Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! DieSitzung ist eröffnet.Bevor wir mit der Tagesordnung beginnen, möchte ichmitteilen, dass heute zum letzten Mal Herr Dr. PeterEickenboom als Direktor beim Deutschen Bundestaghinter mir Platz genommen hat. Er hat dieses Amt in dervergangenen Wahlperiode, die mit der Verlegung des Sit-zes des Parlaments nach Berlin höchste Anforderungenstellte, mit großer Kompetenz und – wie ich finde – sehrerfolgreich wahrgenommen. Dafür danke ich ihm persön-lich und im Namen des Hauses.
Für seine Aufgabe im Bundesministerium der Verteidi-gung wünsche ich ihm viel Erfolg.
Wir kommen nun zum einzigen Punkt unserer heutigenTagesordnung:Fortsetzung der Aussprache zur Regierungs-erklärung des BundeskanzlersIch erinnere noch einmal daran, dass wir am Dienstag fürdie heutige Aussprache drei Stunden beschlossen haben.Wir beginnen die heutige Aussprache mit den Themenbe-reichen Verbraucherschutz und Landwirtschaft. Ichgebe das Wort an die Bundesministerin Renate Künast.Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucher-schutz, Ernährung und Landwirtschaft:Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Warum istVerbraucherschutz so wichtig? – Weil er uns alle angeht,weil er uns alle quasi in jeder Situation des Alltags und infast allen Lebensbereichen betrifft.Schauen wir uns einmal die Neuentwicklungen an. Es gibtneue Technologien und dadurch neue Vertragsarten. DenkenSie zum Beispiel an den E-Commerce, wobei ich wettenmöchte, dass ein Großteil der Mitglieder dieses Hauses dasMedium E-Commerce überhaupt noch nicht genutzt hat.
– Natürlich ruft irgendwo einer „Doch!“, Frau Kopp. Dasglaube ich sofort. Dies ist auch keine Abwertung. Abernoch nicht einmal 30 Prozent der Menschen nutzt diesesMedium.Was bedeutet das? Der Großteil der Menschen weißgar nicht, wie die Vertragspartner dabei aussehen. DerVertragspartner hat dabei gar kein persönliches Gesichtmehr. Die Vertragsgestaltung wird immer unübersichtli-cher und komplizierter. Plötzlich stellt sich dem Verbrau-cher dann die Frage, wie er bloß in die Situation gekom-men ist, finanzielle Verpflichtungen einzugehen, die jedenRahmen sprengen. Habe ich überhaupt gewusst, dass icheinen Vertrag abschließe? Habe ich überhaupt ausrei-chend Informationen über die Vertragsgestaltung gehabt?Gerade mit Blick auf die neuen Vertragsarten, auf dieneuen Technologien heißt Verbraucherschutzpolitik, dieMenschen vor finanziellen Schäden und vor Täuschungzu schützen, indem man einen rechtlichen Rahmen setzt.
– Ich sehe, die CDU zeigt der Aufforderung der Frak-tionsvorsitzenden entsprechend jetzt auch Interesse andem Thema Verbraucherschutz,
weil sie gemerkt hat, dass in den Städten Verbraucherwohnen.
– Auf dem Land auch. Sehen Sie, ich merke, bei Ihnengibt es einen richtigen Erkenntnisschub.
Ich habe immer schon und auch in der letzten Legisla-turperiode gesagt: Auch Bauern sind Verbraucher, zum Bei-spiel wenn sie Saatgut kaufen. Gut, dass auch Sie es merken.Einer der brisantesten Punkte im Bereich Verbraucher-schutz ist für uns immer noch das Thema Gesundheit.
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Bundesministerin Renate KünastManchmal steht nämlich auch die Gesundheit von Men-schen auf dem Spiel. Hier geht es um Sicherheit. Für unswird es immer heißen – das bekräftigen wir auch jetzt –:Der Schutz der Gesundheit hat Priorität vor wirtschaftli-chen Interessen Einzelner.Was steht in dieser Legislaturperiode an? Als Ersteswieder das Verbraucherinformationsgesetz. Wir wer-den es neu einbringen, weil die Menschen ein Recht da-rauf haben, zu wissen, was enthalten ist: in den Verträgen,in allen Produkten, die sie kaufen, und in den Dienstleis-tungen.
Wir wollen, dass die Verbraucher von den Behördenüber konkrete Gefahren informiert werden. Wir meinenauch, dass die Wirtschaft an dieser Stelle ein verlässlicherPartner werden und Auskünfte geben muss. Wir sind unsauf jeden Fall sicher, dass wir nicht mehr im Mittelalterleben und man Informationen vor der Bevölkerung nichtquasi geheim halten muss.
Zum Thema Sicherheit gehört auch das Produkt-sicherheitsgesetz. Produkte müssen grundsätzlich Min-destanforderungen an Sicherheit einhalten. Deshalb gibtes hier jede Menge Regelungsbedarf. Ich nenne ein Bei-spiel, das Sie alle aus den Zeitungen kennen und das nach-gerade kurios erscheint: die Kordeln an Kinderjacken, dieimmer wieder, wenn sie zum Beispiel mit nicht entspre-chend gebauten Geräten auf Kinderspielplätzen zusam-menkommen, im wahrsten Sinne des Wortes zu Lebens-gefahr führen. Daran erkennt man, dass ein Begriff wieProduktsicherheitsgesetz im Lebensalltag von Bedeutungsein kann.Wir haben uns in der Koalition darauf verständigt, indieser Legislaturperiode die Aufgaben in einem Aktions-plan Verbraucherschutz zusammenzufassen, um ganz klarzu sagen, welche Details wir in den nächsten vier Jahrenregeln wollen. Wir werden den Verbraucherschutz durcheinen regelmäßigen Fortschrittsbericht auch immer wie-der hier zum Thema machen – zum Schutze der Verbrau-cher.
Es ist längst klar, was erste Punkte eines solchen Akti-onsplanes sein werden, bei denen akuter Handlungsbedarfbesteht. Fangen wir mit dem Bereich Telekommunika-tion an. Hier geht es vor allem darum, die neuen Miss-brauchstatbestände anzugehen. Technische Neuerungenführen zu mehr Missbrauchsmöglichkeiten. Lock-Anrufeoder -SMS im Mobilfunk fordern zur Benutzung von0190-Nummern oder auch zu kostenpflichtigen Rückge-sprächen auf. Das trifft am Ende nicht nur die Privathaus-halte, sondern oftmals auch den Mittelstand.Im Wettbewerbsrecht geht es um das UWG. Es brauchteine grundlegende Reform. Zum Beispiel werden die Ver-braucher in Zukunft nicht nur zweimal im Jahr die Mög-lichkeit haben, Rabatte zu genießen, sondern das ganzeJahr über. Dann muss das Ganze aber so gestaltet werden,dass nicht unter Einkaufspreis verkauft wird. Sonstkönnte der Mittelstand am Ende überhaupt nicht mithal-ten und dort gingen Arbeitsplätze verloren. Auch hier wer-den wir tätig.
Der Bereich der Finanzdienstleistungen ist ein weite-rer wichtiger Punkt. Täglich werden in erheblichem Um-fange Versicherungen zu Bedingungen abgeschlossen, dievon den Versicherungsnehmern am Ende gar nicht erfülltwerden können. Wir werden die Anbieter zu verbesserterBeratung verpflichten. Wir brauchen Rücktrittsrechte undSchadensersatzansprüche, wenn die Anbieter ihrenPflichten nicht nachgekommen sind.Meine Damen und Herren, Verbraucherschutz brauchteine feste Verankerung im öffentlichen Bewusstsein. Wirbrauchen Verbraucher, die klugen Konsum praktizierenkönnen. Deshalb werden Aufklärung, Information undBeratung von Verbrauchern für uns ein Thema sein. Siealle kennen die Frage, wie Produkte, zum Beispiel Le-bensmittel, überhaupt hergestellt worden sind. Jedermöchte gerne wissen, ob hinter einem Kakao oder einemTeppich Kinderarbeit steckt. Genau das werden wir erfül-len.
Das bedeutet – das sage ich ganz klar – für die einheimi-sche Wirtschaft kein Problem, sondern einen Standort-vorteil, da sie davon profitiert, dass die Verbraucher dieseProdukte nicht kaufen.Früher hat man die Ersten bestaunt, die Umweltver-packungen für Joghurt wählten. Heute ist das selbstver-ständlich. Ich glaube, es wird in einigen Jahren auchselbstverständlich sein, dass Verbraucherschutz und Ver-braucherinformation zum Image einer Firma gehören.
425 Millionen Verbraucherinnen und Verbraucher inder EU wollen, dass ihre Interessen wahrgenommen wer-den. Sie wollen und werden ihre Macht entsprechend ein-setzen. Wir wollen in Europa federführend in Sachen Ver-braucherschutz sein. Wir sehen ganz klar, dass auch dieKommission und das Europäische Parlament den Ver-braucherschutz ganz vorn auf ihre Arbeitslisten schreiben.Wir haben das Grünbuch Verbraucherschutz. DieKommission hat für das nächste Jahr konkrete Vorschlägefür den Bereich Finanzdienstleistungen angekündigt. Dawollen wir nicht hinten sein.Wenn wir schon einmal bei dem Thema des großen Eu-ropas und der Brüsseler Entscheidungen sind, können wirauch gleich auf die wichtige Brüsseler Entscheidung ausder letzten Woche zur Erweiterung und zur Finanzierungdieser Erweiterung der Europäischen Union zu sprechenkommen. Damit wurde eine verlässliche Entscheidungüber die Frage der Finanzierung des Agrarbereichs ge-troffen. Wir wissen nun, welche Mittel hierfür zur Verfü-
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gung stehen werden. 2006 werden dies 45,3 MilliardenEuro sein, 2013 48,5 Milliarden Euro. Nachdem das ent-schieden wurde und wir nicht mehr immer nur über Fi-nanzen reden müssen, ist der Kopf endlich frei, um überdie ganz konkreten Reformen nachzudenken, die imAgrarbereich nötig sind.
Ich freue mich, dass Kommissar Fischler gesagt hat, erwerde seine Vorschläge in Form einer GesetzesvorlageEnde des Jahres vorlegen. Ich stimme ihm darin aus-drücklich zu. Wir haben auch in der Koalition vereinbart,die gemeinsame Agrarpolitik auf europäischer Ebene wei-terzuentwickeln. Dabei dürfen wir keine Zeit verlieren.In der Marktpolitik haben wir die Situation, dass alteRegelungen von Zahlungen an Landwirte auslaufen wer-den. Sie werden auch bei der WTO keine Verlängerungfinden. Das heißt, man muss den Landwirten zeigen, woes in Zukunft langgeht und welche Regeln gelten werden.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen eineFörderung des ländlichen Raums. Das heißt aber nicht,dass nur die Bauern gefördert werden. Manche begreifendas gerne als abgeschlossenen Bereich. Es geht vielmehrdarum, lebensfähige Infrastrukturen auf dem Lande zuschaffen. Die ländlichen Räume müssen so attraktiv wer-den, dass dort Arbeitsplätze entstehen, und zwar sowohlim konkreten Bereich Landwirtschaft als auch in benach-barten Bereichen, ob das nun der Bereich Energie oderTourismus ist.
Wir brauchen deshalb die Modulation – Fischler wirddazu Vorschläge machen –, weil 80 Prozent der Fläche derBundesrepublik land- und forstwirtschaftlich bearbeitetwerden.Wir brauchen aber auch deshalb Reformen, weil imSeptember nächsten Jahres WTO-Verhandlungen in Can-cun in Mexiko anstehen. Dort wird es darum gehen, altehandelsverzerrende Wirkungen von Direktzahlungenabzubauen. Gerade deshalb ist es gut und richtig, dassKommissar Fischler vorgeschlagen hat, die Direktzahlun-gen zu entkoppeln; denn nur Direktzahlungen, die von derProduktionsmenge entkoppelt sind, werden die nächstenWTO-Verhandlungen überleben.
Wir wissen, dass dahinter aber noch ein anderer Aspektsteht, der mit globaler Gerechtigkeit zu tun hat: Für dasÜberleben der Landwirtschaft in der EU und in Deutsch-land ist es wichtig, der nächsten WTO-Runde zu einemErfolg zu verhelfen. Wir wollen, dass im ländlichen Raumfür die Landwirtschaft Zukunft besteht. Wir wollen aberauch, dass Menschen in anderen Ländern leben könnenund nicht wir auf ihre Kosten leben und sie von großenKonzernen ausgepresst werden.
Schon allein deshalb ist es also richtig, dass wir uns da-rum bemühen, dass die nächste WTO-Runde für uns, fürdie Entwicklungsländer sowie für den Umwelt-, den Tier-und den Verbraucherschutz ein Erfolg wird.
Wir haben in dieser Koalition vereinbart, dass bei derKonsolidierung des Haushaltes – dieser Zwang besteht ja –auch die Landwirtschaft mitmacht. Es werden zum Bei-spiel die ermäßigten Steuersätze abgeschafft. Auch diePrivilegien müssen weg. Wir werden gleichzeitig aberauch die nötigen Spielräume für nachhaltige Landnutzungund artgerechte Tierhaltung schaffen und halten. Das hatBestand auch vor der WTO. Wir werden mit dem Ak-tionsprogramm Ökologischer Landbau weitermachen undmit einem Aktionsprogramm Bäuerliche Landwirtschaft.Ich bitte Sie alle, folgenden Punkt zu sehen. Wir redenbei der Landwirtschaft nicht über einen abgeschlossenenBereich. Wir reden hier vielmehr über den gesamten Be-reich Landwirtschaft, der auch die Lebensmittel- undErnährungsindustrie umfasst. Lebensmittel führen wirtäglich unserem Körper zu. Deren Qualität entscheidetüber unsere Gesundheit. Darüber hinaus findet sich in die-sem Bereich jeder neunte Arbeitsplatz in der Bundesrepu-blik Deutschland. Deswegen ist es sinnvoll, dass sich dasganze Haus um den Agrarbereich kümmert.
Ich erteile das Wort der Kollegin Gerda Hasselfeldt,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Wähler-täuschung geht auch in der Landwirtschaft munter weiter.
In der Koalitionsvereinbarung ist noch großspurig dieRede von einer Stärkung der Leistungs- und Wettbe-werbsfähigkeit der landwirtschaftlichen Betriebe. Ichhabe deshalb nachgesehen und danach gesucht, wo etwasüber die Maßnahmen zur Stärkung zu finden ist. Ich habeleider nichts gefunden. Das Gegenteil ist vielmehr derFall. Man findet Aussagen über zusätzliche Steuerbelas-tungen, über zusätzlichen bürokratischen Aufwand unddamit verbundene zusätzliche Kosten für die landwirt-schaftlichen Betriebe und Aussagen über nationale Al-leingänge, insbesondere im Verbraucherbereich. MeineDamen und Herren, das ist keine Verbesserung, sonderneine Verschlechterung der Bedingungen für die Landwirt-schaft.
Nun ist zu fragen, wo da denn die Stimme der Land-wirtschaftsministerin ist. Wo ist die Stimme derjenigen,die nicht nur für diesen Berufsstand, sondern auch für dieEntwicklung der ländlichen Räume, der landwirtschaftli-Bundesministerin Renate Künast
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Gerda Hasselfeldtchen Betriebe, der Infrastruktur usw. in diesem Land ver-antwortlich ist?
Frau Künast, ich empfehle Ihnen, dass Sie sich einBeispiel an Frankreich nehmen. Vom Staatspräsidentenüber den Landwirtschaftsminister bis in zahlreiche Poli-tikbereiche hinein ist dort zu erkennen, dass man auf dieLandwirtschaft stolz ist.
Bei uns im Land tut die Regierung hingegen alles, um dasBauernsterben zu beschleunigen.
Die deutschen Landwirte hatten Glück, dass der fran-zösische Staatspräsident bei den Agrarverhandlungen amletzten Wochenende auf die volle Laufzeit der Agenda-2000-Beschlüsse pochte. Frau Ministerin, wenn es nachIhnen und dem deutschen Bundeskanzler gegangen wäre,hätten die deutschen Landwirte keine Planungssicherheitbis zum Jahr 2006 bekommen.
Es war schon ein peinlicher Auftritt des Bundeskanz-lers: Zwei Staatsmänner einigten sich auf die Deckelungder Agrarausgaben. Doch nach der Einigung wusste derdeutsche Bundeskanzler nicht, auf was sie sich eigentlichverständigt hatten.
Ich empfehle dem Bundeskanzler, dass er künftig nichtnur Dolmetscher, sondern auch Fachleute mitnimmt unddass er sich vor allem auf solche Gespräche besser vorbe-reitet; ein Aktenstudium wäre nicht das Verkehrteste.
Bis 2006 haben die Landwirte nun Planungssicherheit.Sie haben aber auch die Gewissheit, dass die Direktzah-lungen ab 2007 – nach der Erweiterung – sinken werden.Deshalb wäre es richtig, die nationalen Belastungen, dieden Landwirten in den vergangenen Jahren durch die na-tionalen Alleingänge Ihrer rot-grünen Regierung aufge-bürdet wurden, wieder zurückzunehmen.
Kollegin Hasselfeldt, gestatten Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Höfken?
Ich möchte gerne im Zusammenhang vortragen.
Wir sollten jetzt die Zeit nutzen, um die Reformen ab2006 vorzubereiten, damit die Landwirte wissen, was sieab 2006 bzw. 2007 erwartet. Die Pläne von KommissarFischler – Frau Ministerin hat es vorhin angesprochen –lassen noch viele Fragen offen, beispielsweise wie die be-triebsbezogenen Prämien ausgestaltet werden. Wir sindfür alle Diskussionen offen. Klar muss aber auch sein,dass von Anfang an eine Diskussion stattfinden muss,durch die die Konsequenzen für alle offen gelegt werdenund durch die sichergestellt wird, dass das Geld für die Di-rektbeihilfen nicht irgendwo bei Infrastrukturmaßnah-men, sondern tatsächlich bei den Wirtschaftenden landet.Nun will ich auf das eingehen, was insbesondere dieLandwirte ab dem nächsten Jahr zu erwarten haben. FrauKünast, das habe ich bei Ihrer Rede vermisst. Mit einemHalbsatz haben Sie die steuerlichen Bedingungen, auf diesich die Landwirte künftig einzustellen haben, erwähnt. Dasist Gegenstand Ihrer Koalitionsvereinbarung. Die Land-wirte, die Bauern, in unserem Land haben ein Recht darauf,zu wissen, was tatsächlich darin steht, so, wie die Ver-braucher ein Recht darauf haben – das haben Sie eben inBezug auf das Verbraucherinformationsgesetz gesagt –,zu wissen, was auf sie zukommt.
Das will ich ihnen jetzt sagen. Sie wollen die Vorsteuer-pauschale, die es seit 1968 gibt, abschaffen. Von dieserMaßnahme sind etwa 90 Prozent aller Landwirte betrof-fen.
Diese Möglichkeit der Umsatzsteuerpauschalierung er-möglicht es den Landwirten, auf umfangreiche Aufzeich-nungs- und Abgabepflichten zu verzichten; sie bringt eineVerwaltungsersparnis und sie ist einfach zu handhaben. MitIhrer Regelung, also der Abschaffung der Pauschalierung,verursachen Sie enormen zusätzlichen Verwaltungsauf-wand und Kosten für die Landwirte, ganz zu schweigen vonden Kosten und dem Verwaltungsaufwand der Finanzämter.
Es sind überwiegend kleine Landwirte. Sie müssensich vorstellen, wie diese Maßnahme die Landwirte trifft.Manche arbeiten den ganzen Tag draußen auf dem Feldund im Stall. Die anderen, die außerlandwirtschaftlich ar-beiten, müssen die Arbeiten in der Landwirtschaft abends– bis 22 Uhr oder 23 Uhr – erledigen. Und dann sollen siesich noch hinsetzen, alles aufzeichnen und ihre Abgaben-pflichten erfüllen. Sie haben offensichtlich keine Ahnung,wie es in kleinen landwirtschaftlichen Betrieben zugeht;sonst würden Sie das nicht machen.
Ich komme zur zweitenMaßnahme, derAbschaffung derpauschalen Gewinnermittlung bei der Einkommensteuer.Auch diese Maßnahme trifft insbesondere die kleinen Be-triebe.Siehabensieohnehinschon1999eingeschränkt. Jetztprofitieren davon nur noch die ganz kleinen Betriebe.Auchdies ist ein zusätzlicher Aufwand mit zusätzlicher Buch-führung und zusätzlichenKosten für den Steuerberater.
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– Nein, das haben Sie gemacht.Nun hat der Wirtschaftsminister gestern von einemMasterplan für Bürokratieabbau gesprochen.
Im Kreieren von schönen, wohlklingenden Worten sinddie Kameraden groß. Aber wenn es darum geht, tatsäch-lich Maßnahmen zu ergreifen, die Bürokratie wirklich ab-zubauen, dann ist nichts mehr da. Sie brauchen bloß diesebeiden Maßnahmen nicht umzusetzen, dann haben Sieschon einen Bürokratieabbau par excellence.
Sie sehen weitere Maßnahmen wie die Streichung desermäßigten Umsatzsteuersatzes für Vorprodukte undfür Gartenbauerzeugnisse vor. Meine Damen und Herren,das ist nichts anderes als eine Steuererhöhung, und zwarvon 7 auf wohlgemerkt 16 Prozent.
Das kann man nicht einfach mit einem halben Satz abtun,wie Sie das gemacht haben. Hinzu kommen Verschlechte-rungen der Abschreibungsbedingungen und vieles mehr.Fast ein Viertel des gesamten Aufkommens aus demEinsparvolumen erbringt die Landwirtschaft. Wo wardenn das Wort der Ministerin bei den Koalitionsverhand-lungen? Davon ist nichts zu spüren. Das ist ein Schlag insGesicht der Landwirte, wie man ihn sich schlimmer nichtvorstellen kann.
Die Ministerin hat heute wohlklingende Worte zur Be-deutung des Verbraucherschutzes gesprochen. Ich habeerwartet, dass Sie endlich ein schlüssiges Konzept vor-legt. Dagegen spricht sie von einem Aktionsplan für denVerbraucherschutz. Das ist schön und klingt gut. DieÜberschriften sind alle gelungen. Aber die Probleme, dieSie angesprochen haben, Frau Künast, sind nicht neu. Wirhaben sie auch schon in den letzten Jahren gehabt. Damalshaben Sie sich nicht darum gekümmert. Vielleicht ist auchdeshalb die von Ihnen angestrebte Kompetenzverlage-rung von den anderen Ressorts in Ihr Ressort nicht er-folgt, weil bisher keine schlüssige Programmatik für denVerbraucherschutz erkennbar war.
Verbraucherschutz muss umfassend wahrgenommenwerden, und zwar von der gesundheitlichen über dierechtliche bis hin zur wirtschaftlichen Ebene.
Es gibt eine ganze Menge von Problemen. Warum habenSie sie denn nicht angepackt? Wissen Sie, was Sie in derVergangenheit gemacht haben und was Sie gerade wiedermachen? Ein reines Katastrophen-Hopping, aber keinegrundsätzliche Lösung der Probleme.
Sie sprachen von den Finanzdienstleistungen, an dieSie jetzt herangehen wollen. Sie hatten in der letzten Le-gislaturperiode die Chance, beispielsweise beim ViertenFinanzmarktförderungsgesetz den Anlegerschutz zu ver-bessern. Wir haben es angeregt und beantragt. Sie habendas nicht gemacht.Bei der so genannten Riester-Rente haben wir jetzt dasgleiche Problem. Wenn dieses groß angelegte und großverkündete Produkt einer kapitalgedeckten Altersvor-sorge, die zwingend notwendig ist, von nur 11 Prozent derFörderberechtigten in Anspruch genommen wird, dannwird doch schon deutlich, dass damit etwas nicht stimmt.Nun darf man aber nicht im Nachhinein mit ordnungs-rechtlichen Maßnahmen dagegen ankämpfen, sonderndas hätte man schon im Vorfeld machen müssen. Ver-braucherschutz setzt nicht erst mit ordnungsrechtlichenMaßnahmen im Nachhinein ein, sondern Verbraucher-schutz beginnt schon bei der Gesetzgebung in jedem Ein-zelfall. Dort muss der Verbraucherschutz gewahrt werden.
Wir haben in der Koalitionsvereinbarung vergeblichdanach gesucht, wie nun die Lebensmittelsicherheit imLand verbessert werden soll. Dies wird landauf, landabimmer wieder proklamiert. Es wird mehrmals und immerwieder versprochen. Von Brüssel wird es immer wiederangemahnt und kritisiert. Warum machen Sie eigentlichnichts? Warum sorgen Sie nicht für bundeseinheitlicheDurchführungsbestimmungen im Lebensmittelrecht?Stattdessen machen Sie ständig nationale Alleingänge,von denen die Verbraucher nichts haben, die aber den deut-schen Landwirten in besonderer Weise Nachteile bringen.Beispielsweise darf Obst, das in Südeuropa mit Pflanzen-schutzmitteln behandelt wird, die Sie in Deutschland ver-boten haben, trotzdem in Deutschland verkauft werden.
Welchen Vorteil das für die Verbraucher haben soll, ver-mag ich nicht zu erkennen. Deutlich erkennbar ist aber,dass es zum Nachteil der deutschen Landwirtschaft ist.
Unser Ziel muss sein, weg von den nationalen Allein-gängen hin zu EU-weit harmonisierten Bedingungen zukommen.
Mit Ihren nationalen Alleingängen treten Sie die Interes-sen der deutschen Landwirtschaft mit Füßen. Mit diesemWeg der ständigen nationalen Alleingänge weg von denEU-weiten Harmonisierungsbedingungen werden Sie Ih-rer Verantwortung als Ministerin für die deutsche Land-wirtschaft nicht gerecht.
Ich erteile der Kollegin Jella Teuchner, SPD-Fraktion,das Wort.Gerda Hasselfeldt
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor vier Jah-ren hat an dieser Stelle der Aussprache zur Regierungser-klärung
noch eine reine Agrardebatte stattgefunden. Heute hat keinAgrarminister, sondern unsere Ministerin für Verbraucher-schutz, Ernährung und Landwirtschaft gesprochen.
Allerdings gehört Ihr Redebeitrag, Frau Hasselfeldt,eher in eine Agrardebatte; denn was Sie zum Verbrau-cherschutz ausgeführt haben, ist in einigen Teilen bereitsumgesetzt worden und stimmt in weiten Teilen nicht mitdem überein, was Sie in der vergangenen Wahlperiodeversprochen haben.
Dass Ihr designierter Landwirtschaftsminister, der inder vergangenen Legislaturperiode Ausschussvorsitzen-der war, mit der Forderung durch die Lande reist, dass diebei uns verbotenen Pflanzenschutzmittel zugelassenwerden sollen,
um gleiche Bedingungen im Handel zu schaffen, zeigt,dass diese Diskussion an den Tatsachen vorbeiführt. Miteiner ordnungsgemäßen Landwirtschaft hat das in keinerWeise zu tun.
Nichtsdestotrotz stehen in dieser Diskussion dieAuswirkungen der Osterweiterung für die Landwirtschaftebenso wie die Stellung der Verbraucher und der Gesund-heitsschutz auf der Tagesordnung.Es war die BSE-Krise, die zur Folge hatte, dass aus demLandwirtschaftsministerium ein Verbraucherministeriumwurde. Deswegen blieben in der vergangenen Legislaturpe-riode leider nur zwei Jahre zur Durchsetzung der Verbrau-cherinteressen. Die Aufgaben beschränken sich allerdingsnicht nur auf den gesundheitlichen Verbraucherschutz, son-dern die Verbraucher haben eine Stimme bekommen, die diedeutliche Aufwertung des Verbraucherschutzes im Koaliti-onsvertrag erst möglich gemacht hat.
Verbraucherpolitik ist eine Querschnittsaufgabe. Dashaben wir in den vergangenen Jahren im Bundestag auchimmer wieder zum Ausdruck gebracht. Wir handeln, undräumen dem Verbraucherministerium die dafür erforder-lichen Kompetenzen ein: ein ressortübergreifendes Initia-tivrecht für Angelegenheiten von verbraucherpolitischerBedeutung.Die Verbraucherpolitik wird nicht mehr von verschie-denen Ressorts mitbehandelt, sondern dieser Bereich wirdnun selbstständig gestaltet. Auch das haben Sie offenbardem Koalitionsvertrag so nicht entnehmen können, FrauHasselfeldt.Wir packen aber in den nächsten vier Jahren weit mehrals die Sicherstellung der Produktion und des Vetriebs ge-sunder Lebensmittel an. Es geht darum, die Verbraucher-rechte auch hinsichtlich der Sicherheit, Information undWahlfreiheit zu stärken und diese Rechte internationaldurchzusetzen. Wir sind uns darin einig, dass internatio-nale Regelungen erforderlich sind.Ziel ist, dass sich Anbieter und Kunden auf gleicherAugenhöhe gegenüberstehen und dass Verbraucher Ent-scheidungen bewusst treffen können und vor missbräuch-lichen Praktiken geschützt werden.Der Verbraucher soll seine Kaufentscheidungen be-wusst und eigenverantwortlich treffen. Die Grundlagendafür sind zum einen verlässliche Verbraucherinformatio-nen über die Eigenschaften von Produkten und zum an-deren Mindeststandards in Bezug auf Sicherheit, Haftungund Gewährleistung. Wir wollen den Verbraucher nicht ander Hand durch das Leben führen. Wir wollen dem Ver-braucher vielmehr die Möglichkeit geben, loszulassenund eigenständig zu handeln. Dies muss sich auch in denDiskussionen über das Wettbewerbsrecht widerspiegeln,sei es in der von der Kommission angestoßenen Diskus-sion über das Grünbuch Verbraucherschutz oder in derDiskussion über die Novellierung des UWG. Das Gesetzgegen den unlauteren Wettbewerb werden wir deshalbauch im Hinblick auf einen effektiven Verbraucherschutzüberarbeiten.
Ein hohes Verbraucherschutzniveau und einen fairenUmgang mit dem Kunden sehen wir dabei nicht als Be-lastung für die Wirtschaft an. Gerade im Onlinehandelsind doch Transparenz und Investitionen in sichere Zah-lungsmöglichkeiten die Grundvoraussetzungen für denErfolg eines Unternehmens. Wir sehen deshalb im Ver-braucherschutz eine Chance und vor allem auch einenStandortvorteil für die Wirtschaft.
Wir erleben, dass Eigeninitiative – zum Teil auch vonder Politik angestoßen – oft staatliches Handeln ergänztund dass gleichzeitig durch das ZusammenwachsenEuropas ein breiteres, aber auch unübersichtlicheres An-gebot an Dienstleistungen und Waren entsteht. Die privateAltersvorsorge gewinnt deshalb genauso an Bedeutungwie die verschiedensten Angebote zur Aus- und Weiter-bildung. Auch hier braucht der Verbraucher verlässlicheInformationen und Kriterien, anhand derer er die Qualitäteinschätzen kann. Wir wollen deshalb einen Schwerpunktin der Verbraucherpolitik im Bereich der Dienstleis-tungen setzen. Verbraucher sollen vor Fehlinformationenüber Produkte, Verträge und Dienstleistungen geschütztwerden und gegebenenfalls das Recht auf Schadenser-satzansprüche erhalten. Vor allem bei den Finanzdienst-
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leistungen wollen wir aussagekräftige Informationen undeine verlässliche Beratung sicherstellen. Sicherungsfondskönnen Insolvenzrisiken abfangen. Das Versicherungs-vertragsrecht, das Telekommunikationsrecht und der Ver-braucherschutz beim Eigenheimkauf oder -bau sind wei-tere Stichworte zu diesem Schwerpunkt.Bereits in der letzten Legislaturperiode haben wir be-schlossen, dass wir eine Qualitätsoffensive für den öf-fentlichen Personenverkehr initiieren und eine umfas-sende Bestandsaufnahme vorlegen wollen. Wir wollen,dass, von den Verbesserungen der letzten Legislaturperi-ode ausgehend, geprüft wird, wo weitere rechtliche Maß-nahmen notwendig und möglich sind. Die Verbesserungder haftungsrechtlichen Situation von Fahrgästen beimangelnder Leistung und die Einrichtung von unabhän-gigen Schlichtungsstellen sind zwei der Eckpunkte, diebei dieser Bestandsaufnahme berücksichtigt werden müs-sen. Weitere sind die Harmonisierung der Vorschriftenzwischen den Verkehrssystemen und zwischen denEU-Mitgliedstaaten sowie die Bereitstellung von Fahr-planauskünften auch über die Angebote konkurrierenderUnternehmen.Verstärkt beachten müssen wir auch den Verbraucher-schutz gerade im Hinblick auf Kinder. Wir müssen si-cherstellen, dass von Spielzeug oder Kinderbekleidungkeine Gefahr für Kinder ausgeht und dass bei der Fest-legung von Grenzwerten die Wirkungen auf Kinderberücksichtigt werden.
Erst im Juni dieses Jahres hat der Erste Senat des Bun-desverfassungsgerichts die Zulässigkeit staatlicher Ver-braucherinformation bejaht. In der Presseerklärung desBundesverfassungsgerichts heißt es:Aktuelle Krisen im Agrar- und Lebensmittelbereichzeigen beispielhaft, wie wichtig öffentlich zugäng-liche, mit der Autorität der Regierung versehene In-formationen zur Bewältigung solcher Situationensind.Das sehen wir genauso. Wir werden deshalb in dieser Le-gislaturperiode mit einem Verbraucherinformations-gesetz die Informationsrechte gegenüber Behörden undAnbietern nachhaltig verbessern. Als Anfang dieses Jah-res Schinkenprodukte auftauchten, die zu viel Wasserenthielten, konnten die Verbraucherinnen und Verbrau-cher nicht feststellen, ob in ihrem Einkaufswagen Schin-ken oder Wasser liegt. Eine Gesundheitsgefährdung lagnicht vor. Ross und Reiter durften von den Behördennicht genannt werden. Die bisherige Rechtslage nimmtden Kunden die Wahlfreiheit und schützt die Anbieter,die täuschen und tricksen. Das soll in Zukunft anderswerden.
Mit dem Verbraucherinformationsgesetz hätten dieKunden in Zukunft nicht mehr nur die Wahl zwischen„Schinken“ oder „kein Schinken“. Sie würden wissen,wer zu viel Wasser in den Schinken spritzt, und könntenvon Anbietern kaufen, die fair mit ihren Kunden umge-hen. Wir wollen den Kunden diese Wahlfreiheit geben unddie Anbieter schützen, die weder täuschen noch tricksen.
Ich bitte Sie, meine Damen und Herren von der Opposi-tion, diesen Weg mit uns zu gehen. Der Wahlkampf istvorbei. Jetzt können Sie zeigen, ob Sie den Verbrauchernmarktbezogene Informationen zur Verfügung stellen oderweiterhin die schwarzen Schafe schützen wollen.
Verbraucherpolitik ist für viele eine Angelegenheit desGefühls. Es geht zum Teil um Entscheidungen, die für denEinzelnen und auch für dessen Familie eine große Bedeu-tung haben: Wie finanziere ich meine Rente? Kann ich dasHaus wirklich finanzieren?
Sind die Lebensmittel wirklich gesund? Es geht um Ent-scheidungen zu Bereichen, die vom Einzelnen nicht kom-plett überblickt werden können,
Entscheidungen, zu denen verlässliche Informationen not-wendig sind.Verbraucherpolitik stellt für uns die Leitplanke dar, diedafür sorgt, dass der Einzelne seine Entscheidungen be-wusst und eigenverantwortlich treffen kann. Unsere Auf-gabe ist es, über Mindeststandards, Kontrollen und Infor-mationen die Grundlagen für die Gleichberechtigungvon Käufer und Anbieter zu legen. Auf dieser Grund-lage können die Verbraucher und Verbraucherinnen ihreKaufentscheidungen so treffen, dass ihre Interessen unddie Interessen ihrer Familien gewahrt bleiben.
Dafür steht unser Koalitionsvertrag. Vor allem das werdenwir in den nächsten vier Jahren umsetzen.
Ich erteile dem Kollegen Hans Goldmann, FDP, das
Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Als ich heute morgen „Frühstücksfernsehen“guckte, hörte ich, dass wir heute über Verbraucherschutzund Gesundheit sprechen. Ich habe mich darüber eigent-lich gefreut, habe mich aber gleichzeitig darüber geärgert,dass der traditionelle und leistungsfähige Bereich derAgrar- und Ernährungswirtschaft, aber auch zumJella Teuchner
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Oktober 2002
Hans-Michael GoldmannBeispiel der Bereich der Gentechnikmit keinem Wort er-wähnt wurden.
Da ich, wie Sie vielleicht wissen, aus dem Bereich derErnährungswirtschaft, aus dem Bereich der Tiermedizinkomme, bin ich ein bisschen sauer darüber, dass dieserim guten Sinne absolute Hochtechnologiebereich der Ag-rar- und Lebensmittelwirtschaft – weltweit gilt: deutscheAgrarprodukte sind im weltweiten Wettbewerb absoluteHochqualitätsprodukte – so hinten runterfällt.
Da ich aus Niedersachsen komme, weiß ich in punktoArbeitsplätze, in punkto Investitionen und in punkto In-frastruktur im ländlichen Raum auch, wovon ich spreche.Deshalb bin ich traurig darüber, dass alles von dem heh-ren und wichtigen Ziel „Verbraucherschutz, Verbraucher-schutz, Verbraucherschutz“ überlagert wird. Liebe FrauKünast, ohne ein gute Lebensmittelwirtschaft, ohne einefachgerechte Agrarwirtschaft werden Sie in diesen sehrwichtigen, die Menschen tief berührenden Bereichen kei-nen Verbraucherschutz realisieren. Es geht hier nicht imGegeneinander, sondern es geht hier nur in einem ver-nünftigen Miteinander der verschiedenen Beteiligten.
Frau Künast, liebe Kollegen von Rot-Grün, die Politikgegen die Bauern, die Sie in den letzten Jahren verwirk-licht haben, kann und wird – Herr Weisheit hat es selbstzum Ausdruck gebracht – nicht erfolgreich sein.
Ich bin für den Schutz von Legehennen, aber ich bin auchdafür, Herr Weisheit, dass derjenige, der Legehennen hält,der Familienbetrieb, der Arbeitnehmer und die Arbeitneh-merin, die in diesem Bereich tätig sind, Zukunftschancenhaben. Wir brauchen nicht nur den Schutz der Legehenne,sondern wir brauchen auch den Schutz der Familien, diemit der Agrarwirtschaft in Verbindung stehen.
Wir brauchen ebenfalls den Schutz der vor- und nach-gelagerten Bereiche. Frau Künast, Sie sollten Ihrem Mi-nisterkollegen Trittin entgegentreten, wenn er im Fern-sehen Unwahrheiten sagt. So polemisch kennen wir ihn jaschon. Wenn er aber behauptet, dass es überhaupt nichtsmacht, wenn man Chemiedünger – die Wortwahl ist ver-räterisch – jetzt auch mit 16 Prozent Mehrwertsteuer be-legt, zeigt das nur: Er hat keine Ahnung!
Der Chemiedünger wird schon längst so besteuert.
Was sollen diese Verunglimpfungen, die im Grunde ge-nommen dazu beitragen, diesen Bereich zu zerstören?
Ich habe mir Ihre Koalitionsvereinbarung angeschaut.Bis jetzt war ich der Meinung, dass wir uns einig sind,dass wir von der Belastung der Arbeit in Deutschland ei-gentlich wegkommen müssen und mehr Freiheit und Krea-tivität entwickeln müssen. Was machen Sie? – Sie schaffeneine sehr vernünftige Regelung, die Durchschnittssatzbe-steuerung, ab. Das bedeutet mehr Bürokratie und mehrBelastung. Ich habe mit der Kollegin Connemann morgenein Gespräch mit dem Landvolk in unserer Region. Fürunsere Betriebe bedeutet diese Veränderung ein Minusvon 10 Prozent.
Die Betriebe wissen schon jetzt nicht mehr, wie sie sichauf dem Weltmarkt und auf dem europäischen Markt be-haupten sollen. Die Niederländer lachen sich über das,was Sie hier machen, kaputt. Sie freuen sich
und erobern den Weltmarkt. Sie erobern den Osten unddie Welt, weil sie auf dem globalen Markt agieren. ImGrunde genommen sind sie sogar ein wenig traurig darü-ber, dass in Deutschland eine Politik gegen die Bauern,gegen die Agrarwirtschaft, gegen die Lebensmittelwirt-schaft gemacht wird.Sie machen eine Politik der Zunahme an Bürokratie,des Verwaltungsaufwandes, der Abgaben und Steuern. Sowerden Sie den Herausforderungen, vor denen dieser Be-reich steht, nicht gerecht.
Sagen Sie zu den Chancen der grünen Gentechnik einklares Ja und machen Sie nicht solche Dinge wie die Ein-schränkung der Absetzbarkeit von Werbeartikeln. WissenSie, was das zum Beispiel für den deutschen Weinbau be-deutet? Wissen Sie, wie viele Arbeitsplätze in diesem Be-reich – völlig überflüssigerweise – verloren gehen? DiesePolitik der nationalen Alleingänge ist nicht geeignet,weil sie unsere Lebensmittelwirtschaft, die Agrarwirt-schaft nicht voranbringen wird.
Liebe Kollegin Teuchner, ich weiß – damit das völligklar wird –, wovon ich rede, wenn ich über diesen Bereichspreche. Hier ist kein Mensch, der die schwarzen Schafein dieser Branche schützen möchte. Es ist schlicht und er-greifend Blödsinn, so etwas zu behaupten.
– Nein, das stimmt nicht!Ich komme aus einer Region, in der sich alle – die Bau-ern und die Lebensmittelwirtschaft insgesamt vorweg –intensiv darum bemühen, die schwarzen Schafe an denPranger zu stellen, weil sie den gesamten Bereich kaputt-machen. Genau das wollen wir nämlich nicht. Lassen Siemich aber auch klar sagen: Die Verrechtlichung des Ver-braucherschutzes, sozusagen die Verordnung von obenherab, wird Ihnen nicht glücken. Deswegen sage ich: Wirbrauchen sehr wohl die Querschnittsaufgabe Verbraucher-
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schutz, aber keine Alleingänge auf dem Rücken anderer.Das können wir nicht mitmachen.
Ich habe Ihre Koalitionsvereinbarung mit Freude gele-sen. Sie enthält Abschnitte, in denen Sie feststellen, dassSie der Dritten Welt helfen wollen. Ich stehe in diesemPunkt hundertprozentig an Ihrer Seite. In der Koalitions-vereinbarung steht aber auch – man muss sich das ein-mal überlegen –, dass der Schutz der Verbraucher vorGesundheitsgefährdung absoluten Vorrang vor wirt-schaftlichen Interessen hat. Das ist doch wohl selbstver-ständlich. Glauben Sie ernsthaft, dass hier irgendjemandim Haus ist, der das wirtschaftliche Interesse vor denSchutz der Verbraucher stellt?
Glauben Sie nicht auch, dass wir alle uns diesem ethi-schen Grundsatz in unserer politischen Arbeit verpflichtetfühlen? Das ist doch eine bare Selbstverständlichkeit!
Liebe Kollegin Teuchner, ich habe neuerdings fürmeine liberale Partei die politische Verantwortung für die-sen Bereich übernommen. Ich bin sehr gerne bereit zumKompromiss, aber ich lasse mich nicht in eine Ecke stel-len, in der wir die Buhmänner sind, die die Menschen ver-giften wollen, während Sie sich als Lebensretter darstel-len. Das ist sachlich falsch.
Lieber Kollege Goldmann, Sie müssen zum Ende kom-
men.
Lassen Sie uns gemeinsam für eine tüchtige und wett-
bewerbsfähige Agrarwirtschaft kämpfen.
Lassen Sie uns die hochleistungsfähige Lebensmittelwirt-
schaft nutzen, um Arbeitsplätze und Investitionen zu
schaffen. Lassen Sie uns einen Verbraucherschutz reali-
sieren, der dem Grundsatz der Eigenverantwortung des
Verbrauchers mit staatlicher Hilfe gerecht wird. Ich biete
ausdrücklich unsere Zusammenarbeit an.
Herzlichen Dank.
Ich erteile das Wort Kollegen Matthias Weisheit, SPD-
Fraktion.
HerrPräsident!GeschätzteKolleginnenundKollegen!Esist ja ganz schön spannend geworden: lauter neueGesichter in diesem Politikbereich. Herr Goldmann, ichfreuemichmitSicherheit auf konstruktiveZusammenarbeit.
Wenn Sie aber, wie es in Ihrer Rede gerade anklang, alsLobbyist derer auftreten, die die grüne Gentechnik mitaller Gewalt einführen wollen,
dann wird es schon einige Konflikte geben. Diese Absichthabe ich jedenfalls als Erstes aus Ihrer Rede herausgehört.
Insgesamt hatte ich hin und wieder den Eindruck, so-wohl bei Ihrem Beitrag als auch bei dem der KolleginHasselfeldt – Peter Harry Carstensen wird das natürlichnachher noch bestätigen –, dass einige noch nicht gemerkthaben, dass der Wahlkampf vorbei ist. Nehmen Sie zurKenntnis, dass am 22. September eine Mehrheit der Be-völkerung die Politik der rot-grünen Bundesregierungund damit auch die Verbraucher- und Landwirtschaftspo-litik dieser Regierung bestätigt hat, indem sie die sie tra-genden Parteien wiedergewählt hat.
Sie müssen sich darauf einstellen, dass wir die Verbrau-cherschutz- und Landwirtschaftspolitik der letzten vierbzw. zweieinhalb Jahre fortsetzen werden. Ich will das anzwei Beispielen verdeutlichen.
– Die Einschränkung bezog sich auf die Verbraucherpoli-tik. Ich habe gesagt: vier bzw. zweieinhalb Jahre. Mansollte schon genau zuhören.Mit meinem ersten Beispiel gehe ich auch gleich bis zurdeutschen Ratspräsidentschaft zurück, wo die Verhandlun-gen über die Agenda 2000 erfolgreich abgeschlossen wur-den. Genau diesen Reformansatz der Agenda 2000 werdenwir fortsetzen. Da können Sie lachen oder hämisch sein.Ich erinnere mich recht gut, wie damals bezüglich der Um-setzung der Agenda 2000 aus der Opposition die Kassan-drarufe kamen, das sei der Untergang der deutschen Land-wirtschaft. In der Zwischenzeit schreit jeder, wenn man andieser etwas ändern will, da sie doch so gut sei, dass mandaran nichts ändern dürfe.
Das ist übrigens Ihr eigentliches Problem, dass Sie immerauf dem beharren, was da ist, und notwendigen, zukunfts-orientierten Reformen eine Absage erteilen.
Bundeskanzler Gerhard Schröder
Hans-Michael Goldmann
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Matthias Weisheithat auf dem jüngsten europäischen Gipfel erfolgreich ver-handelt, ob Sie, Frau Hasselfeldt, das nun wahrhaben wol-len oder nicht.
Der zwischen ihm und dem französischen Staatspräsi-denten Chirac ausgehandelte Kompromiss zur zukünf-tigen Finanzierung der gemeinsamen Agrarpolitikbietet den Landwirten in Europa einen Rahmen, auf densie sich auch über das Jahr 2006 hinaus verlassen können.Wir begrüßen diesen Beschluss außerdem, weil er denBeitritt der zehn Kandidaten ermöglicht, ohne dass der inder Agenda beschlossene Finanzrahmen überschrittenwird.
Damit wird sowohl den finanziellen Interessen der Bun-desrepublik als auch dem Interesse der deutschen Land-wirtschaft an Verlässlichkeit Rechnung getragen.Natürlich gab es auf beiden Seiten mehr Forderungen.Wie es bei einem Kompromiss üblich ist, konnte es amSchluss nur so Gewinner geben, indem jeder ein kleinesbisschen nachgab. Ich sage Ihnen dazu nur eines: Im Zugeder WTO-Verhandlungen wird für den französischenStaatspräsidenten die Stunde der Wahrheit noch kommen.Ich bin ziemlich optimistisch, dass durch den Zwang, dervon den WTO-Verhandlungen ausgehen wird, die stureHaltung des französischen Präsidenten in Sachen Ent-kopplung der Zahlungen nicht durchgehalten werdenkann und dass es zu einer Reform kommen wird.
Die Halbzeitbewertung der gemeinsamen Agrarpolitikund die fakultative Modulation sind Bestandteile derAgenda 2000. Deshalb ist es folgerichtig, wenn wir dafüreintreten, den Spielraum, den die Agenda 2000 vorgibt,auszuschöpfen.In der europäischen und in der deutschen Öffentlich-keit bis weit in die Landwirtschaft hinein wird kritischhinterfragt, ob die Gelder aus Brüssel optimal eingesetztwerden. Es stellt sich die Frage nach der Gerechtigkeitetwa im Hinblick auf Grünland und Ackerland.
– Ich spreche vom Einsatz des Geldes. Da schneiden dasGrünland und die Futterbaubetriebe ganz schlecht ab. Dasweiß doch jeder von euch. Aber ihr seid die Bewahrer, ihrwollt das belassen, was derzeit ist.
Es stellt sich auch die Frage nach Beschäftigungsef-fekten und dem Sinn der Fortsetzung von Marktord-nungen. Auch darüber wird in der Öffentlichkeit disku-tiert.
Wir müssen Antworten darauf geben, ob Umwelt-, Tier-schutz- und Landschaftspflegeleistungen stärker zu ho-norieren sind.
Die nächste Welthandelsrunde und die Zusagen gegen-über den ärmsten Entwicklungsländern erfordern weitereReformen der gemeinsamen Agrarpolitik. Die EU wird essich nicht leisten können, die WTO-Runde scheitern zulassen. Wir werden in den nächsten Monaten unsere Posi-tionen in die Diskussion über die Halbzeitüberprüfungeinbringen.
– Nein, in dieser Diskussion heute brauchen wir sie nicht.
Wir haben schon vor der Bundestagswahl deutlich ge-macht – ich zum Beispiel von diesem Mikrofon aus –,dass wir die Richtung der Positionen von Franz Fischlervoll unterstützen. Daran hat sich nichts geändert. Die Ent-koppelung, die Modulation und die Einhaltung von Um-welt- und Tierschutzstandards als Grundlage für Direkt-zahlungen werden wir weiterhin unterstützen.Der zweite Bereich, auf den ich angesichts meiner Re-dezeit nur noch kurz eingehen kann, ist: Wir werden dieerfolgreiche Arbeit der Bundesregierung im Hinblick aufLebensmittelsicherheit und die Bewältigung von Krisenfortsetzen. Ich will an Folgendes erinnern: Aus der BSE-Krise sind wir letztendlich deshalb erfolgreich herausge-kommen, weil es schonungslose Aufklärung, offene Dis-kussionen und ein sehr schnelles Handeln auch desGesetzgebers gab.
Dort, wo es notwendig ist, wird der Gesetzgeber weiterhandeln, um für die Verbraucher Offenheit und Klarheitherzustellen.Von diesen Bemühungen haben nicht nur die Verbrau-cher profitiert, sondern auch die Landwirte.
Betrachtet man die Entwicklung des Rindfleischpreises,so ist festzustellen, dass wir heute wieder auf einem nor-malen Niveau sind. Die Krise ist überwunden.Wir sind aber auch der Überzeugung, dass wir in Zu-kunft allein mit Gesetzen und Verordnungen sowieschlagkräftigen Behörden Lebensmittelskandale nichtverhindern können. Diese wird es immer geben, solangees Menschen gibt; denn es gibt überall kriminelle Energie.Deshalb ist eine selbstkritische Auseinandersetzung auf
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allen Ebenen der Agrarerzeugung, vor allen Dingen in denvorgelagerten Bereichen, erforderlich.Hier hat die Landwirtschaft selbst – dazu gratuliere ichall den Verantwortlichen, die das durchgesetzt haben – mitder Schaffung des QS-Systems Konsequenzen gezogen.
Wir unterstützen diese Arbeit massiv. Ich bin der Über-zeugung: Weitere Fortschritte sind nur durch eine Aus-weitung der Zertifizierungs- und Sicherungssysteme zuerreichen, und dies auch in anderen Bereichen als in de-nen, in denen das QS-System im Moment gilt.
Meine Damen und Herren, die Umsatz- und Absatz-einbrüche infolge von BSE haben wir mit traditionellenMarktregulierungen, mit verstärkten subventioniertenExporten und Interventionseinkäufen bewältigt. AufDauer soll und kann das nicht mehr so weitergehen. Wirerwarten, dass sich die landwirtschaftliche Produktionstärker an Qualität und an der Nachfrage auf den Märk-ten ausrichtet, damit Marktintervention wirklich die Aus-nahme ist.
– Dieser Zwischenruf ist nun absolut nicht richtig, HerrKollege Deß. Natürlich hat es Qualität gegeben. Aber wirmüssen mit höherer Qualität werben und entsprechendeMarken aufbauen. Es darf keine Ware mehr produziertwerden, die in diesem Land oder in der Europäischen Ge-meinschaft nicht zu verkaufen ist. Das ist der springendePunkt, um den es hier geht.
Wir können unsere Marktanteile nur dann vergrößern,wenn die Waren von besonders hoher Qualität sind.Leider bekomme ich signalisiert, dass meine Redezeitzu Ende ist. Gestatten Sie mir aber noch eine letzte Be-merkung zu den Steuern. Warum soll ein Bauer, einLandwirt oder ein Gärtner steuerlich nicht gleich behan-delt werden wie der Besitzer einer Pommesbude? Beant-worten Sie mir irgendwann einmal diese Frage. Dannwerden Sie aufhören herumzujammern, weil es dieDurchschnittsbesteuerung nach § 13 a EStG in Zukunftnicht mehr geben wird.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Peter Carstensen,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Lieber Matthias Weisheit, ich möchte gleich die letzteFrage aufgreifen und eine Gegenfrage stellen: Warum sollein Bauer für das Futtermittel für seine Kühe 16 ProzentMehrwertsteuer bezahlen, während du für das Chappi fürdeine Hunde keine 16 Prozent Mehrwertsteuer bezahlst?
Entschuldigung, ich begreife eure Logik nicht mehr.
Lieber Matthias, auch du hast davon gesprochen, wirsollten nicht Wahlkampf machen.
– Dann macht das doch; das ist in Ordnung. – Der Unter-schied zwischen euch und uns liegt darin – die SPD willdavon ablenken; deswegen spricht sie immer von Wahl-kampf –, dass wir dasselbe sagen wie vor der Wahl. Es istdoch die SPD, die sofort nach der Wahl etwas anderes ge-sagt hat!
Die Ministerin hat schon Recht, wenn sie sagt, dass Ver-braucherschutz damit zu tun hat, Menschen vor Täuschungzu schützen. Das gilt auch für die Zeit nach der Wahl.
Deswegen sollten wir den Koalitionsvertrag in unseremAusschuss behandeln und einmal untersuchen, ob er diedamaligen Ankündigungen enthält oder ob es Änderun-gen gibt.
Es ist schon interessant, was im Koalitionsvertrag steht.
Es ist interessant, wie viel der Bundeskanzler in seiner Re-gierungserklärung über Verbraucherschutz und Landwirt-schaftspolitik gesagt hat.
– Diesen Zwischenruf sollten wir uns merken. Daran se-hen wir, welchen Wert die Landwirtschaftspolitik und derländliche Raum für die Koalition überhaupt noch hat.Jella Teuchner hat gesagt, das Ministerium sei nun einvöllig anderes. Matthias Weisheit sieht das glücklicher-weise ein bisschen anders; denn er hat wieder über Agrar-politik gesprochen. Wenn wir über den ländlichen Raumreden, müssen wir über die Landwirte reden. Ohne dieLandwirte dort werdet ihr eine Politik für den ländlichenRaum nicht mehr machen können, weil sie die Stützen fürdiesen Raum sind.
Matthias Weisheit
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Peter H. Carstensen
Es ist nicht nur interessant, was man darüber im Koali-tionsvertrag findet und wie lustlos Sie darüber reden, son-dern es ist auch interessant, was nicht darin steht. Wir wis-sen, welche Herausforderungen in der Landwirtschaft aufuns zukommen. Es gab nicht ein Wort über die agrarso-ziale Sicherung, nicht ein Wort über die Berufsgenossen-schaften, nicht ein Wort über die landwirtschaftlichenKrankenkassen, nicht ein Wort über die Probleme, die wirin den nächsten Jahren in diesem Bereich haben werden.
Wenn man die Regierungserklärung betrachtet unddann sieht, wie gehandelt wird, dann muss man feststel-len: Sie wollen zwar zukunftsfähige Landwirte haben – soist es in Ihrem Koalitionsvertrag festgelegt –, aber Sie tungenau das Gegenteil. Sie nehmen nämlich den Landwir-ten die Zukunftsfähigkeit.
Wenn Sie vor Ort sind, dann können Sie feststellen,dass die Menschen die Schnauze voll haben von dem, wasim Moment auf sie zukommt.
Sie haben die Schnauze voll von zusätzlichen Belastun-gen. Sie möchten arbeiten und möchten nicht, dass ihreArbeit bürokratisiert wird. Sie möchten ihre Betriebe wei-terentwickeln. Sie möchten Eigenkapital bilden, siemöchten investieren. Aber sie haben inzwischen keineLust mehr dazu – dies bereits nach zweieinhalb JahrenKünast. Ich weiß nicht, wie das nach weiteren vier JahrenKünast aussehen soll.
Sie wissen gar nicht, was bei den Bauern los ist, weilSie nicht wissen, wie die Bauern leben, denken, arbeitenund investieren.
– Ja, ich weiß es.
Sie wissen nicht, wie sehr sich die Bauern Tag für Tagfür ihre Betriebe, ihre Tiere und ihr Land einsetzen undauch dafür – sie sind ja gut ausgebildet –, dass ihre Pro-dukte gut sind.
Sie sagen ihnen: Wir haben nichts für euch übrig; ihr in-teressiert uns nicht. Wir sind Rechner und entscheidenüber euch, ohne dass ihr eingebunden werdet.
Sie zeigen eine unerträgliche Abneigung gegen die kon-ventionelle Landwirtschaft. Sie stellen die ökologischeLandwirtschaft als gut und die konventionelle Landwirt-schaft als schlecht dar.
Das hat die Landwirtschaft nicht verdient!
Meine Damen und Herren, Sie vergessen, dass land-wirtschaftliche Betriebe auch Wirtschaftsbetriebe sind.
Sie müssen Einkommen erwirtschaften und Eigenkapitalbilden und wollen auch investieren. Diesen Unternehmennehmen Sie die Chance, dies im ländlichen Raum umzu-setzen.
Herr Kollege Carstensen, gestatten Sie eine Zwischen-
frage der Kollegin Griefahn?
Aber gerne.
Herr Kollege Carstensen, sind Sie nicht mit mir einer
Meinung,
dass gerade die aktive Gestaltung, die Aufklärung und die
Transparenz, im Verbraucherschutzbereich einen Schutz
für die Landwirte im ländlichen Raum darstellt, weil sie
sonst aufgrund des mangelnden Vertrauens der Bevölke-
rung ihre Produkte nicht mehr absetzen könnten? Dies
war doch nach der BSE-Krise zu beobachten.
Frau Kollegin Griefahn, Sie waren ja einmal Ministe-rin in Niedersachsen. Deswegen möchte ich Ihnen einmalzitieren, was Ihr Ministerkollege, Herr Bartels, vor eini-gen Wochen auf dem Bauerntag in Münster gesagt hat. Erhat gesagt: Wir haben noch nie eine solch gute Qualität inder landwirtschaftlichen Produktion gehabt.
Wir haben noch nie so sicher produziert. Wir haben nochnie so wenig Pflanzenschutzmittel eingesetzt.
Wir haben noch nie so effektiv produziert. – Dies ist aberdoch nicht dank Rot-Grün der Fall. Sehen Sie sich docheinmal die Entwicklung der letzten Jahre an!
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– Nein, ich habe mich überhaupt nicht vertan. – Nichtdank Rot-Grün, sondern dank der Intelligenz und der Aus-bildung unserer Landwirte ist es dazu gekommen.
Sie tun laufend so, als seien unsere Landwirte diejenigen,die durch Gift in den landwirtschaftlichen Produkten denMenschen Krankheiten bringen. Nein, in der konventio-nellen Landwirtschaft wird genauso gut gearbeitet wie inder ökologischen Landwirtschaft.
Beides hat seinen Stellenwert und beides sollte von derRegierung und auch von Rot-Grün anerkannt werden.
Meine Damen und Herren, Sie haben gesagt, dass Siedie Gemeinschaftsaufgabe, die auch von den Ländernfinanziert wird, gezielt zum Instrument zur Förderung dernachhaltigen Entwicklung im ländlichen Raum einsetzenwollen. Sehen wir uns die Situation einmal an! Es gibtLänder, die überhaupt nicht zur Kofinanzierung in derLage sind. Schleswig-Holstein zum Beispiel hat einenAnspruch auf 54 Millionen Euro aus der Gemeinschafts-aufgabe, ruft aber in diesem Jahr 20 Millionen nicht ab.Das heißt, Schleswig-Holstein verhindert 30Millionen anZuschüssen aus der Gemeinschaftsaufgabe, von Bundund Land gemeinsam getragen. Zusammen mit den Mit-teln der EU könnte man 60 Millionen Euro generieren.Insgesamt werden dadurch rund 180 Millionen an Inves-titionen im ländlichen Raum nicht getätigt, weil ein Landnicht in der Lage ist, seinen Eigenanteil zu finanzieren.Deswegen ist die Gemeinschaftsaufgabe leider nichtmehr das geeignete Instrument.Sie müssen sich auch einmal die Situation vergegen-wärtigen, die demnächst auf uns zukommt. Sie werdennämlich genau das tun, was Sie laut Koalitionsvertrag ei-gentlich nicht tun wollen. Sie wollen wirtschaftende undentwickelte Betriebe, sorgen aber mit Ihrer Steuergesetz-gebung dafür, dass viele aus der Landwirtschaft aus-scheiden müssen. Sie werden das feststellen.Ich darf aus dem „Stern“ zitieren. Es ist schon interes-sant, dass „Stern“ und „Spiegel“ – das sind ja nicht unbe-dingt die Kampfblätter der CDU – sich im Moment gegendiese Koalition wenden. Im „Stern“ heißt es:Nehmen wir den Kanzler. „Wir haben nicht die Ab-sicht, die Steuern zu erhöhen“, ulbrichte GerhardSchröder Ende Juli übers Fernsehen den Bürgern zu.Jetzt bittet er sie zur Kasse ...Schauen Sie sich einmal an, welche Auswirkungen inder Landwirtschaft das hat: Die Erhöhung der Mehr-wertsteuer von 7 auf 16 Prozent für so genannte Vorpro-dukte – das ist Saatgut, lebende Tiere, Futterpflanzen –wird 1,842 Milliarden Euro kosten. Die Erhöhung derUmsatzsteuer von 7 auf 16 Prozent für gartenbauliche Er-zeugnisse – Blumen, Zierpflanzen – wird 345 Milli-onen Euro kosten. Die Abschaffung der umsatzsteuerli-chen Durchschnittsbesteuerung wird 209 Millionen Eurokosten. Die Abschaffung der ertragsteuerlichen Durch-schnittsbesteuerung nach § 13 a des Einkommensteuerge-setzes wird 30 Millionen Euro kosten.
– Alles Subventionen? Nicht Steuern zahlen heißt Sub-ventionen? Das ist ja eine ganz tolle Diskussion, die wirim Moment führen.Zunächst einmal gehört den Leuten das Geld und erstdann hat der Staat einen Anspruch auf einen Teil. Sie kön-nen doch nicht sagen, wenn ein geringerer Anspruch be-stünde, bekäme man eine höhere Subvention! Nein, ersteinmal müssen sie ihr Geld verdienen und dann könnenwir uns darüber unterhalten, ob hohe Steuern richtig oderfalsch sind. Hier sind sie falsch.
In der Situation, in der wir uns befinden, sind bei denBauern Entlastungen und nicht zusätzliche Belastungenangesagt.
Wir haben eine Deckelung bei den EU-Kosten. Glückli-cherweise gibt es eine Einigung mit Frankreich.Wir ha-ben sie begrüßt. Frankreich sei Dank, dass der Bundes-kanzler nicht informiert war, dass er schlecht vorbereitetin das Gespräch ging und offensichtlich auch schlechteDolmetscher hat. Die Dolmetscherin müsste einen Ordendafür bekommen, dass sie ihm das nicht richtig gesagthat!
Sonst wäre nämlich bei 39 Milliarden Euro gedeckeltworden, so sind es 48 Milliarden Euro in 2013. Das bedeu-tet mehr Geld für die Landwirtschaft und das ist richtig.Wenn Sie nach Polen, Slowenien, Tschechien und Un-garn gehen und die Diskussion dort führen, werden Sie se-hen, dass man dort mit dem Phasing-in von 25 Prozentnicht auskommen wird und die Landwirte bei uns mit demPhasing-out von wahrscheinlich 75 Prozent oder wenigerPleite machen werden. Das ist die Situation, mit der Sieim Moment spielen.Darum sage ich Ihnen: Wir brauchen mehr Entlastungund weniger Kosten für die Landwirtschaft, um dieschwieriger werdende Situation bei uns überhaupt nochbewältigen zu können.Fischler hat kürzlich ganz deutlich gesagt: Wo sonstals von den Direktzahlungen für die Bauern der bisheri-gen EU-Länder sollen wir das Geld für die neuen Mit-glieder herholen? Das heißt, die Landwirte werden be-lastet und zahlen für die Osterweiterung, die wir allegerne wollen. Wir werden uns noch wundern, wie sichder Strukturwandel in der Landwirtschaft fortsetzenwird.Es war erstaunlich, wie wenig Applaus gerade von derSPD kam, als die Ministerin geredet hat.
Peter H. Carstensen
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Peter H. Carstensen
Ihr wisst es, aber ihr lasst euch im Moment die Kompe-tenz für die Agrarpolitik völlig aus der Hand nehmen.
– Ja, das ist eine Belehrung und vielleicht auch eine Hilfe.Wir werden in eine Situation kommen, die gekenn-zeichnet sein wird durch schwieriger werdende Bedin-gungen in der Landwirtschaft durch WTO-Verhandlun-gen und durch die Osterweiterung. Fischler hat gestern ineiner Rede gesagt – auch das will ich zitieren –: Die Eini-gung schafft Planungssicherheit für die Politik, heißt aberauch, dass künftig alle neuen Reformkosten von den bis-herigen Nutznießern des Agrarbudgets getragen werdenmüssen. – Das heißt Belastung für die Landwirtschaft.Wenn wir in diese Situation kommen, dann brauchen wireine Entlastung auf der Kostenseite. Deswegen wundertes mich, dass im Koalitionsvertrag nicht ein einziges Wortüber die agrarsozialen Sicherungen steht, nicht ein einzi-ges Wort über eine Neuordnung, die dringend notwendigist, nicht ein einziges Wort über Kostenentlastung beiSteuern; stattdessen werden zusätzliche Kosten durchSteuern beschlossen.
Da die obligatorische Modulation der EU offensicht-lich weit nach hinten geschoben wird – so wird es zumin-destens behauptet –, fordere ich Sie, Frau Künast, auf:Nehmen Sie Abstand von der Durchführung Ihres Modu-lationsgesetzes!
Sorgen Sie dafür, dass dieses Gesetz am 1. Januar nicht inKraft tritt! Dieses unsinnige Gesetz belastet die Landwirteund es bringt nichts
für diejenigen Produkte und für diejenigen Vorstellungen,die Sie mit dem Modulationsgesetz fördern wollen. Siewerden ein bürokratisches Monstrum aufbauen,
das dazu führt, dass Bayern – Bayern gibt 800 MillionenDM bzw. 400 Millionen Euro für Naturschutz im ländli-chen Raum aus – nicht weiß, was es mit den zusätzlichenMitteln machen soll.
Dieses bürokratische Monstrum führt außerdem dazu,dass Schleswig-Holstein nicht weiß, wie es die Kofinan-zierung bezahlen soll, und dass Rheinland-Pfalz 1,3 Mil-lionen DM an Verwaltungskosten haben wird, um800 000 DM ausgeben zu können. Frau Künast, sorgenSie dafür, dass dieses unsinnige Gesetz nicht in Kraft ge-setzt wird! Damit würden Sie den Bauern helfen.
Kollege Carstensen, Sie müssen bitte zum Ende
kommen.
Das werde ich sofort tun, Herr Präsident. – Auch im
landwirtschaftlichen Bereich gilt – ich zitiere meine Frak-
tionsvorsitzende –:
Rot-Grün macht arm.
Herzlichen Dank.
Weitere Wortmeldungen zu diesem Themenbereichliegen nicht vor.Wir kommen schließlich zu den ThemenbereichenSoziales und Gesundheit. Ich erteile das Wort der Bun-desministerin Ulla Schmidt.Ulla Schmidt, Bundesministerin für Gesundheit undsoziale Sicherung:Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
– Die fliehen nicht, die wechseln nur die Plätze. – Am22. September haben die Wählerinnen und Wähler unsden Auftrag gegeben, unsere Reformpolitik fortzusetzen.
Die Menschen wissen, dass wir eine Politik der Erneue-rung, der sozialen Gerechtigkeit und der Nachhaltigkeitmachen.Wir sind es gewesen, die in den letzten vier Jahrendafür gesorgt haben, dass in Zukunft keine Rentnerin undkein Rentner zum Sozialamt gehen muss, weil die Rentenicht ausreicht. Wir haben dafür gesorgt, dass Rentnerin-nen und Rentner, die unseren Wohlstand jahrzehntelangmit erarbeitet haben, künftig Anspruch auf eine sozialeGrundsicherung haben, auch wenn sie keine ausreichen-den Rentenansprüche erworben haben, weil sie Famili-enarbeit geleistet haben oder geringfügig beschäftigt wa-ren. Dieses Vorhaben wird ab dem 1. Januar 2003umgesetzt.
Wir sind es gewesen, die dafür gesorgt haben, dass beider Rente zukünftig eine private Säule die gesetzliche er-gänzt. Damit haben wir die Altersvorsorge zukunftsfestgemacht. Wir sind es gewesen, die dafür gesorgt haben,dass schwerbehinderte Frauen und Männer wieder neue
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Chancen am Arbeitsmarkt erhalten und ihre Leistungsfä-higkeit anerkannt wird.
Wir sind es gewesen, die dafür gesorgt haben, dass diemedizinische Versorgung in Zukunft verbessert wird, ins-besondere für chronisch kranke Menschen. Wir sind esgewesen, die von den Wählerinnen und Wählern den Auf-trag erhalten haben, in den nächsten vier Jahren unsereReformpolitik der sozialen Sicherung bei der Rente undbei der Gesundheit konsequent fortzusetzen.
Für uns ist klar: Eine starke soziale Sicherung und wirt-schaftliches Wachstum sind keine Gegensätze, sondernsie gehen Hand in Hand.Deutschland ist auch im internationalen Vergleich mitseinem solidarischen System der sozialen Sicherung inden letzten Jahrzehnten wirtschaftlich gut gefahren. Unserökonomischer Erfolg basiert zu einem guten Teil auf einerstarken sozialen Sicherung. Es sollte nie vergessen wer-den: Solidarität macht Leistungsfähigkeit erst möglich.
Dies ist auch der Grund dafür, warum viele Menschenuns um unseren Sozialstaat, um unser Rentensystem undum unser Gesundheitswesen beneiden. Weil dies so ist,werden wir den Sozialstaat für die Zukunft sichern.Wir wissen alle, dass Handlungsbedarf besteht, Hand-lungsbedarf, der sich aus der demographischen Entwick-lung ergibt, der sich auch aus der erfreulichen Entwick-lung ergibt, dass die Menschen heute älter werden alsfrüher, der sich aus dem medizinischen Fortschritt undveränderten Erwerbsbiografien ergibt. Handlungsbedarfergibt sich auch aus der aktuellen konjunkturellen Situa-tion, die mit einem Einbrechen der Einnahmen einher-geht. Dadurch werden die sozialen Sicherungssystemezusätzlich herausgefordert.Das neu geschaffene Bundesministerium fürGesund-heit und soziale Sicherung ist eine Antwort auf dieseHerausforderungen. Es eröffnet Chancen, die Kräfte zubündeln, Chancen, die Reformen der sozialen Siche-rungssysteme künftig aus einer Hand auf den Weg zu brin-gen. Wir werden diese Chancen nutzen. Wir werden Sy-nergieeffekte nutzen, um deutlich mehr Effizienz in die– seien wir einmal ehrlich – manchmal auch schwerfäl-ligen Systeme zu bringen.
– Wenn ich Ihren Reden zuhöre, habe ich manchmal dasGefühl, die Größe von manchen zeigt sich auch darin, wiesie in der Lage sind, eine Niederlage zu verarbeiten.
In der heutigen Arbeitswelt sind Flexibilität und Mobi-lität gefordert. Die wenigsten Arbeitnehmerinnen und Ar-beiternehmer sind heute lebenslang in einem Beruf tätig,geschweige denn bei einem Arbeitgeber beschäftigt. Ein-mal erworbene Qualifikationen reichen immer wenigerfür das ganze Berufsleben aus. Von den Menschen wirdsehr viel Mut zur Veränderung gefordert. Ich sage aberauch deutlich: Wer diesen Mut zur Veränderung fordert,der muss gleichzeitig dafür sorgen, dass niemand auf sichallein gestellt bleibt, sondern dass die Solidargemein-schaft da ist, um ihn, wenn es nötig ist, aufzufangen.
Deswegen modernisieren wir den Arbeitsmarkt. Wir si-chern gleichzeitig den sozialen Rückhalt für die Men-schen. Wir stehen dafür, dass Risiken wie Krankheit, Un-fall oder Behinderung auch in Zukunft vom Sozialstaatabgesichert sind. Wir stehen dafür, dass der Sozialstaat einLeben im Alter in Würde und sozialer Sicherheit garan-tiert. Wir stehen dafür, dass unsere Gesellschaft ihr sozia-les Gesicht behält.
Die Bundesregierung wird die notwendigen Struktur-reformen am Arbeitsmarkt und im Gesundheitswesendurchführen.
Bei der Rente werden wir das Besteuerungsurteil sozialund gerecht umsetzen. Auch dies ist eine Strukturreform,die weit in die Zukunft weist.Unsere Ausgangsposition ist gut. Wir haben inDeutschland in den letzten 50 Jahren ein hervorragen-des soziales Netz geschaffen. Wir müssen den Sozial-staat nicht neu erfinden, aber wir müssen das Haus dersozialen Sicherung in Deutschland dort, wo es notwen-dig ist, ausbauen, modernisieren und zukunftsfähig ma-chen.Wir haben mit der Rentenreform in der letzten Legis-laturperiode den Grundstein dafür gelegt, dass mit demAufbau der kapitalgestützten Säule neben der umlagefi-nanzierten Säule eine Antwort auf die demographischeEntwicklung gegeben wird, die auch in Zukunft die Rentesicher machen wird.Wir werden mit der Gesundheitsreform im kommen-den Jahr eine Strukturreform auf den Weg bringen, diesich vorrangig mit der Ausgabenentwicklung im Gesund-heitswesen befasst und dafür sorgt, dass wir über Effi-zienz- und Effektivitätssteuerung dahin kommen, dass indiesem System jeder Euro zielgenau ausgegeben wird.Dies ist notwendig für die Menschen und für die Akzep-tanz.
Bundesministerin Ulla Schmidt
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Bundesministerin Ulla SchmidtLangfristig werden wir uns mit der Sicherung der Ein-nahmesituation in allen sozialen Sicherungssystemenauseinandersetzen müssen.
Deshalb werde ich eine Kommission einsetzen, die dielangfristigen Finanzierungsgrundlagen der sozialen Si-cherungssysteme an den vielfältigen Anforderungen desgesellschaftlichen, des sozialen Wandels und auch desWandels in der Arbeitswelt und in den Erwerbsbiografienorientiert, sie aber auch daran orientiert, dass wir einEuropa wollen, in dem die Freizügigkeit für die Bürge-rinnen und Bürger in ihrem Alltagsleben gilt, insbeson-dere bei der Inanspruchnahme medizinischer Leistungen.Diese Freizügigkeit soll im Alltag tatsächlich spürbar underfahrbar werden. Die Kommission wird uns Vorschlägeunterbreiten. Wir werden nach einer breiten Diskussion,hoffentlich auch hier im Hause, die notwendigen Konse-quenzen daraus ziehen.Wir werden das Haus der sozialen Sicherung für dieZukunft gut ausrüsten, indem wir Qualität und Effizienzin der sozialen Sicherung voranbringen. Für die Renteheißt das: Wer jahrelang gearbeitet und Beiträge gezahlthat, hat im Alter Anspruch auf ein anständiges Auskom-men. Junge Beitragszahler werden nicht über Gebühr be-ansprucht. Wir haben dafür gesorgt – wir werden das auchin Zukunft tun –, dass die Lasten gerecht zwischen denGenerationen verteilt werden, weil nur so die Rente zu-kunftsfähig bleiben kann. Für die Gesundheit heißt das:Wer krank wird, hat einen Anspruch auf das medizinischNotwendige und Angemessene, unabhängig von seinemGeldbeutel. Auch morgen muss gelten, dass die Jungen fürdie Alten einstehen; die, die mehr verdienen, für die, dieweniger verdienen; die Gesunden für die Kranken. Nur sobleibt auch die Gesundheitsversorgung zukunftsfähig.
Bei allen Reformen halten wir an der Solidarität fest.Wir werden sie stärken, in der Renten- wie in der Kran-kenversicherung. Aber eines ist ebenfalls klar: Solidaritätfunktioniert nur, wenn alle mitmachen. Wir wollen, dassmöglichst viele Menschen erwerbstätig sind und ihren Le-bensunterhalt selbst bestreiten. Wir wollen, dass aus Men-schen, die heute arbeitslos sind, morgen wieder Steuer-und Beitragszahler werden.
Das ist das Ziel unserer Arbeitsmarktreform und das istauch die Grundlage für die Zukunft der sozialen Siche-rungssysteme.
Neben kurzfristig greifenden Maßnahmen bei derRente und im Gesundheitswesen werden wir strukturelleErneuerungen vornehmen, die die Zukunft sichern.
Lassen Sie mich eines klarstellen – das wird ja wohlniemand bezweifeln; ich sage das noch einmal an dieAdresse der Kollegin Hasselfeldt –: Die Riester-Rente istein Erfolg.
Sie ist ein Erfolg, weil wir mit der Riester-Rente etwas ge-schafft haben, wozu Sie 16 Jahre lang nicht in der Lagewaren, nämlich den Menschen die Möglichkeit zu eröff-nen, sich neben der umlagefinanzierten Rente eine kapi-talgestützte Säule der Altersversorgung aufzubauen.
Die jungen Menschen von heute sollen wissen, dass siedann, wenn sie in Rente gehen, eine ihren Lebensstandardsichernde Altersversorgung haben und ein ausreichendhohes Einkommen erhalten werden.
Wir haben mit diesen beiden Säulen einen Weg eröff-net, der es möglich macht, dass diejenigen, die Hilfe nötighaben, sie durch staatliche Unterstützung bekommen. Wirwerden am Ende dieses Jahres Bilanz ziehen müssen.
Denn es gibt viele Tarifverträge, in denen die Riester-Rente abgesichert worden ist. Viele Menschen werdensich noch im Dezember dazu entscheiden, für sich die ka-pitalgestützte Säule aufzubauen.
Es bringt überhaupt nichts, wenn man Erfolge kaputt-redet. Wir werden die Entwicklung am Ende dieses Jah-res und auch darüber hinaus weiter beobachten müssen.Wir wollen die zweite, die kapitalgestützte Säule als tra-gendes Element der Alterssicherung der Zukunft auf-bauen. Wir werden die notwendigen Begleitmaßnahmenauf den Weg bringen.
Wir stehen dafür, dass die über 50-Jährigen nicht zumalten Eisen gehören werden. Wir brauchen ihre Kompe-tenz und Fähigkeiten dringender denn je. Ich finde es be-klagenswert, dass viele Arbeitgeber und Arbeitgeberinnenin dieser Frage viel zu kurzfristig denken. Wir sind unsin diesem Hause alle darüber einig, dass wir alles dafürtun müssen, dass das faktische Renteneintrittsalter mitdem gesetzlichen Renteneintrittsalter übereinstimmt. Wirmüssen dafür sorgen, dass diejenigen, die 50, 55 oder58 Jahre alt sind, bis zum gesetzlichen Renteneintrittsaltererwerbsfähig sein können und Arbeitsplätze finden.
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Deswegen appelliere ich von dieser Stelle aus an diejeni-gen aus dem Unternehmerlager, die immer wieder danachrufen, dass wir eine Verlängerung der Lebensarbeitszeitbrauchen, endlich dafür zu sorgen, dass die Frauen undMänner, die bis zum 65. Lebensjahr erwerbstätig seinwollen, dies auch sein können. Das muss zunächst ange-gangen werden, bevor man sich weitergehenden Forde-rungen zuwendet.
Darüber sind wir uns einig. Wir sehen ja in diesem Hause:Mit 50 gehört niemand zum alten Eisen. Wenn hier geltenwürde, was in der Wirtschaft gilt, wäre ein Großteil vonuns überhaupt nicht mehr hier.
Deshalb, meine Damen und Herren, wird mein KollegeClement bei der Arbeitsmarktreform meine Unterstützung
und die Unterstützung des Hauses haben. Es muss unseregemeinsame Aufgabe sein, dafür zu sorgen, dass Men-schen in Arbeit kommen und so zu Beitragszahlern undBeitragszahlerinnen werden.In der Gesundheitspolitik fördern wir die Eigenver-antwortung der Menschen. Wir definieren Eigenverant-wortung aber etwas anders, als es manchmal von der rech-ten Seite dieses Hause zu hören ist.
Eigenverantwortung bedeutet für uns nicht, dass die Men-schen immer mehr Geld privat auf den Tisch legen müs-sen. Eigenverantwortung bedeutet für uns, die Kompe-tenz der Menschen, für ihre eigene Gesundheit sorgen zukönnen, zu stärken sowie Anreize für Prävention und fürVorsorge zu setzen. Den Menschen muss bewusst sein: Je-der hat nur dieses eine Leben. Wer fit ins Alter gehen will,der muss früh anfangen, vorzusorgen und Verantwortungfür die eigene Gesundheit zu übernehmen. Das ist Eigen-verantwortung im besten Sinne des Wortes.
Wir haben hierzu mit der Stärkung der Patientenrechte,den strukturierten Behandlungsprogrammen für chro-nisch Kranke und dem Ausbau von Prävention und Ge-sundheitsförderung die Voraussetzungen geschaffen. Die-sen Weg werden wir in den nächsten vier Jahren fortsetzenund wir werden die Möglichkeiten ausbauen.Selbstverständlich, liebe Kolleginnen und Kollegen,sind weitere strukturelle Veränderungen im Gesund-heitswesen nötig. Die Leistungsseite muss dabei in denMittelpunkt rücken. Qualität und Wirtschaftlichkeit, Steu-erungseffizienz und Transparenz, solidarischer Wettbe-werb um die besseren Behandlungskonzepte, das sind dieZiele, um die es gehen muss.Jeder muss auch in Zukunft die Behandlung bekom-men, die medizinisch angemessen und notwendig ist. Wirwerden aber genau prüfen müssen, was wir uns im Inte-resse der Patientinnen und Patienten leisten müssen undwas wir uns nicht leisten sollten.
Das wird die Aufgabe sein. Ich bin entschieden dafür,dass die Krankenkassen nur noch die Leistungen bezah-len, die wirklich, wissenschaftlich nachgewiesen, nut-zen,
um eine Krankheit zu erkennen und zu bekämpfen oderSchmerzen zu lindern.Ich bin entschieden dafür, dass die Krankenkassen dieQualität der erbrachten Leistungen zur Voraussetzung fürVerträge machen und nicht Gewohnheitsrecht. Ich sagehier ganz klar: Ich akzeptiere, dass hochwertige medizi-nische Leistungen ihren Preis haben. Leistungen müssenihren Preis aber auch wert sein. In unserem Gesundheits-wesen muss durchgängig auf qualitätsgesicherter Basisund effizient gearbeitet werden.
Leistungen müssen aufeinander abgestimmt werden.Doppel- und Parallelbehandlungen müssen vermiedenwerden. Nur so können wir auch in Zukunft Gesundheitfür alle bezahlen. Nur so kann jeder eine hoch stehendemedizinische Versorgung erhalten.
Letztlich geht es bei unserer Gesundheitsreform umdie Lebensqualität der Menschen, um den Verbraucher-schutz und um das Kostenbewusstsein. Die konse-quente Prüfung des Nutzens von Therapien, Technolo-gien und Arzneimitteln, die Fortbildungsverpflichtungfür Ärztinnen und Ärzte und die Behandlungsleitlinienfür die großen chronischen Volkskrankheiten werdendynamische Qualitätsstandards setzen, die Lebens-qualität der Menschen erhöhen und gleichzeitig dieKosten senken.Wir werden den Rahmen für eine Wettbewerbsordnungum die beste Versorgungsqualität schaffen, die alle im Ge-sundheitswesen Tätigen anspornt, qualitätsgesichert undeffizient zu arbeiten. Mit der Möglichkeit, Informatio-nen über die Qualität zu erhalten, werden wir dafür sor-gen, dass der Qualitätswettbewerb angeregt und intensi-viert wird. Damit ermöglichen wir es den Patienten undPatientinnen, mit ihren Füßen abzustimmen; sie wissennämlich, wo sie Qualität erhalten.
Der Ausbau der integrierten Versorgung, die Stärkungder Hausärzte als Lotsen, die verbesserte Abstimmungzwischen Haus- und Fachärzten, Krankenhäusern undGesundheitszentren und die flächendeckende Einführungder elektronischen Gesundheitskarte – all dies wird denBundesministerin Ulla Schmidt
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Bundesministerin Ulla SchmidtPatienten nutzen, die Kosten senken und die Beiträge sta-bil halten.
Wir werden diese Strukturreformen angehen und durchein Vorschaltgesetz kurzfristig erste Schritte unterneh-men, damit wir Luft schaffen, um diese Reformen umzu-setzen.
Dieses Vorschaltgesetz wird von allen Leistungserbrin-gern einen Beitrag zum Sparen einfordern. Es wird aberkein Gesetz sein, durch das notwendige Behandlungenund Strukturmaßnahmen blockiert werden.
Es wird zum ersten Mal ein Vorschaltgesetz erlassen – dassteht im Gegensatz zu den Vorhaben während Ihrer Re-gierungszeit –, durch das Sparpotenziale erschlossen wer-den, ohne medizinisch notwendige Leistungen für dieVersicherten zu kürzen oder sie über Zuzahlungen zur Fi-nanzierung dieser Sparbeiträge heranzuziehen.
Meine Damen und Herren, den Weg, den wir in derBehindertenpolitik eingeschlagen haben, werden wirweitergehen. Wir sind nämlich der Meinung, dass es allenMenschen mit Behinderungen ermöglicht werden muss,an allen Bereichen unseres gesellschaftlichen Lebensgleichberechtigt und selbstbestimmt teilzuhaben. Dieswird mit dem SGB IX, dem Sozialgesetzbuch – NeuntesBuch –, gesetzlich geregelt.
Es wird darauf ankommen, dafür zu sorgen, dass das, waswir gesetzlich geregelt haben, im Alltag auch überall um-gesetzt wird. Das wird auch in der Behindertenpolitik dieHauptaufgabe sein.Wir werden eine Sozialhilfereform auf den Weg brin-gen, durch die das Konzept von „Fördern und Fordern“auch in der Sozialhilfe umgesetzt wird und durch die denMenschen die Möglichkeit gegeben wird, ihr Lebenselbstbestimmt zu gestalten. Damit geben wir ihnen dieChance, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben.Wir haben in den kommenden vier Jahren viel vor.
Ich hoffe, dass wir – jenseits von aller Wahlkampfrheto-rik – in diesem Hause über die für Deutschland sehr wich-tigen Fragen der sozialen Sicherung und der sozialen Ge-staltung unseres Gemeinwesens gemeinsam beraten undzu gemeinsamen Beschlüssen kommen werden.Vielen Dank. Ich glaube, gemeinsam schaffen wir das.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Horst Seehofer,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-ren! Zu allererst ist es bemerkenswert, dass ein größererTeil der SPD-Bundestagsfraktion den Saal wieder betre-ten hat, nachdem sich abzeichnete, dass Frau Schmidt mitihrer Rede zum Ende kommt.
Der zweite Punkt. Es ist ärgerlich: Die deutsche Sozi-alversicherung befindet sich in der größten Krise seitihrem Bestehen und Frau Schmidt speist das deutscheParlament mit nichts sagenden Allgemeinplätzen ab.
Wir werden es in den nächsten Tagen erleben: In Wahr-heit plant sie drastische, schamlose Eingriffe in das deutscheSozialsystem.
Drastisch und dreist, weil ich vor gut einem Monat nochganz andere Töne von Frau Schmidt gehört habe. Ich habemit ihr etliche Fernsehdiskussionen bestritten. Ich habeauf die wahre dramatische Lage der deutschen Sozialver-sicherung hingewiesen. Frau Schmidt hat auch in der Öf-fentlichkeit immer geantwortet: Das alles ist Panikmache.Die Krankenversicherung wird Ende des Jahres einenausgeglichenen Haushalt haben.Jetzt sind vier Wochen vergangen. Die deutsche Kran-kenversicherung schwebt in akuter Lebensgefahr. Nunkann es nicht schnell genug gehen. In der nächsten Wochesoll ein Gesetz eingebracht werden, das noch im Novem-ber verabschiedet werden soll. Das ist bei einem so erns-ten Thema ein schamloses Verfahren gegenüber demdeutschen Parlament. Bevor der Gesetzentwurf überhaupteingebracht ist, bittet man uns, Sachverständige für eineAnhörung zu benennen, obwohl wir gar nicht wissen, wasin dem Gesetzentwurf steht. Das ist ein reines Tollhaus.
Es ist dreist, Frau Schmidt, dass Sie noch vor gut vierWochen gesagt haben: Die Finanzen der Krankenver-sicherung sind ausgeglichen. Jetzt müssen Sie Milliar-
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dendefizite einräumen. Lügen haben kurze Beine. Siewussten um die Situation der deutschen Krankenversi-cherung. Sie haben die deutsche Öffentlichkeit wider bes-seres Wissen angelogen. Sie haben sich moralisch dis-qualifiziert. Sie haben den Menschen vor der Wahl dieUnwahrheit gesagt.
Deshalb, Frau Schmidt, glauben wir Ihnen kein Wortmehr. Keine Prognose von Ihnen trifft zu. Ihre Auffassun-gen zu den Dingen drehen sich schneller als ein Ventila-tor. Es ist schamlos, was Sie jetzt vorhaben. Man musssich einmal vergegenwärtigen, worauf die Probleme desdeutschen Gesundheitswesens zurückzuführen sind.
Es ist nicht das Unvermögen der Bevölkerung, wie uns derKanzler einreden wollte, die nicht leistungsbereit sei undzu wenig für unser Land tue. Es ist nicht das Unvermögender Beteiligten des Gesundheitswesens. Die aktuellen Pro-bleme des deutschen Gesundheitswesens sind alleine aufdas Unvermögen dieser Bundesregierung zurückzuführen.
Die Spitzenverbände der deutschen Krankenversiche-rungen haben vor wenigen Tagen erklärt: Die in der Ver-gangenheit praktizierte Schwächung der Finanzen derGKV zur Entlastung anderer Sozialversicherungszweigebzw. der öffentlichen Haushalte – das sind die berühmtenVerschiebebahnhöfe, mit denen sich die Bundesregierungzulasten der deutschen Krankenversicherung entlastet –
schwächt die gesetzlichen Krankenkassen in den Jahren2002 und 2003 bereits mit 4,5 Milliarden Euro. So diedeutschen Krankenkassen.
Die deutschen Krankenkassen haben festgehalten: Ohnediese Belastung hätten die Beitragssätze in der Kranken-versicherung stabilisiert werden können.Jetzt aber folgt die Kontinuität im Irrtum. Mit diesenVerschiebebahnhöfen geht es nämlich weiter. Das meiste,was Herr Clement hier gestern vorgestellt hat,
ist ein Verschiebebahnhof zulasten der Kranken- und Ren-tenversicherung. Die Einnahmeschwächung, die FrauSchmidt beklagt hat, ist zuallererst darauf zurück-zuführen, dass diese Regierung die Beiträge für dieArbeitslosenhilfebezieher an die Krankenversicherungdrastisch gesenkt hat. Das hat nicht nur dazu geführt, dassdiese Menschen später eine niedrigere Rente haben wer-den, insbesondere in den neuen Bundesländern, sondernauch dazu, dass die Einnahmen der Krankenversicherun-gen drastisch vermindert wurden.
Auf diesem fehlerhaften Weg wird fortgefahren. Derneue Verschiebebahnhof nach den neuen politischenMaßnahmen wird die Krankenversicherung erneut mitweit über 1 Milliarde Euro belasten.Ich halte fest: Erste politische Ursache für die akuteFinanznot der gesetzlichen Krankenversicherung sind diepolitischen Fehler, die Rot-Grün in den letzten Jahren undin der Gegenwart gemacht hat.
Hinzu kommt, dass allein zwei Leistungsbereichedurch politisches Unvermögen in den Sand gesetzt wor-den sind. Den einen Fehler haben Sie persönlich zuverantworten, Frau Schmidt. Sie haben die Arzneimittel-budgets aufgehoben, ohne gleichzeitig eine Struktur-reform im Gesundheitswesen durchzuführen.
Das hatte zur Folge, dass die Arzneimittelausgaben in Ih-rer Regierungsverantwortung um 30 Prozent oder umannähernd 9 Milliarden DM gestiegen sind.
Sicherlich wird niemand behaupten, dass der Bedarf anmedizinischer Versorgung in diesem Sektor in demselbenUmfang gestiegen ist.Sie haben den weiteren Fehler begangen, die von unseingeführte Selbstbeteiligung so zu ändern, dass in dergesetzlichen Krankenversicherung derjenige der Dummeist, der sich nicht die größte Packung verordnen lässt. Füreine kleine Packung mit 25 Pillen sind vier Euro Zuzah-lung zu leisten, für eine große Packung mit 100 Pillen fünfEuro – in unserer Regierungsverantwortung war dieSpreizung wesentlich größer –; das hat zur Folge, dassverständlicherweise niemand mehr bereit ist, bei nur ei-nem Euro Unterschied auf die 75 Pillen in der größerenPackung zu verzichten. Das war ein verheerender politi-scher Fehler, der zu der Explosion der Arzneimittelausga-ben geführt hat.
Die Verwaltungskosten innerhalb der gesetzlichenKrankenversicherung sind in Ihrer Regierungsverantwor-tung um 15 Prozent oder annähernd 2 Milliarden gestie-gen, und zwar nicht, weil die Krankenkassen unwirt-schaftlich arbeiten, sondern weil Sie durch Paragraphen,Reglementierung, Gesetze und planwirtschaftliche Maß-nahmen die Bürokratie in den Krankenkassen verstärkthaben.
Beides zusammengenommen – die politisch indizierteArzneimittelexplosion plus der explosionsartige Anstieg derBürokratie und der Verwaltungskosten – belastet die gesetz-liche Krankenversicherung gegenwärtig mit 10 MilliardenHorst Seehofer
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Horst SeehoferDM bzw. 5 Milliarden Euro. Das heißt, wenn Sie diese po-litischen Fehler nicht begangen hätten, würde die gesetzli-che Krankenversicherung trotz der schwierigen Wirt-schaftslage im Moment kein Defizit schreiben.
Die akute Finanznot der gesetzlichen Krankenversiche-rung ist Ausdruck des Unvermögens dieser Regierung.Das ist die Folge Ihres Verschiebebahnhofs und politischfalscher Maßnahmen.Was ist zu tun? Es muss vor allem mit dem IrrglaubenSchluss gemacht werden, dass soziale Gerechtigkeit,hohe Qualität in der medizinischen Versorgung und wirt-schaftliche Effizienz durch Reglementierung und staatli-che Bürokratie gewährleistet werden können.
Die Hoffnung auf soziale Gerechtigkeit durch einestaatlich kontrollierte Verteilungsorganisation hat sichendgültig als wirklichkeitsblind erwiesen.
Das Ergebnis Ihrer Politik ist, dass die Menschen in unse-rem Lande so hohe Krankenversicherungsbeiträge zahlenwie nie zuvor und gleichzeitig die Versorgungsqualität soschlecht geworden ist wie nie zuvor. Beitragserhöhungenund Leistungssenkungen sind das Ergebnis Ihrer verfehl-ten Politik.
Was ist zu tun? – Wir sagen es seit Jahren. Wir habenes auch im Wahlkampf gesagt und haben im Gegensatz zuIhnen keinen Anlass, unsere Position nach der Wahl zu än-dern. Die erste und wichtigste Aufgabe ist eine andereWirtschafts-, Finanz-, Haushalts- und Steuerpolitik, um inDeutschland eine wirtschaftliche Dynamik auszulösenund mehr Arbeitsplätze zu schaffen; denn dies ist das Aund O für die Einnahmen der Krankenversicherung. Andieser Stelle müssen Sie ansetzen.
Das Zweite, was Sie tun müssen, Frau Schmidt, ist, dieneuen Verschiebebahnhöfe zugunsten des Ministers fürWirtschaft und Arbeit zu verhindern. Es wäre richtig undein Ausdruck von Tapferkeit, die Fehler im eigenen Ladenzu vermeiden, statt die Öffentlichkeit zu beschimpfen,dass sie sich angeblich falsch verhalte.
In der Strukturreform haben Sie den großen Fehler ge-macht, unsere Gesundheitsreform zurückzunehmen.
Wenn Sie die Gesundheitsreform des Jahres 1997 nachder Bundestagswahl nicht aufgehoben hätten, dann hät-ten Sie gegenwärtig weder die Finanzierungs- noch dieQualitätsprobleme in der gesetzlichen Krankenversiche-rung.
Das war ein kolossaler politischer Fehler. Hinzu kommennoch Ihre eigenen Fehler in den vergangenen vier Jahren.Bei einer Strukturreform müssen Sie von den planwirt-schaftlichen Elementen Abschied nehmen und im Kerndrei oder vier Punkte realisieren, die zu mehr Qualität undzu einer höheren wirtschaftlichen Effizienz führen als IhreAnsätze der Bürokratie und Reglementierung. An ersterStelle muss gerade mittel- und langfristigstehen, das deutsche Gesundheitswesen aus dem Repara-turbetrieb herauszuholen und in der BundesrepublikDeutschland mehr Prävention durch finanzielle Anreizezu realisieren.
Zweitens. Das deutsche Gesundheitswesen muss ausder Dunkelkammer heraus. Bisher weiß niemand der Be-teiligten, was dort stattfindet. Es ist höchste Zeit, dass dieVersicherten eine Rechnung bekommen, aus der sich er-gibt, was geleistet und wie abgerechnet worden ist. Es isthöchste Zeit, dass die Ärzte eine Gebührenordnung be-kommen, anhand derer sie zum Zeitpunkt der Leistungs-erbringung wissen, was sie für ihre Leistungen erhalten.
Es ist schlimm, dass die Ärzte der einzige Berufsstandsind, der zum Zeitpunkt der Dienstleistung nicht weiß,was er für seine Leistung erhält.
Drittens. Besinnen Sie sich endlich auf ein tragendesElement der sozialen Marktwirtschaft, nämlich auf denWettbewerb. Dezentralisieren Sie das deutsche Gesund-heitswesen. Geben Sie den Ärzten, den Krankenhäusern,den Apothekern und den anderen vor Ort Tätigen durchWettbewerb und freie Vertragsgestaltung – nicht durchstaatliche Bevormundung – die Chance, die bestmöglicheVersorgung der Patienten vor Ort sicherzustellen. Ent-scheiden Sie nicht alles zentralistisch, einheitlich und hin-ter verschlossenen Türen in Berlin.
Geben Sie den Beteiligten im Gesundheitswesen viel-mehr die Gestaltungsmacht, in einen Wettbewerb um diebestmögliche Versorgung der kranken Menschen einzu-treten.
Viertens. Diejenigen, die die Krankenversicherung mitihren Beiträgen finanzieren, also die Beitragszahler, ha-ben bisher so gut wie kein Mitspracherecht, wenn es umdie Gestaltung der Krankenversicherung geht. Deshalb
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halten wir es für ein wichtiges Gestaltungselement, diedeutsche Sozialversicherung ein Stück weit zu demokra-tisieren, also auch denjenigen, die Beiträge zahlen, einMitspracherecht zu geben.
Den Gedanken des Gemeinsinns mit dem der Freiheit undden Gedanken der Eigenverantwortung mit dem derfreien Entscheidungsmöglichkeit des Bürgers zu verbin-den sind Elemente eines freiheitlichen Gesundheitswe-sens. Räumen Sie den Versicherten endlich ein Mitgestal-tungsrecht bei den Versicherungskonditionen und beimLeistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherungdurch Wahlmöglichkeiten ein! Das heißt, wer sich selbstfinanziell stärker an den Leistungen beteiligt, der hat ei-nen geringeren Beitragssatz.
Lassen wir das die Menschen und nicht die Bürokratenentscheiden.
Führen Sie endlich Mitentscheidungsmöglichkeitenvon chronisch kranken Menschen in der gesetzlichenKrankenversicherung ein. Machen wir Schluss damit, dassFunktionäre über die Köpfe der chronisch kranken Men-schen hinweg entscheiden. Beziehen wir die chronischkranken Menschen und ihre Selbsthilfegruppen vielmehrin die Politikberatung und in die Entscheidungen der ge-setzlichen Krankenkassen mit ein. Das wäre die richtigeAntwort in der deutschen Gesundheitspolitik.
Sie fallen in die Zeiten der Reglementierung zurück.Sie verordnen Nullrunden und wollen den Menschenweismachen, dass damit keine Qualitätseinbußen in derGesundheitsversorgung verbunden seien. Nullrunden fürdie deutschen Krankenhäuser bedeuten aber in Wahrheit,dass die Krankenhäuser im nächsten Jahr nur noch zweiMöglichkeiten haben: Entweder entlassen sie Personaloder sie schränken Leistungen ein. Die meisten Kranken-häuser werden beides tun müssen. Frau Schmidt, Sie tra-gen die Verantwortung dafür, dass in Deutschland nochnie so viel Zweiklassenmedizin realisiert wurde wie der-zeit. Diese Entwicklung wird sich auch noch fortsetzen.
Dann gibt es noch einen Scherbenhaufen, den Rot-Grünangerichtet hat. Das ist die Rentenreform. Ich habe einmalherausgesucht, was bei der Verabschiedung dieser angebli-chen Jahrhundertreform vor einem Jahr von diesem Red-nerpult aus gesagt worden ist. Walter Riester sagte damals:Wir werden sicherstellen, dass in einem Zeitraumvon zehn Jahren der Rentenversicherungsbeitragnicht über 19 Prozent und in einem Zeitraum von20 Jahren nicht über 20 Prozent steigen wird.
Ein Kollege aus meiner Fraktion hat damals dazwi-schengerufen: „Daran werden wir Sie erinnern!“
Das tun wir heute.Ich habe schon vor einigen Monaten gesagt – ich wie-derhole es, auch wenn Herr Müntefering nicht hier ist –:Der Rentenversicherungsbeitrag von 19,1 Prozent istnicht zu halten, obwohl die Menschen jetzt ab 1. Januarmehr als 15 Milliarden Euro Ökosteuer an der Tankstellesozusagen als Rentenbeitrag zahlen.
Wenn Sie ehrlich mit dem Thema umgehen,
müssen Sie die Beiträge von 19,1 Prozent auf minde-stens 19,8 Prozent erhöhen. Weil ich zum Optimismusaufgefordert worden bin, habe ich zugunsten der Regie-rung sogar noch optimistisch gerechnet, nämlich nur miteiner Steigerung von 19,1 Prozent auf 19,5 Prozent. FrauSchmidt, mindestens werden es aber 19,8 Prozent sein.Sie gehen jetzt auf 19,3 Prozent und versuchen die Dif-ferenz durch einen schamlosen Griff in die Rentenreser-ven auszugleichen. Das wird dazu führen, dass im nächs-ten Herbst, also im Herbst 2003, zum ersten Mal in derGeschichte der deutschen Rentenversicherung die Renteauf Pump finanziert werden muss. Das zerstört das Ver-trauen in die Rentenversicherung und ist des deutschenSozialstaats unwürdig.
Außerdem erhöhen Sie die Beitragsbemessungs-grenze. Diese beiden systemwidrigen Eingriffe werdenaber nicht ausreichen, um die Einnahmendifferenz beidem von Ihnen angepeilten Rentenversicherungsbeitragvon 19,3 Prozent und dem tatsächlich notwendigen von19,8 Prozent auszugleichen.Deshalb prognostiziere ich heute wieder:
Entweder korrigieren Sie das schon jetzt, also noch bevorSie den Gesetzentwurf einbringen, und gehen auf einenhöheren Satz als 19,5 Prozent – das wäre nichts Neues;jeder zurzeit handelnde Minister dieser Regierung hatsich seit der Vereidigung in diesem Haus, also seit gut ei-ner Woche, in seiner Meinung, die öffentlich gemachtwird, mindestens einmal korrigiert –
oder Sie machen es später, aber Sie werden es – das istbombensicher – machen müssen, und dies bei der Aus-sage: Wir garantieren der deutschen Öffentlichkeit, dassder Rentenversicherungsbeitrag über zehn Jahre hinwegnicht über 19 Prozent steigen wird.Herr Riester sagte dann noch:Deswegen ist diese ReformHorst Seehofer
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Horst Seehofer– gemeint ist die, die vor Jahresfrist verabschiedet wurde –die größte Sozialreform, die in der Nachkriegszeitgemacht worden ist.
Man glaubt es nicht, wenn man hört, dass die größteNachkriegsreform aller Zeiten, die am 1. Januar mit derRiester-Rente in Kraft getreten ist – nicht irgendwann,sondern am 1. Januar dieses Jahres –, im Oktober völligaufgehoben wird, und zwar dadurch, dass der Bundes-kanzler erklärt: Jetzt werden wir eine Kommission einset-zen, die eine echte Rentenreform macht.
Dass eine Jahrhundertreform nach zehn Monaten amEnde ist, ist eine Welturaufführung.
Ich sage ganz freimütig: Wir haben auch nicht immerReformen gemacht, die ein Jahrhundert gehalten haben,aber sie haben wenigstens einige Jahre gehalten. Eine Re-form, die als Jahrhundertreform gepriesen worden ist, hältnur Monate. Was sollen sich eigentlich all die Kommen-tatoren denken, die diese Reform gepriesen haben, weilsie der Propaganda des Ministers geglaubt haben? Wassollen die 2 Millionen Menschen denken, die einen Ver-trag zur Riester-Rente abgeschlossen haben und jetzt fest-stellen, dass sich alle Rahmenbedingungen ändern wer-den?
Es ist ein Treppenwitz der Sozialgeschichte: Nach zehnMonaten ist eine große Reform am Ende und es wird eineKommission eingesetzt, um die nächste Reform vorzube-reiten.
Das deutsche Sozialversicherungssystem war in Eu-ropa über viele Jahrzehnte Modellfall. Es war ein Vorzei-gemodell.
Es hat vieles überstanden und bewältigt, Millionen Ver-triebene und Flüchtlinge mit guten Renten- und Gesund-heitsleistungen sozial integriert, viele wirtschaftliche Re-zessionen überdauert und die deutsche Einheit sozialgestaltet. Es war eines der schönsten Ereignisse: die in-nere Einheit im sozialen Bereich mit den Renten und derschnellen Übertragung des Gesundheitswesens, das opti-mal funktioniert hat.
Das alles hat das gute deutsche Sozialsystem bewältigt.Vier Jahre Rot-Grün haben genügt, um dieses Sozialsys-tem zum Kollaps zu bringen. Das ist das Ergebnis IhrerPolitik.
Frau Schmidt, für Ihre Planwirtschaft bestand und be-steht keine Zukunft. Sie müssen einen grundlegendenRichtungswechsel in Ihrer Politik herbeiführen: mehr Ei-genverantwortung, mehr Flexibilität und freiheitlicheMuster. Dadurch werden mehr Qualität und Versorgungs-sicherheit gewährleistet als durch Ihre Bürokratie und Re-glementierung. Wenn Sie das nicht tun, werden Sie in derdeutschen Sozialgeschichte nicht als Superministerin inErinnerung bleiben, sondern Sie werden als die Ministe-rin in die deutsche Sozialgeschichte eingehen, die diesesSozialsystem auf dem direkten Weg in den Supergau ge-führt hat.Ich danke Ihnen.
Zur Geschäftsordnung erteile ich das Wort dem Kolle-
gen Kauder.
Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und
Kollegen! Ich beantrage im Namen meiner Fraktion,
dass der Herr Bundeskanzler, der Herr Bundesfinanz-
minister und der Herr Bundeswirtschaftsminister an
dieser Debatte teilnehmen. Ein zentrales Thema deut-
scher Politik – wie können Lohnzusatzkosten gesenkt
werden? – wird besprochen. Die zuständigen Fachmi-
nister und der Bundeskanzler halten es nicht für nötig,
an dieser Debatte teilzunehmen. Das ist ein unerträgli-
cher Zustand.
Ich erteile dem Kollegen Küster das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-ren! Herr Kauder, ich richte mich besonders an IhreAdresse und an Ihre Fraktion. Sie wissen, dass zwei, dreiMinister derzeit aufgrund internationaler Verpflichtungenunterwegs sind und darum an der Debatte nicht teilneh-men können. Dass Sie diese üblichen Regeln des parla-mentarischen Lebens auch jetzt wieder missbrauchen,zeigt, dass Sie Ihre Rolle als Opposition bisher noch nichtgefunden haben.
Des Weiteren haben Sie gesehen, dass in dieser Debattealle Ministerien vertreten waren. Ich glaube, Sie wollen
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ein Spielchen treiben. Wenn Sie dieses anstatt einer or-dentlichen Beratung wollen, lassen wir uns gerne daraufein und wir können über Ihren Antrag entscheiden. Siewerden – wie immer – verlieren.
Kollege Beck, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! – Nun kom-
men Sie erst einmal zur Ruhe.
– Machen Sie das mit dem Präsidium aus. Wenn der Prä-
sident mir das Wort erteilt, habe überwiegend ich das Wort
und Sie das Recht zu Zwischenrufen.
Selbstverständlich ist es das gute Recht der Opposi-
tion, Regierungsmitglieder herbeizuzitieren, wenn sie das
für sinnvoll hält. Trotzdem muss man sich fragen, ob ein
solcher Antrag jetzt, nach einer dreitägigen Debatte zur
Regierungserklärung, bei der der Bundeskanzler und
viele Mitglieder des Kabinetts ständig anwesend waren,
wirklich Sinn macht.
Ich meine, wir sollten die Mittel und Möglichkeiten
unserer Geschäftsordnung nicht durch Spielchen über-
strapazieren, sondern die Debatten in diesem Hause so
führen, dass sie der Würde dieses Hauses auch gerecht
werden. Ich habe große Zweifel, ob dieser Antrag diesem
Anliegen dient. Deshalb stimmen wir dagegen.
Ich erteile dem Kollegen Thiele das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Die FDP tritt dem Antrag
der Fraktion der CDU/CSU bei. Auch wir bitten um die
Anwesenheit der zuständigen Minister und des Bundes-
kanzlers. Es handelt sich immerhin um eine Diskussion
über die Regierungserklärung.
Die zuständigen Minister der Bundesregierung und der
Bundeskanzler an der Spitze sollten bei dieser Debatte an-
wesend sein. Da der Bundeskanzler selbst erklärt hat, dass
die demographische Entwicklung unseres Landes eines
der Hauptprobleme, die von dieser Regierung gelöst wer-
den müssen, darstellt, erwarten wir die Anwesenheit des
Kanzlers und der zuständigen Minister.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag, den
Kollege Kauder gestellt hat. Wer stimmt für diesen An-
trag? – Wer stimmt dagegen? – Wir sind uns hier vorne
nicht einig.
Meine Schriftführerin zur Rechten sagt, rechts sei die
Mehrheit. Mein Schriftführer zur Linken sagt, links sei
die Mehrheit. Also kommen wir zu unserem geliebten
Hammelsprung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte, den Plenar-
saal zu verlassen und dann wieder durch die entsprechende
Tür – Ja, Nein oder Enthaltung – hereinzukommen.
Können wir mit der Auszählung beginnen? – Ich bitte,
mit dem Einlass und der Zählung zu beginnen.
Ich bitte die Geschäftsführer um ein Signal, ob alle inder Lobby versammelten Kolleginnen und Kollegen Ge-legenheit hatten, sich an der Abstimmung zu beteiligen.
– Dann möchte ich die Geschäftsführer bitten, die nochnicht in den Saal zurückgekehrten Kolleginnen und Kol-legen zur Abgabe ihrer Stimme aufzufordern. Wir wollendie Abstimmung in einer Minute schließen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Ab-stimmung – –
– Vor einer Minute gab es auf meine Ankündigung, dieAbstimmung in Kürze zu schließen, keine gegenteiligenSignale.
Dr. Uwe Küster
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Vizepräsident Dr. Norbert LammertNunmehr werden solche zunehmend registriert. Herr Ge-schäftsführer, es gehört zur gefestigten parlamentarischenErfahrung, dass sich bei beliebiger Dauer des Abstim-mungsverfahrens immer noch einzelne Kolleginnen undKollegen finden. Wir müssen die Abstimmung aber in ei-ner überschaubaren und zumutbaren Zeit zum Abschlussbringen.
Deswegen schließe ich jetzt die Abstimmung und bitte dieSchriftführer, mir das Ergebnis mitzuteilen.Ich teile das Abstimmungsergebnis mit. Für den Antragauf Herbeirufung der Mitglieder der Bundesregierung ha-ben gestimmt 218 Mitglieder des Bundestages, gegen die-sen Antrag haben gestimmt 266 Mitglieder,
Enthaltungen gab es keine. Damit ist dieser Antrag mitMehrheit abgelehnt.Wir setzen die Aussprache fort.
– Ich bitte um wenigstens ein Mindestmaß an Aufmerk-samkeit, insbesondere für die unmittelbar folgende Red-nerin.Als nächster Kollegin erteile ich Birgitt Bender fürBündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe
dem Geschäftsordnungsantrag der Opposition entnom-
men, dass das Thema Gesundheit und Soziales für Sie das
Thema überhaupt ist. Deswegen freue ich mich, jetzt vor
vollem Hause reden zu können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, jeder hat Verständnis
dafür, dass sich nach dieser spektakulären Unterbrechung
die Interessen neu ordnen. Diejenigen, die der Debatte
nicht weiter folgen können oder wollen, mögen bitte den
Plenarsaal verlassen, damit diejenigen, die der Debatte
folgen wollen, den Rednern konzentriert zuhören können.
Ich bedanke mich für das Verständnis.
Bitte schön.
Danke schön, Herr Präsident.Damit wende ich mich gleich der Opposition zu. HerrSeehofer, Sie haben ja hier schwer zugeschlagen. Was hatman da alles gehört: „drastisch“ und „dreist“, „schamlos“,„Unvermögen der Bundesregierung“.
Wissen Sie, ich bin neu im Bundestag und ich bringe Er-fahrungen aus der Opposition im baden-württembergi-schen Landtag mit. Deswegen habe ich ein Verständnisvon der Oppositionsrolle. Wir Grüne haben es uns als Op-position zur Aufgabe gemacht, nicht nur die Regierung zubekritteln, sondern auch selbst Reformalternativen vorzu-legen.
Davon habe ich bei Ihnen nichts gehört.Heute haben wir zum einen die alte Leier „Die Patien-ten sollten mehr zuzahlen“ gehört. Das kennen wir schon.Ansonsten habe ich Vorschläge gehört, deren Umsetzungim Koalitionsvertrag vereinbart ist, Stichwort Patienten-quittung, Herr Seehofer. Da freue ich mich doch auf dieZustimmung der Opposition, wenn wir das entsprechendeReformgesetz verabschieden.
Wir können die Behauptung politischer Fehler im Ein-zelnen behandeln. Bei Herrn Seehofer hieß es: Verschie-bebahnhöfe, wie schrecklich! Wie war denn das noch?Auch ich bin nicht mehr so ganz jung und verfüge überein gewisses Gedächtnis: Mir ist so, als hätte die Regie-rung Kohl die deutsche Einheit über die Belastung derBeitragszahler in den Sozialversicherungssystemen be-zahlt.
Wir, Rot-Grün, sind es schließlich gewesen, die erst ein-mal dafür gesorgt haben, dass alle versicherungsfremdenLeistungen in der Rentenversicherung steuerfinanziertwerden.
Lassen Sie sich im Übrigen auch einmal gesagt sein,dass unter der Regierung Kohl sowohl die Sozialversi-cherungssysteme belastet als auch immer weitere Schul-den gemacht wurden. Wir aber konsolidieren den Haus-halt. Es muss wohl möglich sein, die Arbeitslosenhilfe zureformieren, auch wenn dabei Belastungen in der Sozial-versicherung entstehen, die wir dann ausgleichen.
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Herr Seehofer, Sie haben gesagt, die Kostenentwick-lung in den Sozialversicherungen sei allein politischenFehlern der Bundesregierung geschuldet.
Dazu muss ich sagen: Ganz offensichtlich übersteigt un-sere Politik Ihren politischen Intelligenzquotienten.
Ich schaue mir ab und zu einmal die Tickermeldungen an.Vor zwei Tagen, am 29. Oktober dieses Jahres, wurde ein ge-wisser Kollege Seehofer zitiert: Dass die Ministerin nunplötzlich zu derartigen Sparmaßnahmen greife, geschehenicht aus Einsicht, sondern sei dem Druck der Ereignisse ge-schuldet; diese seien unter anderem die konjunkturbedingtwegbrechenden Einnahmen der Krankenkassen. – Dazukann ich nur sagen: Herzlichen Glückwunsch zu dieser Er-kenntnis! Wenn die politische Halbwertszeit noch etwas län-ger wäre, dann wäre es noch besser.
Jetzt sage ich ein Wort zu den kurzfristigen Maßnah-men. Es wird diese Maßnahmen geben. Wir zimmern die-ses Sparpaket mit den Werkzeugen, die für Notmaßnahmenvorgesehen sind. Keine Frage, was einzelne dieser Maß-nahmen angeht, haben wir in der Koalition noch Bera-tungsbedarf. Es besteht aber Einigkeit – das will ich deut-lich sagen –, dass wir durch ein solches Sparpaket, das denBeitragsanstieg verhindern wird, den Rücken für Struktur-reformen, die im nächsten Jahr anstehen, freibekommen.
Das ist unser vorrangiges Ziel. Wir werden diese Refor-men durchführen, ob sie Ihnen gefallen oder nicht.
Dass angesichts der kurzfristig zu erwartenden Maß-nahmen jetzt der Aufschrei der Lobbyisten einsetzt, gehörtdazu wie die Kirchenglocken zum Sonntag. Damit könnenwir leben. Dass sich die Opposition an die Spitze der Lob-byistenbewegung setzen wird, ist zu erwarten. Auch damitkönnen wir leben.Leitlinie für Strukturreformen – das sage ich auchklar – wird nicht der staatliche Dirigismus sein.
Leitlinie unserer Strukturreformen wird eine Stärkungdes Wettbewerbs im Gesundheitswesen sein, und zwareines Wettbewerbs um die beste Versorgung und um diebeste Prävention.
Anders als die Opposition organisieren wir nicht Aus-stiege oder Teilausstiege aus der gesetzlichen Kranken-versicherung; wir wollen und werden das Solidarsystemzukunftsfähig machen.
Deswegen bekommen die Patientinnen und Patienten eineneue Rolle gegenüber Ärzten und Kassen. Sie werdengleichberechtigte Partner. Ihre Rechte und Mitwirkungs-möglichkeiten werden gestärkt. Wir werden bessere undumfangreichere Beratungen durch unabhängige Bera-tungsstellen haben.
– Hören Sie gut zu! – Wir werden die Patientenquittungeinführen. Ich bin gespannt, was Sie dann sagen.
Es wird auch im Zusammenhang mit Fragen der Sicherstel-lung der Versorgung Anhörungsrechte geben. Schließlichwird es einen Patientenbeauftragten oder eine Patientenbe-auftragte geben, der oder die Erfahrungen und Anregungenbündeln und in Reformprozesse einbringen kann.
Dies sind Aspekte demokratischer Teilhabe, durch diedas Gesundheitswesen an Qualität gewinnen und die Ei-genverantwortung der einzelnen Menschen steigen wird.Dies ist uns wichtig.
Für die Kassen heißt dies, dass sie in Zukunft nicht nurüber den Preis konkurrieren, sondern auch über Qualität;Qualität in der Versorgung ebenso wie in der Prävention.Sie werden also auch Einzelverträge mit den Leistungs-anbietern mit festgelegtem Qualitätsniveau schließen. An-ders gesagt: Mit uns wird es keinen Naturschutz für Mo-nopole in der Gesundheitsversorgung geben. Kassenwerden unterschiedliche Profile durch Anreiz- und Bonus-systeme bilden.
Für die Versicherten heißt das, dass sie sich bewusst fürWege entscheiden können, um Krankheiten zu vermei-den. Im Krankheitsfalle haben sie Wahlmöglichkeitenzwischen unterschiedlichen Therapiemöglichkeiten.
Die Präventionwird eine eigenständige Säule, denn esgeht um die Vermeidung von Krankheiten, um die bessereBirgitt Bender
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Birgitt BenderBewältigung von gesundheitlichen Belastungen. Wennwir wissen, dass jedes fünfte Kind bei Schuleintritt über-gewichtig ist, wissen wir auch, welche große gesell-schaftliche Aufgabe wir im Interesse der Menschen wieauch der Wirtschaftlichkeit des Gesundheitswesens zubewältigen haben.
Solche Reformen verlangen von allen Beteiligten imGesundheitswesen die Bereitschaft, aus alten Denkmus-tern und Konfliktstrategien auszusteigen. Wer diese Be-reitschaft hat, ist zur Mitgestaltung eingeladen.Nun noch ein Wort zur Rente.Wir haben mit der Ren-tenreform für Generationengerechtigkeit gesorgt, indemwir der gesetzlichen Altersversorgung eine weitere Säulein Form der privaten Altersversorgung hinzugefügt ha-ben. Wir werden jetzt auch kurzfristig Maßnahmen er-greifen, um Belastungen des Faktors Arbeit zu vermeiden.Es ist eben nicht so – wie Sie, Herr Seehofer, gesagt haben– dass wir hierbei in Omas Sparstrumpf langen. Es wirdvielmehr so sein, dass die Rente gezahlt wird, egal welchesKatastrophenszenario die Opposition an die Wand malt.In die Zukunft gerichtet sage ich: Wir werden auch da-rüber nachdenken müssen, ob die alleinige und aus-schließliche Finanzierung der Sozialversicherungen überdie abhängige Arbeit das Modell der Zukunft sein kann.
Dies wird auch eine Aufgabe der anvisierten Kommissionsein.Lassen Sie mich abschließend sagen: Wir wissen, esgibt viel zu tun. Seien Sie sicher: Rot-Grün packt es an!Danke.
Frau Kollegin Bender, dies war Ihre erste Rede im
Deutschen Bundestag, zu der ich Ihnen herzlich gratu-
liere.
Es gibt einfachere Situationen, als unmittelbar im An-
schluss an einen Hammelsprung hier zu reden. Unter die-
sem Gesichtspunkt haben Sie das Schlimmste fast schon
hinter sich.
Ich erteile als nächstem Redner dem Kollegen Kolb für
die FDP-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man den Inhalt derRede der Ministerin auf die Formel bringen: Wegen Bei-tragsexplosion macht Frau Schmidt ’ne Kommission.
Frau Ministerin, abgesehen von dieser Ankündigunghat sich Ihre Rede in Allgemeinplätzen erschöpft.
Dies ist beschämend, insbesondere angesichts einerAnkündigung im Koalitionsvertrag, in dem es heißt: „Wirmachen unsere sozialen Sicherungssysteme zukunfts-fähig.“ So steht es in der Präambel.Wir kaschieren die auftretenden Probleme so lange esirgend geht, hätte es heißen müssen. Noch nie hatte dasWort Zukunftsfähigkeit so viel von einer Drohung wie imrot-grünen Koalitionsvertrag.
Die Menschen in Deutschland verstehen sehr gut – glau-ben Sie mir das –, dass diese Politik ihre Zukunft nichtsicherer macht, sondern sie um ihre Zukunft bringt.
Denn statt die sozialen Sicherungssysteme auf die Belas-tungen durch eine alternde Bevölkerung einzustellen, ver-schiebt die rot-grüne Regierung die Lasten in die Zukunftund die Beiträge steigen und steigen. In keinem anderenPolitikfeld ist – aus meiner Sicht folgerichtig – das öffent-liche Echo auf Ihre Vorschläge im Koalitionsvertrag sovernichtend wie in der Renten- und Gesundheitspolitik –und dies mit Recht.
Denn die Heraufsetzung der Beitragsbemessungsgrenzein der Renten- und Arbeitslosenversicherung von 4500 auf5100 Euro hat doch nichts, aber auch gar nichts mit derHerstellung von Zukunftsfähigkeit zu tun. Sie ist nichtsanderes als eine Aktion zur kurzfristigen Geldbeschaf-fung, die vor allem die Leistungsträger in unserer Gesell-schaft bestraft.
Besonders schlimm ist Folgendes: Schon jetzt ist klar,dass die betroffenen Versicherten aus der Erhöhung derBeiträge wohl später keine zusätzlichen Leistungen er-warten dürfen.
Betroffen, Frau Kollegin Lotz, ist die von Ihnen so ge-nannte Neue Mitte, die gut verdienenden Angestellten undFacharbeiter, die nun bis zu 1 200 Euro pro Jahr mehr indie Sozialkassen einzahlen müssen. Meine Kolleginnenund Kollegen von Rot-Grün, ist Ihnen eigentlich klar, dassSie mit dieser Maßnahme systematisch nicht nur wirt-schaftlichen Leistungswillen vernichten – und zwar beidenen, die jetzt eigentlich die Voraussetzungen für einenneuen konjunkturellen Aufschwung schaffen müssten –,sondern auch die Bereitschaft – und die objektive Mög-lichkeit – der Bürger, mehr für ihre private Altersvorsorgezu tun?
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Nicht weniger dramatisch ist die Folge der Erhöhungder Beitragsbemessungsgrenze auch für den Arbeits-markt. In Firmen, in denen viele Mitarbeiter mit Monats-einkünften über 4 500 Euro arbeiten, werden die Lohn-nebenkosten regelrecht explodieren. Damit steigen dieArbeitskosten gerade in einem Bereich, in dem derzeit oh-nehin bereits besonders viele Menschen von Entlassun-gen bedroht sind: bei Banken und Versicherungen, beiMedienunternehmen, in der Werbeindustrie.
Frau Ministerin Schmidt, wann erkennen Sie, wann er-kennt diese Bundesregierung endlich diesen Teufelskreis?Jede Steigerung der Beitragssätze kostet Arbeitsplätze, dadie Unternehmen die steigenden Lohnnebenkosten beistagnierenden oder sinkenden Umsätzen durch Rationali-sierung und Entlassungen auffangen müssen. Es ist jakeine Frage des Wollens, sondern eine des Müssens. Eineverantwortliche Geschäftsführung kann überhaupt nichtanders, als in einer solchen Situation so zu reagieren,wenn sie nicht den Verlust aller Arbeitsplätze des Unter-nehmens durch Insolvenz riskieren will.
Herr Kollege Kolb, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nichts lieber als das. Bitte sehr.
Bitte, Herr Kollege Dreßen.
Herr Kollege Kolb, Sie haben gerade die Erhöhung der
Lohnnebenkosten angesprochen. In dieser Frage gebe
ich Ihnen ja in gewisser Weise Recht. Wieso haben Sie es
dann eigentlich in Ihrer Regierungszeit zugelassen, dass
die Lohnnebenkosten von 34 Prozent auf 43 Prozent er-
höht wurden? Wieso haben Sie diese Erkenntnis damals
nicht berücksichtigt und die Lohnnebenkosten nicht bei
34 Prozent gehalten? Wenn wir heute von den 34 Prozent
ausgehen könnten, dann wäre uns sehr viel wohler. Warum
haben Sie in Ihrer Regierungszeit eine derart drastische Stei-
gerung gehabt? Eine solche Steigerung hatten wir nie; wir
haben ja angefangen, die Lohnnebenkosten abzusenken.
Herr Kollege Dreßen, ich glaube, diese Frage erklärtauch ein Stück weit die Probleme, die Sie aktuell in derGesundheits- und Rentenpolitik haben. Sie richten denBlick immer nur nach hinten,
anstatt in der konkreten Entscheidungssituation die Lö-sungen anzubieten, mit denen die Beiträge stabilisiertwerden können, sodass dazu beigetragen werden kann,Entlassungen zu vermeiden.Es nützt einem von Arbeitslosigkeit bedrohten Men-schen in unserem Land überhaupt nichts, wenn Sie auf dieVergangenheit verweisen. Die Menschen wollen jetzt wis-sen, wie ihnen geholfen werden kann und wie ihnen diesedrohenden Beitragssteigerungen erspart bleiben können.
Herr Dreßen, das Schlimme ist doch, dass in allenZweigen der Sozialversicherung – ob das die Rentenver-sicherung, die Krankenversicherung, die Arbeitslosenver-sicherung oder die Pflegeversicherung ist – Feuer unterdem Dach ist. Und was machen Sie? – Sie betreiben einePolitik nach dem Motto: Als wir nicht mehr weiter wuss-ten, verdoppelten wir unsere Anstrengungen. Das kann eswirklich nicht sein. Angesichts täglich neuer Schreckens-meldungen rennt Rot-Grün den Problemen atemlos hin-terher. Anders kann man das nicht beschreiben. Was beiIhnen zählt, ist Aktionismus, kurzfristiges Handeln.
Wie anders soll man es denn bezeichnen, wenn in dernächsten Woche, am 5. November, ein Gesetzentwurf imDeutschen Bundestag eingebracht wird und zehn Kalen-dertage später – Anhörung und Ausschussberatung inklu-sive – das Gesetz fertig sein soll? Das kann man dochnicht mehr verantwortliche Beratung nennen.
Ich frage mich, wie Sie ein solches Vorgehen mit IhremSelbstverständnis als Parlamentarier vereinbaren können.
Den Menschen, die angesichts all dessen versuchen,der Beitragsexplosion auszuweichen, antworten Sie – wieschon früher bei der von Ihnen so genannten Schein-selbstständigkeit – mit einer Politik der Zwangsjacke. DieAnhebung der so genannten Versicherungspflichtgrenzein der Krankenversicherung soll – erst nur für Berufs-anfänger; jetzt, wie wir hören und lesen können, für alleVersicherten – den Wechsel in eine private Krankenkasseerschweren. Wir Liberale im Deutschen Bundestag be-fürchten: Durch derart tagesflüchtiges Handeln wird mas-siv Vertrauen in die Verlässlichkeit politischer Rahmen-bedingungen und in die Zukunft der Sozialversicherungzerstört.
Vor diesem Hintergrund lässt auch die Ankündigungdes Bundeskanzlers, für die Sozialversicherung eineKommission à la Hartz einsetzen zu wollen, wirklichnichts Gutes erwarten. Mit rund geschliffenen Konzeptenà la Hartz lassen sich die Probleme nicht lösen. Es ist hierschon gesagt worden: Auch die als Jahrhundertwerk an-gekündigte riestersche Rentenreform hat nicht einmalzwei Jahre gehalten. Rot-Grün steht in der Rentenpolitikvor einem Scherbenhaufen.Dr. Heinrich L. Kolb
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Dr. Heinrich L. KolbDeswegen gilt es jetzt, mit einer mutigen und beherz-ten Politik die Strukturprobleme in der Renten- und Ge-sundheitsversicherung zu lösen und nicht kopflos daranherumzudoktern. Wir sind zur Mitarbeit bereit, aber nichtmit heißer Nadel. Hier darf nichts – das sage ich sehr deut-lich – über das Knie gebrochen werden. Es ist viel Zeitverloren gegangen, weil Sie die Probleme bisher geleug-net haben.
Es ist Zeit, dass sich die rot-grüne Koalition, die vielesverdrängt, der Einsicht stellt und wir gemeinsam ansWerk gehen. Dieses Land hat es verdient.Vielen Dank.
Nächste Rednerin in der Debatte ist die Kollegin
Gudrun Schaich-Walch, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Wir sind schon ziemlich geschlagen.
Der eine scheut den Blick zurück, weil er nichts anderessieht als einen Scherbenhaufen. Der Nächste tritt hier anund lässt erkennen, dass er offensichtlich alles vergessenhat. Er hat vergessen, dass er derjenige war, der die zartePflanze der Prävention ausgerissen hat
und dass die Prävention und die Unterstützung der Selbst-hilfe von dieser rot-grünen Koalition erst wieder einge-führt werden mussten.
Im Prinzip machen Sie heute genauso weiter wie vorder Wahl. Sie zeigen schlechte Alternativen auf. Ich denkean den Vorschlag der FDP zur Privatisierung unserersozialen Sicherungssysteme oder an den der CDU/CSUzur Teilprivatisierung mit dem Ansatz von Wahlleis-tungen.
In beiden Fällen hat man Ihnen sehr deutlich gemacht,dass das nicht gewünscht ist. Es wäre wenigstens zu er-warten gewesen, dass Sie für die Zukunft die Kraft haben,Konsequenzen daraus zu ziehen und inhaltlich etwas an-deres anzubieten. Aber anstatt Lösungen aufzuzeigen,machen Sie nur eins: Sie verunsichern die Menschen, Siereden unsere sozialen Sicherungssysteme schlecht. Einkonstruktiver Beitrag kommt von Ihnen nicht.
Sie haben eben gesagt, wir müssten die Probleme ander Wurzel anpacken. Das werden wir gemeinsam tun,
allerdings nicht prinzipienlos. Wir werden dabei immerdas Prinzip vor Augen haben, dass die Modernisierungdes Sozialstaates auf Solidarität gründen muss und aufVerlässlichkeit für jeden, der zur Bewältigung schwererLebenskrisen Hilfe braucht. Wir werden sie an der Gene-rationengerechtigkeit und an dem Gedanken der Nach-haltigkeit orientieren.
Deshalb werden die Ziele unserer Gesundheitspolitikin den grundlegenden Punkten an dem ausgerichtet sein,was wir in der letzten Legislaturperiode begonnen haben.Wir werden die Prävention gemeinsam weiterentwickelnund die Qualität im deutschen Gesundheitswesen ent-scheidend verbessern, weil davon auch die Wirtschaft-lichkeit abhängt. Wir werden mithilfe der Patientenkarteund der Patientenquittung – die Kollegin hat das eben ge-sagt – die Transparenz erhöhen. Wir werden das alles un-ter dem Gesichtspunkt tun, meine Damen und Herren vonder FDP, nicht ein möglichst hohes Einkommen für dieje-nigen zu sichern, die im Gesundheitswesen tätig sind.Vielmehr werden wir das vorrangig am Wohl der Patien-tinnen und Patienten orientieren und wir werden die Be-schäftigten dabei nicht aus dem Auge verlieren.
Wir werden in der Zukunft diese Ansätze, die wirerarbeitet haben, weiterverfolgen. Wir werden im Kranken-hausbereich mit dem eingeschlagenen Weg der leistungs-orientierten Vergütung der Fallpauschale einen wesent-lichen Schritt zu mehr Qualität und Transparenz tun.Wir tun das in gleichem Maße in der ambulantenVersorgung mit der Einführung der Desease-Manage-ment-Programme, die, wie ich denke, die Struktur derambulanten Versorgung in den kommenden Jahren ent-scheidend verändern werden. Wir werden dadurch zumehr Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Gruppenkommen. Patientinnen und Patienten werden bei der Be-wältigung ihrer Krankheit endlich eine entscheidende undwichtige Rolle spielen und werden damit zu ihrem Hei-lungserfolg selbst einen wesentlichen Beitrag leisten kön-nen. Das verstehen wir unter Selbstbeteiligung. Es gehteben nicht darum, sich entweder ein Paket zu wählen oderkräftig zuzuzahlen.
Wir sind uns allerdings auch darüber im Klaren, dasswir zu einer Steigerung der Qualität in diesem Gesund-
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heitssystem mehr Wettbewerb benötigen. Entscheidendfür uns ist aber, dass wir dabei immer berücksichtigen,dass Gesundheit ein elementares Gut ist. Es ist eines derwichtigsten Güter für die Menschen überhaupt. Deshalbwerden wir natürlich keinen Wettbewerb durchführen,durch den an dem solidarischen System und an denFinanzierungsstrukturen etwas verändert wird. Bei die-sem Wettbewerb werden wir eigene Regeln, die auf das Ge-sundheitswesen abgestimmt sind, benötigen. Diese dürfenuns nicht die Probleme bereiten, die wir in der Vergangen-heit von Ihnen übernommen haben. Sie haben den Wettbe-werb letztendlich nicht an der Qualität und an der Patien-tenversorgung, sondern nur am Beitragssatz ausgerichtet.
Die Basis eines so verstandenen Wettbewerbs – wir la-den Sie zum Mitmachen ein – ist ein ständig an den Standder Bedürfnisse und an die Ergebnisse der Wissenschaftanzupassender Leistungskatalog.
Es wird ein einheitlicher und gemeinsamer Leistungska-talog sein, der all das, was zur medizinischen Versorgungnotwendig ist, umfasst.
Mehr Wettbewerb heißt in Zukunft allerdings auchmehr Vertragsfreiheit für die Kassen und für die Leis-tungserbringer.
Neben Kollektivverträgen brauchen wir Einzelverträge. DieKassen müssen die Freiheit haben, Verträge mit denen ab-zuschließen, die für die Patienten die besten Angebote ma-chen, die die besten Qualitäten versprechen und die andereVersorgungsformen einbeziehen. Die Kassen müssendurchaus auch die Freiheit haben, Verträge mit denen, diediese Qualität nicht versprechen, nicht schließen zu müssen.
Das gilt in Zukunft sowohl für den ambulanten als auchfür den stationären Bereich.
Diese Flexibilität wird es allerdings nicht nur aufseitender Ärzte und der Anbieterseite geben müssen. Ich bin derfesten Überzeugung, dass wir im ambulanten Bereichdafür Sorge tragen müssen, dass bei den Kassen derZwang, einheitliche und gemeinsame Verträge abzuschlie-ßen, wegfällt.
Abgesehen von diesen langfristigen Maßnahmen, dieIhnen meine Kollegin von den Grünen teilweise schonvorgestellt hat – ein Ausschnitt wurde Ihnen gerade vonmir vorgestellt; weitere Kollegen unserer Fraktionen wer-den noch reden –, ist festzustellen, dass wir augenblick-lich Probleme haben, weil wir mit einer höheren Arbeits-losenzahl als erwartet zu kämpfen haben, weil diePrognosen der Schätzerkreise nicht richtig waren. Des-halb sind wir aufgefordert, kurzfristig zu reagieren unddafür zu sorgen, dass die Beitragssätze stabil bleiben, da-mit all unsere Anstrengungen, die wir im arbeitsmarktpo-litischen Bereich unternehmen, nicht durch Beitragssatz-steigerungen in der gesetzlichen Krankenversicherungkonterkariert werden.Das verlangt von allen in diesem System Abstriche.Ihnen ist allerdings nichts anderes eingefallen, als per-manent Zuzahlungen für die Patienten zu beschließen so-wie die Rehabilitation und Kur in Gänze zu streichen.Und im letzten Jahr haben Sie dann wie die Pharisäer da-rüber geklagt, was aus den Müttergenesungskuren ge-worden sei.
Sie haben damals das Grab für Rehabilitation und Kur ge-schaufelt und wir hatten die Aufgabe, das, was sinnvollwar, wiederherzustellen.
Wir werden ein Paket ausgewogener Maßnahmenvorlegen. Dabei geht es im Wesentlichen um die Preis-gestaltung bei den Arzneimitteln. Wir werden aber auchvor den Krankenkassen und deren Verwaltungskostennicht Halt machen. Auch sie werden wie die anderen imGesundheitssystem in eine Nullrunde eingebunden wer-den.Für die weitere Zukunft gelten in der Rente die glei-chen Prinzipien wie im Gesundheitsbereich. Wir habendie Rente verändert. Wir haben die Rente sicherer ge-macht.
Wir haben dafür gesorgt, dass sie auch für die älterenMenschen sicher ist. Wir haben dafür gesorgt, dass dieRente für jüngere Menschen bezahlbar ist. Wir haben ei-nen staatlich geförderten Anteil für die private Altersvor-sorge in einer Höhe bereitgestellt, wie ihn diese Bundes-republik noch nie gekannt hat. Der Staat stellt für diesesFörderprogramm fast 13 Milliarden Euro zur Verfügung.Das ist das größte Programm, das es in diesem Land zumAufbau eines Vermögens für die Altersvorsorge je gege-ben hat.
Allerdings müssen wir neben diesen strukturellen Pro-blemen auch bei der Rente kurzfristigen Herausforderun-gen begegnen und Antworten geben. Genau wie in derKrankenversicherung sind unsere Hauptprobleme dieGudrun Schaich-Walch
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Gudrun Schaich-Walchschwache Weltkonjunktur und ihre Auswirkungen auf dieBeschäftigungssituation.
Aber ich bin der festen Überzeugung, dass wir mit denSchritten, die wir in der Rentenversicherung gehen wer-den, auch zur sicheren Entwicklung am Arbeitsmarkt ei-nen guten Beitrag leisten.Wir werden deshalb an der Ökosteuer festhalten. Ichsage Ihnen: Wäre man Ihren Anregungen gefolgt, dannwüsste ich nicht, wie der Rentenbeitragssatz heute aussähe.
Sie haben zum Rentenbeitragssatz und zu seiner Ent-wicklung offensichtlich ein gestörtes Verhältnis; denn Siehaben schlicht und einfach vergessen, dass Sie uns 1998einen Rentenbeitragssatz von 20,3 Prozent hinterlassenhaben.
Mit dem, was Sie jetzt vorgeschlagen haben, würde ernoch weiter steigen. Herr Seehofer, Sie haben auch vergessen, dass Sie inden Jahren 1996 und 1997 in der Situation waren, zumJahresende eine Schwankungsreserve von gerade einmal60 Prozent einer Monatsausgabe zu haben. Ich möchte Sieauch daran erinnern, dass in unserer Regierungszeit dieAuszahlung der Rente zu keinem Zeitpunkt gefährdet ge-wesen war. Deshalb kann ich überhaupt nicht verstehen,weshalb Sie jetzt glauben, den Teufel an die Wand malenzu müssen. Damit säen Sie bei den Menschen letztendlichnur Verunsicherung, ohne irgendeinen Lösungsweg auf-zuzeigen.
Frau Kollegin, – –
Noch ein Wort zur FDP. Wenn wir jetzt die Bemessungs-
grenze auf 5 100 Euro anheben, um die Lasten auf mehr
Schultern zu verteilen, dann frage ich mich, woher Sie die
Erkenntnis haben, dass nur die Menschen mit einem Ein-
kommen von über 4 500 Euro in dieser Gesellschaft leis-
tungsbereit sind.
Frau Kollegin Schaich-Walch, ich hatte Sie vor Ende
Ihrer Redezeit nicht unterbrechen, sondern nur fragen
wollen, ob Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeord-
neten Fuchtel hätten zulassen wollen, die, wie Sie wissen,
Ihre Redezeit insoweit verlängert hätte.
Ich erteile nun als nächstem Redner das Wort dem Kol-
legen Andreas Storm für die CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir erlebenin diesen Tagen, wie die alte und neue Bundesregierungfast alles über Bord wirft, was sie den Wählern vor dem22. September vollmundig versprochen hat. Ich habe Ih-nen eine Anzeige mitgebracht, die die SPD am 18. Junidieses Jahres in der „Frankfurter Rundschau“ veröffent-licht hat. Dort steht: „CDU/CSU und FDP: Rentenbeiträgewerden erhöht. SPD: Rentenbeiträge bleiben stabil. “
Selten hat eine Bundesregierung die Menschen so hin-ters Licht geführt wie Rot-Grün in diesem Jahr.
Wirklich keiner zweifelt mehr daran, dass Sie schon langevor der Wahl ganz genau wussten, wie die Dinge stehen.Sie haben die Wählerinnen und Wähler mit voller Absichtgetäuscht und belogen. Das war systematische Wähler-täuschung. Das war Rentenbetrug.
Der Geschäftsführer des Verbandes der Deutschen Ren-tenversicherungsträger, Professor Franz Ruland, hat dieserTage mehrfach klipp und klar festgestellt: „Wenn die Bun-desregierung den Bürgern die Wahrheit sagen würde, dannmüsste sie den Beitragssatz auf 19,8 Prozent heraufsetzen.“
Der neue Generalsekretär der SPD, Olaf Scholz, hatvor zwei Tagen eingeräumt, dass der Beitrag auch über die19,3 Prozent, von denen Sie offiziell immer noch ausge-hen, steigen könnte. Herr Scholz sagte wörtlich:Wir bleiben in jedem Fall unter 20 Prozent.Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: unter20 Prozent!
Mit anderen Worten: Sie haben es geschafft, dass derRentenbeitragssatz im Jahr 2003 eine Höhe erreichenwird, die nach der Riester-Reform bzw. nach dem, wasuns im vergangenen Jahr angekündigt worden ist, eigent-lich erst im Jahr 2018 erreicht werden sollte.Meine Damen und Herren, die rot-grüne Jahrhundert-reform ist kläglich gescheitert. Selbst der Bundeskanzlerhat dieses Scheitern am Dienstag eingeräumt. Denn er hatnicht nur den Namensgeber sozusagen in die Riester-Rente geschickt, sondern er hat in seiner Regierungs-erklärung eine große Rentenreform für die neue Wahl-periode angekündigt. Was für ein Armutszeugnis für die
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Rentenpolitik der vergangenen vier Jahre, wenn derKanzler bereits jetzt eine neue große Reform ankündigt!
Sie versuchen nun panisch, den massiven Anstieg desRentenbeitragssatzes irgendwie zu begrenzen. Dabei sindSie auf zwei Ideen verfallen, die man folgendermaßen zu-sammenfassen kann: Die Leistungsträger unserer Gesell-schaft werden geschröpft und Sie spielen mit den Renten-finanzen Vabanque.Zu Ihrem ersten Vorschlag ist festzustellen: Schon voreinem Jahr haben Sie sich nicht anders zu helfen gewusst,um den Offenbarungseid zu vermeiden, dass die Renten-beiträge trotz steigender Steuersätze bei der Ökosteuersteigen würden. Deshalb haben Sie vor einem Jahr denGriff in die Rücklage der Rentenkasse gewagt.Wenn Sie nun die Schwankungsreserve, also den Not-groschen der gesetzlichen Rente, auf nur noch 50 Prozenteiner Monatsausgabe reduzieren, dann riskieren Sie se-henden Auges, dass die Rentenkassen im nächsten Herbstzahlungsunfähig sind. In dem Fall müsste die Auszahlungder Renten durch ein Darlehen des Bundes sichergestelltwerden.
Das bedeutet zwar nicht, dass die Renten nicht gezahltwürden, aber es bedeutet, dass Sie der Rentenversiche-rung ihre finanzielle Unabhängigkeit nehmen.
Die Rentenversicherung kommt an den Tropf des Finanz-ministers. Das bedeutet, dass dann die Rente nach Kassen-lage, wie wir es beim Sparpaket 1999 erlebt haben, an derTagesordnung ist.Deshalb verspielen Sie mit einer Absenkung derSchwankungsreserve das letzte bisschen Vertrauen, dasdie gesetzliche Rentenversicherung bei den Menschennoch genießt. Deshalb appelliere ich an Sie: Lassen Siedie Finger von der Schwankungsreserve, sonst kommt esnoch in dieser Wahlperiode zu dem finanziellen GAU derSozialsysteme!Zu Ihrem zweiten Vorschlag: Sie wollen die Beitrags-bemessungsgrenze in der Rentenversicherung und damit– das wird in der Diskussion oft vergessen – automatischauch in der Arbeitslosenversicherung auf 5 100 Euro anhe-ben. Das ist ein Musterbeispiel für eine kurzatmige undkurzsichtige Politik. Denn zum einen führen die höherenBeiträge, die gut verdienende Versicherte zahlen müssen,unweigerlich zu höheren Rentenansprüchen, die in einigenJahren und Jahrzehnten bedient werden müssen.Professor Raffelhüschen von der Universität Freiburgbezeichnete dieses Vorhaben als „das Dümmste, das manmachen kann“. Recht hat er; denn um die Finanzlöchervon heute zu stopfen, vergrößern Sie die Lasten, die künf-tige Generationen zu tragen haben.
Sie verschärfen damit noch die enormen Probleme, dieaufgrund der demographischen Entwicklung auf die Al-terssicherung zukommen. Was das noch mit Nachhaltig-keit zu tun haben soll, liebe Kollegin Schaich-Walch,bleibt Ihr Geheimnis.
Es kommt aber noch etwas hinzu: Wer monatlich5 100 Euro verdient – dabei handelt es sich nicht umSuperreiche, sondern um viele Facharbeiter, also die Leis-tungsträger unserer Gesellschaft, die hart für ihr Geld ar-beiten –, darf bei einem Rentenbeitrag von 19,5 Prozentim nächsten Jahr Monat für Monat mehr als 67 Euro mehrfür die Rentenversicherung und fast 20 Euro mehr für dieArbeitslosenversicherung bezahlen. Das macht mehr als1 000 Euro Verlust für die Betroffenen aus, die auf dieseWeise geschröpft werden.Der Bundeskanzler hat am Dienstag erklärt:In der Rentenpolitik haben wir mit der zusätzlichenkapitalgedeckten Altersvorsorge begonnen, das Si-cherungssystem zukunftstauglich zu machen. DenWeg zu mehr Eigenverantwortung und mehr Wettbe-werb, den wir mit der Errichtung der zweiten Säule inder Altersvorsorge eingeschlagen haben, werden wirfortsetzen, um so auf Dauer die Renten sicherer zumachen und die Rentenbeiträge bezahlbar zu halten.So weit der Bundeskanzler. Aber wer so etwas ankündigtund auch ernst nimmt, der kann doch nicht im gleichenAtemzug die Bürger zwingen, immer höhere Anteile ihresEinkommens in die umlagefinanzierte Sozialversiche-rung zu stecken. Sie nehmen den Menschen durch massivsteigende Beitragslasten jeglichen Freiraum, um selbst er-gänzende Vorsorge für das Alter treffen zu können.
Dabei geht es an den Kern der Riester-Rente. Diesevom Grundsatz her richtige Idee haben Sie handwerklichtotal vermurkst. Sie entpuppt sich deshalb immer mehr alsLadenhüter. Wenn bislang weniger als 10 Prozent der För-derberechtigten einen Vertrag abgeschlossen haben,
dann müssen auch Sie zugestehen, dass diese gute Ideekläglich gescheitert ist. Auch hier brauchen wir einenNeuanfang.
Konzeptioneller Dilettantismus ist geradezu zum Mar-kenzeichen der sozialpolitischen Aussagen in der Koaliti-onsvereinbarung geworden. Das gilt nicht nur für die Ren-tenpolitik, sondern auch für die Gesundheitspolitik.Nehmen wir das Beispiel der Erhöhung der Versiche-rungspflichtgrenze.Das, was sich hier abgespielt hat, hatschon den Charakter einer Seifenoper. Wenn man sich dasDrehbuch anschaut, könnte man lachen, wenn das Themanicht so ernst wäre. Erster Tag, Freitag, 11. Oktober: SPDund Grüne einigen sich in den Koalitionsverhandlungendarauf, die Versicherungspflichtgrenze in der Kranken-versicherung nur für Berufsanfänger auf das Niveau derAndreas Storm
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Andreas StormBeitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung, auf4 500 Euro, anzuheben. Zweiter Tag, Montag, 14. Oktober:Die Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherungsoll nun, zwei Tage später, von 4 500 Euro auf 5 000 Euroangehoben werden. Aber noch weiß niemand im Koaliti-onslager Bescheid, ob das auch Konsequenzen für dieKrankenversicherung haben wird. Dritter Tag, Dienstag,15. Oktober: Nun soll die Beitragsbemessungsgrenze in derRentenversicherung nicht mehr auf 5 000 Euro, sondernauf 5 100 Euro angehoben werden. Ob das Konsequenzenfür die Krankenversicherung haben wird, weiß man nochimmer nicht. Vierter Tag, Donnerstag, 17. Oktober: Nunhat man endlich auch im Gesundheitsministerium die Er-gebnisse der Koalitionsverhandlungen begriffen. Es wirdklargestellt, dass es bei der Kopplung der Versicherungs-pflichtgrenze in der Krankenversicherung an die Bei-tragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenver-sicherung bleibt. Beide sollen also auf 5 100 Euroansteigen. Um das Fass voll zu machen: Gestern durftenwir über die Nachrichtenagenturen erfahren, dass zumStichtag 7. November 2002 die Versicherungspflichtgrenzenur noch auf 3 825 Euro erhöht werden soll, dafür aber füralle Versicherten, also nicht nur für die Berufseinsteiger.Da weiß die rechte Hand nicht, was die linke tut.
Die rot-grüne Wirklichkeit schreibt traurige Geschichten.Das hat bei Rot-Grün anscheinend Methode. Erst wer-den die sozialen Sicherungssysteme absichtlich defor-
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir gründen eine
Kommission und es wird reformiert. In diese Kategorie
fallen auch die Verschiebebahnhöfe, mit denen sich der
Bund seit dem eichelschen Sparpaket von 1999 zulasten
der Beitragszahler immer wieder einseitig saniert hat. Die
Vorschläge der Hartz-Kommission, die nach dem Willen
des Kanzlers 1 : 1 umgesetzt werden sollen, werden große
Löcher in die Sozialkassen reißen. Die Ausweitung der
Minijobs wird alleine in der Krankenversicherung Bei-
tragsmindereinnahmen in Höhe von 600 Millionen Euro
hervorrufen. Eine weitere Lücke in Höhe von 700 Milli-
onen Euro werden die Kürzungen bei der Arbeitslosen-
hilfe verursachen. Hinzu kommen Beitragsausfälle durch
die vermehrte Inanspruchnahme der Entgeltumwandlung.
Schließlich soll die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf
Zahnersatz – das ist ein ganz entscheidender Punkt – dem
Bundesfinanzminister 400 Millionen Euro einbringen.
Allein diese wenigen Maßnahmen, die in der Koalitions-
vereinbarung beschlossen worden sind, werden den Kran-
kenkassen und damit den Beitragszahlern 2 Milliarden
Euro entziehen und zu einem weiteren Anstieg der Kran-
kenkassenbeiträge um 0,2 Prozentpunkte führen. Ähnli-
che Belastungen dürften auch auf die Rentenversicherung
und die Pflegeversicherung zukommen.
Zur Pflegeversicherung hat es übrigens ein Urteil des
Verfassungsgerichts gegeben, das dem Gesetzgeber auf-
erlegt, bis zum 31. Dezember 2003 eine Reform der
Finanzierung vorzunehmen. Zu diesem Thema, Frau Mi-
nisterin, haben wir von Ihnen kein Wort gehört.
Die Situation der Pflegeversicherung wird immer drama-
tischer. Konzeptionell: totale Fehlanzeige!
Als Ergebnis ist festzuhalten: Wenn die Ankündigung
des Bundeskanzlers, strukturelle Reformen in der Renten-
und Krankenversicherung anzupacken, wirklich ernst ge-
meint wäre, dann müsste der größte Teil der Koalitions-
vereinbarungen zur Sozialpolitik wieder rückgängig ge-
macht werden; denn das schafft erst die Probleme, die
dann nachher gelöst werden sollen.
Das ist ein ganz entscheidender Punkt und er ist in dieser
Debatte immer mal wieder angeklungen.
Die Probleme sind schon heute sehr groß, aber sie wer-
den in 20 und 30 Jahren gewaltig sein. Die Veränderung
der Alterspyramide unserer Gesellschaft führt dazu, dass
wir nicht nur in der Rentenversicherung, sondern auch im
Gesundheitswesen und in der Pflegeversicherung vor dra-
matischen Herausforderungen stehen.
Der Abschlussbericht der Enquete-Kommission „Demo-
graphischer Wandel“, der Ostern dieses Jahres dem Bun-
destagspräsidenten überreicht worden ist, zeigt, dass ohne
Reformen in der Krankenversicherung in den nächsten
vier Jahrzehnten eine Verdoppelung des Beitragssatzes in
der Krankenversicherung droht. Sie haben nicht den
Hauch eines Ansatzes dazu, wie Sie damit umgehen wol-
len.
Da heute Morgen so oft der Begriff der Nachhaltig-
keit bemüht worden ist, sage ich hier: Eine nachhaltige
Politik, die die berechtigten Interessen der älteren Ge-
neration mit den berechtigten Interessen der jungen Ge-
neration zum Ausgleich bringt, müsste diese Probleme
angehen und dürfte diese Probleme nicht verdrängen.
Deswegen, meine Damen und Herren: Kehren Sie um!
Dann und nur dann wäre Ihnen auch unser Beifall si-
cher.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Helga Kühn-
Mengel, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Uns ist wieder nur aufgezeigt worden, was nichtgeht, was nicht gut ist. Es sind keine Konzepte vorgestelltworden.
Wir haben von Ihnen, meine Herren von der Opposition,gehört, dass Sie alles besser machen würden. Aber esgenügt ein Blick zurück, um das einzuordnen. Das istschon wichtig, wenn es um Konzeptionen geht.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Oktober 2002 327
An Ihre Taten erinnern wir uns alle noch. Auch ichselbst habe noch einen Rest Ihrer Regierungszeit hier mit-bekommen.
Ich kann mich gut daran erinnern, wer vor den Lobbyistenin die Knie gegangen ist.
Ich kann mich daran erinnern, wer den Bürgerinnen undBürgern ununterbrochen in die Tasche gefasst hat, einKrankenhausnotopfer gefordert hat und bei der Präven-tion drastisch gekürzt hat. Ich weiß auch, dass die Aussageder Sachverständigen, wir hätten das teuerste Gesund-heitssystem in der Europäischen Union und das dritt-teuerste in der Welt, und die Aussage, wir bezahlten einenMercedes und bekämen einen Golf, in Ihrer Regierungs-zeit gemacht worden sind.
Wir können uns gut daran erinnern, dass bei Ihnen nie-mals von Qualität die Rede war.
Erst wir haben die Qualität und die Qualitätssicherungzum Thema gemacht und in der GKV verankert.Noch eines sei dazu gesagt: Die Wähler und Wählerin-nen haben ganz klar entschieden.
Sie, Herr Seehofer, sind mehrmals gescheitert, als Ge-sundheitsminister bei den Wahlen 1998 und jetzt auch beiden Wahlen 2002. Die Bürger und Bürgerinnen haben zuIhren Privatisierungskonzepten und zu Ihrer Zweiklas-senmedizin Nein gesagt.
Unser Konzept wurde gewählt. Wir werden die Qualitäts-und die Wirtschaftlichkeitsoffensive, die wir in der ver-gangenen Legislaturperiode begonnen haben, fortsetzen.Diese Ministerin hat – ich sage es noch einmal – Präven-tion und Qualität befördert. Wir werden die Qualitäts- undEffizienzdefizite in der medizinischen Versorgung ab-bauen, und zwar mit höchster Priorität.Dazu benötigen wir einen ganz intensiven Wettbe-werb um mehr Qualität unter und zwischen den Leis-tungserbringern. Neben die kollektivvertraglichen Struk-turen werden wir Einzelverträge setzen oder – wie in derambulanten Versorgung – solche mit Gestaltungsmög-lichkeiten. In diesem Zusammenhang kommt auch denstrukturierten Behandlungsprogrammen und den evidenz-basierten Behandlungsmöglichkeiten eine Schlüsselfunk-tion zu. Ich setze darauf, dass sich in der verfassten Ärz-teschaft diejenigen eines Besseren besinnen, die imWahlkampffieber die rot-grüne Gesundheitspolitik ver-teufeln wollten.
Wir werden uns von dem eingeschlagenen Weg der Qua-lität und Patientenorientierung nicht abbringen lassen.
Disease-Management-Programme als Billigmedizinabzutun und Behandlungsleitlinien als Kochbuchmedizinabzuqualifizieren zeugt von der Wagenburgmentalitätrückwärts gewandter Mediziner. Der Halbgott in Weißgehört der Vergangenheit an und wir sollten ihm keineTräne nachweinen.
Disease-Management-Programme stellen Patientin-nen und Patienten in den Mittelpunkt. Sie verbessern dieLebensqualität, Folgeschäden können verhindert oderhinausgezögert werden. Vor allem sorgen diese Pro-gramme für Transparenz. Die Patientin und der Patientwissen, wo es allererste Qualität gibt. Darauf müssen diePatientinnen und Patienten vertrauen können. Mit diesenProgrammen schaffen wir die Verbindung von Qualitätund Wirtschaftlichkeit. Das dient der Gesundheit undauch der Beitragssatzstabilität.Es geht darum, medizinisch nicht angezeigte Mengen-steigerungen auszuschließen und die Vergütung auch andie Qualität der Leistung anzubinden. Den Eintritt in diebehandlungs- und kostenintensiven Volkskrankheitenwollen wir verhindern, zumindest aber hinausschieben.Dazu gehört auch die Eigenverantwortung der Patien-tinnen und Patienten. Wir verstehen unter Eigenverant-wortung aber etwas anderes als Sie: Wir wollen die Pati-entin und den Patienten stärken, sie besser informierenund kein Eintrittsgeld. Wir wollen Eigenverantwortungnicht mit Zuzahlung gleichsetzen.
Wir werden die Prävention weiter stärken und beför-dern. Das sind wichtige Investitionen in die Zukunft un-seres Gesundheitssystems. Wir werden auch die Schnitt-stellen zwischen GKV und Pflegeversicherung auflösen:Prävention, Gesundheitsförderung, kurative Medizin, Re-habilitation und Pflege sollen den gleichen Stellenwert imGesundheitssystem haben.Dazu gehört auch die gleichberechtigte Teilhabebehinderter Menschen am gesellschaftlichen Leben.Wir haben auf diesem Gebiet eine erfolgreiche Politik vor-zuweisen: das Gesetz zur Bekämpfung der ArbeitslosigkeitSchwerbehinderter, das SGB IX – Rehabilitation und Teil-habe behinderter Menschen, das Gleichstellungsgesetz.Diesen Prozess werden wir fortsetzen. Im nächsten Jahr be-Helga Kühn-Mengel
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Helga Kühn-Mengelgehen wir das Europäische Jahr der Menschen mit Behin-derungen. Auch diesen Anlass werden wir nutzen, um beidiesem Thema voranzukommen.
Unser Sparpaket beschränkt sich auf monetäre Rege-lungen, die nur für das Jahr 2003 gelten. Es greift derGesundheitsreform 2003 in keinem Punkte vor. Das Spar-paket schmälert die Ansprüche auf Versorgung mit medi-zinisch notwendigen Leistungen nicht. Anders als unsereVorgänger greifen wir den Patientinnen und Patientennicht in die Tasche, um die Finanzprobleme der gesetzli-chen Krankenversicherung durch höhere Zuzahlungenoder durch Eigenanteile zu lösen.
Dass wir diejenigen zu einem größeren Beitrag auffor-dern, die in den letzten Jahren auch sehr starke Gewinnehatten, die Akteure aus dem Pharmabereich, ist, glaubeich, nachvollziehbar und verständlich.
Unser Ziel bleibt die hochwertige medizinische und ge-sundheitliche Versorgung für alle Bürgerinnen und Bür-ger, unabhängig vom Einkommen, von sozialer Stellungund vom Wohnort.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Dieter Thomae für
die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Man kann nur sagen: Lügen haben kurze Beine. Dasbewahrheitet sich jetzt.
Vor der Wahl gab es keine Defizite, es sollte keine Bei-tragssatzerhöhungen geben. Jetzt, nachdem die Wahlenvorbei sind, haben wir über Nacht Defizite, und Beitrags-satzerhöhungen werden zur Selbstverständlichkeit. Dasist, Frau Ministerin, schon eine verfehlte Politik.
Ich finde, dass die Bürgerinnen und Bürger hier vor denWahlen richtig belogen und betrogen worden sind. Siesollten sich dafür einfach schämen, Frau Ministerin.
Nun haben Sie auch noch eine ganz verrückte Idee: dasso genannte Vorschaltgesetz. Eine Nullrunde ist die bru-talste Budgetierung, die man sich überhaupt vorstellenkann. Schauen Sie sich einmal die Honorarsituation im öst-lichen Teil Deutschlands, aber auch in den alten Bundeslän-dern und die Situation der Krankenhäuser an: Ich frage michda, wie Sie angesichts der Erhöhungen, die bei den Tarif-verhandlungen durchgesetzt wurden, überhaupt eine Null-runde erreichen wollen. Eigentlich bleibt nur ein Ausweg:
Verdi müsste Sie davonjagen.
Ihre Vorschläge bedeuten nämlich Arbeitsplatzabbau. Eineandere Alternative hat ein Krankenhaus heute nicht mehr.Ich möchte Ihnen dies an einem Beispiel darstellen. EinVerwaltungschef aus meiner Region hat mir einen Briefgeschrieben und mir gesagt: Thomae, wenn die Nullrundekommt, bedeutet das für Rheinland-Pfalz ein Minus vonrund 100 Millionen Euro; das bedeutet, dass wir2 600 Arbeitsplätze abbauen müssen; für mein Kranken-haus bedeutet das, dass ich 36 qualifizierten Mitarbeiternkündigen muss, weil ich sie nicht mehr finanzieren kann.
Sagen Sie das einmal den Patienten draußen.Sie sagen, den Patienten passiere nichts, aber die Pati-enten werden von der Nullrunde genauso getroffen wiealle anderen Leistungserbringer. Das ist das Problem.
Fragen Sie doch einmal einen normalen Bürger, wie langeer heute schon warten muss, bis er einen Termin im Kran-kenhaus oder bei einem Arzt bekommt. Wir haben Sie per-manent davor gewarnt, dass es hier ständig zu Wartezei-ten kommt. Diese werden noch weiter zunehmen; Siewerden die Folgen zu tragen haben, denn die Versorgungdurch freiberufliche Ärzte in den neuen Bundesländernwird dramatisch abnehmen.
– Ja, ich weiß, dass Sie für Polikliniken sind. Aber auchfür Polikliniken brauchen Sie Ärzte. Das Vertrackte dabeiist: In hohem Maße verlassen junge Ärzte Deutschlandund gehen ins Ausland.
– Schauen Sie doch in die Statistiken. Sie scheinen völligweltfremd zu sein.
Schauen Sie sich doch einmal an, wie viele Ärzte nachSkandinavien gehen und wie viele junge Mediziner in dieSchweiz gehen. Lassen Sie sich die Zahlen geben. Sie tunimmer, als ob alles zum Besten stünde.
Die jungen Mediziner sind gar nicht so dumm, wie Siedenken. Das ist der Unterschied.
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Meine Damen und Herren, jetzt fällt Ihnen ein, dass wirnoch stärker in den Arzneimittelbereich eingreifen müs-sen. Vielen gefällt zunächst dieser Vorschlag, denn er istpopulär.
– Moment. – Aber Sie wissen doch, dass es nur noch zweikleine bzw. mittlere Pharmafirmen gibt, die in Deutsch-land Forschung betreiben. Alle anderen sind weg. Sie tref-fen mit Ihrem Konzept gerade die mittelständische Phar-maindustrie in Deutschland, obwohl Sie permanent davonreden, dass Sie Arbeitsplätze erhalten wollen. Warten wires einmal ab.
Bringen Sie Ihr Konzept ein. Ich bin gespannt, was Ihnendie entsprechende Gewerkschaft dazu sagt. Die werdenIhnen noch Feuer unter dem Hintern machen.
Ansonsten vernichten Sie Arbeitsplätze.Das Vertrackte ist doch: Frau Schmidt hat sich in derKoalition gegenüber Clement nicht durchgesetzt. Dasmuss jetzt die Gesundheitspolitik bezahlen. Das ist derentscheidende Grund und die Situation, die wir zu bewäl-tigen haben.
Ich kann an Sie nur appellieren: Folgen Sie den Überle-gungen, die wir uns schon vor den Wahlen gemacht haben!
Ich war erstaunt, als die Ministerin auf einmal sagte:Wir wollen das medizinisch Notwendige definieren. –Das sind ganz neue Töne. Die Grünen sprechen auf ein-mal – vielleicht bin ich nicht richtig informiert – vonWahltarifen. Ich bin ganz erstaunt. Ich bin gespannt, wieSie diese Vorstellungen in einem Gesetz umsetzen.Meine Damen und Herren, ein weiterer wichtigerPunkt ist: Sie können zwar über Prävention sprechen,aber wie wollen Sie bei dem Defizit, das Sie im gesetzli-chen Krankenversicherungssystem haben,
Prävention finanzieren? Ich bin für Prävention. Ich freuemich auf Ihre Vorschläge, wie Sie dies machen wollen.Was hilft es, wenn wir massiv Präventionen einführen– das wäre wunderschön –, wir aber dem Normalbürgeraktuell keine medizinischen Leistungen gewähren? Ermuss darauf wochenlang warten. Sieben Wochen mussteeine Patientin in meinem Wahlkreis warten, bis sie einenTermin für eine Röntgenaufnahme bekam. Das ist IhrePolitik und die wollen wir nicht.
– Das ist kein dummes Zeug. Sie haben keine Ahnung; dasist Ihr Problem. Sprechen Sie mit den Patienten!Was mich erstaunt hat, ist: Es kam kein Wort zurPflege. Ist das für Sie kein Thema mehr?
Sie wissen doch: Die Pflege hängt genauso am Fliegen-fänger wie die Krankenversicherung. Sie gaukeln der äl-teren Bevölkerung manches vor.
Herr Kollege Thomae, denken Sie bitte an die Rede-
zeit!
Seit 1995 haben Sie nichts mehr getan, um die unter-
schiedlichen Pflegestufen besser zu finanzieren. Die Ta-
rifverträge von 1995 sind massiv ausgeweitet worden.
Das alles geht zulasten der Patienten. Das ist Ihre verlo-
gene Sozialpolitik. Dieser werden wir nicht folgen.
Nun hat der Kollege Markus Kurth, Bündnis 90/Die
Grünen, das Wort.
Herr Thomae, ich hoffe, dass sich Ihre fast schon ge-sundheitsgefährdende Erregung gelegt hat. Denn dannkönnen Sie vielleicht jetzt zuhören. Eine kleine Korrekturzu dem, was Sie soeben gesagt haben: Wir sprechen nichtvon Wahltarifen, sondern von der Wahlfreiheit zwischenverschiedenen qualitätsgesicherten, gleichwertigen An-geboten. Das ist ein großer Unterschied.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Ich möchte diese Gelegenheit dazu nutzen, den Fo-kus ein bisschen weiter aufzumachen und die Linse etwasmehr zu öffnen. Wir stehen in der Debatte um die Ausge-staltung sozialer Sicherheit in Deutschland längst nichtmehr nur vor der Frage, wie die Systeme zu finanzierenund zu optimieren sind, sondern mindestens genausodringlich vor der Frage, wie wir die Akzeptanz und dieLegitimität unserer sozialen Sicherungssysteme ge-währleisten. Die gesellschaftliche Anerkennung und dieMitwirkungsbereitschaft der Hilfeleistenden und Bei-tragszahler hängen eng miteinander zusammen. DieFrage, wer besondere staatliche Zuwendung braucht undwie sie effizient zu erbringen ist, muss plausibel beant-wortet werden.Dazu nenne ich ein Beispiel: Sehen Sie sich einmal dieVielzahl bizarrer Gerichtsverhandlungen an, die um ein-malige Beihilfen im Rahmen der Sozialhilfe geführt wer-den. Dort werden zusätzliche Unterhosen, Weihnachtsker-zen und Heizdecken erstritten. Die jeweiligen Streitwertestehen in einem geradezu grotesken Missverhältnis zu denDr. Dieter Thomae
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Oktober 2002
Markus KurthProzesskosten. Worum geht es in diesen Prozessen? Esgeht längst nicht mehr nur um eine Feststellung des ob-jektiven Bedarfs. Nein, ich behaupte, diese Prozesse ha-ben auch eine gesellschaftspolitische Funktion. Hier wirdder Kampf „öffentliche Hand alias Steuerzahler versus il-legitime Bittsteller“ inszeniert.
Allein dieses eine Beispiel zeigt die Notwendigkeit ei-ner Neudefinition und vor allem einer Neubegründungder Legitimität sozialer Sicherungssysteme.
Rot-Grün stellt sich dieser Aufgabe der Neubegrün-dung und schlägt – ganz im Gegensatz zur Opposition –eben nicht den Weg der fortgesetzten Delegitimierungund des Abbaus verlässlicher sozialer Sicherung ein.Wenn unsere Sozialsysteme in ihrer heutigen Form nichtmehr auf herkömmlichem Weg finanzierbar sind und vielzu oft entmündigen anstatt befähigen, dann lautet unsereAntwort eben nicht wie bei Ihnen planloser Abbau, son-dern effiziente Reform.
Wir brauchen und wir befördern ein Verständnis vomSozialstaat, das mehr als einen bloßen Versorgungsauftragumfasst.
Die Befähigung zu Teilhabe und Selbstentfaltung, dieEröffnung von Chancen zur Selbsthilfe sind unsereAnsprüche an den Sozialstaat, an einen integrations-fördernden Sozialstaat, der seinen materiellen undimmateriellen Leistungsauftrag so gestaltet, dass wir dieVoraussetzungen für eine wirksame Aktivierung nicht ge-fährden.
Auf dem Weg zu einem integrierenden Sozialstaat sindwir in der 14. Wahlperiode schon ein gutes Stück weit ge-kommen. Ich nenne die wichtigsten Stichworte: Alters-grundsicherung, das Gleichstellungsgesetz für Menschenmit Behinderungen – SGB IX –, das ModellprojektMoZArT zur Zusammenarbeit von Arbeitsämtern undTrägern der Sozialhilfe und auch die systematische Be-richterstattung über Reichtums- und Armutsentwicklung.
Wir werden den Weg der Erweiterung von Zugangs-und Chancengerechtigkeit weitergehen und ausbauen.Wir werden eine Gesamtreform der Sozialhilfe auf denWeg bringen, diese letzte soziale Sicherung weiterhin alsRechtsanspruch verankern und dafür sorgen, dass sieweitgehend pauschaliert und ohne Diskriminierung aus-gezahlt wird.Wir wollen die Eingliederungshilfen für Menschen mitBehinderungen weiterentwickeln. Wir wollen, dass dieVersicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversi-cherung für alle Sozialhilfebeziehenden verbindlich gilt.Dies sind Schritte zu einem unverzichtbaren Ausbau derSelbstbestimmung, einer Selbstbestimmung, die das not-wendige Vertrauen schafft, um dann bei den Betroffenendie Bereitschaft und den Mut zur eigenen Veränderung zuerhöhen.
– Sie werden es kaum glauben: Das ist die Lösung.Eine Umgestaltung der sozialen Sicherung, die glei-chermaßen Verteilungsgerechtigkeit, Teilhabegerechtig-keit und Effizienz ermöglicht, verschafft der Sozialversi-cherung auch wieder die öffentliche Akzeptanz, die siebraucht, um weiter bestehen zu können. Die Zusammen-legung der Arbeitslosen- und Sozialhilfe im Zuge der Um-setzung des Hartz-Konzepts wird hier eine wichtige Rollespielen.Wir werden mit der Einführung des Arbeitslosen-gelds II das System der Sozialhilfe endlich so reformie-ren, dass die herkömmliche Sozialhilfe in kommunalerVerantwortung nicht mehr die Rückfalloption für Lückenin der Arbeitslosenversicherung ist. Ein armutsfestesArbeitslosengeld II wird mit neuen Brücken verbundenwerden, die den Sozialhilfebeziehenden den Zugang zuPersonal-Service-Agenturen und zu Job-Centern ermög-lichen.Dies zeigt: Die Frage, wie viel Sicherheit auf welcheWeise für wen bereitgestellt wird, wollen wir eben nichteinseitig mit Leistungskürzungen beantworten,
sondern mit Angeboten und mit gesteigerter Effizienz derTransferleistungen.
Sie von der Opposition befördern doch dauernd die be-griffliche und auch die politische Engführung des Sozial-staatsbegriffs, indem Sie von Missbrauch reden, wo manüber Beschäftigungshemmnisse sprechen muss und da-rüber, wie man sie beseitigen kann. Sie glauben, Sie könn-ten Kosten sparen und die Statistik verbessern, indem SieUS-amerikanische Modelle im Sinne eines neoliberalenAnti-Hartz 1 : 1 übertragen.
Doch die vorgeblich Arbeitsunwilligen, deren Sie sich zuentledigen trachten, bleiben in dieser Gesellschaft, auchwenn keine Statistik sie mehr ausweist.Sie wissen: Vererbte Armut, verfestigte Sozialhilfe-abhängigkeit und dauerhafte Ausgrenzung sind bereitsheute in einem nicht vertretbaren Ausmaß vorhanden.
Die Kosten, die Sie einzusparen glauben, kehren zurückals gesellschaftliche Kosten, verursacht durch Sucht,
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Kleinkriminalität und verwahrloste Stadträume. Nachhal-tig ist Ihre sozialpolitische Philosophie nicht.
Ihre Rhetorik und Ihr In-Abrede-Stellen sozialer Bür-gerrechte verhindern eine Modernisierung der Leistungs-gewährung. Damit verhindern Sie auch die Wiedergewin-nung sozialstaatlicher Handlungsfähigkeit.Warum sollte etwa der Weg, den die Arbeitsämter nunbei der Umgestaltung zu Jobcentern beschreiten, nicht aufdie Sozialämter übertragbar sein? Wir brauchen auch hierendlich eine Dienstleistungsorientierung. Wir müssenauch hier das tun, was viele Ämter im Zuge der Verwal-tungsmodernisierung längst als Handlungsmaxime ver-ankert haben: die Bürgerinnen und Bürger als ernst zunehmende Klienten und nicht als lästige Kostgänger be-greifen.Meine Damen und Herren, eine Gesellschaft, die sichin ihren Grundstrukturen wandelt, braucht neue, vielfäl-tige und verlässliche Formen der sozialen Sicherung. Wirwerden mit einer möglichst sparsamen, aber auch mög-lichst wirksamen Inanspruchnahme der Ressourcen denWeg in Richtung einer Bürgersicherung für alle von allenbeschreiten.Danke.
Herr Kollege Kurth, ich gratuliere auch Ihnen zu Ihrer
ersten Rede im Deutschen Bundestag.
Ich beziehe ausdrücklich in den Glückwunsch ein, dass es
Ihnen gelungen ist, sich auch an die angemeldete Redezeit
zu halten, was vielen erfahreneren Kollegen nicht immer
gelingt.
Nun erteile ich der Kollegin Annettte Widmann-Mauz
für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!Nach dieser Rede möchte ich wieder zur politischen Pra-xis zurückkommen, zur Baustelle des sozialen Gesund-heitswesens.
Herr Kollege Kurth, wenn Sie von dem planlosen Ab-bau und der Notwendigkeit effizienter Reformen spre-chen, müssen Sie die linke Seite des Hauses anschauen.Denn Sie sind es doch, die einen planlosen Abbau im Ge-sundheitswesen betreiben, seit Sie an der Regierung sind.Von effizienten Reformen ist weit und breit nichts er-kennbar.
Ich wollte jetzt eigentlich die Ministerin ansprechen.Sie scheint aber schon gegangen zu sein.
– Ich denke doch, dass sie Interesse an der Diskussionüber ihre Regierungserklärung hat.Sie hat mit diesem Ministerium die Verantwortung fürden größten Reformsektor in Deutschland übertragen be-kommen. Führungsstärke, Schwung, Mut und Reform-wille sind in diesem Amt gefordert. Frau Schmidt aber hatvon alledem nichts. In der Bevölkerung gilt sie mittler-weile als die schwächste Ministerin im Kabinett; das hatGründe. Dass sie noch nicht einmal die Diskussion in die-sem Hohen Hause erträgt, unterstreicht diese Schwächenoch deutlicher.
Die Bilanz der bisherigen Amtsführung könnte nichtkatastrophaler sein.
Die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung wa-ren noch nie so hoch wie heute und sie steigen weiter.
Die Versorgung der Patientinnen und Patienten wirdnicht besser, sondern schlechter. Der demographischeWandel, der medizinische Fortschritt und die Veränderun-gen im Erwerbssektor werden von ihr schlichtweg igno-riert. Damit wird keines der Zukunftsprobleme in der ge-setzlichen Krankenversicherung angegangen.Im Gegenteil: Statt alle Beteiligten im Gesundheits-wesen – es geht nur im Miteinander –, Patienten, Versi-cherte, Ärzte, Apotheker und alle anderen Leistungs-erbringer, mit auf den Weg zu einer gemeinsamen Reformzu nehmen, hat sie das Vertrauen gänzlich verspielt.
Das mangelnde Vertrauen aufseiten der Versicherten undder Patienten beruht aber nicht auf bösem Willen. Wer solldenn zu dieser Ministerin noch Vertrauen haben, wennweder das Ziel noch der Weg der Reise bekannt sind? Werwie Sie, Frau Schmidt, noch nicht einmal zur Reiseleite-rin taugt, der wird nie Superministerin werden.
Sie verstehen das Gesundheitswesen einfach nicht. Siehaben weder die Dynamik noch die Wechselwirkungenim System erkannt. Deshalb sind alle Ihre Maßnahmen,sowohl die in der Vergangenheit als auch die jetzt zur Dis-kussion stehenden, Flickwerk ohne Konzept. Das bestätigtdie heutige Debatte wieder eindrucksvoll. Doch für uns istMarkus Kurth
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Oktober 2002
Annette Widmann-Mauzdas kein Grund zur Freude; denn die Auswirkungen fürdie Menschen in unserem Land sind verheerend. Mit ei-ner so konzeptionslosen Politik kann man kein Vertrauenaufbauen.Fangen wir einmal an: Zu Beginn Ihrer Amtszeit habenSie zur Beruhigung der Ärzte und Patienten die Budge-tierung der Arzneimittelausgaben ohne ein wirksamesSteuerungsinstrument aufgehoben – Wirkung: katastro-phal. Dann kam die Aut-idem-Regelung. Jetzt wollen SieIhre Drohung wahr machen und die Überschreitung derObergrenze für die Arzneimittelausgaben mit einem Re-gress bei den ärztlichen Honoraren bestrafen.Aber noch nicht genug: Sie wollen mehr Vertrags-möglichkeiten schaffen. Das ist ein hehres und gutesZiel, das wir unterstützen. Aber wie machen Sie das? Siestrapazieren das Vertrauen der Ärzteschaft weiter, indemSie den ärztlichen Sicherstellungsauftrag aufheben undeinzelne Ärzte der Übermacht der Kassen ausliefern wer-den.
Gehen wir in den Arzneimittelbereich, zu den Arznei-mittelherstellern und Apothekern. Es ist noch kein Jahrvergangen, seit Sie hier im Haus ein Arzneimittelaus-gaben-Begrenzungsgesetz verabschiedet haben. Teiledavon haben Sie sich vorher von der Pharmaindustrie ab-kaufen lassen, gegen die Zusage, keine Preisregulierun-gen im innovativen Arzneimittelsektor vorzunehmen.Jetzt drohen Sie erneut Kassenrabatte, Versandhandel undPreissenkungen an und wollen außerdem Festbeträge fürpatentgeschützte Medikamente einführen. Auch hier einklarer Wortbruch.
Wie soll so Vertrauen in die Arzneimittelversorgung ent-stehen?Nehmen wir die Versicherten. Sie haben noch bis zurWahl behauptet, es gebe in diesem Jahr kein Defizit undim kommenden Jahr keine Beitragserhöhungen. Jedochnicht einmal eine Woche nach der Wahl ist die Katze ausdem Sack; über Nacht gibt es wieder milliardenschwereDefizite.Jetzt drohen Sie mit der Anhebung der Versiche-rungspflichtgrenze – an einem Tag nur für Berufsanfän-ger, am anderen Tag für alle. In der Koalitionsverein-barung heißt es:Bei der Beitragsbemessungsgrenze gibt es keine Än-derungen.Schon jetzt hören wir aus gut informierten Kreisen, dassauch die Beitragsbemessungsgrenze angehoben werdensoll. 300 000 Mitglieder der gesetzlichen Krankenversi-cherung haben sich Ihrem ständigen Hin und Her schonentzogen und der GKV den Rücken gekehrt. 1 Milli-arde Euro hat Ihr unverantwortliches Gerede unser Versi-cherungssystem bereits gekostet.
Dieses Eintrittsgeld für Ihre Show ist den Menschen inunserem Land mittlerweile zu hoch. Auch das Programm,das geboten wird, steht in keinem Verhältnis zum Eintritts-preis. Zweiklassenmedizin ist doch längst kein drohendesSchlagwort mehr;
es ist bittere Realität in unserem Land. Sie drängen dieMenschen in ein Zwangssystem und geben ihnen keinewirklichen Mitwirkungs- und Entscheidungsmöglichkei-ten.
Da helfen auch solche Beruhigungspillen, wie Sie sieheute wieder verteilt haben, wie Beauftragte für Patien-tinnen und Patienten, Patientencharta, Patientenquit-tung und wie die ganzen Dinge heißen, wenig.
– Hören Sie mal zu, Frau Kumpf: Stärkung der Patienten-rechte und Ausbau des Patientenschutzes wie auch dieStärkung des Hausarztes standen schon in Ihrer Koaliti-onsvereinbarung von 1998. Sie haben nichts davon um-gesetzt. Ich sage Ihnen eines: Wir brauchen nicht mehrBeauftragte für Bittsteller, sondern wir brauchen wirk-liche Rechte für Beteiligte im Gesundheitswesen.
Ich kann Ihnen nur sagen: Mit all diesen Maßnahmenhaben Sie das Vertrauen der Menschen in Ihre Politik ver-spielt. Sie hätten jetzt eigentlich die Chance, einen wirk-lichen Neuanfang zu wagen. Aber Sie setzen Ihre Politikder Prinzipien-, der Konzeptions- und Mutlosigkeit fort.Der Koalitionsvertrag, über den wir und auch Sie gespro-chen haben, enthält wieder einmal sehr viel Lyrik, aberkeine wirklich konkrete Antwort auf die drängenden Fi-nanzprobleme der gesetzlichen Krankenversicherung undder Pflegeversicherung.
Es rächt sich, dass Sie keine wirkliche Analyse der Ist-Si-tuation erstellt haben. So weiß die Koalition weder, inwelcher fatalen Lage sie sich befindet, noch, wie die Pro-bleme gelöst werden können.Auch die Anhebung der Versicherungspflichtgrenze istnicht geeignet, die Einnahmeproblematik zu entschärfen.Der Vorsitzende des Sachverständigenrates – darauf legenSie ja immer großen Wert – für die Konzertierte Aktion imGesundheitswesen, Professor Wille, hat in der vergange-nen Woche erklärt, dass selbst bei Einbeziehung allerArbeitnehmer in die Pflichtversicherungsgrenze in dergesetzlichen Krankenversicherung in 16 Jahren nur eineEntlastung von 0,1 Beitragssatzpunkten zu erwartenwäre. Das ist geradezu lächerlich. Damit lösen Sie dieProbleme nicht.
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Vielmehr verschärfen Sie auf der anderen Seite dieProbleme in der privaten Krankenversicherung.WennSie die private Krankenversicherung austrocknen, müs-sen Sie den Menschen auch sagen, dass ihnen dann kon-tinuierlich höhere Prämien drohen.Frau Schmidt, ich hätte von Ihnen eigentlich erwartet,dass Sie Ihren Kollegen „Superminister“ Clement in sei-ner Arbeit ein bisschen unterstützen und ihm durch höhereBeiträge, höhere Prämien und damit steigende Lohnne-benkosten nicht immer mehr Arbeitslose vor die Tür set-zen. Dass er Sie nicht unterstützt, sehen wir ja; sonst wäreer bei dieser Debatte dabei. Die Verschiebebahnhöfe, diewährend der letzten Legislaturperiode, also in Ihrer Regie-rungszeit, entstanden sind, lassen nichts Gutes erwarten.Allein die Umsetzung der Hartz-Vorschläge bedeutet, dassIhnen 600 Millionen Euro aus der Tasche gezogen werden.Aber das ist noch nicht genug. Auch Herr Eichel – wowar der heute eigentlich? – scheint es mit Ihnen nicht gutzu meinen. Von dem lassen Sie sich zum wiederholtenMale in die Kasse greifen. Anstatt die Leistungsausgabendurch Senkungen, zum Beispiel der Mehrwertsteuer aufArzneimittel, zu verringern, lassen Sie zu, dass HerrEichel die Umsatzsteuer für zahntechnische Leistungenanhebt und damit die Ausgaben in der gesetzlichen Kran-kenversicherung erhöht.Die Reduzierung der Beiträge aus der Arbeitslosen-hilfe nutzt Herrn Eichel; sie reißt aber ein weiteres Lochin Höhe von 0,9 Milliarden Euro in den ohnehin schonvöllig durchlöcherten Geldbeutel der gesetzlichen Kran-kenkassen. Wenn Herr Eichel meint, er könne damit denblauen Brief aus Brüssel vermeiden, dann täuscht er sichwohl gewaltig. Auch Sie, liebe Frau Schmidt, tragen mitden Defiziten in den Sozialversicherungen dazu bei, dassdie Gesamtverschuldung des Staatshaushaltes wächst undwächst und wächst.Sie waren und Sie sind eine schwache Ministerin undSie haben sich schon nach einer Woche von Ihren Kolle-gen in diesem Haus über den Tisch ziehen lassen.Die Situation ist klar: Berücksichtigt man alle Vor-schläge, die auf dem Tisch liegen, dann liegt das Gesamt-defizit bei 4,7 Milliarden Euro. Mit den von Ihnen ge-planten Maßnahmen werden Sie nicht die Einsparsummeaufbringen, die Sie aufbringen müssen, um diese Lückezu schließen.Wir sollten uns schon einmal darüber unterhalten – Siehaben heute kein Wort dazu gesagt –, wie die finanzielleLage der Krankenkassen angesichts ihrer hohen Ver-schuldung auf dem privaten Kapitalmarkt aussieht. In derVergangenheit mussten sich zahlreiche Kassen sehr starkverschulden. Die Finanzreserven einer Reihe von Kassensind deutlich abgebaut. Die Mindestrücklage der gesetz-lichen Krankenversicherung ist um circa 1,6 MilliardenEuro unterschritten. Die Krankenkassen haben zur Si-cherstellung ihrer Leistungsfähigkeit nämlich ebenfallseine Rücklage zu bilden. Dieser Notgroschen ist mittler-weile vielfach aufgebraucht. Das heißt, die ersten Kran-kenkassen sind eigentlich konkursreif.Obwohl Sie das alles wissen und obwohl Ihnen be-kannt ist, dass die geplanten Einsparungen diese Kassennicht retten können, weigern Sie sich, den Kassen zu hel-fen. Sie wollen den Beitragssatz für das gesamte Jahr2003 festschreiben und Sie treiben diese Kassen damit inden wirtschaftlichen Exitus.Offensichtlich schwant Ihnen das; deshalb verfallenSie jetzt auf eine ganz perfide Idee: Sie wollen den überdie Kassen wachenden Ländern die Möglichkeit nehmen,ihren rechtsstaatlichen Verpflichtungen nachzukommenund den Kassen auf die Finger zu schauen. Die Länder ha-ben das Finanzgebaren der Kassen in der Vergangenheitzwar oftmals mit einem zugedrückten Auge toleriert;doch jetzt soll diese – rechtlich höchst fragwürdige – Hal-tung salonfähig gemacht werden. Damit ist der finanzielleRuin der Krankenkassen politisch vorprogrammiert. Ichsage Ihnen: Die Patientinnen und Patienten, die Versi-cherten, haben sowohl aus diesem Grund als auch aus an-deren Gründen das Nachsehen.Rot-Grün plant für das kommende Jahr eine Nullrundefür Ärzte, Zahnärzte und Krankenhäuser. Das heißt für diePatienten, dass ihre Versorgung noch schlechter wird, alssie es bisher schon ist. Der Vorsitzende des MarburgerBundes, Herr Montgomery, hat es auf den Punkt gebracht– ich zitiere ihn –:Weil die Bundesregierung offensichtlich kein sach-gerechtes Konzept gegen das chronische Finanzdefi-zit des Gesundheitswesens hat, will sie nun den Ver-sicherten per Gesetz vorschreiben, wann und wie oftsie krank werden dürfen.Ist das gemeint, wenn Sie in Ihrem Koalitionsvertrag da-von sprechen, die Qualität im Gesundheitswesen weiter-zuentwickeln und die Interessen der Patientinnen und Pa-tienten in den Mittelpunkt Ihrer Gesundheitspolitik zustellen?Vor der Wahl haben Sie den Ärztinnen und Ärzten inden Krankenhäusern versprochen, Maßnahmen zu er-greifen, um das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zurArbeitszeit umzusetzen. Angesichts der Tatsache, dass imKrankenhaus etwa 70 Prozent der Kosten Personalausga-ben sind, liegt es doch auf der Hand, dass bei einer Null-runde keine Finanzmittel für die Einstellung weitererÄrzte vorhanden sind. Im Gegenteil: Die Ärzte müssenmit Entlassungen oder damit rechnen, dass der Druck aufihre Arbeitskraft noch größer wird. Sie lassen die Kran-kenhäuser im Stich und schaden damit der Versorgung inder Fläche und den Menschen, die darauf angewiesensind.
Es gäbe noch viel zu sagen; aber nur noch kurz zumStichwort Bürokratisierung im System. Hier haben Siees geschafft, dass 3 800 Menschen mehr in der Verwal-tung beschäftigt sind, aber 15 000 Pflegekräfte wenigerfür die Versorgung zur Verfügung stehen. Dies ist die Bi-lanz Ihrer Politik.
Die sozialen Sicherungssysteme sind dringend auf ei-nen wirtschaftlichen Aufschwung angewiesen. Aber ohneAnnette Widmann-Mauz
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Annette Widmann-Mauzgrundlegende Reformen in der gesetzlichen Krankenver-sicherung wird sich dieser konjunkturelle Aufschwungnicht einstellen. Deshalb ist die rot-grüne Politik des„Weiter so“ höchst fahrlässig. Deshalb wird es Zeit, dassSie Konsequenzen ziehen.Frau Schmidt, Sie sind den Problemen der gesetzlichenKrankenversicherung nicht gewachsen. Irgendwann wer-den Sie es auch selbst merken.
Nun hat der Kollege Klaus Kirschner für die SPD-
Fraktion das Wort.
Sie werden es hören, lieber Kollege Parr.Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-ren! Die Reden haben deutlich gemacht, warum sich dieWählerinnen und Wähler am 22. September dieses Jahresfür die bisherige Koalition und damit für den Erhalt unddie Weiterentwicklung der solidarischen Krankenversi-cherung entschieden haben,
und zwar basierend auf den Grundprinzipien der Solida-rität zwischen Gesunden und Kranken, Jungen und Alten,gut Verdienenden und weniger gut Verdienenden, Singlesund Familien sowie der paritätischen Finanzierungdurch Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Sie haben sich füreinen umfassenden Leistungsanspruch entschieden, undzwar – unabhängig vom Einkommen – orientiert am me-dizinisch Notwendigen.
Die Wählerinnen und Wähler haben sich also gegen dieAufspaltung des Leistungskatalogs in Grund- und Wahl-leistungen und damit die Verlagerung der Krankheitskostenweg von der Solidargemeinschaft auf die Geldbeutel dereinzelnen Patienten und auch gegen die Abwahl von Leis-tungen entschieden. Vor der Wahl hieß dies noch auf Neo-bayerisch „opting out“. So steht es im Programm der CSU.
Die Debatte hat gezeigt: Außer Ihrer Kritik ist nichtsgekommen.
Lieber Herr Kollege Seehofer, lieber Herr KollegeDr. Thomae und liebe Frau Kollegin Widmann-Mauz, werselbst im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.
Wenn der Kollege Seehofer der Frau Ministerin Allge-meinplätze vorwirft
und sagt, der Wert der Prävention müsse angehoben wer-den, kann ich nur fragen: Wer hat denn den § 20 SGB Vauf eine Restgröße zusammengestutzt? Waren Sie dasoder wer war das? Wer hat denn den § 20 SGB V wiederzum Leben erweckt? – Sie doch nicht!
Lieber Herr Kollege Seehofer – dies gilt auch für Ihredamalige Koalition zu der Zeit, in der Sie Regierungsver-antwortung getragen haben –, wenn Sie Verschiebebahn-höfe anprangern, sollten Sie auch wissen, dass auf denje-nigen, der mit einem Finger auf andere zeigt, drei Fingerzurückzeigen.
Wer hat denn beispielsweise damit begonnen, die Be-messungsgrundlage bei Arbeitslosen zu senken? WarenSie das?
– Das waren Sie nicht? Ihr Gedächtnis ist aber wirklichverdammt kurz; das muss ich Ihnen schon sagen.Lieber Herr Kollege Seehofer, zur Ihren Vorwürfen be-züglich der Jahrhundertreform muss ich fragen: Wie langehat denn Ihre Jahrhundertreform von 1989 gedauert? Warnicht 1992 eine erneute Reform fällig?
–EntschuldigenSie bitte, aber damals hatHerrBlümgesagt,wir machen eine Jahrhundertreform. Ihr Jahrhundert hatzweieinhalb Jahre gedauert, nichtmehr und nicht weniger.
Lieber Herr Kollege Seehofer, wenn Sie hier – dies istunbestritten – die Leistungen im Rahmen der deutschenEinheit ansprechen, aber gleichzeitig sagen, die Beitrags-sätze seien zu hoch, dann sagen Sie doch auch klipp undklar, ob Sie beispielsweise den Finanzkraftausgleich imgesamtdeutschen RSA abschaffen wollen, immerhin eineFinanzsumme, die – von West nach Ost – jährlich 2 Mil-liarden Euro beträgt. Das kostet Geld. Ich frage Sie: SindSie dafür? Ja oder nein? Wenn ja, dann müssen Sie sichauch dazu bekennen.
Es geht jedenfalls nicht so, wie Sie das hier versuchen.Ich will bei dieser Gelegenheit an das Pflegeleistungs-Ergänzungsgesetz erinnern. Haben Sie nicht da einenAntrag eingebracht, in dem Sie fordern, dass ab dem Jahr2002 die Behandlungspflege auf die GKV übertragen
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werden soll? Das wäre mit Kosten von jährlich 1,5 Milli-arden verbunden. Haben Sie das nicht gemacht? ErinnernSie sich eigentlich nicht mehr an diesen Antrag?Noch einmal, lieber Herr Kollege Seehofer: Wer hatdenn dem damaligen Hauptgeschäftsführer des BPI zuseinem 60. Geburtstag die Positivliste geschreddert über-reichen lassen?
Das ist doch in Ihrem Auftrag geschehen. Oder etwanicht? Wir wären ein gewaltiges Stück weiter,
wenn Sie sich an die gemeinsame Abmachung von Lahn-stein gehalten hätten.
– Darf ich Sie einmal daran erinnern, wer denn die Stufenzwei und drei der Festbetragsregelung 1996 gestrichenhat? – Das waren doch Sie, Ihre Koalition.
Dies hat nach vorsichtigen Rechnungen die gesetzlicheKrankenversicherung bis heute rund 5 Milliarden EuroMehrausgaben gekostet.
Wir werden dieses rückgängig machen.
Dann werden wir sehen, wie Sie eigentlich zu diesen Din-gen stehen.
Wer hier die Höhe von Beitragssätzen anprangert undselbst eine solch lange Liste von eigenen Sünden zu ver-treten hat, der sollte in dieser Frage etwas leiser sein.
Lieber Herr Kollege Dr. Thomae,wenn Sie sagen – ich hoffe, dass ich Sie jetzt richtig zi-tiere –, das Vorschaltgesetz sei die brutalste Budgetierung,die man sich denken könne,
dann frage ich Sie: Wie war das denn mit dem Beitrags-satzentlastungsgesetz? Haben Sie nicht die Beiträge perGesetz generell um 0,4 Prozentpunkte gesenkt?
– Moment mal! Sie haben das an entsprechende Senkun-gen gekoppelt. Sie haben der GKV per Gesetz eine Bei-tragssatzsenkung von 0,4 Prozentpunkten aufoktroyiert.
– Herr Kollege Dr. Thomae, ich glaube, wir tun uns keinenGefallen – das gilt auch für Sie, Frau Widmann-Mauz –,wenn wir immer nur das Schreckgespenst einer Unterver-sorgung an die Wand malen.
Unbestritten ist ja, dass es in Deutschland ein paar sol-cher Gebiete gibt. Aber Regelungen dafür sind im Gesetzenthalten, nämlich dass dann, wenn es eine Unterversor-gung gibt, die KVen – das ist der Sicherstellungsauftrag,den sie wahrzunehmen haben – alles dafür tun müssen,sie zu beseitigen. Das muss innerhalb der KVen gesche-hen.Es wird hier ständig das Schreckgespenst an die Wandgemalt, dass wir einen Ärztemangel hätten. Dazu sageich: Wir haben die höchste Ärzte- und Zahnärztedichteüberhaupt. Da kann man doch nicht von einem Ärzte-mangel reden.
Es ist unverantwortlich, was Sie gemacht haben.
– Lieber Herr Kollege Parr, mit „fliehen“ wäre ich einbisschen vorsichtig. Die jüngsten Zahlen für Studenten,die sich für Medizin eingeschrieben haben, zeigen doch:Wir hatten noch nie so hohe Zahlen.
Offensichtlich ist dieser Beruf nach wie vor für viele at-traktiv.
Ich kann nur sagen: Hören Sie auf, Gefährdungen an-zuprangern,
die es nicht gibt! Ansonsten werden Sie in vier Jahren diegleiche Quittung von den Wählerinnen und Wählern be-kommen wie am 22. September.
Nur alles schlecht zu machen und alles anzuprangern, dasist keine glaubwürdige Alternative. Merken Sie sich das!
Sie haben am 22. September dafür letzten Endes die Quit-tung bekommen.
Klaus Kirschner
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Klaus KirschnerWie sehen denn Ihre Vorschläge aus?
Sie erschöpfen sich doch darin, weniger Geld für mehrLeistungen zu bieten. Sie werden auch in der Zukunft fürIhre Art von Gesundheitspolitik von den Wählerinnen undWählern abgestraft werden.
Ihr ständiges Mosern und das Schielen auf die Geldbeutelder Kranken stellen keine glaubwürdige Alternative fürdie Versicherten dar.
Ich sage Ihnen auch Folgendes: Sie agieren im Gleich-klang mit den starken Lobbygruppen der Leistungser-bringer; Sie heulen doch mit denen mit.
– Aber ich bitte Sie, Herr Kollege Dr. Thomae. Das habenwir vor der Bundestagswahl doch gesehen. Da war jadiese schöne Anzeige – sie hat Ihnen sicherlich gut gefal-len –,
in der gefragt wurde: Was verstehen Politiker von Medi-zin und was verstehen Mediziner von Politik? Es ging umdie Konzepte, die zu einer besseren Versorgung der Pati-entinnen und Patienten führen sollen, nämlich um unsereDisease-Management-Programme.Sind Sie nun für oder gegen bessere Qualität? Sie kön-nen hier doch nicht einfach sagen, sie wollten eine bessereQualität, und in den Ausschusssitzungen haben Sie – zu-mindest was die Vergangenheit angeht; vielleicht habenSie sich ja geändert;
das wollen wir in Zukunft einmal abwarten – diese abge-lehnt, und zwar obwohl mit den Disease-Management-Programmen eine bessere Medizin für die Patientinnenund Patienten gewährleistet ist.
– Lieber Herr Kollege Dr. Thomae, Sie kennen sichebenso wie der Kollege Zöller in der Gesundheitspolitikdoch genauso gut aus wie ich; Sie beschäftigen sich dochschon seit langem damit.
Das, was Sie da sagen, ist wirklich das Letzte. Sie wissendoch ganz genau: Es gibt derzeit einen fatalen Wettbe-werb der gesetzlichen Krankenkassen um Gesunde.
Wettbewerb ist ja notwendig. Aber das Ziel muss eineVerbesserung der Qualität und der Wirtschaftlichkeit sein.Die Kassen sind – das kennen wir aus der Vergangenheit –keine Engel, sondern Institutionen. Wenn bestimmteKrankenkassen heute einen besonders niedrigen Beitrags-satz anbieten können, dann ist das nicht ihr Verdienst, son-dern nur Ausdruck dafür, dass sie einen hohen Anteil anGesunden unter ihren Versicherten haben, während beianderen Krankenkassen auch viele Kranke versichertsind. Die Kopplung von Disease-Management und Risi-kostrukturausgleich wird dazu führen, dass die Jagd aufgesunde Versicherte aufhört und dass die Kassen letztenEndes für eine Optimierung der Krankenversorgung be-lohnt werden. Das haben Sie offensichtlich nicht begrif-fen oder wollen es auch nicht begreifen; denn Sie wollendas schließlich ablehnen. Denken Sie einmal darübernach!
– Wenn der Gedanke richtig ist, lieber Kollege Zöller,dann kann es nicht verkehrt sein.
Herr Kollege, bevor Sie sich in eine unnötige private
Auseinandersetzung verstricken, möchte ich Sie daran er-
innern, dass Ihre Redezeit überschritten ist. Ich bitte Sie,
zum Ende zu kommen.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich denke, ich habe den
Kolleginnen und Kollegen das Notwendige gesagt, näm-
lich dass das, was Sie hier vorgelegt haben, keine Alter-
native darstellt.
Wenn Sie so weitermachen, dann werden Sie dafür in vier
Jahren, so wie am 22. September, wieder die Quittung be-
kommen.
Vielen Dank.
Als letzte Rednerin in der Debatte erteile ich das Wort
der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Zu-schauerinnen und Zuschauer! Ich bin Abgeordnete derPDS. Ich würde es begrüßen, wenn wir unsere Debattenzur Gesundheitspolitik so führen würden, dass auch die-jenigen unter den Zuschauerinnen und Zuschauern, die
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keine ausgesprochenen Expertinnen und Experten sind,sie verstehen könnten.
Ich kenne das Gesundheitssystem aus eigenem Erlebenund höre, was mir meine Wählerinnen und Wähler überihre Erfahrung mit dem Gesundheitssystem berichten. Ichnenne Ihnen ein Beispiel, sehr verehrte Herren in der ers-ten und zweiten Reihe: Eine Berliner Mutter geht mitihrem Kind zum Arzt, wartet eine oder zwei Stunden imWartezimmer, wird dann hereingebeten. Das Kind ziehtsich aus, wird untersucht und darf sich dann wieder anzie-hen. Die Mutter geht dann mit dem Kind zur Apotheke,kauft den Impfstoff und wartet wieder beim Arzt. Das Kindzieht sich aus und wird geimpft. Dann geht die Mutter zuihrer Krankenkasse und bekommt die Kosten ersetzt.
Der Hintergrund ist Ihnen sicher bekannt: Kranken-kassen und kassenärztliche Vereinigung konnten sich überdie Finanzierung der Grippeschutzimpfung in Berlinnicht einigen. Die Leidtragenden dieser Auseinanderset-zung sind die Patienten. Nun ist es nach langer Zeit undnach Eingreifen der PDS-Gesundheitssenatorin gelungen,eine Einigung zwischen Krankenkassen und kassenärzt-licher Vereinigung, die ja bekanntermaßen die Ständever-tretung der Ärztinnen und Ärzte ist, zu erreichen.
– Ich habe Ihnen das gerade gesagt, verehrter Herr Kollege.Die Gesundheitssenatorin ist von der PDS und nur durchihr Eingreifen und ihr Verhandlungsgeschick ist es gelun-gen, diesem misslichen Zustand ein Ende zu bereiten.
Ich denke, meine Damen und Herren, dieses Beispielzeigt sehr deutlich, welche Stellung die Patienten und Pa-tientinnen in unserem Gesundheitssystem haben. Ichmerke aber an, dass es „den“ Patienten nicht gibt. Ichdenke, dass die Mehrheit von Ihnen privat versichert istund die Probleme, die ich gerade beschrieben habe, aus ei-genem Erleben gar nicht kennt.Hier wurde von einer Zweiklassenmedizin gespro-chen. Die haben wir bereits; wer Geld hat, lebt länger.Hier wurde auch viel über Geld gesprochen und darüber,dass die Krankenkassen unterfinanziert sind. Doch ichdenke, es geht nicht nur um mehr Geld für die Kranken-kassen. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als ei-nen Umbau des Gesundheitssystems. Jeder weiß, dass an-dere Länder ihren Bürgerinnen und Bürgern mit wenigerGeld eine bessere Gesundheitsversorgung bieten, als diesdie Bundesrepublik tut.Das Problem ist jedoch, dass in unserem Land sehrviele sehr gut an diesem Gesundheitssystem verdienen.Damit meine ich nicht in erster Linie die Ärzte. Die Pro-gnosen besagen, dass in Berlin dieses Jahr 500 Ärzte ihrePraxen schließen werden, weil sie sie nicht mehr finan-zieren können. Darunter befinden sich auch Ärzte ausdem Ostteil der Stadt, die nach der Wende hohe Krediteaufnehmen mussten, um sich niederzulassen. Sie stehenjetzt vor dem Nichts.
Offensichtlich verdienen die Pharmaindustrie und dieIndustrie für medizinische Geräte besonders gut an diesemSystem.
Die Bürgerinnen und Bürger werden mit Medikamentenvollgestopft und schon bei einer Erkältung in modernstemedizinische Geräte geschoben, weil es sich rechnet. DerEffekt für die Gesundheit ist oft fraglich.
Unter meinen Wählerinnen und Wählern gibt es auch– Sie werden es nicht glauben – einen mir bekannten Phar-mavertreter. Ich dachte immer, er verkauft Medikamentean die Ärzte. Nach Gesprächen mit ihm habe ich aller-dings den Eindruck gewonnen, dass er eher Mitarbeiter ei-nes Reisebüros ist. Er ist nämlich mit den Ärzten in derganzen Welt unterwegs, um ihnen Medikamente nahe zubringen. Da stimmt doch etwas nicht.
Die Pharmaunternehmen haben in diesem System offen-sichtlich sehr gute Geschäfte gemacht, sodass sie sich sol-che kleinen Extras leisten können.Der Patient soll in diesem Gesundheitssystem immermehr zum Kunden werden. Ich weiß nicht, wie ich das fin-den soll, und ich weiß auch nicht, ob dieser Anspruchwirklich ernst gemeint ist.
Wie kann es sonst sein, dass ältere Kunden von denKrankenkassen nicht gern gesehen, junge Kunden abermit Kusshand genommen werden? Ich finde es wirklichbeängstigend, dass Krankenkassen ihr Zweigstellennetzaus Kostengründen reduzieren und auf den Nebeneffekthoffen, dass ältere Bürgerinnen und Bürger aufgrundder dann gegebenen schlechteren direkten Beratungs-möglichkeiten vielleicht doch die Krankenkasse wech-seln.Meine Damen und Herren, in vielen Reden wurde dasSolidarprinzip beschworen. Ich habe jedoch den Eindruck,dass dieses wichtige Prinzip ein frommer Wunsch bleibt.
Ich denke, dass das Geld, welches sich im Gesundheits-system befindet, an vielen Stellen falsch verteilt ist. Zuviel Geld fließt an die Pharmaindustrie.An dieser Stelle muss angesetzt werden. Dann werdenwir sehen, dass hinten, so, wie es Ihr ehemaliger KanzlerKohl zu sagen pflegte, mehr herauskommt.
Dr. Gesine Lötzsch
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Dr. Gesine LötzschMit diesem Spruch hatte er ausnahmsweise mal Recht.Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache zur Regierungserklärung.
Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tagesord-
nung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Mittwoch, den 6. November, 13 Uhr, ein.
Gleichzeitig möchte ich darauf aufmerksam machen, dass
in dieser Sitzung sowohl die Regierungsbefragung als
auch die Fragestunde stattfinden werden.
Bis zum Beginn der nächsten Woche wünsche ich Ih-
nen einige ruhigere Tage.
Die Sitzung ist geschlossen.