ilse Aignerhalt 2005 zu vermeiden und damit die Regelkredit-obergrenze des Art. 115 Abs. 1 GG einzuhalten.Dies erscheint haushaltsrechtlich bedenklich.
Sehr geehrter Herr Diller, an Deutlichkeit ist das nicht zuübertreffen. Man kann auch nicht sagen, dass das unklarist. Das einzige, was unklar ist, ist der Haushalt, den Sievorgelegt haben, und zwar in jeglicher Hinsicht.
Sie handeln nach dem Motto „Nach uns die Sintflut“ undhoffen vielleicht inständig, dass Sie 2006 die Wahl ver-lieren, damit Sie die Suppe nicht selbst auslöffeln müs-sen. Das ist eine Politik der verbrannten Erde und das isteine neue Definition des Begriffs Nachhaltigkeit, die ichnicht teilen kann.Zurück zum Einzelplan 10. Ich habe die Vorbemerkungdeshalb gemacht, weil sie zeigt, dass Sie im Großen das-selbe wie im Kleinen machen. Der Kollege Koppelin hatschon einen Bereich angesprochen, nämlich die Überfüh-rung von Zweckvermögen in Höhe von 45 MillionenEuro aus der Landwirtschaftlichen Rentenbank. DieKoalition hat allerdings einen Haushaltsvermerk einge-fügt, der besagt, dass das Zweckvermögen nur für dieUnfallversicherung zur Verfügung steht. Das heißt imKlartext: Wenn diese Mittel nicht eingestellt werden,wird der Zuschuss zur Unfallversicherung noch einmalum 45 Millionen Euro abgesenkt.
Sie haben genau an diesem Punkt angesetzt. Sie habendas gewusst.
Sie hätten auch an anderen Stellen des Haushaltes eineKoppelung vornehmen können. Sie haben aber genau daangesetzt, weil Sie gewusst haben, dass Sie die Verwal-tungsratsmitglieder der Landwirtschaftlichen Renten-bank in die Zwickmühle bringen und uns selbstverständ-lich auch. Was Sie da gemacht haben, ist nahe anpolitischer Nötigung.
Frau Kollegin Aigner, erlauben Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Koppelin?
Selbstverständlich.
Bitte, Herr Koppelin.
Frau Kollegin, ich teile durchaus Ihre Sorge, dass
man weitere Streichungen vornimmt, wenn die
45 Millionen Euro nicht kommen. Aber kann man in die-
sem Haushalt – wir haben das ausgeführt – nicht noch
andere Positionen streichen, zum Beispiel 20 Millionen
Euro für den ökologischen Landbau,
wo es nur um Drucksachen und Propaganda geht, oder
den nationalen Waschtag? Mir fällt noch vieles mehr ein.
Da man das zusammenkratzen kann, brauchen wir uns
keine Sorgen zu machen, dass bei den Sozialversiche-
rungsleistungen für die Landwirte gekürzt wird. Insofern
bitte ich Sie herzlich, noch einmal zu überlegen, ob Sie
dem Antrag der FDP bezüglich der 45 Millionen Euro
morgen nicht doch zustimmen können.
Sehr geehrter Herr Koppelin, zunächst einmal herzli-chen Dank für die Verlängerung der Redezeit und dafür,dass ich einen Schluck Wasser trinken konnte. Das istsehr kollegial von Ihnen.Ich glaube, dass ich es wegen des Haushaltsvermerksund dieser Verquickung nicht verantworten kann – dieKolleginnen und Kollegen der Unionsfraktion sehen dasähnlich –, dass wir uns für Ihren Antrag aussprechen.Wir werden uns enthalten, weil ich es inhaltlich für bedenk-lich halte, was hier abläuft. Ich will nicht die Hand dafürreichen, dass die Zuschüsse zur Unfallversicherung abge-senkt werden. Das ist mir etwas zu gefährlich. Das kön-nen wir nicht mittragen.
Man muss sich einmal vergegenwärtigen, was das fürdie Unfallversicherung bedeutet. Sie sagen immer, dassSie nichts oder nur wenig bei den sozialen Sicherungs-systemen kürzen. Ich nenne Ihnen jetzt einmal einigeZahlen: 1998 betrug der Zuschuss zur landwirtschaftli-chen Unfallversicherung 315 Millionen Euro. Im jetzi-gen Haushalt stehen 200 Millionen Euro zur Verfügung.Das ist eine Kürzung von 36,5 Prozent. Es gibt abernoch eine versteckte Kürzung, die so genannte globaleMinderausgabe. Das ist eine erneute Verschleierungsak-tion. Nach eigenen Aussagen wollen und können Sie diedamit verbundenen Einsparungen nur bei der Unfallver-sicherung vornehmen. Das macht noch einmal50 Millionen Euro weniger. Damit beträgt der Zuschussnur noch 150 Millionen Euro. Das bedeutet eine Kür-zung um über 50 Prozent.
Wenn man das hinzurechnet, worüber wir, sehr geehrterHerr Kollege Koppelin, gerade gesprochen haben, dannsind wir nur noch bei 105 Millionen Euro. Das wäre eineKürzung um zwei Drittel des Ansatzes. Sie müssen denLeuten einmal erklären, dass das in einem angemessenenVerhältnis zu den Gesamtbelastungen steht.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13223
(C)
(D)
Ilse AignerIch möchte noch auf das hinweisen, was die KolleginHasselfeldt schon angesprochen hat, nämlich dass derBauernverband und die Träger der landwirtschaftlichenUnfallversicherung nach Alternativen gesucht haben.
Sie haben einen Weg vorgeschlagen, der zwar bei denBetroffenen auch nicht unbedingt Begeisterungsstürmehervorrufen wird, aber immerhin haben sie einen Wegaufgezeigt. Sie brauchen aber den Gesetzgeber dazu.Doch Sie verweigern ihnen die Möglichkeit, etwas zuändern, weil Sie wissen, dass das auf andere Berufsge-nossenschaften Auswirkungen haben könnte. Dannmüssten Sie sich mit den Gewerkschaften – das heißt mitIhrer Klientel – anlegen. Das wollen Sie aber nicht. Diesist der eigentliche Hintergrund, warum Sie dieses Themanicht angehen und lieber Beitragssatzsteigerungen ingroßem Maße in Kauf nehmen. Das halte ich für unver-antwortlich.
Sie argumentieren immer wieder damit, dass auch dieLandwirtschaft Einsparungen hinnehmen müsse. LassenSie mich etwas zur Größenordnung anmerken. Die Aus-gaben des Bundes sind seit 1998 – also seit Beginn IhrerRegierungszeit – um über 10 Prozent gestiegen. DieEtatmittel des Einzelplans 10 sind in dieser Zeit dagegenum 13,5 Prozent gesunken.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass diesem Etat mit demVerbraucherschutz zusätzliche Aufgaben zugefallensind. Insofern fallen die Einsparungen noch stärker insGewicht. Es trifft also bei weitem nicht zu, dass die Ein-griffe im Bereich Landwirtschaft nicht weit genug gehenwürden. Sie nutzen die Landwirtschaft immer wieder alsSteinbruch, wenn es darum geht, Kürzungen vorzuneh-men.
Sie weisen immer wieder darauf hin, dass wir keineKürzungsvorschläge vorlegen. Das ist insofern richtig,als wir in den Beratungen des letzten Haushalts daraufverzichtet haben, und zwar völlig zu Recht. Der Nach-tragshaushalt, der uns in dieser Woche vorgelegt wurde,spottet jeder Beschreibung. Weil Sie sich hinsichtlich derNeuverschuldung so verschätzt haben, obwohl es auf derHand gelegen hat, wie hoch sie ausfallen würde, war esvöllig richtig, dass wir den Etat für dieses Jahr nicht fürberatungsreif gehalten haben.Eigentlich müssten wir uns auch dieses Jahr nicht anden Einzelberatungen beteiligen, weil die Haushaltslö-cher so schnell wachsen, dass es nur so kracht. Aber wirwollen uns trotzdem sehr konstruktiv an den Beratungender Einzelpläne beteiligen. Wir haben Einsparvorschlägeeingebracht, die insgesamt knapp 9,2 Milliarden Euroausmachen.
Dem haben wir Erhöhungsanträge mit einem Volumenvon 1,2 Milliarden Euro gegenübergestellt. Gegenge-rechnet entspricht das einer Einsparung von immerhin8 Milliarden Euro. Das hätten Sie in Oppositionszeitennie und nimmer gemacht. Insofern ist festzustellen: Esgibt keine verantwortungsvollere Politik als unsere.
Auch der Kollege Koppelin hat die Frage weitererKürzungsmöglichkeiten angesprochen. Ein Streitpunktbetrifft das Ökolandbauprogramm. Ich gestehe Ihnenzwar zu, dass Sie Ihre Politik umsetzen wollen, ich kannaber aufseiten der Haushälter eines nicht akzeptieren– insofern appelliere ich an Ihr Gewissen –: Wenn derBundesrechnungshof eindeutig feststellt, dass ein we-sentlicher Teil der unter diesem Titel verausgabten Mit-tel für Öffentlichkeitsarbeit eingesetzt werden, dann soll-ten Sie dies auch ausweisen. Das tun Sie aber nicht, weilSie ein schlechtes Gewissen haben. Sie wollen nicht da-rauf hinweisen, dass unter diesem Titel nicht der Öko-landbau selber, sondern die Öffentlichkeitsarbeit derFrau Ministerin gefördert wird. Das halte ich für unver-antwortlich.
Um in diesem Zusammenhang für mehr Klarheit zusorgen, haben wir einen Antrag vorgelegt, in dem wirgefordert haben, einen Haushaltsvermerk aufzunehmen,demzufolge aus diesem Titel keine Öffentlichkeitsarbeitmehr finanziert werden kann. Wenn Sie meinen, dass ausdiesem Titel keine Öffentlichkeitsarbeit gefördert wird,dann hätten Sie dem Antrag auch zustimmen können.Sie haben ihn aber abgelehnt; denn Sie wissen genau,dass aus diesem Titel Öffentlichkeitsarbeit finanziertwird, und Sie wollen diese Praxis fortsetzen. Dann soll-ten Sie das aber auch zugeben.
In den Beratungen wurde uns vorgeworfen, wir woll-ten auch bei den Verwaltungsausgaben Einsparungenvornehmen.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auf den Etat derFrau Ministerin eingehen. Ich habe vorhin darauf hinge-wiesen, dass das Volumen des Landwirtschaftsetats ge-sunken ist. Merkwürdigerweise ist der Gesamtetat desMinisteriums um 3,33 Prozent gestiegen. In ihrem eige-nen Verantwortungs- und Leitungsbereich ist eine un-glaubliche Ausweitung der Anzahl der Stellen von 36auf über 50 zu verzeichnen.
Metadaten/Kopzeile:
13224 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Ilse AignerAn dieser Stelle wird geprasst, wo es nur geht. Das halteich gegenüber den anderen Etatkürzungen, die Sie auf-zeigen, für unverantwortlich.
Bei anderen Titeln wollen Sie Zeichen setzen. Ich nennenur ein Beispiel: die tiergerechten Haltungsverfahren.Ich weiß nicht, wie oft wir uns schon über diesen Titelgestritten haben. Ausgangspunkt ist, dass Sie den Bauernbei uns schlechtere Ausgangsbedingungen verschafft ha-ben und dass die Bauern deshalb natürlich versuchenwerden, ins Ausland auszuweichen. Sie wollten ihnenmit der Förderung von tiergerechten Haltungsverfahrenein kleines Zuckerl hinschmeißen. Sie stellten 2003 da-für Mittel in Höhe von 31 Millionen Euro ein. Abgeflos-sen sind aus diesem Titel 773 000 Euro, ganze2,3 Prozent. Das ist eine wunderbare Sparbüchse. Siesparen dafür in anderen Bereichen, wo es die Bauernpersönlich bis ins Mark trifft.
Dasselbe gilt für Ihre viel geliebten Modell- und De-monstrationsvorhaben.
Von den 8,5 Millionen Euro in diesem Titel sind bis Sep-tember gerade einmal 10 Prozent abgeflossen. Trotzdemlegen Sie noch einmal ordentlich oben drauf, weil es ein-fach schöner ausschaut im Haushalt, egal, was hintenrauskommt.
Das hat mit Wahrheit und Klarheit im Haushalt nichtszu tun. Dagegen werden wir uns verwahren. Aber michwundert es nicht, denn das gilt für den gesamten Haus-halt. Es ist eine Schande, dass Sie einen solchen Haus-halt vorlegen.Herzlichen Dank.
Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt
hat die Kollegin Waltraud Wolff von der SPD-Fraktion
das Wort.
Ich bitte Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Pri-
vatgespräche einzustellen, damit Frau Wolff mit ihrer
Rede durchdringen kann.
Bitte schön, Frau Wolff.
Sehr geehrter Herr Präsident! Ich bedanke mich ganzherzlich für diesen Hinweis. – Das Zitat des Tages indieser Debatte stammt von Frau Julia Klöckner, diesagte: Sie müssen mal kreativ rechnen lernen. Das fandich sehr bemerkenswert. Kreatives Rechnen – wahr-scheinlich haben Sie das zu Ihren Regierungszeiten sogemacht, sonst hätten wir in diesem Jahr nicht so mise-rable Haushaltsberatungen. Dieses Desaster hat manwahrscheinlich Ihrem kreativen Rechnen zu verdanken.
Meine Damen und Herren von der Opposition, ichhabe mir Ihre Änderungsanträge intensiv angeschaut undmuss Ihnen sagen: Sie selber wissen ganz genau, dassIhre heutigen Reden oft nicht zu Ihren eigenen Anträgenpassen. Wenn Sie der Bundesregierung vorwerfen, siewürde zu sehr sparen,
dann erklären Sie uns doch bitte ein einziges Mal solide,woher Sie die finanziellen Mittel nehmen wollen, wel-che Quellen Sie anzapfen wollen. Dazu gibt es leiderkeine Aussagen.
Ich kann es Ihnen sagen: Sie würden um Steuererhöhun-gen nicht herum kommen. Aber dazu wollen Sie ja nichtrichtig Stellung beziehen.Frau Hasselfeldt hat von „Geld, das den Bauern zusteht“gesprochen. Ich habe nicht gewusst, dass Subvention einverbrieftes Recht ist. Ich glaube, Subventionen gehörenimmer auf den Prüfstand und müssen jedes Jahr wiederneu betrachtet werden.
Ganz klar ist doch: An einem Sparhaushalt gehtnichts vorbei. Daher machen Sie, meine Damen undHerren von der Opposition, ja auch Kürzungsvorschläge.Allerdings lassen die Varianten sehr zu wünschen übrig.Sie sind weder akzeptabel noch umsetzbar. Ich will so-gar noch ein Stück weiter gehen: Zum Teil sind Ihre An-träge unseriös. Aber dazu komme ich später. UnserHaushaltsansatz dagegen enthält zwar nur bescheideneSparmaßnahmen, aber er zeigt, dass wir trotz der Rück-führung Prioritäten für die Zukunft setzen.Nun im Einzelnen: Die CDU/CSU fordert beispiels-weise Streichungen bei den Haushaltstiteln „Nachwach-sende Rohstoffe“ und „Verbraucheraufklärung“. Dasist ja toll, das ist einfach Klasse. Genau da, wo es ein-deutig um Sicherheit, um Innovation und um Verbesse-rungen geht, wollen Sie kürzen. Das ist eine eindeutigeSprache
und traurigerweise typisch für die CDU/CSU.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13225
(C)
(D)
Waltraud Wolff
Das ist glücklicherweise nicht der Weg, den wir ge-hen. Wir zielen auf mündige Bürgerinnen und Bürger,die wissen, was sie konsumieren, die ihre Rechte kennenund die diese Rechte auch wahrnehmen wollen. Verbrau-cheraufklärung ist aus diesem Grund sehr wichtig.Im Bereich der Nutzung des Potenzials der nach-wachsenden Rohstoffe hat Deutschland unter der Kohl-Regierung viel zu lange geschlafen. Es ist ökonomischwichtig, dass wir den Weg des ökologischen Wirt-schaftsumbaus weiter gehen. Sehen wir uns doch an,welche Folgen die Abhängigkeit vom Erdöl hat. Von denUmweltauswirkungen will ich überhaupt nicht reden.Diese Fragen sind längst auf allen Ebenen beantwortet.Wer trägt die ganzen Kostensteigerungen? Das sind dochdie Verbraucherinnen und Verbraucher sowie die Wirt-schaft. Deshalb ist nicht nur die Versorgung mit alterna-tiver Energie wichtig. Vielmehr müssen auch innovativeProdukte den Weg auf den Markt finden.
Hier geht kein Weg an den nachwachsenden Rohstoffenvorbei. Darüber freuen wir alle uns doch eigentlich ge-meinsam. Sonst gäbe es wohl nicht so viele Oppositions-politiker, die sich auf Verbandsebene vehement für nach-wachsende Rohstoffe einsetzen und die Novelle zumEEG unterstützt haben. Leider muss man konstatieren,dass das Durchhaltevermögen nicht bis zur Beschluss-fassung im Bundestag gereicht hat. Das bedauere ichheute noch zutiefst. Unbestritten ist aber der enormeNutzen gerade für die Bauern, wenn sie sich diesen Zu-kunftsbereich erschließen.
Es ist doch genau im Sinne der Landwirte, wenn sichneue Absatzwege für nachwachsende Rohstoffe auftun.Nun zu Ihren Vorwürfen, die Bundesregierung betei-lige die Agrarsozialversicherung übermäßig an denHaushaltseinsparungen: Wenn die Opposition uns heuteglauben lassen will, dass die landwirtschaftliche Sozial-versicherung von Sparmaßnahmen ausgenommen oderzumindest weniger belastet werden kann, dann ist dasschlichtweg Augenwischerei.
Uns geht es auch nicht um die bloße Streichung von Mit-teln.Zu den Kürzungen im Bereich der landwirtschaftli-chen Krankenversicherung kann ich Ihnen sagen, dasswir dem Ansatz der Bundesregierung folgen werden,weil er richtig ist. Mit den Änderungen durch das Haus-haltsbegleitgesetz wird das Kosten-Leistungs-Verhältnisin der landwirtschaftlichen Krankenversicherung an dieBedingungen der gesetzlichen Krankenversicherung an-geglichen. Die Beteiligung der aktiven Landwirte an denKosten der Altenteiler erfolgt auch nicht von heute aufmorgen. Die Beiträge zur landwirtschaftlichen Kranken-versicherung werden vielmehr bis 2008 maßvoll gestei-gert, bis sie sich an das Niveau der Beiträge zur gesetzli-chen Krankenversicherung angeglichen haben. DieserAnsatz ist auch deshalb gelungen, weil der Gesetzgeberdie Möglichkeit einer regionalen Umverteilung eröffnethat. Das heißt, wir brauchen eine systeminterne Solidari-tät, die es anderswo schon lange gibt. Fachleute wissen,dass Einsparpotenziale vorhanden und nutzbar sind. Inschwierigen Zeiten muss jeder zeigen, dass er einsparenkann.
Zur landwirtschaftlichen Unfallversicherungwollte ich eigentlich nichts sagen. Nur so viel zur Rich-tigstellung: Herr Koppelin, Sie haben die 45 MillionenEuro von der Landwirtschaftlichen Rentenbank ange-sprochen. Sie wissen ganz genau, dass hier Rechtssicher-heit herrscht; denn diese Mittel sind zweckgebunden unddürfen nur zur Stützung der landwirtschaftlichen Unfall-versicherung verwendet werden. Daher gibt es keinerechtlichen Unsicherheiten.
Zu den FDP-Anträgen gibt es nicht viel zu sagen. Ichmöchte nur ein paar Titel nennen, die für sich alleinesprechen: Förderung des Ökolandbaus – streichen!Mittel für Innovationen in den Bereichen Verbraucher-schutz, Ernährung und Landwirtschaft – streichen!Förderung von Modell- und Demonstrationsvorhaben –streichen! Mittel für tiergerechte Haltungsverfahren –streichen!
In Anbetracht der Zukunft der deutschen Landwirtschaftfinde ich für solche Vorschläge keine Worte mehr.
Ich komme zum Schluss. Wir wissen, dass in Bezugauf das Wirtschaftswachstum Steuererhöhungen nichtdie richtige Antwort sind. Wir haben uns im Haushalt2005 für den Weg sinnvoller und sachlich vertretbarerKürzungen sowie für Subventionsabbau entschieden.Damit sind wir auf dem richtigen Weg.Danke schön.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über denEinzelplan 10 – Bundesministerium für Verbraucher-schutz, Ernährung und Landwirtschaft – in der Aus-schussfassung. Hierzu liegt ein Änderungsantrag derFraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/4347 vor,über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesenÄnderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthältsich? – Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen derKoalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der CDU/CSU-Fraktion und Enthaltung der FDP-Fraktion abgelehnt.
Metadaten/Kopzeile:
13226 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto SolmsAbstimmung über Einzelplan 10 in der Ausschussfas-sung. Die Fraktion der FDP verlangt namentliche Ab-stimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift-führer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind diePlätze an den Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Dann er-öffne ich die Abstimmung.Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seineStimme nicht abgegeben hat? – Das scheint nicht derFall zu sein. Ich schließe die Abstimmung und bitte dieSchriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh-lung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wirdIhnen später bekannt gegeben.1)Wir setzen die Beratungen fort.Ich bitte diejenigen, die sich jetzt nicht für Verkehr,Bau und Wohnungswesen interessieren, den Saal zu ver-lassen, damit wir die Beratungen geordnet fortsetzenkönnen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.23 auf:Einzelplan 12Bundesministerium für Verkehr, Bau- undWohnungswesen– Drucksachen 15/4311, 15/4323 –Berichterstattung:Abgeordnete Bartholomäus KalbNorbert BarthleGunter WeißgerberUwe GöllnerFranziska Eichstädt-BohligDr. Andreas PinkwartEs liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion derCDU/CSU vor. Über einen Änderungsantrag werden wirspäter namentlich abstimmen.Über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/4340, der sich auch auf denEinzelplan 12 bezieht, ist bereits bei Einzelplan 08 abge-stimmt worden.Weiterhin liegt ein Entschließungsantrag der Fraktionder CDU/CSU vor, über den wir morgen nach derSchlussabstimmung abstimmen werden.Außerdem rufe ich den Tagesordnungspunkt I.24auf:Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-nen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines DrittenGesetzes zur Änderung des Verkehrswegepla-nungsbeschleunigungsgesetzes– Drucksache 15/4133 –
1) Ergebnis Seite 13228 DBeschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
– Drucksache 15/4254 –Berichterstattung:Abgeordnete Renate BlankNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ichhöre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-ner dem Kollegen Dr. Klaus Lippold von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Herr Minister Stolpe! In der Debatte wird immer deutli-cher, dass die Koalitionsfraktionen versuchen, es so dar-zustellen, als sei Kritik an der Bundesregierung Kritik anunserem Land. Wir müssen hier noch einmal in allerDeutlichkeit festhalten: Dass die BundesrepublikDeutschland ein Land mit Zukunft ist, kann man mit Fugund Recht sagen;
aber dass diese Regierung eine Regierung mit Zukunftist, kann man beim besten Willen nicht behaupten.
Man darf eine miserable Politik nicht schönreden.Ich habe mir heute die Rede des Bundeswirtschafts-ministers Clement angehört. Er hat deutlich gemacht,dass wir Exportweltmeister sind.
Wir sind Exportweltmeister, aber nicht wegen dieser Re-gierung, sondern trotz dieser Regierung. Das ist derSachverhalt, um den es geht.
Wenn Sie glauben, Sie könnten sich die Erfolge derdeutschen Wirtschaft an die Brust heften, werden wir da-für sorgen, dass deutlich gemacht wird, wo wirklich et-was passiert.Mit der Überschrift des Gutachtens des Sachverstän-digenrats „Erfolge im Ausland – Herausforderungen imInland“ wird deutlich, dass die Darstellung von HerrnClement heute Morgen, der Sachverständigenrat habedie Politik der Bundesregierung gelobt, vollinhaltlicheine Täuschung ist. Wer betont, dass sich unsere Situa-tion nur deshalb einigermaßen tragfähig gestaltet, weilwir Exportweltmeister sind, übersieht dabei: „Herausfor-derungen im Inland“ bedeutet, dass die Schwäche im In-land der Politik dieser Bundesregierung zuzuordnen ist.
Das muss sich ändern.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13227
(C)
(D)
Dr. Klaus W. Lippold
Damit sind wir auch bei der Verkehrspolitik, Herr Mi-nister Stolpe, und der Frage: Was trägt die Verkehrspoli-tik im Moment zur Beherrschung der Situation bei? Manmuss sehen, dass Sie mit Ihrer Politik die Inlandsnach-frage schwächen, die Investitionen senken, und zwar indem volkswirtschaftlich wichtigen Bereich der Infra-struktur. Das Senken der Investitionen bedeutet Minder-nachfrage bei den Firmen, Verlust an Arbeitsplätzen unddie weitere Talfahrt der deutschen Bauindustrie, der eseh nicht besonders gut geht. Das haben Sie zu verant-worten, Herr Minister, und kein anderer.Gerade in diesem Bereich könnte im nächsten Jahreine Änderung der Situation eintreten. Wir gehen davonaus – wie Sie; ich hoffe, dass das auch endgültigklappt –, dass ab 1. Januar 2005 die Mauteinnahmenzur Verfügung stehen.
Ich bin der festen Überzeugung, dass die Situationbesser wäre, wenn Sie sich, Herr Minister, gegenüberdem Bundesfinanzminister durchgesetzt und auf die Ein-haltung der mit den Ländern getroffenen Vereinbarungbestanden hätten, nämlich dass die Einnahmen aus derMaut zusätzlich zu den schon im Bundeshaushalt vorge-sehenen Investitionen verausgabt werden. Stattdessenhaben Sie zugelassen, dass die Investitionen im Bundes-haushalt so stark gekürzt wurden, dass trotz der zu erwar-tenden Einnahmen aus der Maut die Investitionssummenim Haushalt abnehmen. Die Mauteinnahmen werden alsonicht mehr als Add-Ons, als zusätzliche Einnahmen, ver-zeichnet werden.
Wir hätten damit zum ersten Mal nicht nur für Bestands-erhaltung sorgen können, sondern zugleich den dringendnotwendigen Ausbau der Infrastruktur, insbesondere beiden Ost-West-Straßenverbindungen, in Angriff nehmenkönnen.Wir stehen vor großen Herausforderungen durch dieEU-Osterweiterung. Sie, Herr Minister Stolpe, habendiese Herausforderung nicht angenommen. Das, was Sieim Moment tun, wird den wachsenden Verkehrsströmen– ich rede gar nicht von der strukturellen Steigerung derVerkehrsströme, die wir bis 2020 zu erwarten haben,sondern ich konzentriere mich nur auf die Effekte durchdie EU-Osterweiterung – in keiner Form gerecht. Stattmit den Einnahmen aus der Maut einen Haushalt vonHerrn Eichel zu stopfen, der die größten Löcher seit Be-stehen der Bundesrepublik aufweist, hätten wir sie bes-ser in den Bestandserhalt und den Ausbau von Straßeund Schiene investiert und damit Arbeitsplätze gesi-chert.
Lassen Sie mich, Herr Stolpe, dieses Szenario auf diemögliche Einführung einer PKW-Maut, gegen die ichaus grundsätzlichen Erwägungen bin,
übertragen: Diese Täuschung, bei der den Leuten vorge-gaukelt wurde, die Maut werde erhoben, damit wir mehrGeld in Straße und Schiene investieren können, führt tat-sächlich dazu, dass jeder davon ausgeht, dass die Ein-nahmen aus einer möglichen PKW-Maut, die ich in kei-ner Weise propagiere, ebenfalls dazu dienen würden,Haushaltslöcher zu stopfen. Damit hätten die Leute wie-derum nichts davon, außer dass sie zusätzlich abkassiertwürden. Das ist die Politik dieser Bundesregierung. Aberso etwas können wir uns einfach nicht mehr erlauben.
Ich hielte es deshalb für richtig, wenn wir die Maut-einnahmen direkt einer Verkehrsinfrastrukturfinanzie-rungsgesellschaft zukommen ließen und sie damit demZugriff eines unfähigen Finanzministers entzögen.
Denn so könnte es nicht wieder passieren, dass sich einschwacher Verkehrsminister dem Zugriff des Finanzmi-nisters nicht widersetzt. Das wäre der erste Pluspunkt.Wenn man die Aufgaben einer solchen Infrastrukturfi-nanzierungsgesellschaft noch ausweiten wollte, dannkönnte man daran denken, ein Public-Private-Partner-ship-Modell aufzuziehen. Ich meine, so etwas hat Zu-kunft und würde uns weiterbringen; denn so könnte mit1 Euro für Straße und Schiene mehr als bisher getan wer-den. Ich halte das für vernünftig, deshalb sollten wir dastun.
Lassen Sie mich noch einen Moment bei der Mautbleiben, Herr Stolpe. Wir fordern, dass auch uns der Be-richt des Bundesrechnungshofes ausgehändigt wird.Es geht nämlich nicht an, dass die deutsche Öffentlich-keit nicht über die Schlampereien aufgeklärt wird, dieganz offensichtlich in dieser Frage in Ihrem Hause be-gangen wurden.
Wenn Sie diesen Bericht nicht öffentlich machen wollen,Herr Stolpe, dann müssen wir doch annehmen, dass Sieetwas zu verbergen bzw. etwas zu verheimlichen haben.So etwas lassen wir Ihnen nicht durchgehen. Ganz offen-sichtlich muss es ja um gewaltige und schlimme Dingegehen. Wenn es nicht um solche Dinge gehen würde,könnten Sie den Bericht ja herausgeben. Also ist dochetwas an der Vermutung dran,
dass, wenn zunächst bei Herrn Bodewig und später auchbei Ihnen ausreichende Kontrolle und hinreichenderVollzug gegeben gewesen wären, wir eventuell zu einemganz anderen Ergebnis gekommen wären.
Metadaten/Kopzeile:
13228 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Dr. Klaus W. Lippold
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir habenfach Zusammenhänge. Herr Eichel hat gedacht, wenn erdie Tabaksteuer erhöht, habe er schlussendlich mehrEinnahmen. Aber da hat er bestimmte Zusammenhängenicht bedacht. In diesem Fall kann es so kommen: Wenneine nicht harmonisierte Maut dazu führt, dass mehr undmehr LKWs ausgeflaggt werden, dann werden Ihnen mitjedem ausgeflaggten LKW circa 80 000 Euro pro Jahr anSteuern, Gebühren und Sozialabgaben verloren gehen,die ausgeglichen werden müssen.
Das heißt, Sie werden, wenn es nicht zur Harmonisie-rung kommt, durch die Maut bei weitem nicht so vieleinnehmen, wie Sie jetzt erwarten, weil es dann den Mit-telständlern an den Kragen geht und das Gewerbe belas-tet wird.Dazu, Herr Minister Stolpe, erwarte ich jetzt keinesalbungsvollen Worte, sondern ganz konkrete Hinweise,was Sie tun, wie Sie es tun und weshalb Sie davon aus-gehen, dass Sie das auch durchsetzen werden.
Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 570;davonja: 296nein: 274JaSPDDr. Lale AkgünGerd AndresIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHermann BachmaierErnst Bahr
Doris BarnettDr. Hans-Peter BartelsEckhardt Barthel
Klaus Barthel
Sören BartolSabine BätzingUwe BeckmeyerKlaus Uwe BenneterDr. Axel BergUte BergHans-Werner BertlPetra BierwirthRudolf BindigLothar Binding
Kurt BodewigGerd Friedrich Bollmannsie konstruktiv zu unterstützen. Dazu stehen wir auchheute. Aber wir erwarten, dass Sie eine Politik machen,die auf Beschäftigung und Ausbau der Infrastrukturorientiert ist, mithin eine ganz deutliche Kehrtwendunggegenüber dem vollziehen, was wir bislang bei Ihnen se-hen. Ich hoffe, dass eine Einsicht erfolgt; eine späte Ein-sicht ist immer noch besser als gar keine. Aber geben Sieuns mit Ihrer Rede gleich Ansatzpunkte dafür, dass dasauch wirklich eintritt.Herzlichen Dank.
Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, gebeich das von den Schriftführerinnen und Schriftführernermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmungüber Einzelplan 10 – Geschäftsbereich des Bundesmi-nisteriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-wirtschaft – in der Ausschussfassung bekannt. Abgege-bene Stimmen 570. Mit Ja haben gestimmt 296, mit Neinhaben gestimmt 274, keine Enthaltung. Der Einzel-plan 10 ist angenommen.Klaus BrandnerWilli BraseBernhard Brinkmann
Hans-Günter BruckmannMarco BülowUlla BurchardtDr. Michael BürschHans Martin BuryMarion Caspers-MerkDr. Peter DanckertDr. Herta Däubler-GmelinKarl DillerMartin DörmannPeter DreßenElvira Drobinski-WeißDetlef DzembritzkiSebastian EdathySiegmund EhrmannHans EichelMartina EickhoffMarga ElserGernot ErlerPetra ErnstbergerKarin Evers-MeyerAnnette FaßeElke FernerGabriele FograscherRainer FornahlGabriele FrechenDagmar FreitagLilo Friedrich
Ich sage noch einmal: Diese Regierung übersieht viel- der Bundesregierung bei ihrem Amtsantritt angeboten,Damit übe ich jetzt keine Kwir uns nicht falsch verstehengleich wieder Ablenkungsmatik an dieser Bundesregierunreich versagt hat, indem sie etiges Management aufzuziehe
nister, dass Sie gleich etwas. Wir haben in der Bund/eutschen Verkehrsgewerbeir uns um Harmonisierung jetzt gerne von Ihnen hö-grund des Wechsels in deronisierung in Brüssel errei-Ich bin, Herr Minister, aumangelnden Aufklärung, diezu den Korruptionsfällen gehinreichend konkret und mus
ie erstens dort konkretereens deutlich machen, dasses Kontrollmanagement er-fälle für die Zukunft weit-de die Latte nicht so hochberspringen könnten. Aber Frage mehr tun, als bislangin werden Sie mit mir über-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13229
(C)
(D)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto SolmsIris GleickeGünter GloserUwe GöllnerRenate GradistanacAngelika Graf
Dieter GrasedieckMonika GriefahnKerstin GrieseGabriele GronebergAchim GroßmannWolfgang GrotthausKarl Hermann Haack
Hans-Joachim HackerBettina HagedornKlaus HagemannAlfred HartenbachMichael Hartmann
Nina HauerHubertus HeilReinhold HemkerRolf HempelmannDr. Barbara HendricksGustav HerzogPetra HeßMonika HeubaumGisela HilbrechtGabriele Hiller-OhmStephan HilsbergGerd HöferJelena Hoffmann
Walter Hoffmann
Iris Hoffmann
Frank Hofmann
Eike HovermannKlaas HübnerChristel HummeLothar IbrüggerRenate JägerJann-Peter JanssenJohannes KahrsUlrich KasparickDr. h.c. Susanne KastnerUlrich KelberHans-Peter KemperKlaus KirschnerHans-Ulrich KloseAstrid KlugDr. Bärbel KoflerDr. Heinz KöhlerWalter KolbowFritz Rudolf KörperKarin KortmannRolf KramerAnette KrammeErnst KranzNicolette KresslVolker KröningDr. Hans-Ulrich KrügerAngelika Krüger-LeißnerDr. Hans-Ulrich KrügerHorst KubatschkaHelga Kühn-MengelUte KumpfDr. Uwe KüsterChristine LambrechtChristian Lange
Christine LehderWaltraud LehnEckhart LeweringGötz-Peter LohmannGabriele Lösekrug-MöllerErika LotzDr. Christine LucygaDirk ManzewskiTobias MarholdLothar MarkCaren MarksHilde MattheisMarkus MeckelUlrike MehlPetra-Evelyne MerkelUlrike MertenAngelika MertensUrsula MoggMichael Müller
Christian Müller
Gesine MulthauptDr. Rolf MützenichVolker Neumann
Dietmar NietanDr. Erika OberHolger OrtelHeinz PaulaJohannes PflugJoachim PoßDr. Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr. Sascha RaabeKarin Rehbock-ZureichGerold ReichenbachDr. Carola ReimannChristel Riemann-HanewinckelWalter RiesterReinhold RobbeRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannKarin Roth
Michael Roth
Gerhard RübenkönigOrtwin RundeMarlene Rupprecht
Thomas SauerAnton SchaafAxel Schäfer
Gudrun Schaich-WalchBernd ScheelenDr. Hermann ScheerSiegfried SchefflerHorst SchildOtto SchilyHorst Schmidbauer
Ulla Schmidt
Silvia Schmidt
Dagmar Schmidt
Wilhelm Schmidt
Heinz Schmitt
Carsten SchneiderWalter SchölerOlaf ScholzKarsten SchönfeldFritz SchösserWilfried SchreckOttmar SchreinerGerhard SchröderBrigitte Schulte
Reinhard Schultz
Swen Schulz
Dr. Angelica Schwall-DürenDr. Martin SchwanholzRolf SchwanitzErika SimmDr. Sigrid Skarpelis-SperkDr. Cornelie Sonntag-WolgastWolfgang SpanierDr. Margrit SpielmannJörg-Otto SpillerDr. Ditmar StaffeltLudwig StieglerRolf StöckelChristoph SträsserRita Streb-HesseDr. Peter StruckJoachim StünkerJörg TaussJella TeuchnerDr. Gerald ThalheimWolfgang ThierseFranz ThönnesHans-Jürgen UhlRüdiger VeitSimone ViolkaJörg VogelsängerUte Vogt
Dr. Marlies VolkmerHans Georg WagnerHedi WegenerAndreas WeigelPetra WeisReinhard Weis
Gunter WeißgerberGert Weisskirchen
Dr. Ernst Ulrich vonWeizsäckerDr. Rainer WendHildegard WesterLydia WestrichInge Wettig-DanielmeierDr. Margrit WetzelAndrea WickleinJürgen Wieczorek
Heidemarie Wieczorek-ZeulDr. Dieter WiefelspützBrigitte Wimmer
Engelbert WistubaBarbara WittigDr. Wolfgang WodargVerena WohllebenWaltraud Wolff
Heidi WrightUta ZapfManfred Helmut ZöllmerDr. Christoph ZöpelBÜNDNIS 90/DIEGRÜNENKerstin AndreaeMarieluise Beck
Volker Beck
Cornelia BehmBirgitt BenderMatthias BerningerGrietje BettinAlexander BondeEkin DeligözDr. Thea DückertJutta Dümpe-KrügerFranziska Eichstädt-BohligDr. Uschi EidHans-Josef FellJoseph Fischer
Katrin Göring-EckardtAnja HajdukWinfried HermannAntje HermenauPeter HettlichUlrike HöfkenThilo HoppeJutta Krüger-JacobFritz KuhnRenate KünastMarkus KurthUndine Kurth
Dr. Reinhard LoskeAnna LührmannJerzy MontagKerstin Müller
Winfried NachtweiChrista NickelsFriedrich OstendorffSimone ProbstClaudia Roth
Krista SagerChristine ScheelIrmingard Schewe-GerigkAlbert Schmidt
Werner Schulz
Petra SelgUrsula SowaRainder SteenblockSilke Stokar von NeufornHans-Christian StröbeleJürgen TrittinMarianne TritzDr. Antje Vogel-SperlDr. Antje VollmerDr. Ludger VolmerJosef Philip WinklerMargareta Wolf
NeinCDU/CSUUlrich AdamIlse AignerPeter AltmaierArtur AuernhammerDietrich AustermannNorbert BarthleDr. Wolf BauerGünter Baumann
Metadaten/Kopzeile:
13230 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto SolmsErnst-Reinhard Beck
Veronika BellmannDr. Christoph BergnerOtto BernhardtDr. Rolf BietmannClemens BinningerRenate BlankPeter BleserAntje BlumenthalDr. Maria BöhmerJochen BorchertWolfgang Börnsen
Wolfgang BosbachDr. Wolfgang BötschKlaus BrähmigDr. Ralf BrauksiepeHelge BraunGeorg BrunnhuberVerena ButalikakisHartmut Büttner
Cajus Julius CaesarManfred Carstens
Peter H. Carstensen
Gitta ConnemannLeo DautzenbergHubert DeittertAlexander DobrindtVera DominkeThomas DörflingerMarie-Luise DöttMaria EichhornRainer EppelmannAnke Eymer
Georg FahrenschonIlse FalkDr. Hans Georg FaustAlbrecht FeibelEnak FerlemannHartwig Fischer
Dirk Fischer
Dr. Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachHerbert FrankenhauserDr. Hans-Peter Friedrich
Jochen-Konrad FrommeDr. Michael FuchsHans-Joachim FuchtelDr. Peter GauweilerDr. Jürgen GehbNorbert GeisRoland GewaltEberhard GiengerGeorg GirischMichael GlosRalf GöbelDr. Reinhard GöhnerPeter GötzDr. Wolfgang GötzerUte GranoldKurt-Dieter GrillReinhard GrindelMichael Grosse-BrömerMarkus GrübelManfred GrundKarl-Theodor Freiherr vonund zu GuttenbergOlav GuttingHolger HaibachGerda HasselfeldtKlaus-Jürgen HedrichHelmut HeiderichUrsula HeinenSiegfried HeliasUda Carmen Freia HellerMichael HennrichJürgen HerrmannBernd HeynemannErnst HinskenPeter HintzeRobert HochbaumKlaus HofbauerJoachim HörsterHubert HüppeSusanne JaffkeDr. Peter JahrDr. Egon JüttnerBartholomäus KalbSteffen KampeterIrmgard KarwatzkiBernhard Kaster
Volker KauderGerlinde KaupaEckart von KlaedenJürgen KlimkeJulia KlöcknerKristina Köhler
Manfred KolbeHartmut KoschykThomas KossendeyRudolf KrausMichael KretschmerGünther KrichbaumGünter KringsDr. Martina KrogmannDr. Hermann KuesWerner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers
Dr. Norbert LammertHelmut LampBarbara LanzingerKarl-Josef LaumannVera LengsfeldWerner LensingPeter LetzgusUrsula LietzWalter Link
Eduard LintnerDr. Klaus W. Lippold
Patricia LipsDr. Michael LutherDorothee MantelErwin Marschewski
Stephan Mayer
Dr. Conny Mayer
Dr. Martin Mayer
Wolfgang MeckelburgDr. Michael MeisterFriedrich MerzLaurenz Meyer
Doris Meyer
Maria MichalkHans MichelbachKlaus MinkelMarlene MortlerDr. Gerd MüllerStefan Müller
Bernward Müller
Hildegard MüllerBernd Neumann
Henry NitzscheMichaela NollGünter NookeDr. Georg NüßleinFranz ObermeierMelanie OßwaldEduard OswaldRita PawelskiDr. Peter PaziorekUlrich PetzoldDr. Joachim PfeifferSibylle PfeifferDr. Friedbert PflügerBeatrix PhilippRonald PofallaRuprecht PolenzThomas RachelHans RaidelDr. Peter RamsauerHelmut RauberPeter RauenChrista Reichard
Katherina ReicheKlaus RiegertDr. Heinz RiesenhuberHannelore RoedelFranz RomerHeinrich-Wilhelm RonsöhrDr. Klaus RoseKurt J. RossmanithDr. Norbert RöttgenDr. Christian RuckVolker RüheAlbert Rupprecht
Peter RzepkaAnita Schäfer
Dr. Wolfgang SchäubleAndreas ScheuerNorbert SchindlerGeorg SchirmbeckAngela SchmidBernd SchmidbauerChristian Schmidt
Dr. Andreas SchockenhoffDr. Ole SchröderBernhard Schulte-DrüggelteUwe SchummerWilhelm Josef SebastianHorst SeehoferKurt SegnerMatthias SehlingMarion SeibHeinz SeiffertBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerErika SteinbachGero StorjohannAndreas StormMax StraubingerMatthäus StreblThomas Strobl
Lena StrothmannMichael StübgenAntje TillmannEdeltraut TöpferDr. Hans-Peter UhlArnold VaatzVolkmar Uwe VogelAndrea Astrid VoßhoffGerhard WächterMarko WanderwitzPeter Weiß
Gerald Weiß
Ingo WellenreutherAnnette Widmann-MauzKlaus-Peter WillschWilly Wimmer
Matthias WissmannWerner WittlichElke WülfingWolfgang ZeitlmannWolfgang ZöllerFDPDr. Karl AddicksDaniel Bahr
Angelika BrunkhorstErnst BurgbacherHelga DaubJörg van EssenUlrike FlachOtto FrickeHorst Friedrich
Rainer FunkeDr. Wolfgang GerhardtHans-Michael GoldmannJoachim Günther
Dr. Karlheinz GuttmacherDr. Christel Happach-KasanUlrich HeinrichBirgit HomburgerDr. Werner HoyerMichael KauchDr. Heinrich L. KolbHellmut KönigshausGudrun KoppJürgen KoppelinSibylle LaurischkHarald LeibrechtIna LenkeSabine Leutheusser-SchnarrenbergerMarkus LöningDirk NiebelGünther Friedrich NoltingHans-Joachim Otto
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13231
(C)
(D)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Herr Kollege Weißgerber, ich habe sehr klar und deut-
lich gesagt, dass ich grund
Maut bin. Deshalb wehre ich
stellungen, wie sie gerade wi
sätzlich gegen eine PKW-
mich gegen solche Unter-
eder versucht werden. Wür-
Für Bundesfernstraßen s
veranschlagt. Davon entfalle
investive Ausgaben.
ind 5,522 Milliarden Euro
n 4,61 Milliarden Euro auf
Eberhard Otto
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Andreas Pinkwart
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Wir setzen jetzt die Aussprache zum Einzelplan 12
fort. Der nächste Redner ist der Kollege Gunter
Weißgerber von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Dr. Lippold, lautstarke Unterstellungen ersetzen nicht
die redliche Argumentation.
Das Wort „PKW-Maut“ habe ich von Ihnen zum ersten
Mal gehört; es ist vorher noch nicht in den Mund ge-
nommen worden.
Ihre Sprache ist verräterisch.
– Jetzt war es lautstark Dr. Lippold. Er hat sehr deutlich
mit diesem Gedanken gespielt. Das haben wir alle hier
im Haus gehört.
Ich komme zu unserem Haushalt. Es ist mit rund
23,25 Milliarden Euro der viertgrößte Einzelplan. Es ist
der größte Investitionshaushalt. Der Anteil der Investi-
tionen im Einzelplan 12 am Gesamtausgabevolumen be-
trägt rund 53 Prozent, 12,3 Milliarden Euro.
Herr Kollege Weißgerber, erlauben Sie eine Zwi-
schenfrage des Kollegen Lippold?
Na klar.
Bitte schön, Herr Lippold.
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
den Sie das bitte akzeptieren oder notfalls im Protokoll
nachlesen?
Ich lese das gerne im Protokoll nach. Aber die Art,wie Sie das Thema ins Spiel gebracht haben, hat schongewisse Begehrlichkeiten gezeigt. So habe ich es jeden-falls verstanden.
Die Verkehrsinvestitionen liegen bei rund10,8 Milliarden Euro. Wenn es nach Koch/Steinbrückgegangen wäre, dann wären es nur 9,8 Milliarden Eurogeworden. An dieser Stelle muss ich kritisch sagen– dies geht uns alle an –: Bei den Investitionen solltenwir uns ein Vorgehen nach Koch/Steinbrück nicht mehrgefallen lassen.
Bis 2007 sind die Verkehrsinvestitionen auf demhalbwegs gleichen Niveau gesichert.
Für das Jahr 2008 ist im Moment eine Lücke von1 Milliarde Euro zu konstatieren. Hier gilt die Zusageder Bundesregierung, dass diese Lücke geschlossenwird. Es ist also nicht die Frage, ob sie geschlossen wird,sondern wie sie geschlossen wird. Wir alle werden daranmitwirken, dass diese Lücke im Jahr 2008 und auch fürdie kommenden Jahre geschlossen sein wird.
Ich komme zu weiteren Teilbereichen des Einzel-plans.Zu den Eisenbahnen des Bundes. Die Ausgaben, in-klusive Bundeseisenbahnvermögen, werden sich auf9,453 Milliarden Euro belaufen. Die Deutsche Bahnwird 3,747 Milliarden Euro erhalten. Für die Lärmsanie-rung an Schienenwegen werden nächstes Jahr 51 Mil-lionen Euro veranschlagt. Seit 1999 wurden 150 Millio-nen Euro dafür ausgegeben.
Metadaten/Kopzeile:
13232 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Gunter WeißgerberZu den Schwerpunkten im Verkehrsbereich. Es gehtum Erhalt, Modernisierung und um Weiterführung lau-fender Vorhaben wie die Verkehrsprojekte „DeutscheEinheit“ und Verkehre im Zusammenhang mit der Er-weiterung der EU. Nachdem die Deutsche Post entschie-den hat, DHL in Leipzig anzusiedeln, stellt sich fürmich die Frage – es ist ein bisschen unglücklich, dass ichals Leipziger diese Frage stellen muss; andere Kollegenkönnten diese Frage natürlich auch stellen –: Inwieweitbeabsichtigt die Bundesregierung, das Projekt 8.2, alsodie Strecke Erfurt–Leipzig, stärker zu priorisieren?
An der Entscheidung der Post sieht man deutlich, waseine hervorragende Infrastruktur zu bewirken vermag. InLeipzig gibt es einen sehr gut ausgebauten Airport undeine Messe. Die A 38 und die A 72 befinden sich imBau. Eine ICE-Anbindung und den City-Tunnel Leipziggibt es schon. All dies und vieles andere mehr habendazu geführt, dass die Post so entschieden hat. Das sollteVorbild für andere Regionen in Deutschland sein, die In-frastruktur ähnlich gut auszubauen.
– Ja, die Leipziger sind nicht ganz so langsam wie an-dere. Auch das ist ein Vorteil dieses Standorts.In diesem Zusammenhang möchte ich der Bundesre-gierung und allen Beteiligten danken, die zu dieser Ent-scheidung beigetragen haben. Wir alle stehen in derPflicht, dass die Projekte ein Erfolg werden. Wenn dieLücke an dieser Stelle geschlossen wird,
wird die Not in Ostdeutschland ein wenig kleiner. VielenDank an die Vertreter aus den westdeutschen Bundeslän-dern, die zu diesem Ergebnis beigetragen haben. Das istim Interesse des gesamten Landes.Zur Maut. Die Maut wird pünktlich zum 1. Januar2005 kommen. Niemand, weder die Opposition noch dasTransportgewerbe, soll auf einen erneuten Fehlstart hof-fen. Die Technik funktioniert. Wer noch keinen OnBoard Unit besitzt, kann sich im Internet, in Callcenternoder in den Tankstellen einloggen, was alles zeitaufwen-diger als die OBU-Nutzung sein wird. Deshalb mein Ap-pell an die Transportbranche: Nutzen Sie die Zeit undlassen Sie Ihre Fahrzeuge mit den OBUs bestücken!Mit dem Funktionieren der Maut ab 2005 haben wirnatürlich die Verluste aus den mautverpatzten Jahren2003/2004 noch lange nicht bereinigt. Hier läuft dasSchiedsverfahren. Herr Kollege Lippold, Sie sprachenbereits diese Thematik an.
Diesbezüglich kann ich der Opposition nur Nachdenk-lichkeit über die nächsten Schritte anraten. Natürlichjuckt es einer Opposition in den Fingern, mittels einesUntersuchungsausschusses oder durch die Veröffentli-chung dieses Berichtes die Regierung zu brandmarken,um daraus eigene Vorteile zu ziehen. Das gehört zu demSpiel, an dem wir alle teilnehmen. Doch könnte dieserfragwürdige Vorteil einen überaus großen Nachteil fürdie Einnahmen des Bundes und hier besonders für des-sen Investitionsmöglichkeiten nach sich ziehen.Jedes noch so unsachliche Argument der Oppositionim möglichen Untersuchungsausschuss, mit dem die Re-gierung der Fehlerhaftigkeit bezichtigt werden soll, wirdzum Argument von Toll Collect im Schiedsverfahren.
Da auch für die Opposition das Wohlergehen des Ge-meinwesens über einem parteitaktischen Vorteil stehensollte, wäre sie gut beraten, erst das Schiedsverfahrenabzuwarten. Auch danach lassen sich noch Gründe füreinen Untersuchungsausschuss finden. Das bleibt Ihnenunbenommen; das können Sie weiterhin tun. Aber Siesollten nicht von vornherein das Schiedsverfahren beein-flussen. Für uns stehen wichtige Einnahmen auf demSpiel. Sie sollten mit dafür sorgen, dass diese Einnah-men fließen.
Zum Transrapid. Rot-Grün hält Wort. Wir bringenetwas fertig, was Sie während Ihrer Regierungszeit nichtfertig gebracht haben.
Die innovativen Technologien sind bei uns in guten Hän-den. Für die Weiterentwicklung des Transrapid, für dasWEP-Programm in Kassel, stehen im nächsten Jahr57 Millionen Euro bereit, insgesamt rund 178 MillionenEuro. Dafür gibt es eine Vereinbarung: Die Industriewird Forschungsgelder in Höhe von 100 Millionen Eurozurückzahlen, sobald die ersten Lizenzverkäufe getätigtworden sind. Ich denke, das ist eine redliche Vorgehens-weise und eine wichtige Abmachung.
Das WEP-Programm wird keine Umwegfinanzierungfür München sein; dahin gehend geäußerte Bedenkensind nicht sachlich. Die Weiterentwicklung dient derWeltmarktfähigkeit dieser Technologie im Nah- undFernverkehr. Wir wollen sie natürlich weltweit verkau-fen.Wir stehen zum bayerischen Projekt. Nun ist aller-dings Bayern am Zuge.
Die bis in den Sommer hinein geführten Diskussionen,dass dies ein Bundesprojekt ist, waren der Sache nicht
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13233
(C)
(D)
Gunter Weißgerberdienlich. Es ist eindeutig ein Länderprojekt, so wie auchder Metrorapid in NRW ein Länderprojekt war, an demsich natürlich der Bund beteiligen wollte.
– Die Entscheidung, dass er nicht gebaut wird, ist dochokay.
Wir werden zu dem bayerischen Projekt stehen. DieBayern sind jetzt am Zug und müssen ein Gesamtkon-zept vorlegen. Wir jedenfalls haben für das nächste Jahrweitere 15 Millionen Euro eingestellt. Das hat uns übri-gens von Ihrer Seite niemand zugetraut. In diesem Zu-sammenhang habe ich große Hochachtung vor meinenKollegen von den Grünen. Die haben ganz andere Pro-bleme damit und stehen dazu.
Wir haben einen neuen Titel eingeführt: „InnovativeMobilitätskonzepte“. Dabei geht es um die Konzentrie-rung der Forschungsmittel hinsichtlich der neuen Anfor-derungen an die Mobilität. 1,8 Millionen Euro sind für2005 eingestellt.Wir haben die Anschubfinanzierung für das Mittel-osteuropazentrum sichergestellt. Damit haben wir eineweitere Verabredung in der Koalitionsvereinbarung er-füllt. Die ersten 1,5 Millionen Euro werden aus demEinzelplan 12 finanziert, die Mittel für die Folgejahreaus dem Einzelplan 30. Die Entscheidung, an welchemStandort es entstehen soll, ist noch offen. Es bewerbensich Brandenburg und Sachsen. Die Verhandlungen sindim Gang. Wir werden sehen. Es ist logisch, wofür ichwerbe.
Aber das haben wir heute nicht zu entscheiden.Etwas Kritisches zum Einzelplan 12. Für die Sicher-heit der Bundesbehörden haben wir rund 38 MillionenEuro in den Einzelplan 12 einstellen müssen. Das ist anund für sich eine Aufgabe, die im Einzelplan 06 finan-ziert werden muss. Es muss eine einmalige Angelegen-heit bleiben, dass dies in 2005 im Einzelplan 12 finan-ziert wird.
Ab 2006 gehört das in den Einzelplan 06.Abschließend meinen Dank an die Kollegen imHaushaltsausschuss, an die Kollegen in den mitbearbei-tenden Ausschüssen und an die Mitarbeiter im Bundes-ministerium. Es waren gute Beratungen. Wir haben dieGrundlagen für einen Haushalt gelegt, der Investitionssi-cherheit in sich birgt.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Horst Friedrich von
der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Kollege Weißgerber, ich kann Ihre Rede nur in denZeithorizont des nahenden ersten Advents einordnen.Sie beinhaltete mehr Wunsch als Wirklichkeit. Bei eini-gen Aussagen habe ich mich vor allen Dingen gefragt:Sie haben die Mehrheit im Haushaltsausschuss. Warumbeschließen Sie das, was Sie hier vortragen, nicht?
Sie könnten es beschließen; aber Sie müssten es auchwirklich wollen. Das eigentliche Problem ist: Sie wollenes nicht.Den Haushalt muss man, sehr verehrter Herr MinisterStolpe, vor diesem Hintergrund sehen. Es ist ähnlich wieder in 2002, der in 2003 und der in 2004 ein Haushalt,der ein Wolkenkuckucksheim aufbaut, der hinter demzurückbleibt, was Sie selbst wollen, und der vor allenDingen – das ist das eigentlich Schlimme – noch nichteinmal wirklich belastbar finanziert ist. Wenn es nicht sotraurig für die deutsche Infrastruktur, den Verkehrswege-bau und den Standort Deutschland wäre, könnte man wieFreddie Frinton anlässlich des 90. Geburtstags sagen:„Same procedure as every year.“Wenn Sie sich an Ihren eigenen Aussagen messen las-sen würden, dann könnten Sie nicht mehr ruhig schlafen.Sie haben gesagt, die Maut werde am 1. Januar 2005eingeführt. Das wollen wir Ihnen glauben. Nur, wie ha-ben Sie das Mautgesetz umgesetzt? § 11 legt fest – diesist auch von Ihnen unterschrieben worden –: Die Maut-einnahmen sind zusätzlich im Verkehrsetat zu investie-ren. Was machen Sie? Sie ersetzen bisherige Steuermit-tel durch Mauteinnahmen. Diese bekommen Sie dannnicht mehr.
Herr Kollege Stiegler, die Bundesregierung bestätigt aufeine Kleine Anfrage von uns, dass die nicht vorhandenenMautmittel, die Sie übrigens schon im Haushaltsplan2003 eingestellt hatten, in den Jahren 2003 bis 2005 imEinzelplan 12 zusätzlich erwirtschaftet werden.Sie haben 2004 den Trick gemacht, dass Sie dieMauteinnahmen eingeplant haben, praktisch aber warensie nicht vorhanden. Das Ergebnis war: Der Finanzmi-nister hat sie Ihnen vorfinanziert. Er wird jetzt, wenn dieMauteinnahmen tatsächlich fließen – in einem viel zugeringen Umfang, um das auszugleichen, was notwendigist –, die Hand aufhalten.Im Vermittlungsausschuss hatten wir ein klares Er-gebnis. Sie haben es nicht umgesetzt. Das ist Ihr Ver-schulden und nicht das der Opposition.
Metadaten/Kopzeile:
13234 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Horst Friedrich
– Lesen Sie § 11 ABMG in der Beschlussempfehlungdes Vermittlungsausschusses nach. Dann werden Sie se-hen, wo Mittel fehlen.
– Ach, Herr Kollege Beckmeyer, ich kann auch in fünfMinuten Wahrheiten sagen.Das nächste Thema ist die Bahn. Was wurde hier fürein Popanz aufgeblasen! Der Kollege Weißgerber fängtwieder mit dem berühmten Projekt 8.2 an; das ist dieICE-Strecke Nürnberg–Erfurt. Ich habe damit keine Pro-bleme. Die Probleme haben Sie in Ihrer eigenen Fraktionund mit Ihrem Koalitionspartner, den Grünen.Im Übrigen haben Sie gesagt, dass Sie mehr investie-ren wollen. Ich habe mir Ihre Mittelfristplanung für dieSchiene angesehen. Im Jahr 2007 sind wir bei2,9 Milliarden Euro, wenn es bei den Planungen bleibt.Eingedenk der Tatsache, dass selbst die Bahn jetzt öf-fentlich zugeben musste, dass der wirtschaftliche Effektund der Schwung, die man sich ab 2004 versprochenhatte, offensichtlich nicht kommen und vielleicht irgend-wann 2009 stattfinden, ist zu befürchten, dass sich das,was jetzt funktioniert, nämlich das Absenken des Inves-titionsniveaus der Bahn auf den Level des Jahres 2000– es wird von Ihnen nicht ausreichend erkannt –, fort-setzt. Dann haben wir in diesem Bereich ein Problem.Sie haben es selbst bei Investitionsansätzen von6,5 Milliarden Euro in den letzten zwei Jahren nicht ge-schafft, die ICE-Strecke 8.3 zu finanzieren.
Wie wollen Sie denn die Summe für die Verkehrswege-planung der Bahn im Jahr 2007 erreichen, wenn Sieselbst nur 2,9 Milliarden Euro ansetzen und – nach über-einstimmender Aussage sowohl der Bahn als auch allerfachkundigen Politiker – davon 2,5 Milliarden Euro al-lein für den Erhalt des Bestandsnetzes benötigen? DieseFrage müssen Sie irgendwann beantworten. Das Wol-kenkuckucksheim im Jahr 2007 – wir hoffen darauf,dass die Bundesregierung irgendwo 1 Milliarde findet –glaubt Ihnen doch niemand mehr ernsthaft, Herr KollegeWeißgerber, und schon gar nicht mehr Ihnen, Herr Mi-nister, angesichts des Haushalts, den Sie vorgelegt ha-ben.
Ich will auf einen Brief Ihrer Staatssekretärin an denVorsitzenden des Rechnungsprüfungsausschusses imZusammenhang mit der Qualität der Straßen eingehen.Die Regierung selbst schreibt:Um langfristig zumindest den derzeitigen Qualitäts-standard auf Bundesstraßen zu halten und für Auto-bahnen leicht zu verbessern, sind nach der Pro-gnose insgesamt jährlich 5,6 Milliarden Euro zu-sätzlich für Erhaltung erforderlich. Hierzu ist einekurzfristige Steigerung der Erhaltungsausgaben be-reits ab 2004 um jährlich bis zu 700 Millionen not-wendig.Das ist Ihre eigene Aussage. Wo bleibt die Umsetzungdessen im Haushaltsplan? Uns brechen die Infrastruktu-ren flächendeckend weg. Sie reagieren nicht. Die einzi-gen Konstanten dabei sind, dass der Autofahrer in IhrerRegierungszeit mit knapp 20 Milliarden Euro zusätzlichbelastet wird und dass die Infrastruktur verfällt.Das heißt, alles, was Sie hier vorlegen, sind Annah-men, Wolkenkuckucksheim oder vielleicht ein frommerWunsch, aber nicht Realität und schon gar keine Reak-tion auf den Zustand der Straßeninfrastrukturen. Deswe-gen, Herr Minister, müssen wir Ihren Haushalt leiderGottes mit großer Überzeugung ablehnen.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Franziska Eichstädt-Bohlig vom Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! AlsErstes möchte auch ich für die gute ZusammenarbeitDank sagen, einmal in Richtung des Ministeriums. Alleformellen und informellen Arbeitsstufen, die wir jeweilshatten, haben dieses Jahr gut funktioniert. Es war nichtimmer einfach. Mein Dank geht auch an all die KollegenBerichterstatter – ich glaube, außer mir sind sie wirklichalle männlich –, insbesondere aber auch an unserenHauptberichterstatter, den Kollegen Kalb, für die kon-struktive Art, auch wenn wir inhaltlich oft Dissens ha-ben. Aber die Art unserer Zusammenarbeit ist sehr posi-tiv.
Als Zweites muss ich den Kollegen Friedrich aufru-fen. – Ich bin erstaunt, dass sich die FDP-Haushälter beiseiner Rede offenbar schlicht zurückgezogen haben. Siehaben sich wohlweislich schon vorher verdrückt. –
Denn es war eine typische Rede: Ein Fachpolitiker stelltseine Weihnachtswünsche in den Raum, während dieHaushaltspolitiker nur von Konsolidierung sprechen.Die FDP hat mit großem Vergnügen an allen möglichenStellen – mal sinnvoll, mal völlig unsinnig – gestrichenund gekürzt. Aber der Kollege Friedrich sagt, was er sichalles Schönes vorstellen könnte, wenn der Verkehrshaus-halt zusätzlich zu den Mauteinnahmen noch riesigePfründe bzw. Milliarden vergeben könnte. Sagen Siedoch konkret und besprechen Sie mit den KollegenPinkwart und Koppelin, woher Sie das Geld nehmenwürden, lieber Kollege!
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13235
(C)
(D)
Franziska Eichstädt-BohligIch finde schon, dass man da Tacheles reden sollte.
Die CDU/CSU hat ihrerseits einen Versuch gemachtund Volumina zwischen 150 und 350 Millionen Euro aufdie Wasserstraßen-, Bundesfernstraßen- und Bahninves-titionen aufgesattelt. Dazu muss ich leider sagen: AuchSie haben die Kürzungen, die Sie im Gegenzug vorge-nommen haben, ziemlich irrational und willkürlich überdie verschiedenen Haushalte verteilt –
in einer Form, mit der man schlicht nicht arbeiten kann.Wäre es möglich, hätten wir es selbst gemacht.
Denn wir sind weiß Gott daran interessiert, die Investi-tionen zu stärken und die konsumtiven Ausgaben soschlank wie möglich zu gestalten.
Aber wir wollen unsere Ministerien nicht kaputtsparenund können es auch nicht. Viele Verpflichtungen, dieman so einfach nicht kürzen kann, habt ihr einfach weg-gekürzt. Das muss man schon zugeben.Ich halte es angesichts des Konsolidierungsdruckswirklich für eine sehr große Leistung, dass es überhauptgelungen ist, die Bahninvestitionen bei 3,7 MilliardenEuro, die Investitionen in Bundesfernstraßen bei 4,6 Mil-liarden Euro und die Investitionen in Bundeswasserstra-ßen bei 624 Millionen Euro zu halten.
Ich sage aber gleich in Richtung der Bahn AG unddes Vorsitzenden Mehdorn: Wir möchten nicht, dass dieAnstrengungen, die wir unternommen haben, um die In-vestitionen bei der Bahn sowohl in der Bestandssiche-rung und der Bestandserneuerung als auch im weiterenAusbau des Schienennetzes zu stärken, von der Bahnselbst konterkariert werden. Wir sehen mit großer Sorge,was heute in den Zeitungen steht. Es darf nicht passie-ren, dass die Bahn sich selbst in einen Schwächezustandwegspart. Wir sehen an der Situation, dass der Börsen-gang in der Form, in der er zunächst angegangen wurde,eine Illusion war.
– Was heißt „Haben Sie es schon eingesehen?“? Wir ha-ben gemeinsam daran gearbeitet, das ein Stück weit zuverschieben. Wir kennen uns im Klub ganz gut, KollegeFriedrich.
Ich muss an dieser Stelle noch etwas Kritisches inRichtung Ministerium sagen.
Ich warte darauf, dass wir endlich das Reformkonzeptfür die Bundeswasserstraßenverwaltung bekommen. Wirhaben es angefordert. Wir haben den Rechnungshofbe-richt dazu. Wir möchten hier konkrete Schritte sehen –mehr als die Behauptung, wenn die berühmten1,5 Prozent Stellenabbau vollzogen würden, sei dasschon ein Reformkonzept.
Hier ist das Ministerium uns konkrete Schritte schuldig.
Genauso muss das Prioritätenkonzept für die Wasser-straßen beigebracht werden. Es ist im Kabinett schon be-schlossen worden. Es geht nicht, dass bei den Wasser-straßen riesige Volumina im Bedarfsplan stehen, aber beigegebenem Geldvolumen nur kleine Schritte gemachtwerden können und die Mittel überall verkleckert wer-den. Das hat keinen Zweck. Hier muss es endlich einPrioritätenkonzept geben.
Den Kompromiss zum Transrapid, den wir geschlos-sen haben, hat mein Kollege Weißgerber sehr richtig ge-schildert. Wir Grünen stehen zu diesem Kompromiss.Wir erwarten aber auch, dass hart daran gearbeitet wird,dass die jetzt zusätzlich bereitgestellten 75 MillionenEuro – teils im kommenden Jahr, teils als Verpflich-tungsermächtigung – zurückgezahlt werden, wenn es zurAnwendung kommt – auf Heller und Pfennig.Noch eine Bemerkung zum Thema Maut. Natürlichist es uns allen sehr wichtig – hier sind Koalition undOpposition in einem Boot –, dass die Maut nicht nurpünktlich, sondern auch in einer stimmigen Form startet.Ich sehe allerdings mit großer Sorge, dass offenbar vieleUnternehmen meinen, die Mautregelung unterwandernund sich davor drücken zu können, indem sie sich keineOBUs einbauen lassen, sondern sich darauf verlassen,dass man bei ihnen nicht kassieren wird. Daher glaubeich, es wird sehr wichtig sein, dass vom ersten Tag ansystematisch kontrolliert wird, damit gar nicht erst dasGefühl aufkommt, man müsse das Mautsystem nichternst nehmen. Ich glaube, darauf sind wir alle angewie-sen.Wenn ich die Diskussionen der letzten Wochen richtigverstanden habe, arbeitet das Ministerium mit Toll Col-lect zusammen – darüber können wir uns, wie sowohldie Debatte am Mittwoch als auch andere Gespräche ge-zeigt haben, gar nicht beschweren – und geht das Themain diesem Sinne an. Ich hoffe, dass das ein Erfolg wirdund sich alle daran gewöhnen, dass die LKW-Maut ernst
Metadaten/Kopzeile:
13236 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Franziska Eichstädt-Bohligzu nehmen ist. Mehr möchte ich zu diesem Thema nichtsagen.
Nun noch eine Bemerkung zum Verkehrsbereich. Vordem Hintergrund dieses sehr großen Etats haben wir inden Baransatz des Forschungsbereichs „Innovative Mo-bilitätskonzepte“ in geringem und bescheidenem Um-fang – dennoch ist das sehr wichtig – 1,8 Millionen Euroeingestellt. Die Verpflichtungsermächtigung hat eineHöhe von 2 Millionen Euro.
Es ist uns sehr wichtig, dass insbesondere der städtischeVerkehr und der Regionalverkehr durch Multimodalitätund die Vernetzung mit ÖPNV-Angeboten modernisiertwerden. Hier sind Innovationen notwendig. Wir wollenzum Beispiel, dass Car Sharing zu einem normalen In-strument wird. Hier gibt es viele kleine Baustellen.Dennoch ist es sehr wichtig, dass diese Innovationendurch die Verkehrspolitik des Bundes vorangetriebenwerden. Ich wünsche mir, dass die Anstrengungen indiesem Bereich in Zukunft deutlich verstärkt werden.Denn wir müssen daran arbeiten, dass der private Stadt-und Regionalverkehr öffentlicher und der öffentlicheStadt- und Regionalverkehr ein Stück weit privater wird;denn sonst kommen wir mit den gegebenen Siedlungs-strukturen nicht klar. Dann können wir nicht, wie esheute der Fall ist, gleichzeitig Maßnahmen in den Berei-chen ÖPNV und IV bezahlen. Hier gibt es viele Ideen,die noch anwendungsreif werden müssen. Daran mussgearbeitet werden.
Lassen Sie mich noch ein paar Takte zum Baubereichsagen, der gegenüber dem dominanten Verkehrsbereichzumeist etwas vernachlässigt wird. Zunächst bedankeich mich dafür, dass es geglückt ist, 25 Prozent der imvorigen Jahr beschlossenen 30-Prozent-Kürzung derMittel für die Eigenheimzulage in den Etat einzustellen.Daran haben eine Reihe von Kolleginnen und Kollegensehr hart gearbeitet. Das ist ein ganz wichtiger Beitragzur Stabilisierung des Bauetats; denn wir mussten dieKürzungen, die sich aus dem Koch/Steinbrück-Papier er-geben, gegenrechnen. Diesen Bereich konnten wir nurdurch den Aufwuchs aus der Kürzung der Eigenheimzu-lage stabilisieren.Darüber hinaus haben wir es geschafft – das ist einPunkt, den wir alle nicht sehr mögen; aber er ist nötig –,die Mittel für die Altschuldenhilfe um 200 MillionenEuro aufzustocken, damit die ostdeutsche Wohnungs-wirtschaft angesichts ihrer Probleme mit dem Stadtum-bau ihre Bilanzen von Altschulden entlasten kann. Dasist ein notwendiger Schritt.
Wir hätten diese Mittel zwar lieber investiv eingesetzt,aber es handelt sich nun einmal um Altlasten, die wir ge-meinsam tragen müssen.Ebenfalls ist es gelungen, die Mittel für die Städte-bauförderung, den Stadtumbau und für das Programm„Soziale Stadt“ stabil zu halten. Ich füge aber gleichhinzu: Im nächsten Jahr muss daran gearbeitet werden,die Folgen der im Koch/Steinbrück-Papier zurzeit kalku-latorisch vorgesehenen Kürzungen zu kompensieren;
denn sonst geht es mit diesem Bereich bergab. Das kön-nen wir uns allerdings nicht leisten. Angesichts desdemographischen Wandels, des Wandels des Lebens-standards und des Lebens in den Städten und Regionenmuss viel getan werden, damit sich die Situation in unse-ren Innenstädten stabilisiert. Unsere Städte müssen be-wohnbar, lebenswert und zukunftsfest gemacht werden.
Ich wünsche mir, dass alle Beteiligten – ob mit oderohne Eigenheimzulage; das habe ich schon an andererStelle gesagt –
dieses Ziel aktiv unterstützen.
Wir haben im Sinne der sehr engagierten Vorschlägeder Expertenkommission „Wohnungsgenossenschaften“einen ganz kleinen Baustein zur Stärkung der Woh-nungsgenossenschaften hereingenommen. Wir wollen,dass die Innovation und die Modellhaftigkeit der Woh-nungsgenossenschaften als eine moderne Wohnform, diezwischen Eigentum und Miete steht, betont werden.
Last not least das Wichtigste – das war der härtesteBrocken –: Die Verpflichtungsermächtigung über160 Millionen Euro für das KfW-Förderprogramm„Niedrigenergiehaus im Bestand“ war im Kabinettsent-wurf verschwunden, sie war weggekürzt worden. Wirwissen bis heute noch nicht, welches Ministerium wel-chen Anteil daran hatte; aber wir waren schon sehr ver-ärgert. Wir freuen uns besonders, dass es gelungen ist,die Verpflichtungsermächtigung für dieses für Investi-tionen, für Umwelt und Arbeit, für den Klimaschutz undden kommenden Gebäudeenergiepass so wichtige Pro-gramm wieder vorzusehen. Ich bedanke mich bei allen,die daran mitgewirkt haben; da muss ich hauptsächlichnach links schauen; ich weiß nicht, ob es rechts über-haupt jemanden interessiert hat.
Die beiden Ministerien werden im kommenden Jahrhart daran arbeiten müssen, diese Verpflichtungsermäch-tigung im nächsten Kabinettsentwurf konkret abzusi-chern.Das ist das Wichtigste, was ich darstellen wollte. Jetztnoch ein Schluck Wasser in den Wein: Wir mussten dieglobale Minderausgabe in Höhe von 244 Millionen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13237
(C)
(D)
Franziska Eichstädt-BohligEuro akzeptieren. Ich bitte das Ministerium sehr ein-drücklich, so viel wie möglich davon im konsumtivenBereich einzusparen; auch darüber haben wir schon in-tensiv diskutiert. Es wird sich nicht ganz vermeiden las-sen, auch bei den investiven Ausgaben einiges einzuspa-ren.
– Ach, Kollege Fischer, unterschätzen Sie nicht das Inte-resse des Ministeriums, investive Mittel zu sichern.
Frau Kollegin!
Ich wollte das nur noch einmal deutlich sagen und in
dem Sinn bedanke ich mich bei allen für die Zusammen-
arbeit und hoffe, dass dieser Etat im nächsten Jahr in ei-
ner guten Form umgesetzt wird.
Frau Kollegin, ich wollte Sie nur vor der Versuchung
bewahren, sich in einen Dialog mit dem Kollegen
Fischer zu begeben, der ohnehin später das Wort erhält.
Zunächst erhält der Kollege Bartholomäus Kalb für
die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Der Verkehrsetat ist der Hauptleidtragende derdramatischen finanziellen Entwicklung in der Bundesre-publik Deutschland. Es ist für den Finanzminister offen-bar am leichtesten, zulasten von Investitionen vorzuge-hen, bei investiven Ausgaben zu kürzen. Das ist für ihnviel bequemer, als sich an andere schwierigere Themen-felder zu wagen.
Die Investitionsquote dieses Bundeshaushalts hat ei-nen historischen Tiefstand erreicht – nicht einmal mehr9 Prozent.
Das reicht hinten und vorne nicht aus, um auch nur dieSubstanz zu erhalten.
Wir haben einen dramatischen Substanzverlust bei unse-ren Verkehrswegen, bei unserer Verkehrsinfrastruktur zuverzeichnen.
Damit wird ein wichtiger, immer noch sehr positiverStandortfaktor Deutschlands weiter infrage gestellt. Lautden Angaben der Bundesregierung – so der Informa-tionsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft – sindgerade acht von zehn Autobahnkilometern uneinge-schränkt befahrbar, bei den Bundesstraßen sogar weni-ger als 70 Prozent.Wir wissen – darauf ist vorhin schon hingewiesenworden –, dass der Verkehr, insbesondere der Güterver-kehr, infolge des europäischen Einigungsprozesses dra-matisch zunehmen wird, in einigen Korridoren – so Ihreeigenen Prognosen, Herr Bundesminister – um mehrere100 Prozent. Zugleich geht der Umfang der Verkehrsin-vestitionen dramatisch zurück. Vorhin hat KollegeFriedrich schon darauf hingewiesen, dass die zusätzli-chen Einnahmen aus der Maut, die einmal fest zugesagtwaren, eben nicht ordnungsgemäß verwendet werden,wie es § 11 des Mautgesetzes vorschreibt: Nach Abzugder Erfassungskosten sollten diese Mittel zusätzlich demVerkehrshaushalt zugeführt werden und in vollem Um-fang zweckgebunden, für die Verbesserung der Ver-kehrsinfrastruktur, überwiegend für den Bundesfernstra-ßenbau, verwendet werden.
So ist das einmal beschlossen worden. Davon kann heutekeine Rede mehr sein.
Ich stelle nur den Vergleich mit dem Jahr 2003 an.2004 war wegen der eingeplanten, aber nicht eingegan-genen Mautmittel etwas anormal. Im Jahre 2003 warendie Investitionen für Verkehrswege höher, als sie 2005sein werden, obwohl wir für das Haushaltsjahr 2005 auf-grund der Mauteinnahmen 3 Milliarden Euro brutto zu-sätzlich eingeplant haben.
Das widerspricht allen Vereinbarungen und auch allenZusagen, die irgendwann gegeben wurden. Viele – auchich – hoffen ja, dass die Maut ab dem 1. Januar 2005ohne Probleme erhoben werden kann.
Ich glaube es aber nicht.
Ich fürchte große organisatorische Probleme und infol-gedessen auch erhebliche Ausfälle bei den Einnahmen.Wenn es stimmt, dass bis zum 1. Januar 2005 nur250 000 OBUs zur Verfügung stehen werden, dann istdas Chaos vorprogrammiert.
Metadaten/Kopzeile:
13238 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Bartholomäus KalbDa helfen dann auch die Terminals und die Einbu-chungsmöglichkeit über das Internet nichts. Hier sindwir bereits wieder in Verzug. Ich sage Ihnen: Man hatauch im letzten Jahr nicht geglaubt, dass es nicht so ohneweiteres funktioniert. Ich hoffe es nicht, aber ich be-fürchte es.Wir brauchen bei den Investitionen eine Verstetigung,eine Verstärkung und eine Verlässlichkeit. Man kann da-mit nicht so umgehen wie mit der Bahn und mit denSchieneninvestitionen. Zuerst konnten die Mittel nichtabgerufen werden, dann hat man die Planungskapazitä-ten aufgebaut und jetzt stellt man die Mittel nicht mehrzur Verfügung. Wenn man sich die mittelfristige Finanz-planung anschaut, dann erkennt man, dass es an Drama-tik nicht mehr zu überbieten ist.
Während 2003 noch 4,5 Milliarden Euro an Investitions-mitteln für die Schiene zur Verfügung gestellt wurden,werden es 2008 nur noch 2,3 Milliarden Euro sein. Daskann und darf nicht so bleiben.
Ich rede jetzt nicht über Schiene und Betrieb oder denBörsengang usw. Ich sage nur: Wir müssen zusehen,dass der Verkehrsträger Schiene und die DB AG als Un-ternehmen wettbewerbsfähig sein und den Wettbewerbin der Zukunft bestehen können. Das gilt einerseits inder Konkurrenz zu anderen Verkehrsträgern, anderer-seits aber auch in der Konkurrenz zu europäischen undnicht nur nationalen Wettbewerbern.Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch dasThema Wasserstraßen verdient es, besser gewürdigt zuwerden. Den Binnenwasserstraßen kommt eine größereBedeutung zu, als dies hier allgemein gedacht wird.Auch auf diesem Gebiet haben wir aber nicht mehr soviel Geld, dass wir uns ideologisch motivierte Fehlpla-nungen leisten können, wie zum Beispiel an der Donauund anderswo. In Zeiten knapper Kassen müssen wirprüfen, was erforderlich ist. Das gilt auch für die Stan-dards und die Anforderungen an die Unternehmen, dieam Wettbewerb teilnehmen und sich an Ausschreibun-gen beteiligen. Dies alles muss überprüft werden, sodasswir das wenige Geld, das noch zur Verfügung steht, effi-zient einsetzen können.
Wir müssen auch die Chancen nutzen – das ist vorhinschon gesagt worden –, mehr privates Kapital fürVerkehrsinvestitionen zu mobilisieren. Vorhin istebenfalls schon angedeutet worden, dass auch die Mög-lichkeiten besser genutzt werden müssen, die mitder Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft ur-sprünglich geschaffen werden sollten. Es ist nicht damitgetan, dass man zwei verschiedene Buchungskreise ein-führt.
– Na ja, gut.Ich will noch auf ein weiteres Thema zu sprechenkommen. In diesen Tagen war wieder viel von Innova-tionen die Rede. Innovation heißt aber nicht nur erfor-schen und entwickeln, sondern auch zur Anwendungbringen. Das Produkt muss hier und zum Vorteil unseresLandes zur Anwendung gebracht werden. Der Transra-pid wird ein Beispiel dafür sein, ob wir es wollen und obwir es schaffen, eine mit unseren Steuergeldern bei unsneu entwickelte Technologie zur Anwendung zu brin-gen. Ich bin der Überzeugung, dass wir es schaffen kön-nen. Mit dem Projekt München werden wir es schaffen,diese Technologie in Deutschland zur Anwendung zubringen und damit die internationale Marktfähigkeit inbreitem Umfang herzustellen. Der bayerische Staats-minister Dr. Wiesheu bemüht sich mit allem Nachdruck– ich sage dazu: gemeinsam mit Ihnen, Herr Bundesmi-nister, und in enger Abstimmung mit Ihrem Hause – da-rum, dass dieses Projekt vorankommt. Dies ist wahr-scheinlich die letzte Chance, diese Technologie inDeutschland zur Anwendung zu bringen. Wer die Inno-Trans-Messe besucht hat, hat gesehen, wie sich bereitsandere asiatische Länder, nicht nur China, darum bemü-hen, diese Technologie aufzugreifen und weiterzuentwi-ckeln.Bei allen sonstigen Meinungsverschiedenheiten undStreitpunkten freue ich mich, dass im Haushaltsausschusseinvernehmlich dafür Sorge getragen werden konnte,dass kein Fadenriss entsteht. Ich stehe nicht an, michbeim Kollegen Weißgerber namentlich und bei allenMitberichterstatterkolleginnen und -kollegen für diesegute Zusammenarbeit herzlich zu bedanken, die vorhinschon angesprochen worden ist. Sie war in der Sachehart, aber menschlich sehr angenehm. Das Gleiche giltnatürlich auch für Ihr Haus, Herr Minister.
– Habe ich etwas Falsches gesagt?
Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig, Sie haben vorhin dasThema Koch/Steinbrück-Liste angesprochen. Auch ichwar damit nicht zufrieden.
Ich frage mich noch heute, wie man die Zuschüsse fürdie Investitionen in die Schienenwege als Subventionenbezeichnen kann.
Aber Kollege Austermann, Kollege Kampeter und ichhaben uns nachdrücklich gegen das Verfahren, wie dieVorschläge der Koch/Steinbrück-Liste in den Haushalts-ausschuss eingebracht worden sind, verwahrt. Aber Siehaben diese Vorschläge mit Ihrer Mehrheit hier in die-sem Haus und im Vermittlungsausschuss durchgesetzt.In dem Fall darf man sich hinterher nicht über das Er-gebnis beklagen.Im Übrigen ist Herr Steinbrück meines Wissens nochnicht zur CDU übergetreten, sondern weiterhin Minister-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13239
(C)
(D)
Bartholomäus Kalbpräsident eines SPD-geführten Landes. Außerdem habenSie hier im Parlament die Mehrheit. Diese fehlerhaftenAuswirkungen, die Sie heute beklagen, hätten Sie beiordnungsgemäßer sorgfältiger Beratung verhindern kön-nen.
Frau Eichstädt-Bohlig, wie ich sehe, ist der Redner
erkennbar an der Verlängerung der Redezeit durch Zu-
lassen einer Zwischenfrage interessiert. Bitte schön,
Frau Eichstädt-Bohlig.
Herr Kollege, ich muss Sie doch fragen, ob Sie zur
Kenntnis nehmen, dass die Probleme mit der Koch/
Steinbrück-Liste dadurch entstanden sind, dass die uni-
onsgeführten Bundesländer den Steuervergünstigungs-
abbau, den Rot-Grün im Frühjahr 2003 vornehmen
wollte, abgelehnt und durch dieses Konzept ersetzt ha-
ben. Das große Problem unseres Haushalts ist bis heute,
dass die unionsgeführten Länder den Subventionsabbau
immer massiv behindert und eingeschränkt haben. Wür-
den Sie zur Kenntnis nehmen, dass wir deswegen die
Vorschläge der Koch/Steinbrück-Liste einbeziehen
mussten?
Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig, ich will mich bemü-
hen, auf diese Frage sehr sachlich zu antworten. Wenn
Verhandlungspartner an einem Tisch sitzen, finden dort
natürlich höchst unterschiedliche Interessen Eingang.
Dass die Länder nicht alles akzeptieren können, was
sich Rot-Grün vorstellt, ist auch klar. Das Ergebnis sei-
nerzeit war, dass der Bundesrat zugesagt hatte, beim
Subventionsabbau mithelfen zu wollen. Daraufhin ha-
ben sich die beiden Ministerpräsidenten Koch und
Steinbrück bereit erklärt, im Namen der Bundesländer
einen Vorschlag zu unterbreiten, wie Subventionen in ei-
nem erheblichen Umfang abgebaut werden können. So
war die Ausgangslage.
Diese Vorschläge sind dann eingebracht worden.
Ganz offensichtlich hatte Bundesfinanzminister Eichel
wie auch mancher Landesfinanzminister großes Inte-
resse daran, dass die Vorschläge dieser Liste möglichst
unbesehen und ohne eine ordentliche, eingehende und
tiefgehende Beratung im Haushaltsausschuss und im Fi-
nanzausschuss des Deutschen Bundestages direkt Ein-
gang in das Haushaltsgesetz finden. Das führte dazu,
dass die Vorschläge wieder im Vermittlungsausschuss
verhandelt werden mussten, weil bekanntlich dort ab-
schließend über den Bundeshaushalt beraten wurde.
Kurz vor Weihnachten konnten wir alle miteinander die
Hand dafür oder dagegen heben. Das war das Ergebnis
einer Beratung, wie ich sie mir als überzeugter Parla-
mentarier nicht wünsche.
Ich bin es seit vielen Jahren gewohnt, im Haushaltsaus-
schuss zu arbeiten, auch hart und lange zu arbeiten und,
wenn es sein muss, viel zu streiten, aber dann im Ergeb-
nis eine ordnungsgemäße Arbeit abzuliefern. Hinzu
kommt, dass sich die Bundesregierung nicht einmal
mehr in der Lage gesehen hat, das Ergebnis des Vermitt-
lungsausschusses eins zu eins umzusetzen.
Sie haben dann intern willkürlich an ganz anderer Stelle,
beispielsweise bei den Straßeninvestitionen, zusätzlich
gekürzt.
Nächster Redner ist der Kollege Uwe Göllner, SPD-
Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Dem allgemeinen Dank an die Mitberichterstatterschließe ich mich gerne an, auch dem Dank an das Haus.
Ganz besonders bedanken möchte ich mich beim Haupt-berichterstatter, der in kürzester Zeit die Dinge abhan-delt. Das ist etwas besonders Schönes. Ich empfinde dasjedenfalls so.
Die Haushaltsberatungen neigen sich fast dem Endezu. Während all der Beratungen – ich habe viele Stundenhier gesessen – war die Abschaffung der Eigenheimzu-lage ein Synonym für Subventionsabbau. Deswegenmuss ich, obwohl das in mein Ressort fällt, dazu nichtsmehr sagen. Ich kann die wenige Zeit, die ich habe, da-rauf verwenden, etwas zur Versachlichung beizutragen.Dazu will ich zwei Zitate bringen, die zeigen, dass wiralle in einem Boot sitzen und wie sehr unser Verhaltendavon geprägt ist, welche Rolle wir im Parlament geradespielen. Wenn noch etwas Zeit bleibt, will ich die Dra-matik der Haushaltslage den Kolleginnen und Kollegennäher bringen, die nicht immer mit dem Haushalt zu tunhaben. Bevor ich damit beginne, will ich dem KollegenFriedrich sagen, dass seine Kollegen im Haushaltsaus-schuss beim Einzelplan 12 Absenkungen in Höhe von300 Millionen Euro beantragt haben, sodass für Wün-sche aus der FDP-Fraktion kein Platz mehr war.
Metadaten/Kopzeile:
13240 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Uwe Göllner
Ich möchte das erste Zitat vortragen:Das Handeln gegen das, was man selbst als Ursachegesetzt hat, ist eine derartige Zumutung für dasFunktionieren unserer demokratischen Prozesse,daß ich wirklich meine, man sollte jetzt endlich da-mit aufhören.
Die Opposition sollte endlich aufhören, zu bekla-gen, daß die Neuverschuldung im Haushalt zu großist, zumal uns die Mehrheit im Bundesrat daran ge-hindert hat, rechtzeitig notwendige Spargesetzedurchzusetzen.Dem kann eigentlich jeder zustimmen.
– Nein, das war von Wolfgang Schäuble im Jahr 1996.Es ging um die Haushaltsberatungen für den Haushaltdes Jahres 1997, Herr Austermann.Jetzt trage ich noch ein Zitat vor:Nun ist Waigel kein besonders guter Zeuge für dieForderung nach solider Finanzpolitik. Der BonnerZickzackkurs zwischen Haushaltslöchern und Steu-ererhöhungen ist ein Desaster, der Schuldendienstverschlingt jede vierte Steuermark, Tendenz stei-gend. Trotz aller Kürzungen muss sich Waigel imnächsten Jahr so hoch verschulden, wie es geradeeben noch mit dem Grundgesetz vereinbar ist; man-che sagen, die Grenze des Verfassungsbruchs werdegar überschritten. Ob mit oder ohne Maastricht, aneiner Konsolidierung der Staatsfinanzen führt keinWeg vorbei. Wenn das so ist, wozu dann noch einStreit darüber?Das schrieb Nikolaus Piper in der „Zeit“ vom29. November 1996. Wie sehr also unser Verhalten vonder Rolle abhängt, die wir hier im Parlament einnehmen,belegen diese beiden Zitate, so finde ich, sehr eindrucks-voll.
Die Kolleginnen und Kollegen, die sich nicht täglichmit dem Haushalt befassen, sind diejenigen, die amehesten geneigt sind, Wünsche an die Mitglieder desHaushaltsausschusses heranzutragen. Eine der Fragen,die einem auch im Wahlkreis sehr häufig gestellt wur-den, gerade wenn man Sozialdemokrat ist, war: Warumtut ihr in Berlin das eigentlich alles, warum hat euerHaushalt eine solche soziale Schieflage? – Denjenigenwill ich sagen, dass wir im Haushalt, den wir morgenverabschieden werden, Steuereinnahmen in Höhe von190,8 Milliarden Euro eingeplant haben. Von diesenSteuereinnahmen in Höhe von 190,8 Milliarden Eurowerden wir 39,7 Milliarden Euro für Zinsen ausgeben.Ich betone: nicht für die Tilgung, sondern für Zinsen.Wir werden für die Rentenversicherung knapp78,8 Milliarden Euro, für die landwirtschaftliche Ren-tenversicherung 3,7 Milliarden Euro – das ist schonmehrfach angesprochen worden –, für die Arbeitslosen-hilfe 29,2 Milliarden Euro, für den Sonderzuschuss zurBA 4 Milliarden Euro, für Erziehungsgeld und Mutter-schutz 2,7 Milliarden Euro, für die Kriegsopferfürsorge3 Milliarden Euro und für Pensionen für den Bund ins-gesamt 19,6 Milliarden Euro ausgeben. Damit sind180 Milliarden Euro der 190,8 Milliarden Euro ver-braucht. Das heißt, ohne Neuverschuldung und den Ver-kauf von Tafelsilber stünden dem Bund knapp11 Milliarden Euro für die Finanzierung der übrigenAufgaben zur Verfügung.Wer angesichts solcher Zahlen eine soziale Schieflagedes Haushalts reklamiert, der ist nicht ernst zu nehmenoder er hat nicht zur Kenntnis genommen, wohin dieReise geht.
Ich denke, diese Situation wieder in Ordnung zu bringenist nicht nur eine Aufgabe, die wir im Haushaltsaus-schuss in den kommenden Jahren zu leisten haben, son-dern die auch der Deutsche Bundestag insgesamt bewäl-tigen muss.In diesem Zusammenhang möchte ich ein Beispielanführen, das ich schon mehrfach bei anderer Gelegen-heit herangezogen habe. 1971 – das ist viele Jahre her –hat der damalige Bundesfinanzminister Alex Möller sei-nem Bundeskanzler einen Brief geschrieben. Darin heißtes: Lieber Willy, ich teile dir mit, dass es mit meinemguten Ruf nicht vereinbar ist, dass der Staat mehr Geldausgibt, als er einnimmt. – Daraufhin ist er zurückgetre-ten.
– Das war 1971, Herr Kues. Das zeigt, dass wir unsheute zum 34. Mal in Folge anschicken, einen Haushaltzu verabschieden, der nicht ausgeglichen ist. Diese34-mal haben nicht wir alleine den Haushalt verabschie-det; Sie waren fast genauso oft daran beteiligt. Ichglaube, wir haben ein Jahr Vorsprung. Ansonsten steht esfifty-fifty. Die FDP war am längsten mit dabei. Sie wa-ren in unserer Zeit in den 70er-Jahren dabei. Sie warenin den 80er- und 90er-Jahren mit der Union dabei undsind nun seit sechs Jahren nicht dabei. Aber 28-mal wardie FDP dabei, Herr Friedrich. Wer also glaubt, er könnesich hier aus der Verantwortung stehlen, der ist am fal-schen Platz.Die letzte Minute meiner Redezeit schenke ich Ihnen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13241
(C)
(D)
Ich gebe zu, Herr Göllner, dass ich – nachdem Sie die
erste Minute Ihrer Redezeit dafür verbraucht haben, an-
zukündigen, was Sie vorhaben – nicht für möglich ge-
halten habe, dass Sie mit der verbleibenden Redezeit
auskommen würden.
Dass sogar eine Minute übrig geblieben ist, die Sie groß-
zügigerweise der Fraktion überlassen, verdient, mit Re-
spekt festgehalten zu werden.
Nun hat der Kollege Joachim Günther für die FDP-
Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Einzelplan 12, den wir heute beraten, ist der Einzelplan,
der die meisten Investitionen umfasst. Das ist auf der ei-
nen Seite zu begrüßen. Auf der anderen Seite ist – das ist
bereits angesprochen worden – das Volumen dieses
Haushalts in den vergangenen Jahren reduziert worden.
Wir könnten es uns als Opposition sehr leicht machen
und hier ein paar Millionen für den Straßenbau und dort
ein paar Millionen für die Städtebauförderung oder Ähn-
liches fordern. So einfach machen wir es uns aber nicht
und es entspricht auch nicht den Vorstellungen unserer
Fraktion.
Wir wissen, dass der Bundeshaushalt auf Kante ge-
näht ist. Wenn man an einer Ecke zieht, dann fällt er aus-
einander. Deshalb können wir nur den Standpunkt ver-
treten, dass wir den Haushalt konsolidieren und
Reformen durchführen müssen. Aus diesem Grunde ha-
ben wir zu dem Einzelplan 12 konkrete Vorschläge vor-
gelegt. Dabei handelt es sich um konkrete Zahlen zur
Rückführung, Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig; es betrifft
eben nicht das Mautgesetz. Mit dem Mautgesetz haben
Sie sich von der Realität verabschiedet. Denn durch die-
ses Gesetz sollten dem Einzelplan 12 zusätzliche Ein-
nahmen zufließen.
Um dem Schwarzer-Peter-Spiel zwischen den einzel-
nen Ressorts von Anfang an entgegenzuwirken, haben
wir einen allgemeinen Subventionsabbau von
20 Prozent gefordert. Wir sind der Meinung, dass das ein
fairer Ansatz ist. Er führt zu keiner Verschiebung und
Verzerrung zulasten bestimmter Bereiche oder einzelner
Regionen.
Er bezieht sich konsequenterweise genauso auf Stein-
kohlesubventionen wie auf Teile des Aufbaus Ost, wo-
rüber wir sonst immer wieder diskutieren.
Wenn die Bundesregierung darüber hinaus noch ei-
nige grüne Experimente von der Spielwiese einsam-
melte, wie zum Beispiel die vorhin genannte nachhaltige
Waschaktion der Frau Ministerin Künast für die über
1 Million Euro ausgegeben werden sollen, und ähnliche
Dinge, wären wir auch sehr bald wieder in der Lage, in
unserem Haushalt zusätzliche Mittel für investive Maß-
nahmen bereitzustellen.
Innerhalb unseres Einzelplanes möchte ich nur einige
Punkte ganz kurz ansprechen. Herr Minister Stolpe, wir
haben in den vergangenen Haushaltsberatungen und
wiederholt auch im Ausschuss das Thema EU-Osterwei-
terung im Zusammenhang mit Verkehrsinfrastrukturen
angesprochen. Ich kann nach wie vor keine Korrekturen
in diesem Bereich erkennen. Auch Ihnen sind die Brenn-
punkte bekannt, die es in diesem Zusammenhang ein-
deutig gibt. Ich erinnere nur an die prekäre Lage der
Ortsumgehungen im Erzgebirge durch die überlasteten
Bundesstraßen in Richtung Tschechien. Ähnliches ließe
sich sicher auch über Bayern sagen.
Ein Wort zum Stadtumbauprogramm und zum Thema
Eigenheimzulage, auf das man inzwischen ja in fast je-
der Veranstaltung reagieren muss: Das Stadtumbaupro-
gramm hat richtige Ansätze. Das habe ich auch nie be-
stritten, das habe ich immer unterstützt. Wir sind uns alle
darüber einig, dass eine schnellere Umsetzung wün-
schenswert wäre. Aber dazu fehlt das Geld.
Ich bitte Sie, Herr Minister: Prüfen Sie noch einmal,
ob es nicht andere Wege gibt, die kein Geld kosten und
wo wir sofort anfangen können! Ich nenne als Beispiele
den Bürokratieabbau sowie die gesetzlichen Öffnungs-
klauseln im Baurecht und im Mietrecht. Nutzen wir die
Gunst der Stunde, um hier einiges zu entrümpeln! Denn
Zeit ist auch Geld. Zeit und Geld spielen in unserem Be-
reich eine große Rolle. Geld ist knapp. Bitte drehen Sie
zügig an dieser Schraube!
Ich möchte Sie noch an ein Zitat aus der Haushaltsbe-
ratung im vergangenen Jahr erinnern. Sie haben wörtlich
gesagt, Herr Minister:
Wir wollen uns allerdings auch bemühen, durch
eine Umgestaltung der jetzigen Eigenheimzulage
zu einer Wohneigentumszulage die Möglichkeiten
zu erschließen, die wir noch brauchen.
Übrig geblieben ist davon nichts. Ihre Kollegen haben in
allen Bereichen die Eigenheimzulage bereits verfrüh-
stückt, bevor sie überhaupt abgeschafft ist.
Die Aufzählung solcher Beispiele ließe sich fortset-
zen. Aus diesem Grund werden wir diesen Haushalt, der
auf sehr tönernen Füßen steht, ablehnen. Wir hoffen,
dass Sie noch Wege und Schritte finden, in nächster Zeit
in einigen Richtungen Ergänzungen vorzunehmen.
Herzlichen Dank.
Für die Bundesregierung hat nun der BundesministerManfred Stolpe das Wort.
Metadaten/Kopzeile:
13242 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Dr. h. c. Manfred Stolpe, Bundesminister für Ver-kehr, Bau- und Wohnungswesen:Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Wir haben in der Tat ein weites Feld in diesemEinzelplan 12. Genauer gesagt sind es drei Felder: Ver-kehr, Bauen und Wohnen. Darüber hinaus haben wirauch darauf zu achten, wie es mit dem Aufbau Ost wei-tergeht. Ich will hier ganz eindeutig sagen: Ich bin sehrdankbar dafür, dass in den Beratungen die Bedeutungdieser drei für die Zukunft des Landes wichtigen Feldererkannt wurde und die Berichterstatter aller Fraktionendiese Bedeutung auch berücksichtigt haben.Die Stärkung und Erweiterung der Verkehrsinfra-struktur sind für dieses Land eine absolute Pflichtauf-gabe von nationaler und europäischer Bedeutung undmüssen auch in Zeiten der Haushaltskonsolidierungdurchgehalten werden.
Ohne leistungsstarke Verkehrswege wird es keine Mobi-lität geben und ohne Mobilität wird es kein Wirtschafts-wachstum und auch keine Entfaltungsmöglichkeiten fürdie Menschen geben.Ich will in dieser Debatte das anführen, was der Sach-verständigenrat in seinem Gutachten erst kürzlich sehrdeutlich zum Ausdruck gebracht hat. Er hat darauf hin-gewiesen, dass globale Zusammenhänge für die Wirt-schaftskraft dieses Landes von Bedeutung sind, aberauch deutlich gemacht, dass in dem Zusammenhang dieVerkehrsinfrastruktur ein Instrument für die weitere Ent-wicklung ist, dass in dem Zusammenhang also auch Lo-gistik, Transport und das gesamte komplexe Mobilitäts-und Verkehrsnetzwerk zu beachten sind. Dieser Erkennt-nis stellen wir uns gern. Ich füge hinzu: Nach meinemEmpfinden sichern wir mit dem Gewährleisten von Mo-bilität und dem Funktionieren eines Verkehrsnetzes denBlutkreislauf für das Wirtschaftssystem in Deutschland.Deshalb müssen wir dafür eintreten.
Ich möchte Sie alle dafür gewinnen, dem gelegentlichaufkommenden Gerede zu widerstehen, es sei genug Be-ton eingesetzt worden.
Das wäre einer der größten Fehler, den man bei der Ent-wicklung des Landes machen kann.Ich bin der festen Überzeugung, dass wir gute Argu-mente für die Bedeutung von Mobilität und Verkehrsin-frastruktur haben. Vermutlich reicht aber unsere Öffent-lichkeitsarbeit noch nicht aus.
– Nein. – Ich bin sehr froh darüber, dass wir zusammenmit den wichtigen Verbänden der deutschen Verkehrs-wirtschaft, zum Beispiel dem Bündnis für Luftverkehr,dem Bündnis für Binnenschifffahrt und dem maritimenBündnis, dafür sorgen wollen, dass in diesem Land dieEinsicht wächst: Wir alle – nicht nur ein paar Fachleuteoder Lobbyisten – brauchen eine gesicherte Verkehrsin-frastruktur.
Wir werden mit dem Start der Maut im Januar kom-menden Jahres in eine neue Verkehrspolitik einsteigen,die in erheblichem Maße die Nutzer bei der Finanzie-rung einbindet. Wir haben zusammen mit diesem HohenHaus und den Bundesländern dieses Projekt in Gang set-zen können, das einen Strategiewechsel bedeuten unduns neue Möglichkeiten eröffnen wird. Damit kein My-thos entsteht – davor kann ich nur warnen; notfalls mussein Gutachter beauftragt werden, um zu klären, wie dasgemeint war –, sage ich ganz klar: Die hier erzielten Mit-tel sind zweckgebunden. Jeder Euro der Netto-Mautein-nahmen wird in die Verkehrsinfrastruktur fließen. Daranbesteht gar kein Zweifel. Wir haben bereits heute sicher-gestellt, dass der Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsge-sellschaft die Mittel zur Verfügung stehen werden. Ichmöchte aber erreichen – damit reagiere ich auf das, wasder Kollege Lippold gesagt hat –, dass diese Gesellschaftnoch etwas flexibler arbeitet. Die Wege in diese Rich-tung sind bereitet worden.Zur Harmonisierung kann ich zum wiederholten Malenur sagen: Wir sind fest entschlossen, eine Harmonisie-rung in einer Größenordnung von 600 Millionen Euro zuerreichen. Wir haben in den letzten Wochen den Kontaktaufrechterhalten und intensive Gespräche geführt. Wirmussten aber erst den Kommissarwechsel in Brüssel ab-warten. Mit dem neuen Kommissar, der seit wenigen Ta-gen im Amt ist, habe ich einen Termin vereinbart, umihn auf das einzustimmen, was wir vorhaben. Ich sagebei dieser Gelegenheit noch einmal, dass wir uns gegen-über den Unternehmen in Deutschland verpflichtet ha-ben, für eine Harmonisierung zu sorgen, und das, ob-wohl wir mit der Senkung der Maut auf 12,4 Cent jeKilometer schon Entgegenkommen gezeigt haben.Wir haben bereits im Startmanagement feste Verein-barungen getroffen, die regeln, wie mögliche Störfakto-ren ausgeschaltet werden; denn auch uns ist bewusst,dass eine voll funktionsfähige Technik nur die eine Seiteist. Die andere ist der Eingewöhnungsprozess. Es wirdsicherlich ein paar Tausend LKW-Fahrer geben, die diemanuellen Einbuchungsmöglichkeiten nutzen. Wir sor-gen aber für Information und Beratung. Es wird eine An-leitung vor Ort geben. Toll Collect wird über 5 000 Bera-terinnen und Berater einsetzen. Wir werden allerdingsauch – in Absprache mit den Bundesländern – Ord-nungsmaßnahmen ergreifen, wenn es notwendig ist. Ichhabe von sämtlichen Landesinnenministern die Zusagebekommen, dass man in den ersten Januartagen deskommenden Jahres dafür sorgen wird, dass der Verkehrfließen kann.Neben dem Mautsystem werden wir eine andere neueTechnologie einführen: Galileo. Auch hier wird die deut-sche Seite eine gute Position einnehmen. Wir werdenuns außerdem für die Förderung neuer Technologienetwa im Bereich der Entwicklung alternativer Kraft-stoffe einsetzen. Wir stehen ebenfalls zu der neuen Tech-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13243
(C)
(D)
Bundesminister Dr. h. c. Manfred Stolpenologie des Transrapids. Ich bin sehr froh darüber, dassalle Fraktionen des Bundestages unsere Position unter-stützt haben, dieses Projekt fortzuführen. Forschung undEntwicklung müssen also nicht auf der Stelle treten.
Wir haben nun die Möglichkeit, eine Anwendungsmög-lichkeit zu gewinnen. Ich setze darauf, dass wir in derLage sein werden, die erste Anwendungsstrecke in Bay-ern zu bauen.Ich begrüße sehr, dass im Haushalt ein zusätzlicherTitel für die bereits erwähnten innovativen Mobilitäts-konzepte geschaffen worden ist. Ich bin sehr froh, dasses damit eine weitere Motivation gibt, auch im Verkehrs-bereich neue Technologien einzusetzen. Wir werden mitdiesen Mitteln die Chance wahrnehmen, auch an denje-nigen Projekten vertieft zu arbeiten, die ich schon ebenerwähnt habe.Der Städtebau ist hier bereits erwähnt worden. Woh-nungspolitik und Städtebau sind wichtige Felder unsererArbeit. Sie stehen im Zeichen eines großen Strukturwan-dels, den wir unter der Überschrift „Stadtumbau“ beglei-tet und gestaltet haben. Das entspricht dem wirtschaftli-chen Strukturwandel, in dem sich unser Land befindet.Außerdem trägt es der demographischen EntwicklungRechnung. Darüber hinaus wird die Aufgabe der sozia-len Integration im Auge behalten.Unsere Politik wird die sich in Not befindendenStädte nicht im Stich lassen. Wir werden diese Projekteauch weiterhin in enger Zusammenarbeit mit den Län-dern voranbringen. Mir ist es sehr wichtig gewesen, dasses uns im Laufe dieses Jahres gelungen ist, neben demStadtumbau Ost den konkreten Einstieg in den Stadtum-bau West zu schaffen. Es gehört mit zu den Erfahrungenunseres Landes, dass sich Probleme nicht an Himmels-richtungen orientieren. Zur Lösung der Probleme mussman sich vielmehr auf die ganz konkreten Herausforde-rungen einlassen.
Ich will noch erwähnen, dass wir im Zusammenhangmit der ersten Beschlussfassung zur EigenheimzulageMöglichkeiten gefunden haben, Wohnungsprojekte ininnerstädtischen Bereichen gezielter zu fördern.
Im Hinblick auf Verwaltungsvorschriften will ich sa-gen: Wir haben mit dem neuen Baugesetzbuch, das Siealle mit beschlossen haben, eine deutliche Verbesserungdes Planungsrechts erreicht, da Beschleunigungen leich-ter möglich sind. Wir sind also schon weiter, als in derheutigen Aussprache dargestellt wurde.Sie wissen, dass wir alle Modelle öffentlich-privaterPartnerschaften ganz intensiv unterstützen. Wir wol-len, dass mit PPP-Projekten mehr finanzielle Möglich-keiten erschlossen werden. Ich bin überzeugt, dass unsprivates Kapital sowohl im Hochbau als auch im Stra-ßenbau erheblich weiterhelfen kann. Die PPP-Taskforcehat ihre Arbeit inzwischen aufgenommen. Sie ist in Pi-lotprojekten tätig und kann weitere Erfahrungen sam-meln.
Es ist gut, dass die Positionen im Bereich Städte- undWohnungsbau auch in den Haushaltsberatungen über dieeingebrachte Vorlage hinaus gestärkt worden sind. EinStichwort ist das genossenschaftliche Wohnen. Ich un-terstreiche es gern; es ist hier bereits genannt worden.Ich halte das gerade angesichts des Strukturumbruchs, indem sich unsere Städte befinden, für ganz wichtig. Ichbin sehr froh darüber, dass es gelungen ist, für das KfW-Programm zur Förderung von NiedrigenergiehäusernMittel bereitzuhalten. Ich habe den Hinweis, dass manda dranbleiben muss, durchaus verstanden. Gerade die-ses Programm hat einen wichtigen Doppeleffekt: Eskann zur Energieeffizienz entscheidend beitragen und eskann auch im Klimaschutz eine wichtige Hilfe leisten.
Auch für den Aufbau Ost konnten in den Haushalts-beratungen noch wichtige Verbesserungen erreicht wer-den. Das Mittelosteuropazentrum wird Wirklichkeit. Wirwerden zu entscheiden haben, welcher Standort dafür in-frage kommt. Vor allem kann es entscheidend dazu bei-tragen, Kontakt- und Kooperationsmöglichkeiten mitunseren osteuropäischen Nachbarn zu schaffen.Wir haben darüber hinaus die Zusammenarbeit mitden Ländern im Hinblick auf die Neujustierung der För-derpolitik in Angriff genommen. Dabei wird es insbe-sondere darum gehen, dass die Innovationsförderung ge-stärkt wird. Sie haben in den Beratungen dadurchgeholfen, dass auch Sie dafür eingetreten sind, dass Ver-pflichtungsermächtigungen in Bezug auf das Inno-Re-gio-Programm um 22 Millionen Euro erhöht werden.
Das ist gerade für kleine Unternehmen wichtig.Ein ganz entscheidender Schritt ist in den Beratungendadurch getan worden, dass mehr Wirtschaftsstruktur-förderung ermöglicht wurde. Jetzt bleiben zurückflie-ßende Mittel der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserungder regionalen Wirtschaftsstruktur“ in vollem Umfangerhalten.
Die Begrenzung ist entfallen. Das bedeutet im Klartext:zusätzliche Barmittel im Jahr 2005 in Höhe von bis zu65 Millionen Euro – eine spürbare Hilfe für die nötigenAnsiedlungsmaßnahmen.
Metadaten/Kopzeile:
13244 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Bundesminister Dr. h. c. Manfred StolpeDie Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regio-nalen Wirtschaftsstruktur“ gehört in der Tat zu den wich-tigsten Instrumenten unserer Förderpolitik, kann Ansied-lungen ermöglichen und damit auch Arbeitsplätzeschaffen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie bedeut-sam das gerade in schwierigen Regionen sein kann.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einfachnoch einmal Danke sagen, und zwar dafür, dass es trotzder bestehenden Sparzwänge gelungen ist, in diesenwichtigen Feldern zusätzliche Hilfen zu erreichen.Durch die globale Minderausgabe im Einzelplan 60werden Einsparungen in allen Einzelhaushalten notwen-dig. Für unseren Haushalt bedeutet das einen Sparauf-trag von 244 Millionen Euro. Wir können heute nochnicht sagen, in welcher Weise wir diesen Auftrag erfül-len werden, aber ich kann eines versichern: Keines derim Bau befindlichen Verkehrsinfrastrukturprojekte wirdunter dieser globalen Minderausgabe zu leiden haben.Das ist unsere klare Orientierung und die werden wirauch durchhalten können.
Im Übrigen werden wir uns darum bemühen, zusätzli-che Einnahmequellen zu erschließen, was in diesem Jahrbereits gelungen ist. Wir werden vor allem die neuen Fi-nanzierungswege nutzen, die ich vorhin im Blick auf pri-vate Finanzmittel schon erwähnt habe, und müssen da-rüber hinaus natürlich auch hart sparen.Es bleibt festzustellen, dass trotz der allgemeinenKonsolidierungsnotwendigkeiten, denen wir uns alle zustellen haben, unsere Investitionen auf einem hohen Ni-veau bleiben. Sie sind in jedem Fall deutlich höher als zudem Zeitpunkt, zu dem diese Regierung die Aufgabenübernommen hat.
Im Bahnbereich werden wir trotz der Planungsstraf-fungen, die dort vorgenommen worden sind, die Investi-tionen durchführen können. Ich habe gerade heute eineZusage vom Bahnchef dahin gehend bekommen, dasswir im Bereich der Bahn im nächsten Jahr8 Milliarden Euro, einschließlich der Mittel, die von unskommen werden, zur Verfügung haben werden.Ich muss noch auf die Hinweise zur Osterweiterungreagieren. Wir haben schon im BundesverkehrswegeplanPrioritäten gesetzt. Wir haben darüber hinaus Prioritätenin unseren Entscheidungen zum Einsatz der Mittel. Wirbeschleunigen den Bau der Autobahn A 17. Wir werdennoch in diesem Jahr einen weiteren wichtigen Schritttun, indem die Grenzbrücke nach Tschechien hinüberbegonnen wird. Wir werden auch die B 178 weiterbauenkönnen.Die mittelfristige Finanzplanung – das sei hier wie-derholt, weil es da Zweifel gab – ist bis 2008 gesichert.Das ist für langfristige Investitionsvorhaben von ganzgroßer Bedeutung.
Herr Minister, Sie behalten bitte im Auge, dass für die
Fraktion noch Redezeit verbleiben soll.
Dr. h. c. Manfred Stolpe, Bundesminister für Ver-
kehr, Bau- und Wohnungswesen:
Herr Präsident, ich bedanke mich für den Hinweis.
Wir werden unsere Aufgaben erledigen. Wir können
für Verkehr, Bauen und Wohnen sowie den Aufbau Ost
zuversichtlich sein. Wir haben das für unsere eigene Ar-
beit dadurch zum Ausdruck gebracht, dass wir gerade in
den letzten Wochen 700 hervorragende junge Frauen
und Männer, hoch motivierte, interessierte und lernwil-
lige Menschen, für die Ausbildung in unserem Bereich
gewinnen konnten.
Weil gelegentlich unverantwortliche Sprüche über die
Jugend gemacht werden, will ich sagen: Das sind Men-
schen, auf die man Zukunft bauen kann. Wir werden die
Möglichkeit haben, mit ihrer Hilfe die Zukunftsaufgaben
zu erfüllen.
Wir werden die Aufgaben mit Ihrer Unterstützung
weiterhin packen können.
Vielen Dank.
Ich erteile dem Kollegen Norbert Barthle, CDU/CSU-
Fraktion, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Lassen Sie auch mich zu Beginnmeiner Rede ein herzliches Dankeschön sagen, nämlichan das Haus, das Ministerium, den Ausschuss sowie dieKolleginnen und Kollegen Berichterstatter. Die Atmo-sphäre war immer sehr sachlich, fair und menschlich an-genehm.Die Haushaltswoche neigt sich so langsam dem Endezu. Ich muss feststellen: Es ist schon mitleiderregend,wenn man sieht, mit welch erkennbarer Unlust hier vieleKolleginnen und Kollegen von Rot-Grün versuchen,dem Haushaltsplanentwurf 2005 noch irgendwelche po-sitiven Aspekte abzugewinnen.
Bei allem persönlichen Respekt, Herr MinisterStolpe: Sie geben ja wenigstens ehrlich immer wieder zuverstehen, dass Ihnen Ihr Amt derzeit mehr Unlust alsLust bereitet.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13245
(C)
(D)
Norbert BarthleAlso wir gönnen Ihnen – spätestens ab 2006 – den wohl-verdienten Ruhestand; und wenn Sie einige Ihrer älterenKabinettskollegen gleich mitnehmen, umso besser.
Aber jetzt zum Wohnungsbauetat:
Mit rund 3,1 Milliarden Euro liegt er im kommendenJahr mehr als 1,2 Milliarden Euro unter dem des Vorjah-res, und das trotz steigender Einnahmen. Das klingt zu-nächst nach Sparsamkeit; bei genauerem Hinsehen stelltman aber fest, dass 1 Milliarde dieser Absenkung auf dieKürzung des Wohngeldes nach Hartz IV zurückgeht. Beidiesem Titel habe ich seit meiner Tätigkeit als Berichter-statter Jahr für Jahr feststellen müssen, dass wir mitüberplanmäßigen Ausgaben zu rechnen haben. Ichfürchte, das wird auch im kommenden Jahr so sein.Dann gilt auch für diesen Haushaltstitel ein Sachverhalt,der sich durch den ganzen Haushalt zieht: die Ausgabenwieder einmal zu niedrig angesetzt, die Einnahmen ver-mutlich zu hoch.Nun sind wir uns eigentlich alle einig, dass im Be-reich der Investitionen nicht gespart werden darf. Aberwenn man dort dennoch sparen muss, dann zumindestsinnvoll und ökonomisch verträglich und nicht, wie esbei Rot-Grün häufig geschieht, mit ökologischen undideologischen Scheuklappen. Lassen Sie mich das ver-deutlichen: Wir von der Union haben bezüglich desEinzelplans 12 mehr als 30 Änderungsanträge einge-bracht. In der großen Mehrheit handelte es sich um Spar-vorschläge, allein bezüglich Kapitel 12 25 im Volumenvon über 30 Millionen Euro. Wir haben da nicht geholzt,sondern ganz genau hingeschaut. Die von uns vorge-schlagenen Kürzungen zum Beispiel bei den Zinszu-schüssen im Rahmen des Wohnraum-Modernisierungs-programms oder des CO2-Minderungsprogramms habenSie abgelehnt, und das bei dieser desaströsen Haushalts-lage.Was kann ich feststellen? Wenn es um rot-grüneSpielwiesen geht, lassen Sie in diesem Hause jedenSparwillen vermissen.
Andererseits haben wir, wo immer möglich, auch bezo-gen auf diesen Etat Anträge eingebracht, um Investi-tionstitel zu verstärken. Mein Kollege Barthel Kalb hatbereits darauf hingewiesen. Auch das haben Sie abge-lehnt.Wenn im Bereich Wohnungsbau Rot-Grün von Spa-ren spricht, dann werden sie monothematisch, dann fälltimmer nur ein Begriff, und der heißt Eigenheimzulage.Das war heute auch schon wieder so. Diese Woche warFinanzminister Hans Eichel im „ZDF-Morgenmagazin“.Auf die Frage der Moderatorin, warum er denn nichtendlich bei den Kohlesubventionen kürzt, entgegnete erempört: Wie könnte ich? Wollen Sie, dass ZigtausendeKumpel im Ruhrgebiet ihre Jobs verlieren? – Also,meine Damen und Herren, die Kohlesubventionen dür-fen wegen der Bedrohung für die Arbeitsplätze nicht an-getastet werden, die Eigenheimzulage aber sehr wohl.Da scheinen keine Arbeitsplätze in Gefahr zu sein.
Ich muss da die Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün fragen: Wo leben Sie eigentlich? Für das Jahr 2004erwartet die deutsche Bauindustrie trotz der schlechtenVorjahre ein weiteres Umsatzminus von 4,5 Prozent. Ob-wohl die Zahl der Beschäftigten seit 1998 bereits starkabgenommen hat, werden auch in diesem Jahr wieder50 000 Arbeitsplätze abgebaut. Im nächsten Jahr sollenes weitere 25 000 Arbeitsplätze sein. Auch die Erträgegeraten massiv unter Druck. Das deutsche Bauhauptge-werbe verzeichnet bei weitem die schlechteste Umsatz-rendite aller großen Wirtschaftszweige. Was das wie-derum für die Eigenkapitalausstattung sowohl derUnternehmen als auch der kleinen Handwerksbetriebebedeutet, das brauche ich Ihnen nicht zu erklären.Nimmt man das Jahr 2000 als Referenzjahr, liegt dersaisonbereinigte Produktionsindex 2004 gerade noch bei77 Prozent. In Europa liegt er jedoch 4 Prozent über demDurchschnittswert von 2000. Was heißt das? Es gibtkeine europäische Krise im Bausektor, es gibt eine deut-sche Krise im Bausektor. Man könnte auch sagen: Esgibt eine rot-grüne Krise im Bausektor.
In dieser dramatischen Situation wollen Sie die Eigen-heimzulage ersatzlos streichen, obwohl das – FriedrichMerz hat es Ihnen vorgerechnet – gerade einmal95 Millionen Euro im kommenden Jahr bringt. Das istgenau so viel, wie Sie jeden Tag an neuen Schulden auf-nehmen.Außerdem, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, stimmt es einfach nicht, was Sie hier immer wie-der behaupten: dass es keinen Bedarf mehr gebe. DemRückbau von Wohnraum in Ostdeutschland steht in denwestdeutschen Ballungsräumen inzwischen massiveWohnungsnot gegenüber. Ein im Durchschnitt entspann-ter Wohnungsmarkt kann da nicht festgestellt werden.Schauen Sie nach Hamburg, Frankfurt, München oderStuttgart! Dort gibt es inzwischen wieder ein starkes Be-dürfnis nach Wohneigentum.
Ein Blick in die Zeitungen zeigt uns: Sämtliche Im-mobilienfonds verlagern ihre Investitionsschwerpunkteins Ausland. Auch das hat hausgemachte Gründe. Wirbrauchen dringend ein besseres Zusammenwirken vonprivatem und öffentlichem Kapital, um den Stadtumbauin Ost und in West schultern zu können.Schaut man in Ihren Haushalt, dann wird das eigentli-che Ziel Ihrer Politik deutlich: Es geht Ihnen schlichtund einfach um einen schleichenden Paradigmenwech-sel. Sie wollen kein Volk von Eigentümern, Sie wollenein Volk von Mietern und Genossen.
Metadaten/Kopzeile:
13246 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Norbert Barthle
Anders ist Ihre einseitige Förderung von Modellvorha-ben im genossenschaftlichen Wohnen nicht zu interpre-tieren.Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich habenichts gegen genossenschaftliches Wohnen.
Aber wenn einerseits alle Anreize für Eigentumsbildunggekürzt und andererseits die Mittel für genossenschaftli-ches Wohnen erhöht werden, dann muss dieser Schlussschon zugelassen sein.
Damit komme ich zu einem weiteren Punkt bezüglichder Diskriminierung von Wohneigentum. Die KolleginEichstädt-Bohlig hat in großer Ehrlichkeit im Haushalts-ausschuss angekündigt, dass sie auch an die Bauspar-prämie herangehen wolle. Meine Damen und Herren,die Bausparprämie ist das erfolgreichste und beste staat-liche Anreizinstrument für die private Vermögensbil-dung.
Wer an der Bausparprämie sägt, der verabschiedet sichvon dem Ziel, möglichst vielen Bürgern privatesWohneigentum zu ermöglichen.
Das wollen wir. Wir wollen, dass künftig noch mehrMenschen in einem Eigenheim, in einem Reihenhaus, ineiner Doppelhaushälfte, in privat genutztem Wohneigen-tum wohnen können. Das ist unser Ziel und darum müs-sen wir kämpfen.
Deshalb sage ich Ihnen: Hände weg von der Wohnungs-bauprämie!
Zusammenfassend zum Schluss: Heute früh habe ichgehört, Rot-Grün mache Deutschland arm und arbeits-los. Ich füge hinzu: Rot-Grün macht Deutschland auchzu einem Land mit immer weniger Wohneigentum.Danke.
Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege
Friedrich das Wort.
Die Kurzintervention, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, bezieht sich auf Herrn Minister Stolpe und seine
Ausführungen zu § 11 des Mautgesetzes. Herr Minister,
Sie haben in Ihrer Rede dargestellt, dass Sie bezüglich
des Wortes „zusätzlich“ überlegen, ein weiteres Gutach-
ten einzuholen. Ich will Ihnen noch einmal den Wortlaut
des § 11 Autobahnmautgesetz vorlesen, der mit Ihrer
Stimme hier beschlossen wurde. Er lautet:
Das Mautaufkommen steht dem Bund zu. Ausga-
ben für Betrieb, Überwachung und Kontrolle des
Mautsystems werden aus dem Mautaufkommen ge-
leistet.
Jetzt kommt es:
Das verbleibende Mautaufkommen wird zusätzlich
dem Verkehrshaushalt zugeführt und in vollem Um-
fang zweckgebunden für die Verbesserung der Ver-
kehrsinfrastruktur, überwiegend für den Bundes-
fernstraßenbau verwendet.
Ich frage Sie, Herr Minister: Was an dieser Formulie-
rung ist so missverständlich, dass man für dessen Defini-
tion ein Gutachten bräuchte, und wie verhält sich das,
was Sie machen – Sie ersetzen einfach Steuermittel
durch Mauteinnahmen, und zwar eins zu eins –, zu dem
Geist dieses Paragraphen, der im Übrigen – ich sage es
noch einmal – mit Ihrer vollen Zustimmung verabschie-
det worden ist?
Zur Erwiderung Herr Minister Stolpe.
Dr. h. c. Manfred Stolpe, Bundesminister für Ver-
kehr, Bau- und Wohnungswesen:
Ein wichtiges Thema; schönen Dank für die Möglich-
keit, darauf noch einmal zu reagieren.
Herr Friedrich, ich war ja mit dabei. Sie sind aber
noch viel länger im Bundestag und wissen, dass es eine
Zeit gab, in der die Verkehrsinvestitionen bei unter
10 Milliarden Euro lagen. Dann sind durch die so ge-
nannten ZIP-Mittel sind fast 2 Milliarden Euro hinzuge-
kommen. Die Zweckbindung bei den Mauteinnahmen
– diese Paketlösung haben wir erreicht – ist absolut ge-
sichert. Das gilt auch für das, was auf dem Sockel des
Haushaltes steht.
Nächster Redner ist der Kollege Uwe Beckmeyer fürdie SPD-Fraktion.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13247
(C)
(D)
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Ich will zu einigen Punkten der Debatte und insbe-sondere zu den Beiträgen der Opposition Stellung neh-men.Herr Lippold, es ist das alte Klagelied: Am Anfang ei-ner Haushaltswoche wird gesagt, wir müssen sparen,sparen, sparen. Diesmal kamen diese Forderungen zumgrößten Teil aus Ihrer Fraktion. Am Mittwoch und Don-nerstag treten diejenigen auf den Plan, die sagen, dassdie Investitionen zu gering sind und dass es die Schuldder Regierung ist, dass dafür zu wenig Geld vorhandenist.Fakt ist: Der Verkehrshaushalt nach Wissmann hatunter Verantwortung der rot-grünen Koalition kontinu-ierlich ein größeres Volumen gehabt als die Haushalte,die Wissmann auf den Tisch gelegt hat.
Mit der Einführung der Maut zum 1. Januar 2005 ge-mäß dem Mautgesetz gibt es in Deutschland zum erstenMal eine Nutzerfinanzierung. Sie haben die ganze Zeitdarüber geredet. Wir tun es endlich. Auch das muss maneinmal deutlich sagen.
Zum Thema Transrapid. Auch diesen Punkt will ichgleich mitbehandeln. Herr Wiesheu ist in der Pflicht,jetzt endlich einen Finanzierungsplan auf den Tisch zulegen. Ich hoffe, dass er bald vorliegt und nachgeprüftwerden kann. Die Regierung hat schon alles Notwendigeveranlasst. Wir haben unser Versprechen erfüllt. Nun istHerr Wiesheu an der Reihe, seinen Finanzierungsplanauf den Tisch zu legen.
Ich hoffe, dass die Bayern Geld mitbringen.
Zur Bahn. Wir konnten heute die dicken Schlagzeilenlesen. Ich denke, wir sind uns alle hier im Haus einig.Der Deutsche Bundestag hat im Mai dieses Jahres einensehr klugen Beschluss – ich glaube, einstimmig – ge-fasst. Mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten möchte icheinmal daraus zitieren:Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregie-rung auf, eine Grundsatzentscheidung über einemögliche Teilprivatisierung der Deutschen Bahn …erst dann zu treffen, wenn der nachhaltige wirt-schaftliche Erfolg des Unternehmens DB AG, ins-besondere eine mehrjährige positive Gewinnentwi-ckelung, feststeht. Eine dauerhafte Rentabilität derDB AG darf nicht auf Leistungen des Bundes fürden Ausbau der Schieneninfrastruktur beruhen.Die Handschrift der Sozialdemokraten ist unverkennbar.Sie haben bei diesem Beschluss die Feder geführt. Ichdenke, es war gut, dass wir diesen Beschluss damals ge-fasst haben. Ich will ihn heute in Erinnerung rufen.
Eine Bahn, die Zukunft haben will, darf nichtschrumpfen, sondern sie muss beim Personenverkehrund auch beim Güterverkehr langfristig wachsen. Das istdie Erwartung, den dieses Parlament in Richtung Deut-sche Bahn äußert.
Zum Thema Verkehrsfinanzierungsgesellschaft undPublic Private Partnership. Wir müssen darauf achten,dass wir in Deutschland erfolgreiche PPP-Projekte ha-ben. Erfolgreich heißt: Unternehmen verdienen damitGeld und gleichzeitig haben die Steuerzahler Vorteile,indem Projekte frühzeitiger fertig werden und aufgrunddes Wettbewerbs geringere Kosten verursachen. Auf die-sen wichtigen Punkt müssen wir besonders Wert legen.
Zur mittelfristigen Finanzplanung. Es ist positiv,dass der Bundesverkehrsminister mit dem Bundesfi-nanzminister eine feste Verabredung hinsichtlich einerzusätzlichen Planungsmilliarde für das Jahr 2008 getrof-fen hat, um für die Zukunft die Stetigkeit der Finanzie-rung und der Planung der Verkehrsinfrastruktur zu ge-währleisten.
Ein letzter Punkt. Es war Herr Waigel, der zum erstenMal in die Vignettenkasse gegriffen hat. Er hat damals900 Millionen DM herausgenommen.
Als Antwort auf die Kurzintervention des KollegenHorst Friedrich möchte ich das in Erinnerung rufen unddeutlich hervorheben.Mit dem Einzelplan 12 haben wir einen wesentlichenBeitrag dazu geleistet, dass in Deutschland die Zukunfts-fähigkeit wieder auf dem Programm steht und eine nach-haltige Verkehrspolitik betrieben werden kann. Ange-sichts dessen, dass wir Deutschland unter anderem zueiner Logistikzentrale in Europa machen wollen, ist dieEntscheidung, dass DHL in Leipzig angesiedelt wird,ein erstes riesengroßes positives Signal.
Ich glaube, das kann man gar nicht laut genug hinauspo-saunen. Denn das ist eine Entscheidung für eine Stadt inden neuen Bundesländern, die zukunftsweisend ist undsignalisiert, dass wir in einem Raum Entwicklungschan-cen haben, der dies dringend braucht. Wir werden dazuauch in der Verkehrspolitik in Zukunft unseren Beitragleisten.
Metadaten/Kopzeile:
13248 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Uwe BeckmeyerDas Investitionsvolumen wird im Vergleich zum lau-fenden Jahr um gut 2 Prozent gesteigert. Das ist nichtviel, aber immerhin etwas. Ich denke, das ist gut so.
– Herr Austermann.
Ich bitte um Nachsicht. Die Redezeiten bewirtschaftet
nach wie vor der Präsident. Da Ihre Redezeit zwar auf
der ausweisenden Uhr noch virtuell vorhanden ist, längst
aber durch die vom Bundesminister tatsächlich ver-
brauchte Zeit, wie Ihnen natürlich nicht entgangen ist,
überschritten ist, dürfen Sie zwar Ihre Rede ordentlich
zu Ende führen, aber ohne die Möglichkeit einer Zugabe
durch die Opposition.
Ein letzter Satz, Herr Präsident. – Ich freue mich, dass
ich hier im Hause für die Sozialdemokraten die Ver-
kehrspolitik mitgestalten kann. Ich glaube, wir haben ei-
nen guten Haushalt zustande gebracht, der neue Ele-
mente enthält und zukunftsfähig ist.
Herzlichen Dank.
Zum Schluss dieser Debatte erhält natürlich noch die
Opposition das Wort, und zwar die CDU/CSU-Fraktion
in Gestalt des Kollegen Dirk Fischer.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Die Streichung des 3. Oktobers als Feiertag
konnte gerade noch verhindert werden. Die Einführungeines entbehrlichen Trauertages seit dem Regierungs-wechsel hat hingegen immer noch Bestand: Alle Jahrewieder ist der Tag der abschließenden Beratungen zumBundeshaushalt, insbesondere zum Einzelplan 12, einrabenschwarzer Tag.Eine gute Verkehrsinfrastruktur, insbesondere nachder Osterweiterung, ist das Rückgrat der deutschen Wirt-schaft. Diese Infrastruktur sichert den Industriestandortund seine Arbeitsplätze. Also frage ich mich: Warumsenken Sie auch in diesem Jahr die Verkehrsinvestitio-nen?Herr Kollege Beckmeyer, Ihre Zahlenspiele stimmennicht, weil die Basis 1998 eine andere war, als Sie esdargestellt haben.
Sie ist höher gewesen. Dann wird plötzlich eine virtuelleMilliarde in den Raum gestellt. Wenn dies Herrn Stolpeund dem Kollegen Beckmeyer von der deutschen Öf-fentlichkeit geglaubt werden soll, dann hätte das in diemittelfristige Finanzplanung gehört. Die wird aber dra-matisch heruntergeschrieben.
Herr Minister Stolpe, hier für 2008, für einen Zeit-punkt zwei Jahre nach dem Antritt Ihres Ruhestandes, sowie Sie ihn selber angekündigt haben, Ansagen zu ma-chen, für die Sie überhaupt nicht in Haftung genommenwerden können, ist eine Zumutung für das deutsche Par-lament und die Öffentlichkeit. Das lassen wir uns nichtbieten!
Die harten Realitäten sehen so aus: Bei den Bundes-fernstraßen gibt es ein Minus von 262 Millionen Euro, inder MifriFi ein Minus von 482 Millionen Euro. Bei denSchienenwegen des Bundes ist ein Minus von697 Millionen Euro festzustellen, in der MifriFi ein Mi-nus von 1,73 Milliarden Euro.
Das heißt, das Märchen, dass, wenn Rot-Grün kommt, esden Schienenwegen gleich besser geht, ist beendet. DerAufschlag in der Realität, den Sie erleiden, ist ein beson-ders harter.
Bei den Bundeswasserstraßen ist im Haushalt einMinus von 7,3 Millionen Euro zu verzeichnen, in derMifriFi ein Minus von 49 Millionen Euro. Zusätzlichmuss erneut eine globale Minderausgabe von 244 Mil-lionen Euro erwirtschaftet werden. Wo, Frau KolleginEichstädt-Bohlig, wenn nicht bei den Investitionen? Eswar noch nie anders. Sie können doch den Beamtennicht ihr Gehalt und Herrn Stolpe das Benzin für seinenWagen wegnehmen. Das kann doch nicht Ihr Vorschlagsein. Die Talfahrt wird also bei den Investitionsfinanzie-rungen noch viel schlimmer, als die Haushaltszahlendies ausdrücken.
Vier Minister in sechs Jahren und keiner hat aus denFehlern seiner Vorgänger gelernt.
Das Prinzip von Minister Stolpe „Liebe – Glaube –Hoffnung“ ist menschlich sympathisch, in der Sacheaber ein Muster ohne Wert.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13249
(C)
(D)
Dirk Fischer
Die Baubranche leidet weiter unter allgemeinerWachstumsschwäche und wegbrechenden öffentlichenAufträgen. Im September 2004 hatten die Betriebe desTiefbaugewerbes 4,8 Prozent weniger Aufträge als imVorjahresmonat. Im Vergleich zum VorjahreszeitraumJanuar bis September 2003 sind die Auftragseingängesogar um 7,4 Prozent gesunken.Im Hochbau sind die Rückgänge nicht weniger be-sorgniserregend. Die fatale Folge ist: Insgesamt waren inden Betrieben des Tief- und Hochbaus im Septem-ber 2004 rund 80 000 Beschäftigte weniger tätig als voreinem Jahr. Rot-grüne Regierungspolitik als Arbeits-platzvernichter kann man da nur sagen!
Der drastische Investitionsrückgang ist Folge einesverantwortungslosen Gesetzesverstoßes. Hier stand zuRecht § 11 des Mautgesetzes im Mittelpunkt der Dis-kussion. Als ein Teilnehmer des Vermittlungsverfahrenshabe ich den Vorgang sehr genau in Erinnerung. DieseFormulierung im Gesetz, Herr Minister Stolpe, ist vonIhnen im Verfahren insbesondere gegenüber den Bun-desländern garantiert worden. Sie haben ausdrücklichhinzugefügt: abgestimmt mit dem Kanzleramt, abge-stimmt mit Bundesfinanzminister Eichel. Deswegenkönnen Sie jetzt nicht so tun, als hätten Sie damals ge-wisse Vorbehalte ausgedrückt. Das ist nicht geschehen.Das Basisjahr war 2003 und kein anderes; denn imMai 2003 hat das Vermittlungsverfahren stattgefunden.
Es ist wirklich eigentümlich: Die Mauteinnahmenwerden zwar im Haushalt 2005 berücksichtigt und in derPrognose sogar noch hochgeschrieben, weil man wohlDeckungsmasse brauchte, gleichzeitig aber wird der bis-herige Investitionstitel um einen noch größeren Betragals die Mauteinnahmen gekürzt. Das ist ein rechtswidri-ges Nullsummenspiel. Obwohl Mauteinnahmen sogarmit 3 Milliarden um 200 Millionen Euro höher angesetztsind als 2004, werden 2005 die Investitionen sinken. Da-mit wird der Gedanke der Nutzerfinanzierung diskredi-tiert. Der Nutzer zahlt mehr, damit er mehr und bessereInfrastruktur bekommt. Wenn es so weit ist, sagt manzum Nutzer: Ätsch, ätsch, das geht alles in den allgemei-nen Haushalt und nicht in die Infrastruktur.
Die für 2005 vorgesehenen Investitionsmittel deckendie Kosten für Neu-, Ausbau- und Instandhaltungsmaß-nahmen nicht einmal ansatzweise. Die Angleichung derVerhältnisse zwischen den alten und neuen Bundes-ländern rückt in weite Ferne. Wir beraten heute auch dasVerkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz, dassonst Ende dieses Jahres ausgelaufen wäre. Sie habensich zunächst jeglicher Verlängerung verweigert. Jetztwird es wenigstens um ein Jahr verlängert. Wir werdendieser Atempause am Ende zustimmen. Aber es ist völ-lig unzureichend. Sinnvoll wäre gewesen, zu sagen: DerSolidarpakt II läuft bis zum Jahre 2019 und so lange giltauch dieses Gesetz. Aber wir werden es heute unterstüt-zen.
Die Bundesregierung hat es versäumt, rechtzeitig denEntwurf eines Gesetzes für eine bundesweite Vereinfa-chung und Beschleunigung von Planungs- und Geneh-migungsverfahren vorzulegen.
Ich meine, Herr Minister Dr. Stolpe, Sie müssen jetztdiese Atempause nutzen, um dem Parlament bis spätes-tens Ende März 2005 einen Gesetzentwurf vorzulegen,den Sie den Verkehrsministern der Länder Anfang Okto-ber 2004 ausdrücklich versprochen haben. Diesen wol-len wir zeitnah von Ihnen erhalten. Dabei müssen Siealle Möglichkeiten der Planungsbeschleunigung nutzen,auch nach den guten Erfahrungen, die Sie im Ergebnis-bericht dargelegt haben.
Auch Ihrer Bringschuld einer fundierten Darstellungder Ergebnisse der Städtebaupolitik und des künftigenstädtebaulichen Handlungsbedarfs sind Sie noch nichtnachgekommen. Erst auf Antrag meiner Fraktion wurdedie Bundesregierung verpflichtet, einen neuen Städte-baubericht vorzulegen. Der letzte stammt aus dem Jahr1996 und ist inhaltlich nicht mehr aktuell. In den nächs-ten Wochen wird die Föderalismuskommission über die-sen Bereich entscheiden. Wie wichtig wäre es gewesen,einen aktuellen Bericht und ein schlüssiges Konzept zuhaben! Nun haben die Mitglieder der Föderalismuskom-mission diese bestmögliche Entscheidungsgrundlagenicht.Bei den Entscheidungen zur Wohnungspolitik drohtdas gleiche Dilemma. Es fehlt die längst angekündigteaktuelle Wohnraumbedarfsprognose. Zwischen 300 000und 350 000 fertig gestellte Wohnungen sind bis 2010jährlich erforderlich, um einen ausgeglichenen Woh-nungsmarkt zu erhalten. Wir sind im Jahr 2003 mit268 000 Wohnungen deutlich hinter diesen Erfordernis-sen zurückgeblieben. Im Zeitraum Januar bis September2004 wurden nur 208 000 Wohnungen genehmigt. Dassind noch einmal 6 ½ Prozent weniger als im Vorjahres-zeitraum.Der Neubau selbst genutzten Wohneigentums istwichtig. Das hat der Kollege Barthle hier sehr deutlichgesagt. Wir müssen Sie im Bundesrat daran hindern, dieSchaffung von Wohneigentum, die die beste Altersvor-sorge ist, den spezifischen Wohnraumbedarf junger Fa-milien deckt und wichtige Beschäftigungseffekte für dieBaubranche auslöst, gegen die Wand zu fahren.
Die zu dieser Zeit und in dieser Situation sehr kurzeBilanz rot-grüner Verkehrs- und Baupolitik macht
Metadaten/Kopzeile:
13250 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Dirk Fischer
Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 560;davonja: 225nein: 294enthalten: 41JaCDU/CSUUlrich AdamIlse AignerPeter AltmaierArtur AuernhammerDietrich AustermannNorbert BarthleDr. Wolf BauerGünter BaumannErnst-Reinhard Beck
Veronika BellmannDr. Christoph BergnerOtto BernhardtDr. Rolf BietmannClemens BinningerRenate BlankPeter BleserAntje BlumenthalJochen BorchertWolfgang Börnsen
Wolfgang BosbachDr. Wolfgang BötschKlaus BrähmigDr. Ralf BrauksiepeHelge BraunGeorg BrunnhuberVerena ButalikakisHartmut Büttner
Cajus Julius CaesarManfred Carstens
Gitta ConnemannLeo DautzenbergHubert DeittertAlexander DobrindtVera DominkeThomas DörflingerMarie-Luise DöttMaria EichhornRainer EppelmannAnke Eymer
Georg FahrenschonIlse FalkDr. Hans Georg FaustAlbrecht FeibelEnak FerlemannHartwig Fischer
Dirk Fischer
Dr. Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachHerbert FrankenhauserDr. Hans-Peter Friedrich
Jochen-Konrad FrommeDr. Michael FuchsHans-Joachim FuchtelDr. Peter GauweilerDr. Jürgen GehbNorbert GeisRoland GewaltEberhard GiengerGeorg GirischMichael GlosRalf GöbelDr. Reinhard GöhnerPeter GötzDr. Wolfgang GötzerUte GranoldReinhard GrindelHermann GröheMichael Grosse-BrömerMarkus GrübelManfred GrundKarl-Theodor Freiherr vonund zu GuttenbergOlav GuttingHolger HaibachGerda HasselfeldtKlaus-Jürgen HedrichUrsula HeinenSiegfried HeliasUda Carmen Freia HellerMichael HennrichJürgen HerrmannBernd HeynemannErnst HinskenPeter HintzeRobert HochbaumKlaus HofbauerJoachim HörsterHubert HüppeSusanne JaffkeDr. Peter JahrDr. Egon JüttnerBartholomäus KalbSteffen KampeterIrmgard KarwatzkiBernhard Kaster
Volker KauderGerlinde KaupaEckart von KlaedenJürgen KlimkeJulia KlöcknerKristina Köhler
Manfred KolbeThomas KossendeyRudolf KrausMichael KretschmerGünther KrichbaumGünter Kringsdeutlich: Die Bundesregierunin einer Sackgasse
Vizepräsident Dr. NorbeIch schließe die AussprachWir kommen zur AEinzelplan 12 – Bundesminiund Wohnungswesen – in degen zwei Änderungsanträge dvor, über die wir zuerst abstimWir stimmen zunächst übeDrucksache 15/4357 ab. Werungsantrag? – Wer stimmttrag? – Wer enthält sich der Santrag ist mit Mehrheit abgelIch rufe den Änderungsantauf. Hierzu verlangt die CDche Abstimmung. Ich bitteSchriftführer, die Plätze eing befindet sich seit JahrenSalzgitter] [SPD]:ch!)ntwurf 2005 nun endgültigSU und der FDP –gitter] [SPD]: So wasrt Lammert:e.bstimmung über densterium für Verkehr, Bau-r Ausschussfassung. Es lie-er Fraktion der CDU/CSUmen werden.r den Änderungsantrag aufr stimmt für diesen Ände- gegen den Änderungsan-timme? – Der Änderungs-ehnt.rag auf Drucksache 15/4365U/CSU-Fraktion namentli-die Schriftführerinnen undzunehmen. – Der Verteidi-gungsminister empfiehlt unUrnen sind damit freigegeben
es Hauses, die keine Gele-rten abzugeben? – Ich sehernen. Dann schließe ich diee Schriftführerinnen undlung zu beginnen. Weil dasssetzung für die dann fol-gen ist, unterbreche ich dieser Abstimmung vorliegt.8.20 bis 18.27 Uhr)rt Lammert:d Kollegen, die unterbro-fnet.riftführerinnen und Schrift-der namentlichen Abstim-trag der Fraktion der CDU/s von der Bundesregierung Gesetzes über die Feststel-plans für das Haushalt-em Änderungsantrag sindden. Mit Ja haben gestimmtt 294, Enthaltungen sind 41er Änderungsantrag abge-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13251
(C)
(D)
Vizepräsident Dr. Norbert LammertDr. Hermann KuesWerner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers
Dr. Norbert LammertHelmut LampBarbara LanzingerKarl-Josef LaumannVera LengsfeldWerner LensingPeter LetzgusUrsula LietzWalter Link
Eduard LintnerDr. Klaus W. Lippold
Patricia LipsDr. Michael LutherDorothee MantelErwin Marschewski
Stephan Mayer
Dr. Conny Mayer
Dr. Martin Mayer
Wolfgang MeckelburgDr. Michael MeisterFriedrich MerzDoris Meyer
Maria MichalkHans MichelbachKlaus MinkelMarlene MortlerDr. Gerd MüllerStefan Müller
Bernward Müller
Hildegard MüllerBernd Neumann
Henry NitzscheMichaela NollGünter NookeDr. Georg NüßleinFranz ObermeierMelanie OßwaldEduard OswaldRita PawelskiDr. Peter PaziorekUlrich PetzoldDr. Joachim PfeifferSibylle PfeifferDr. Friedbert PflügerBeatrix PhilippRonald PofallaRuprecht PolenzThomas RachelHans RaidelDr. Peter RamsauerHelmut RauberPeter RauenChrista Reichard
Katherina ReicheKlaus RiegertDr. Heinz RiesenhuberHannelore RoedelFranz RomerHeinrich-Wilhelm RonsöhrDr. Klaus RoseKurt J. RossmanithDr. Norbert RöttgenDr. Christian RuckVolker RüheAlbert Rupprecht
Peter RzepkaAnita Schäfer
Dr. Wolfgang SchäubleAndreas ScheuerNorbert SchindlerGeorg SchirmbeckAngela SchmidBernd SchmidbauerChristian Schmidt
Dr. Andreas SchockenhoffDr. Ole SchröderBernhard Schulte-DrüggelteUwe SchummerWilhelm Josef SebastianHorst SeehoferKurt SegnerMatthias SehlingMarion SeibHeinz SeiffertBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerErika SteinbachGero StorjohannAndreas StormMax StraubingerMatthäus StreblThomas Strobl
Lena StrothmannMichael StübgenAntje TillmannEdeltraut TöpferDr. Hans-Peter UhlArnold VaatzVolkmar Uwe VogelAndrea Astrid VoßhoffGerhard WächterMarko WanderwitzPeter Weiß
Gerald Weiß
Ingo WellenreutherAnnette Widmann-MauzKlaus-Peter WillschWilly Wimmer
Matthias WissmannWerner WittlichElke WülfingWolfgang ZeitlmannWolfgang ZöllerNeinSPDDr. Lale AkgünGerd AndresIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHermann BachmaierErnst Bahr
Doris BarnettDr. Hans-Peter BartelsEckhardt Barthel
Klaus Barthel
Sören BartolSabine BätzingUwe BeckmeyerKlaus Uwe BenneterDr. Axel BergUte BergHans-Werner BertlPetra BierwirthRudolf BindigLothar Binding
Gerd Friedrich BollmannKlaus BrandnerWilli BraseBernhard Brinkmann
Hans-Günter BruckmannMarco BülowUlla BurchardtDr. Michael BürschHans Martin BuryMarion Caspers-MerkDr. Peter DanckertDr. Herta Däubler-GmelinKarl DillerMartin DörmannPeter DreßenElvira Drobinski-WeißDetlef DzembritzkiSebastian EdathySiegmund EhrmannHans EichelMartina EickhoffMarga ElserGernot ErlerPetra ErnstbergerKarin Evers-MeyerAnnette FaßeElke FernerGabriele FograscherRainer FornahlGabriele FrechenDagmar FreitagLilo Friedrich
Iris GleickeGünter GloserUwe GöllnerRenate GradistanacAngelika Graf
Dieter GrasedieckMonika GriefahnKerstin GrieseGabriele GronebergAchim GroßmannWolfgang GrotthausKarl Hermann Haack
Hans-Joachim HackerBettina HagedornKlaus HagemannAlfred HartenbachMichael Hartmann
Nina HauerHubertus HeilReinhold HemkerRolf HempelmannDr. Barbara HendricksGustav HerzogPetra HeßMonika HeubaumGisela HilbrechtGabriele Hiller-OhmStephan HilsbergGerd HöferJelena Hoffmann
Walter Hoffmann
Iris Hoffmann
Frank Hofmann
Eike HovermannKlaas HübnerChristel HummeLothar IbrüggerRenate JägerJann-Peter JanssenJohannes KahrsUlrich KasparickDr. h.c. Susanne KastnerUlrich KelberHans-Peter KemperKlaus KirschnerAstrid KlugDr. Bärbel KoflerDr. Heinz KöhlerWalter KolbowFritz Rudolf KörperKarin KortmannRolf KramerAnette KrammeErnst KranzNicolette KresslVolker KröningDr. Hans-Ulrich KrügerAngelika Krüger-LeißnerHorst KubatschkaHelga Kühn-MengelUte KumpfDr. Uwe KüsterChristine LambrechtChristian Lange
Christine LehderWaltraud LehnEckhart LeweringGötz-Peter LohmannGabriele Lösekrug-MöllerErika LotzDr. Christine LucygaDirk ManzewskiTobias MarholdLothar MarkCaren MarksHilde MattheisMarkus MeckelUlrike MehlPetra-Evelyne MerkelUlrike MertenAngelika MertensUrsula MoggMichael Müller
Christian Müller
Gesine MulthauptFranz MünteferingDr. Rolf MützenichVolker Neumann
Dietmar NietanDr. Erika OberHolger Ortel
Metadaten/Kopzeile:
13252 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Vizepräsident Dr. Norbert LammertReinhold RobbeRené RöspelJoachim StünkerJörg Tauss Jutta Dümpe-KrügerFranziska Eichstädt-Bohlig Angelika BrunkhorstDr. Ernst Dieter RossmannKarin Roth
Michael Roth
Gerhard RübenkönigOrtwin RundeMarlene Rupprecht
Thomas SauerAnton SchaafAxel Schäfer
Gudrun Schaich-WalchBernd ScheelenDr. Hermann ScheerSiegfried SchefflerHorst SchildOtto SchilyHorst Schmidbauer
Ulla Schmidt
Silvia Schmidt
Dagmar Schmidt
Wilhelm Schmidt
Heinz Schmitt
Carsten SchneiderWalter SchölerOlaf ScholzKarsten SchönfeldFritz SchösserWilfried SchreckOttmar SchreinerGerhard SchröderBrigitte Schulte
Reinhard Schultz
Swen Schulz
Dr. Angelica Schwall-DürenDr. Martin SchwanholzRolf SchwanitzErika SimmWir stimmen jetzt über demit festgestellten Ausschussfden Einzelplan 12? – Wer sthält sich? – Damit ist der Eingenommen.Tagesordnungspunkt I.24,den Fraktionen von SPD uneingebrachten Entwurf einesVerkehrswegeplanungsbeschDrucksache 15/4133. Der AJella TeuchnerDr. Gerald ThalheimWolfgang ThierseFranz ThönnesHans-Jürgen UhlRüdiger VeitSimone ViolkaJörg VogelsängerUte Vogt
Dr. Marlies VolkmerHans Georg WagnerHedi WegenerAndreas WeigelPetra WeisReinhard Weis
Gunter WeißgerberGert Weisskirchen
Dr. Ernst Ulrich vonWeizsäckerDr. Rainer WendHildegard WesterLydia WestrichInge Wettig-DanielmeierDr. Margrit WetzelAndrea WickleinJürgen Wieczorek
Heidemarie Wieczorek-ZeulBrigitte Wimmer
Engelbert WistubaBarbara WittigDr. Wolfgang WodargVerena WohllebenWaltraud Wolff
Heidi WrightUta ZapfManfred Helmut ZöllmerDr. Christoph Zöpeln Einzelplan 12 in der hier-assung ab. Wer stimmt fürimmt dagegen? – Wer ent-zelplan 12 mehrheitlich an-Abstimmung über den vond Bündnis 90/Die GrünenGesetzes zur Änderung desleunigungsgesetzes auf derusschuss für Verkehr, BauDr. Uschi EidHans-Josef FellJoseph Fischer
Anja HajdukWinfried HermannAntje HermenauPeter HettlichUlrike HöfkenThilo HoppeJutta Krüger-JacobFritz KuhnRenate KünastMarkus KurthUndine Kurth
Dr. Reinhard LoskeAnna LührmannJerzy MontagKerstin Müller
Winfried NachtweiChrista NickelsFriedrich OstendorffSimone ProbstKrista SagerChristine ScheelIrmingard Schewe-GerigkAlbert Schmidt
Werner Schulz
Petra SelgUrsula SowaRainder SteenblockSilke Stokar von NeufornHans-Christian StröbeleJürgen TrittinMarianne TritzDr. Antje Vogel-SperlDr. Antje VollmerDr. Ludger VolmerJosef Philip WinklerMargareta Wolf
und Wohnungswesen empfiehden Gesetzentwurf anzunehmdem Gesetzentwurf zustimmechen. – Wer stimmt dagegeStimme? – Der Gesetzentwumit der Mehrheit der KoalitioDritte Beund Schlussabstimmung. IchGesetzentwurf zustimmen woErnst BurgbacherHelga DaubJörg van EssenUlrike FlachOtto FrickeHorst Friedrich
Rainer FunkeDr. Wolfgang GerhardtHans-Michael GoldmannJoachim Günther
Dr. Karlheinz GuttmacherDr. Christel Happach-KasanUlrich HeinrichBirgit HomburgerDr. Werner HoyerMichael KauchDr. Heinrich L. KolbHellmut KönigshausJürgen KoppelinSibylle LaurischkHarald LeibrechtIna LenkeSabine Leutheusser-SchnarrenbergerMarkus LöningDirk NiebelGünther Friedrich NoltingHans-Joachim Otto
Eberhard Otto
Cornelia PieperGisela PiltzDr. Andreas PinkwartDr. Hermann Otto SolmsDr. Max StadlerCarl-Ludwig ThieleDr. Dieter ThomaeDr. Guido WesterwelleDr. Claudia WintersteinDr. Volker Wissinglt auf Drucksache 15/4254,en. Ich bitte diejenigen, dien wollen, um das Handzei-n? – Wer enthält sich derrf ist in zweiter Beratungn angenommen.ratung bitte diejenigen, die demllen, sich von ihren PlätzenHeinz PaulaJohannes PflugJoachim PoßDr. Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr. Sascha RaabeKarin Rehbock-ZureichGerold ReichenbachDr. Carola ReimannChristel Riemann-HanewinckelWalter RiesterDr. Sigrid Skarpelis-SperkDr. Cornelie Sonntag-WolgastWolfgang SpanierDr. Margrit SpielmannJörg-Otto SpillerDr. Ditmar StaffeltLudwig StieglerRolf StöckelChristoph SträsserRita Streb-HesseDr. Peter StruckBÜNDNIS 90/DIEGRÜNENKerstin AndreaeMarieluise Beck
Volker Beck
Cornelia BehmBirgitt BenderMatthias BerningerGrietje BettinAlexander BondeEkin DeligözDr. Thea DückertFDPGudrun KoppFraktionslose AbgeordneteDr. Gesine LötzschEnthaltenFDPDr. Karl AddicksDaniel Bahr
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13253
(C)
(D)
Vizepräsident Dr. Norbert Lammertzu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sichder Stimme? – Der Gesetzentwurf ist, wenn ich das rich-tig sehe, einstimmig angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.25 auf:Einzelplan 16Bundesministerium für Umwelt, Naturschutzund Reaktorsicherheit– Drucksachen 15/4314, 15/4323 –Berichterstattung:Abgeordnete Elke FernerAlbrecht FeibelFranziska Eichstädt-BohligOtto Fricke Über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/4340, der sich auch auf denEinzelplan 16 bezieht, ist bereits bei Einzelplan 09 abge-stimmt worden. Das entlastet unsere Tagesordnungenorm.Ich rufe gleichzeitig Tagesordnungspunkte I.26 undI.27 auf:I.26 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Neugestaltung des UIG– Drucksachen 15/3406, 15/3680 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-heit
– Drucksache 15/4243 –Berichterstattung:Abgeordnete Petra BierwirthMarie-Luise DöttWinfried HermannMichael KauchI.27 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutzund Reaktorsicherheit zu derVerordnung der BundesregierungDritte Verordnung zur Änderung der Verpa-ckungsverordnung– Drucksachen 15/4107, 15/4207 Nr. 2.1,15/4248, 15/4266 –Berichterstattung:Abgeordnete Gerd Friedrich BollmannWerner WittlichDr. Antje Vogel-SperlBirgit HomburgerNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Dazuhöre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos-sen.Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-nächst dem Kollegen Albrecht Feibel, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist ei-gentlich eine Selbstverständlichkeit, dass uns die Häuserzuarbeiten. Trotzdem darf ich die Gelegenheit nutzen,herzlichen Dank dafür zu sagen, dass man uns auch überdie Pflicht hinaus mit Informationen beliefert hat, selbstdann, wenn sie für die Häuser nicht so gut ausgefallenund sehr kritisch gewesen sind. Noch einmal herzlichenDank für die objektive Information.Rechtzeitig zur Beratung des Haushalts 2005 hat sichder Präsident des Bundesrechnungshofs zu Wort gemel-det. Er hat diesen Haushalt sehr kritisch gewürdigt.
Lassen Sie mich vorweg zwei Zitate aus dieser Würdi-gung erwähnen. Das erste Zitat lautet:Die finanzwirtschaftliche Situation Deutschlandsentwickelt sich mit einer Dramatik, die immer nochunterschätzt wird.Das zweite Zitat lautet:Die Schieflage– gemeint ist die finanzielle Schieflage des Haus-halts 2005 –ist so extrem, dass es einem den Atem verschlägt.Wann hat ein Präsident des Rechnungshofs solchstarke Worte schon einmal gebraucht und wann hat einPräsident des Rechnungshofs, der auch noch einer Re-gierungspartei angehört, eine solche Kritik schon einmalin die Öffentlichkeit getragen? Das unterstreicht wirk-lich die Dramatik dieses Haushalts, den die Koalitionaus Rot und Grün zu verantworten hat.
Wir haben eine Vielzahl von Sparvorschlägen in denHaushaltsausschuss eingebracht.
Es ist für mich völlig unverständlich, dass die KolleginEichstädt-Bohlig hier vorgetragen hat, es handele sichum kleine Sticheleien. Was ist eigentlich eine kleineSumme, wenn es ums Sparen geht? Kleine Summensummieren sich zu mehrstelligen Millionen
und mehrstellige Millionen summieren sich zu Milliar-den.
Bei der Beratung des Haushalts 2004 haben Sie unsnoch den Vorwurf gemacht, wir würden keine Sparvor-schläge einbringen. Im Gegensatz zu Ihnen haben wirjetzt Sparvorschläge eingebracht. Was haben Sie damitgemacht? Sie haben alle Anträge restlos abgelehnt.
Metadaten/Kopzeile:
13254 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Albrecht Feibel
Auf der einen Seite fordern Sie Kooperation ein, auf deranderen Seite zeigen Sie kein bisschen Bereitschaft,diese durch Zustimmung – meinetwegen auch zu denkleinen Anträgen – zu belohnen.In diesem Jahr haben wir eine stattliche Anzahl vonEinsparungsvorschlägen erarbeitet. Diese Einsparungs-vorschläge wären ein Beitrag dafür gewesen, den Haus-halt etwas mehr ins Gleichgewicht zu bringen. Trotzdemlehnen Sie unsere Sparvorschläge ab. Deshalb ist derHaushalt nach wie vor nicht ausgeglichen. Er ist verfas-sungswidrig.
Lassen Sie mich deshalb noch ein Zitat des Präsiden-ten des Bundesrechnungshofs vortragen:Eigentlich müsste es selbstverständlich sein, dassder Bund in Zeiten knapper Kassen– ich sage, sie sind total leer –besonders verantwortungsbewusst mit öffentlichenMitteln umgeht.Mit seiner Kritik am Haushalt 2005 bestätigt HerrEngels, dass die Bundesregierung verantwortungslos mitdem Geld der Bürger umgeht und dass Sie keine Verant-wortung zeigen, wenn es darum geht, den Haushalt kri-tisch zu betrachten.
Wir haben also Vorschläge gemacht, wo man sparenkann. Ein Beispiel sind die Personalkosten. Zunächstkommt der Umweltminister der Aufforderung desFinanzministers nach und kürzt bei den regulären Perso-nalkosten. Gleichzeitig erhöht er seine Aufwendungenfür Aushilfen und Sonderverträge um 8,3 MillionenEuro.
Ein weiteres Beispiel ist die Förderung der Ver-bände. Es ist hier schon einige Male erwähnt worden,was alles gefördert wird. Da muss man sich die Fragestellen, ob es in Zeiten wirklich leerer Kassen noch zurechtfertigen ist, was der Bundesumweltminister allesfördert. Ich will ein paar Kostproben zum Besten geben.Das bundesweite Management für große Beutegreiferwird gefördert. Anscheinend sollen diese Vögel Geld indie Kasse bringen. Der Islamrat wird mit einem relativgeringen Betrag für das Programm „Islam und Umwelt-schutz am Beispiel des Wassers“ gefördert. Der Islamratist die Einrichtung, die der Bundesinnenminister von sei-nen Einrichtungen überwachen lässt, wohingegen derBundesumweltminister genau diese Einrichtung fördert.
Da wird Geld für ein Leitsystem nachhaltige Produkteim Einzelhandel, Duftstoffe in Innenräumen und dieStärkung nachhaltiger Reiseangebote ausgegeben. Wennman sich diese Angebote genauer ansieht, merkt man,dass dahinter ein Unternehmen steht, das damit Geldverdient. Genauso ist es mit „Klima Kompakt“, bei demes um Internetinformationen geht, mit denen ein Unter-nehmen Geld verdient.
„Frauen für eine giftfreie Zukunft“ sind dem Umweltmi-nister 50 000 Euro wert. Es fehlt nur noch das, was imWahlkampf in einer anderen deutschen Region, nämlichin Rheinland-Pfalz, verkündet wurde: Dort ist der LKWdie „Achse des Bösen“. Ich warte noch darauf, dass derUmweltminister auch solche Programme fördert.Genauso sieht es bei der Förderung von Aus-landsprojekten aus. Als ein herausragendes Beispielnenne ich hier die Windparks Rusova und Usova inTschechien. Es ist nun wirklich nicht mehr nachzuvoll-ziehen, dass wir in Zeiten, in denen kein Geld in derKasse ist, Projekte im Ausland fördern, die von dem je-weiligen Land – in diesem Fall Tschechien – überhauptnicht gewollt werden.
2,5 Millionen Euro sind dafür bereitgestellt worden. Biszum September dieses Jahres sind gerade einmal900 000 Euro abgerufen worden. Wenn Sie die letzten Jahre verfolgen, dann werdenSie feststellen, dass diese Auslandsprojekte in den jewei-ligen Ländern überhaupt keine Akzeptanz finden. Des-halb sollten Sie einmal darüber nachdenken, ob Sie hiernoch auf dem richtigen Weg sind.Auch bei den Dienstreisen haben wir Einsparungenvorgeschlagen. 5 Millionen Euro für ein schlechtes Rei-semanagement sind ganz einfach zu viel. Gleiches giltfür die Fachbeiräte und sachverständigen Berater mit4,3 Millionen Euro.Ist der Haushalt ruiniert, lebt’s sich weiter ungeniert –so könnte man über den Haushalt 2005 schreiben.
Ich frage mich, warum der Minister für eine schlechtePolitik ein neues Ministerium braucht.
40 Millionen Euro könnten wir einsparen, wenn er indem Gebäude bliebe, in dem er jetzt seine Politik macht.Auch durch ein neues Haus wird die Politik von HerrnTrittin garantiert nicht besser.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13255
(C)
(D)
Albrecht FeibelDie Kollegin Böhmer hat hier die Kosten für dieArbeitsplätze im Bereich der Windenergie angespro-chen. Wir alle sind natürlich für erneuerbare Energien.
Aber bei Überförderung müssen wir Halt rufen. DerKollege Hans-Josef Fell hat der Kollegin Böhmer heftigwidersprochen,
als sie vorgetragen hat, dass die Arbeitsplätze im Be-reich der Windenergie eine Unmenge an Geld kosten.Ich darf Ihnen hier zwei Zahlen nennen. Das Internatio-nale Wirtschaftsforum stellt fest: Ein Arbeitsplatz in derdeutschen Steinkohle kostet 50 000 Euro an Zuschüssen;ein Arbeitsplatz in der Windenergiebranche kostet der-zeit etwa 150 000 Euro an Zuschüssen. Damit kann mandas Problem der fehlenden Beschäftigung in unserer Re-publik nicht lösen.
Eine weitere Position, bei der wir Millionen einsparenkönnten, sind die Endlager.
Mehrendlager, Einendlager, viele Zwischenlager: Siekosten uns ungeheure Mengen Geld. Allein die Investi-tionen in Gorleben kosten 1,5 Milliarden Euro. Sie wer-den nicht genutzt. Der Steuerzahler darf jährlich60 Millionen Euro aufbringen, damit diese beiden Ein-richtungen offen gehalten werden, ohne dass sie wirklicheiner Nutzung zugeführt werden.
Abschließend eine Bemerkung über eine Sache, diewir sehr kritisch betrachten müssen. Es geht um dieFrage, wohin Herr Trittin die Nuklearforschung führt.Wenn wir uns in Karlsruhe oder Oberschleißheim umse-hen, dann stellen wir fest, dass dort die Forschung in die-sem Bereich sozusagen auf null zurückgeführt wird.Jeder von uns weiß, dass Nuklearforschung nicht nur fürzukünftige Kernkraftwerke von Nutzen ist, sondern dasswir auch im medizinischen Bereich und anderswo dieNuklearforschung dringend brauchen. Deshalb ist diePolitik, die wissenschaftliche Begleitung der Kernener-gie auf null zu reduzieren, absolut verantwortungslos.Deshalb lehnen wir den Einzelplan 16 ab.
Das Wort hat die Kollegin Elke Ferner, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Aufeinige Punkte, die der Kollege Feibel eben angesprochenhat, werde ich noch zu sprechen kommen. Ich möchtezunächst deutlich machen, wie die Situation jetzt aus-sieht und wie sie 1998 gewesen ist.
1998 hat der Umwelthaushalt ein Volumen von620 Millionen Euro gehabt. Im nächsten Jahr hat derUmwelthaushalt ein Volumen von 769 Millionen Euro.
– Ihre Kolleginnen und Kollegen im Umweltausschusssagen immer, es sei viel zu wenig Geld da. Jetzt sage ichIhnen, dass im Jahr 2005 mehr Geld für Umweltpolitikim Einzelplan des Umweltministeriums zur Verfügungsteht als 1998,
und das ist Ihnen auch nicht recht. Sie müssen sich schonentscheiden, was Sie eigentlich möchten.
Dieses Volumen konnten wir erreichen, obwohl auchim Umwelthaushalt die Streichungen der Koch/Stein-brück-Liste umgesetzt und wie in allen Einzelplänen imPersonalbereich 1,5 Prozent gespart werden mussten.Hinzu kommen noch weitere Konsolidierungsmaßnah-men.
Das BMU wird sich auch an der globalen Minderaus-gabe beteiligen müssen. Ich habe allerdings bei derHaushaltsberatung – es war zugegebenermaßen schonrecht spät, als wir zu dem Deckblatt gekommen sind, aufdem die globale Minderausgabe auf die Einzelpläne um-gelegt worden ist – keinen Antrag von Ihnen gefunden,mit dem eine geringere Beteiligung des Umweltministe-riums an der globalen Minderausgabe gefordert wordenwäre.
Im Übrigen haben Sie das bei keinem einzigen Einzel-plan gemacht. Deshalb sollten Sie sich jetzt nicht künst-lich aufregen.Die Schwerpunkte liegen mit knapp 263 MillionenEuro bei den erneuerbaren Energien, bei den Natur-schutzgroßprojekten mit 15 Millionen Euro auf demVorjahresniveau. Es gibt im Umweltforschungstitel58,1 Millionen Euro für Beratungshilfen für die MOE-Staaten und für Projektförderung der Umwelt- undNaturschutzverbände, Erprobungs- und Entwicklungs-vorhaben im Naturschutz und die Pilotprojekte im Inlandund im Ausland. Das sind wichtige Maßnahmen, die zu
Metadaten/Kopzeile:
13256 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Elke Fernereiner Verbesserung des Umweltschutzes beitragen. Vorallen Dingen wird die Koalition damit ihrer Verantwor-tung im Bereich des Umweltschutzes und des Natur-schutzes gerecht.
Eine Zwischenfrage des Kollegen Kalb.
Frau Kollegin Ferner, können Sie mir erklären, wie es
sein kann, dass die globale Minderausgabe auf den
Einzelplan 16 umgelegt werden muss, wo doch gestern
Abend bei der Beratung des Einzelplans 23 der Abge-
ordnete Diller von seinem Abgeordnetenplatz aus im
Rahmen einer Zwischenfrage an den Kollegen Borchert
bemerkt hat, der Einzelplan 23 werde von der Umlegung
der globalen Minderausgabe ausgenommen, weil im
Einzelplan 60 dafür ausreichend Vorsorge getroffen wor-
den sei?
Wie erklären Sie es sich, dass der Kollege Diller, der
schließlich auch Staatssekretär ist, eine solche Aussage
als Abgeordneter trifft, und dass – sofern das zutrifft –
einzelne Etats unterschiedlich behandelt werden?
Zunächst einmal haben wir nicht die kompletten2 Milliarden Euro auf die Einzelpläne aufgeteilt, sondernes sind insgesamt etwas über 800 Millionen Euro, die so-zusagen einzelplangenau umgelegt worden sind. Wirwissen aber, dass es insbesondere im Bereich des Einzel-plans 23, wirtschaftliche Zusammenarbeit, und auch imBereich des Einzelplans des Auswärtigen Amtes immerwieder Ereignisse gibt, die nicht voraussehbar sind. Sowar vor einem Jahr, als wir den Haushalt 2004 beschlos-sen haben, die Situation im Sudan nicht vorauszusehen.Insofern konnte seinerzeit niemand wissen, dass dafürzusätzliche Mittel notwendig würden.Insofern gehe ich davon aus, dass das, was wir imAusschuss beschlossen haben, auch so umgesetzt wird.Wir wissen alle – das war zu Ihrer Regierungszeit nichtanders als in unserer –, dass sich im Haushaltsvollzugdurchaus andere Notwendigkeiten ergeben können unddass dann entsprechend nachgesteuert werden muss.Ich komme jetzt zur Energiepolitik. Wir setzen auf dieZukunft, nämlich auf die erneuerbaren Energien. Mit263 Millionen Euro macht der Bereich der erneuerbarenEnergien 34 Prozent des gesamten Umwelthaushaltesaus. Die CDU/CSU wollte bei dem Titel eine Kürzungum 12 Millionen Euro vornehmen und die FDP wollteihn sogar um 16,5 Millionen Euro kürzen. Soviel zumThema, wie es die FDP und die Union mit Zukunftstech-nologien halten.
Die FDP will stattdessen zurück zur Atomwirtschaft.Sie haben einen Erhöhungsantrag von 114,4 MillionenEuro für den Endlagerbereich gestellt. Damit wollen Siesogar das Endlager Gorleben und – ich sehe gerade denKollegen Schmidt – das Projekt Konrad fertig stellen.
Herr Kollege Feibel hat eben die Zwischenlager kri-tisiert.
Es dürfte Ihnen nicht verborgen geblieben sein, dassAtommüll, wenn er aus dem Reaktor herauskommt,nicht sofort unter Tage verbracht werden kann, weil be-stimmter Atommüll aus rein physikalischen Gründeneine gewisse Zeit abklingen muss, damit er abkühlt.
Aber das alles scheint Sie nicht zu interessieren.
Mich wundert ein solcher Antrag der FDP, weil eseine Vereinbarung mit der Energiewirtschaft gibt – dasMoratorium – und weil Gerichtsverfahren anhängigsind.
Sie müssen sich schon fragen lassen, wie Sie das mit Ih-rer Tradition als Rechtsstaatspartei vereinbaren können.
Zu Ihrer Regierungszeit – CDU/CSU und FDP – wur-den die regenerativen Energien sträflich vernachlässigt.
– Es war weniger, sehr verehrter Herr Kollege Paziorek. –Zu Ihrer Zeit gab es auch keine CO2-Minderungspro-gramme im Gebäudebereich oder zum Beispiel Lärm-schutz an bestehenden Schienenwegen. Das haben erstwir als rot-grüne Koalition auf den Weg gebracht.
Mit dem Marktanreizprogramm und den Energiefor-schungstiteln setzen wir auf eine schnellere Verbreitungund vor allen Dingen auch auf die Weiterentwicklungder erneuerbaren Energien. Wir tragen damit nicht nurzum Klimaschutz bei, sondern wir stärken auch kleineund mittlere Unternehmen.Werter Herr Kollege Feibel, Sie sollten vielleicht dieQuellen für Ihre Zahlenangaben überprüfen. Was Sieeben zum Besten gegeben haben, werden Sie wohl nichtrichtig belegen können.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13257
(C)
(D)
Elke FernerStatt zur Atomenergie zurückzukehren, wie Sie esmöchten, wollen wir aussteigen. Das erste AKW istschon stillgelegt worden. Ich denke, es ist wichtig, dassdie Bevölkerung sieht, dass der Ausstieg vollzogen wird.Wir haben in diesem Haushalt auch den Umzug desUmweltbundesamtes nach Dessau zu bewältigen. Ichbin sehr dankbar dafür, dass die entsprechenden kw-Stel-len bereitgestellt werden konnten, sodass für die Härte-fälle unter den Beschäftigten die Möglichkeit besteht,nicht umziehen zu müssen. Insofern ist auch in diesemFall ein sozialverträglicher Umzug einer Bundesbehördenach den Entscheidungen der Föderalismuskommissionmöglich.Wir haben hinsichtlich der Einrichtung der Emissi-onshandelsstelle, mit der wir schon im Haushalt 2004begonnen haben, auch im nächsten Haushalt die Voraus-setzungen dafür geschaffen, dass die Zertifikate für denEmissionshandel im Laufe des nächsten Jahres ausge-stellt werden können.Ich komme jetzt zu den Anträgen, die die FDP unddie CDU/CSU gestellt haben, damit jeder weiß, wo dieOpposition sparen will,
und damit vor allem jeder weiß, wie seriös diese Spar-vorschläge sind.
Zunächst zu den Anträgen der FDP: Die FDP hateine Kürzung der Mittel für erneuerbare Energien um16,5 Millionen Euro beantragt.
– Die Mittel sollen von bisher 196 Millionen Euro um16,5 Millionen Euro gekürzt werden. Das wird dochwohl jeder ausrechnen können. – Die Mittel für Untersu-chungen zu Fragen des Strahlenschutzes – dabei geht esauch um solche Kleinigkeiten wie Gesundheitsschutz –sollen um 2,81 Millionen Euro gekürzt werden. DieserKürzungsantrag ist schon sehr bemerkenswert.Weiter wollen Sie die Mittel für die internationale Zu-sammenarbeit im Umweltschutz und für Beiträge an in-ternationale Organisationen kürzen. Diesen Antrag hatauch die Union gestellt. Das ist natürlich der Hammer.Das Ministerium war so freundlich, uns einmal aufzulis-ten, wann die jeweiligen Verpflichtungen eingegangenworden sind. Jetzt könnten wir ein kleines Ratespiel ver-anstalten. Die internationalen Verpflichtungen und dieVerpflichtungen zur Zahlung von Beiträgen an interna-tionale Organisationen sind in der überwiegenden Zahlvor 1998 eingegangen worden. Aber das scheint die Da-men und Herren heute ja nicht mehr zu interessieren.
Weitere Kürzungsvorschläge gab es bei der Projekt-förderung und bei den flexibilisierten Titeln über Einzel-anträge. Die FDP hat außerdem eine Kürzung von12 Prozent über alle flexibilisierten Titel beantragt. Ins-gesamt wurden Kürzungen in Höhe von 44,7 Millio-nen Euro beantragt.Die Union wollte Kürzungen bei Pilotprojekten Aus-land, bei erneuerbaren Energien und bei flexibilisiertenTiteln; außerdem hat sie pauschal eine Kürzung von10 Prozent bei den flexibilisierten Mitteln beantragt. Siekam auf Kürzungen von ungefähr 43 Millionen Euro.
– Sie müssen jetzt bitte einmal zuhören, weil ich Ihnennachweisen will, wie seriös Ihre Vorschläge sind. Ichgreife als Beispiel die zehnprozentige Kürzung der flexi-bilisierten Mittel heraus, die die Union beantragt hat.Das Gleiche kann man natürlich auch mit 12 Prozent rech-nen. Insgesamt stehen im Haushalt 200 401 000 Euro fle-xibilisierte Mittel. 10 Prozent davon sind rund 20 Mil-lionen Euro.Was sind flexibilisierte Mittel?
Das ist einmal die Hauptgruppe 4, Personal, in der un-ter anderem die Kosten für Beamte und Beamtinnen, fürdie Beihilfe und für die Auszubildenden enthalten sind.Diese Beträge müsste man zunächst abziehen. Beamtenkann man ja schlecht von heute auf morgen kündigen;das hätte zumindest Ausgaben für Pensionen und andereKosten zur Folge. Beihilfen können wir auch außen vorlassen, ebenso Kosten für die Auszubildenden, weil ichnicht davon ausgehe, dass sie Ausbildungsplätze ab-schaffen wollen.
– Herr Kollege Feibel, es geht um die Auszubildenden;ich kann Ihnen die Zahlen gerne geben, damit Sie end-lich einmal sehen, welchen Mist Sie gerechnet haben. –Wenn man diese Beträge herausrechnet, verbleiben theo-retisch disponible Personalausgaben von 79 Millio-nen Euro. 10 Prozent der gesamten Personalkosten sindaber schon 14 Millionen Euro.
Ich gehe einmal davon aus, dass Sie in der Haupt-gruppe 5, Sächliche Verwaltungskosten, und in denHauptgruppen 7 und 8, Investitionen, keine Einsparun-gen vornehmen wollen, weil ich davon überzeugt bin,dass Sie sich die eigene Linie der Nettokreditaufnahmenicht kürzen wollen.Würde man den Betrag nur auf die Personalkostenohne Beamte und Beamtinnen und ohne Auszubildendeumlegen, müsste man 371 Stellen für Arbeiter, Arbeite-rinnen und Angestellte streichen. Dann würden im ge-samten Umweltministerium und im Bundesamt für Na-turschutz ab dem 1. Januar 2005 keine Arbeiter undArbeiterinnen und keine Angestellten mehr arbeiten. Sie
Metadaten/Kopzeile:
13258 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Elke Fernermüssten fristlos entlassen werden. Die Kosten, die dannbei der Bundesagentur für Arbeit anfallen würden,rechne ich noch nicht mit.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Fricke?
Gerne.
Frau Kollegin Ferner, ich bringe Sie ja ungern von Ih-
ren Erörterungen zur Personalpolitik des Umweltminis-
teriums ab, aber ich möchte Sie doch fragen: Stimmen
Sie im Hinblick auf unsere Sparvorschläge, die Sie kriti-
siert haben – wobei Sie die absoluten Zahlen bewusst
nicht genannt haben –, meiner Feststellung zu, dass ein
Land, das nicht spart, irgendwann für die nachhaltige
Aufgabe des Schutzes der Umwelt überhaupt kein Geld
mehr hat?
Ich gebe Ihnen Recht,
dass man sparen muss. Das hat diese Regierung auch ge-tan. Die Staatsquote ist niedriger als zu Ihrer Regie-rungszeit, genauso wie die Ausgaben, der Personalstandund viele Subventionstatbestände. Wenn Sie vorher nichtso freigiebig mit dem Geld umgegangen wären, ginge esuns heute besser.
In den letzten beiden Tagen ist ja durchaus deutlich ge-worden, wer welchen Anteil an der heutigen Pro-Kopf-Verschuldung hat. Diejenigen, die in diesem Haus amlängsten in der Regierungsverantwortung waren, sindSie, meine sehr verehrten Damen und Herren von derFDP.Ich komme zurück auf die „echten“ Einsparungen Ih-res Vorschlags, die flexibilisierten Mittel um 10 Prozentzu kürzen. Wenn man 10 Prozent der Gesamtpersonal-kosten auf disponible Personalkosten umlegt, müsstennoch immer 6 Millionen Euro bei den flexibilisiertenMitteln eingespart werden. Das ist fast der gesamte Ge-schäftsbedarf in der Hauptgruppe 5. Das hieße, dass dienoch verbleibenden 255 Angestellten und Arbeiter Blei-stifte, Radiergummis und Papier mitbringen sowie Portound dienstlich veranlasste Telefonkosten selber zahlenmüssten. Das würde quasi die Umsetzung Ihres 10-Pro-zent-Vorschlags bedeuten.Wenn man bedenkt, dass auch Sie niemandem im öf-fentlichen Dienst fristlos kündigen können – der Perso-nalhaushalt muss also herausgenommen werden –,müssten Sie 20 Millionen Euro nur in der Hauptgruppe 5einsparen. Das wäre eine Halbierung der Mittel. Dashieße, es gäbe auch keine Fortbildungen, Dienstreisenund vieles andere nicht mehr.
– Ich glaube nicht, dass man von Luxus sprechen kann,wenn die Beamtinnen und Beamten sowie die Mitarbei-terinnen und Mitarbeiter des Bundesumweltministeri-ums mit Dienstsitz in Bonn zu uns nach Berlin kommen,um im Umweltausschuss oder im HaushaltsausschussRede und Antwort zu stehen. Man kann den Kolleginnenund Kollegen im Ministerium wohl nicht zumuten, dasalles aus eigener Tasche zu zahlen, damit wir Antwortenauf unsere Fragen bekommen.Das, was Sie dort gemacht haben, ist eine Luftnum-mer. Es kommt noch Folgendes hinzu. Sie haben bei derEinzelplanberatung eine Kürzung der flexibilisierten Ti-tel – die CDU/CSU um knapp 5 Millionen Euro, dieFDP um 2,4 Millionen Euro – beantragt. Wenn Sie rich-tig rechnen könnten – das können Sie offensichtlichnicht –,
dann hätten Sie als Basis für die 10-prozentige Kürzungnicht den Regierungsansatz nehmen dürfen; denn dieEinsparungen, die Sie dort vornehmen, rechnen Sie Ih-ren Gesamteinsparungen hinzu. Sie hätten sie aber logi-scherweise von der Gesamtsumme abziehen müssen.
Herr Feibel, es scheint Ihnen nun offenbar zu werden,dass Sie nicht richtig gerechnet haben. Hätten Sie an derPISA-Studie teilgenommen, wäre der Durchschnitt – zu-mindest im Fach Mathematik – leider noch weiter gesun-ken.
– Herr Kollege Feibel, ich werde mich mit Ihnen auf kei-nen Dialog einlassen. Stellen Sie doch eine Zwischen-frage, anstatt herumzubrüllen.
Wenn man sich Ihre Einsparvorschläge genau an-schaut, dann sieht man, dass sie substanzlos sind. SolcheEinsparvorschläge macht man nur, wenn man sie selbernicht umsetzen muss.
Ich glaube, das Bundesverfassungsgericht wird würdi-gen, dass Sie fast nur Scheineinsparungen beantragt ha-ben. Ihre Vorschläge sind zu über 90 Prozent nicht um-setzbar. Man kann sicherlich über die Setzung politischerSchwerpunkte streiten. Dafür sind wir an der Regierung,nicht Sie. Wenn Sie irgendwann einmal wieder an derRegierung sein werden, dann werden Sie bestimmt an-dere Schwerpunkte setzen. Das wird aber noch eineganze Weile dauern.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13259
(C)
(D)
Elke Ferner
Zum Schluss möchte ich noch einmal deutlich ma-chen: Wir haben in einer schwierigen Lage einen solidenHaushalt aufgestellt. Trotz dieser schwierigen Lage wirddie Steuerreform zum 1. Januar 2005 in Kraft treten. DerEingangssteuersatz wird dann so niedrig wie nie zuvor indieser Republik sein. Sie haben das in 16 Jahrenschwarz-gelber Koalition nicht zustande gebracht. Dasmuss man einfach einmal feststellen.
Der Haushalt ist verfassungskonform. Der Umfangder Investitionen ist größer als der der Nettokreditauf-nahme. Herr Feibel hat eben leere Kassen angesprochen.Was tun Sie denn, um die Kassen etwas voller zu ma-chen?
Sie blockieren im Bundesrat jede Einnahmeverbesse-rung. Ich sage Ihnen eines voraus: Ihre Ministerpräsi-denten werden, weil ihnen das Wasser nicht mehr „Ober-kante Unterlippe“, sondern längst höher steht, nach undnach einknicken, wenn es um die Einnahmeverbesse-rung geht. Zumindest der saarländische Ministerpräsi-dent hat angekündigt, dass er nicht mehr gegen die Ab-schaffung der Eigenheimzulage sein wird. Wir werdensehen, wie weit wir da kommen.Da wir gerade bei dem saarländischen Ministerpräsi-denten sind, möchte ich noch Folgendes zum Besten ge-ben, damit wirklich jeder begreift, was die CDU in einerAlleinregierung unter solider Haushaltsführung versteht:
– Oh, Herr Austermann, falscher Zwischenruf. – In dieKasse des Saarlandes sind aufgrund der Teilentschul-dung durch den Bund in den letzten viereinhalb Jahrenknapp 4 Milliarden Euro zusätzlich geflossen.
– Ich rede von Ihrer Regierungszeit, Herr Feibel. – Inden letzten viereinhalb Jahren hat das Saarland über4,5 Milliarden Euro zur Teilentschuldung erhalten. Indieser Zeit war bekanntlich der Ministerpräsident Mülleran der Regierung. Um wie viel sind die Schulden diesesLandes in den letzten fünf Jahren Ihrer Meinung nachgestiegen? Der Schuldenstand ist nicht gleich geblieben,er ist auch nicht um 4 Milliarden Euro gesunken, son-dern er ist um 3 Milliarden Euro gestiegen. Wir redenhier über ein Delta von 7 Milliarden Euro. Das verstehtdie Union unter einer soliden Haushaltspolitik. Ichglaube, unser Haushalt ist dagegen wirklich sehr solide.Ich möchte mich zum Schluss bei den Mitarbeiterin-nen und Mitarbeitern des Ministeriums, insbesondere beiHerrn Püschel und bei Herrn Eisenbarth, für die Zuarbeitbedanken. Ich bedanke mich auch bei den Mitberichter-stattern, bei Herrn Feibel, bei Herrn Fricke und bei FrauEichstädt-Bohlig. Ich hoffe, dass Sie, meine Damen undHerren von der Opposition, sich doch noch eines Besse-ren besinnen und dem Haushalt nachher zustimmen wer-den.
Das Wort hat die Kollegin Birgit Homburger,
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Frau Kollegin Ferner, ich möchte damit beginnen, mitein paar Märchen aufzuräumen, die Sie hier gerade er-zählt haben.
Zunächst haben Sie gesagt, das Volumen des Haus-halts des Umweltministeriums sei größer geworden, seitSie an der Regierung sind. Anschließend haben Sieselbst die regenerativen Energien genannt. In Wirklich-keit haben Sie Umschichtungen vorgenommen: Für ei-niges, wofür früher der Wirtschaftsminister zuständigwar, ist jetzt der Umweltminister zuständig. Demzufolgeist der Haushalt des Umweltministeriums um die ent-sprechenden Titel erweitert worden. Insofern ist dasHaushaltsvolumen zwar gewachsen; aber für die Um-welt insgesamt wird durch diesen Haushalt nicht mehr,sondern weniger getan.
Sie haben uns hier vorgehalten, bei den erneuer-baren Energien kürzen zu wollen. Im grünen Buch zumUmwelthaushalt steht, die größte Errungenschaft diesesHaushalts sei, dass es zu einer Umschichtung von5 Millionen Euro zugunsten der Forschung im Bereichder erneuerbaren Energien komme. Was werfen Sie unseigentlich vor? Wir haben in der Tat Kürzungen diesesEtats beantragt, und zwar beim Titel „Förderung vonEinzelmaßnahmen zur Nutzung erneuerbarer Energien“.Wir haben beantragt, dass diese Mittel von193 Millionen Euro auf 176 Millionen Euro – das ist im-mer noch eine Menge Geld – gekürzt werden. Sie habenallerdings verschwiegen, wofür wir die frei werdendenMittel einsetzen wollen. Wir haben nämlich gleichzeitigeine Erhöhung des Ansatzes für Speichertechnologiengefordert.
Wenn Sie den erneuerbaren Energien wirklich eineZukunftschance geben wollen, dann müssen Sie bei-spielsweise von der Position Abstand nehmen, dassWindenergie nicht grundlastfähig ist, weil diese Art derEnergieerzeugung an das Vorhandensein von Wind
Metadaten/Kopzeile:
13260 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Birgit Homburgergekoppelt ist. Wir müssen dahin kommen, dass regene-rative Energien, auch solche, zu denen man keinen dau-erhaften Zugang hat, grundlastfähig werden. Das werdensie nur, wenn wir sie speichern können.
Dafür müssen wir die Speichertechnologie vorantreiben.Dafür wollen wir das Geld verwenden. Deswegen wardas, was die FDP beantragt hat, sinnvoll.
– Ach, Herr Kelber! Was Sie da erzählen, ist dochQuatsch. Die Experten sind mitnichten anderer Mei-nung. Sie sind schon der Meinung, dass wir da Geld hi-neinstecken müssen.Ich kann Ihnen bei der Gelegenheit sagen, dass es na-türlich nichts bringt, wenn Herr Stolpe und Herr Trittingemeinschaftlich eine Wasserstofftankstelle eröffnenund das großartig feiern, wenn sie dann nicht genügendGeld im Haushalt haben, um das zu fördern, was esbraucht, um die Forschung in dem Bereich so weitvoranzubringen, dass man das flächendeckend einführenkann. Das ist die Tatsache!
Frau Kollegin Ferner, Sie haben gesagt, dass wir allemehr Geld verlangen. Das verlangen wir gar nicht. Wirvon der FDP wissen sehr wohl, dass der größere Teil derUmweltpolitik nicht im Haushalt gemacht wird
sondern außerhalb dieses Haushalts.
Dazu haben Sie gar nichts gesagt, meines Erachtens ausgutem Grund: weil man zu dem Desaster, das Sie hierabliefern, aus Ihrer Sicht auch nicht allzu viel sagenkann.
Was zeichnet erfolgreiche Umweltpolitik eigentlichaus? Das ist doch eine Frage, die Sie sich einmal stellenkönnten. Ich bin der Meinung: Eine erfolgreiche Um-weltpolitik macht man, wenn man ökologische Zielevorgibt und dann verlässliche Rahmenbedingungensetzt. Das tun Sie nicht. Stattdessen wird von dieser Re-gierung permanent bevormundet, verhindert und regu-liert. Das ist das, was Sie in der Umweltpolitik tun.Wenn auf mehr Freiheit und auf marktwirtschaftliche In-strumente in der Umweltpolitik gesetzt werden soll, sowie wir das für richtig halten, dann muss jedes Mal dieFDP die Regierung zum Jagen tragen.
Ich will Ihnen das an ein paar Beispielen deutlich ma-chen. Beispiel Mülltrennung. Herr Bundesumweltmi-nister Trittin, Sie sind immer noch der Auffassung,Mülltrennung sei pädagogisch wertvoll und eine dergrößten Errungenschaften des Umweltschutzes inDeutschland.
Das geht an der technischen Entwicklung natürlich völ-lig vorbei. Zwischenzeitlich ist die Situation die, dassgenauso viel Restmüll im gelben Sack ist, wie verwert-bare Materialien im Restmüll sind. Also muss man sichdoch die Frage stellen, ob man den Müll nicht gemein-sam sammelt,
technisch auseinander sortiert, was heutzutage möglichist, um dann mehr zu verwerten, also einen ökologischenVorteil zu haben, und auch noch die Bürgerinnen undBürger zu entlasten. Wenn Sie das nicht von sich aus tun,dann werden wir Sie dazu zwingen. Wir werden in dernächsten Woche bei einer Anhörung im Umweltaus-schuss des Deutschen Bundestages die Gelegenheit ha-ben, die Meinung der Experten zu hören. Die ersten Stel-lungnahmen sind schon da. Sie besagen ganz deutlich,dass ein hohes ökologisches und ökonomisches Poten-zial erschlossen werden kann, wenn man das macht, wasdie FDP vorschlägt.
Ich möchte Ihnen etwas zur Verpackungsverord-nung sagen, die wir heute mit beraten. Wir stehen jetztzum wiederholten Mal vor der Situation, dass die Verpa-ckungsverordnung novelliert wird. Als wir hier dasletzte Mal darüber diskutiert haben, habe ich Ihnen aus-drücklich gesagt, dass das, was Sie vorgelegt haben,nicht europarechtskonform ist. Das hat man ignoriert;das kann man natürlich machen. Das Ergebnis war Fol-gendes: Zwei Tage, nachdem der Bundesrat beratenhatte, haben sowohl Herr Schnappauf aus Bayern alsauch Frau Höhn aus Nordrhein-Westfalen und kurzdarauf auch Herr Umweltminister Trittin erklärt: Jawohl,das ist nicht europarechtskonform. Das müssen wir jetztnoch einmal ändern.Nun soll es also noch einmal geändert werden. Nur,was Sie vorgelegt haben – wir hatten dazu in dieser Wo-che eine Anhörung im Umweltausschuss des DeutschenBundestages –, ist wieder nicht europarechtskonformund das wissen Sie genauso gut wie wir.
Hören Sie also endlich auf mit diesem Zwangspfandzir-kus, den Sie hier veranstalten!
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13261
(C)
(D)
Birgit HomburgerWarten Sie das Urteil des Europäischen Gerichtshofs ab,das am 14. Dezember ergehen soll! Anschließend kön-nen wir gemeinsam eine vernünftige Regelung finden.Dafür plädieren wir.
Der Kollege Kauch wird nachher Gelegenheit haben,zu anderen Bereichen noch etwas zu sagen. Es ist bedau-erlich, dass man in sechs Minuten auf eine solche Redevon 17 oder 18 Minuten Dauer antworten muss. Das istausgesprochen schwer.
Wenn ich mir die Umweltpolitik dieser Regierung an-schaue,
dann muss ich sagen: Die FDP steht für eine verlässlicheUmweltpolitik,
dafür, dass klare Vorgaben gemacht werden, und dafür,dass sie auf effiziente Weise umgesetzt werden. Die FDPsetzt auf Freiheit und Verantwortung.
Wir setzen der ökologischen Staatswirtschaft der Grünendie ökologische Marktwirtschaft entgegen. Das – daswerden Sie auch noch einsehen müssen – ist das Kon-zept der Zukunft.
Das Wort hat der Kollege Dr. Reinhard Loske,Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wir diskutieren heute schon zum wiederholten Male inZeiten finanzieller Knappheit einen Haushalt; das istwahr. Deshalb gilt es umso mehr, Schwerpunkte zu set-zen. Der BMU-Haushalt ist ein kleiner Haushalt; daswissen wir alle. Es wurde ja gerade auch von FrauHomburger nicht ganz zu Unrecht gesagt, dass vieleWeichenstellungen außerhalb dieses Haushaltes vorge-nommen werden. Ich will nur einige benennen, da zuvordie These aufgestellt worden war, außerhalb diesesHaushaltes würde nichts für Umweltschutz getan.Zunächst einmal möchte ich auf das Thema Altbau-sanierung eingehen. Die Koalitionsfraktionen haben esmit viel Mühe und mithilfe der Haushälter geschafft, denEtat für das Altbausanierungsprogramm auf dem Niveauvon 360 Millionen Euro zu halten. Ich glaube, das ist einganz großer umweltpolitischer Erfolg. Zum Vergleich:Zu Ihrer Regierungszeit betrug der Ansatz für das Alt-bausanierungsprogramm 20 Millionen DM, also 10 Mil-lionen Euro.
Um den Faktor 36 unterscheidet sich also unser politi-scher Einsatz für diesen Bereich. Das sollten Sie zurKenntnis nehmen.
Als Zweites möchte ich auf die Förderung nach-wachsender Rohstoffe eingehen. Das ist ein ganz wich-tiges Thema. Hier bieten sich in Zukunft große Poten-ziale. Es ist ganz klar: Perspektivisch wollen wir wegvom Öl. Statt auf Öl aus Krisenregionen setzen wir aufPower vom Bauer, auf biogene Treibstoffe, auf nach-wachsende Rohstoffe und auf Bioenergien. Zur Markt-einführung biogener Treibstoffe und zur Unterstützungbesonders investiver Maßnahmen werden bis 2006 zu-sätzlich 25 Millionen Euro bereitgestellt. Ich glaube,hier werden auch außerhalb des BMU-Haushaltes zweiganz wichtige Strategien verfolgt, nämlich Klimaschutzund die Abkehr vom Öl.
Als Drittes möchte ich den Bereich Entwicklungszu-sammenarbeit ansprechen. Herr Feibel hat eben so ab-fällige Bemerkungen in der Art gemacht: Wir haben sel-ber kein Geld, wir können uns dieses oder jenes jetztnicht leisten.
Fakt ist, dass wir die so genannte ODA-Quote durch zu-sätzliche Mittel für Entwicklungszusammenarbeit inHöhe von 76 Millionen im Bereich des AuswärtigenAmtes, von 56 Millionen im Bereich des BMZ und von4 Millionen im Bereich des BMVEL erhöht haben. Esgeht hier um ganz wichtige Themen: Erhalt der Bio-diversität, Ressourcenschutz in Entwicklungsländern,präventive Sicherheitspolitik und Armutsbekämpfung.Diese Ziele sind deckungsgleich mit den Millenniums-zielen, die wir uns in Johannesburg gesteckt haben. JederEuro, der da investiert wird, ist sehr gut angelegt. Siesollten aufhören, darüber abzulästern.
Ich will bei dieser Gelegenheit auch noch einmal er-wähnen, dass das Umweltministerium trotz seines klei-nen Etats in ganz besonderer Weise die internationaleUmweltkooperation vorantreibt. In den Bereichen Kli-mapolitik und erneuerbare Energien wird deren Bedeu-tung noch zunehmen. Deswegen hoffen wir als Grüne,dass das Bemühen um Verbesserung der so genanntenODA-Quote in den nächsten Haushaltsberatungen ver-stärkt dem Umweltministerium zugute kommt. Das wärevon der Sache her notwendig.
Metadaten/Kopzeile:
13262 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Dr. Reinhard Loske
Als Viertes möchte ich auf die nachhaltige Finanz-politik eingehen. Dieser Begriff fiel ja schon; ichglaube, Herr Fricke hat ihn verwendet. Worum handeltes sich denn bei nachhaltiger Finanzpolitik? In ganz ho-hem Maße geht es hierbei um die ökologische Finanzre-form. Da steht natürlich als ganz wichtiges Thema derAbbau umweltschädlicher Subventionen im Vorder-grund. Ich kann Ihnen da nicht ersparen, zu fragen: Wosind Sie eigentlich, wenn es darum geht, so unvernünf-tige Subventionen wie die faktische ZersiedlungsprämieEigenheimzulage abzubauen? Wo sind Sie eigentlich,wenn es darum geht, die Agrardieselsubventionen abzu-bauen? Sie reden von Subventionsabbau. Tatsächlichhängen Sie am Status quo und tun nichts für einen Ab-bau von Subventionen. Sie verhalten sich in dieser Frageganz und gar unglaubwürdig.
Das Gleiche gilt für die Ökosteuer. Bei kaum einempolitischen Projekt ist es gelungen, die angekündigtenZiele so klar zu realisieren wie bei der ökologischenFinanzreform. Das hat uns die Stellungnahme des Fi-nanzministeriums jetzt ja auch noch einmal ganz klar vorAugen geführt. Die ökologische Steuerreform hat Len-kungswirkungen gezeitigt. Sie hat einen Beitrag zur Sen-kung der CO2-Emissionen geleistet. Sie hat einen Bei-trag zur Energieeinsparung geleistet und sie hat einenBeitrag zur Verbesserung der Arbeitsmarktbedingungengeleistet, da durch die mit ihr verbundenen Einnahmendie Rentenversicherungsbeiträge gesenkt werden konn-ten. Die größten Gegner dieses Projekts waren stets Sie,meine Damen und Herren von der Opposition. Auch indiesem Punkt mangelt es Ihnen an Glaubwürdigkeit. Dasmuss ich Ihnen einmal sagen.
Wir werden dieses Instrument noch verfeinern undschauen müssen, wie wir im Steuersystem zusätzlicheAnreize zu umweltgerechtem Verhalten und zu Investi-tionen und Innovationen im Umweltbereich geben kön-nen. Ich denke dabei an den Bereich der Kfz-Steuer undan die steuerliche Ungleichbehandlung von Schienen-und Luftverkehr. Diese halten wir für besonders pro-blematisch. Das kann so nicht bleiben. Es kann nichtsein, dass die Bahnunternehmen die Mehrwertsteuer unddie Energiesteuer voll bezahlen müssen, die Luftver-kehrsunternehmen dagegen weder Mehrwertsteuer nochKerosinsteuer zahlen. Das darf so nicht bleiben.
Gegen diese Ungleichbehandlung werden wir vorgehen.Das ist ein Thema, das auf der Tagesordnung steht. Ichbin froh – das muss ich ganz deutlich sagen –, dass diebritische Regierung jetzt angekündigt hat, ihre EU-Rats-präsidentschaft und auch den G-8-Vorsitz zu nutzen, umdas Thema der Einbeziehung des Luftverkehrs in dieKlimapolitik voranzutreiben. Ich glaube, das ist sehr not-wendig.
Da wird die deutsche Regierung hoffentlich – davongehe ich fest aus – mit der britischen Regierung zusam-men streiten.Wir haben in der nächsten Woche Gelegenheit, aus-führlich über Klimapolitik zu reden, deswegen hier nurein Satz dazu. Das nächste Jahr, das Jahr 2005, wird inSachen Klimapolitik ein ganz entscheidendes Jahr: Am16. Februar 2005 tritt das Kioto-Protokoll in Kraft. Wirwerden das nationale Klimaschutzprogramm weiterent-wickeln und in einen fruchtbaren Wettbewerb mit denBriten eintreten. Ich denke, das ist ein Wettbewerb, denwir nicht fürchten müssen, bei dem wir aber kämpfenmüssen, dass wir ganz vorne bleiben.Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Nächster Redner ist der Kollege Georg Girisch, CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Sie werden mir sicher zustimmen, dass es dasvornehmste Recht in unserer Verfassung ist, dass wirAbgeordnete das Budgetrecht wahrnehmen, insbeson-dere bei einer solchen Debatte. Denn wir meinen, dassman mit dem gezielten Einsatz von Mitteln wichtigeWeichenstellungen für die Entwicklung unseres Landesvornehmen kann und muss. Deshalb nutzen wir als Ab-geordnete auch diese Haushaltsberatungen, um uns mitgutem Grunde mit der Umweltpolitik von Rot-Grün aus-einander zu setzen.Lassen Sie uns zunächst einen Blick darauf werfen,welchen Stellenwert diese Bundesregierung dem Um-weltsektor zumisst. Am leichtesten lässt sich dies an denZahlen festmachen. Während das Gesamtvolumen desBundeshaushalts gegenüber 2004 nahezu unverändertist, wird vor allen Dingen der Umweltetat gekürzt. Dawir als Union für eine schlanke, effiziente Verwaltungsind, könnten wir mit einem sinnvollen und sparsamenEinsatz von öffentlichen Mitteln durchaus leben.
Aber leider kann unter dieser Regierung weder von spar-sam noch von sinnvoll die Rede sein. Ich nenne Ihnenein Beispiel. Mich hat in den vergangenen Jahren beson-ders geärgert, dass der Steuerzahler beispielsweise dieAtomausstiegspartys unseres Ministers bezahlen musste.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13263
(C)
(D)
Georg GirischDa wir als Umweltpolitiker vor allem auf Inhalte ach-ten, wollen wir uns einmal gemeinsam anschauen, wasvon dieser Bundesregierung in letzter Zeit für die Um-welt tatsächlich geleistet wurde. Wie sieht es also bei derinhaltlichen Arbeit der Bundesregierung aus? Was bleibtvon dem Anspruch der Grünen, sie hätten den Umwelt-schutz erfunden, übrig, wenn man einen Blick auf dieBilanz von Minister Trittin wirft?
– Wir in Bayern haben das erste Umweltministerium ge-habt. Ich weiß nicht, wo Sie zur damaligen Zeit gewesensind, Herr Hermann.
Schauen wir uns einmal ein paar Beispiele an: dasDosenpfand, den Klimaschutz, den Lärmschutz und denBürokratieabbau.
In Sachen Verpackungsverordnung und Dosenpfandhat diese Bundesregierung versagt.
Vor zwei Jahren waren sich der Bundesminister, dieBundesregierung und die Minister der A- und B-Ländereinig, dass man in der Verpackungsverordnung, die derHerr Minister vorgelegt hat, vier Punkte ändern sollte.Wir haben gesagt, dass wir mit diesen vier Punkten ein-verstanden sind.
Aber der Herr Minister war nicht in der Lage, uns in Sa-chen Innovationsklausel entgegenzukommen.
Wäre er uns in diesem Punkt entgegengekommen, hättenwir das ganze Dilemma nicht, das wir seit nunmehr zweiJahren vor uns herschieben.
Was passiert jetzt? Wir müssen abwarten, was die eu-roparechtliche Überprüfung am 14. Dezember ergibt. Je-des Mitglied des Umweltausschusses bekommt Tag fürTag Briefe – ich glaube, auch Sie, Herr Minister –, indenen die Wirtschaft auf eine gewisse Rechtssicherheitin diesem Punkt pocht. Die Unternehmen wissen seitzwei Jahren nicht, was sie machen sollen. Wir sind des-halb der Meinung – wir waren uns, wie gesagt, mitHerrn Trittin in diesen vier Punkten einig –, dass es fürjeden Bereich eine ökologisch vorteilhafte Verpackunggeben sollte. Es darf keine Bürokratie geben. HerrDr. Loske, unser Ziel ist es, dass alle Getränkeverpa-ckungen ökologisch vorteilhaft sind. Dann brauchten wiruns in vielen Punkten nicht mehr zu einigen.Es war unser Anliegen, dass auf die Innovations-klausel so großer Wert gelegt wird. Erst in letzter Zeitwar Herr Trittin mit einer solchen Innovationsklauseleinverstanden. Aber da war der Karren schon festgefah-ren.
– Sie sagen, dies sei Geschichte.
– Das ist keine Geschichtsfälschung. Ich habe mit HerrnMinister Trittin vor ein paar Wochen gesprochen. Er hatmir gesagt, dass wir uns jetzt auf eine Innovationsklauseleinigen können. Aber da war der Karren bereits festge-fahren. Ich glaube daher, dass es nach dieser Novelleeine weitere Novelle gibt.Zum Klimaschutz. Sie sind verantwortlich für denschnellen Atomausstieg. Jeder weiß aber, dass der Ener-giebedarf langfristig zunehmen wird – weltweit, aberauch national. Ein Konzept, wie die friedliche Nutzungder Kernenergie langfristig bezahlbar ersetzt werdenkann, fehlt eigentlich vollkommen.
Mit Ihren Windrädersubventionen in Milliardenhöhewerden Sie die Problematik nicht lösen können. Mit die-sen Geldern könnten Sie eine Steigerung der Effizienzvon konventionellen Kraftwerken erreichen und damiteinen größeren Beitrag zum Umweltschutz leisten. Sowie Sie Politik machen, werden wir unsere Emissions-ziele nicht erreichen können. Die Folgen für das Klimawerden fatal sein und zu großen Ökoschäden zulastender Bürger und der Unternehmen führen.
– Herr Kelber, erzählen Sie doch nicht so ein Zeug! Wirhaben im Umweltausschuss darüber sehr sachlich disku-tiert und haben Ihnen unsere Meinung zu allen Punktengesagt. Aber Sie haben uns weder angehört noch habenSie unsere Argumente gelten lassen.
Zum Lärmschutz. Sie sind für die verschleppte undmissratene Umsetzung der Umgebungslärmrichtlinieverantwortlich. Bei der überfälligen Novellierung desüber 20 Jahre alten Fluglärmgesetzes haben Sie auchnoch nichts zustande gebracht.
Es gibt einen weiteren Punkt, auf den ich in vielenGesprächen mit Firmen angesprochen werde, nämlichdie Bürokratie, mit der die Bundesregierung das Landüberzieht. Sehr geehrter Herr Minister, ich möchte andieser Stelle mit einem Irrglauben aufräumen: Mehr Bü-rokratie führt nicht zu mehr Umweltschutz.
Metadaten/Kopzeile:
13264 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Georg Girisch
Lassen Sie sich dies von jemandem erklären, der näheran den Menschen ist als mancher andere.
– Keiner von Ihnen – auch Sie nicht, Herr Schmidt – hateinen Wahlkreis an der Grenze.
– Zumindest nicht an der Grenze zu Tschechien. Siekönnen sich gar nicht vorstellen, was sich hinsichtlichdes Umweltschutzes abspielt.
Aufgrund unserer hohen Auflagen im Umweltbereichwandern viele Firmen ab.
Meine Damen und Herren, Ihre Umweltpolitik ist fa-tal. Deshalb werden wir den Haushalt ablehnen.Danke.
Das Wort hat die Kollegin Petra Bierwirth, SPD-Frak-
tion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Girisch, wir haben nie gesagt, dass wir den Um-weltschutz erfunden haben. Aber wir sind ein Garant da-für, dass es in diesem Lande noch Umweltschutz gibt.
– Ich verstehe nicht, warum Sie heute so aufgeregt sind.So kenne ich Sie gar nicht.
Sie haben kritisiert, wir hätten die Umsetzung derUmgebungslärmrichtlinie verschleppt. Das stimmt nicht.Sie sind ja im Umweltausschuss bei den Diskussionendabei. Wir haben sie rasch, zügig und vor allen Dingenauch gut umgesetzt.
Das Gesetz, über das wir heute auch diskutieren, dasUmweltinformationsgesetz, ist dank unseres Einsatzesgut gelungen. Hans Christian Altmann, ein deutscher Pu-blizist, hat einmal gesagt:Informationen sind notwendig. Wo sie fehlen, ent-steht ein Vakuum, da machen sich viel eher Ge-rüchte, Klatsch und Missverständnisse breit.Ich denke, das ist auf alle Bereiche des Lebens anwend-bar, aber besonders auf den Bereich des Umweltschut-zes.Frau Homburger, diesen Spruch sollten auch Sie sicheinmal zu Gemüte führen; denn was Sie in puncto Müll-trennung gesagt haben – wir werden nächste Woche aus-führlich darüber diskutieren –, kann ich nicht nachvoll-ziehen. Die Antworten der Experten auf unsere Fragenliegen vor. Wenn Sie sich die einmal anschauen, werdenSie feststellen, dass man nur in einer Antwort das nach-lesen kann, was Sie dazu gesagt haben, nämlich dass wirjetzt wieder den gesamten Müll zusammentun müssen.Dann werde alles besser und schöner.
Die anderen Experten haben gesagt, dass das nichtstimmt. Es werde nicht billiger und das von Ihnen vorge-sehene System sei noch nicht für die Praxis tauglich.Ihre Aussagen kann ich nicht verstehen.
Ohne den Zugang zu zuverlässigen Daten und wis-senschaftlich zuverlässigen Informationen haben dieBürgerinnen und Bürger nicht die Möglichkeit, sich eineigenes Bild über die Umweltbelange in ihrem Umfeldzu machen. Der unkomplizierte Zugang der Öffentlich-keit zu umweltrelevanten Daten und entsprechendenInformationen bildet daher eine unverzichtbare Basis füreine transparente und bürgerfreundliche Umwelt-politik.Ich denke, dass der vorliegende Entwurf des Umwelt-informationsgesetzes diesen Erfordernissen nach-kommt. Mit der Inkraftsetzung dieses Umweltinforma-tionsgesetzes wird die EU-Richtlinie vom Januar 2003über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinforma-tionen in nationales Recht umgesetzt. Mit dem Gesetz-entwurf wird der Zugang zu Umweltinformationen fürdie Öffentlichkeit deutlich verbessert.Das neue UIG beinhaltet eine Reihe von Neuerungenund Erweiterungen. So werden zum Beispiel in Zukunftalle Bereiche der Verwaltung des Bundes zur Heraus-gabe von Umweltinformationen verpflichtet. Das istganz unabhängig davon, ob sie spezielle Aufgaben aufdem Gebiet des Umweltschutzes wahrnehmen.Ich begrüße ausdrücklich, dass auch private Stellen indie Auskunftspflicht einbezogen werden. Angespro-chen sind hier Unternehmen, die unter der Kontrolle deröffentlichen Verwaltung stehen und im Zusammenhangmit der Umwelt öffentliche Zuständigkeiten haben, öf-fentliche Aufgaben wahrnehmen oder öffentliche Dienst-leistungen erbringen. Das gilt für die Bundesbahn, dieTelekom und die Post.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13265
(C)
(D)
Petra BierwirthWir haben sicher alle die Schreiben der Post und derBahn zu diesen Vorschlägen bekommen. Diese Vor-schläge – das wissen wir alle – sind im Übrigen aus demBundesrat gekommen. Diese Unternehmen wollten mitihren Vorschlägen erreichen, dass nur solche privatenStellen informationspflichtig werden, die umweltbezo-gene Aufgaben der öffentlichen Verwaltung erfüllen.Wir können diesen Argumenten nicht folgen. Zum ei-nen sind sie nicht EU-rechtskonform. Zum anderen ist esan der Zeit, dass nicht nur diejenigen für die Umweltverantwortlich sind, an deren Tür dieses Schild hängt.Die Umwelt geht uns schließlich alle an.
Auch das angeführte Argument des nun folgendenMehraufwandes zieht nur bedingt. Sicher wird es einenMehraufwand für die Bereitstellung von Umweltinfor-mationen geben. Aber zum einen wird dies im Rahmender Auslagenerstattung refinanzierbar sein. Zum anderenbringt das neue Recht nicht die Pflicht mit sich, neue In-formationen zu beschaffen. Es gibt lediglich die Pflicht,bereits vorhandene Informationen, soweit sie denn öf-fentlich gemacht werden können, der Öffentlichkeit zu-gänglich zu machen. Ich denke, das ist vertretbar.Durch den freien Zugang zu diesen Informationenwird den Bürgern die Möglichkeit eröffnet, Verwaltung,Institutionen und, wie gesagt, auch private Einrichtun-gen bei der Umsetzung des Umweltrechts zu kontrollie-ren und, wenn erforderlich, sich auch mit den verant-wortlichen Stellen in Verbindung zu setzen. Ich sehe dasals einen Weg an, ein stärkeres Bewusstsein in den Vor-dergrund unseres täglichen Handelns zu stellen.Die Fristen für die Beantwortung von Fragen verkür-zen sich von zwei auf einen Monat. Die informations-pflichtigen Stellen werden verpflichtet, Maßnahmen zuergreifen, um den Zugang zu den bei ihnen verfügbarenUmweltinformationen zu erleichtern. Dazu gehört bei-spielsweise, dass zukünftig verstärkt darauf geachtetwerden soll, dass die Informationen über den elektroni-schen Weg abrufbar sind.Die Auskunftspflicht von Landesbehörden wird inlandesrechtlichen Vorschriften zu regeln sein. Ich weißzumindest von Schleswig-Holstein, dass im Kabinettdort schon ein Umweltinformationsgesetz beschlossenwurde.Liebe Kolleginnen und Kollegen, beschließen wirheute den vorliegenden Entwurf des Umweltinforma-tionsgesetzes! Das ist ein weiterer Schritt, die Akzeptanzder Umweltpolitik zu erhöhen. Denn wir alle wissen:Die Erhaltung einer intakten Umwelt ist eines der wich-tigsten gesellschaftspolitischen Ziele unserer Zeit.
Das Wort hat der Kollege Michael Kauch, FDP-Frak-
tion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! FrauBierwirth, das war eine schöne Vorlage. Dass die SPDden Umweltschutz nicht erfunden hat,
haben die Kollegen, die schon länger als ich im Parla-ment sind, in vielen Äußerungen mit Geschichtsbezug inder heutigen Debatte wieder aufgezeigt. Denn der ersteUmweltaktivist in der Bundesregierung kam von derFDP und hieß Genscher. Daran werden wir anknüpfen.
Wir beraten heute nicht nur den Haushaltsetat desUmweltministers, sondern auch die Neugestaltung desUmweltinformationsgesetzes. Wir Liberale begrüßen dieWeiterentwicklung des UIG. Bessere Umweltinformatio-nen sind ein Stück praktizierte Bürgerrechtspolitik.Aber es gibt ein wesentliches Problem. Auf Initiativedes Bundesrates – hier sind jetzt auch die Kollegen vonder Union angesprochen – sind von der BundesregierungInformationspflichten für private Unternehmen, dieumweltbezogene Dienstleistungen erbringen und vomBund kontrolliert werden, übernommen worden. Aber esist eben nicht so, Frau Bierwirth, dass diese Formulierungklar und eindeutig besagt, dass die Bahn, die Post und dieTelekom mit all ihren Aktivitäten einzubeziehen sind.Was ist beispielsweise mit deren Tochterunternehmen?Rechtsstreitigkeiten wird hiermit Tür und Tor geöffnet.Deshalb werden wir uns heute, trotz einer grundsätzli-chen Zustimmung zu der Linie des Gesetzentwurfes, dortenthalten müssen; handwerklich ist das einfach nicht sau-ber gemacht.
Ich komme nun zum Haushalt, genauer gesagt zurLärmbekämpfung und Lärmsanierung. Auch bei die-sem Thema wird in diesem Haus immer wieder gern auf-gegriffen, wer nach 1998 und vor 1998 was gemacht hat.
– Frau Ferner, es ist geschenkt, dass Sie 1998 das Lärm-sanierungsprogramm eingeführt haben. Das war gut,aber es greift viel zu kurz. Wenn wir so weitermachen,sind wir erst in 40 Jahren mit der Sanierung fertig.
– Ich bin seit 2003 im Parlament und ich nehme mir fürdie junge Generation in diesem Parlament heraus, dasswir an die Zukunft und nicht immer nur an die Vergan-genheit denken, Frau Ferner.
Deshalb hat die FDP einen Änderungsantrag, der imÜbrigen voll gegenfinanziert ist, in die Haushaltsbera-tungen eingebracht. Wir wollten die Lärmsanierung an
Metadaten/Kopzeile:
13266 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Michael Kauchden Altstrecken aufstocken. Unser Antrag hat gezeigt,dass man trotz Einsparungen im Gesamthaushalt durchintelligente Umschichtungen und PrioritätensetzungenPolitik machen kann. Aber Sie haben keine Prioritäten-setzung im Bereich des Lärmschutzes. Das haben Sie be-wiesen.
Sie, Herr Minister Trittin, lassen auf Ihren Lieblings-spielfeldern – erneuerbare Energien und Dosenpfand –vielleicht Engagement erkennen. Aber wie sieht es mitdem Lärmschutz aus? Es gibt viel PR um ein Fluglärm-gesetz, aber vorgelegt wurde bis heute nichts. Und wiesieht es mit der Umgebungslärmrichtlinie aus? Da habenSie zwar Kartierungen beschlossen, aber keine Zielwertefür Lärmsanierung ins Gesetz geschrieben.Üben Sie als Bundesregierung eigentlich Druck aufdas Unternehmen Bahn aus, damit die Netz AG endlichlärmabhängige Trassenpreise nimmt, um Marktanreizefür leisere Lokomotiven und Güterwaggons zu setzen?
Nein, das tun Sie nicht.Meine Damen und Herren, Umfragen belegen: Lärmist für die Bürger eines der vorrangigen Umweltpro-bleme. Wir als FDP setzen in diesem Bereich einenSchwerpunkt unserer Umweltpolitik. Ich würde michfreuen, wenn dieses Haus dem folgte.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Winfried Hermann, Bünd-
nis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Ich habe in der ersten Beratung und auch imAusschuss zu den Zahlen des Haushaltes gesprochen.Verschiedene Kolleginnen und Kollegen haben das heutehier im Plenum gemacht. Ich möchte meine heutigeRede einem einzigen Thema widmen, nämlich den Ent-scheidungsabläufen, den Gesetzgebungsprozessen imUmweltbereich.
Ich möchte einmal darüber sprechen, warum das alles sokompliziert und langwierig ist und warum es überhauptso schwierig ist, dort voranzukommen.Ob Hochwasserschutz, ob Lärmbekämpfung, ob Luft-reinhaltung, ob Umweltverträglichkeitsprüfung – Siekönnen jedes Thema nehmen –: Es dauert ziemlich lang,
wenn ein Thema endlich aus dem Bundestag heraus undin den Bundesrat kommt.
– So ist es. – Dort, im Bundesrat, sind Ihre Länder in derMehrheit. Dort ist überwiegend angesagt: Hinausschie-ben,
Blockieren,
Verwässern, Verändern bis zur Unkenntlichkeit.
Das muss man Ihnen schon sagen: Sie tragen ein gerüt-telt Maß an Mitverantwortung für diesen Prozess,
gerade über Ihre Länder.Weil Ihre Kollegen gerne immer wieder das Dosen-pfand ansprechen:
Den Kompromiss, den wir jetzt endlich haben, hättenwir vor zwei Jahren genauso haben können,
wenn Sie nicht zu jener Zeit die Strategie verfolgt hätten,das Dosenpfand ganz zu beseitigen. Das war doch IhrProblem. Deswegen hat es so lange gedauert. Deswegenhat sich alles verzögert.
Meine Damen und Herren, im Bundesrat wird oft diePosition vertreten, europäisches Recht dürfe auf gar kei-nen Fall ambitioniert umgesetzt werden,
auf gar keinen Fall dürfe es irgendwie die Wirtschaft be-hindern. Die Lösung dürfe nicht so aufwendig, nichtbürokratisch sein. Sie haben im Bundesrat immer die Li-nie vertreten, möglichst wenig zu tun.Aber wer immer nur eins zu eins umsetzt und an deruntersten Grenze der Einheitlichkeit stehen bleibt, derkann nie und nimmer die Vorreiterrolle spielen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13267
(C)
(D)
Winfried HermannWenn man die Vorreiterrolle spielen will, dann mussman die beste ökologische Effizienz propagieren, dannmuss man einen höheren Standard als die durchschnittli-chen Werte propagieren.
Man weiß, dass dies auch ökonomisch dauerhaft undlangfristig einen Vorsprung bringt und keine Kostenbe-lastung bedeutet.Meine Damen und Herren, im Bundesrat setzt sichauch zunehmend die Haltung durch, das eigene Landes-interesse in den Vordergrund zu stellen, was oftmals einziemlich deutliches Partikularinteresse ist: Gut ist nurdas, was wir in unserem Land schon haben. Alles an-dere, was im Interesse der Bundesrepublik insgesamteinheitlich sinnvoll wäre, wird abgelehnt.
Das sage ich bewusst an alle Länder. Denn ich be-obachte, dass sich dieser Trend in den letzten Jahrenziemlich fortgesetzt hat.
– Zum Beispiel im Hochwasserschutzgesetz.
Wir sind da gerade in Verhandlungen. Die Länder vertre-ten im Grunde genommen die Position: Der Bund solluns möglichst nichts vorschreiben, keine ambitioniertenLösungen.
Wenn das Hochwasser kommt, dann soll der Bund zah-len, dann muss die Republik herhalten. – Das ist docheine völlig verantwortungslose Haltung. Damit müssenwir uns auseinander setzen. Das ist im Moment unserProblem in den Verhandlungen.
Stichwort Umgebungslärm, angesprochen vom Kol-legen Kauch. Die Situation ist doch in der Tat so: Wirhaben das mit großer Mühe durch den Bundestag ge-bracht. Jetzt liegt es im Bundesrat. Es wird wieder blo-ckiert und abgelehnt. Im Grunde genommen fordern dieBundesländer uns auf, europäisches Recht nicht umzu-setzen. Jetzt kommt der Kollege Kauch und sagt: Sie ha-ben nicht einmal den Mut, neben der Lärmkartierungauch Zielgrenzwerte festzulegen. – Das hat die EU ge-rade nicht gemacht. Sie wären die Allerersten, die unswieder vorgeworfen hätten, die Vorgaben nicht eins zueins umzusetzen und der deutschen Wirtschaft höhereAuflagen zu machen, was dem Mittelstand schade.
Das wäre Ihre Argumentationsweise.
Aber selbst diese wenig ambitionierte Umsetzung derUmgebungslärmrichtlinie – wir wissen ja, wie die Mehr-heitsverhältnisse im Bundestag sind – wird jetzt blo-ckiert.
Meine Damen und Herren, wenn ich mir dann nochdas Verfahren im Vermittlungsausschuss anschaue, dannmuss ich wirklich sagen: Es ist zunehmend bedenklich,wie oft der Bundesrat selbst dann, wenn er formal nochnicht einmal zuständig ist, wenn die Gesetzgebungskom-petenz also beim Bund liegt, reinregiert.
Es gibt unechte und echte Vermittlungsverfahren, durchdie das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren im-mer mehr ausgehebelt wird. Dann wird in Kleingruppennachverhandelt. Anschließend müssen Bundestag undBundesrat, ohne eine weitere Debatte führen zu können,genau die Ergebnisse schlucken, die in den Kleingrup-pen ausgehandelt wurden.
Ich habe gegen solche Verfahren immer mehr Bedenken.Diese Entwicklung bedauere ich außerordentlich.
Was ist die Konsequenz?
– Genau. Dieses Problem müssen wir in der Föderalis-muskommission angehen. Denn ich halte es aus umwelt-politischen Gründen für unerträglich, dass unsere Gesetz-gebungsverfahren immer langwieriger und schwierigerwerden, dass ihre Ergebnisse immer mehr verwässertwerden und dass dadurch keine ambitionierte und schnellhandelnde Umweltpolitik mehr möglich ist.
Letztendlich landen wir dadurch bei einem wachswei-chen Allparteienkompromiss, der uns in unserer Sachenicht weiterführt. Daher ist es zwingend notwendig, dasswir im Rahmen der Föderalismuskommission Vor-schläge erarbeiten, durch die die Gesetzgebungskompe-tenz des Bundes gestärkt wird.
Metadaten/Kopzeile:
13268 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Winfried Hermann
Denn in wesentlichen Bereichen brauchen wir die Feder-führung des Bundes: beim Emissionsrecht, beim Wasser-recht und – das betrifft die konkurrierende Gesetzge-bung – auch beim Abfallrecht.
Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Ich komme zum Schluss.
Wenn wir im Umweltbereich keine klare und einheit-
liche nationale Regelung schaffen, dann wird die Ge-
setzgebung weiterhin ein Prozess sein, in dem Ergeb-
nisse verschleppt werden, der der Umwelt insgesamt
nicht gut tut, uns immer mehr zurückwirft und uns von
unserer Vorreiterposition abbringt.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Helge Braun, CDU/CSU-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Sehr geehrter Herr Hermann, Ihre Bewerbungfür die Föderalismuskommission reichen Sie ungefährein Jahr zu spät ein. Noch vor einem Jahr hätten Sie dortmitarbeiten und Ihre Vorschläge einbringen können.
Nehmen Sie bitte eines zur Kenntnis: Die derzeitige Op-position im Deutschen Bundestag – das zeigt sich nichtnur am Kompromiss beim Dosenpfand, sondern auch anvielen anderen Ergebnissen, zum Beispiel im Vermitt-lungsausschuss und im Bundesrat – ist die konstruktivsteOpposition in der Geschichte der BundesrepublikDeutschland.
Ich hatte mir vorgenommen, in dieser Debatte einmalzu zählen, wie oft von den Rednern der Regierungsfrak-tionen der Begriff Nachhaltigkeit in Anspruch genom-men wird. Aber ich muss Ihnen gestehen: Irgendwannhabe ich aufgehört zu zählen; denn Sie nehmen den Be-griff Nachhaltigkeit für Ihre Politik immer wieder in An-spruch. Dazu will ich Ihnen eines sagen: Eine schlim-mere Entwertung des Begriffes Nachhaltigkeit, als ihnim Zusammenhang mit diesem Haushalt zu verwenden,kann es überhaupt nicht geben.
Dieser Haushalt ist von der höchsten Neuverschul-dung und der geringsten Investitionsquote in der Nach-kriegsgeschichte geprägt. Darüber hinaus beinhaltet ereine Kürzung der Mittel für die Umweltpolitik. Noch imMai 2002 hat der Bundeskanzler in seiner Regierungser-klärung, die er an diesem Platz abgegeben hat, gesagt:Nachhaltigkeit ist kein Begriff, den man auf ökolo-gische Fragestellungen reduzieren darf. Um Nach-haltigkeit geht es auch bei der Konsolidierung öf-fentlicher Haushalte.Damit hat er Recht.Eine Politik, die den Anspruch hat, nachhaltig zu sein,muss also den ökologischen, ökonomischen und sozialenHerausforderungen gerecht werden und sie miteinanderversöhnen. Das kann man in Ihrer Umweltpolitik nichterkennen. Insbesondere ist Ihre Politik, was diesenHaushalt betrifft, alles andere als generationengerecht.Die letzte Shell-Jugendstudie zeigt eines überdeutlich:dass Ihre Politik keine Politik für junge Menschen ist.Die Sorgen und Probleme im Zusammenhang mit Aus-bildung, Arbeitsplätzen und sozialer Sicherheit werdenimmer größer. Unter diesen Nöten sinkt auch die Bereit-schaft, Umweltaspekte in den Mittelpunkt des eigenenHandelns zu rücken und sie in der eigenen Werteskalahoch zu bewerten. Im Jahre 2003 schätzten nur noch59 Prozent der Jugendlichen das Thema Umweltschutzals wichtig ein. Mitte der 80er-Jahre, als Umweltpolitikunter Führung einer CDU/CSU-Bundesregierung betrie-ben wurde, waren noch 83 Prozent der Jugendlichen derMeinung, dass Umweltpolitik sehr wichtig ist.Die junge Generation erwartet eine pragmatische undsachgerechte Politik, die ihr Chancen für die Zukunftlässt: Chancen auf Bildung, Chancen auf Arbeit, Chan-cen auf soziale Sicherheit und Chancen auf Wohlstand ineiner intakten Umwelt. Die Umweltpolitik dieser Bun-desregierung steht immer wieder im Gegensatz zu densozialen und ökonomischen Herausforderungen und ver-dient daher in keiner Weise das Prädikat der Nachhaltig-keit.Wäre es nicht ein Musterbeispiel an Nachhaltigkeit,wenn es eine Technologie gäbe, die in Deutschland Ar-beitsplätze schafft, die ein Exportschlager ist und über-dies auch noch dazu führt, dass wir einen geringerenEnergieverbrauch haben? Eine solche Technologie gibtes: Das ist der Transrapid.
Sie fordern immer wieder, zuletzt im Fortschrittsberichtder Bundesregierung zur Nachhaltigkeitsstrategie: Wir
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13269
(C)
(D)
Helge Braunmüssen uns über alternative Antriebsformen Gedankenmachen.
– Das ist eine hoch interessante Debatte. Sie gehörensicher zu den Personen, die sich in Deutschland grund-sätzlich nur mit der Bahn fortbewegen. Aber gegenüberdem Flugzeug, was national und in Europa immer mehran Bedeutung gewinnt, ist der Transrapid energetischfünfmal günstiger. Das mögen Sie bitte zur Kenntnisnehmen!
Das Nachhaltige beim Transrapid liegt nicht nur inder Ökologie, sondern es liegt auch darin, dass wir dieChance hätten, hier in Deutschland Arbeitsplätze zuschaffen, jungen Menschen mit guter Bildung eine ver-nünftige Zukunft zu bieten und damit auch die anderenbeiden Säulen der Nachhaltigkeit zu bedienen. Ange-sichts der Krise auf dem Arbeitsmarkt fordern Sie – wiezuletzt auch der Bundeskanzler – von der jungen Gene-ration immer mehr Mobilität. Mobilität mag so man-chem jungen Menschen, der als Berufsanfänger nur überein geringes Einkommen verfügt, angesichts der Diskus-sion um die Pendlerpauschale und die Ökosteuer einiger-maßen zynisch vorkommen – dies auch deshalb, weil Siesich weiterhin nicht auf den Weg begeben, durch dieEinnahmen aus der Ökosteuer, mit denen Sie seit Jahrendie Löcher in der Rentenkasse stopfen, eine vernünftigeRentenreform zu machen, die dem sozialen Aspekt derNachhaltigkeit gerecht wird.
Nicht nur beim Benzin, sondern auch bei den Ener-giekosten generell liegt Deutschland um 50 Prozent überdem EU-Durchschnitt. Die Energiekosten haben sich inden letzten fünf Jahren gesamtwirtschaftlich verfünf-facht: von 2,3 Milliarden Euro 1998 auf 12,6 MilliardenEuro im Jahr 2003; so sagen es das Energiewirtschaftli-che Institut an der Universität zu Köln und der Verbandder Elektrizitätswirtschaft. Das ist etwas, das junge Men-schen ihrer Chancen beraubt, in Deutschland einen Ar-beitsplatz zu bekommen; auch das nehmen Sie bitte zurKenntnis.Wir erleben gerade eine Krise in der Automobilindus-trie und im Einzelhandel. Auch wenn man kein politi-scher Prophet ist, kann man vorhersehen, dass uns mitder REACH-Richtlinie zur Chemikalienpolitik der Eu-ropäischen Union auch in der chemischen Industrie einemittelschwere Krise bevorsteht. Dabei kann man bessereAussagen über ökotoxikologische und humanpathogeneAuswirkungen wohl kaum erwarten, wenn man Altstoffetestet, die schon seit Jahrzehnten im großen Stil im Um-lauf sind.
– Ich bedanke mich bei Ihnen herzlich für das Kompli-ment.Aber schauen Sie doch einmal, was Ihr eigener Bun-deskanzler gerade bei dem Thema Chemikalienpolitikversucht hat!
Waren Sie beim VCI, als der Bundeskanzler dort aufge-treten ist und erzählt hat, was er aus seiner Sicht für pro-blematisch hält an der Chemikalienpolitik?
Eines ist wahr: Es ist das fundamentale Gegenteil vondem, was die SPD-Europaabgeordneten machen, und esist auch das fundamentale Gegenteil von dem, was IhrUmweltminister macht. Zumindest Ihr Wirtschaftsminis-ter und Ihr Bundeskanzler sind in dieser Frage offenbarmehr auf unserer Seite als auf Ihrer.
Es gibt noch weitere Bereiche, in denen Chancen fürdie berufliche Zukunft junger Menschen liegen, aberauch Chancen für Gesundheit, Chancen für eine bessere,lebenswerte Zukunft. Einer ist die Grüne Gentechnik.Sie sehen in der Grünen Gentechnik im Kern Risiken,Risiken, die von der Breite der Bevölkerung zwar geteiltwerden, von den Wissenschaftlern aber in aller Regelnicht. Selbst wenn man eine Millisekunde annehmenwürde, dass alle befürchteten Risiken eintreten würden,können Sie mit Ihrer Politik die Verbraucher vor dem,was sich allgemein in der Welt tut, nicht schützen. DieGrüne Gentechnik wäre eine Möglichkeit, in Deutsch-land in großem Stile Arbeitsplätze zu schaffen. Die Artund Weise, wie Sie Politik machen, führt dazu, dass siekein Zukunftsmarkt für junge Menschen ist.
Die Shell-Jugendstudie hat übrigens ein Weiteres ge-zeigt: Die junge Generation ist bereit, sich ihre eigeneZukunft durch Leistung zu erarbeiten, eine Zukunft mitfunktionierenden Sozialsystemen, mit guten Möglich-keiten für wirtschaftlichen Wohlstand und mit einer in-takten Umwelt. Die Bundesregierung muss mit ihrer Po-litik aber die Chancen dafür eröffnen und sie darf nichtjeden Menschen von Geburt an mit 16 500 Euro Schul-den belasten.
Metadaten/Kopzeile:
13270 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Helge BraunDie Politik der Bundesregierung ist eine Politik dervertanen Chancen für die junge Generation und hat mitdem Anspruch auf Nachhaltigkeit in allen drei Säulennichts zu tun.
Das Wort hat der Bundesminister für Umwelt, Natur-schutz und Reaktorsicherheit, Jürgen Trittin.
Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur-schutz und Reaktorsicherheit:Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erlau-ben Sie mir, in dieser Debatte den Versuch zu machen,auf das eine oder andere Argument einzugehen.Erste Bemerkung. Liebe Frau Homburger, ich habenicht verstanden,
warum Sie als Mitglied der gelben Partei solche Aversio-nen gegen den gelben Sack und gegen den Restmüll imgelben Sack haben.
Lassen Sie uns doch einfach einmal schauen, wo hierdas Problem liegt. Wenn Sie die graue und die gelbeTonne zusammenpacken wollen,
dann müssen Sie den Menschen, anstatt ihnen zu sugge-rieren, das sei das Ende der Mülltrennung, anständiger-weise erst einmal klar machen, dass auf die Hälfte derbundesdeutschen Haushalte ein Mehr an Mülltrennungzukommt. Denn in der Hälfte der bundesdeutschenHaushalte wird der Bioabfall noch nicht getrennt gesam-melt. Das ist aber eine Voraussetzung für das, was andieser Stelle versucht wurde.
– Herr Feibel, der Abfallexperte aus dem Saarland, sagt,das sei Schweinkram.
Es kommt aber noch ein Zweites hinzu – das ist diefür die Bürgerinnen und Bürger entscheidende Frage –:Der gelbe Sack wird aus den Abgaben der Lizenznehmerbezahlt. Wie wollen Sie dann diese Verursacherverant-wortung so gestalten, dass die Bürgerinnen und Bürgergenau diese Zusammenlegung nicht anschließend mit ih-ren Müllgebühren zu bezahlen haben?
Wenn Sie diese beiden Fragen – einmal geht es umdie Einführung der getrennten Sammlung von Bioabfäl-len und einmal um die Lösung des Problems, das wirkonkret diskutiert haben – beantworten können, dannwird Ihnen kein Bundesumweltminister und niemand an-deres sagen, wir seien dagegen. Wir sagen dann: Flottvoran, organisieren Sie es! Wir sind nämlich nicht sobürokratisch. Wir sind der Auffassung, dass man das ambesten vor Ort organisiert.
Zweite Bemerkung. Herr Girisch, Ihre Rede hat michenttäuscht. Sie haben nämlich versucht, in einem Punkteinen Streit zu inszenieren, bei dem wir, durchaus vonunterschiedlichen Hintergründen kommend, bisher an ei-nem Strang gezogen haben. Ich bin mir mit der SPD, mitden Grünen und mit der großen Mehrheit Ihrer CSU ei-nig: Wir müssen in Deutschland etwas zum Erhalt desökologisch vorteilhaften Mehrwegs tun. Nur über dieseRegelung können wir beispielsweise kleine und mittel-ständische Brauereien, die nicht an dem großen Marschin den Einweg teilnehmen, beschützen.
Auf diesem Weg sind wir schon sehr weit gekommen.
Ich habe nicht verstanden, warum Sie an dieser Stelleeinen Streit mit mir anfangen wollen. Ich glaube, wirsollten gemeinsam versuchen, das, was wir ausdiskutierthaben und was Bayern, eine Reihe von A-Ländern unddie Mehrheit des Bundestages mittragen, nun zu einemErgebnis zu bringen.
Wir haben in langen Jahren viele Debatten über dieseoder jene Pfandregelung geführt. Ich könnte Ihnen vordiesem Hintergrund viel über Bürokratie in der Umwelt-politik sagen. Diese Bürokratie hat übrigens nicht derHerr Trittin erfunden und diese Debatten haben auchnicht mit meiner Amtszeit begonnen, sondern mit dermeines Vorvorgängers. Aber nach all diesen Jahren istdoch eines wichtig: Wir müssen diesen Streit jetzt been-den. Wir müssen einen Strich darunter ziehen. Wir habeneinen tragfähigen Kompromiss gefunden. Lassen Sie ihnuns am 17. Dezember beschließen.
Meine Damen und Herren, erzählen Sie mir bittenichts über Bürokratieabbau! Das Erste, was man zumBürokratieabbau braucht, ist Transparenz.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13271
(C)
(D)
Bundesminister Jürgen TrittinWas aber passiert gerade bei der Überarbeitung des Um-weltinformationsgesetzes? Sie sind es, die den Weg, zumehr Transparenz der übrigens europarechtlich verbind-lich vorgeschrieben ist, nicht mitgehen, sondern ihn blo-ckieren wollen. Dabei erzählen Sie uns, die wir fürTransparenz sind, wir seien für Bürokratie.
Sie werfen uns ökologische Planwirtschaft vor. Werhat denn beantragt, dass man beispielsweise beim Emis-sionshandel statt einer schlanken Verwaltung in16 Bundesländern Zertifikatsstellen – und damit Büro-kratie – aufbauen soll? Das war Bayern.
Wer hat jetzt im Bundesrat trotz der vielen Gemeinsam-keiten, die wir in der Frage einer stärkeren Öffnung desEnergiemarktes haben, gefordert, die Netze zu regulie-ren? Schließlich umfassen diese Netze das gesamte Bun-desgebiet und es geht darum, dass Kunden in Mecklen-burg-Vorpommern Gas und Strom auch von Anbieternbeispielsweise aus Baden-Württemberg beziehen kön-nen. Wer hat gesagt, dass diese Form der Regulierungden Ländern übertragen werden soll? Das waren Bayernund die CDU-regierten Bundesländer im Bundesrat. Sieerzählen mir was von Bürokratieabbau und forderngleichzeitig den Aufbau neuer Bürokratie!
Lieber Herr Braun, Sie haben von Nachhaltigkeit undVernunft in der Haushaltspolitik geredet. Ich meine, dassdazu der Kollege Loske schon einiges gesagt hat. Ichstimme mit vielen von Ihnen darin überein, dass der Be-griff Nachhaltigkeit überstrapaziert wird. Aber selbstwenn Sie diesen Begriff noch so sehr dehnen, so passteines nicht darunter:
dass Sie in Zeiten, in denen in Deutschland Wohnungs-leerstand herrscht – wir wenden sogar Steuermittel fürden Abriss auf, um diesen zu beseitigen –, den Woh-nungsneubau mit Steuermitteln in der Fläche finanzierenwollen. Das ist nicht nachhaltig, sondern Unsinn, um dasin dieser Deutlichkeit zu sagen.
– Da Sie den Begriff „Besserverdiener“ erwähnt haben:Ich glaube nicht, dass Förderung von Wohneigentumnur im Wege eines Wohnungsneubaus in der Flächemöglich ist. Eine stärkere Eigentumsbildung, gerade fürsozial Schwächere, kann man durchaus fordern, ohnedass man gleich eine Zersiedlung der Fläche zulässt.
Lassen Sie mich zum Thema Nachhaltigkeit eineletzte Bemerkung machen. Vor zwei Jahren haben wirgemeinsam beschlossen, eine Stufe der Steuerreformauszusetzen, weil wir 9 Milliarden Euro für die Beseiti-gung der Schäden durch das Jahrhunderthochwas-ser 2002 aufwenden mussten. Wir waren uns seinerzeiteinig, dass daraus eine Konsequenz gezogen werdenmuss. Dabei habe ich mir einen zum Vorbild genommen,nämlich den ehemaligen Kanzler Dr. Helmut Kohl, dernach dem Oderhochwasser gesagt hat: Es kann nichtsein, dass in Überschwemmungsgebieten und Fluss-auen hinein gebaut wird.
Wir haben mit unserem Hochwassergesetz einen Vor-schlag vorgelegt. Er wird zurzeit im Bundesrat heftigdiskutiert. Wir sind auf die Einwände mancher Ländereingegangen und haben die ganzen Regelungen zurLandwirtschaft herausgenommen.
Wir haben auch Vorschläge dazu gemacht, wie Flächenausgewiesen werden sollen. Aber eines, lieber HerrPaziorek, werden Sie dem Volk doch wohl nicht erzäh-len wollen: dass es sinnvoll ist, weitere Möglichkeitenzu schaffen, in Überschwemmungsgebieten Neubauge-biete auszuweisen. Was heißt das, lieber Herr Paziorek?Das heißt, heute die Hochwasserschäden von morgen zuproduzieren.
Wer sich hier hinstellt und sagt, das sei Nachhaltigkeit,der hat von Nachhaltigkeit und von Umweltpolitik über-haupt nichts begriffen.
Das Wort hat der Kollege Dr. Peter Paziorek, CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Es ist korrekt, dass man in Haushaltsdebatten auch imPlenum sehr detailliert über einzelne Haushaltsstellendiskutiert, aber eine solche Haushaltsdebatte hat auchdie Aufgabe, eine Generaldebatte zu sein. Deshalb musshier zum Abschluss der Debatte die Frage gestellt wer-den, wie die Bilanz von Rot-Grün und die Bilanz diesesUmweltministers in der Umweltpolitik wirklich ausse-hen. Die Antwort ist ernüchternd: Die Bilanz rot-grünerUmweltpolitik und die Bilanz dieses Umweltministerssehen so aus, dass es keine Linie in der Umweltpolitikgibt, einzelne Themen nur bruchstückhaft behandelt
Metadaten/Kopzeile:
13272 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Dr. Peter Paziorekwerden, diese Politik innovationsfeindlich – der KollegeSchorsch Girisch hat das an einem Punkt nachgewie-sen – und arbeitsplatzvernichtend ist. Damit kann mansagen: Rot-Grün macht keine moderne Umweltpolitik,Rot-Grün macht eine schlechte Umweltpolitik.
Jeder muss zugeben, dass Umweltpolitik schwer ist.Es ist eine Querschnittsaufgabe und es gibt viele Kon-flikte mit anderen Sachgebieten. In Sachen Nachhaltig-keit steht Umweltpolitik auf einer Ebene mit der Wirt-schafts- und Sozialpolitik. Umweltpolitik kann sich abernur durchsetzen, wenn sie ein klares Konzept und einklares Leitbild hat. Ein solches Leitbild muss in einermodernen Gesellschaft sein, dass Umweltpolitik undWirtschaftspolitik zusammengeführt werden. DiesesLeitbild einer modernen Umweltpolitik im Sinne einerZusammenführung von Umwelt- und Wirtschaftspolitikhaben Sie, verehrter Minister Trittin, leider nicht.
Das ist ein Schaden auch für den Standort Deutschland.
Man muss sich fragen, welches Leitbild Sie überhaupthaben, auch in der Umweltpolitik. Sie werden manch-mal, mit Verlaub, Herr Minister, als unbelehrbar be-schrieben. Dass das so nicht stimmt, haben wir vor eini-gen Tagen in der „Welt“ im Zusammenhang mit deraktuellen Zuwanderungs- und Integrationsdebatte lesenkönnen. Frau Präsidentin, ich will die „Welt“ vom ver-gangenen Montag zitieren. Sie schrieb, dass Sie, HerrTrittin, Ihre verniedlichende Sicht von Multikulti mitt-lerweile abgelegt hätten.
Gut so, hier haben Sie dazugelernt. Aber unsere Forde-rung ist: Lernen Sie auch in der Umweltpolitik dazu!Verlassen Sie die alten Themen, die Sie seit Jahren im-mer wieder umsetzen! Gestalten Sie eine moderne Um-weltpolitik! Halten Sie nicht an Ihren starren Ansichtenfest! Dann kann auch die Umweltpolitik in Deutschlandvorangebracht werden.
Das schreiben Ihnen Ihre eigenen Kabinettskollegenins Stammbuch. Frau Präsidentin, ich möchte aus demvor kurzem veröffentlichten Wirtschaftsbericht 2004 derBundesregierung zitieren. Dort heißt es, unterschriebenvon Wirtschaftsminister Clement, über die Politik:Aber sie muss industriepolitische Belange fördernund sie bewusst gegen Forderungen aus anderenPolitikbereichen wie der Umwelt- oder Verbrau-cherpolitik oder gegen wettbewerbsverzerrendeMaßnahmen anderer Staaten vertreten.So schreibt Wirtschaftsminister Clement vor einigenTagen. Mit anderen Worten: Teile der Bundesregierungbegreifen die Umweltpolitik im Allgemeinen und IhreUmweltpolitik, Herr Trittin, im Besonderen als Wachs-tumsklotz, als Innovationshemmnis und als schädlich fürden Wirtschaftsstandort Deutschland. Wenn ich mir ei-nige Politikfelder anschaue, dann muss ich sagen, dassetwas daran ist.
Sie selbst haben das Stichwort Chemikalienpolitik ge-nannt. Kein Mensch hier in diesem Saal bestreitet dieThese, dass wir immer wieder überprüfen müssen, obwir den Gesundheitsschutz verbessern können. Aber kei-ner, der sich mit diesem Thema auskennt, kommt zu demErgebnis, dass der Weg, den die EU-Kommission vor-schlägt und den Sie unterstützen, der einzig richtige Wegist. Die Frage ist doch nicht das Ziel, sondern die Frageist, ob die Bürokratie notwendig ist, die den Mittelstandin der Chemieindustrie kaputtmacht, und ob wir das Zielnicht besser erreichen können.
Hören Sie doch auf, immer wieder solche Popanze auf-zubauen.Jetzt zum zweiten Stichwort: Hochwasserschutz. Eswar toll, dass Sie auch dieses Stichwort eingeführt ha-ben. Lesen Sie die Zeitungen von heute. Es gibt einigeBundesländer aus Ihrem Lager, die höchstwahrschein-lich das, was Sie, Herr Minister Trittin, gerade hier mitdem durchaus richtigen Hinweis auf den früheren Bun-deskanzler Kohl verteidigt haben, in der Form nicht un-terstützen.
Jetzt frage ich Sie: Ist es in Sachen Hochwasserschutzunbedingt notwendig, für Zonen, die seit 100 JahrenÜberschwemmungsgebiete sind, ein generelles Acker-bauverbot zu erklären oder sollte dies nur in erosionsge-fährdeten Gebieten erfolgen?
Ist es im Sinne des Hochwasserschutzes notwendig,dass wir den Gemeinden auferlegen, keine neuen Bauge-biete mehr auszuweisen, selbst wenn die Gemeinden be-reit wären, einen besonderen Hochwasserschutz zu ge-stalten? Sie sagen sich offenbar: Die Planungshoheit derGemeinden interessiert uns gar nicht. Wir hingegen hal-ten Ihren Weg für überzogen. Der Hochwasserschutzkann auf eine viel bessere Art und Weise mit wenigerBürokratieaufwand gewährleistet werden. Sagen Sie dasder Öffentlichkeit und geben Sie Ihre ideologisch über-zogenen Positionen in diesem Bereich auf!
Wir kommen zu dem traurigen Ergebnis, dass sichIhre Umweltpolitik als Wachstumshemmnis auswirkt.Das Falscheste, was wir machen können, ist, die Um-weltpolitik aus ideologischen Gründen auf eine wachs-tumsverhindernde Art und Weise zu gestalten.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13273
(C)
(D)
Dr. Peter PaziorekIn diesem Zusammenhang möchte ich zitieren, wasder Vorstandsvorsitzende von Thyssen-Krupp in einem„Spiegel“-Interview über Ihre Politik gesagt hat, HerrTrittin:Man kann ja nur ahnen, was den Mann– damit meint er Trittin –treibt. Ich erkenne jedenfalls nicht, dass ihm hiesigeIndustriearbeitsplätze am Herzen liegen. Trittingeht es um Chemikalienverordnungen, Emissions-handel und den Ausbau von Windparks. Der pureWahnsinn in ideologischer Perfektion!
– Ich habe schon vermutet, welche Zwischenrufe jetztkommen. – Man muss zwar nicht alles für richtig halten,was Wirtschaftsvertreter sagen, aber es ist richtig, dassUmweltpolitiker nicht gegen Arbeitsplätze tätig werdensollten; sie sollten sich vielmehr für ein qualitativesWachstum einsetzen, damit in Deutschland moderne Ar-beitsplätze ermöglicht werden.
Der zentrale Vorwurf an Sie bezieht sich darauf, dass Siedas nicht erreichen.Es tut mir Leid: Derzeit belegen alle Umfragen, dassdie Umweltpolitik zulasten der Arbeitsplätze mit demNamen Trittin verbunden ist.
Das ist das große Problem, unter dem wir als Umweltpo-litiker leiden. Denn wir wollen eine andere Umweltpoli-tik, die Deutschland hinsichtlich der Arbeitsplätze nachvorne bringt.
Das Stichwort Atompolitik ist bereits genannt wor-den. Sie, Herr Minister, haben im September in einemZeitungsinterview angekündigt, in diesem Herbst Eck-punkte zur neuen Standortsuche für ein Endlager vorzu-legen; es müsse nicht unbedingt Gorleben sein. Ich frageSie an dieser Stelle: Wo bleibt der Gesetzentwurf? Wobleiben die Eckpunkte, die Sie doch im Umweltaus-schuss vorstellen könnten? Sie haben sie im Septemberangekündigt; bis heute ist nichts geschehen.
In der letzten Debatte haben Sie mich persönlich an-gesprochen. Ich zitiere:Herr Paziorek, Sie waren einmal Stadtdirektor. Wienennen Sie es als gelernter Jurist, wenn jemand et-was ohne eine Baugenehmigung baut? Der Volks-mund spricht von einem Schwarzbau.Weiter sagten Sie in der Sitzung, Herr Minister:Genau das ist in Gorleben passiert.Mein Zwischenruf lautete nur: „Vorsicht, Vorsicht!“Ob es wohl richtig ist, wie Sie das rechtlich darstel-len? – Ich habe das inzwischen geprüft. Zu dem Sach-verhalt gibt es ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichtsaus dem Jahre 1990, das sich auf die Frage bezieht, obdie Bauten in Gorleben für ein Erkundungsbergwerkausreichend genehmigungsrechtlich abgesichert sind.Ich möchte aus diesem Urteil zitieren:
Sicherstellung und Endlagerung radioaktiver Ab-fälle … ist noch nicht der Beginn der Errichtung ei-ner entsprechenden Anlage und bedarf deshalbnicht der Planfeststellung nach § 9 b AtomG, diesauch dann nicht, wenn Teile des Erkundungsberg-werks, wie z. B. die Schächte, … im dann aufgrundeiner Planfeststellung zu errichtenden EndlagerVerwendung finden sollen.In diesem Fall geht es nur um eine bergrechtliche Ge-nehmigung. Diese ist erteilt worden. Warum sagen Sieals Umweltminister, es handele sich um einen Schwarz-bau? Entweder sind Sie nicht mit der Materie vertrautoder Sie wollten wieder Polemik betreiben. Beides istfür die Position eines Umweltministers schädlich.
Wir beraten heute auch die Verpackungsverordnungmit. Dazu hat der Kollege Girisch einiges deutlich ge-macht. Weshalb haben Sie unsere Empfehlung nicht auf-gegriffen, die Kabinettsentscheidung noch nicht am3. November einzuholen, sondern sie zu verschiebenund damit dem Deutschen Bundestag die Möglichkeitzu geben, das EuGH-Urteil abzuwarten, das zum14. Dezember vorliegen wird? Sie hatten kein Interessedaran, dass das Verfassungsorgan Deutscher Bundestagüber diese für Sie wichtige politische Frage im Lichteder Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu denGrundsatzfragen des europäischen Verpackungsrechtsentscheidet. Sie haben es durchgezogen. Jetzt frage ichSie: Welches Verfassungsverständnis haben Sie über-haupt, wenn Sie sagen, der Bundesrat solle im Lichtedieses Urteils entscheiden, aber dieser Bundestag solleschon vorher entscheiden?
Das halte ich für eine Missachtung dieses Hauses; denVorwurf müssen Sie sich gefallen lassen.
Deshalb werden wir nicht zustimmen. Wir werdenuns bewusst an dieser Stelle der Stimme enthalten, weilwir der Ansicht sind, dass man die Entscheidung desEuGH tatsächlich abwarten muss.Noch eines zum Schluss, weil hier behauptet wird,wir wollten keine Umweltinformationen: Wir haben imUmweltausschuss klar und deutlich gesagt, dass wir dasUmweltinformationssystemsgesetz vom Grundsatz herunterstützen.
Metadaten/Kopzeile:
13274 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Dr. Peter Paziorek– Das haben wir gesagt. Sie haben an den Beratungennie teilgenommen. Dass Sie bei solchen Beratungennicht dabei sind, ist Ihr Problem, Herr Minister. Deshalbkönnen Sie gar nicht „Aha!“ sagen, es sei denn, Sie wer-den von Ihren Staatssekretären eventuell falsch infor-miert, was ich nicht unterstelle.Wenn wir in der Umweltpolitik Ihren Weg fortsetzenund europarechtliche Vorgaben nicht eins zu eins, son-dern zwei zu eins umsetzen, werden wir eines Tagesauch die nationale Vorreiterrolle nicht mehr spielen kön-nen, weil wir den Wirtschaftsstandort kaputt gemachthaben.
In der Umweltpolitik leben wir davon, dass unserehohen Standards inzwischen in Europa immer häufigervon allen angewandt werden. Das ist unser Ziel. Je brei-ter die Standards in ganz Europa gelten, umso besserwird das Umweltniveau in ganz Europa und umso weni-ger werden die Standorte belastet, in denen es um eineVorreiterrolle geht.
Herr Kollege, bitte denken Sie an Ihre Redezeit.
So muss Umweltpolitik aussehen: Schluss mit der
Zwei-zu-eins-Umsetzung, höhere Standards in Europa
und Eins-zu-eins-Umsetzung dieser Standards in
Deutschland! Das ist der richtige Weg für die Umwelt-
politik.
Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.
Das Wort hat der Kollege Gerd Friedrich Bollmann,
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-gen! Bei dem gerade ausgetragenen etwas seltsamenWettstreit zwischen FDP und CDU/CSU über die Frage,wer denn nun den Umweltschutz erfunden hat, habe ichmich unwillkürlich gefragt, wer es denn eigentlich war,der 1968 über Willy Brandts Forderung „Der Himmelüber dem Ruhrgebiet muss wieder blau werden“ so ge-lacht hat.
– Es war 1968! Aber es ist egal; wir wollen uns darübernicht streiten. Es war auch nicht blau und weiß; das stehtim Schalke-Lied, Herr Paziorek.Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich wünschte, wirkönnten uns heute in diesem Hause ein letztes Mal überdas Thema Pfandpflicht unterhalten, und zwar nicht,weil ich der Meinung bin, zu diesem Thema sei nichtsmehr zu sagen, sondern weil es an der Zeit ist, dieseProblematik endgültig zu regeln. Eine abschließendeRegelung der Pfandpflicht für Getränkeverpackungen istim Interesse aller Betroffenen notwendig. Sie ist not-wendig für Getränke- und Verpackungshersteller sowiefür die weiteren beteiligten Wirtschaftszweige, damit siePlanungs- und Investitionssicherheit haben. Sie ist not-wendig zum Beispiel für mittelständische Brauereien,damit geplante und bereits getätigte Investitionen inMehrwegsysteme wirtschaftlich sinnvoll bleiben.
Die Novelle ist notwendig für den Verbraucher, weil eineVereinfachung der Pfandregelung unbedingt erforderlichist.Die heute vorliegende Novelle der Verpackungsver-ordnung wird meiner Meinung nach all diesen Anforde-rungen gerecht.
Diesem Entwurf liegen unsere im Bundestag beschlos-sene Novelle und die Änderungsvorschläge des Bundes-rates, insbesondere des Landes Bayern, zugrunde. DerBundesrat hat dem Antrag Bayerns mehrheitlich zuge-stimmt. Der Bundesratsbeschluss ist ein Kompromiss,dem auch der Bundesumweltminister und die Bundes-tagsfraktionen der SPD und der Grünen zustimmen kön-nen.Meine Kolleginnen und Kollegen, wir Sozialdemo-kraten können dieser Regelung der Pfandpflicht auf Ge-tränkeeinwegverpackungen zustimmen, denn sie erfülltalle wichtigen Kriterien. Ökologisch nicht vorteilhafteGetränkeverpackungen werden bepfandet und das Mehr-wegsystem wird geschützt.
Die Pfandregelung wird im Verbraucherinteresse verein-facht und sie ist europarechtskonform. Die Pfandpflichtorientiert sich jetzt grundsätzlich an der Art der Geträn-keverpackung. Ökologisch vorteilhafte Verpackungenwie zum Beispiel der Getränkekarton werden von derPfandpflicht befreit. Die vorgesehenen Ausnahmen fürWein, Fruchtsaft und Nektar sowie für Milch und Milch-erzeugnisse sind sowohl aus ökonomischen als auchökologischen Gründen gerechtfertigt. Dies wurde imÜbrigen auch in der Anhörung zur Verpackungsverord-nung vor zwei Tagen bestätigt. Weitere bisherige Streit-punkte wie die einheitliche Pfandhöhe werden auch imSinne der CDU/CSU geregelt.Wie bereits gesagt stimmen wir dem Kompromiss zu.Ich bitte Sie ebenfalls um Zustimmung. Der heute vorlie-gende Entwurf berücksichtigt die meisten Kritikpunkteund ist fast identisch mit dem Bundesratsbeschluss. Dieeinzige wichtige Veränderung im Vergleich zu dem Vor-schlag des Bundesrates ist die Regelung bezüglich derInsellösungen. In Absprache mit den Bundesländern hatdas Bundesumweltministerium eine Regelung geschaf-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13275
(C)
(D)
Gerd Friedrich Bollmannfen, wonach der Verbraucher materialgleiche pfand-pflichtige Getränkeverpackungen überall dort abgebenkann, wo sie verkauft werden. Damit werden die so ge-nannten Insellösungen abgeschafft. Dies ist notwendig,damit die Verpackungsverordnung nicht gegen Europa-recht verstößt.
Die hier vorliegende Verordnung zur Änderung derVerpackungsverordnung ist ein Kompromiss. Es liegt inder Natur eines Kompromisses, dass jede der beteiligtenSeiten Zugeständnisse macht. Dies ist geschehen. DasErgebnis ist meiner Meinung nach für alle zustimmungs-fähig. Selbstverständlich gibt es auch an diesem Kom-promiss Kritik. Die Kritik von Teilen des Handels undder Wirtschaft muss ich jedoch energisch zurückweisen.Die Behauptung, die Novelle sei zu kompliziert und eu-roparechtswidrig, sie rufe Rechtsunsicherheit hervor undsie sei verbraucherunfreundlich, halte ich nur für vorge-schoben.
Wie bereits seit Beginn der Diskussion über die Pfand-pflicht wird hier versucht, mit allen Mitteln das Pfandwieder abzuschaffen, und zwar nicht aus ökologischenGründen, nicht aus gesamtwirtschaftlicher Notwendig-keit oder zugunsten des Verbrauchers, sondern nur, umdie ökonomischen Vorteile einiger Handels- und Wirt-schaftsunternehmen zu sichern und ihre Marktanteile zuerhöhen.
Erinnern wir uns an die Situation vor Einführung derPfandpflicht. Der Mehrweganteil an den Getränkeverpa-ckungen sank Jahr um Jahr. Weggeworfene Getränkedo-sen verschandelten die Landschaft. Mithilfe der Dosefand auf dem Getränkemarkt ein gnadenloser Verdrän-gungswettbewerb gegen kleine und mittelständische Ge-tränkeproduzenten statt. Überlegungen und Vorschläge,den Mehrweganteil zu stützen, sind nicht grundlos oderböswillig entstanden.Unter Bundesumweltminister Klaus Töpfer wurdedann grundsätzlich die Möglichkeit erkannt – –
– Herr Girisch, selbstverständlich dürfen Sie eine Zwi-schenfrage stellen. Ich habe gelesen, wie Sie sich in der„Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ über dieses Themaechauffiert haben.
Herr Kollege Bollmann, gestatten Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Girisch?
Ja.
Bitte, Herr Girisch.
Herr Bollmann, ich möchte Ihnen ganz genau sagen –
Herr Minister Trittin kennt meine Meinung –, was mich
persönlich an der Verpackungsverordnung stört.
– Sind Sie bereit, dies zur Kenntnis zu nehmen?
Herr Bollmann, ich sage ganz offen, dass ich dem ers-
ten Vorschlag von Herrn Trittin wesentlich näher stehe
als dem jetzigen. An der Verpackungsverordnung ärgert
mich vor allem, dass ökologisch vorteilhaften Verpa-
ckungen nicht der Vorrang gegeben wird. Man trifft Ent-
scheidungen nicht nach der Verpackung, sondern nach
dem Inhalt. Ein Beispiel dafür sind Apfelsaft und Apfel-
saftschorle. Nach der Verpackungsverordnung kann man
– theoretisch – Milch in pfandfreie Dosen und PET-Fla-
schen abfüllen.
Herr Kollege, Sie haben nicht das Wort zu einer Kurz-
intervention, sondern zu einer Zwischenfrage. Diese
sollte kurz und präzise sein.
Sind Sie zumindest in diesem Punkt mit mir einer
Meinung? – Danke.
Herr Girisch, Sie haben mich gefragt, ob ich bereitbin, Ihre Ausführungen zur Kenntnis zu nehmen. Das tueich hiermit. Ich konnte allerdings Ihre Meinung zu demKompromiss und zu der ursprünglichen Vorlage, überdie wir im Bundestag bereits beraten haben, schon der„Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ entnehmen. Dort ha-ben Sie eindeutig erklärt, wie Sie dazu stehen. VielenDank, Herr Girisch.Ich wiederhole trotz aller Aufregung – ich verstehesie ja –: Unter Bundesumweltminister Klaus Töpferwurde dann grundsätzlich die Notwendigkeit erkannt,aus ökologischen Gründen den Mehrweganteil bei Ge-tränkeverpackungen zu schützen. Aus diesem Grundewurde damals unter Führung der CDU/CSU die derzeitgültige, zugegebenermaßen allerdings zu kompliziertePfandregelung verabschiedet.Da viele Beteiligte glaubten, das Pfand werde auf-grund der Quotenregelung niemals Realität, hielt sichder Protest von Teilen des Handels und der Wirtschaftdamals in Grenzen. Spätere Vorschläge der SPD, daskomplizierte Merkel-Pfand durch eine Abgabe auf Ge-tränkeeinwegverpackungen zu ersetzen, stießen auf denvehementen Widerstand der Wirtschaft. Dieses Modellwar nicht durchsetzbar.Wenn neuerdings, nach Einsetzen der Pfandpflicht,Handel und Teile der Wirtschaft nach einer Abgaben-lösung rufen, zeigt dies nur eines: Man will keine Belas-tung von ökologisch nachteiligen Getränkeeinwegver-
Metadaten/Kopzeile:
13276 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004
(C)
(D)
Gerd Friedrich Bollmannpackungen. Vor Einsetzen der Pfandpflicht wurde dieAbgabenlösung abgelehnt. Als das Pfand Realität wurde,forderte man die Abgabe. Was passiert, wenn wir nach-geben und das Pfand aussetzen? Ich meine, dann wirdauch die Abgabe wieder abgelehnt; denn diese Kritikerwollen eigentlich eine Nulllösung. Sie wollen wederPfand noch Abgabe.Wir haben das Pfand eingeführt, weil es, wie bereitserwähnt, gewichtige ökologische und auch ökonomischeGründe für die Pfandpflicht gibt. Alle bisherigen Unter-suchungen, alle Ökobilanzen zeigen: Getränkeeinweg-verpackungen, mit Ausnahme ökologisch vorteilhafterVerpackungen, zum Beispiel Getränkekarton und Folien-standbeutel, sind umweltschädlich.Der Anteil umweltfreundlicher Mehrweggetränkever-packungen ist bis zur Pfandeinführung stark gesunken.Darunter litten insbesondere kleinere und mittelständi-sche Privatbrauereien, die ihr Produkt in Mehrwegverpa-ckungen vertrieben.Ein weiterer Aspekt war das so genannte Litteringoder, einfacher ausgedrückt, die Vermüllung unsererLandschaft. Wir wollten und mussten aus ökologischenGründen die Mehrwegsysteme und die ökologisch vor-teilhaften Getränkeeinwegverpackungen schützen undfördern.
Herr Kollege, Sie müssten zum Ende kommen.
Da wir über Arbeitsplätze gesprochen haben, möchte
ich nur noch Folgendes erwähnen – darüber berichtete
die „Westfälische Rundschau –: Die Brauereien Krom-
bacher, Warsteiner und Veltins haben insgesamt über
200 Millionen Euro in neue Mehrweganlagen investiert.
So viel zum Thema Arbeitsplätze. Ich bitte um Ihre Zu-
stimmung zu der Beschlussempfehlung.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-plan 16 – Bundesministerium für Umwelt, Naturschutzund Reaktorsicherheit – in der Ausschussfassung. Werstimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –Der Einzelplan 16 ist mit den Stimmen der Koalition beiGegenstimmen der CDU/CSU und der FDP angenom-men.Tagesordnungspunkt I.26: Abstimmung über den vonder Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zurNeugestaltung des Umweltinformationsgesetzes, Druck-sachen 15/3406 und 15/3680. Der Ausschuss für Um-welt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt inseiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/4243,den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzuneh-men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in derAusschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-chen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Ge-setzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stim-men der Koalition gegen die Stimmen der CDU/CSU beiEnthaltung der FDP angenommen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-wurf ist damit in dritter Beratung mit den Stimmen derKoalition gegen die Stimmen der CDU/CSU bei Enthal-tung der FDP angenommen.Tagesordnungspunkt I.27: Abstimmung über die Be-schlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Natur-schutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 15/4248zu der Verordnung der Bundesregierung zur Änderungder Verpackungsverordnung. Zu diesem Tagesordnungs-punkt liegt mir eine schriftliche Erklärung der Kollegin-nen Christine Lambrecht und Dr. Erika Ober sowie eineschriftliche Erklärung des Kollegen Karl-Josef Laumannvor1). Der Ausschuss empfiehlt, der Änderungsverord-nung auf Drucksache 15/4107 zuzustimmen. Wer stimmtfür diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit denStimmen der Koalition gegen die Stimmen der FDP undbei Enthaltung der CDU/CSU angenommen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte I.28 und I.29 auf:I.28 Einzelplan 32Bundesschuld– Drucksache 15/4320 –Berichterstattung:Abgeordnete Steffen KampeterWalter SchölerAnja HajdukOtto FrickeI.29 Einzelplan 60Allgemeine Finanzverwaltung– Drucksache 15/4322 –Berichterstattung:Abgeordnete Steffen KampeterWalter SchölerAnja HajdukOtto FrickeZu Einzelplan 60 liegt ein Entschließungsantrag derFraktionen der CDU/CSU und der FDP vor, über den wiram Freitag im Anschluss an die Schlussabstimmung ab-stimmen werden.Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommendeshalb gleich zur Abstimmung. Einzelplan 32 – Bun-desschuld – in der Ausschussfassung: Wer stimmt da-für? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Ein-zelplan 32 ist damit mit den Stimmen der Koalition beiGegenstimmen der CDU/CSU und der FDP angenom-men.1) Anlagen 3 und 4
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 142. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. November 2004 13277
(C)
(D)
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne KastnerAbstimmung über den Einzelplan 60 – AllgemeineFinanzverwaltung – in der Ausschussfassung. Dazu lie-gen zwei Änderungsanträge der Fraktion der CDU/CSU und zwei Änderungsanträge der AbgeordnetenDr. Gesine Lötzsch und Petra Pau vor, über die wir zu-erst abstimmen.Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion derCDU/CSU auf Drucksache 15/4353? – Wer stimmt da-gegen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist mitden Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der CDU/CSU und der FDP abgelehnt.Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion derCDU/CSU auf Drucksache 15/4354? – Wer stimmt da-Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommendeshalb gleich zur Abstimmung. Es liegen zwei Ände-rungsanträge der Fraktion der CDU/CSU vor, über diewir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsan-trag auf Drucksache 15/4329? – Wer stimmt dagegen? –Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist mit den Stim-men der Koalition bei Gegenstimmen der CDU/CSUund der FDP sowie bei Enthaltung der AbgeordnetenDr. Gesine Lötzsch abgelehnt.Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck-sache 15/4330? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Der Änderungsantrag ist mit demselbenStimmverhältnis wie der vorhergehende abgelehnt.gegen? – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag ist mitden Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der CDU/CSU und der FDP abgelehnt.Wir kommen nun zu den Änderungsanträgen derAbgeordneten Dr. Gesine Lötzsch und Petra Pau. Werstimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache15/4355? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – DerÄnderungsantrag ist mit den Stimmen von SPD,Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und FDP gegen dieStimme der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch abge-lehnt.Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck-sache 15/4356? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-gen? – Der Änderungsantrag ist mit demselben Stimm-verhältnis wie der vorhergehende abgelehnt.Abstimmung über den Einzelplan 60 in der Aus-schussfassung. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dage-gen? – Enthaltungen? – Der Einzelplan 60 ist mit denStimmen der Koalition bei Gegenstimmen der CDU/CSU, der FDP und der Abgeordneten Dr. GesineLötzsch angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.30 auf:Haushaltsgesetz 2005– Drucksachen 15/4324, 15/4325 –Berichterstattung:Abgeordnete Dietrich AustermannSteffen KampeterWalter SchölerAnja HajdukDr. Andreas PinkwartIch bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf überdie Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haus-haltsjahr 2005 in der Ausschussfassung zustimmen wol-len, um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? – Ent-haltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiterBeratung mit den Stimmen der Koalition gegen dieStimmen der CDU/CSU, der FDP und der AbgeordnetenDr. Gesine Lötzsch angenommen.Über einen Entschließungsantrag der Fraktion derCDU/CSU und zwei Entschließungsanträge der Fraktionder FDP zum Haushaltsgesetz 2005 werden wir morgennach der Schlussabstimmung abstimmen.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Be-schlussempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Un-terrichtung durch die Bundesregierung über den Finanz-plan des Bundes 2004 bis 2008 auf den Drucksachen15/3661 und 15/3844. Der Ausschuss empfiehlt aufDrucksache 15/4326, den Finanzplan des Bundes 2004bis 2008 zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für dieseBeschlussempfehlung? – Gegenprobe? – Enthaltungen? –Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des gan-zen Hauses angenommen.Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-ordnung.Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-destages auf morgen, Freitag, den 26. November 2004,9 Uhr, ein.Ich wünsche Ihnen allen noch einen schönen Abend.Die Sitzung ist geschlossen.